Hindutva Fundamentalismus
Endzeitideologien der religiösen
Rechten in Indien
von Victor und Victoria Trimondi
Seit mehr als zwei Jahrzehnten wird die indische Gesellschaft durch
den Widerspruch und Streit zwischen Säkularismus und Staatsreligion im
Innersten aufgewühlt. Dabei ist es keineswegs so, dass auf der einen Seite
die säkularen Kräfte stehen und auf der anderen diejenigen
religionspolitischen Strömungen, die sich die Rückkehr zu den
traditionellen Werten der indischen Kultur zum Programm gemacht haben. Der
Säkularismus, einst die große politische Kraft unter der
Nehru-Gandhi-Dynastie, ist mit seiner Forderung nach Religionsfreiheit und
der Gleichberechtigung aller Konfessionen zum Schutzherrn der religiösen
Minderheiten geworden, die sich nicht der großen religions-politischen
Kraft, welche sich „Hindutva“ nennt, zurechnen.
Darunter befinden sich neben den Tribal-Religionen
und den Christen auch die 120 Millionen Muslime des Landes. Von diesen
religiösen Gruppierungen wird aber der säkulare Staat, vertreten durch die
Kongresspartei, weniger aus Überzeugung gewählt, sondern aus einer
existenziellen Notwendigkeit heraus, da sie sonst von den Hindu-Religionen
und deren politischen Organisationen große Repressionen zu erwarteten
hätten. Indien trotz seinen viel gepriesenen und spektakulären Eintritt in
Informationszeitalter ist zu einem Hexenkessel der Religionen geworden.
Unter Jawaharlal
Nehru (1889-1964) war der Säkularismus eine Weltanschauung, heute ist er
eine Kompromissformel, die von der Hindu-Rechten mit scharfen Worten
gebrandmarkt wird: „Das freie Indien unter Nehru entschied sich für ein
sozialistisch-kommunistisches Modell, welches das britische
Erziehungssystem und eine linksgerichtete Denkart aufrechterhielt, die oft
unverfroren anti-Hindu und manchmal pro-Islam und pro-christlich war.“ –
schreibt der amerikanische Vedenforscher David Frawley, ein bekannter, international agierender
Sprecher des Hindu-Fundamentalismus. (1) Unter Nehrus
Tochter, Indira Gandhi, erhielt der Säkularismus seine ersten,
entscheidenden Rückschläge, nicht zuletzt deswegen, weil er von der
Ministerpräsidentin (von 1980-1984 im Amt) selbst nicht ernst genommen
wurde. Schon zu Lebzeiten erregte sie im Westen Staunen wegen ihrer Besuche
bei Hindu-Gurus, ihrer Beeinflussung durch Yogis und wegen ihrer
Astrologie-Gläubigkeit. „Eine unheimliche Ansammlung von Mystikern in safranfarbenen Gewändern, Wahrsagern und
pseudowissenschaftlichen Sterndeutern umschwirrt die politischen Machthaber
Indiens und beeinflusst deren Entscheidungen.“ – schrieb Anfang der 80er
Jahre das in Asien angesehene Nachrichtenmagazin Far
Eastern Economic Review. (2)
In unseren Tagen ist der
Säkularismus in dem von Religionskämpfen zerrütteten Land zu einer
Hilfskonstruktion geworden, um Indien nicht in ein Chaos verfallen zu
lassen. Die neue Regierung unter Manmohan Singh
und mit dem Support von Sonja Gandhi (2004) hat ihm wieder einiges an
Profil gegeben. Ob er aber noch einmal als wirkliche weltanschauliche
Alternative zu den verschiedenen Religionsströmungen geschätzt und geachtet
wird wie zu Nehrus Zeiten, kann nur die Zukunft
zeigen.
