Victor
und Victoria Trimondi
Von Breivik bis Bannon
Religiöse Kriegerideologien
der extremen Rechten
Die sich in jüngster Zeit
häufenden rechtsradikalen Attentate (in Hanau, Halle, Christchurch, El Paso, Dayton) verlangen eine kritische
Auseinandersetzung mit den Ideologien, die solche Menschen dazu bewegen,
ohne Hemmungen Mitmenschen in den Tod zu schicken. Für den islamistischen
Terrorismus sind dergleichen ideologiekritische Analysen ausführlich
durchgeführt worden und mittlerweile allgemein bekannt. Sie betreffen
insbesondere Passagen aus dem Koran und den Hadits,
die zur Gewalt aufrufen. Für den rechtsextremen Terrorismus gilt eine
solche Aufarbeitung nur sehr eingeschränkt. Das hat mehrere Gründe: Zum
einem wird die „Neue Rechte“ (in den USA das Alt-Right
Movement) in der Öffentlichkeit weitgehend als rein säkulare Bewegung
angesehen und man nimmt kaum wahr, dass sie um „religiöse“ Wurzeln und
Legitimationen bemüht ist. Hinzukommt, dass sich hier die Passagen, die zur
direkten Gewalt aufrufen, nicht aus einer einzigen Quelle speisen wie zum
Beispiel im Fall des Korans, sondern aus verschiedenen traditionellen
Texten und dazu noch aus unterschiedlichen Kulturen stammen – dem
Christentum, dem Buddhismus, dem Hinduismus sowie aus der Antike und aus
den europäischen Stammeskulturen wie den Germanen oder Kelten. Auch ist
zwischen präzis ausformulierten Gewaltideologien auf der einen Seite und
impulsiven emotionalen Ausbrüchen auf der anderen zu unterscheiden. Die
Tatbegründungen der Attentäter von Hanau, Halle, Christchurch, El Paso und Dayton gehören alle der letzten Kategorie
an, obgleich die Täter Dokumente hinterlassen hatten, die ihr Tun
begründeten. Aber auch sie sahen sich als die Vollstrecker eines höheren
Ideals und als „Krieger“, ohne sich jedoch in den religiösen Konstruktionen
rechtsextremer Ideologen wirklich auszukennen. Das gilt nicht für den
norwegischen Massenmörder Anders Breivik, der
2011 insgesamt 77 Menschen tötete. Er hat in einem Manifest umfangreich und
klar den ideologischen Hintergrund dargestellt, der ihn zu seiner
monströsen Tat motivierte. Seine Ausführungen wurden in den Medien selten
hinterfragt sondern als ein marginales Phänomen wahrgenommen. Als sich aber
im Jahr 2017 der neue Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, Donald
Trump, den damaligen Herausgeber der rechtsextremen Plattform Breitbart News als Chefberater ins
Weiße Haus holte, kann man nicht mehr davon sprechen, dass derartige
rechtsextreme Gewaltideologien nur am Rande der Gesellschaft zu finden
sind. Es gelang ihnen bis in das Zentrum der Macht vordringen, denn Bannon vertritt weitgehend dieselbe
religiös-ideologische Kriegerphilosophie wie Anders Breivik
und beruft sich auf dieselben Traditionen. Dem ehemaligen Trump-Berater
reicht es jedoch nicht für seine Ideen mit einem Gewehr Amok zu laufen. Er
will die Amerikaner und Europäer ideologisch auf einen baldigen
apokalyptischen Heiligen Krieg vorbereiten, bei dem sich in einem
endzeitlichen Gemetzel die Mächte des Guten und die Mächte des Bösen
gegenüberstehen. Dass solche Vorstellungen bis in Weiße Haus vordringen
konnten, zeigt ihre Gefährlichkeit. Ein Glück, dass Donald Trump seinen
Berater nach sieben Monaten entlassen hat und dass er aufgrund seiner
intellektuellen Bedürftigkeit ziemlich immun gegenüber Philosophien
irgendwelcher Art ist. Aber Bannon hat sich nicht
zurückzogen. Er ist seither mit seinen apokalyptischen Kriegsvisionen
insbesondere in Europa unterwegs und versucht sie im dortigen
rechtsradikalen Milieu zu verbreiten und zu verankern. Falls er nicht
gestoppt wird, kann er weit gefährlicher werden als Breivik
oder der Mörder von Hanau.
Anders Breivik
Wenn sich der Massenmörder
Anders Breivik einmal als „nichtreligiöser
Mensch“ bezeichnete, muss man diese Aussage als eine Art Koketterie werten,
in der erklärten Absicht, auch Agnostiker und Atheisten an Bord einer
fiktiven, von ihm imaginierten Terrororganisation zu ziehen. Nach einer
Analyse seines ideologischen Hintergrundes kommt man jedenfalls zu dem
Schluss, dass der Attentäter von Utøya aus
religiösen Motiven handelte. Dabei steht seine Orientierung an einem von
ihm selbst konstruierten Christentum an erster Stelle. Schon der
Fahndungschef der norwegischen Polizei hatte bei den ersten Ermittlungen
„eine rechtsextreme, christlich-fundamentalistische Haltung“ des Täters
angenommen. Die Bezeichnung „christlicher Fundamentalist“ oder
„christlicher Terrorist“ für Breivik tauchte
seither in den westlichen Medien immer wieder auf.
Von Seiten der Kirchen gab es
verständlicher Weise Proteste dagegen, den Massenmörder mit dem Christentum
in irgendeinen Kontext zu stellen. So konstatierte der
Fundamentalismus-Experte der Evangelischen Zentralstelle für
Weltanschauungsfragen Reinhard Hempelmann in
einem Interview mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA): Er könne im
„Pamphlet“ Breiviks keine Charakteristika
erkennen, die auf einen christlichen Fundamentalismus hindeuteten, bei dem
Massenmörder spiele, „die religiöse Überzeugung als Motivation ‚für die
monströse und menschenverachtende Tat‘ offenbar keine Rolle. Der Bezug
des Attentäters auf die Religion sei ideologisches und eklektisches
Beiwerk.“
Mit diesem „Pamphlet“ ist das
das 1500seitige „Manifest“ gemeint, das Breivik
vor dem Massaker von 69 Menschen, meist Jugendliche, auf einer norwegischen
Ferieninsel Utøya und von 8 Opfern in Oslo durch ein Bombenattentat
ins Netz stellte. In der programmatischen Schrift unternimmt er den
Versuch, seine Ideen und Handlungen metaphysisch und spirituell zu
begründen, gleich ob das von christlichen Theologen einfach weggeleugnet
wird. Dennoch wäre es verkürzt, Breivik nur als
„christlichen Fundamentalisten“ zu bezeichnen. Auch wenn er seine Bluttaten
aus der Bibel legitimiert, auch wenn er sich als bewaffneter Arm Christi
versteht und sich in das Erbe des Kreuzritter stellt, ist das Christentum
nicht der einzige Bezugpunkt seines religiösen
Weltbildes.
Der Attentäter orientierte
sich an einem ideologisch-metaphysischen Mix aus Fragmenten verschiedener
Religionen. Dazu rechnen neben einem militanten Christentum, Inhalte des
muslimischen Djihadismus, der Kodex japanischer
Samurai-Krieger, die Philosophie der Kshatriya,
der indischen Kriegerkaste, und Geschichten aus der germanischen
Mythologie. Aus diesem Kultur-Konglomerat hat er nicht nur metaphysische
Ideen, mythische Bilder und historische Events übernommen, sondern auch
konkrete religiöse Techniken, um sich mit deren Hilfe in einen Zustand der
Ekstase zu versetzen, der seine Bluttat erst ermöglichte. Er glaubte fest
an eine Religion des Heiligen Krieges, deren Dogmen nicht nur aus einer
einzigen Glaubensrichtung abgeleitet werden, sondern die sich ebenfalls bei
„Andersgläubigen“ finden, einschließlich bei den religiösen Gegnern, sprich
den Muslimen.
Da sich der Attentäter mit
seiner Theorie des marxistischen Multikulturalismus
eine ziemlich originelle Konstruktion ausgedacht hat, könnte man meinen,
seine Kriegerreligion sei auch etwas von ihm selbst Erdachtes. Das ist aber
nicht der Fall. Die Idee von einem Heiligen Krieger, der sein
Eigenverständnis aus verschiedenen Glaubenssystemen ableitet, ist eine seit
den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts in Kreisen der extremen
Rechten debattiertes Dauerthema, das in der letzten Zeit eine erschreckende
Renaissance erlebte. Federführend hierbei war der italienische Baron Julius
Evola (1898 – 1974), der Mussolini beriet, der in
der SS Vorträge hielt und der heute in der Neuen Rechten dasselbe hohe
Ansehen genießt wie früher Karl Marx in der alten Linken. Die Idee vom
Heiligen Krieg, die Mystifizierung des Kriegers, die Vorbereitung auf
Kriegshandlungen durch spirituelle Übungen, die Aufgabe des eigenen Ichs,
um als Instrument Gottes oder eines höheren Prinzips zu handeln, das
Martyrium als Erfüllung religiöser Hingabe, die erbarmungslose Vernichtung
des Gegners – all das das findet sich bei Evola
aber auch in Breiviks Weltbild, obgleich er den
Namen des Barons nicht nennt.
Evola
dachte und agierte keinesfalls außerhalb der Weltreligionen oder sogar
gegen sie. Nein, der faschistische Philosoph ist geradezu davon besessen,
die von ihm dargestellte Kriegerphilosophie als die eigentliche Essenz der
verschiedenen Glaubensrichtungen nachzuweisen. Er versuchte, durchaus
theologisch gekonnt, diesen Nachweis sowohl aus den Heiligen Texten der
Monotheisten wie aus den Heiligen Schriften der asiatischen Religionen zu
führen. Bei seiner exegetischen Arbeit kommt er sogar zu dem Schluss, der
Buddhismus sei von Beginn an eine ausgemachte Kriegerreligion gewesen.
Genau dieselbe Vorgehensweise wendet Breivik in
seinem „Manifest“ an. Auch er legitimiert den Heiligen Krieg, den er
vorgibt, entfesselt zu haben, aus Heiligen Texten, auch er sieht den
Heiligen Krieger als die ultimative Figur des Christentums, des Islams, des
Judentums, des Hinduismus und des japanischen Buddhismus.
Gerade seine Metaphysik der
Guerra Santa macht den Fall Breivik so gefährlich, weil sie überkonfessionell das
Morden zu einer heiligen Sache erklärt und ein ideologisch in sich
geschlossenes Modell anbietet, welches für Nachahmer attraktiv ist. Dabei
kann sich diese Metaphysik mit Recht auf ein archaisches Erbe der
Menschheitsgeschichte berufen, das in den blutigen Mythen- und
Heroen-Geschichten aller Völker nachzulesen ist, das dann in den Heiligen
Texten der verschiedenen Weltreligionen weiterhin aufbewahrt wurde und das
seit Beginn des vorigen Jahrhunderts von Denkern der Extremen
Rechten zu einem integrierten System zusammengefasst wurde.
In dieser Welt gibt es
schreckliche Phantasmen, die für ein rationales Bewusstsein überhaupt nicht
mehr nachvollziehbar sind und deswegen als „verrückt“ erscheinen. Zum
Beispiel die Idee, dass durch exzessive Blutopfer militante Bewegungen erst
in Gang gesetzt werden. Das sind Vorstellungen aus der mythischen
Vergangenheit von Kriegerkulturen, die davon überzeugt waren, durch
vergossenes Blut könnten Bruderschaften, Gemeinwesen, ja Staaten gegründet
und zusammengeschweißt werden. Man kann wohl davon ausgehen, dass auch Breivik sein Massaker als solch ein Gründungsopfer
verstanden hat. Das vergossene Blut auf der Insel Utøya
sollte auf jeden Fall ein Fanal setzen, aus dem dann eine neue Bewegung von
Heiligen Kriegern entsteht.
Der Versuch der
Staatsanwaltschaft, den Massenmörder als unzurechnungsfähig zu erklären, um
ihn lebenslänglich in eine psychiatrische Klinik einzusperren, mag zwar
verständlich sein, ist aber kaum haltbar. Da juristisch die Unzurechungsfähigkeit eines Täters danach beurteilt
wird, ob er bei der Durchführung seiner Tat bei klarem Bewusstsein handelt,
ist zu sagen, dass Breivik genau das gewesen ist:
er war hell wach, klar, kalkulierend, reflektiert, konsequent,
zielgerichtet – ja er hatte sein Bewusstsein sogar trainiert, um bei der
Durchführung seiner Morde, einen Zustand zu erreichen, den man im
Buddhismus als „höchste Achtsamkeit“ bezeichnet. Er ging also bei der
Exekution seiner Tat mit einem weit klarerem Bewusstsein vor als ein
Normalmensch bei seinen Alltagsverrichtungen.
Die Kreuzritter: „Von Kopf bis Fuß mit Blut bedeckt“
Breivik
erklärte vor Gericht und in seinem „Manifest“, er sei Mitglied einer
Untergrundorganisation, die er als „Justiciar
Knights“ (Vollstrecker Ritter) oder als PCCTS bezeichnet. Der Prozess gegen
ihn hat gezeigt, dass die Gruppierung der PCCTS nur in der seiner Phantasie
existierte, doch historisch gesehen, hat es sie einmal gegeben. Es handelt
sich dabei um die Pauperes Commilitones
Christi Templique Solomonici,
ins Deutsche übersetzt, die „Armen
Gefährten Christi des Tempels Salomons“. In der europäischen
Geschichte sind sie als die „Templerritter“ bekannt, sie werden auch kurz
„Templer“ genannt. Dieser ursprünglich aus dem Mittelalter stammende
Verbund von Kriegermönchen verschiedener Länder des christlichen
Abendlandes (von 1118 bis 1312) hatte das Gelübde getan, die Pilgerwege ins
Heilige Land zu schützen. Sie bildeten eine effektive Gruppe innerhalb der
Kreuzritter und kämpften gegen die Muslime als ihre Hauptgegner. In nur
kurzer Zeit gelang es ihnen ein schlagkräftiger, gut durchorganisierter, im
ganzen Abendland verbreiteter Militärorden zu werden, dessen zahlreiche
Mitglieder nicht nur das Schwert zu führen wussten, sondern auch den
mediterranen Handel kontrollierten. Kampfesmut, Askese, Bereitschaft zum
Martyrium, Verachtung des Todes werden als besondere Qualitäten der Templer
herausgestellt. Der damalige Papst Clemens V. und der französische König
Philipp IV. fürchteten so sehr ihre ökonomische, spirituelle, militärische
und politische Macht als bedrohende Konkurrenz, dass sie den Orden in einer
Blitzaktion zerschlugen und sich an seinem legendären Vermögen
bereicherten. Das konnte jedoch nicht verhindern, dass seither der
„Tempelritter“ zu einer machtvollen sagenumwobenen Symbolfigur des Heiligen
Kriegers christlicher Prägung wurde und im Laufe der Jahrhunderte immer
wieder mythologische Belebungen erfuhr. So zum Beispiel bei Faschisten und
Nationalsozialisten, die sich genauso wie Breivik,
auf die Templer als ein großes abendländische Vorbild vom Heiligen Krieger
bezogen. Auch bei Julius Evola finden wir diesen
Bezug.
