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DIE MYSTIK DES KRIEGES

Ein höchst peinlicher Beitrag zum religiösen Faschismus

 

Dag TessoreDer Heilige Krieg im Christentum und Islam

Düsseldorf 2004 (Patmos-Verlag)

 

Das im Patmos-Verlag zum Herbst 2004 erschienene Buch „Der Heilige Krieg im Christentum und Islam“ von Dag Tessore ist ein sehr informativer, aber zugleich auch skandalöser Text. Informativ weil er drei bisher wenig diskutierte Aspekte aus der Religionsgeschichte des Krieges darstellt.

 

  1. dass das Christentum von Beginn an eine Tradition des Heiligen Krieges kultiviert hat, die bis heute nicht überwunden ist.
  2. dass diese christliche Tradition mit vielen Aussagen der islamischen Djihad-Tradition übereinstimmt.
  3. dass es in allen Religionen eine „Mystik des Krieges“ gibt, die jenseits von Gut und Böse, den Krieg als die mystische Vereinigung mit der Gottheit erfährt.

 

Diese historischen Dimensionen des Heiligen Krieges belegt der junge Autor (Jahrgang 1975, Orientalist und Kirchenhistoriker) mit überzeugendendem Quellenmaterial. In aller Deutlichkeit arbeitet er heraus, dass der „Heilige Kriege“ historisch als eine tiefe spirituelle Erfahrung interpretiert und erlebt wurde und dass die mystische Seite des Krieges in unseren Tagen wieder an Attraktivität gewonnen hat.

 

Das höchst Ärgerliche an diesem Buch ist jedoch, dass es nicht mit wissenschaftlicher Distanz geschrieben ist, sondern dass Dag Tessore selber der Faszination des „heiligen Krieges“ erliegt und im 3. Kapitel mit dem Titel „Mystik der Kreuzzüge und Mystik des jihad“ eine theologische Legitimation für Gewalt und Terror in den Religionen mit Begeisterung vorlegt. Das macht diesen Text, ob gewollt oder nicht, zu einem „Katechismus des religiösen Terrorismus“ und einem mystischen Verherrlichung des Gewalt.

 

Schon in seinem Vorwort führt der Autor seine Leser und Leserinnen in seine wahre Absichten ein. Er habe dieses Buch geschrieben, um „den Geist und das Herz der Menschen zu verstehen, die früher an die Heiligkeit des Krieges glaubten und die es heute tun. [...] Der Mystik des Krieges nachzuspüren, ist eine Herausforderung an den Westen.“ (8) So schön und so gut, aber dann wirbt er auf einmal um Verständnis für die „Gotteskrieger“ in allen Religionen: „Hören wir auf, die bewaffneten Integralisten der Vergangenheit und Gegenwart von vornherein zu verurteilen und zu verdammen.“ (8) Vielmehr sollten wir uns ihnen „nähern“, „ihre Gründe verstehen“ und sehen, „ob sie uns nicht doch etwas lehren können... “ (8)

 

Was können wir nun von den „großen Theoretikern“ und den „Soldaten des Heiligen Krieges“, diesen „Männern von einwandfreier, moralischer Integrität und tiefster Spiritualität“ (9) lernen? Erst einmal, dass „es zwischen Krieg und authentischer Spiritualität [eine] Verbindung“ gibt. Nicht von „Fanatismus, Engstirnigkeit und von verirrten religiösen Vorstellungen“ würden die „Heiligen Krieger“ geleitet, sondern von der tief empfundenen Sakralität ihrer Taten. Sie orientierten sich an einer „radikal spirituelle Vision der Welt, nach welcher die Seele wichtiger ist als der Körper“. (9) Zu diesem „materialistischen Verständnis der Existenz“, nach dem der Körper „vergöttert werde und der Geist verhungere“, geselle sich ein „unbegrenzter Pazifismus“, der eine einzigartige „Ausnahme“ in der Menschheitsgeschichte darstelle und der „nicht im Einklang mit den philosophischen und geistigen Autoritäten und mit der öffentlichen Meinung fast aller Zeiten und fast jeder Zivilisation stehe“. (10)

 

Die „Gotteskrieger“ und nicht die „Friedensapostel“ vertreten also nach Tessore den Mainstream in der Religionsgeschichte der Menschheit. Deswegen solle man ihnen nicht mit „Wut und Stolz“ und „Vorurteilen“ begegnen. Es sei zwar richtig, dass viele Muslime Gewalt gegen den Westen anwenden, doch der Westen verfahre ebenso und versuche zudem Gesellschaftsmodelle durchzusetzen, die „spirituell sehr viel ärmer als jene islamischen und authentisch christlichen Modelle sind“. (12) Die spirituellen Grundlagen, die von den Kirchenvätern vor Jahrhunderten formuliert wurden, widersprächen dem american way of life des Westens. Während der Krieg für die Muslime sakrosankt sei, versuchten die USA zusammen mit der EU als „kulturellem Bollwerk“ (!) ihre „große Religion des Materialismus und Laizismus“ durchzusetzen. Der Westen verhalte sich deswegen allen denjenigen gegenüber intolerant, die er seinerseits „für intolerant und rückständig hält, ob es sich um Mönche vom Berg Athos oder die iranischen Ayatollahs“ handele. (13)  Würden wir aber den „Gotteskriegern“ zuhören, dann würden wir sie als „Repräsentanten einer achtenswerten Spiritualität“ verstehen, die das „Erbe einer langen und würdigen spirituellen Tradition“ fortsetzt. (13) Für diese Leute gelte die „Achtung Gottes“ mehr als die „Achtung des Menschen“.

