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Jüdischer Fundamentalismus


Kleinere Artikel

 

Der Libanon ist Fleisch von unserem Fleisch

Weshalb die Jüdische Rechte den Libanonkrieg ausdehnen möchte

 

Die traditionelle jüdische Apokalyptik wurde durch radikale Rabbiner der Siedlerbewegung sehr geschickt und suggestiv mit der Geschichte und Politik Israels zu einer „modernen“ Endzeit-Ideologie verwoben. Während sich der säkulare Zionismus historisch gegen die „religiöse“ Interpretation einer jüdischen Besiedlung Palästinas stellte, entwickelte sich seit dem 6 Tage Krieg (1967) eine Variante des Zionismus, die, sehr ähnlich wie im radikalen Islam und bei der militanten Christlichen Rechten, durch politischen Aktionismus das Erscheinen des (jüdischen) Messias beschleunigen will. Als Voraussetzung hierfür gelten die Schaffung eines Groß-Israelischen Reiches und der Bau des Dritten Tempels auf dem Tempelberg in Jerusalem. Diese neue Ausprägung eines aggressiven jüdischen Fundamentalismus organisierte sich vor allem in der Siedlerbewegung Gush Emunim und fand in der Likud-Partei sowie durch den derzeit im Koma liegenden Ariel Sharon Fürsprache und Unterstützung. Es ist also noch gar nicht lange her, dass sie direkten Einfluss auf die große Politik des Landes nehmen konnte, bis sich dann Sharon von ihr lossagte, die jüdischen Siedlungen im Gaza-Streifen schleifen ließ und den Likud spaltete

 

Obgleich sein Nachfolger Ehud Olmert den Libanon-Krieg zur begrenzten Aktion erklärt hat und man ihm das auch abnehmen kann, sieht die Religiöse Rechte des Landes erneut eine greifbare Chance, ihren Traum von Groß-Israel zu verwirklichen. Sharon konnte die Stimmen, welche die alttestamentarischen Rache- Eroberungsfeldzüge gegen die Stämme der „Kanaaniter“ wiederholen wollen, nicht mit ins Koma nehmen. Sie melden sich wieder, durch den Krieg gestärkt, zu Wort, so wie der Ex-Außenminister Silvan Schalom (Likud), der kurz nach Beginn der Bombardierungen forderte, es wäre jetzt an der Zeit, dass israelische Panzer nach Beirut und Damaskus rollen.

 

Ein jüdisches Groß-Reich vom „Nil bis zum Euphrat“ sei schon, so glauben die jüdischen Fundamentalisten, in der Hebräischen Bibel vorausgesagt. „Jeden Ort, worauf euer Fußballen tritt, hab’ ich euch gegeben, wie ich dem Moscheh [Moses] verheißen. Von der Wüste und dem Lebanon dort bis zu dem großen Strom Frat [Euphrat], das ganze Land der Chittim [Syrien] und bis zum großen Meere, dem Untergang der Sonne, soll euer Gebiet sein.“ (Josua 1: 2-4). Solche imperialistische Zitate werden von den Fundamentalisten als politisches Programm interpretiert. Nachdem die Israelis 1982 zum ersten Mal in den Libanon einmarschiert waren, verkündete in diesem Geiste Rabbi Yisrael Ariel vom The Temple Institute: „Beirut ist Teil des Landes Israel. [...] Wir müssen erklären, das der Libanon Fleisch von unserem Fleisch ist, wie Tel Aviv oder Haifa, und das wir dies [die Besetzung] tun aufgrund des Rechts, das uns die moralische Macht der Thora gibt.“

 

Der Messias naht - Rabbi Gershon Salomon von der Organisation Temple-Mount-Faithfull vernimmt im Bomben- und Raketenhagel des Libanon-Krieges die Posaunenstöße, welche die unausweichliche Letzte Schlacht ankündigen: „Israel zahlt erneut seinen Blutpreis, um das Heilige Land Gottes und des israelischen Volkes und um die göttlichen Endzeit-Ereignisse, die in Israel stattfinden werden, zu schützen.“ – frohlockt der Rabbi und stellt seinen Publikum den eschatologischen Fahrplan für die kommenden Jahre vor: „Da Gott versprochen hat, wird dieser Endzeit-Krieg gegen Israel die letzte Stufe vor dem Höhepunkt des Prozesses und des aufregendsten Teils davon sein: die Errichtung des Endzeit-Tempels Gottes auf dem Tempelberg in Jerusalem, der das Haus des Gebetes, des Gottesdienstes und der Liebe für Israel und die ganze Menschheit sein wird, und das Erscheinen des Endzeit-Boten, des Maschiah [Messias] den David.“ Die in der europäischen Presse verbreitete Behauptung, das Rückgrat der radikalen Siedlerbewegung sei nach der Spaltung des Likud gebrochen, sollten wir mit Vorsicht genießen. Vieles wird in diesem Nahost-Drama von der islamischen Gegenseite abhängen. Je mehr sich diese radikalisiert, desto mehr Aussichten hat die Jüdische Rechte wieder an die Macht zu gelangen. Mit der begeisterten Unterstützung durch die Christliche Rechte Amerikas kann sie auf jeden Fall rechnen.