Es war kein geringerer als
der durch seine extreme Marienmystik bekannte Zisterzienser Abt Bernhard
von Clairvaux (1090 – 1153), der als „Chefideologe“ der Tempelritter
bezeichnet werden kann. In seiner berühmten „Lobrede auf das neue
Rittertum“ (De Laude Novae Militiae auf
Lateinisch) setzt er sie glorifizierend von den weltlichen Rittern ab, da
es ihnen gelungen sei, durch die Vereinigung von Religion und Krieg eine
Mönchsmiliz zu kreieren, die das Abendland mit Kreuz und Schwert gegen die
Ungläubigen verteidige und die heiligen Stätten der Christenheit,
insbesondere Jerusalem, zurückerobere. Das kriegerische Pamphlet Clairvaux’s ist nicht nur zur Gänze in Breiviks „Manifest“ abgedruckt, sondern der Attentäter
hat den Titel dieser mittelalterlichen Schrift als Untertitel für seine
eigene, „moderne“ Kriegervision in Anspruch genommen und das sogar in
Latein. Auf dem Deckblatt seines „Manifests“ ist zu lesen: „2083 –
A European Declaration of
Independence – De Laude Novae Militiae – Pauperes Commilitones Christi Templique
Solomonici – by Andrew Berwick, London 2011“ Außerdem ist darauf in roter
Farbe das Templerkreuz abgedruckt. Im Jahre 2082 – so Breivik
– soll die von ihm eingeleitete „konservative Revolution“ abgeschlossen
sein, die multikulturellen Eliten sind dann endgültig besiegt und die
Muslime aus Europa verbannt. Das „Manifest“ versteht sich also ebenso wie Clairvaux’s Pamphlet als „Lobrede auf das neue
Rittertum“. Aber nicht nur das, der militante Abt aus dem 12. Jahrhundert
wird von Breivik neben dem letzten Großmeister
der Tempelritter, Jacques de Molay, auch noch als
„Patron und Protektor“ seiner neuen „Juticiar
Knights“ in Anspruch genommen. Clairvaux‘s
Verbindung von Krieg und Glauben ist deswegen für das Weltbild des norwegischen
Massenmörders und selbsternannten Neo-Ritters die zentrale Leitidee.
Unbekümmert von allen
christlichen Friedensbekenntnissen, lobt Clairvaux das „neue, der Welt noch
unbekannte Rittertum“ gerade deswegen, weil es kriegerisch, aggressiv und
brutal im Namen Gottes vorgeht. Die Todesgefahr, der sich jeder Templer zu
stellen hat, wird als besondere Tugend, ja als höchstes spirituelles Ziel
herausgestellt: „Freue dich, starker Kämpfer, wenn du im Herrn lebst und
siegst! Aber noch mehr frohlocke und rühme dich, wenn du stirbst und dich
mit dem Herrn vereinst. Das Leben ist fruchtbringend an Werken, und der
Sieg ist ruhmvoll. Beiden aber wird ein seliges Sterben zu Recht
vorgezogen.“ – jubelte der leidenschaftliche Marienverehrer in seiner
„Lobrede“ und hinterlässt damit einige Jahrhunderte später einen fatalen
Brandstempel in Breiviks verwirrter Seele.
In allen Religionskriegen
findet sich die Vorstellung, dass auf der Feindesseite nicht nur Menschen,
sondern Dämonen kämpfen – auch
Bernhard von Clairvaux vertritt diese Sicht. Da die Templer gegen
die Muslime antreten, gelten die Söhne Allahs als vom Teufel besessen.
Deswegen gibt es auch kein Pardon für sie, mehr noch, ihre Tötung muss als
moralische Pflicht angesehen werden. „Die Ritter Christi“ – so der
Marienmystiker – „aber kämpfen mit gutem Gewissen die Kämpfe des Herrn und
fürchten niemals weder eine Sünde, weil sie Feinde erschlagen, noch die
eigene Todesgefahr. Denn der Tod, den man für Christus erleidet oder
verursacht, trägt keine Schuld an sich und verdient größten Ruhm.“ Töten im
Namen des Glaubens lässt keine Schuld aufkommen. Denn, so fährt Bernhard
von Clairvaux fort: „Ein Ritter Christi, sage ich, tötet mit gutem
Gewissen, noch ruhiger stirbt er. Wenn er stirbt, nützt er sich selber;
wenn er tötet, nützt er Christus. […] Ja, wenn er einen Übeltäter umbringt,
ist er nicht ein Menschenmörder, sondern sozusagen ein Mörder der Bosheit,
und mit Recht wird er als Christi Rächer gegen die Missetäter und als
Verteidiger der Christenheit angesehen.“ Diesen Satz seines Patrons muss
sich Breivik besonders eingeprägt haben, sein
ganzes Verhalten während des Prozesses lässt keinen anderen Schluss zu. Vor
dem weltlichen Richter erklärt er sich zwar selber als „schuldig“, aber vor
Gott glaubt er sich exkulpiert, denn auch er versteht sich wie seine
Vorbilder aus dem Mittelalter als ein „Mörder der Bosheit“, als „Christi
Rächer gegen die Missetäter“, der im Namen des himmlischen Vaters kämpft
und tötet.
Gebet, asketische Übungen,
ethische Rechtfertigung für das Töten, Durchführung von Massakern im Namen
Gottes, kein Pardon für Frauen und Kinder, theologische Exkulpation für das
Abschlachten Andersgläubiger – all das suchte und fand der Massenmörder bei
den Kreuz- und Tempelrittern. Explizit lobt er deren „Strenge und Ehre, Mut
und Martyrium“, die ihn bewegt hätten, an dieser abendländischen Tradition
anzuknüpfen: „Die gegenwärtige Notwendigkeit dieser Prinzipien hat zur
Neugründung dieses alt-christlichen europäischen Militärordens geführt.“ –
gibt er bekannt und dies sei im Jahre 2002 in London geschehen, wo er (wahrscheinlich
in seiner Phantasie) mit Gleichgesinnten den neuen Tempelritter Orden der „Justiciar Knights“ oder PCCTS ins Leben rief. Den
Kandidaten des Geheimbundes verspricht Breivik
das ewige Leben, wenn sie sich völlig hingeben: „Du schenkst ihnen [den Justiciar Knights] einen zentralen Teil deines Wesens
und erhältst als Gegengeschenk die Untersterblichkeit und einen Platz im
ewigen Reich [Gottes]“.
Sein „Manifest“ versteht Breivik als Déclaration de Guerre: „Die PCCTS erklären hiermit im Namen der freien
Völker Europas einen vorbeugenden Krieg gegen die kulturell-marxistischen
und multikulturellen Regime West-Europas.“ Ziel des Ordens sei die
Verbreitung von Terror und zu einem späteren Zeitpunkt ein militärischer
Staatsstreich, um die muslimische Überwanderung des Kontinents zu
verhindern. Mord und die Benutzung von Massenvernichtungsmitteln werden als
legitime und notwendige Mittel gefordert. Auch wenn die reale Existenz
eines solchen Geheimbundes der PCCTS von Oslos Behörden bezweifelt wird, bieten
Breiviks Ideen Modelle, die jederzeit kopiert
werden können.
Blutrausch und religiöse Ekstase
Und als Heiliger Krieger
handelt Breivik effizient, er tötet gezielt und
verfehlt niemals seine „Feinde“, von denen er so viele wie möglich
niederstrecken will, während er sich bei der Ausführung seines blutigen
Handwerks durch Musikklänge von den verzweifelten Schreien seiner Opfern
abschirmt und in eine Tötungsekstase gerät. Auch hier kann er auf
Inspirationsbilder aus der Geschichte zurückgreifen. Denn das Töten des
Feindes ist für einen Kreuzritter nicht nur ein ethischer, von Gott
legitimierter Akt, sondern kann sich, wie im Mittelalter geschehen, zu
einem mystischen Blutrausch steigern. Eine kollektive Tötungsekstase
erfasste beispielsweise am 13. Juli 1099 die Heiligen Krieger des
Abendlandes, als sie Jerusalem zu eroberten. Der Chronist Wilhelm von Tyrus berichtet, an diesem Tage seien Ströme von Blut
über die Straßen der Stadt geflossen. Auf dem Tempelberg, wohin sich
Männer, Frauen und Kinder verschanzt hatten, fand ein grauenhaftes Massaker
statt: „Schauerlich war es anzusehen, wie überall Erschlagene und Teile von
menschlichen Gliedern umher lagen, und wie der Boden mit dem vergossenen
Blut ganz überdeckt war. Und nicht nur die verstümmelten Leichname und die
abgeschnittenen Köpfe waren ein furchtbarer Anblick, den größten Schauder
musste das erregen, dass die Sieger selbst von Kopf bis Fuß mit Blut
bedeckt waren. Im Umfang des Tempels sollen an die zehntausend Feinde
umgekommen sein, wobei also die, welche da und dort in der Stadt
niedergemacht wurden und deren Leichen in den Straßen und auf den Plätzen
umher lagen, noch nicht mitgerechnet sind, denn die Zahl dieser soll nicht
geringer gewesen sein. Der übrige Teil des Heeres zerstreute sich in der Stadt
und zog die, welche sich in engen und verborgenen Gassen, um dem Tode zu
entkommen, verborgen hatten, wie das Vieh hervor und stieß sie nieder.
Andere taten sich in Scharen zusammen und gingen in die Häuser, wo sie die
Familienväter mit Weibern und Kindern und dem ganzen Gesinde herausrissen
und entweder mit den Schwertern durchbohrten oder von den Dächern
hinabstürzten, dass sie sich den Hals brachen.“ 70.000 Juden und Muslime
wurden gleich welchen Alters und gleich welchen Geschlechts von den damaligen
christlichen Gotteskriegern ermordet. Durch Leichenberge watend gingen die
von Blut triefenden Ritter „vor Freude weinend … hin, um das Grab des
Erlösers zu verehren, und entledigten ihm gegenüber ihre Dankesschuld.“
Die enge Beziehung zwischen
mystischer Ekstase und Blutorgie ist ein Phänomen, das in Religionskriegen
immer wieder festzustellen ist. Eine ekstatische Schau Gottes entstanden
aus einem Meer von Blut und Tränen kennt man als ein in allen drei
monotheistischen Glaubensrichtungen auftretendes Ereignis. Sie ist ein
besonders beliebtes Motiv im letzten Buch des Neuen Testaments, in der
Offenbarung des Johannes, kurz „Apokalypse“ genannt. Obgleich der
französische Philosoph Georges Bataille ausführlich über die enge Verflechtung von Blutrausch, Mord,
Mystik, religiöser Ekstase und Sexualität geschrieben hat, spielen seine
Gedanken hierzu in der öffentlichen Debatte über den religiösen Terrorismus
kaum eine Rolle. Auch über den Attentäter von Utøya
wurde bisher nicht unter diesem Aspekt diskutiert. Vielleicht deshalb, weil
Bataille’s Erkenntnisse zeigen, wie die Seelen
von Djihadisten und „Vollstreckerrittern“,
gleich welcher kulturellen Prägung, einen Pakt mit jenen verborgenen
schauerlichen Unterwelten geschlossen haben, die sich im Judentum, im
Christentum und im Islam ebenso wie im Hinduismus und Buddhismus auftun,
wenn man hinter die friedvolle Fassade des ökumenischen Lächelns blickt.
Erst ein solcher Blick in die Abgründe der Religionsgeschichte und der
Heiligen Schriften offenbart, dass Breiviks
Amoklauf zutiefst religiös motiviert war und weshalb er auf schon
vorhandenen Beispiele, Inhalte und Muster zurückgreifen konnte.
Die Bibel als Vademecum und
Vollstrecker-Engel als Mitstreiter
Breivik
lässt Agnostiker und Atheisten in den Reihen der „Justiciar
Knights“ zu, aber diese tragen immer das Adjektiv „christlich“ in ihrer
Bezeichnung. Allerdings es sind nicht die „christlichen Atheisten“ und
„christlichen Agnostiker“, die das Gros seiner PCCTS ausmachen, sondern
militante, ultrakonservative Vollblutchristen, die geschworen haben, die
christlich abendländischen Werte gegen die marxistische, multikulturelle
und islamische Invasion zu verteidigen und den – nach Breivik
– moralisch schon verwüsteten
Kontinent zurück zu erobern. Deswegen fehlt es im „Manifest“ des
Massenmörders auch nicht an markanten Bibelzitaten.
Mit Schriftstellen aus dem Heiligen Buch will der
Massenmörder seiner Bluttat einen sakralen Charakter verleihen und es ist
ihm sicher nicht schwer gefallen, die von ihm zusammengestellten
aggressiven Passagen zu finden, denn die Bibel ist voll davon. Der
folgende, von ihm zitierte Aufruf zum Krieg aus dem Alten Testament leitet
eine ganze Reihe von Sätzen ein, mit denen Breivik
die Durchführung seines Massakers als Beschluss Gottes präsentiert: „Da
sagte David zu seinen Männern: Jeder hänge sein Schwert um. Alle hängten
ihr Schwert um. Auch David hängte sein Schwert um.” (1. Samuel 25: 13) Für Breivik ist Gott selber der größte Kriegsherr. So
versteht er, indem er den Text wörtlich nimmt, das Kriegslied Jahwes aus
dem Buch Exodus: „Der Herr ist ein Krieger, Jahwe ist sein Name. […] Deine
Rechte Herr, ist herrlich an Stärke; deine Rechte Herr, zerschmettert den
Feind. In erhabener Größe wirfst du die Gegner zu Boden. Du endest deinen Zorn,
er frisst sie wie Stoppeln.“ (Exodus 15: 3,6) In den auf der Erde
stattfindenden Schlachten, d. h. nach Breivik in
den kommenden Kriegen der PCCTS, kämpft dieser Gott selber mit: „Der Herr
zieht in den Kampf wie ein Held, er entfacht seine Leidenschaft wie ein
Krieger. Er erhebt den Schlachtruf und schreit, er zeigt sich als Held
gegenüber den Feinden.“ (Jesaja 42: 13) Mehr
noch, Gott, der Herr, treibt persönlich seine Feinde mit Feuer aus: „Heute
wirst du erkennen, dass der Herr, Dein Gott, wie ein verzehrendes Feuer
selbst vor dir hinüberzieht. Er wird sie vernichten, und er wird sie dir
unterwerfen, so dass du sie unverzüglich vertreiben und austilgen kannst.“
– lässt Breivik die Bibel sprechen.
