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Islamischer Fundamentalismus  Schia-2006

 

 

Aufwecken mit der Apokalypse

In der iranischen Gesellschaft bestimmen

endzeitliche Themen den Alltag

 

In dem Artikel „Die iranische Herausforderung“ geht das Magazin Der Spiegel (Nr. 22 – 2006) ausführlich auf den Endzeitglauben des iranischen Präsidenten Mahmoud Ahmadinedschad ein, so dass wir es für sinnvoll halten, den Bericht zusammenzufassen.

 

Mittlerweile sei die iranische Gesellschaft völlig apokalyptisch durchseucht, so der Spiegel, die Iraner wachten sozusagen mit Endzeitparolen auf. „Schon um Viertel nach acht, gleich nach den Frühmachrichten, geht es um die Apokalypse, um das Ende der Welt. […] ‚Das Ende der Zeiten ist nah’, sagt [ein Sprecher des populären Radiosender Dschawan]. 50 Zeichen, so stehe es geschrieben, würden auf das bevorstehende Weltende hindeuten, 33 habe er bereits erkannt. Die Männer werden sich kleiden wie Frauen, heiße es in den Büchern. ‚Und? Versinkt diese Stadt nicht in Sittenlosigkeit?’ Der Fluss durch die Heilige Stadt werde austrocknen. ‚Ist nicht der Fluss durch Ghom inzwischen völlig versiegt?’ Genau dazu passe es, dass nun plötzlich alle über die Atombombe redeten – auch ein Zeichen für ‚aschar-esamam’, das Ende der Zeiten und die Wiederkehr des Mahdi, des zwölften, des verborgenen Imam.“

 

Anschließend verweist das Magazin auf die Rede des iranischen Präsidenten vor der UNO Vollversammlung im September 2005, auf er die Rückkehr des Imam-Mahdi beschwört und das Ende des säkularen Zeitalters ankündigt. „Ein bisschen Endzeitstimmung war da auch über die Vertreter des Westens gekommen. Ihnen schauderte.“ – kommentiert der Spiegel und fährt fort: „Momentan tritt dieser fromme Apokalyptiker fast Tag für Tag irgendwo in seinem Land auf, immer triumphal, immer umgeben von religiösen Würdenträgern, hohen Offizieren und nationalen Symbolen, immer enthusiastisch gefeiert […] Er meldet vor der Geschichte, ‚dass wir den nuklearen Kreislauf durch die Gnade des allmächtigen Gottes und dank der Anstrengungen unserer Wissenschaftler gemeistert haben.’“ – heißt es weiter. Er rede wie im Rausch, wie ein Beseelter, wie ein Prophet. „Wohin führt das? Wünscht Ahmadinedschad, der Apokalyptiker, der auf den Mahdi wartet, das Armageddon herbei? […] Das Land ist jetzt schon ein Alptraum, eine Kombination aus Hasspredigten und dem Streben nach der Bombe, deren Besitz dieser Staat, allen Dementis zum trotz, wohl anpeilt.“ Motor für diesen Wahn, so der Spiegel, sei eine „expansive islamistische Ideologie“ mit eschatologischen Inhalten.

 

Der lesenwerte Artikel berichtet ausführlich über den ideologischen Werdegang dieses gefährlichen  muslimischen Erfüllungsgehilfen der apokalyptischen Matrix und kommt zu dem Schluss: „Dass jemand, der das Ende aller Tage nahen sieht, auch noch Zugang zu einer Waffe erhalten sollte, die das Ende beschleunigen könnte, ist ein unerträglicher Gedanke.“ Schade nur, dass bei dem in derselben Spiegel-Nummer abgedruckten Interview mit Ahmadinedschad dessen Doomsday-Wahn nicht hinterfragt wurde. Diese Marionette der Ayatollahs hat es zumindest geschafft, dass die politische Apokalyptik als ein zentrales Thema des Fundamentalismus sogar von Säkularisten erkannt wird. „Die westliche Presse macht leider immer denselben Fehler: Sie beobachtet und beurteilt die Regierung im Iran mit westlichen Maßstäben. Niemand kennt dieses Regime und seine Ideologie besser als das iranische Volk. Der islamische Staat träumt davon, die Welt zu erobern. Wenn nicht in 10 oder 50 Jahren, dann in 500 und 1000 Jahren. Wenn nicht durch Fortschritt und Sympathie, dann durch Terror und steigende Geburtenrate in der islamischen Welt!“ – schreibt die Exiliranerin Elahe Boghart in einem Leserbrief auf den Spiegelartikel.


 

Wir beide glauben doch

an das Jüngste Gericht

Mahmoud Ahmadinedschad spricht in einem Brief

George W. Bush als frommen Christen an

 

Mit großer Aufregung wurde in den westlichen Medien über den persönlichen Brief des iranischen Präsidenten Mahmoud Ahmadinedschad an George W. Bush spekuliert. Als dann der Inhalt des Briefes vorlag, war man enttäuscht. Der iranische Präsident äußerte darin nichts Neues zu seinem Atomprogramm, das die Welt zur Zeit in Atem hält, sondern klagt die USA an, die Menschenrechte zu verletzten; im Irak einen illegalen Krieg zu führen; dem Iran seine technischen Fortschritte nicht zu gönnen; die sozialen Probleme im eigenen Land nicht zu lösen usw.. Ahmadinedschad leugnete erneut den Holocaust. Das alles war hinreichend bekannt und wurde deswegen als entsprechend belanglos eingestuft. Auch dass muslimische Geistliche und Staatschefs mittlerweile ständig (und das wohl auch nicht ganz zu Unrecht) Menschenrechtsverletzungen des Westens anklagen, ist hinreichend bekannt und regt keinen mehr auf.