Die Hindutva
Als Indiens größte Rechtpartei (Bharatiya
Janata Party – Indische Volkspartei) nach einer
mehrjährigen Regierungszeit im Mai 2004 die Wahl verlor, sahen die meisten
Funktionäre als Ursache hierfür die Abkehr von den Werten und den
religiösen Inhalten des klassischen Indiens. Der Ruf „Zurück zu Basis,
zurück zur Hindutva“
ist deswegen zu einem Slogan geworden, mit dem die Religiöse Rechte des Landes ihre Wahlschlappe wieder gut machen
möchte. (3)
Hindutva
(das „Hindutum“ oder die „Kultur der Hindus“) war
der Titel eines Buches, das 1915 von dem Nationalisten V. D. Savarkar publiziert wurde. Doch führen die
ideologischen Wurzeln des Hindutums ins
19. Jahrhundert zurück. Diese kulturpolitische Bewegung ist erstmals als
Opposition gegen die britische Besatzungsmacht entstanden. Schon in dieser
Zeit bildeten sich im Kampf gegen die Engländer zwei Gruppierungen heraus:
Die „Modernisten“ und die „Revivalisten“. Die
Modernisten wollten die indischen Gesellschaft in die nationale
Unabhängigkeit und, wie ihr Name besagt, die „Moderne“ führen. Die Revivalisten strebten ebenfalls die nationale Unabhängigkeit
an, aber ihr Ziel war die Restauration der traditionellen Werte indischer
Kultur. Sie sahen im Anti-Kolonialismus nicht nur eine politische Bewegung,
sondern erfuhren ihn als religiöse Erweckung. Indien und seine uralte
Kultur seien zunehmend unter dem Einfluss landesfremder Völker in Verfall
geraten. Die Hindu-Doktrinen hätten keine Geltung mehr und das Land werde
durch die westliche Zivilisation und eine sich vermehrende muslimische
Bevölkerung „verunreinigt“. Das sei umso schimpflicher, da Indien die Wiege
der menschlichen Zivilisation überhaupt sei. Die indische Kultur gilt bei
den Hindutva-Ideologen als zeitlos, während
andere Zivilisationen entstehen und vergehen, sei sie „unzerstörbar und
ewig“. (4) Deswegen sei es eine vordringliche Aufgabe, mit allen Mitteln
der ursprünglichen Lebensanschauung der Hindus wieder allgemeine Gültigkeit
zu verschaffen, das Dharma (göttliche
Gesetz) wieder herzustellen.
Weil die leuchtende Farbe des
Safrans die indische Nationalfarbe ist, hat sich in der Hindutva
als Bezeichnung für die Rückkehr zu den religiösen Traditionen der Begriff
„Safranisierung“ (saffronisation) durchgesetzt.
„Safranisierung der Geschichte“ bedeutet
Umschreiben der Historie Indien nach Bildern des klassischen Heroentums. „Safranisierung der Kultur“ bedeutet eine religiöse
Renaissance der Hindu Prinzipien; „Safranisierung
der Erziehung“ beinhaltet eine Pädagogik nach den ethischen Grundsätzen des
alten Indiens, worunter auch das Kastensystem zählt. „Safranisierung
des Staates“ besagt, auch wenn das bisher noch selten ausgesprochen wird,
die Restauration des sakralen Königtums.
Drei Namen werden immer
wieder als Chefideologen der Revivalisten
genannt: die Brahmanen Swami Vivekananda
(1863-1902), Aurobindo Ghose (1872-1950) und Bal Gangadhar Tilak (1856-1920). Alle drei verlangten die Rückkehr zu
den Werten des „arischen“ Indiens. Darunter verstanden sie nicht nur ein
„Comeback“ des Brahmanismus (der Priesterkaste), sondern insbesondere auch
die Belebung der alten indischen Krieger-Kultur, der Kshatriya
Tradition. Deswegen wurden die insbesondere in der Bhagvadgita
gelehrten kriegerischen Tugenden zu einer dogmatischen Orientierung.
Ziel der Hindutva
ist es nicht nur, das kulturelle Erbe des Landes zu pflegen, sondern auch
die indische „Realpolitik“ aus den politreligiösen Grundsätzen der
klassischen Texttradition abzuleiten. Dazu zählen an erster Stelle die Veden, dann die Vedanta, die Upanishaden,
die Puranas und endlich die großen
indischen Epen wie die Mahabharata und das Ramayana. (5) Alle diese Heiligen Schriften enthalten
endzeitliche Elemente, einige davon in einem ganz besonderen Maße. Bevor
wir konkret die politischen Parteien, Protagonisten und kulturellen
Aktivitäten der Hindutva
vorstellen und bevor wir auf die militanten Auseinandersetzungen zwischen
den verschiedenen Religionsgruppen eingehen, werden wir an vier
traditionellen Eschatologien zeigen, welchen Einfluss die apokalyptische Matrix im indischen
Kulturkreis aufweist.
Die Lehre von den Weltzeitaltern
Nach einer in allen indischen
Religionsschulen kodifizierten Weltsicht wird (am Ende der Zeiten) der
gesamte Kosmos zerstört, um dann in einem neuen Zyklus wieder zu entstehen.
Dieser Prozess wiederholt sich bis in alle Ewigkeit. Jeder einzelne Zyklus
ist in vier Zeitalter (Yuga) aufgeteilt.
Wir befinden uns in der dunklen Epoche des Verfalls, dem so genannten Kali Yuga.
Alles begann einmal als paradiesischer Anfang im Satya-Yuga („Goldenen
Zeitalter“). Auf das goldene Zeitalter folgte das silberne (Treta-Yuga), dann das kupferne (Dvapara-Yuga) und zuletzt das eiserne, das Kali-Yuga. Alle vier Epochen zusammen werden als Maha
Yuga („Großes
Zeitalter“) bezeichnet, das 4.300.000 Jahre andauert. Da die Yuga Lehre dem Kreis von Paradies, zunehmendem Verfall
der Sitten, endgültige Zerstörung und Neuschaffung des Paradieses folgt
muss sie als eine sich ständig wiederholende Variante der apokalyptischen
Matrix angesehen werden.