(Deuteronomium 9:3) Ebenfalls beruft er sich darauf, dass der Herr kein
Erbarmen mit seinen Gegnern kennt: „Er trieb den Feind vor dir her, er
sagte (zu dir): Vernichte.” (Deuteronomium 33: 27)
Immer wieder werden Zitate im „Manifest“ aufgeführt,
die Jahwe als Richter präsentieren: „Wer gegen den Herrn streitet, wird
zerbrechen, der Höchste lässt es donnern am Himmel. Der Herr hält Gericht
bis an die Grenzen der Erde. Seinem König gebe er Kraft und erhöhe die
Macht seines Gesalbten.“ (1 Samuel 2:10) Und so ruft der Massenmörder
weiter mit biblischen Sprüchen zum Krieg, zur Feindvernichtung, zur Gewalt,
zum Gericht auf. Zitiert werden im Manifest unter anderem die Passagen:
Genesis 12: 3; 2. Chronik 20: 12-17; Psalm 7: 11, 35: 1, 144: 1; Isaiah
52:12, 41: 11; Habakuk 3: 12. Breivik
kommentiert diese, wie er sie nennt, biblischen „Schlachten-Verse“ (battles verses) als göttliche
Direktiven: „Es ist ganz klar kein pazifistischer Gott, dem wir dienen. Es
ist ein Gott, der unsere Hände lehrt, Krieg zu führen, und unsere Finger,
zu kämpfen. Immer und immer wieder im Alten Testament, wird sein Volk
aufgefordert, mit den besten Waffen, die ihm zu seiner Zeit zur Verfügung
standen, zu kämpfen.“ – lesen wir im „Manifest“.
Auch die wenigen explizit
militanten Stellen aus den Evangelien fehlen nicht in der biblischen Spruchsammlung
des modernen Tempelritters: „Wer aber kein Geld hat, der soll seinen Mantel
verkaufen und sich dafür ein Schwert kaufen.“ (Luke 22:36) Und: „Denn alle, die zum Schwert greifen, werden
durch das Schwert umkommen. Oder glaubst du nicht, mein Vater würde mir
sogleich mehr als zwölf Legionen Engel schicken, wenn ich ihn darum bitte?“
(Matthäus 26: 52)
Breivik scheint darum
gebeten zu haben, denn er ist offensichtlich davon überzeugt, dass sein
blutiges Anliegen von Vollstrecker-Engeln, die das göttliche Gericht an den
Menschen vollziehen, begleitet wird. Auch das leitet er aus Bibelzitaten
ab: „Ich werde einen Engel schicken, der dir vorausgeht. Er soll dich auf
dem Weg schützen und dich an den Ort bringen, den ich bestimmt habe.“ –
liest er in Exodus 23:20. Man muss wohl davon ausgehen, dass er glaubt,
Engel seien ihm schützend bei der Vollstreckung seines Massakers auf der
Insel Utøya zur Seite gestanden. Die folgenden
beiden von ihm erwähnten Psalmverse dürfte er so interpretiert haben: „Der Engel
des Herrn umschirmt alle, die ihn fürchten und
ehren und er befreit sie.“ (Psalm 34:8);
„Denn er befiehlt seinen Engeln dich zu behüten auf all Deinen
Wegen.“ (Psalm 91:11) Engel sind in Breiviks
Vorstellungswelt jedoch keineswegs nur Geistwesen, sondern können, – wie er
sagt: „manchmal im wahrsten Sinne des Wortes als normale menschliche Wesen
erscheinen, normalerweise mit der Absicht, dir aus etwas heraus zu helfen.
Es gibt unzählige Zeugnisse von Leuten, denen in Momenten einer Krise von
Engeln geholfen wurde – und dann plötzlich sind sie verschwunden, ebenso
schnell wie sie erschienen sind.“ In der Grenzwelt zwischen Imagination,
Virtualität und Realität, in der sich heute nicht nur Breivik
sondern viele junge Menschen bewegen, ist es durchaus möglich, dass er sich
selbst als eine Art in menschlicher Gestalt agierender Vollstrecker-Engel,
der im Namen Gottes die „Bösen“ richtet, sieht.
Die Vorstellung, dass die
individuelle Verantwortung für eine Handlung aufgehoben wird, wenn sie im
Namen Gottes geschieht, ist in allen Religionen weit verbreitet. Dies gilt
insbesondere im Fall eines Heiligen Krieges. Denn in letzter Instanz ist es
Gott selber, der die Aktionen eines
Holy Warriors steuert. So heißt es auch in der 8.
Sure des Koran: „Nicht ihr habt sie getötet, sondern Gott hat sie getötet.
Und nicht du hast geworfen, als du geworfen hast, sondern Gott hat
geworfen.“ Dieser Satz und die durch ihn bewirkte Selbst-Transzendierung
sind konstitutiv für das Bewusstsein jedweden islamistischen Terroristen, wenn
er wirklich aus religiösen Motiven handelt. Und das tun die meisten, selbst
wenn sie das mit politischen Zielen verbinden. Doch erhalten auf Grund der
Sakralisierung der Handlung und der
Legitimation, die sie sich aus den Kriegspassagen der Heiligen Texte holen,
diese politischen Ziele eine neue, diesmal meta-politische Dimension, so
dass man von einer Meta-Politik des „Heiligen Krieges“, unabhängig von
welcher religiösen und kulturellen Fraktion er geführt wird, sprechen kann.
Auch Breivik
sieht sich, wie seine muslimischen Gegner, als ein Instrument in der Hand
Gottes, auch er führt einen Heiligen Krieg gegen die Feinde seines
Glaubens, auch er hat ein meta-politisches Programm in der Tasche, das er
als 1500 Seiten starkes „Manifest“ im Internet veröffentlichte, auch er ist
bereit, für sein meta-politisches Phantasma grausam zu töten und sich töten
zu lassen, auch er findet in Heiligen Texten die Legitimation für seine
unheiligen Taten. Als christlicher Ritter sucht er an erster Stelle
Bestätigung durch die Bibel und er ist dort ausgiebig fündig geworden.
Indem er die Verse wörtlich nimmt und – wie es jeder Fundamentalist tut –
auf sich selber bezieht, treibt ihn die Heilige Schrift geradezu in sein
Blutgericht: „Alle die oben genannten Zitate aus der Heiligen Schrift sagen
dir klar, dass Gott dich mit seiner Macht ausstatten kann, wenn immer diese
Macht benötigt wird, um jeglichen Feind und jegliche Herausforderung zu
meistern.“ – versicherte der Massenmörder. Gott kann ihn vor dem Feind
schützen oder er kann auch direkt auf den Feind einschlagen. „Manchmal“ –
so Breivik – „wird Gott den aktuellen Kampf durch
dich ausfechten – manchmal wird er dir nur sagen, fest auf dem Grund zu
stehen, die Position zu halten und absolut nichts zu tun – und dann wird er
sich selber in Bewegung setzen, um vollständig die Attacke abzuwehren, die
gegen Dich aufkommt. So zeigt dir Gott wie machtvoll und schrecklich er
ist, wenn Er persönlich in die Schlacht eintritt, um dich zu
schützen.“
Breivik
hat alle von ihm in seinem „Manifest“ aufgeführten Bibelpassagen als
Freibrief für seine Morde und als Vademecum
benutzt: „Wenn Du diese Verse in einem Kontext liest, unterstützen sie die
Position der Selbstverteidigung.“ – lässt
er seine Leser wissen und an anderer Stelle fährt er mit gesteigertem
theologischem Eifer fort: „Wenn du in der vollen Hingabe an Gott, den
Vater, operierst und all die Wege Gottes gehst und jede gravierende Sünde
und jede Verfehlung ihm gegenüber vermeidest – dann ist es der nächste
Schritt, sich völlig klar darüber zu werden, dass dich Gott jetzt salbt mit
seiner Macht, wenn du gezwungen bist, in die Schlacht gegen deinen Feind
einzutreten. Die Bibel sagt uns, dass wir jetzt gute Soldaten Christi sind.
Ob wir uns nun empören oder nicht, wir alle leben in einer Kriegszone, die
das Resultat der Verfluchung von Adam und Eva ist, die immer noch voll auf
der Erde ihre Wirkung zeigt. Jeder von uns kann in jedem Augenblick einer
untermenschlichen oder dämonischen Attacke ausgesetzt sein.“
Es stimmt zwar, dass sich Breivik selber, wie er sagt, „in keinem gegenwärtig
bestehenden Zweig der Christenheit wieder finden“ kann, aber es ist ebenso
eine Tatsache, dass er die Restauration des mittelalterlichen Christentums
und der Kreuzzüge als
Kulturmodell für die Zukunft fordert: „Wir benötigen christliche Führer,“ –
so der Attentäter – „die Willens sind zu einem Verteidigungskreuzzug
aufzurufen, wenn jeder unserer christlichen Brüder in der Zukunft durch den
Djihad bedroht ist. Europäische Kirchenführer
müssen keine Angst davor haben, die Medien, die politischen und
militärischen Führer zu kontaktieren und zur Tat zu schreiten.“ Auf einem kommenden
großen Kongress der europäischen Christenheit soll die Strategie der
offensiven „Selbstverteidigung“ von allen aufrechten Christen beschlossen
werden, um das Christentum wieder ins Mittelalter zurück zu katapultieren.
Patriarchat, Militanz und Dogmatismus müssen – nach Breivik
– wieder das Gesellschaftsleben der kommenden Generationen bestimmen. Heute
steht – seiner Meinung nach – jeder Christ vor einer grundsätzlichen
Entscheidung: „Du kannst entweder wählen, zu lernen, wie du aufstehst in
der Macht deines Herrn und Heilands, zu lernen wie du ein wahrer Krieger
des Herrn wirst, oder du kannst damit fortfahren, deinen Kopf in den Sand
zu stecken und es zulassen, dass ein Unterdrücker nach dem anderen dich
niederschlägt. Du hast die Wahl!“
Die zahlreichen Aussagen zum
Christentum aus dem „Manifest“ und die vielen von Breivik
getätigten Bibelzitate scheinen bei etablierten Theologen einen
Verdrängungsmechanismus in Gang zu setzen, der nach der Devise arbeitet,
was nicht sein darf, kann nicht sein. Zum Beispiel versichert der schon
oben zitierte Experte der Evangelischen Zentralstelle für
Weltanschauungsfragen Reinhard Hempelmann, Breivik habe mit dem christlichem Fundamentalismus
überhaupt nichts zu schaffen, denn ein Fundamentalist berufe sich pointiert
auf bestimmte Passagen der Heiligen Schrift und verstehe diese
wortwörtlich. Das sei bei Breivik nicht der Fall.
Man muss sich schon Scheuklappen aufsetzen, um so etwas zu behaupten. Breivik nimmt die von ihm benutzten Bibelsprüche nicht
nur wörtlich, sondern glaubt darüber hinaus noch fest daran, dass Gott und
dessen Engel bei der Durchführung seiner Schreckenstat mitgemacht haben.
Ebenso bizarr erscheint die Reaktion von Prof. Thomas Schirrmacher,
Vorsitzender der Theologischen Kommission der Weltweiten Evangelischen
Allianz, die global etwa 600 Mio. evangelische Christen vertritt, worunter
sich auch die christlichen Fundamentalisten der USA befinden. Schirrmacher
erklärt uns, „Fachleute [hätten] längst offen gelegt, dass es keine
christlichen und keine fundamentalistischen Elemente in Breiviks
Pamphlet gibt“. Nach seiner angeblich genauen Lektüre des „Manifests“ kommt
der evangelikale Theologe zu dem Schluss: „Fakt ist: Eine Beauftragung oder
Legitimierung durch Gott oder eine existierende Religion, geschweige denn
die christliche, spielt bei Breivik überhaupt
keine Rolle. Gott kommt bei ihm praktisch überhaupt nicht vor…!“ Angesichts
solch einer christlichen Verblendung scheint es sinnvoll, noch einmal Breivik mit einem Zitat zu Wort kommen zu lassen, in
dem er sich als Gesalbter des Herrn vorstellt: „Wenn du in der vollen
Hingabe an Gott, den Vater, operierst und all die Wege Gottes gehst und
jede gravierende Sünde und jede Verfehlung ihm gegenüber vermeidest – dann
ist es der nächste Schritt, sich völlig klar darüber zu werden, dass dich
Gott jetzt salbt mit seiner Macht, wenn du gezwungen bist, in die Schlacht
gegen deinen Feind einzutreten.“
Odinisten und germanische Recken unter dem
Zeichen des Kreuzes
Die traditionelle
europäischen Ritterschaft und damit auch die Kreuzritter haben ihre
Ursprünge nicht nur im Christentum, sondern auch in der germanischen und
keltischen Kriegerkaste, die im frühen Mittelalter sukzessiv zum
christlichen Glauben konvertierte. Heroentum, Ehre, Mut, Todesverachtung,
Kampfeswut waren Tugenden bei den Germanen und Kelten und wurden nach ihrer
Konvertierung nicht abgelegt, sondern mit dem neuen Glauben verschmolzen.
In der rechts-extremen Vision vom Heiligen Krieger spielen diese
vor-christlichen Völkergruppen eine exponierte Rolle. So auch bei Julius Evola. Für ihn wie für die Nationalsozialisten sind die
„nordischen Stämme“ hervorragende Krieger, aber im Gegensatz zu den Nazis
hat für Evola ihre rassische Zugehörigkeit keine
primäre Bedeutung. Ihre kompromisslose Hingabe an den Gott des Krieges ist
für den „Marx der Neuen Rechten“ das Entscheidende und nicht die Hautfarbe.