 

Die eigentliche, gar nicht so hintergründige Botschaft des Ahmadinedschad Briefes blieb der säkularen Presse dennoch verborgen. Sie trägt einen endzeitlich-messianischen Charakter. Auf  fast allen Seiten des 18 seitigen Schreibens ist von Jesus Christus die Rede. Gemeint ist sowohl der historische Christus, als auch der prophezeite apokalyptische Christus. Das Spiel, welches Ahmadinedschad mit diesem Christus-Bezug betreibt, besteht darin, die Unterschiede zwischen dem muslimischen und dem christlichen Christus zu verwischen. Nach islamischer Doktrin ist Christus nicht nur ein Prophet, sondern ebenfalls der kommende Heilsbringer, der am Ende der Zeiten [nach dem Mahdi] wieder auf der Erde erscheint, um mit göttlicher Gewalt Gerechtigkeit zu schaffen. Das deckt sich insoweit mit der christlichen Doktrin. Deswegen kann Ahmadinedschad offen von Christus reden, ohne seinem islamischen Glauben zu widersprechen. Sicher spekuliert er, mit seinem „christlichen“ Jargon in einer christlichen Nation wie den USA und bei einem christlichen Präsidenten wie George W. Bush zu punkten, aber insgeheim meint er ausschließlich den muslimischen Christus. Dabei ist dessen Beziehung zum 12. Imam, dem schiitischen Heilsbringer, den Ahmadinedschad ansonsten ständig beschwört, theologisch nicht geklärt. Man kann wohl anzunehmen, dass beide „Messiasse“ für den iranischen Präsidenten ein und dieselbe Person sind.

 

„Kann einer in der Nachfolge Jesu Christi steht, dem großen Boten Gottes“, solche Gräueltaten vollbringen wie die USA im Irak? - fragt der iranische Präsident schon zu Anfang seines Briefes. Kann einer, der „in der traditionellen Pflicht Jesu Christi, des Boten des Friedens und der Vergebung steht“, Gefängnisse wie in Guantanamo bauen?  Wie kann einer, „der auf die Errichtung einer vereinigten internationalen Gemeinschaft hinarbeitet – eine Gemeinschaft, welche Christus und die Tugendhaften dieser Erde eines Tages regieren werden“, solche Kriegverbrechen begehen? Im letzten Satz sind Endzeitprophezeiungen aus den Sprüchen des Propheten Mohammed (Hadiths) angesprochen, nach denen der apokalyptische Christus den Anti-Christen (muslimisch: den Dajjal) besiegt und dann die Welt als dominus mundi regiert. Ein Szenario, das wir auch aus der Johannesoffenbarung kennen.  

 

Von Seite 13 an bis zum Schluss (Seite 18) des Briefes ist nur noch von Gott und seinen Propheten die Rede. „Was würden die Propheten Abraham, Isaak, Jakob, Ismael, Joseph und Jesus Christus sagen, wenn sie heute unter uns weilten? Wie würden sie ein solches Benehmen [wie das von Ihnen, Präsident Bush] beurteilen?“ - fragt Ahmadenidschad. Schon auf seiner UNO-Rede im September 2005 hatte er erklärt, dass Zeitalter des Säkularismus, des Liberalismus und der Demokratie sei zu Ende und das Zeitalter der Religion sei angebrochen. In seinem Schreiben wiederholt er dieses Statement: „Der Liberalismus und die Demokratie nach westlichem Stil haben nicht dazu beigetragen, zu helfen, die Ideale der Menschheit zu realisieren. Heute haben diese beiden Konzepte fehlgeschlagen. Diejenigen die eine tiefere Einsicht haben, können die Töne der Erschütterungen und des Falls der Ideologie und der Philosophie des liberal demokratischen Systems hören.“

 

Was bildet für Ahmadenidschad die Alternative? Der Monotheismus! „Alle göttlichen Religionen teilen und respektieren ein Wort und das ist ‚Monotheismus’ oder den Glauben an einen einzigen Gott und keinen anderen in der Welt.“ – „Der Gott aller Völker Europas, Asiens, Afrikas, Amerikas, des Pazifik und dem Rest der Welt ist der Eine.“ – steht in dem Brief. Der Koran will, so glaubt Ahmadinedschad, dass sich alle monotheistischen Religionen vereinigen. Und weiter: Es sei die Pflicht aller Völker, Gott zu dienen; diesem verborgenen und unsichtbaren Gott, der weiß was in den Herzen der Menschen vorgeht; der den Himmel, die Erde und das Universum in Besitz hat; der die Sünden vergibt; der die Frommen mit dem Paradies belohnt. Der ziemlich lange Katalog über die Qualitäten Gottes ist auch jedem westlichen Christen hinlänglich bekannt.

 

Durch „Zeichen“ führt Gott seine Gläubigen durch die Geschichte, an dessen Ende das Jüngste Gericht steht, lesen wir weiter: „Der Tag wird kommen, wenn sich die gesamte Menschheit vor dem Richterstuhl des Allmächtigen versammeln wird, so dass ihre Taten beurteilt werden. Die Guten werden zum Himmel aufsteigen, und die Bösen wird die göttliche Vergeltung treffen. Ich nehme an, dass wir beide [Ahmadinedschad und Bush] an einen solchen Tag glauben, aber es wird nicht leicht sein, die Handlungen der Herrschenden im voraus zu bewerten, denn wir werden unseren Nationen Rede und Antwort zu stehen haben und all den anderen auch, deren Leben direkt oder indirekt von unseren Handlungen affiziert wurden. Alle Propheten sprechen vom Frieden und Seelenruhe für den Menschen, der auf dem der Monotheismus basiert, auf Gerechtigkeit und dem Respekt der Menschenwürde. Glaubt ihr nicht, dass wenn wir alle an diese Prinzipien glauben und uns danach richten, da heißt, dem Monotheismus, der Verehrung Gottes, der Gerechtigkeit, dem Respekt für die Menschenwürde, und den Glauben an den Letzten Tag [!], dass wir dann nicht die Probleme unserer Gegenwart meistern können?“

 

