Hindutva
Fundamentalismus
Victor und Victoria Trimondi
Ich bin
der Tod, der Zerstörer der Welt
Der atomare Deal zwischen Indien und den USA
Am
2. März haben der US-Präsident George W. Bush und der indische
Ministerpräsident Manmohan Singh einen Vertrag zur zivilen Nutzung der
Atomenergie geschlossen. Dem Atomwaffensperrvertrag ist Indien, das seine
eigenen A-Bomben produziert, niemals beigetreten. Damit durchbricht dieser
Deal die bisher geltenden internationalen Regelungen zur Begrenzung des
atomaren Wettrüstens, auch wenn nach außen hin betont wird, es handele sich
um eine rein zivile Nutzung der A-Energie, die zur Verhandlung stehe. Da
Indien nur einen Teil seiner atomaren Anlagen international kontrollieren
lässt, ist eine militärische Nutzung aber mehr als wahrscheinlich - zumal
die USA den Subkontinent als Gegengewicht zur Nuklearmacht China
unterstützen.
In keinem Land der Welt wurden und werden
der Atom-Bombe so viele mythologische und apokalyptische Bedeutungsinhalte
unterstellt wie in Indien. Das mag mit der Gründungsgeschichte dieser
Superwaffe zusammen hängen, denn als die erste A-Bombe am 16. Juni
1945 in der Wüste von Los Alamos explodierte, ließ sich Robert Oppenheimer
(1904 - 1967), der „Vater der Bombe“, aus dem indischen Kulturkreis
„poetisch“ inspirieren. Zwei Tage vor der Explosion hatte er, selber des
Sanskrits mächtig, einige Zeilen aus dem Original der Bhagavadgita
übersetzt. Als er dann den ersten atomaren Pilz erblickte, kam ihm erneut
das indische Kriegsgedicht ins Gedächtnis: „Ich erinnerte mich einer Zeile
aus der Hindu Schrift, der Bhagavadgita. Vishnu [...] verwandelt
sich in eine vielarmige Gestalt und sagt: ‚Jetzt bin ich der Tod
geworden, der Zerstörer der Welt.’ Wir dachten wohl alle etwas
ähnliches.“ – berichtet Oppenheimer später. Bei der Explosion klammerte er
sich an den Pfosten im Kontrollstand und deklamierte laut aus dem Heiligen
Text: „Wenn das Licht von Tausend Sonnen – Am Himmel plötzlich bräch’
hervor – Zu gleicher Zeit, das wäre – Gleich dem Glanz dieses Herrlichen.“
Häufig
benutzen Hindu-Ideologen der Religiösen
Rechten diese Bhagavadgita-Sätze Oppenheimers, um zu „beweisen“, dass
die Atombombe ursprünglich aus dem indischen Kulturkreis stamme. Sie
behaupten, die traditionelle Hindu-Gesellschaft habe schon in Urzeiten über
modernste Waffen-Techniken verfügt. „In Indien werden Oppenheimers Worte
zunehmend durch einem neuen Typus von Hindu-Aktivisten zitiert. Für sie
zeigt sein Gebrauch ihrer Heiligen
Texte, dass die Hindu-Ideen von der Göttlichkeit mit der modernen Zeit
verknüpft sind. Feuer und Feuerrituale sind ein wesentliches Element des
Hinduismus. Sie sagen, dass das Antlitz des Schöpfergottes Vishnu wie ein
nuklearer Blitz aufleuchtet.“ – schreibt der französische Journalist Robert
Marquand.
Im
Sanskrit bedeutet Schrift „shastra“ und Waffe „shaastra“. Es
ist ein tiefeingesessenes religiöses Bild in der indischen Kultur, dass man
die Schrift in der einen und die Waffe in der anderen Hand hält.
Tatsächlich wimmelt es in den Heiligen Texten des Landes nur so von
Superwaffen. Im Nationalepos Mahabharata ist von Sprengsätzen die
Rede, die einen Zerstörungseffekt wie „fallende
Sonnen“ haben, die als „gigantische
Boten des Todes“ erscheinen und die „alles zu Asche verbrennen“. Ein Held des Epos, Arjuna, muss
versprechen, von einer Waffe mit dem Namen Brahmasira keinen
Gebrauch gegen Menschen zu machen, weil sie ansonsten die Erde vernichten
werde. Auch im Ramayana kommt
eine Waffe zum Einsatz, von der es heißt, sie sei „stärker als die Hitze von Tausend Sonnen.“
In
den rechts-religiösen Kreisen der Hindutva gilt es heute als eine
„Binsenwahrheit“, dass die A-Bombe mit der in mehreren indischen Mythen
erwähnten ultimativen Waffe, die den Namen brahmastra trägt,
identisch sei: „Wenn eine Nuklearwaffe freigesetzt wird, dann entsteht eine
Strahlung, gleich der, die beschrieben wird, als Asvatthama [ein Held aus
der Bhagavdgita] seine brahmastra
zündet. Da kam es zu einer großen Strahlung und die Leute fühlten eine
schreckliche Hitze.“ – erklärt zum Beispiel Swami Prabhupada von der Hare
Krishna Bewegung.
Krishna
(Vishnu), Shiva und Rama sind Indiens Nukleargötter. Aber nicht nur die
„Bombe“, sondern ebenso ihr gesamtes militärisches Umfeld wurde
mythologisiert: Der Name der Mittelstreckenrakete „Agni“ leitete sich von
dem indischen Feuergott gleichen Namens ab. „Trishul“, eine andere
Raketengattung, bedeutet „Dreizack“ und verweist wiederum auf Lord Shiva
und seine tödliche Waffe. Auch die verschiedenen indischen Atom-Tests
tragen religiöse Namen wie „das Lächeln des Buddha“ (1974) und „Shakti“
(1998).