Auch wenn es bei Breivik einige rassistische Spekulationen gibt, so
setzt er sich doch mehrmals und entschieden von der NS-Ideologie und von
neo-nazistischen Gruppen ab. Diese Ablehnung betrifft aber nicht die
Mythologie der Germanen und die daraus entstandene „moderne“ Ideologie, die
Breivik als Odinismus
bezeichnet, ausgehend von dem germanischen Göttervater Odin. „Ich habe
nordische Mythologie studiert und habe eine Menge Respekt vor den odinistischen Traditionen.“ – schreibt der Attentäter
und fährt fort – „Ich betrachte mich selbst als Christ, aber Odininismus ist immer noch und wird immer ein wichtiger
Teil meiner Kultur und Identität sein.“ Auf den Grabsteinen der getöteten
PCTTS dürfen deswegen Runen eingraviert werden, aber keine Hakenkreuze, da
es sich dabei um ein politisches NS-Symbol handelt, das er strikt ablehnt.
In der Zeit, als sich Breivik noch im rechtextremen Milieu herumtrieb, hatte
er offensichtlich mehrere Kontakte
zu Odinisten. Soweit sich diese mit den Nazis und
deren Rassismus, den er als „Hassideologie“ bezeichnet, identifizierten, setzt er sich strikt von
ihnen ab. Andererseits ist er aufrichtig darum bemüht, den Anhängern Odins
seinen fiktiven Templerorden schmackhaft zu machen. Bedingung hierfür sei
aber, dass sie das Kreuz als übergeordnetes Symbol anerkennen, denn nur die
Signatur Christi habe das Potential alle in Frage kommenden revolutionären
Kräfte im gemeinsamen Kampf zu vereinigen. Die Kritik der Odinisten an den christlichen Kirchen sei zwar
berechtigt, aber „die Kirche, die sie hassen, ist die kulturell-marxistische
Kirche und nicht die wirkliche Kirche.“ Deswegen – so Breivik
weiter – „Wenn du wählst, unter dem Banner des Kreuzes zu kämpfen, bedeutet
das nicht, dass du dein odinistisches Erbe in
irgendeiner Art und Weise zurückweisen musst.“
Idealfiguren für den, wie er
sich selbst bezeichnet, „Commander“ der Tempelritter, sind also Odinisten und germanische Recken, die unter dem Zeichen
Christi gegen den Islam und die multikulturelle Gesellschaft in den Krieg
ziehen. Auch dafür kann Breivik Vorbilder in der
Geschichte finden, an erster Stelle den dänischen Fürsten Holger Danske, den er als „mythischen odinistischen
Heros der Skandinavier“ bezeichnet. Dieser germanische Nationalheld der
Dänen, dessen finster dreinblickende Kriegerskulptur sich in einer Gruft
von Schloss Kronberg bei Helsingør befindet,
kämpfte an der Seite des fränkischen Königs Karl Martell
in der Schlacht von Poitiers (736) gegen die Sarazenen (Moslems). Im „Manifest“ ist ihm ein
glorifizierender Artikel gewidmet.
Wie Friedrich Barbarossa aus dem
Kyffhäuser wird Holger Danske in Dänemark,
insbesondere auch von den Odinisten, als ein mythischer „König im Berg“
verehrt. Dort sitzt er erstarrt und sein langer Bart ist durch den
steinernen Tisch gewachsen. An jedem Weihnachten kommt ein Engel vorbei und
sagt ihm, dass für das Land keine Gefahr bestehe. Aber wenn jemals eine
solche Gefahr naht, „dann wird sich der alte Holger Danske
erheben, und der Tisch wird auseinander brechen, wenn er seinen Bart
herauszieht. Dann wird er hervorkommen, und einen Donnerschlag auslösen,
der in allen Ländern der Welt zu hören ist.“ Anschließend fährt der in Breiviks „Manifest“ abgedruckte Artikel mit folgenden
Sätzen fort: „Jetzt, wenn nur eine winzige Menge vom Blut der Nordmänner in
deinen Adern fließt, oder wenn du lange genug bei ihnen gelebt hast, um
etwas von ihrem Geist zu erfassen, dann werden sich die Haare in deinem
Nacken zu Berge stellen und du wirst diese Worte lesen und sagen: ‚Ja, das
ist der Held, der Mann, der uns während der Wirren verteidigen wird, die
sicher kommen werden.’“ Mit seiner Verehrung des Holger Danske
betritt Breivik wiederum ein mythologisches
Terrain der odinistischen Rechten, aus deren Milieu
viele darauf warten, dass bald ein kriegerischer Heilsbringer aus der Vergangenheit
(Barbarossa, Karl der Große, Holger Danske)
aufersteht, um Volk und Land in einer letzten Schlacht gegen die Invasoren,
sprich die Muslime, zu verteidigen.
Al-Kaida – Glorifizierung des Martyriums
Aber nicht nur das
Christentum oder germanische Heldensagen, sondern auch die Religion seines
Erzfeindes, den Islam nutzt Breivik als
Lehrmeister für seine Taten. Er habe das Terror-Netzwerk al-Kaida und
dessen Ideologie seit 2006 ausführlich studiert und viel davon gelernt. Dabei sei er zu dem Schluss gekommen: „Al
Kaida ist die erfolgreichste, revolutionäre Bewegung in der Welt.” Die Organisation habe deswegen so viel
Erfolg, weil sie Märtyrerattentate durchführe. Ein Problem sei es nur, dass
sie zu sehr auf Sprengstoff und nicht auf Amokläufe mit Schusswaffen setze.
Jedenfalls verlangten die islamistischen Terrorristen dem Massenmörder so
viel Respekt ab, dass er beabsichtigte, eine Art, wie er es selber
nennt, „al-Kaida für Christen“ aufzubauen. Er habe auch andere
Terrororganisationen erforscht, darunter die baskische
Untergrundorganisation ETA. „Die Schwäche der ETA ist“ – so Breivik – „dass sie den Tod fürchten und nicht an das
Leben nach dem Tod glauben. Das ist die Schwäche von Marxisten-Bewegungen.
Der Vorteil von al-Kaida ist, dass sie das Märtyrertum glorifizieren.“ Auch
mit diesem Zitat will der Attentäter klar machen, dass sein „Krieg gegen
den Kulturmarxismus“, in dem er die Hauptursache für die Schwächung des
christlichen Wertesystems und für die fortschreitende Islamisierung Europas
sieht, eine metaphysische Dimension hat.
Mit seinem Interesse und
seiner Bewunderung für die Methoden und Ideen des muslimischen Feindes,
reiht sich Breivik erneut in der Tradition der
von ihm erwählten christlichen „Rittervorfahren“. Die Faszination für die Ideologie
und Kampftechnik ihrer Gegner waren nämlich auch den Kreuz- und
Tempelrittern nicht fremd. Auf der muslimischen Seite kämpften im
Mittelalter ebenfalls Angehörige einer traditionellen Kriegerkaste,
natürlich unter dem Zeichen des Halbmonds. Die bekanntesten unter ihnen
waren die berüchtigten Assassinen, historische Vorläufer des modernen
islamistischen-Terrorismus und Djihadismus. Es
gehörte geradezu zum guten Ton der damaligen Zeit, dass sich die
verfeindeten Heiligen Krieger jenseits aller religiösen Schranken
gegenseitig bewunderten, voneinander lernten, sich kopierten, bevor sie
sich anschließend im Namen ihres jeweiligen Gottes abschlachteten. Ein
Kapitel in Breiviks „Manifest“ lautet
entsprechend: „Von den Muslimen lernen“.
Was konnte der christliche Terrorist Breivik nun von Al- Kaida lernen? An die erste Stelle
setzt er die islamistische Märtyrerphilosophie. Diese ist mittlerweile so
häufig dargestellt worden, dass wir sie nicht mehr dokumentieren müssen.
Selbstopfer und Martyrium sind zwei hervorragende Eigenschaften der PCTTS
und ihr „Commander“ bewundert die Muslime, wegen ihrer Bereitschaft
kompromisslos für Gott ihr Leben hinzugeben. Wie die Söhne Allahs erlangen
die Tempelritter Breiviks nach ihrem Martyrium
metaphysische Wonnen: „Ein Individuum, das Martyrium und Tod auf sich
genommen hat, um das Christentum zu schützen, dem ist ein Platz im Himmel
garantiert.“ – versichert das „Manifest“.
Nach dem Vorbild
islamistischer Entführungen, bei denen Geiseln enthauptet wurden, plante Breivik auch, die frühere norwegische
Ministerpräsidentin Brundtland zu kidnappen und ihr den Kopf abzuschlagen.
Er legte jedoch Wert auf die Feststellung, die Enthauptung sei ursprünglich
eine traditionelle „europäische“ Strafe gewesen, die als mächtige psychologische
Waffe eingesetzt wurde.
Ebenso wie die für die
„Al-Kaida Söhne“ Osama bin Laden stellt sich ihm der moderne Westen als das
„Reich des Bösen“ dar. Seine Attacken gegen den liberalen Stadt, den er
wegen seines „Multikulturalismus“ als „Kulturmarxismus“
verdammt, insbesondere auch seine Ausführungen gegen die Emanzipation der
Frau gleichen in vielen Punkten den Ansichten der Islamisten. Es kann
deswegen seiner Meinung nach sogar zu partiellen, temporär begrenzten
Zweckbündnissen mit ihnen kommen, denn die Militäraktionen der „Justiciar Knights“ sollen sich ja nicht primär gegen
den Islam als solchen richten. Nach Breivik geht
es letztlich darum, die Muslime in ihre Ursprungsländer zurückzudrängen,
damit das christliche Abendland von ihnen gereinigt wird. Dort kann sich
der Attentäter sogar die Etablierung eines Kalifats vorstellen. Eine
partielle Kooperationen mit den Djihadisten ist
dann für ihn sinnvoll, wenn dabei Personen und Institutionen des
„kulturellen Marxismus“ zu Schaden kommen, das heißt nach Breiviks Verständnis, de facto alle bürgerlichen
politischen Parteien Europas und deren Leader.
Obgleich nicht explizit von Breivik angesprochen, sollte man sich kurz einen Aspekt
der Djihad-Ideologie näher ansehen, weil er
weitere Aufschlüsse über die Geisteshaltung des Massenmörders geben kann.
In der islamischen Debatte zum Heiligen Krieg wird der Unterschied zwischen
einem inneren und äußeren Djihad gemacht. Unter
der Internalisierung des Djihad ist zu verstehen,
dass Kriege gegen das Böse nicht nur gegen einen externen Feind
ausgefochten werden, sondern auch gegen die Dämonen, die man in sich trägt
und die nichts anderes sind als die Begierden, unheiligen Emotionen und
seelischen Verunreinigungen in der Seele eines Menschen. Üblicherweise wird
dieser Krieg „in der eigenen Brust“ mit strengen asketischen Übungen
durchgeführt, der sich ein Krieger zu unterziehen hat.
Diese Verinnerlichung des
Krieges, die es in allen religiösen Traditionen gibt, darf und wird
keineswegs als eine Abstinenz vom äußeren Krieg angesehen. Im Gegenteil,
der erfolgreich geführte „innere“ Krieg soll ja geradezu die psychischen,
moralischen und disziplinären Voraussetzungen dafür schaffen, dass jetzt
die „äußeren“ Kriege weit effektiver, konsequenter und grausamer realisiert
werden können. Ja, es ist der „innere Djihad“ der
nun aus dem bewaffneten „äußeren Kampf“ (Qital)
durch seine Verknüpfung mit der Mystik und der Seele erst einem „Heiligen
Krieger“ und einen „Heiligen Krieg“ ausmacht. Sayyid
Qutb (1906 – 1966), der ideologische Übervater
der Muslimbrüder in den arabischen Ländern, hat
diese Wechselbeziehung zwischen „innerer“ und „äußerer“ Djihad
sehr klar beschrieben: „Bevor sich ein Muslim auf das Schlachtfeld begibt
[d. h. mit dem bewaffneten Kampf beginnt], hat er eine große Schlacht in
sich selbst gegen Satan, gegen seine eigenen Wünsche und Ambitionen, seine
persönlichen Interessen und Neigungen, gegen die Interessen seiner Familie
und seiner Nation; gegen alles, was nicht vom Islam ausgeht; gegen jedes
Hindernis, dass der Verehrung Gottes und der Verankerung der göttlichen
Autorität auf Erden im Wege steht, zu führen.“
Solche Vorstellungen kennen
wir auch aus dem Christentum. Der italienische Historiker Dag Tessore konnte deswegen auch einen Vergleich von Sayyid Qutb mit Bernhard von
Clairvaux wagen: Qutb, so Tessore,
„befindet sich außerdem in erstaunlichem Einklang mit der christlichen
Doktrin, wie sie einem vor allem bei Bernhard von Clairvaux begegnet, wenn
er vom mystischen und spirituellen Aspekt des Krieges spricht: der Krieg im
Dienst Gottes und zur Befreiung des Menschen, der Krieg als Askese und
moralische Prüfung, als eine Form der Kontemplation und Vorbereitung auf
den Tod, der Krieg als Martyrium des Glaubens.“
Zusammen gefasst heißt das:
Nur einer, der seine innere Gefühlswelt völlig beherrscht und sie ganz und
gar in den Dienst seines Gottes stellt, kann, ohne sich zu beschmutzen und
ohne jegliche Skrupel, sein blutiges Handwerk in der Außenwelt ausüben. Breivik erwähnt in seinem Manifest zwar nicht direkt
diese muslimische Vorstellung vom inneren Djihad,
aber wenn er die Ideologie von al-Kaida sechs Jahre lang ausführlich
studiert hat, muss er darauf gestoßen sein, insbesondere deswegen, weil es
diese Debatte auch in einer anderen religiösen Kriegertradition gibt, auf
die er sich explizit bezieht: die japanischen Samurai.
Die Samurai – Entschlossenes
Handeln am Rande des Wahnsinns
Der Massenmörder berichtet,
er habe bei seinen mehrjährigen intensiven mentalen, emotionalen und
spirituellen Vorbereitungen auf den „Großen Tag“ verschiedene Formen von Meditations – und Bewusstseinsübungen praktiziert.