Ayatollah Ahamd Jannati erlebte den Bush-Brief als Offenbarung. „Dieser Brief ist spektakulär sagte er, und wenn ich sage es handelt sich dabei um eine Inspiration von Gott, dann glaube ich auch daran.“ - erklärte Jannati und empfahl diesen Brief diesen Brief in Schulen, in Universitäten und durch die Medien als göttliche Botschaft zu verbreiteten

 

Ahmadinedschad sieht seinen Brief als „Einladung“ (invitation) an den amerikanischen Präsidenten, den wahren Lehren des Monotheismus zu folgen und dem Säkularismus abzuschwören, und läuft damit, wie jeder weiß, offene Türen ein. Die Gläubigkeit Bushs wird aber von muslimischen Fundamentalisten immer wieder als eine Chance gedeutet, sich auf der religiösen Ebene zu gemeinsam begegnen (im Kampf gegen die säkulare Welt). So auch im Brief Safar al-Hawali, dem spirituelle Lehrer Osama bin Ladens, an den amerikanischen Präsidenten, in dem der saudische Scheich die große Frömmigkeit des amerikanischen Volkes lobt. Ebenso lässt Ahmadinedschads Schreiben durchblicken, wenn sie beide (d. h. Bush und er) an einer „genuinen Rückkehr der Lehren der Propheten zum Monotheismus“ arbeiten,  dann könne die Welt daran genesen. Beide Politiker glauben daran, dass Gottes „unsichtbare Hand“ die Geschichte bestimmt. Es gibt „eine höhere Macht am Werk und alle Ereignisse werden durch Ihn bestimmt.“ – sagt Ahmadinedschad. Derselben Meinung hatte sich vor kurzem auch der englische Premier, Tony Blair, angeschlossen. (siehe unten: Newsletter vom 05. März  2006)

 

Die ständig beschworenen religiösen Friedensbeteuerungen der verschiedenen Konfliktparteien wären ja schön und gut, würde sich nicht hinter ihren Systemen jene gefährliche „apokalyptische Matrix“ verbergen, an der sie sich letztendlich orientieren. Folgt man der aus den Heiligen Schriften der monotheistischen Religionen abgeleiteten Doomsday-Logik, dann muss notwendigerweise der Christus des einen zum Anti-Christen des anderen werden; das Reich Gottes (Amerika) bekämpft dann die „Achse des Bösen“ (Iran); oder umgekehrt: das Reich Allahs (Iran) kämpft gegen den „Satan Amerika“. Vor solchen sich gegenseitig dämonisierenden Vergleichen schrecken ja die beiden Präsidenten selber nicht zurück, wie man weiß.

 

Siehe den Originaltext des Ahmadinedschad-Briefs an George W. Bush:

http://online.wsj.com/public/resources/documents/wsj-IranianPres_letter.pdf


Komparative Studien zum Fundamentalismus

 

Der Reiter auf dem weißen Pferd

In den Prophezeiungen der Religionen erscheint der

jeweilige Endzeit-Messias als blutrünstiger Rächer

 

Die oberste spirituelle Autorität des Irans, Ayatollah Ali Khameini, erklärte vor einigen Tagen: „Die Amerikaner sollten wissen, wenn sie eine Invasion in den Iran planen, dann werden ihre Interessen in der ganzen Welt Schaden finden. Wir werden auf jeden Angriff zweimal so stark reagieren.“ Kommt es dazu, dann muss auch mit dem massiven Einsatz von Kinder-Märtyrern gerechnet werden. Während des Irak-Iran Krieges wurden diese, selbst gegen den Willen ihrer Eltern, an die Front geschickt. Man benutzte die  Jugendlichen im Alter von 10 bis 17 Jahren als Kanonenfutter. Unter anderem hatten sie die Minenfelder freizumachen, damit die regulären Truppen nachsetzen konnten. Dabei sollen Zehntausende getötet worden sein. „Der Baum des Islam kann nur wachsen, wenn er ständig mit dem Blut der Märtyrer getränkt wird.“ - hatte Ayatollah Khomeini während des Krieges verkündet.

 

Das bringt erneut ein Buch des französischen Journalisten Freidoune Sahebjam in Erinnerung, welches 1988 unter dem deutschen Titel Ich habe keine Tränen mehr erschien. Die Dokumentation erzählt die Geschichte der iranischen Kinder-Soldaten. Unter anderem ist darin der folgende Bericht zu lesen. Während sich die Knaben in Bereitstellung an der Front befanden, nahmen sie eine erschütternde Erscheinung wahr: „Und dann ein Schrei […] Ich glaubte verrückt zu werden […] Er war da, mitten in der Sonne, auf einem wunderbaren Pferd. Er selber trug ein weißes Gewand. Ich konnte seine Gesichtszüge nicht unterscheiden, er war noch zu weit entfernt, aber diese Erscheinung höchster Reinheit vor dem blauen Himmel versetze uns in großes Erstaunen. Batschehâ! (Meine Kinder!) … Man am! (Ich bin es!) … Man Imâm Zaman hastam! (Ich bin der Imâm Zaman!).“ Imâm Zaman bedeutet „Herr der Zeit“ und ist einer der Namen des schiitischen Endzeit-Messias, des 12. Imams. Der mystische Reiter, so der Bericht, schickte die Jugendlichen auf die verminten Gebiete. „Seit diesem tragischen Tag, der mehr als 1500 Kinder von 12 bis 15 Jahren auf den Minenfeldern hat sterben sehen, und die so durch das Opfer ihres Lebens, den Militärfahrzeugen der regulären Armee den Vormarsch ermöglichten, habe ich keine Tränen mehr vergossen.“ – erzählt Reza Behrouzi, einer der Überlebenden. Ob nun Vision, Einbildung oder, wie einige Kommentatoren behaupten, bewusst von der Militärführung inszenierte Performance, um die Kinder in ein Delirium zu versetzen, die Szene zeigt in jedem Fall, welch grausame Auswirkungen solch mythische Bilder wie das vom Erlöser auf dem weißen Pferd haben können.