 

So möchte Tessore die mystischen Abgründe religiöser Gewaltbereitschaft nicht nur  durchleuchten, um für Verständnis für den religiösen Terror  zu werben, sondern letztendlich, um den Krieg als eine raison d’être des wahren Menschseins darzustellen. „Vielleicht ist in einigen Fällen der Krieg wirklich das kleinere Übel und das effektivste Mittel, um Gerechtigkeit, Frieden und innere Ruhe zurückzubringen, vielleicht lässt er den Menschen eine grauenvolle, aber gleichzeitig erhabene und tiefe Realität entdecken, und enthüllt ihm verborgene Geheimnisse seines Herzens und seiner Gefühle von ergreifender Menschlichkeit“ (15)

 

Mit wenigen Sätzen versucht sich nun der Autor vor möglichen Angriffen abzusichern, was angesichts der Ungeheuerlichkeiten, die er seinen Lesern und Leserinnen im Folgenden auftischt, notwendig ist, denn ansonsten würde dieser Text als ein „Aufruf zum religiösen Terrorismus“ verboten werden. Tessore erklärt: „Dass ich mich in diesem Buch – um es zu sagen – auf die Seite der Ideologen des Krieges stelle (eben um deren Geist ‚von innen’ verstehen zu können), bedeutet nicht, dass ich ihnen zustimme. Ich vertrete nicht meine Meinung, sondern ihre.“ (16) Das ist schon deswegen eine Lüge, weil der Autor ausführlich eine Mystifizierung des „Heiligen Krieges“ jenseits der einzelnen Religionen betreibt, die keiner der von ihm zitierten Protagonisten aus dem Christentum, Islam und Judentum jemals so vertreten hat, die aber (wie wir noch zeigen werden) ein Paradigma des religiösen Faschismus darstellt. Zwar entschuldigt sich Tessore im voraus, dass er mehrmals „Osama bin Laden neben Papst Urban II. oder Bernhard von Clairvaux zitiert“, er wolle sie damit nicht auf „die gleiche spirituelle und moralische Ebene“ stellen. (16) Wer jedoch die einschlägigen Passagen aufmerksam liest, muss trotz solcher Zurückweisungen den Eindruck gewinnen, dass bin Laden im Grunde „spirituell und moralisch“ höher bewertet wird, weil er im Gegensatz zu dem genannten Papst und dem Zisterzienser Abt aus Clairvaux aktiv und nicht nur durch Predigten an dem mystischen und realen Kriegsgeschehen teilnimmt.

 

Jedenfalls haben nach Tessore die drei oben genannten „Mystiker des Krieges“ gemeinsame Feinde, die auch für den Autor das Übel dieser Welt ausmachen: „Die religiöse Indifferenz, den Konsumismus, die Säkularisierung, das Schwinden von spirituellen und menschlichen Werten.“ (17) Folglich gebe es im mystischen Kern eine tiefe Koalition der islamistischen Fundamentalisten mit den wahren Christen. Tessore will mit seinem Buch unter anderem die Katholische Kirche davon überzeugen, dass sie „im Islam einen sehr viel besseren Verbündeten hat als in den Vereinigten Staaten, in der europäischen Union und in den durch sie verkörperten Werten.“ (17). Wie tief der Autor in eine blutrünstige Kriegermystik verstrickt ist, werden wir im Folgenden zeigen.

 

Zuerst aber möchten wir kurz und gerafft das erste und zweite Kapitel über die Geschichte des Heiligen Krieges im Christentum und Islam zusammenfassen. Hier hält sich der Autor weitgehend von metaphysischen und mystischen Spekulationen fern und liefert im Zeitraffer eine Ideengeschichte religiöser Gewalt in den beiden monotheistischen Religionen, jeweils ausgehend von ihren Heiligen Texten.

 

Im 1. Kapitel mit dem Titel „Geschichte und Philosophie der Gewalt im Christentum“ stellt Tessoro die „pazifistischen“ Passagen aus den Evangelien den dort auch erwähnten  „Schwertversen“ gegenüber, welche Gewalt legitimieren. Überraschenderweise kommt er dabei nicht auf die Apokalypse des Johannes zu sprechen, dem kriegerischsten aller Texte des Neuen Testaments. Dagegen zitiert er ausführlich Stellen aus dem Alten Testament, in denen Gott den „Heiligen Krieg“ von seinem Volk Israel fordert. Der Widerspruch zwischen Friedensweg und Kriegsbejahung, der sich in den Evangelien findet, bestimmte auch die Diskussion unter den Kirchenvätern. Origines, Tertullian, Eusebius und andere waren Pazifisten. Als dann Kaiser Konstantin im Jahre 314 „im Zeichen des Kreuzes“ seinen Konkurrenten Maxentius militärisch besiegte und kurz darauf das Christum zur Staatsreligion erklärte, hatten die Anhänger Jesu Christi ihren ersten „Heiligen Krieg“ geführt. Die „modernen“ Kirchenväter Ambrosius und Hieronymus arbeiteten später eine „präzise Theologie des Krieges“ heraus. Diese Tradition wurde von Augustinus bis Papst Gregor dem Großen fortgesetzt. Die theologische Debatte rankte sich jedoch um den Begriff eines „gerechten Krieges“ im Gegensatz zu einem  „ungerechten“, nicht aber um die Frage nach der „Mystik des Krieges“. Diese kommt erst mit den Kreuzzügen auf.