Insbesondere habe er sich durch den „Bushido
Krieger Kodex“, wie er von den japanischen Samurai Kämpfern benutzt wurde,
für sein Attentat fitt gemacht. Bushido bedeutet der „Weg des Kriegers“. Im feudalen
System Japans war dieser Weg durch zwei Charaktermerkmale gekennzeichnet:
der absoluten Kontrolle über die eigenen Gefühle und der absoluten
Loyalität gegenüber dem Lehnsherrn. Wenn dieser sagte, „geh und töte diese
Leute“, dann ging der ihm verpflichtete Samurai und tötete „diese Leute“. Wenn der Lehnsherr sagte
„töte deine Familie“, dann tötete er auch seine eigene Familie. Wenn von
ihm verlangt wurde, sich selbst zu töten, dann tötete er sich selbst durch
einen rituell vollzogenen Selbstmord (seppuko). Dabei galt es als
höchst unehrenhaft, den Befehl des Lehnsherrn zu hinterfragen. Noch bis in
der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert bestimmte dieses Ideal des absoluten
Gehorsams das Selbstverständnis der japanischen Armee und machte aus
Tausenden von treu ergebenen Soldaten und Kamikaze Piloten gefürchtete
Todesmaschinen.
Der von Breivik
erwähnte „Bushido Krieger Kodex“ war sehr
wahrscheinlich das „Hagakure“, ein Heiliger Text,
der zwischen 1710 und 1716 in Japan von Yamamoto Tsunetomo
verfasst wurde und der auch als „Ehrenkodex der Samurai“ bekannt ist. Das „Hagakure“ ist heute im Westen weit verbreitet und
genießt unter der großen Zahl westlicher Samurai-Bewunderer, und das nicht
nur in der rechtsextremen Szene, eine besondere Hochschätzung. Der Text
greift grundsätzliche Positionen des Humanismus an und erklärt diese mit
dem Bushido als unvereinbar. Gefordert werden
neben dem schon erwähnten absoluten Gehorsam gegenüber dem
Herrscherfürsten, die ständige Bereitschaft zu töten.
Obgleich das „Hagakure“
aus dem japanischen Zen-Buddhismus entstanden ist, schreckt es nicht davor
zurück, die pazifistische Ausrichtung des ursprünglichen Buddhismus direkt
in Frage zu stellen: „Sei darum voll entschlossen, diese Ziele zu
erreichen, ohne im mindesten zu schwanken, selbst wenn die Lehren Buddhas
oder der Götter dem entgegenstehen.“ Krieg, Töten und Selbsttötung sind
nicht nur erlaubt, sondern werden geradezu zum Sinn des Lebens. Das heißt
im Klartext, die Essenz des Lebens ist der Tod. „Der
Weg des Samurai ist der Weg des Todes“ – heißt es im Hagakure
und „Die geheime Formel lautet daher, stets auf den Tod lauern und
entschlossen zu sein, in jedem Moment sterben zu können.“
Der Text fordert die
Todesverachtung als Ideal vollendeter Männlichkeit: „Ein Mann von großer
Tapferkeit denkt nicht an das Ende eines Kampfes; er stürzt sich
leidenschaftlich in den Rachen des Todes, wobei sein wahres Selbst sich in
seiner Geisteshaltung offenbart.“ Vorsicht und Bedachtsamkeit auf dieser
heroischen Bühne spielen keine Rolle: „Der Weg des Samurai verlangt, dass
er kopfüber in seinen Feind hineinstürmt, sogar blindlings.“ – lehrt das „Hagakure“. Aber es kommt noch schlimmer: „Wenn euer
Schwert in einer Schlacht zerbricht, kämpft mit euren Armen; wenn eure Arme
abgeschlagen werden, ringt euren Gegner mit euren Schultern nieder; wenn
eure Schultern verletzt sind, könnt ihr immer noch mit euren Zähnen
kämpfen.“ Töten und sich selber töten werden hier als ekstatischer Zustand
erfahren und glorifiziert: „Wenn es dazu kommt, einen anderen zu
erschlagen, dann stelle keine rationalen Überlegungen an. [....] So etwas vernichtet den rechten
Zeitpunkt, schwächt Deine Entschlusskraft
und endet wahrscheinlich damit, dass du den Gegner gar nicht
erschlägst. Der Weg des Samurai erfordert sogar, dass du verzweifelt und
blind vorpreschst.“ Die philosophische Essenz des „Hagakure“ wird im Text selber durch einen
weiteren schrecklichen Satz zusammengefasst, der lautet: „Entschlossenes
Handeln am Rande des Wahnsinns“. Doch für den Samurai ebenso wie für Breivik wird dieser „Wahnsinn“ zu einer Selbstverständlichkeit: „Es ist leicht zu denken, das ist
Wahnsinn.“ – sagte der Attentäter während des Prozess über seine
grauenvolle Tat – „Aber es gibt einen Unterschied zwischen politischer
Gewalt und Wahnsinn im medizinischen Sinne.“
Andere Aussagen Breiviks könnten ebenfalls aus dem“ Hagakure“
stammen. Zum Beispiel: „Es gibt Situationen, wo Grausamkeit notwendig ist
und die Weigerung, die notwendige Grausamkeit anzuwenden, betrügt die
Menschen, die du zu schützen vorgibst.“ – „Wenn du erst einmal losschlagen
willst, ist es besser zu viele zu töten als zu wenige.“ Bei der
aufkommenden Frage, was faszinierte Breivik an
den Samurai, lautet die Antwort: Die absolute Gefühlskontrolle, die
kompromisslose Härte gegen sich selbst, die vollkommene Kaltblütigkeit
gegenüber anderen, der Ehrenkodex und das Standesethos, der Krieg als
Selbstzweck, die Verachtung des Lebens und die Verherrlichung des Todes um
nur einige der vielen Beispiele zu nennen.
Gebet und
Meditation als Vorbereitung zum Mord
Am fünften Tag der Gerichtsverhandlung
sprach Breivik über seine Innenwelt und sein
Bewusstsein. Er habe eine eigene Meditationstechnik entwickelt, eine
Mischung aus „christlichem Gebet“ und dem „Bushido
Krieger Kodex“. Es ist bekannt, dass sich die Kreuzritter durch ständige
Gebete auf ihren Kampf vorbereiteten und auch während der Kriegshandlungen
beteten. Ebenfalls setzen die Djihadisten das
Gebet als spirituelle Vorbereitung für den Kampf ein. Das weiß Breivik und er bewundert sie deswegen: „Eine der Gründe
weshalb die Muslime so aktiv im Guerilla-Krieg sind, besteht darin, dass
sie sich dadurch motiviert halten, dass sie fünfmal am Tag beten und
anspornende Suren aus dem Koran rezitieren.“ – schreibt er in seinem „Manifest“.
Aber keine religiöse Überlieferung Heiliger Krieger hat sich so detailliert
Gedanken über ihre Geisteshaltung gemacht wie die Tradition der Samurai. In
diesem Fall steht jedoch nicht das Gebet im Zentrum, sondern die Kontrolle
des Bewusstseins durch Meditation. Entscheidend für die Kriegermentalität
der japanischen Ritter ist die absolute Beherrschung der eigenen Gefühle
und das hat Breivik von ihnen gelernt.
Ihre mentalen Techniken haben
die Samurai-Krieger aus dem Zen Buddhismus übernommen. So beschreibt der im
Westen bekannteste Zen-Philosoph Daisetz Teitaro Suzuki (1870-1966) die enge Beziehung von Zen
und Bushido mit folgenden Worten: „Die
Lebensanschauung des Bushido ist mit der des Zen
identisch. Die Ruhe und sogar die Herzensfreude im Augenblick des Todes,
die bei den Japanern deutlich zu erkennen ist, die Furchtlosigkeit, die die
japanische Soldaten angesichts eines übermächtigen Feindes gewöhnlich
zeigen [....] all dies entspringt dem Geist der Zen-Schulung“. Als
Kommentar zu dem Bushido Klassiker Hagakure lesen wir bei Suzuki: „Diese Kräfte [des
Kriegers] können manchmal teuflisch sein; jedenfalls aber gehen sie über
das hinaus, was man gemeinhin für menschenmöglich hält, und wirken Wunder.
[....] Der Tod verliert seinen Stachel, und hier treffen sich die Schulung
des Samurai und des Zen.“
Zen ist eine Methode des
Bewusstseinstrainings und deswegen mit jeder Philosophie und jeder
Ideologie kompatibel. „Er kann verheiratet werden mit Anarchismus oder
Faschismus, Kommunismus oder Demokratie, Atheismus oder Idealismus, oder
jeglichen politischen oder ökonomischen Dogmatismus.“ – schreibt Suzuki.
Zen-Meditation potenziert also Dogmen jedweder Natur, er ermöglicht es sie
„cool“ und „ohne Gefühlsduselei“ durchzusetzen. Durch Zen-Meditation werden
heute Sportler, Börsenmanager ebenso wie konservative Strömungen innerhalb
der Katholischen Kirche wieder fit gemacht.
Mit Meditationstechniken hat
auch Breivik sein Bewusstsein geschult. „Mentale
Strenge, das ist der Schlüssel!“ – sagt er an einer Stelle des „Manifests“.
Um seine Attentate durchzustehen, habe er sich emotional total abgekapselt:
„Man muss gefühlsmäßig abgestumpft sein, das muss man trainieren.“ Diesen Vorgang
bezeichnet er als „Entemotionalisierung“. Das Training habe mehrere Jahre
gedauert. Bis 2006 sei er „normal“ gewesen, von da an habe er sich durch
Meditation „desensibilisiert“, täglich mindestens 40 Minuten. Auch seine
„technische“ Sprache während der Prozessverhöre sei ein Werkzeug, um keine
Emotionen aufkommen zu lassen: „Freude, Angst und Hoffnungslosigkeit spüre
ich nicht mehr.“ Und an anderer Stelle sagt er auf eine Frage der
Staatsanwaltschaft, durch Meditation habe er alle Gefühle vom „Glück bis
zum Kummer, Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit, Angst und Furcht“
ausgeschaltet.
All das beschreibt ziemlich
exakt die östliche Meditationstechnik des Zens, bei der, um einen Zustand
des Gleichmuts zu erlangen, auch die Freude wegmeditiert werden muss. Wie
im Zen-Buddhismus fordert Breivik immer wieder
ein „ausbalanciertes“ „stabilisiertes“ „motiviertes“ und „fokussiertes
Bewusstsein“, welches erst den gewünschten Erfolg bei militärischen
Aktionen verspreche. Wenn es um das Mitgefühl für die Opfer geht, dann
tritt der meditative Mechanismus der „Desensibilisierung“ in Kraft. Er gibt
ihm Schutz und Unerschütterlichkeit. Eine Anwältin der Opfer fragte den
Angeklagten: „Weißt Du, dass in ganz Norwegen etwa tausend Hinterbliebene
in 17 Sälen deine Aussage hören?“ Dieser antwortet: „Ja. Was ich getan
habe, war grausam.“ – „Kannst Du darüber reflektieren?“ – „Ich würde
zusammenbrechen, wenn ich meinen Schutzpanzer fallen lassen würde.“ Es ist
eine strikte Forderung in der Zen-Meditation, das reflektierende
Bewusstsein zum Stillstand zu bringen.
Die Kshatriya – Der Töter ist „das
ausführende Organ des Geschehens im Weltlauf.“
Eine ähnliche mentale Haltung
wie die japanischen Samurai kennen die Kshatriya,
die Angehörigen der indischen Kriegerkaste. Auch zu ihnen stellt Bereivik eine Beziehung her. Das Hauptanliegen des
Massenmörders ist es, Europa vor der islamischen Invasion zu schützen. In
diesem Kampf sieht er die religiöse Rechte Indiens als Verbündeten. In
Sektion 3.158 des Manifestes erfährt der Leser, dass die indischen
Nationalisten unter „derselben Verfolgung von Seiten der Kultur-Marxisten
leiden wie ihre europäischen Cousins.“ Sozialisten, Linke und Liberale
hätten sich darauf eingeschworen, gegenüber der drohenden Islamisierung des
Landes eine Beschwichtigungspolitik zu verfolgen.
Mehrmals kommt Breivik auf die islamische Invasion des Subkontinents zu
sprechen und schildert diese als einen andauernden Genozid an der
Hindu-Bevölkerung. Der Islam gehe heute zusammen mit dem Kommunismus zum
Generalangriff auf die indische Gesellschaft und Kultur über und die
liberalen Kräfte würden dem tatenlos zusehen: „Wenn sich die Entwicklung in
Indien so fortsetzt und unsere nationalistischen Hindu-Brüder nicht bald
aufstehen, werden wir eine indische Muslim-Mehrheit in den Jahren 2035-2040
haben.“ – erklärt Breivik.
Deswegen werden seine „Justiciar Knights“ (Vollstrecker-Ritter) „die Sanatana Dharma Bewegungen
und die indischen Nationalisten im allgemeinen unterstützen.“ Sanatana Dharma (der ewige,
unveränderliche Dharma) bezeichnet ursprünglich
die kosmische Ordnung, die das gesamte Universum bestimmt. Von der
religiösen Rechten des Landes wird der Begriff jedoch als „Hindu Dharma“ verstanden, als die Zusammenfassung aller
Normen, welche die Hindu-Kultur (Hindutva)
ausmachen. Es sei die vordringlichste Aufgabe unserer Zeit, mit allen
Mitteln der ursprünglichen Lebensanschauung der Hindus wieder allgemeine
Gültigkeit zu verschaffen, das Dharma (göttliche
Gesetz) wieder herzustellen. Breivik bezieht sich
explizit auf mehrere radikale Gruppierungen, die sich der Hindutva zugehörig fühlen. Sie alle fordern letztlich
die Errichtung eines monokulturellen Hindu-Staates, von dem die Muslime
ausgeschlossen sind. Ihnen verspricht Breivik militärischen
Support „im indischen Bürgerkrieg und für die Deportation aller Muslime aus
Indien.“ Seine Tempelritter, die auf indischem Terrain gegen die islamische
Unterdrückung kämpfen, sollen für ihre Verdienste mit einer speziellen
Medaille ausgezeichnet werden, der „Liberation of
India Service Medal”.
Die Angehörigen der traditionellen
indischen Kriegerkaste nennen sich Kshatriya
(Sanskrit: Krieger, Ritter). In der politischen Philosophie der Hindutva spielen sie die zentrale Rolle. Auch die Kshatriya kennen, wie die japanischen Samurai, ein
mentales Bewusstseinstraining, das eine totale „Desensibilisierung“ zum
Ziel hat und das Karma-Yoga genannt wird. Breivik
bezieht sich zwar nicht explizit auf die indischen Ritter, aber auch deren
Geist hat ihn durchdrungen, nicht nur weil er die Hindutva
allgemein bewundert, sondern weil ein Satz von ihm „Man kann niemanden töten, wenn man
mental nicht vorbereitet ist“ aus einem Text stammen könnte, der den Kshatriya heilig
ist.