 

Das Sujet zählt im Übrigen zum Standard-Szenario der apokalyptischen Dramaturgien. In der Offenbarung des Johannes ist es der rächende Christus, der auf einem weißen Pferd herangaloppiert, Tod und Schrecken zu verbreiten. Er nimmt in einem Schlussakt der biblischen Endzeit-Kriege geradezu die Gestalt eines Dämons an: „Seine Augen waren wie Feuerflammen und auf seinem Haupt trug er viele Diademe. […] Bekleidet war er mit einem blutgetränkten Gewand. Und weiter: „Aus seinem Mund kam ein scharfes Schwert; mit ihm wird er die Völker schlagen. Und er herrscht über sie mit eisernem Zepter, und er tritt die Kelter des Weines, des rächenden Zornes Gottes, des Herrschers über die ganze Schöpfung. Auf seinem Gewand und auf seiner Hüfte trägt er den Namen: König der Könige und Herr der Herren.“ (19:12-16) Dieses Zitat aus der Johannesoffenbarung wurde während des letzten Irak-Krieges immer wieder von den Kanzeln fundamentalistisch-christlicher Hass-Prediger in Amerika deklamiert. Ebenso erscheint der militante Messias der Sunniten, der Mahdi, in den letzten Tagen der Menschheit  auf einem weißen Pferd, um die Ungläubigen zu vertreiben und zu töten. Ein grausam-entschlossener  Schimmel-Reiter ist auch der Kalki, der Endzeit-Erlöser in der Hindu-Apokalyptik, dessen Inkarnation von der Religiöse Rechten Indiens herbeigesehnt, herbeigebetet und bisweilen herbeigebombt wird. Niedergelegt ist diese Endzeit-Prophezeiung im Vishnu Purana. Ebenso erscheint im buddhistischen Endzeit-Text des  Kalachakra-Tantra, ein grausamer Doomsday-Rächer mit dem Namen Rudra Chakrin (der „schreckliche Raddreher“) auf einem weißen Pferd, um die Welt von allen nicht-buddhistischen Religionen zu befreien und anschließend eine weltweite Buddhokratie zu errichten. Nach dem O-Text des Kalachakra Tantras hat Rudra Chakrin explizit den Mahdi, den muslimischen Endzeit-Vollstrecker, zum Gegner. Gemäß der krassen schwarz-weiß Logik des apokalyptischen Denkens dürfte sich jedoch das weiße Pferd des Gegen-Messias in allen Fällen für den eigenen Erlöser in ein schwarzes verwandeln und vice versa.


Komparative Studie zum Fundamentalismus

 

Gibt es eine Kunst, die schöner, göttlicher und

andauernder ist als die Kunst des Martyriums?

Muslime wollen das Martyrium zur Weltkultur machen

Christen beginnen dem nachzueifern

 

Heute am 28. April 2006 läuft das Ultimatum ab, das der UN-Sicherheitsrat an den Iran gestellt hat, seine atomare Aufbereitung zu stoppen. Was könnte geschehen, wenn die USA einen kurzfristigen Militärschlag gegen das Land durchführen? Die Antwort der Iraner lautet: eine weltweite Entfesselung schiitischer Selbstmordattentate. Schon 2005 hatte Mohammadresa Jafari, Chef einer Militäreinheit mit dem Namen „Kommando der freiwilligen Märtyrer“, gedroht, 50.000 Kämpfer stünden bereit, um sich nicht nur im Nahen und Mittleren Osten, sondern auch in den USA und anderen NATO-Staaten in die Luft zu sprengen und die Welt mit Terror zu überziehen. „Der Feind hat Angst, dass die Kultur des Martyriums zu einer Weltkultur aller Freiheitsliebenden wird.“ – erklärt Jafari und fährt fort – „Märtyreraktionen stellen den Gipfel in der Größe eines Volkes dar und sind die höchsten Form seines Kampfes.“ Diese Drohung ist mittlerweile mehrmals von Sprechern des iranischen Mullah-Regimes wiederholt worden.

 

Wie ernst ist ein solches Szenario zu nehmen? Die Zahlen mögen übertrieben sein, dass aber der Märtyrer-Kult ein zentrales Ereignis in der schiitischen Kultur darstellt, darüber besteht kein Zweifel. Das Martyrium (Shahadat) wird  hier keineswegs nur als Waffe angesehen, um dem Gegner Schaden zuzufügen, sondern es wird mystisch verklärt und erhält einen theologischen Eigenwert. Weit verbreitet ist der Glaube, das vergossene Blut der Märtyrer selber, unabhängig von jeglichem militärischen Effekt, bringe die islamische Weltrevolution voran und beschleunige das Erscheinen des schiitischen Erlösers, des Imam-Mahdi.  „Gibt es eine Kunst, die schöner, göttlicher und andauernder ist als die Kunst des Martyriums? Eine Nation, die das Martyrium pflegt, kennt keine Versklavung. Diejenigen die dieses Prinzip aushöhlen wollen, höhlen die Grundlagen unserer Unabhängigkeit und unserer nationalen Sicherheit aus. Sie unterminieren die Grundlage unserer Ewigkeit…“ – schwärmt Mahmoud Ahmadenidschad. Obgleich der 1977 ermordete iranische Philosoph Ali Schariati sich gegen eine gefürchtete Diktatur der Ayatollahs gestellt hatte, gehören heute seine Spekulationen über das Martyrium zum Bestandteil der offiziellen Ideologie des iranischen Klerus. Schariati sagte: „Das Shahadat [Martyrium] hat eine einzigartige Leuchtkraft; es bringt Licht und Wärme in die Welt und in die erkalteten und dunklen Herzen; in den paralysierten Willen und die gelähmten Gedanken, die in Stagnation und Finsternis gehalten werden, und in die Gedächtnisse, die alle Wahrheiten und Erinnerungen vergessen haben; es schafft Bewegung, Vision und Hoffnung; es hebt den Willen, die Mission und das Engagement.“  