 

Etwas knapp behandelt Tessore Bernhard von Clairvaux  (1090-1153), der mit seinem Liber ad milites Templi die Statuten für den kriegerischen Mönchsorden der Templer verfasst hat. Es folgt eine Laudatio auf den Deutschen Orden (ordo teutonicus), „weil er den Krieg zu einem prinzipiellen und dauerhaften Ziel machte und eine wahre Mystik des gewaltsam erlittenen oder zugefügten Todes entwickelte.“ (56) Bemerkenswert ist, dass auch die blutigen Ketzervernichtungen der katholischen Kirche als „Kreuzzüge“ und  „Heilige Kriege“ angesehen wurden, die vom „Heiligen Geist“ abgesegnet waren. Sogar der gemeinhin als armer Friedensapostel gefeierte Franz von Assisi soll ein brennender Befürworter der Kreuzzugidee und des damit verbundenen Militarismus gewesen sei. (61 ff.) Eine gewisse rationale Ernüchterung stellt der Autor bei Thomas von Aquin fest. Dieser rechtfertigte zwar den „gerechten Krieg“ theologisch, steigerte sich aber nicht in die zu seiner Zeit noch weit verbreitete Kriegsekstase hinein. Dennoch hat auch er die Errichtung eines „religiösen Ordens mit militärischem Ziel“ gefordert, „nicht zu weltlichem Zweck, sondern zur Verteidigung des göttlichen Glaubens und zum allgemeinen Heil“. (64) Es folgen Ausführungen über die „Kreuzzüge gegen die Türken“, über die Verherrlichung des Heiligen Krieges durch den Renaissance Papst Pius V., über die Gegenreformation. Auch Luther habe den Krieg gegen die Ketzer (Wiedertäufer) und rebellischen Bauern legitimiert. Im 19. und 20. Jahrhundert gibt es  zahlreiche Aufrufe zum Krieg von kirchlicher Seite. Tessore verweist insbesondere auch auf die extreme Militanz in der anglikanischen Kirche während der beiden Weltkriege.

 

Das II. Vatikanischen Konzil (1962-1965) hatte zwar die Bereitschaft zum Frieden und zur Toleranz formuliert, wie dies zuvor in der Katholischen Kirche noch nie geschehen war. Aber, so betont Tessore, es handele sich dabei keineswegs um eine radikale Absage an den Krieg als solchem. Er zitiert mehre Aussagen Papst Johannes Paul II, wo dieser behauptet, „dass der Krieg ein wirksames, wenn auch schmerzhaftes Instrument zur Erlangung des Friedens sein kann.“ (81) Dies sei Welten entfernt von der Kriegermystik der Kreuzzüge, aber Tessore legt großen Wert auf die Behauptung, dass die traditionelle Bejahung des Heiligen Krieges unter konservativen Katholiken offen ausgesprochen werde und als „zweite Lunge“ neben dem „Katholizismus der Friedensmärsche“ die Kirche beatme. Insbesondere sei „eine katholische militärische Spiritualität“ in der Welt der Militärgeistlichen lebendig. (82) Als einen der Zeugen hierfür führt Tessore den Erzbischof und Heeresgeneral Monsignor Giovanni Marra an, der einen Aufsatz gegen die Pazifisten in der Kirche  verfasst hat. Darin heißt es: „Die Doktrin der Nicht-Gewalt ist unakzeptabel und im Effekt gegen das Evangelium gerichtet, weil sie zur Nicht-Verteidigung der Schwachen führt, und die starken, gewalttätigen Menschen bevorzugt.“ (83)

 

Die Darstellung der Kriegermystik im Islam ist mittlerweile weit verbreiteter als ihre Entsprechung im Christentum. Tessore zitiert über einige Seiten die einschlägigen Stellen zum Djihad aus dem Koran und den Hadiths (tradierten Sprüchen des Propheten Mohammed). Er berichtet über die frühen innerislamischen Fitna-Kriege und die Krieger- und Opfergnosis während der Geburtsphase der Schia. Die Djihad-Theologie des mittelalterlichen Gelehrten Ibn Tamiyya (1263-1328), auf den sich heute die islamistischen Fundamentalisten berufen, wird kurz erörtert.  Es folgt eine knappe Ideologiegeschichte der Djihad-Doktrin angefangen von den Kreuzzügen bis hin zur Zeit des Kolonialismus. Eine ausführlichere Behandlung genießt das Werk des ägyptischen Gelehrten Ayyid Qutb (1906 – 1966), der eine radikale Kritik der westlichen Kultur verfasst hat und zum Djihad als religiöse Pflicht aufruft. Qutb ist derjenige Autor, dem Tessore in seinem Buch die meisten Seiten überhaupt widmet. Das hat seinen Grund, denn der Djihad-Philosoph wird zu einem Genius hochstilisiert, an dessen Ideen sich alle Mystiker des Heiligen Krieges, auch wenn sie Christen sind, orientieren können: „Es springt sofort ins Auge“ – schreibt Tessore – „dass die Ideen von Qutb fast mit denen Augustins und des vierten Laterankonzils übereinstimmen. Sayyid Qutb befindet sich außerdem in erstaunlichem Einklang mit der christlichen Doktrin, wie sie einem vor allem bei Bernhard von Clairvaux begegnet, wenn er vom mystischen und spirituellen Aspekt des Krieges spricht: der Krieg im Dienst Gottes und zur Befreiung des Menschen, der Krieg als Askese und moralische Prüfung, als eine Form der Kontemplation und Vorbereitung auf den Tod, der Krieg als Martyrium des Glaubens.“ (118) So wird Qutb, der wohl schärfste islamistische Kritiker des westlichen Wertesystems, als ein auch das militante Christentum einschließender puristischer Kriegermystiker umworben.