Gemeint ist die Bhagavadgita,
eine zentrale Schrift des Hinduismus aus dem fünften Jahrhundert v. Chr.. Man kann sie wohl als das „Hagakure“
der indischen Kshatriya bezeichnen. Wesentlicher Inhalt
dieses spirituellen Gedichts in der Form eines Gesprächs ist folgender: Der
Feldherr Arjuna steht den Angehörigen seiner
Sippe, seinen Brüdern und Verwandten in einer Schlachtreihe gegenüber. Die
beiden verfeindeten Heere sind groß und stark. Arjuna
zögert, mit dem Gemetzel zu beginnen, weil er dadurch gezwungen wäre,
diejenigen, die er einstmals liebte und immer noch liebt, töten zu müssen.
Aber da spricht Krishna, die Inkarnation des Gottes Vishnu,
zu ihm und ermahnt ihn, dass es seine metaphysische Pflicht sei, als
Krieger in den Kampf zu ziehen. Da die Welt eine Illusion sei, sei auch der
Tod seiner Verwandten in Wahrheit nur Schein. Arjuna
ist zwischen Emotionen und Mitgefühl auf der einen Seite und kriegerischem
Pflichtauftrag auf der anderen hin und her gerissen und entscheidet sich
schließlich für den Bruderkrieg.
Das Töten des Gegners wird in der Bhagvadgita als Yoga-Übung verstanden, wobei auch in
diesem Fall die volle Gefühlskontrolle keinerlei Mitleid und Mitgefühl zu
den Opfern, selbst wenn es sich dabei um Familienengehörige
handelt, aufkommen lässt. Krieg und Töten werden zum Selbstzweck, zur
absoluten Pflicht, zum summum bonum einer ganzen Kaste: „Behalt im Auge Deine
Pflicht und wanke nicht. Nichts gibt es Höheres für den Krieger als den
Kampf, der ihm als Pflicht ist auferlegt. Glücklich sind die Krieger, denen
das Schicksal einen solchen Kampf beschert. Es ist das Tor zum Himmel, weit
geöffnet.“ – erklärt Krishna dem Arjuna
Indem der Kshatriya
erkennt, dass die zerstückelten Leiber der von ihm Erschlagenen nur die
endlichen Ausstrahlungen der Materie sind, hinter der sich der ewige
unzerstörbare „Seinsgrund“ (purusha) verbirgt, muss er
alle irdischen Schlachtfelder als reine Illusion ansehen. „Wer meint, dass
Jener [der purusha]
töte oder getötet werde, der ist im Irrtum beiderseits. Denn Jener tötet
nicht, noch wird er je getötet.“ Getötet werden „nur“ die Leiber, und diese
sind vom Krieger zu vernichten, damit er höhere Erkenntnis erlangen kann. „Der
Kämpfer, der töten muss, wird also dadurch nicht zum Zerstörer des
Menschen, er ist nur das ausführende Organ des Geschehens im Weltlauf.“
Auch vor der Vernichtung des eigenen Leibes, darf der Kshatriya
nicht Halt machen, auch diesen muss er auf dem Altar der Götter darbringen:
„Unrecht ist es für den Krieger, zu Hause zu sterben; in der Schlacht zu
sterben ist des Kriegers ewige Pflicht.“
Auf dem Zenit des Gemetzels
erblickt der Krieger in ekstatischer Schau die Gottheit. Die Zerstückelung
und Vernichtung der Körper wird als Eucharistie, als sakramentale
Vereinigung mit Krishna erfahren. Wenn sich das eigene Blut mit dem der
Feinde mischt, findet eine unio mystica statt. Alles versinkt in einer gnadenlosen
Lichtflut: „Ich schaue dich mit der Krone, mit der Keule und dem Diskus als
eine Glanzenergiemasse, die nach allen Seiten hinstrahlt,
dich, den schwer zu Schauenden, den Glanz von Feuerflammen und von Sonnen,
den Unermesslichen.“ – ruft Arjuna aus als ihm
Krishna erscheint. Aber das Sonnenantlitz, in das er blickt, gehört keinem
anderem als dem gnadenlosen Tod: „Ich bin der mächtige Tod“ – antwortet
Krishna – „hierhergekommen zur Vernichtung. Darum auf, erwirb dir Ruhm,
besiege deine Feinde und tritt die hohe Herrschaft an. Von mir sind diese
alle schon im Voraus getötet. Du sei das Werkzeug nur, du Linkshändiger.“
Schon 1925 hatte ein anderer
Massenmörder, Heinrich Himmler, gefordert: „Kshatriya
Kaste, das müssen wir sein. Das ist die Rettung!“ Während des Krieges soll
er ein Exemplar der Bhagavadgita immer bei sich
getragen und aus ihrem Geist die Endlösung der Judenfrage begründet haben. Breivik nennt die Bhagavadgita
nicht, aber für seine Verbündeten aus dem Sanatana
Dharma ist sie der heiligste aller Texte.
Shambhala-Warriors – „äußerst wilde Krieger“
Ein Artikel aus dem
„Manifest“ geht auf die historische Vernichtung und Vertreibung der
buddhistischen Gemeinschaften durch die Muslime in Indien und Afghanistan
ein. Auch die Buddhisten werden von Breivik zum
Bürgerkrieg gegen die islamische Okkupation aufgerufen. Sie sind einer der
„vier Arme des Dharma“, worunter er den politisch-militärischen
Zusammenschluss von Hindus, Sikhs, Buddhisten und
Jains versteht. Es handele sich dabei – so Breivik – um verschiedene Strömungen desselben „Sanatana Dharma“, die
willkürlich von Säkularisten als einzelne
Religionen gegeneinander ausgespielt würden.
Viel mehr erfahren wir im
„Manifest“ nicht über den Buddhismus. Breivik
geht aber offensichtlich davon aus, dass auch andere Buddhisten als die
Samurai Ritter keine Pazifisten sind, sondern durchaus zur Waffe greifen.
In der Tat kennt der tibetische Buddhismus ebenfalls einen Heiligen Text,
in dem zum Krieg aufgerufen wird. Da sich dieser explizit gegen den Islam richtet,
ist es nahe liegend, auch diese religiöse Tradition zu reflektieren,
obgleich sie von Breivik nicht erwähnt wird.
Ausgerechnet in einem Ritual
des Dalai Lama, dem so genannten Kalachakra-Tantra
ist die buddhistische Kshatriya-Philosophie
thematisiert. „Kalachakra“ bedeutet „Rad der
Zeit“ und „Tantra“ bezeichnet einen Heiligen Text. Zwar wird das Kalachakra der westlichen Öffentlichkeit als ein
Beitrag zum Weltenfrieden präsentiert, aber es enthält im Widerspruch
hierzu eine Prophezeiung, die den apokalyptischen Endzeitkrieg zwischen den
Kräften des Guten und des Bösen voraussagt. Schon 1986 hatte der deutsche
Schriftsteller Tilman Spengler in der Zeitschrift GEO anlässlich einer Kalachakra-Einweihung Bedenken gegenüber der falschen
Friedenspropaganda angemeldet, mit der das Tantra vorgestellt wird: „Dabei
hat der Ursprung des Kalachakra zunächst wenig
mit Frieden zu tun.“ – schreibt Spengler. Im Kalachakra-Tantra
gehe es „um die Überwindung negativer Kräfte und die Errichtung des
mythischen Reiches Shambhala – wozu allerdings
auch die Vertreibung der Muslime, der Erzfeinde der Buddhisten, gehört.“
Das Kalachakra-Tantra,
entstanden in Indien in der Zeit der muslimischen Invasion, beinhaltet
deswegen eine ins Kosmische ausgedehnte Rachephantasie wegen des erlittenen
Unrechts. Es gibt im Text selber mehrere direkte Bezüge auf die Religion
Mohammeds. Als Erzfeinde der Buddhisten werden expressis verbis genannt: „Adam, Noah, Abraham und die fünf anderen
– Moses, Jesus, der im weißen Gewand, Mohammed und der Mahdi“, die –
so der Text – der „Familie der
dämonischen Schlangen“ angehören. Nicht nur bezeichnen die ersten
sechs Namen Religionsführer, die im Islam den Status eines Propheten
innehaben, sondern der Mahdi, ist der muslimische Messias, der am Ende der
Zeiten einen Krieg gegen die „Ungläubigen“, darunter auch die Buddhisten,
entfesselt.
Buddhisten kämpfen in der Shambhala-Prophezeiung gegen Muslime, die das Kalachakra-Tantra als „mleccha“
bezeichnet. Der Sanskrit-Begriff stammt zwar aus vor-islamischer Zeit und
bedeutet „Barbaren“, doch nach der islamischen Eroberung wird daraus
„Einwohner Mekkas“. In „Mekka“ – sagt das Tantra – lebt das „machtvolle,
gnadenlose Idol der Barbaren, die dämonische Inkarnation“. Verstreut über
den ganzen Text werden immer wieder Verweise auf den Islam gemacht wie zum
Beispiel die Beschneidung der Männer, der Schleier der Frauen, die rituelle
Schlachtung von Tieren und so weiter.
Das Kalachakra-Tantra
kennt nicht nur diese klare Ausrichtung gegen den Islam als Erzfeind,
sondern auch die Typologie des Heiligen Kriegers,
eines buddhistischen Ritters, den so genannten Shambhala-Warrior.
„Die äußerst wilden [buddhistischen] Krieger werden die barbarische Horde niederwerfen“ und „eliminieren.“ – heißt es im
Original. Ein Gedicht des III. Panchen
Lama hebt den martialischen Charakter des kommenden militanten Messias, Rudra Chakrin, Anführer der Shambala-Warriors, besonders hervor: „Die gewaltige
Schar Deiner Krieger“ – lesen wir dort – „wird in vielen Farben erscheinen
– […] – Deine Streitwagen werden andere Streitwagen zu Staub zermalmen. –
Deine Fürsten werden die anderen Fürsten vernichten. – Wenn all dies geschehen
ist, wird das Geschlecht der Barbaren [sprich die Muslime] für immer
ausgerottet sein.“
Ebenso wie in den anderen,
schon dargestellten Kriegertraditionen, unterscheidet auch das Kalachakra Tantra zwischen der äußeren Kriegshandlung
und der durch meditative Praktiken hergestellten inneren Kriegermentalität
des Shambhala-Warriors. Alexander Berzin, Kalachakra-Experte des Dalai Lama, der sich ausführlich
damit auseinandergesetzt hat, kommt deswegen zu dem Schluss: „Eine sorgfältige
Untersuchung der buddhistischen Texte, insbesondere der Kalachakra
Tantra Literatur, zeigt, dass in der Tat beide Schlachtenebenen, die externe
und die interne, leicht als Heilige
Kriege angesehen werden können. Eine unbefangene Studie des Islams
zeigt dasselbe. In beiden Religionen, mögen Führer die externen Dimensionen
des Heiligen Krieges für ihren politischen, ökonomischen und persönlichen
Gewinn ausbeuten und dazu benutzen ihre Truppen in die Schlacht zu führen.
Historische Beispiele für den Islam sind gut dokumentiert; aber man sollte
sich keine rosarote Brille im Fall des Buddhismus aufsetzen und glauben,
dass er diesem Phänomen gegenüber immun sei.“ An anderer Stelle wird Berzin
noch deutlicher: „Die Kalachakra Darstellung des Shambhala Krieges und die islamische Diskussion über
den Djihad zeigen bemerkenswerte Ähnlichkeiten.“
Es gibt zudem keinen uns
bekannten Heiligen Text der traditionellen sakralen Weltliteratur, der so
von der Beschreibung von Super-Waffen-Systemen fasziniert ist, wie das Kalachakra-Tantra. Auch das erinnert an die krankhaften
Waffen-Obsessionen Breiviks, wenn er seitenlang
über den Einsatz von allen nur denkbaren Vernichtungsmitteln phantasiert,
angefangen vom Schwert bis hin zum Nuklearschlag. Explizit wird im Kalachakra Tantra ein Militärpakt mit der Hindutva als dem Hauptverbündeten gegen den Islam
erwähnt. Die Kalachakra-Prophezeiung sagt die
gute Kooperation des kommenden Shambhala-Königs
mit den indischen Göttern und Armeeführern voraus. Auch dass
passt zu Breiviks Bündnisvision des Santana Dharma.
Nach der Aussage des
amerikanischen Religions-Historikers Andrei Zanmenski
beinhaltet das Kalachakra-Tantra eine „totalitäre
Versuchung“. Weshalb kann so etwas für den heiligsten Text des Dalai Lama
überhaupt gesagt werden? Ein Grund hierfür ist, dass, historisch gesehen,
die kriegerische Shambhala-Prophezeiung des
Tantras für totalitäre Systeme unterschiedlichster Orientierung besonders
attraktiv gewesen ist. Im 20. Jahrhundert wurde der Shambhala-Mythos
in Inner Asiens, insbesondere in der Mongolei,
von verschiedenen Kampfparteien als Kriegerideologie eingesetzt. Nazis,
Bolschewiki, italienische Faschisten, japanische Militaristen, Neo-Nazis,
Neo-Faschisten, autoritative okkulte Gruppierungen sind der „totalitären
Versuchung“ dieses Tantras erlegen. Breivik wäre
es auch, hätte er den Text nur gekannt.
Christen, Juden, Hindus, Buddhisten – die neue Allianz gegen den
Islam
Dem Tiefenpsychologen Erich
Neumann war Ende der 30er Jahre des vorigen Jahrhunderts aufgefallen, dass
es eine „germanisch-christliche“ Bewegung gab, die sich mit den
„indisch-brahmanischen und buddhistischen Völkern“ zusammenschließen
wollte. Wobei unter „christlich-germanisch“ solch militante
rechts-gerichtete Gruppierungen zu verstehen waren, die entweder den
Protestantismus als ein germanisches Phänomen ansahen oder – wie bei Breivik – die „Tempelritter“ oder den „deutsche
Ritterorden“ als Vorbild hatten. Die Beziehung zu den
„indisch-brahmanischen und buddhistischen Völkern“ wurde deswegen gesucht,
weil die Kultur der Hindutva und der Buddha-Lehre
aus demselben indo-arischen Kulturkreis stammen
sollten, aus dem auch die nordischen Völker, insbesondere die Germanen
hervorgegangen seien. Dieser ost-westliche
Schulterschluss, der damals unter dem Zeichen des Hakenkreuzes vollzogen
wurde (der Swastika ist auch ein buddhistisch-hinduistisches Symbol), war
unter den Nazis klar gegen die Juden als Rasse gerichtet.