 

Christliche Gläubige könnten von dieser muslimischen Märtyrer-Mystik sehr wohl angesteckt werden. Dass die geschundenen Körper der freiwillig für Gott Gequälten und Getöteten, das Fundament gebildet haben, auf dem die Kirche ihr heiliges Imperium aufbaute, ist eine tiefe Tradition des Christentums. In allen christlichen Konfessionen gibt es deswegen heute mehr oder weniger Versuche, das Martyrium theologisch wieder zu beleben. Im Zuge der Debatte über den Fall Abdul Rahman konnte man sich einen gewissen Einblick in diese Tendenz verschaffen. Der zum Christentum konvertierte ehemalige Muslim Rahman sollte in Afghanistan wegen Apostasie zum Tode verurteilt werden. So will es die Scharia! Doch wurde sein Leben aufgrund weltweiter Proteste gerettet. Man erklärte ihn für unzurechnungsfähig und schob ihn, zur Erleichterung des Westens, ab. Der afghanische Klerus war entsetzt: „Dies ist ein Betrug am Islam und die ganze afghanische Nation durch unsere Regierung.“ – äußerte einer ihrer prominenten Sprecher.

 

Der „tiefreligiöse“ Rahman hatte das Zeug  für einen christlichen Märtyrer. Er war bereit bedingungslos für seinen Glauben zu sterben. „Ja, ich akzeptiere, gehängt zu werden. Aber ich bin kein Ungläubiger, kein Abtrünniger, ich bin ein Jünger Jesu.“ – erklärte er. In der christlichen Welt reagierte man auf den Fall nicht nur mit Abscheu, sondern auch mit Respekt. Die Abschiebung wurde von einigen Kommentatoren sogar als Wunder gedeutet und mit Daniels Aufenthalt in der Löwengrube verglichen. Der alttestamentarische Prophet war den Bestien vorgeworfen worden, die sich jedoch mitnichten auf ihn stürzten, sondern sich wie sanfte Katzen verhielten.

 

Die Gefahr, dass auch das Christentum in naher Zukunft das Martyrium erneut zu einem zentralen Kultgeschehen belebt und damit aus seiner Sicht ebenfalls zu einer „Weltkultur des Martyriums“ beiträgt ist durchaus gegeben, denn in der Tat werden im Sudan, in Nigeria, in Indien, in Sri Lanka, im Irak, im Jemen, in der Türkei und anderswo christliche Gläubige und Missionare wegen ihrer Religion umgebracht. Es ist eigentlich nur noch eine Frage der Zeit, dass man diese Morde an die große Glocke hängt und als Fanal im Krieg der Religionen benutzt.

 

Immer wieder betont wird von westlicher Seite der Unterscheid zwischen christlichem Märtyrern und muslimischem Shuhada (Märtyrern): „Ein christlicher Märtyrer leidet und stirbt für seinen Glauben; muslimische Märtyrer knallen mit Passagieren voll geladene Flugzeuge in Hochhäuser mit unschuldigen Menschen.“ – steht in einem Kommentar. Noch ist das Bild vom friedlichen christlichen Märtyrer vorherrschend. Aber das Christentum kennt historisch ebenso das Martyrium der Militia Christi, des Heiligen Kriegers im Namen des Glaubens, des Kreuzritters, dem Bernhard von Clairvaux die Absolution für sein blutiges Handwerk mit den folgenden Worten erteilt hat: „Zieht die Rüstung Gottes an, damit ihr den listigen Anschlägen des Teufels widerstehen könnt. Denn wir haben nicht gegen Menschen aus Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern gegen die Fürsten und Gewalten, gegen die Beherrscher dieser finsteren Welt, gegen die bösen Geister des himmlischen Bereichs.“ Denen, die im Krieg gegen den Islam und für Jerusalem auf dem Schlachtfeld starben, wurde wie ihren muslimischen Gegnern bei Vergebung aller Sünden der sofortige Eintritt in Paradies garantiert. Wir haben in unserem Buch „Krieg der Religionen – Politik, Glaube und Terror im Zeichen der Apokalypse“ zahlreiche Zitatstellen fundamentalistischer Christen in den USA aufgeführt, die den Irak-Krieg mit verblüffend ähnlichen Bildern wie Bernhard von Clairvaux den Kreuzzug verherrlichen.


Christlicher Fundamentalismus

 

Ich stelle meinen Thron in Elam [Iran] auf“

Die Christliche Rechte prophezeit die atomare Vernichtung des Irans

 

Prophezeiungen aus ihren Heiligen Büchern werden von religiösen Fundamentalisten aller Glaubensrichtungen je nach Betonung folgendermaßen verstanden: Sie gelten als Gottes Fahrplan für die Geschichte; sie sollen eine fromme Akzeptanz kommender schrecklicher Ereignisse bewirken; sie geben eine ethisch-theologische Legitimation für humane Katastrophen als Ausdruck von Gottes Strafgericht; sie verlangen eine aktive Beteiligung an Heiligen Kriegen. Passive Schicksalsergebenheit und aktive Teilnahme können durchaus miteinander kombiniert werden, wobei sich jedoch in den letzten Jahren die Beteiligung an den Kämpfen zwischen Gut und Böse immer mehr als ein religiöser Imperativ durchgesetzt hat. Allen Richtungen geht es dabei um dasselbe Ziel: die Ankunft ihres jeweiligen militanten Messias zu beschleunigen. Auch die derzeitige Iran-Krise wird unter diesem Aspekt von radikalen Mullahs ebenso wie von radikalen christlichen Predigern als Vorzeichen eines in der Region des Mittleren- und Nahen Ostens ausbrechenden Endzeit-Krieges angesehen.