 

Eine ähnliche latente Bewunderung hegt Tessore auch gegenüber Ayatollah Khomeini, der in der Tat ein Kenner und Praktikant der schiitischen Krieger-Mystik war. „Wieder ist die Verwandtschaft mit dem Christentum sehr eng.“ – schreibt der Autor und vergleicht die militanten Gedanken iranischer Mullahs mit denen von Papst Anastasius III., Papst Leo dem Großen und Papst Innozenz III. Letzterer forderte: „Schlagt sie [die Ungläubigen], um sie zu heilen, tötet sie, um ihnen ihr Leben zu geben.“ (123)

 

Tessore kommt nun zu dem folgenden Ergebnis, „dass die islamische und christliche Stellung zum Thema Krieg grundsätzlich ähnlich ist. Es ist daher bemerkenswert, dass zwischen den Anhängern der einen und der anderen Seite so viel gegenseitiges Unverständnis herrscht.“ (130) Folglich sei ein Schulterschluss zwischen militantem Islam und militantem Christentum gegen den gemeinsamen Feind der „Säkularisierung und des Laizismus“ ein Gebot der Stunde. (131)

 

Das dritte Kapitel mit dem Titel „Mystik der Kreuzzüge und Mystik des jihad“ ist sozusagen das Kerngehäuse des gesamten Buches. Es beginnt mit dem Satz: „Bereits in der Einführung haben wir davon gesprochen, dass dieses Buch versucht, etwas von der tiefen, mystischen Eingebung zu vermitteln, die viele Christen und jetzt viele Moslems dazu gebracht hat, die eigene Religiosität vermittels Waffen zu erfahren.“ (133) Tessore beschreibt nun die aus dem Islam bekannte sakrale Technik mit dem Namen dhikr. Diese besteht darin, sich mittels stundenlanger Rezitation von Koranstelen oder des Namens Allahs in einen Trancezustand zu versetzen. Dadurch wird eine unio mystica des Praktikanten mit der Gottheit angestrebt, die sich auf alle Lebensbereiche auswirkt, somit auch auf die Bereitschaft zum „Heiligen Krieg“. „Es sind diese Stellen, die gehört, ausgesprochen und wiederholt werden und seit jeher unzählige Scharen von Moslems für den Djihad begeistern.“ – schreibt Tessore. (138, 139) Zum Beispiel durch den folgenden Satz aus Sure 4: 76: „Diejenigen, die gläubig sind, kämpfen um Gottes willen, diejenigen, die ungläubige sind, um der Götzen willen. Kämpft nun gegen die Freunde des Satans! Die List Satans ist schwach.  Übrigens wandten die Attentäter des 11. September ebenfalls diese Rezitationstechnik (dhikr) vor ihrer Tat an, was von Tessore nicht erwähnt wird.  (Siehe hierzu unseren Beitrag:  Die „geistliche Anleitung“ der Attentäter des 11. September 2001)

 

In einem Abschnitt über das Judentum schildert Tessore die mystische Kriegsbegeisterung der jüdischen Makkabäer im Kampf gegen die hellenistischen Besatzer. Sie hätten „Blutbäder von Menschen“ angerichtet, aber ihre „militärischen Feldzüge“ seien „von Religiosität durchtränkt“ gewesen – schreibt der Autor – „bevor sie in die Schlacht zogen, beteten und fasteten sie.“ (142, 143)

 

Es folgt ein Traktat, den Papst Pius X. im Jahre 1903 verfasste und der betitelt ist: „Die unheilvollen Verhältnisse“. Wesentlicher Inhalt dieser Anklageschrift ist die Hybris des Menschen „nach menschlichem Maß göttliche Dinge zu messen“. (143) Der Mensch, der versuche sich über Gott zu stellen, sei der eigentliche „Anti-Christ“ – schreibt der Papst -  „aber Gott werde das Haupt seiner Feinde zerschmettern.“ (144) Tessore vergleicht wieder einmal diese Menschen-Schelte mit Aussagen des islamistischen Chefideologen Sayyid Qutb, der scharf verurteilt hat, dass sich „Menschen Macht anmaßen“. Das sei Gotteslästerung und menschlicher Hochmut. Als Warnung, so Tessore, erklinge es jedoch von den Minaretten jeder Moschee fünfmal mal am Tage: „Allahu akbar! Allahu akbar!“ („Gott ist größer! Gott ist größer!“)

 

Eines der Kriterien für einen Gottes-Kriegers ist sein Bekenntnis zu materieller Armut. Tessore zitiert Ayatollah Khomeini und bin Laden, die Bekenntnisse zur Armut als Tugend abgegeben hätten. „Aber für uns ist es viel besser, unter einem Baum hier auf den Bergen zu leben, als in den reichen Palästen [...], wo heute die Ungerechtigkeit herrscht.“ – erklärte der Terroristenchef. Solche Bekenntnisse zur Dürftigkeit und solche Kritiken am Wohlstand fänden sich auch in den christlichen Orden. In beiden Kulturkreisen seien es die Armen und Unterdrückten für die sich die „Heiligen Krieger“ einsetzten.