Sollte
die religiöse Rechte (BJP) in Indien
wieder an die Macht kommen (was nicht ausgeschlossen ist), dann wird sie
auch „mythologisch“ über das von den USA gelieferte nukleare Material
und Know How verfügen können.
Kshatriya
versus Mujaheddin
Auch die Religiöse
Rechte Indiens glaubt in der Endzeit zu leben
Am 7. März
explodierte in der indischen Stadt Varanasi eine Bombe in einem Tempel,
riss 21 Menschen in den Tod und verletzte 60. Das Attentat, das von
muslimischen Fundamentalisten durchgeführt worden sein soll, reißt eine
Wunde auf, die dabei war nach dem Sieg der Kongress Partei im Mai 2004 zu
verheilen. Als Indiens größte Rechtpartei (Bharatiya Janata Party - BJP) die Wahl und damit auch die
Regierungsgewalt verlor, sahen viele ihrer Funktionäre die Abkehr von den
tradierten Werten und den religiösen Inhalten des klassischen Indiens als
Ursache hierfür. Der Ruf „Zurück zur Basis! Zurück zur Hindutva! [Hindu-Kultur]“ ist seither zu einem Slogan geworden,
unter dem sich die Religiöse Rechte
Indiens neu gruppieren will, was ihr in den letzten zwei Jahren aufgrund
innerer Querelen nicht so richtig gelungen ist. So kommt ihr das Attentat
gerade recht.
Die Hindutva orientiert sich an einer
endzeitlich-messianischen Philosophie. Es ist die Ambition ihrer Anhänger,
die Grundsätze ihrer Realpolitik aus dem umfangreichen Erbe der indischen
Religionen und ihrer Heiligen Texten abzuleiten, an erster Stelle
aus dem populären Epos Ramayana.
Letzteres weist zahlreiche apokalyptische Elemente aufweist. Eine
weitere, klassische Schrift der indischen Endzeit-Literatur ist die Mahabharata,
insbesondere die darin enthaltende Bhagavadgita. Dieses monumentale
Epos behandelt an zentraler Stelle das „Kshatriya-Ideal“, den Kult vom
„Heiligen Krieger“, das Hindu-Pendant zum muslimischen „Mujaheddin“ und zum
christlichen „Gotteskrieger“.
Für die
Hindu-Fundamentalisten wird das Ahimsa-Prinzip, die Gewaltlosigkeit eines
Mahatma Gandhi, durch das Himsa-Prinzip, die Bejahung von Gewalt, ersetzt.
Die Nähe zum europäischen Faschismus ist in diesem Fall nicht nur
metaphorisch zu verstehen. Die RSS (Rashtriya Swayamsevak Sangh
– Hindu Heim Truppen), heute der
paramilitärische Flügel der BJP, hat in der Mitte des vorigen Jahrhunderts
direkte Kontakte zu den Achsenmächten unterhalten und sich ideologisch aus
dem italienischen Faschismus und Nationalsozialismus inspirieren lassen –
ebenso wie umgekehrt. Heute noch gibt es in Indien eine latente, weit
verbreitete Hitlerbewunderung, die sich bis zu dessen Verehrung als
göttlicher Avatar hinaufsteigern kann.
Hauptfeinde für die Hindu-Fundamentalisten sind die 120
Millionen Muslime des Landes und die muslimischen Anrainerstaaten Pakistan
und Bangladesh. Der „Heilige Krieg“ gegen den Islam wird von den
Hindutva-Anhängern seit Jahren „kosmisch“ geführt. So gilt die Religion
Mohammeds als das „Böse“ schlechthin und die mittelalterliche Eroberung Indiens
durch die islamischen Reiterheere wird als eine Invasion von „Dämonen“
angesehen. Erst die Bekehrung oder Vertreibung der Muslime wird der Hindutva mit Hilfe der indischen
Götter den Endsieg verschaffen und das Land in ein „irdisches Paradies“
verwandeln. Im schlimmsten Fall bedeutet das jedoch den Genozid an der
gesamten muslimischen Bevölkerung Indiens und in der Tat werden solche
Möglichkeiten eines islamischen Holocausts in ultra-rechten Kreisen der Hindutva offen ausgesprochen.
Entsprechend barbarisch sind die gewalttätigen Zusammenstösse mit Muslimen,
die jedoch nicht weniger brutal gegen die „Ungläubigen“ und die
„Polytheisten“, wie die Hindutva-Anhänger genannt werden, vorgehen und sich
dabei auf den Koran berufen.
1992
erreichte der inner-indische Clash of Civilization seinen
vorläufigen Höhepunkt in der Besetzung der muslimischen Babri Moschee in
der Stadt Ayodhya durch fanatisierte Hindus. Tausende von Toten und
Zehntausende von Verletzten auf beiden Seiten waren die Folge. Seit dieser
Zeit bricht die Gewaltwelle zwischen den zwei Religionen nicht mehr ab. Die
Moschee soll im 16. Jahrhundert auf der Geburtstätte des Gottes Rama gebaut
worden sein und wird deswegen von der religiösen Rechten zurückgefordert,
zumal Rama als „Partei-Gott“ der BJP höchste Verehrung genießt. Es ist
vielfach betont worden, dass der Konflikt um die Babri Moschee für den
indischen Kulturkreis denselben Stellenwert hat wie der Tempelberg für die
drei monotheistischen Religionen.
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