 

So sagen zeitgenössische, christliche Bibelpropheten die nukleare Vernichtung des Irans voraus. Als „Beweis“ dienen ihnen dabei unter anderem „Prophezeiungen“ aus dem Buch Jeremia (49: 34-38). Dort heißt es: „So spricht der Herr der Heere: Seht ich zerbreche den Bogen Elams, seine stärkste Waffe. Ich bringe über Elam vier Winde von den vier Enden des Himmels. In all diese Winde zerstreue ich sie, so dass es kein Volk gibt, zu dem nicht versprengte aus Elam kommen. Ich jage den Elamitern Schrecken ein vor ihren Feinden. […] Unheil lasse ich über sie kommen, meinen glühenden Zorn. […] Ich schicke das Schwert hinter ihnen her, bis ich sie vernichtet habe. Ich stelle meinen Thron in Elam auf und vernichte dort König und Fürsten. […] Aber in ferner Zukunft wende ich Elams Geschick – Spruch des Herrn.“ Mit diesen Sätzen soll eine atomare Intervention gegen das Mullah-Regime durch göttliche Instanz abgesegnet werden. Mit dem alttestamentarischen Elam sei der Südwesten des heutigen Irans gemeint - schreibt der Schweizer „Prophetie-Experte“ Roger Liebi. Mit den zerbrochen Bögen Elams spreche die Bibel die Raketenabschuss-Basen des Landes an. Nach einem westlichen Nuklearschlag müssten die Elamer (sprich: Iraner) das Land verlassen und würden über die ganze Erde zerstreut. Danach werde ein „Thron des Herrn“ (sprich: des christlichen Gottes) in Elam (sprich: Iran) errichtet.

 

Diese und viele ähnliche Weissagungen aus der Bibel haben schon in den Irak-Kriegen als religiöse Legitimation gedient. Sie werden jetzt erneut aus der Propheten-Schublade gezogen und auf eine aktuelle Realität angewandt, die nichts Gutes verheißt: Israelis und Amerikaner haben ihre Angriffspläne gegen den Iran schon seit Jahren ausgearbeitet. Dabei gilt der Einsatz von atomaren Waffen durchaus als Option.


 

Irans neue „messianische Gesellschaft“

Was alles müssen wir tun, damit der Mahdi früher erscheint?

 

Mit erstaunlicher Schnelligkeit und unerwartetem Erfolg konnte Mahmoud Ahmadinedschad das messianisch-apokalyptische Weltbild des Ayatollah Khomeini in Irans „zweiter Revolution“ revitalisieren. „Die Leute wollen zu den Werten der Revolution zurückkehren.“ sagte er im November 2005 und der arabische Fernsehsenders al-Jazeera kommentierte: „Ahmadinedschad ist dabei, eine neue islamische Revolution zu verbreiten“.

 

Die Beschäftigung mit dem 12. Imam-Mahdi (Mahdaviat) beherrscht heute erneut das kulturelle Klima des Irans. „Das Mahdaviat ist ein Code für die Revolution, ja es ist der Geist der Revolution. Es ist ein Identitätscode, und ich denke dieser Glaube ist dabei zu wachsen.“ – erklärte Masoud Poursayed-Aghale, Leiter des 2004 gegründeten Bright Future Instituts in Qom, in einem Interview. Das  Institut hat sich zur Aufgabe gemacht, über die Imam-Mahdi-Theologie in einer von ihm betriebenen Nachrichtenagentur zu berichten: „Da gibt es eine Kluft zwischen uns und der populären Medien. Wir begannen mit der Idee einer Messias-News-Agency, weil wir davon überzeugt waren, dass wir eine News Agency benötigen, um Seine Nachrichten zu verbreiten.“ Man möchte dazu beitragen, „eine ideale Gesellschaft zu vollenden, wie sie sich der Mahdi wünscht.“ – „Der Imam des kommenden Zeitalters wird den Sieg davon tragen, und die ganze Welt wird ihn unterstützen, mit Ausnahme von einigen Regimes und Regierungen, die rassistisch sind, wie zum Beispiel die Zionisten.“ – versichert Poursayed-Aghaie.

 

Vom Bright Future Institut wurde eine Hotline im Internet eingerichtet, um über die Zeichen Auskunft zu geben, welche das Erscheinen des schiitischen Erlösers annoncieren. „Die Zeit [von dessen Ankunft] steht noch nicht fest, aber die Bedingungen sind schon genauer genannt. Es gibt ein Sprichwort: Wenn die Studenten bereit sind, dann erscheint der Meister.“ – ist auf der Homepage des Instituts zu lesen. Ein Mitarbeiter, Morteza Rabaninejad, beantwortet über die Messias-Hotline täglich fünf Anrufe und 10 Briefe: „Was alles müssen wir tun, damit der Mahdi früher erscheint als allgemein angenommen?“ – fragte einer der Korrespondenten.

 

Bescheidenheit und Askese waren die beiden Aushängeschilder, die Khomeini bei der verarmten iranischen Bevölkerung gut ankommen ließen. Auch hierin folgt Ahmadinedschad, Sohn eines armen Schmiedes, seinem großen Vorbild, wenn auch ohne Turban und Priestergewand. Er fährt einen Peugeot 1977, lebte als Bürgermeister Teherans in einer Arbeiterwohnung, kleidet sich mit abgetragenen Anzügen und verabscheut Krawatten: „Herr Ahmadinedschad ist der einzige Präsident in 28 Jahren der die Parole ausgab, Gerechtigkeit zu schaffen, indem er sagte, dass er einer von uns ist, aus demselben Holz geschnitten. Mit Stolz beruft er sich auf den Namen Gottes, und darüber hinaus betet er immer für das Erscheinen des Mahdis.“ – sagte ein Mann von der Strasse in Qom.