Wahlsiege der Kadima und der Hamas – 05. April 2006

 

Good und bad News für den Nahen Osten

Die Entmachtung des Likud in Israel und die Eroberung

der Macht durch die Hamas in den Palästinensergebieten

 

Die gute Nachricht für den Nahen Osten ist der Wahlsieg der Kadima-Partei unter Ehud Olmert und ihre mögliche Koalition mit der Arbeiterpartei unter Amir Peretz in Israel. Auch wenn die Wahlbeteiligung der Israelis erschreckend gering war, so wurde dennoch der militanten Religiösen Rechten, die sich um Benjamin Netanjahu geschart hatte, eine Abfuhr erteilt. Damit ist auch das apokalyptisch-messianische Element der radikalen Siedlerbewegung, die den von Netanjahu geführten Likud-Block unterstützte, an den politischen Rand gedrängt worden.

 

Der ehemalige Ministerpräsident machte selbst vor dem Endzeitwahn der Christlichen Rechten nicht Halt und kokettierte mit dem für die jüdische Eschatologie völlig untypischen Begriff „Armageddon“ herum: „Eine erstaunlich große Anzahl von fundamentalistischen Christen glaubt daran.“ - so Netanjahu – „dass wir jetzt auf das Ende der Zeiten und die Schlacht von Armageddon zusteuern. Natürlich ist das so seit dem Tode von Jesus gewesen, dessen Anhänger seine bevorstehende Rückkehr erwarteten, damit er die Dinge in Ordnung bringt. Doch obgleich die Christen glauben, die Apokalypse werde aus Gründen geschehen, die keinen Sinn für die meisten Leute (einschließlich mir) ergeben, heißt das nicht, dass sie nicht stattfindet.“ Dass nach den Armageddon-Prophezeiungen der christlichen Fundamentalisten am Ende der Tage alle Juden umgebracht werden, es sei denn, sie konvertieren vorher zum Christentum, erwähnte der heutige Likud-Chef nicht. Schließlich erhalten Aktivisten der Jüdischen Rechten aus diesen Quellen enorme Geldzuwendungen.

 

Nach Ariel Scharons Schlaganfall und dem Aufstieg der Hamas setzte die amerikanische Christliche Rechte große Hoffnungen auf einen Wahlsieg Netanjahus. Sie musste also ebenfalls eine Enttäuschung hinnehmen. Hinzukam gestern eine weitere Niederlage. Einer ihrer exponiertesten Vertreter, Tom DeLay (wegen seiner Wortgewalt der „Hammer“ genannt), verzichtete wegen massiver Korruptionsvorwürfe auf eine Wiederwahl als Mehrheitssprecher im Kongress. DeLay ist während der Bush-Ära einer der mächtigsten Politiker des Landes gewesen. Durch seine Forderung nach einem Groß-Israel schürte er jahrelang das Feuer im Nahen Osten mit polit-religiösen Parolen: „Ich besuchte Judäa und Samaria und ich stand auf den Golanhöhen. Ich sah kein besetztes Land. Ich sah nur Israel!“ – erklärte er nach der Rückkehr von einem Besuch in die Westbank.