 

Es folgt eine Predigt des Erzbischofs von Paris aus dem Jahre 1852, in der dieser sagt, zwar müsse das Ziel eines von der Kirche legitimierten Krieges der Friede sein, aber gerade deswegen sei dieser erlaubt: „Der Krieg ist manchmal ein schreckliches Mittel, aber nötig, leider, infolge der Leidenschaften, welche die Welt bewegen. Das ist der Grund, warum Gott ihn billigt; deshalb nennen ihn die Propheten heilig: sanctificate bellum (Joel 4), darum hat die Kirche für ihn Segensworte, Worte der Ermutigung und sogar der Liebe...“ (150) So habe sich, meint Tassore, seit dem Jahre 1095, als Urban II. auf der Synode von Clermont zu den Kreuzzügen aufrief und die folgenden Worte sprach, nicht viel verändert: „Die Waffen, die ihr bis jetzt unerlaubt mit Blut befleckt habt, indem ihr euch gegenseitig umgebracht habt, wendet jetzt gegen die Feinde des Glaubens und des christlichen Namens. [...] Und wenn ihr zum Angriff gegen die kriegerischen Feinde schreiten werdet, dann sei dies der Ruf aller Gottessoldaten: ‚Gott will es! Gott will es!’“ (152) Erneut vergleicht der Autor die Kriegserklärungen dieses Kreuzzug-Papstes  mit entsprechenden Passagen aus den Reden des Ayatollah Khomeini und aus Erklärungen von Osama bin Laden. „Wir geben hier einen Abschnitt aus seiner Kriegserklärung gegen die Amerikaner wieder, die in Form und Geist viele Ähnlichkeiten mit der Kriegserklärung Papst Urbans [...] aufweist.“ – schreibt Tessore und kommt zu dem Schluss, dass die beide, der Papst und der Terrorist „von ernstem Glauben beseelt“ sind. (152, 153)

 

Vorgestellt werden weitere Päpste und ihre Bekenntnisse zum Krieg: Gregor VII., Innozenz III. Selbst Papst Johannes XXIII. soll den Militärdienst als spirituelle Bereicherung angesehen haben, die den Charakter durch Verzicht, Selbstbeherrschung und Gehorsam forme. (159) Der Krieg, so der begeisterte Autor, wird zum Erzieher der Menschheit, „zum Meister des Lebens und Schatz der Weisheit [!]. Er zeigt uns das wahre Gesicht der Wirklichkeit, die wahre Natur der Dinge. Er zerbricht die Illusion von Reichtum und Wohlstand, in der wir uns wiegen. Er zerstört die vergänglichen Güter, mit denen wir uns umgeben, um uns zu zwingen, die Augen zu jenen Gütern zu heben, die uns allein glücklich machen.“ (159)

 

Solche Elogen auf die erzieherische Wirkung des Krieges sind dem Autor aber nicht genug. Er legt mit noch weit beklemmenderen Würdigungen nach: Einen weiteren spirituellen Vorteil biete der Krieg nämlich als meditatio mortis, als Meditation angesichts des Todes, die uns ebenfalls auf ein höheres Sein jenseits des flüchtigen Lebens aufmerksam mache. Tessore zitiert hier erneut und wieder im positiven Sinne Sayyid Qutb: „Der Krieg befreit uns von den leeren Leidenschaften dieser Welt und hilft, die menschliche Seele innerlich zu verändern, indem er sich auf den eventuellen Tod in der Schlacht vorbereitet.“ (160) Es stelle sich beim Heiligen Krieger ein „innerer Friede“ her, obgleich er mit der Waffe in der Hand kämpft und die Feinde tötet. Dies sei der „wahre Friede“ im Gegensatz zum „äußeren, illusorischen Frieden‚ wie die Welt ihn gibt (Johannes 14: 27), der sich Reichtum anhäuft, der verfault.“ (161)

 

Zum Armutsgelübde und zur Kontemplation über den Tod gesellt sich die Askese. So findet die Mystik des Kriegers ihre personale Vollendung in der Gestalt des „Mönchskriegers“. Verachtung für das Leben, Verzicht auf Bequemlichkeit und Reichtum, Kasteiungen und Fasten all das kennzeichnet beide, den Mönch und den mystischen Soldaten, beim letzteren kommt noch die Tötung des Feindes hinzu. Die Urgestalt des „Mönchskriegers“ entdeckt auch Tessore bei den Tempelrittern, deren asketischen Lebensstil er besonders herausstellt. Wenn sich der Templer abends schlafen legte, habe er das Schwert an seiner Seite, „mit dem er vielleicht am selben Tag Menschen in Gottes Namen getötet hatte“, als ein Signum des Kreuzes gesehen, heißt es romantisch. „Dennoch war es schwierig zu glauben, war es schwer, sich so vieler Toter bewusst zu sein. Aber vielleicht, wenn er nicht getötet hätte, wenn er nicht mit seinen Händen das Blut berührt hätte, wenn er nicht jeden Tag in die Augen des Todes geblickt hätte, würde er nicht bis auf den Grund des Lebens herabgestiegen sein, um das tiefe Mysterium zu erahnen, auf das unsere Existenz gebaut ist.“ – dichtet der eingedenk des verschütteten Blutes elektrisierte Autor. (168) Das Thema vom tiefen Mysterium des Krieges klingt erneut an, wenn Tessore sagt, die Aufgabe eines Templers sei es gewesen, „sich mit dem Weg des eigenen Herzens vertraut zu machen, sich den eigenen, inneren Dämonen zu stellen, sich zu verpflichten, die eigene menschliche Existenz bis auf den Grund zu leben.“ (169)

 