Breivik
dagegen lehnt expressis verbis jede Form des Nazismus und Rassismus ab. Er
ist nicht antisemitisch, sondern unterscheidet zwischen „liberalen“ Juden,
deren Elite als eine besondere Spezies des weltweiten Kultur-Marxismus
auszurotten ist, und „konservativen“ Juden: „So lasst uns zusammen kämpfen
mit Israel, mit unseren zionistischen Brüdern gegen alle anti-Zionisten,
gegen alle Kultur-Marxisten und Multikulturalisten.
Konservative Juden sind loyal zu Europa und sollten belohnt werden.“ – ruft
er aus. Radikale Zionisten verehrt Breivik als
Frontkämpfer im globalen Krieg gegen den islamischen Djihad.
Eine von ihm beschworene Allianz mit den „Justiciar
Knights“ ist die „militärische Kooperation mit nationalistischen hinduistischen,
buddhistischen, jüdischen und/oder atheistischen (nicht-europäischen)
Kräften auf hinduistischem, buddhistischen oder jüdischen Territorium.“
Neben Breivik
gibt es auch andere Ideologen, die eine solche Allianz zwischen Christen,
Hindus, Buddhisten und Juden gegen den Islam gutheißen. Einer davon ist der
mehrmals in das Kalachakra-Tantra
initiierte Däne Ole Nydahl, ein designierter Guru
des so genannten Diamantenweg-Buddhismus. Früher stand er dem Christentum
kritisch gegenüber, 2008 aber erklärte er in einem Online Interview:
„Judaismus und Christentum sind okay. Es ist der Islam vor dem ich warne.
Ich kenne den Koran, ich kenne die Lebensgeschichte Mohammeds und ich denke
wir können das in unserer heutigen Gesellschaft nicht mehr brauchen.“ Nydahls anti-islamische Äußerungen mögen sich nicht
besonders von denen anderer Islamkritiker unterscheiden, aber im Kontext
mit der Kriegerideologie des Kalachakra-Tantra
erhalten sie eine größere politische Brisanz. Von ihm wird jedenfalls
dasselbe Bündnis angesprochen, das auch Breivik
vorschwebt: Christen, Juden, Buddhisten und Hindus vereint gegen den Islam.
Die Kriegerphilosophie des
Anders Breivik ist eine von Ideologen,
Philosophen und Religionswissenschaftlern der extremen Rechten schon seit
Jahren zusammengestellte und immer wieder neu gemischte Ideenmixtur, die
schon mehrmals als geistige Grundlage radikaler politischer Bewegungen
gedient hat. An erster Stelle sind hier die Werke des italienischen Barons
Julius Evola (1898 – 1974) zu nennen, der
Mussolini beriet, der in der SS Vorträge hielt und der heute in der Neuen
Rechten dasselbe hohe Ansehen genießt wie früher Karl Marx in der alten
Linken. Aber die prima causa für die Kriegertheologie eines Breivik ist nicht in den Philosophien der Faschisten
und Nazis zu suchen, sie liegt in den Heiligen Texten der Weltreligionen
selbst: im Alten und Neuen Testament, im Koran, im Hagakure,
in der Bhagavadgita und im Kalachakra
Tantra. All diesen Schriften beinhalten, wörtlich gelesen, klare
Aufforderungen zum Heiligen Krieg gegen Andersgläubige und in allen
Weltreligionen werden immer noch mentale und meditative Techniken
angeboten, um den Gefühlshaushalt eines Mannes so zu konditionieren, so
dass er im Namen seines Gottes oder eines Höchsten Prinzips mit
Begeisterung und Todesverachtung seine Feinde tötet und sich selber von
ihnen töten lässt.
Steve Bannon
Der US-Amerikaner Steve Bannon, führender Ideologe der „Alt-Right“
(Alternative Rechte) war früher Herausgeber des
ultrarechten Nachrichtenportal Breitbart
News mit Sitz in Los Angeles, später ideologischer Berater des
amerikanischen Präsidenten Donald Trump, bis er von diesem entlassen wurde,
und ist heute geschätzter Vortragreisender in der rechtsextremen Szene,
insbesondere in Europa.
Während er in
den späten 70er Jahren als Offizier in der Navy diente,
interessierte er sich leidenschaftlich für, wie er es später beschrieb,
„ein systematisches Studium der Weltreligionen“ und betrieb dieses ein
ganzes Jahrzehnt lang. Er begann mit der römisch-katholischen Kirche, wechselte
dann über zum christlichen Mystizismus bevor er sich den östlichen
Religionssystemen (Veden, Hinduismus, Daoismus, Buddhismus) widmete,
Während seines Militärdienstes praktizierte er für kurze Zeit
Zen-buddhistische Übungen, bevor er seinen Weg zurück zum Katholizismus
fand.
Aus dieser Mischung der
verschiedenen Weltreligionen sammelt er mehrere problematische Inhalte und
konstruiert aus ihnen, wie es auch Breivik getan
hat, eine Philosophie des Krieges. Nach Bannon
befindet sich die Menschheit in einer Zeit des Niedergangs und der
Dekadenz. Die Folge davon ist ein ständiger Kriegszustand, der sich
zunehmend verschlimmert. Der Kampf findet, ebenso wie bei Breivik, an zwei Fronten statt, zwischen der Tradition
des Patriarchats und der modernen Gesellschaft, die unter anderem durch den
Machtanspruch des Feminismus geprägt ist, und andererseits zwischen Islam
und Christentum. Und auch wie bei Anders Breivik
kämpfen die östlichen Religionen dabei mit dem Abendland Seite an Seite.
Dieses ganze ideologische Konstrukt beherrscht die extreme Rechte schon
seit den Zeiten des frühen Faschismus im ersten Drittel des vorigen
Jahrhunderts, auch wenn damals der Islam noch nicht der Hauptgegner war,
sondern neben der Modernen vor allem der Bolschewismus. Es ist also nichts
Originelles, an dem sich Bannon orientiert. Zu
dieser Ideologie zählen ein apokalyptisches Denken, die Vergöttlichung des
Kriegers, die absolute Vorherrschaft der Tat, die Dämonisierung des Gegners
als das Böse, die Verherrlichung patriarchaler Standards, eine extreme
Angst vor der aufsteigenden Frauen Power und vor der Etablierung einer
Frauenherrschaft. All das findet sich wieder bei Steve Bannon.
Die östlichen Lehren haben tiefe
Spuren in seiner Ideologie hinterlassen. Nach Aussage eines seiner Freunde
„sprach er viel über das Dharma – er fühlte sich
dem Dharma sehr verbunden – Was eines der
stärksten Prinzipien in der Bhagavadgita ist.“ Dharma bedeutet allgemein Rechtschaffenheit, aber im
Zusammenhang mit dem indischen Nationalepos bedeutet es die Pflicht des
Kriegers, ohne Empathie zu kämpfen und zu töten. Das
Mitgefühl, das den Krieger Arjûna davon abhält,
gegen den Feind ins Feld zu ziehen, wird von dem Gott Krishna, der in das
Geschehen eingreift, „Feigheit, unwürdig eines Edlen und vom Himmel
entfernend" genannt. Die Verheißung dagegen lautet: „Getötet, – wirst
Du das Paradies haben, siegreich, – wirst Du die Erde haben. Deshalb stehe
entschlossen auf zur Schlacht.“ Hier sei noch einmal auf Heinrich Himmler verwiesen, der die Bhagavadgita in den Kriegsjahren immer bei sich trug
und daraus die Vernichtung der Juden ableitete. Nach Bannon
befindet sich der Westen in einem Zustand des „adharma“
und ist deswegen gekennzeichnet von dem Zerfall traditioneller Werte und von
Amoralität.
Darüber hinaus hat das Dharma in der Baghavadgita eine kosmische Bedeutung. Es geht in dem
dort geschilderten Großen Krieg nicht nur um einen Krieg zwischen Stämmen,
sondern um einen apokalyptischen Heiligen Krieg, der ein altes Zeitalter
beendet, damit ein neues entstehen kann. Diese metaphysische Bedeutung
wird „dharma yuddham”
oder Krieg für das Dharma genannt.
Deswegen greifen die Götter direkt in das Geschehen ein. So sagt Krishna: „immer wenn ein Niedergang des Dharma
(Rechtschaffenheit, Tugend) und ein Überhandnehmen von Ungerechtigkeit und
Laster in der Welt eintritt, erschaffe ich mich selbst unter den Kreaturen.
So verkörpere ich mich von Periode zu Periode für die Bewahrung der
Gerechten, die Zerstörung der Boshaften und die Aufrichtung des Dharma.“
Bannon zählt
auch ein weiteres bekanntes asiatisches Schriftwerk zu seinen präferierten
Büchern: „Die Kunst des Krieges“ von Su Tzi aus
dem 5. Jahrhundert vor Christi Geburt. Der Verfasser, ein chinesischer
General, empfiehlt zum Beispiel eine verdeckte Kriegsführung, die nach
außen hin Chaos vortäuscht, aber sich im Verbogenen nach einer überlegten
Strategie richtet: „Mitten im Toben und Wogen des
Kampfes mag scheinbar Unordnung herrschen, wo doch keine Unordnung ist;
mitten in Verwirrung und Chaos mag dein Gefolge kopflos oder ziellos
erscheinen, und doch wird es vor der Niederlage geschützt sein.
Vorgetäuschte Unordnung erfordert perfekte Disziplin.“ Ein Artikel
in der Neuen Züricher Zeitung meint, dass dies genau die Methode sei, nach
der Donald Trump mit seinem chaotisch scheinenden Regierungsstil
vorgegangen sei, und vermutet, dass ihm diese Strategie von Bannon eingeredet wurde.
Im europäischen Kulturraum machte sich dieser mit
religiösen Philosophien vertraut, die als Traditionalismus bezeichnet
werden und deren Studium zur Standardausstattung rechtsextremer
Intellektueller zählen. Neben dem Franzosen René Guénon
(1886 – 1951) ist das vor allem der Italiener Julius Evola
(1898 – 1974). Beide haben mit mehreren Schriften gegen die Moderne polemisiert,
die sie als eine Ära der Dekadenz, der Auflösung, der Untergangs
anprangerten. Beide waren davon überzeugt, dass die Menschheit in einer
apokalyptischen Endzeit lebt. Evola gilt zudem
als ein Theoretiker des Faschismus. Über seine Versuche bei der SS Fuß zu
fassen, haben wir ausführlich in unserem Buch Hitler - Buddha-
Krishna – Eine unheilige Allianz vom Dritten Reicht bis heute
berichtet. Bannon teilt die Meinung Evolas und Guénons über den
modernen Staat und sucht nach Möglichkeiten, diesen zu zerstören: „Ich will das System krachend kollabieren lassen und
das ganze Establishment gleich mit“ Was dieses Anliegen anbelangt, so lässt
er auf einmal alle ultra-konservativen Traditionalisten im Stich und erklärt
sich zum Leninisten: „Lenin wollte den Staat zerstören, das ist auch mein
Ziel.“
Dem
entschiedenen Antikommunisten Evola hätte dieser
Bezug zu Lenin sicher nicht gefallen, er forderte keine klassenlose
Gesellschaft sondern die Wiedereinführung des indischen Kastensystems. In zahlreichen Schriften hat er eine Ableitung des
Krieges als heilige Handlung entwickelt und den „heroischen Krieger“ als religiöses
Idealbild herausgestellt. Was die Zen-Lehren des Bushido
für den japanischen Samurai bedeuteten ist vergleichbar mit dem, was die
Lehren Evolas für den rechtsextremen Kriegertypus
bedeuten. Der „Krieger“ ist nach ihm archetypisch verankert und jeder Mann,
der den „Weg des Kriegers“ geht, versucht sich diesem Archetyp
anzugleichen. Das will auch Steve Bannon.
Krieg findet für Evola nicht
nur hier auf Erden, sondern auch auf einer metaphysischen Ebene statt. Er ist „der Weg zu einer höheren Lebensform
und die Prüfung der göttlichen Sendung eines Volkes. Für den alten Arier
war übrigens jeder Krieg das Gleichnis eines ewig dauernden Kampfes
zwischen metaphysischen Mächten: auf der einen Seite stand das olympische,
arische Lichtprinzip, die uranische und
sonnenhafte Wirklichkeit; auf der anderen Seite stand die rohe Gewalt, das
Titanisch-Tellurische, das Barbarische im klassischen Sinne, das
Weiblich-Dämonische..“ Evola schildert also den
Krieg als einen Kampf zwischen dem Licht, das als männlich vorgestellt
wird, und der Dunkelheit, die das Dämonisch-Weibliche repräsentiert. Auch
diese Sicht zeigt Entsprechungen bei Steven Bannon,
der (wie Anders Breivik) Frauen mit Verachtung
gegenübertritt und den Feminismus (wie Evola)
schon in den 30er Jahren, als eine der Hauptursachen für den „Untergang des
Abendlandes“ ansieht.
Aus den genannten metaphysischen Gründen ist der Krieg für Evola nicht nur heilig sondern auch apokalyptisch: „Sei
dies das Losungswort des neuen ‚Heiligen Krieges‘, das Prinzip eines
unwiderstehlichen, heldischen und gleichsam metaphysischen Schwunges.