 

Die schlechte Nachricht für den Nahen Osten ist erst einmal der Wahlsieg der Hamas in den palästinensischen Gebieten mit einer absoluten Mehrheit (74 der 132 Sitze). Wenn diese aus der fundamentalistischen Muslimbrüderschaft hervorgegangene Partei weiterhin ihre traditionelle, ebenfalls endzeitgeladene Programmatik verfolgt (Einsatz von Suizid-Attentaten, die Vernichtung Israels und darüber hinaus aller Juden, die Errichtung einer islamischen Theokratie über ganz Palästina) ist das für die Entwicklung der Region katastrophal. Die internationale Staatengemeinschaft und Israel warten nun, dass die Partizipation an der Macht zu einer Mäßigung und einem Pragmatismus der Hamas führt. Die Geschichte zeigt zwar, wie dies oft bei säkular eingestellten Politikern der Fall sein kann, bei religiösen Fanatikern aber ist eine solche Entwicklung viel unwahrscheinlicher und allenfalls taktischer Natur. Erst am Sonntag hatte der Außenminister der neuen Regierung, Mahmud al-Zahar, gesagt, dass er davon träume, „eines Tages eine große Weltkarte an die Wand meines Hauses in Gaza hängen zu können, auf der Israel nicht erscheint – dieser Traum wird eines Tages Wirklichkeit werden, dessen bin ich gewiss.“


Militanter Messianismus in Israel – 03. März 2006

 

Ein Krieg der Religionen - Gott bewahre uns!

Befürchtungen des israelischen Friedensaktivisten Uri Avnery

 

In einem Artikel über die neueste Entwicklung im Nahen-Osten mit dem Titel „Ein Krieg der Religionen? Gott bewahre uns!“ (20.02.06) warnte Uri Avnery vor der Gefahr, dass mit einem  Wahlsieg der Hamas die Region immer mehr in ein religiöses Fahrwasser geraten kann. Die religiösen Absichten der fundamentalistischen Palästinenser-Organisation sind hinreichend bekannt, sie führen aber – so befürchtet – Avnery zu einer Stärkung des jüdischen Fundamentalismus als Gegenreaktion. Der Autor betont den ursprünglich säkularen Charakter des Zionismus und verweist darauf, dass sich dieser zuerst gegen das orthodoxe Rabbinertum durchsetzen musste. Viele religiöse Juden waren ursprünglich der Meinung, dass eine jüdische Masseneinwanderung in den Nahen Osten, die Ankunft des Messias hinauszögern, ja verhindern würde.

 

All das änderte sich nach dem Sechs-Tage-Krieg, als sich ein militanter Messianismus in Israel entwickelte: „Die jüdische Religion selbst machte eine Mutation durch. Dieser Mutant warf alle universellen Werte ab und wurde zu einem engstirnigen, militanten, fremdenfeindlichen Stammesglauben, dem es um Eroberung und ethnische Säuberung geht. Die religiösen Zionisten der neuen Sorte sind davon überzeugt, dass sie den Willen Gottes erfüllen und das Kommen des Messias vorbereiten. Die ‚national-religiösen’ Kabinettsminister, die immer zum moderaten Flügel der Regierung gehörten, machten einer neuen extremistischen Führung Platz, mit Tendenzen zum religiösen Faschismus.“ – schreibt Avnery. Seit den 70ern haben die „Religiösen“ einen zunehmenden Einfluss auf die israelische Politik gewinnen können. Bei den kommenden Wahlen stünden sie hinter dem charismatischen Populisten Benjamin Netanjahu. „Seit Jahren werde ich von einem Alptraum verfolgt,“ – bekennt Avnery – „dass der israelisch-palästinensische Konflikt sich aus einer nationalen zu einer religiösen Konfrontation entwickeln könnte. Ein nationaler Konflikt – so schrecklich er ist – ist lösbar. […] Aber nicht religiöse Konflikte. Wenn alle Seiten an göttliche Gebote gebunden sind, dann wird es weitaus schwieriger, einen Kompromiss zu finden.“ Über Geschichte und Gegenwart des religiösen Zionismus in seinem Verhältnis zu säkularen Zionismus berichtet unser Buch Krieg der Religionen in dem Kapitel 10 „Die Beschleunigung des Messias“ p. 223 ff.