Es folgt eine Glorifizierung auch der anderen militärischen Orden des Kreuzrittertums. Die Rituale „christlicher Gotteskrieger“ werden beschrieben: rituelle Bäder, Anlegen weißer Gewänder, Nachtwachen im Gebet, Segnung der Waffen. Tessore zitiert aus dem Ponticale Romanum, einem katholischen Handbuch, welches die Abläufe der ritterlichen Investitur beschreibt. Während der Zeremonie wird  viel mit einem Schwert gearbeitet. Der Bischoff besprengt dieses mit Weihwasser, der Initiant schwingt mit ihm mehrmals durch die Luft usw. „Nachdem der Ehrenmann das Schwert auf dem linken Arm gereinigt hat (als wäre es schon in Blut gebadet) wird er es in die Scheide zurückstecken.“ – heißt es zum Schluss. (175)

 

Kriegslieder der Kreuzritter werden vorgestellt. Dann geht der Autor auf die große Bedeutung des „inneren Kampfes“  ein, da die Gotteskrieger nicht nur Menschen, sondern auch den Teufel zum Gegner haben: „Zieht die Rüstung Gottes an“ – sagt Bernhard von Clairvaux – „damit ihre den listigen Anschlägen des Teufels widerstehen könnt. Denn wir haben nicht gegen Menschen aus Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern gegen die Fürsten und Gewalten, gegen die Beherrscher dieser finsteren Welt, gegen die bösen Geister des himmlischen Bereichs.“ (179) Ein Vergleich mit Sayyid Qutb liegt hier nahe und wird von Tessore auch gemacht: Der „große Djihad“, ist die innere Schlacht „gegen den Dämon, die Leidenschaften, die Wünsche, den Ehrgeiz!“ – erklärte der islamistische Fundamentalist. (180)

 

Weitere Charakterzüge des „Heiligen Kriegers“ werden religionsvergleichend dargestellt. Die Aufforderung zum Martyrium bei Papst Gregor VII. und bei Ayatollah Khomeini; die Errichtung von klosterartigen Kriegerburgen durch Christen und Muslime; die Wüste als mythische Landschaft, welche die geistige Bereitschaft zum Heiligen Krieg fördert. Die „Wüste ist der Ort, an welchem die Härte des Lebens, der Hunger, die Raubtiere, die Angst, die Einsamkeit, die tödlichen Vipern vertraut und liebenswürdig werden, weil sie die Alternative zur aufgeblasenen, grässlichen menschlichen Zivilisation bilden.“ – schwärmt der Autor. (190)

 

In dem Abschnitt „Schnee und Blut“ werden Mystiker, Mystikerinnen und der deutsche Ritterorden bemüht, um eine abstoßende Blutmystik des „Heiligen Krieges“ zu bebildern. Der Satz der Katherina von Siena „Dass wir uns süß betrinken und baden im Blut des gekreuzigten Christus!“ – wird von Tessore mit den folgenden Worten kommentiert: „Das Blut wird hier zur Verzückung, es ist der warme, purpurrote Saft, der das Begehren weckt, mit Christus zu leiden, für die Welt zu sterben und in seiner Passion zu ertrinken.“ (194) Dass der Autor damit durchaus das Abschlachten des Feindes meint, ergibt sich aus der Tatsache, wie er im selben Abschnitt einen Blutritus des Deutschen Ritterordens beschreibt.

 

Bevor die mönchischen „Gotteskrieger“ in die Schlacht zogen, wurde eine Messe abgehalten. Der Priester nahm Trauben oder Brombeeren und drückte sie aus „um den Rittern das dunkelrote tropfende ‚Blut’ zu zeigen, im Gedenken an den gekreuzigten Herrn und um sie zur Schlacht zu verleiten’ [...] Während des Kultes konnten sie die grausamen, schrecklichen Wunden des ans Kreuz geschlagenen Christus kontemplieren. Dann machten sie sich auf, um gegen die Ungläubigen zu kämpfen, und die Vorstellung des Blutes war in ihre Herzen und in ihre Augen gezeichnet. Der Krieg wurde zum Ritual und mystischen Experiment, bei welchem sich der Soldat Christi am Blut berauschte und im Blut ertrank, wie man im Meer des Mysteriums der Existenz ertrinkt und im Meer des unbegreiflichen Seins Gottes. Es handelt sich um einen authentischen, asketischen Weg, obwohl er uns Grauen erregt, weil er aus Blut und Tod besteht. Trotzdem ist es genau das in der Schlacht mit dem kreuzförmigen Schwert vergossene Blut und der Tod, der in jedem Augeblick des Lebens zur Schwester und zum Kameraden geworden war, was im Ritter eine tiefere, wahrere Wirklichkeit der menschlichen Existenz berührte. In den eigen Augen des Todes der unzähligen Gefallenen, die sich um ihn häuften, bemerkte er und versenkte sich in das Rätsel dieser Welt, jedes Menschen, seiner selbst.“ (195, 196) 

 

Spätestens seit diesem Passus merkt jeder Leser, das Dag Tessore ein fanatischer Anhänger des „Gotteskriegertums“ ist, der den „Heiligen Krieg“, unabhängig von der jeweiligen Religion, als das höchste Mysterium der Gottesvereinigung feiert. Die nun folgenden Aussagen von Mystikerinnen, Mystikern, Rittern und Mönchen wie Jalal al-Din Rumi, Franz und Klara von Assisi, Gottfried von Bouillon, Katharina von Siena, dienen als eifernden Zeugnisse islamischen und christlichen Djihadisten, die nichts sehnlicher wünschen, als dem Tod zu begegnen, um sich mit Gott zu vereinen.