 

Aber nicht nur im Volk sondern auch unter der klerikalen Intelligenzija des Landes wird die Beschäftigung mit dem Madaviyat zur Mode. Die „Reformer“, die unter Kathami für einen „Dialog der Kulturen“ eintraten, sind out und die sogenannten „Prinzipientreuen“, die Khomeinis Vision einer islamischen Weltrevolution folgen, sind in. So erklärte Hassan Abbasi, ein prominenter Theoretiker, dass die Idee von einer „messianischen Gesellschaft“ seit dem Beginn der iranischen Revolution noch nie so aktuell und attraktiv gewesen sei wie heute. „Endlich können jetzt die Führungskräfte des Systems verjüngt werden und die Gesellschaft kann sich zukünftig weg von der Zivilgesellschaft in Richtung einer messianischen Gesellschaft bewegen. Nicht mehr humanistischen Parolen soll gefolgt werden, sondern Parolen, die sich am Willen Gottes orientieren. Die Menschen sollen sich nicht mehr am amerikanischen Lebensstil orientieren, sondern an göttlichen Prinzipien.“ - meint Abbasi und gibt bekannt, die „Prinzipientreuen“ hätten die Macht im Staat schon voll in ihren Händen: „Sie sind überall – in der Regierung, im Majless [Islamisches Parlament], in den Räten, im Wächterrat und in der Justiz. […] Daher bin ich voller Hoffnung, dass mit Hilfe der neuen Regierung die Gesellschaft sich in Richtung einer messianischen Gesellschaft entwickeln kann.“ Amir Mohebian, Chefredakteur der konservativen Zeitung Resalat, empfiehlt deswegen eine kompromisslose Politik der Härte: „Ich glaube der Mahdi wird in zwei, drei oder vier Jahren kommen, weshalb sollte ich denn nachgiebig bleiben? Jetzt ist es an der Zeit stark dazustehen und hart zu sein.“ Es gibt auch Gegenstimmen: Groß-Ayatollah Hossein Ali Motazari zum Beispiel kritisiert die Regierung, sie missbrauche den Mahdi Kult für ihre politischen Interessen. Aber es besteht kein Zweifel daran, dass das Messiasfieber die ganze iranische Gesellschaft entzündet hat.


 

Die Basis des Imam Mahdi

Im Irak wird der Messias erwartet

 

Die Attacke auf die Goldene Moschee in Samarra (22.02.06) hat für die gläubigen Schiiten eine tiefe eschatologische Bedeutung. Samarra gilt als der Ort, in dem der 12. Imam (Mohammed al-Mahdi) auf mysteriöse Weise vor mehr als 1100 Jahren verschwand, und wo er (unterblich) wieder als militanter Messias, als der „Imam-Mahdi“, erscheinen soll, um eine sündige Welt durch Feuer und Schwert in einen muslimischen Gottesstaat zu verwandeln. Seit vielen Jahren bringt man ein gesatteltes Pferd und Soldaten in das Samarra Heiligtum, damit sie für die Rückkehr des schiitischen Erlösers bereit stehen. „Der Mahdi wird eines Tages als Messias erwartet.“ – sagt der Islamforscher Yitzhak Nakash - „Deswegen ist die Attacke von signifikanter Bedeutung.“

 

Die Schiiten schlugen sofort und brutal zurück. Über Hundertfünfzig Anhänger der Sunna kamen bisher bei den Ausschreitungen ums Leben, darunter einige sunnitische Imame. 60 sunnitische Moscheen sollen beschädigt worden sein. Sogar mit Raketen wurde darauf geschossen. Dennoch ist man sich in der islamischen Welt keineswegs darüber einig, dass die Sunniten die Attentäter von Samarra waren. Nicht nur die iranische Presse macht die Amerikaner hierfür verantwortlich, sondern auch in den Zeitungen anderer islamischer Länder ist Ähnliches zu lesen: „Obgleich Milliarden von Dollars verschwendet und Tausende von Menschen getötet wurden, haben die Besetzer nichts Erwähnenswertes im Irak erreicht. Während die Schia-Bevölkerung und die Leute siegreich waren. So bleibt den Besatzern nichts anderes übrig, als Stammes und Sekten-Spannungen zu schüren und einen Bürgerkrieg zu entfesseln.“ – schreibt das iranische Blatt Hamshahri.

 

Sofort nach der Sprengung der Goldenen Moschee ist der radikale Schiitenführer Mugtada al-Sadr von einer Nah-Ost-Reise in den Irak zurückgekehrt. Der junge Ayatollah besitzt seine eigene Miliz, die sogenannte „Mahdi Armee“, die sich an einem endzeitlichen Programm orientiert. Noch am 19. Februar, vier Tage vor der Attacke auf die Goldene Moschee, erklärte al-Sadr in einem Interview des Senders Aljazeera, die Mahdi Armee sei „die Basis des Imam Mahdis und eine solche Basis des Prophezeiten [Messias] könne nicht aufgelöst werden.“ Die gesamte Familie al-Sadrs hat sich seit drei Generationen einer eschatologischen Politik verschrieben. Seine Gotteskrieger beteiligen sich zurzeit nur deswegen nicht an den Aufständen, weil die Schiiten sowieso die Mehrheit der Stimmen im Lande haben und ihnen deswegen die Macht auf jeden Fall in die Hände fällt. Sollte es zu einem westlichen Militärschlag auf den Iran oder Syrien kommen, werde seine Mahdi-Armee gegen die Besatzungsmacht einen Krieg entfesseln, versichert al-Sadr.

 

Überhaupt liegt mittlerweile im Irak die Macht in den Händen des Klerus und nicht in denen der Politiker. „Die Kleriker sind die Königsmacher, die Friedensfürsten und die Kriegsfürsten“ – sagt Ismael Zayer, Chefeditor des Sabah Jadee, einer moderaten irakischen Tageszeitung – „Die Leute marschieren auf Befehl der Kleriker und halten an auf Befehl der Kleriker.“ Hassan Bazzaz, Politologe an der Bagdad Universität, stimmt dem zu: „Wenn die religiösen Führer sich entscheiden, den Weg des Bürgerkrieges zu gehen, dann können sie das, zu jeder Zeit. Wenn sie wirklich wollen, diesen zu stoppen, dann können sie es auch. Die religiösen Führer haben die reale Macht in ihren Händen.“ Die Kleriker werden entscheiden, ob sich der Konflikt zwischen Sunnis und Schiiten tatsächlich ausweitet oder ob sich beide gegen die Besatzungsmacht vereinigen. Für beide Fraktionen gilt jedoch die Scharia als einzige Gesetzgrundlage in ihrem Staatsverständnis. Der demokratische Rechtsstaat hat deswegen im Irak nicht viele Chancen.