Ariel Scharon – 08. Januar 2006

 

Er stellte sich gegen Gott

Ariel Scharons Schlaganfall – ein Triumph

für die Christliche und Jüdische Rechte

 

Man mag zu Ariel Scharon stehen wie man will, feststeht, dass er durch den von ihm beschlossenen Abzug aus dem Gaza-Streifen, durch seine grundsätzliche Kritik an dem apokalyptischen Fanatismus der jüdischen Siedlerbewegung und durch seine Spaltung der Likud Partei neue Akzente in der Nah-Ost-Politik gesetzt hat. Anfang Oktober 2004 wandte er sich in der Knesset direkt an die radikale Settler-Organisation Gush-Emunim mit den Worten: „Ihr seid wunderbare Pioniere, Erbauer Israels, Siedler auf dürftigem Boden, im Regen und im Winter, durch alle Schwierigkeiten hindurch. Aber ihr habt unter euch einen messianischen Komplex entwickelt.“ Damit hatte Scharon den eschatologischen Kern des jüdischen Fundamentalismus in Frage gestellt, der durch die endgültige und gewaltsame Vertreibung der Palästinenser und durch die volle israelische Souveränität über die Westbank die Ankunft eines militanten Messiah beschleunigen will.

 

In all den Jahren vorher ist es jedoch der Likud Chef selber gewesen, der die endzeitliche aus der Bibel abgeleitete Territorialpolitik der Siedler finanziell und rhetorisch großzügig unterstützte und sich so die Stimmen der Jüdischen Rechten sicherte. Nachdem er sich, sei es unter dem Druck der Amerikaner oder sei es aus eigener Einsicht, an der Road Map für den Frieden zu orientieren begann, verloren die Settler ihr Vertrauen in den Mann, den sie noch vor zwei Jahren als ihren mächtigsten Fürsprecher geradezu vergöttert hatten. „Es ist die Zerschlagung eines lebenslangen Traumes. Es ist der Zusammenbruch einer Welt, die sie in ihren Herzen, in ihrem Bewusstsein und in ihrem Leben aufgebaut haben.“ – schildert  Ehud Olmert, Scharons unmittelbarer Nachfolger, die Gefühle der Siedler.

 

Jedenfalls wird die Krankheit Scharons von jüdischen und christlichen Fundamentalisten jetzt als göttliche Strafe an einem „Verräter“ angesehen, der den gewagten Versuch unternommen hatte, die eschatologischen Pläne Gottes für den Nahen Osten zu durchkreuzen. „Wir beten nicht für diese bösartige Person.“ – sagte Baruch Marzel, Chef der National Jewish Front – „Er stellte sich gegen Gott. Er stellte sich gegen die Bibel. Er betrog sein eigenes Land. […] Dieser Mann hat dem israelischen Volk in den letzten fünf Jahren viel Schaden zugefügt.“ In der jüdischen Siedlung Kfar Tapuah brach eine Gruppe radikaler Aktivisten in Freudentänze aus, als sie von der schweren Krankheit Scharons hörten. „Es gibt noch einen Richter in dieser Welt.“ – sagte Ben Gvir, einer von ihnen. 

 

Auch eine andere frühere Bewunderin, die Christliche Rechte in den USA, zeigt sich erleichtert über Scharons Schicksalsschlag. „Er hat Gottes Land aufgeteilt und ich würde meinen Protest gegenüber jedem Premierminister Israels zu Ausdruck bringen, der eine ähnliche Richtung einschlägt, um die EU, die Vereinten Nationen und Vereinigten Staaten von Amerika zu beschwichtigen.“ - erklärte Pat Robertson, der Medien-Mogul des mächtigen Fundamentalisten-Senders CBN - „Gott sagt, dieses Land gehört mir. Du lässt mich besser allein.“  Eine ähnliche Meinung vertritt der Erfolgsautor Hal Lindsey, der mit seinen Doomsday-Büchern ebenso wie sein Kollege Tim LaHaye wesentlich dazu beigetragen hat, dass 50 % aller Amerikaner mehr oder weniger daran glauben, die Letzten Tage der Menschheit seien hereingebrochen. Lindsey berichtet, während des Abzugs aus dem Gaza-Streifen hätten Hunderttausende von Juden und Christen ihre Gebete zu Gott geschickt, um ihn zu einer Intervention zu bewegen. „Es scheint so“ – schreibt er unter Bezugnahme auf Scharons tödliche Krankheit – „dass diese Gebete auf dramatische Art und Weise beantwortet wurden.“

 

Jedenfalls kann Benjamin Netanjahu, der jetzige Chef von Likud, mit seinem Hardliner Programm und seiner Ablehnung der Road Map auf volle Unterstützung der Christlichen Rechten rechnen. Er wird dort groß als der Nachfolger von Scharon gehandelt: „Mr. Netanjahu hat das klarste und umfassendste Verständnis von den Absichten des radikalen Islams und wie dieser zu behandeln ist.“ – erklärte Lindsey.

 

© Victor & Victoria Trimondi