 

Tessore kommt zu dem Schluss, im Islam und Christentum gebe es einerseits eine „präzise Theologie des Krieges“, die sich in vielen Punkten ähnle. Diese sei jedoch zu unterscheiden von der Mystik des Krieges, die nicht nur die Grenzen einzelner Religionen sondern auch alle moralisch erlaubten Grenzen übersteige. „Die Mystik ist nicht mehr eine Überlegung des Verstandes, sondern eine glühende Leidenschaft des Herzens, ein verzehrendes Feuer“. Sie kann, so Tessore, zu „Exzessen von unerhörter Gewalt führen“ (207) Aber diese sind theologisch gerechtfertigt, denn es ist Gott selber, der zum Terror greift: „Gott greift zu grausamen Qualen und zu ungeheuren Blutbädern, um den Menschen zu bestrafen und ihn zu terrorisieren [sic!], wenn er wagt, es an Respekt gegenüber Gott fehlen zu lassen. [...] In diesem Zusammenhang bedeutet der Heilige Krieg, alles aufzubieten, gegen alles Schwert und Feuer zu richten, um nicht zu erlauben, dass Gottes heiliger Name ‚entweiht’ wird; er bedeutet, die Menschen zu terrorisieren, damit sie lernen, Gott ernst zu nehmen, und wissen ,der Mensch ist nicht stark aus eigener Kraft’. Es bedeutet, die ‚Rache des Herrn auszuführen’ und mittels Terror zu verstehen zu geben, dass mit Gott nicht zu scherzen ist.“ (208, 210)

 

Und nun kommt der wirkliche Höhepunkt des Buches, Tessores Apotheose des religiösen Terrorismus! „Religiöser Terrorismus mit entsprechenden Blutbädern und Zerstörungen bedeutet, nicht zuzulassen, dass im Namen menschlichen Rechts oder der Gesetze der öffentlichen Ordnung oder des Konzepts der Toleranz, man sein Spiel mit Gott treibt. ‚Deinen Unterdrückern gebe ich ihr eigenes Fleisch zu essen, sie sollten sich an ihrem Blut berauschen wie an Most. Dann werden alle Sterblichen erfahren, dass ich der Herr, dein Retter bin’ (Jesaja 49: 26) und dass Gott ernst genommen werden muss!“ (210)

 

Das 3. Kapitel über die „Mystik des Heiligen Krieges“ endet mit einer Beschreibung des 11. Septembers als Gottesgericht. Tessore ersucht mit dem pathetischen Tonfall eines Bibelpropheten zu sprechen: „Und wenn die Menschen zu ihrer Verherrlichung Türme fest und Hoch wie zu Babel bauen, so werden sie unter den starken Händen Gottes zerbrechen und sich wie Wachs im Feuer seiner Majestät auflösen, es werden sich ringsum gewaltige Flammen erheben, um gegen die stolze Menschheit Zeugnis abzulegen, dann, wie der Koran sagt, ,werden sie von dem erfasst, worüber sie sich lustig gemacht haben’. (Sure 45: 33) Das Feuer zwischen den Ruinen, Blut, Tote, die Schreie der Niederlage werden eine höchste Gotteserscheinung sein, das Zeichen von Gottes Sieg. Dann wird der Mensch gezwungen sein, sich zu ergeben und einzugestehen, dass Gott stärker ist als er“. (212)

 

Ein solches Statement und die religiöse Legitimation des 11/9 verlässt jegliche wissenschaftliche Objektivität in einer Studie über den Heiligen Krieg. Tessore legt seine Worte nicht nur den Terroristen in den Mund, sondern sie sind eindeutig seine eigene Meinung. Fehlt nur noch die direkte Unterstützung Osama bin Ladens. Das wäre wohl auch für den jungen Religionswissenschaftler zu gefährlich. So belässt er es bei einer Andeutung: „Ein Brigant, ein Gesetzloser, ein Terrorist zu sein, ist oft eine Entscheidung, die von Motiven des Glaubens bestimmt wird und von dem glühenden Wunsch, die eigene geschichtlich-kulturelle und religiöse Identität zu verteidigen. Wie Osama bin Laden sagt: ‚Wenn ich mein Land befreie und deswegen als Terrorist bezeichnet werde, ist es für mich eine große Ehre.’“ (190)

 

Das letzte, 4. Kapitel mit dem Titel „Die kriegerische Spiritualität in anderen Kulturen und Religionen“ soll zeigen, dass auch in allen anderen Kulturkreisen  Krieg, Tod und Opfer zu einer blutigen Kriegermystik verbunden wurden. Tessore bringt Beispiele aus dem Judentum, Hinduismus, Buddhismus, Zen-Buddhismus, Konfuzianismus und Taoismus.

 

Bezeichnerweise endet das Buch mit einer detaillierteren Darstellung der blutrünstigen Opferkulte der Azteken im alten Mexiko. Die letzten Abschnitt von Tessores Buch klingt wie ekstatische Anrufung der blutrünstigen aztekischen Gottheiten: „Die mexikanische Religiosität erscheint uns überaus abstoßend. Dennoch sprechen die steinernen Opferaltäre zu uns, die immer noch an ihren Plätzen stehen und seit fast fünfhundert Jahren nicht mehr von menschlichem Blut gefärbt werden. Diese alten Steine, in Stille ruhend, sind jetzt zu archäologischen und touristischen Orten geworden und sprechen zu uns von einer Spiritualität, die versucht hat, in das Rätsel der menschlichen Existenz einzudringen und den Sinn unseres Lebens zu erfassen, ohne vor dem Schrecken des Todes, des Blutes und den aufgerissenen Augen eines zum Opfer bestimmten Wesens halt zumachen.“ (248) Der Sinn des Lebens, so ist aus diesem Schlusssatz Tessores zu entnehmen, besteht im rituell an Menschen vollzogenen Schlachtopfer für die Götter.