Beide glauben, dass Gott

ihnen sagt, was zu tun ist

Mahmoud Ahmadinedschad und George W. Bush

 

Mit Aufmerksamkeit haben christliche Fundamentalisten die apokalyptisch-messianischen Bekenntnisse und Selbstdarstellungen des iranischen Präsidenten registriert und dann kommentiert. Die Rolle des Anti-Christen, die Saddam Hussein seit dem ersten Irak-Krieg (1991) für die Christliche Rechte Amerikas spielen musste, wird jetzt auf Ahmadinedschad übertragen. Das Internet ist voll mit aus dem Alten und Neuen Testament begründeten „Nachweisen“, der iranische Präsident sei der Agent des Teufels. Hal Lindsey, eine der Galionsfiguren des amerikanischen Doomsday-Glaubens, sieht wieder einmal die Bibelprophezeiungen bestätigt. Insbesondere die Forderung Ahmadinedschads „Israel von der Landkarte auszuradieren“, gibt ihm eine Königsrolle im apokalyptischen Welttheaters, das nach der Imagination islamischer, christlicher und jüdischer Fundamentalisten seine Hauptbühne  im Nahen Osten, insbesondere in Israel und Jerusalem hat.

 

Umgekehrt werden in allen islamischen Ländern die religionspolitischen Äußerungen der Christlichen Rechten zum iranischen Präsidenten sehr genau wahrgenommen. Deswegen sieht auch Ahmadinedschad sein Verhältnis zu den USA als die Konkurrenz zweier sich ausschließender messianischer Glaubensbekenntnisse. Sein höchstes Ziel sei, „Amerika herauszufordern, das selber versucht, sich als die letzte Rettung des menschlichen Wesens hervorzuheben.“ – sagt Hamidreza Taraghi, Chef der konservativen Islamic Coalition Party, von seinem Staatschef und fährt fort, die USA wollten, „sich selbst als der Mahdi [muslimische Messias] herauszustellen“. Der amerikanische Präsident hatte vor drei Jahren durch seinen religiös gefärbten Jargon die Büchse der Pandora geöffnet, aus der jetzt die Ungeheuer potentieller Religionskriege herausflattern: „Bush sprach: ‚Gott sagte mir Afghanistan und den Irak anzugreifen’ Die Mentalität von Herrn Bush und Herrn Amadinejad ist die selbe – beide glauben, dass Gott ihnen sagt, was zu tun ist.“ – meint Taraghi.


 

„Schandfleck Israel“

Ahmadinedschads Judenhass ist ein

 Element seines militanten Messianismus

 

Mahmoud Amedinejad leugnet den Holocaust an den Juden und verlangt, dass Israel von der Landkarte verschwindet. Dass diese Forderung mit seinem messianisch-endzeitlichen Weltbild von der Rückkehr des Imam-Mahdis in einem Sinnzusammenhang steht, darüber ist in der Mainstream-Presse nicht berichtet worden. Als apokalyptische Begründung der Judenvernichtung wird von sunnitischen und schiitischen Islamisten unter anderem die wortwörtliche Interpretation eines Prophetenspruchs Mohammeds (Hadith) hergenommen. Er trägt den Titel „Der Gharqad Baum“ und besagt, dass der Endzeit (der „Stunde“, wie sie im Koran genannt wird) unmittelbar die Vernichtung der Juden vorausgeht. „Die Stunde wird nicht kommen bevor die Muslime die Juden bekämpfen, bis sich die Juden hinter Bäumen und Felsen verstecken und die Bäume und Felsen sagen werden: ‚Oh ihr Muslime, Ihr Diener Gottes, hier sind die Juden, kommt und tötet sie!’ – mit  Ausnahme des Gharqad Baumes, denn er ist der Baum der Juden!“ – heißt es dort. Das Verhängnisvolle an diesem Satz ist, dass er die Ausrottung der Juden sozusagen als conditio sine qua non für das Erscheinen des islamischen Erlösers, des Mahdis oder Imam-Mahdis, macht.

 

Der Nah-Ost-Konflikt wird so mit der Autorität eines Prophetenwortes in den messianischen Endzeit-Strudel hineingezogen. Eine Islamisierung der gesamten Region ohne den Staat Israel gilt deswegen bei sunnitischen und schiitischen Fundamentalisten als die erste Stufe auf dem Weg zu einer muslimischen Weltherrschaft. Deswegen sind auch die iranischen Ayatollahs so auf die Heilige Stadt Jerusalem fixiert. Schon zwei Jahre nach seiner Machtübernahme forderte Sayyed Ruhollah Khomeini (1900 – 1989) in einer Predigt (1981) die jährliche Observanz eines weltweiten „Jerusalem Tages“, (Day of al-Quds) als Feiertag des liturgischen Kalender (am dritten Freitag des heiligen Fastenmonats Ramadan).

 

Am al-Ouds Tag des Jahres 2005 sprach Mahmoud Ahmadinedschad auf einer Konferenz mit dem Titel „Eine Welt ohne Zionismus“. Er gab sich zuversichtlich, dass „eines Tages die Mitte der islamischen Welt von dem Schandfleck Israel gesäubert sein wird.“ – „Auch wer unter dem Druck der Hegemonialmächte oder aufgrund eines falschen Verständnisses der Sachlage das zionistische Regime anerkennt, wird im Feuer der unversöhnlichen Wut der Umma [Gemeinschaft der Muslime] verbrennen.“ – sagte der Präsident.

 

© Victor & Victoria Trimondi