Vielleicht nie sind unsere alten Mythen der letzten Entscheidung und der
letzten Schlacht, der neu erwachenden Heldenschar im Kampf gegen die
einbrechende Dämonie der Massenwelt, die sonnenhafte Tradition der Tat und
die Mystik des Sieges so intensiv gefühlt worden, wie sie es in den kommenden
Zeiten sein werden.“ Der Krieg sei, so Evola, sei
mit dem „Weg Gottes“ identisch: „Kein Opfer oder Kult [ist]
dem höchsten Gott genehmer, keines trägt reichere überweltliche Früchte als
dasjenige Opfer, welches der Held dadurch bringt, dass er kämpfend auf dem
Schlachtfeld fällt.“
An Evolas Diktum, dass der Krieg „Weg Gottes“
sei, mag sich Steve Bannon erinnert haben als er im Jahr 2014 im
Palazzo der Päpstlichen Akademie für Wissenschaften in den vatikanischen
Gärten über Skype zugeschaltet war. (Die
Vatikan Connection – Eine ideologische Allianz) Die dort auf einer
Konferenz versammelten Christen rief er pathetisch dazu auf, für Ihren Glauben in den Krieg zu ziehen: „Wir
befinden uns in einem frühen Stadium eines sehr brutalen und blutigen
Konflikts, der, wenn die Menschen hier in diesem Raum, die Menschen der
Kirche, sich nicht fest zusammentun und etwas formen, das ich als einen
Aspekt der Militanten Kirche bezeichnen möchte, und nicht wirklich in der
Lage sind nicht nur für ihren Glauben einzugestehen, sondern für unseren
Glauben zu kämpfen gegen diese sich herausbildende Barbarei, dann wird
dieser Konflikt alles vernichten, was uns in den letzten 2.000, 2500 Jahren
als Erbe vermacht wurde. […] Wir befinden uns in einem offenen Krieg gegen
den jihadistisch islamischen Faschismus. Und dieser Krieg, so denke ich,
verbreitet seine Metastasen schnelle als dass die Regierungen darauf
reagieren könnten.“ – sagte er. Eine „sehr, sehr, sehr
aggressive Haltung“ sei gegen den radikalen Islam und zur Verteidigung der
jüdisch-christlichen Kultur notwendig. Säkularisierung und Islam,
suggerierte Bannon, seien die größten Bedrohungen
der Gegenwart. Der Alt-Right Ideologe pflegt enge
Kontakte mit dem US-Kardinal Raymond Leo Burke, Anführer des
innerkirchlichen Widerstands gegen Papst Franziskus. Bannon ist auch ein Anhänger der Theorie von William
Strauss und Neil Howe, wonach die Geschichte der
USA in Zyklen von 70 bis 100 Jahren verlaufe: Diese würden stets in
einem Krieg enden; auf diesen folge dann wieder ein
gesellschaftlich-kultureller Aufschwung. Nach dem Unabhängigkeitskrieg, dem
Sezessionskrieg und dem zweiten Weltkrieg stehe jetzt ein neuer reinigender
Krieg unmittelbar bevor
Man muss nicht weiter
ausführen wie gefährlich solche Ideologien sein könnten, wenn sich Machtträger wie der Präsident der
Vereinigten Staaten von Amerika danach richten würden. Donald Trump hat Bannon aus seinem unmittelbaren Umfeld verbannt. Es ist
sicherlich ein großes Glück, dass Amerikas Staatsoberhaupt literarisch so
ungebildet ist und sich deswegen nicht besonders um Ideologien schert,
sondern um Deals. Aber so ganz frei von dem Faszinosum, das die Kombination
von Politik und Religion auf Menschen ausüben kann, ist er nicht. Um sich
die Wahlstimmen der christlichen Fundamentalisten zu sichern, hat er sich
2019 die sexy wirkende Predigerin Paula White in Weiße Haus geholt. Dieser
soll er, nach einigen Presseberichten, ziemlich hörig sein. Wenn man sich
Fotos der beiden im Internet anschaut, hat man den Eindruck, dass das
stimmt. In einem Fernsehinterview erklärte White, Trump sei nach Gottes Plan in seine
Führungsposition gelangt. Auswirkungen einer solchen Würdigung von
höchster Stelle zeigten sich schon sehr bald. 2019 als Trump in einer Rede über die
Handelskontakte mit China erklärte er: „I am the
Chosen One“ – „Ich bin der Auserwählte“.
Jedenfalls glauben das zahlreiche Evangelikale von ihm und versuchen ihn in
ihre apokalyptischen Wahnideen hinein zu ziehen.
Nicht eingegangen wurde in diesem Essay
auf einen Kontext, der mit der rechtsextremen Kriegerideologie aufs engste
verbunden ist: Frauenhass, Frauenverachtung und Angst vor der Frau. Von Evola stammt schon aus dem Beginn der 30er Jahren des
vorigen Jahrhunderts ein engagiertes Pamphlet gegen den Feminismus – für
ihn ein Fanal, das den Untergang des Abendlandes annonciert. Er hat sich
ausführlich mit dem Frauenthema auseinandergesetzt. Alle Frauentypologien,
die er positiv bewertet, dienen dem Mann. Darunter die Mutter, die dazu
bestimmt ist, ihm einen Sohn zu gebären; dann die Geliebte, deren einzige
Aufgabe darin besteht, sich ihm mit Leib und Seele hinzugeben. Sie hat den
Mann nicht als Gatten oder Liebhaber anzusehen, sondern als ihren absoluten
Herrn. Es gibt Passagen, in denen Evola
Vergewaltigungen als Ausdruck einer starken Männlichkeit befürwortet. Auch
verweist er immer wieder auf den indischen Sati-Kult als einen Höhepunkt
weiblicher Hingabe, bei dem sich die noch lebende Witwe mit ihrem
verstorbenen Gatten zusammen auf einem Scheiterhaufen verbrennen lässt.
Außer ihrer beiden Rollen als Mutter und Liebhaberin sei die Frau „nichts
anderes als ein Affe.“ – soll er gesagt haben. Nachdem Evola
jedoch die tantrischen Lehren des Buddhismus und Hinduismus studiert hatte,
wurden seine Vorstellungen über Frauen noch durch eine dritte Sicht
ergänzt. Evola erkannte die im Tantrismus
behauptete energetische Bedeutung der Sexualenergie und akzeptierte die
tantrischen Techniken, die es erlauben, durch die sexuelle Vereinigung (Maithuna) die weibliche Energie von der Frau zugunsten des Mannes abzusaugen,
wenn dieser während des Rituals seinen Samen nach oben zieht und nicht
ausstößt.
Die Täter von Hanau, Halle, Christchurch, El Paso und Dayton, sie alle hatten irgendwelche
Probleme mit Frauen. (Siehe: Was hinter dem Frauenhass rechter
Attentäter steckt) Wie Evola
sieht auch der Massenmörder Anders Breivik den
Feminismus als eine der Hauptursachen für den Untergang der abendländischen
Kultur. In seinem Manifest spricht er dieses Thema immer wieder an. Er erwähnt
häufig, wie sehr er unter der feministischen Einstellung seiner Mutter
gelitten habe, ebenso weil er ohne Vater aufgewachsen sei. Als Höhepunkt
seines Anschlags vom 22. Juli 2011, bei dem 77 Menschen ums Leben kamen, sollte die Enthauptung der ehemaligen norwegischen
Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland, die
er für die Immigrationspolitik verantwortlich machte, stattfinden. Auch
dahinter standen anti-feministische Motive. Weil sie das Gelände zu einem
früheren Zeitpunkt verlassen hatte, entging Brundtland dem von Breivik geplanten grausamen Mord. Nach der Revolution, unter der Ägide des restituierten
Patriarchats, werde der Frau wieder „ihr Platz in der Gesellschaft“
zugewiesen, erklärte er, der Feminismus habe dazu beigetragen, dass die
„Machtbalance“ zwischen Männern und Frauen zerfallen sei; 60 bis
70 Prozent der zu bekämpfenden Kulturmarxisten seien Frauen. Der Mann,
der seinen versuchten Anschlag auf die Synagoge in Halle und den
anschließenden Mord an zwei Menschen filmte, beginnt sein Video so: „Ich
glaube nicht an den Holocaust, und Feminismus ist der Grund für die
sinkende Geburtenrate in Europa.“
Steve Bannon
ist da etwas zurückhaltender in seinen Aussagen über Frauen als sein Mentor
Evola. Nach gerichtskundiger Aussage soll er
seine frühere Gattin gewürgt und am Arm verletzt haben. Gegenüber dem
Feminismus aber nimmt auch er kein Blatt vor den Mund. Von ihm ist
folgendes Zitat im Umlauf. „Wenn man eine Guillotine in den Raum stellen
würde, würden sie [die Feministinnen] allen die Eier abschneiden“ Unter
seiner Herausgeberschaft erschienen bei Breitbart
News Artikel mit folgenden Überschriften: „Die Pille macht Frauen
unattraktiv und verrückt“, „Wäre es Ihnen lieber, dass Ihr Kind Feminismus oder Krebs hat?“ Ein
patriarchales Frauenbild und die Heroisierung des Kriegers als männlicher
Archetyp stehen zweifelslos in einem direkten Zusammenhang.
Einige Überlegungen zum Schluss
Was bringt es, sich mit derartigen rechtsextremen
Ideologien so detailliert und kritisch auseinanderzusetzen? Wird das ihre
gesellschaftliche Präsenz zurückdrängen? Zum einen können wir sie als ein
Menetekel wahrnehmen, welches zeigt, wohin sich alles im schlimmsten Fall
entwickeln könnte. Hätte man Hitlers Buch „Mein Kampf“ genau gelesen, dann
hätte man schon sehr früh erkannt, wo der Weg des Nationalsozialismus hinführt.
Deswegen ist die Kenntnis rechtsradikaler Ideologie wichtig! Bei der
Analyse vieler seiner Schriften wird außerdem sichtbar, dass der extremistische
Traditionalismus in der Tiefe eine religiöse Bewegung darstellt, und sich
aus schon existierenden Heiligen Texten legitimiert. Im Christentum ist es
vor allem die Apokalypse des Johannes,
die den Friedenschristus durch einen zornigen Rächermessias
ersetzt und die Anlass zu zahlreichen Religionskriegen gegeben hat. Aus dem
indischen Kulturraum, den die Rechtsradikalen dem Ariertum
zuschreiben, ist es vor allem die Bhagavadgita.
Durch das weltweite Auftreten von extrem radikalen Strömungen in allen (!)
Weltreligionen, wird es deswegen höchste Zeit, dass die gemäßigten Kräfte
in ihnen ihre Heiligen Texte überdenken, korrigieren, verändern und nicht
nur, wie es einem gerade passt, uminterpretieren. Textstellen die eindeutig
zur Gewalt und zum Krieg aufrufen, können nicht durch allegorische
Rabulistik als Friedensbotschaften durchgehen. Sie müssen eindeutig aus dem
Kanon gestrichen werden. Das gilt nicht nur für den Islam, sondern ebenso
für das Judentum, das Christentum und die asiatischen Religionen.
Aber es gibt auch etwas, was wir
von den Rechten lernen können, nämlich den Einsatz von Symbolen, von Pathos
und die Verbindung zum Transzendenten. All das geht einem
landläufigen Humanismus ab. Er setzt sich nüchtern, wenn auch mit
Empörung, gegen Ungerechtigkeiten ein und verfolgt dabei weitgehend eine
rationale Argumentationslinie. In humanistischen Kreisen ist es nicht
besonders opportun, Symbolfiguren ihrer Bewegung pathetisch herauszustellen. Dabei können
solche exponierten Träger humanistischer Ideen die Bezugspunkte für viele
Tausende, ja Millionen von Menschen sein und diese dazu motivieren, sich
politisch zu engagieren und gesellschaftliche Systeme zu verändern. Das
jüngste Beispiel ist die Schwedin Greta Thunberg
und die von ihr ausgelöste weltweite Klima-Bewegung. Alle von ihr
angemahnten Inhalte sind schon seit vielen Jahren bekannt und haben dennoch
nur wenige Menschen wachgerüttelt. Erst als dieses zarte Mädchen erschien
ist der Klimawandel zu einem globalen Thema geworden, dem sich keiner mehr
entziehen kann.
Auch Mahatma Gandhi oder Martin
Luther King waren solche humanistischen Symbolfiguren und haben gerade
deswegen viel bewirkt. Der schwarze, US-amerikanische Bürgerrechtskämpfer,
wusste, dass humanistische Werte wie Respekt, Empathie und Liebe mit Pathos
vorgetragen werden müssen. Er wusste ebenfalls, dass diese mit Macht verbunden
werden müssen und dass die Machtfrage nicht nur dem Establishment oder gar
dem rassistischen Rechtsradikalismus überlassen werden darf. In einer
seiner Reden sagte er: „Eines der größten Probleme der Geschichte besteht
darin dass das Konzept von Liebe und Macht üblicherweise als polare
Gegenteile kontrastiert werden. Liebe wird mit dem Verlust von Macht und
Macht mit der Leugnung von Liebe gleichgestellt. Was sich als notwendig
erweist, ist die Vorstellung, dass Macht ohne Liebe rücksichtslos und missbräuchlich
ist und dass Liebe ohne Macht sentimental und anämisch ist. Macht in ihrer
besten Form besteht in der Liebe, welche die Forderungen der Gerechtigkeit
umsetzt. Gerechtigkeit in ihrer besten Form ist Liebe, die alles
korrigiert, was sich gegen die Liebe stellt.“ Es ist also zu hinterfragen,
ob und wie sich Liebe mit Macht verbinden kann. Ist die Liebe nur mächtig,
wenn sie einen Pakt mit der Gerechtigkeit eingeht, wie es Martin Luther
King meint, oder gibt es eine Liebe, die schon aus sicher selber heraus
mächtig ist und was sind deren Kriterien?
Noch weniger als die Glorifizierung
von Symbolfiguren und der Pathos in der Darstellung findet sich im
Humanismus der Versuch, seine „Heroen“ in der Transzendenz zu verankern,
wie Julius Evola mit der Figur des Kriegers.
Darüber sollten wir uns Gedanken machen, denn das würde Menschen, die sich
besonders für ihre Mitmenschen einsetzen, die Aura des Sakralen geben, sie
würden als Heilsbringer und als Boten einer kommenden Welt ohne
Unterdrückung, ohne Krieg und ohne Hass angesehen und verehrt. Der Schritt
zu solch einer pathetischen Erhöhung des Menschlichen ins Übermenschliche
ist bisher in unserer Gesellschaft noch schwer nachzuvollziehen. Aber im
Fall von Greta Thunberg zeigen sich erste
Schritte in diese Richtung. Auf
ihrer Reise durch die USA und Kanada besuchte sie 2019
auch mehrere Indianerreservate und traf mit Häuptlingen und Schamanen
zusammen, die ihr großen Respekt entgegenbrachten. Jay Taken
Alive, ein Stammesältester der Sioux, schlug
spontan vor, die junge Schwedin mit einem Lakota-Namen
zu ehren: „Du weckst die Welt.“ – sagte er zu ihr. Der Name lautete Mahpiya Etahan hi wi („Die Frau, die aus dem Himmel kam“). Das mag
man allegorisch oder als einen religiösen Glauben deuten, in beiden Fällen
erhält Greta die Zeugenschaft dafür, dass sie aus einer transzendenten
Sphäre zu uns hinabgestiegen ist, um uns dazu aufzufordern, unser Schicksal
endlich in die eigene Hand zu nehmen. Es ist Zeit, die Liebe als ein
Politikum und das Göttliche im Menschlichen zu erkennen.
© Victor und
Victoria Trimondi
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