 

Der Versuch des Autors, die Mystik des Heiligen Krieges von seinem jeweiligen Glaubensinhalt abzukoppeln und als eine Religion sui generis darzustellen, in der Tod, Martyrium und das Töten für Gott als Mysterium gefeiert werden, macht sein Buch zu einem eindeutigen Produkt des religiösen Faschismus. Er steht eindeutig, auch wenn er dies expressis verbis nicht erwähnt, in der Tradition des faschistischen Barons Giulio Cesare Andrea Evola (1898- 1974), der die metaphysische Rolle des Kriegers und den Heiligen Krieg als mystisches Initiationserlebnis in das Zentrum seiner Philosophie stellte. Schon 1938 hielt Evola vor SS-Männern einen Vortrag, in dem er auf  den Krieg als via sacra, als Heilsweg, zu sprechen kam. Die Römer, die Germanen und die Muslime [!] hätten den "Heiligen Krieg" als eine Liturgie angesehen und ihm die höchste sakrale Form zugestanden. Evola übernimmt die im Islam gemachte Unterscheidung zwischen "großem Djihad" (den inneren Kampf gegen die Dämonen) und "kleinem Djihad" (den Krieg mit der Waffe) und integriert sie in sein faschistisches Lehrgebäude. Er lehnte die Rassentheorie der Nazis im Sinne einer Blutrasse ab und ersetzte sie durch eine Heilige Kriegerasse, die bereit ist für ihren Gott bzw. für ihre Götter zu töten und sich töten zu lassen. Evola stand einem ultra-konservativen Katholizismus und einem Djihad-Islam durchaus interessiert gegenüber. (Siehe hierzu unseren Beitrag: Die Gefahr einer weltweiten Kriegerkultur)       

 

Alle die Kronzeugen aus der Vergangenheit, die Tessore in seiner kleinen Geschichte des Heiligen Krieges zitiert, dürften sich auch an Stellen im umfangreichen Werk Evolas wiederfinden lassen. Dag Tessore vermeidet den Namen Evola, aber sein Buch ist aus dessen Geist geschrieben. Es ist eine Fibel, die nur spärlich verdeckt unter einem wissenschaftlichen Gewand den „Heiligen Krieg“ als eine religiöse Urerfahrung beschwört und gutheißt.

 

Zum Schluss noch einige Worte zur Publikationspolitik deutscher Verlage: Tessores Buch ist eine „Verherrlichung religiöser Gewalt“, die so klar und eindeutig bisher nicht im Programm eines deutschen „seriösen“ Publikationshauses zu finden war. Dass gerade der Patmos-Verlag, der einmal seine Wurzeln im engagierten Christentum hatte, eine solche spirituelle Legitimation von Gewalt, Mord und Terror herausbringt, zeigt zumindest wie naiv heute Verlagsarbeit betrieben wird. Denn Tessores Text ist kein Einzelfall. Wir haben schon mehrmals darauf hingewiesen, dass der Piper-Verlag mit dem Leitfaden der Samurai-Krieger, dem Hagakure, ein Buch publizierte, das den japanischen Faschisten als „Katechismus“ diente und von dem Auszüge in der SS hoch geschätzt wurden. (Siehe hierzu unseren Betrag: Der Samurai-Kult – Am Rande des Wahnsinns) Man hätte glauben können, dass nach dieser Kritik an der Verlagspolitik, Piper etwas vorsichtiger bei der Auswahl künftiger Titel geworden wäre. Mitnichten, im Jahre 2004 publizierte der Verlag ein Buch von Inazo Nitobe Bushido [die „Kunst des Krieges“], das 1937 unter dem Titel Bushido – Die Seele Japans im nationalsozialistischen Nordland-Verlag erschien und ebenfalls in SS-Kreisen herumgereicht wurde. In einer Besprechung für Nitobes Buch über die „Heilige Kriegskunst“ der Samurai ist zu lesen: „In jüngster Zeit hat Bushido eine ungeahnte Konjunktur erfahren. Ungeachtet des kulturellen und historischen Kontextes seiner Entstehung ist es sowhl für Managerseminare als auch als Sujet zahlloser Martial-Arts-Filme von Bedeutung. So wirbt der Piper-Verlag, der das Buch nun erneut aufgelegt hat, damit, dass die Regeln des Bushido noch heute gültig seien „für Erfolg in Politik, Wirtschaft und alltäglichem Leben.“

 

Während sich die religiöse Rechte aller Glaubensrichtungen weltweit dem Studium einer Philosophie des „Heiligen Krieges“ hingibt, fördern liberale Verlage diesen Kriegs-Geist und bereiten (ideologisch) die Entfesselung einer Welle vor, die auch sie einmal wegschwemmen könnte.

 

© Victor und Victoria Trimondi

 

Über die Aktualität der „Politischen Apokalyptik“, des „Militanten Messianismus“ und des „Heiligen Krieges“ berichtet unser ständig aktualisierter Newsletter: „Politik, Glaube und Terror im Zeichen der Apokalypse.“

 

 

© Victor & Victoria Trimondi

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