Als Charaktermerkmale für das
derzeitige Kali Yuga
des Untergangs werden genannt: die Auflösung der Kasten, die Herrschaft der
Sklavengeschlechter und der Untermenschen, Promiskuität, Homosexualität,
Frauenemanzipation, Falschheit, Betrug, Kriege, geringes Alter,
Naturkatastrophen - ein ähnlicher Katalog, wie wir ihn schon in den
Endzeitprophezeiungen der monotheistischen Religionen mehrmals aufgelistet
haben. Das Dharma, das göttliche Gesetz,
ist geschwunden, das a-Dharma (Ungerechtigkeit,
Unwahrheit, Gesetzlosigkeit) beherrscht das Bewusstsein der Menschen. Die
„moderne Welt“, insbesondere der Westen, stellt sozusagen den letzten
Abschnitt des Kali Yuga dar, kurz bevor
die apokalyptische Katastrophe ausbricht.
Die Endzeit ist auch
diejenige Epoche, in der die Göttin Kali in Aktion tritt. Sie ist Herrin
der Kriege und des Todes; sie vollstreckt das kosmische Gesetz des
Untergangs. In der Ikonographie wird sie mit einer Halskette aus
Totenköpfen, einem Hackmesser oder einem Säbel in der einen Hand, einer mit
Blut gefüllten Schädelschale in der anderen und oft auf einer Leiche
tanzend dargestellt.

Bildnis
der Göttin Kali
Trotz ihres grauenhaften
Aussehens ist sie keine Dämonin, sondern wird im
Gegenteil als eine Dämonen-Bekämpferin angesehen.
Ihre Gegner sind nicht primär Menschen. Sie kämpft vor allem gegen
Anti-Götter (Asuras), die nach der
Weltenherrschaft greifen. „Manchmal gerät die Göttin Kali so in Zorn, dass
sie alle Arten von Asuras [Dämonen] tötet. [...]
Große Kriege sind symbolische Repräsentationen von der Zerstörung der Asuras und werden in unseren Tagen von der Göttin Kali
durchgeführt. In diesem Kali-Zeitalter ist die Bereitschaft zur
Barmherzigkeit fast auf Null gesunken.
Konsequenterweise gibt es andauernde Kämpfe zwischen Menschen und
Nationen.“ – meint Swami Prabhupada, Chef der Hare Krishna Bewegung. (6)
Der Vishnu
Purana
Die apokalyptische Matrix
drückt sich bei den traditionellen indischen Texten besonders klassisch im Vishnu-Purana aus einer prophetischen Vision vom
Ende des dunkeln Zeitalters. Im Kali Yuga,
so heißt es dort, haben die Menschen alles Ehrgefühl verloren. An die
Stelle der Frömmigkeit ist das Streben nach Macht und Reichtum getreten.
Das Dharma (kosmische Gesetz) wurde
zutiefst verletzt. „Die Menschen werden vollständig mit dem Erwerb von
Reichtum beschäftigt sein; und Reichtum wird nur für Selbstsucht
ausgegeben.“ (Vishnu-Purana VI, 1)
Leidenschaft ist die einzige Bindung zwischen den Geschlechtern. Man liebt
die Erde nur wegen ihrer Bodenschätze. Niedertracht beherrscht die Herzen.
Lüge ist an die Stelle der Wahrheit getreten. Die Mächtigen sind voller
Falschheit, Besitzgier und zeigen nur wenig Frömmigkeit; die
Regierungsgeschäfte liegen in Händen der niedrigen Shudra-Kaste;
die „bösen Könige“ bringen
Frauen, Kindern und Kühen den Tod. „Die (fremden) Barbaren werden im
Schutze der Fürsten stark werden.“ (Vishnu-Purana
IV, 24) Die Opferriten werden nicht mehr ausgeübt. Die Essenz des
niedergehenden Zeitalters liegt in seiner Ignoranz und „Gottverlassenheit“.
Hat der Verfall einen Tiefpunkt
erreicht, inkarniert sich erneut der Gott Vishnu.
„Wenn die von den Veden vorgeschriebenen Handlungen und die
Einrichtungen des Gesetzes aufgehört haben und der Abschluss des Kali Yuga nahe sein wird, dann wird ein Teil jenes
göttlichen Wesens, das aus seinem eigenen geistigen Wesen im Brahma
existiert, und welches der Anfang und das Ende ist, das alle Dinge
begreift, auf die Erde herabsteigen.“ (Vishnu
Purana IV, 26) Geboren wird der kommende Vishnu aus einer Brahmanenfamilie
in einem Dorf mit dem Namen Shambhala. Es ist
seine 10. Inkarnation. Der militante Erlösergott hat schon in früheren
Zeiten unter anderem in der Gestalt von Tieren (als Löwe, als Eber) aber
auch als Krishna, als Rama und als Buddha die Menschheit von dämonischen
Mächten befreit. Am Ende des Kali Yuga wird unter
dem Namen Kalki erscheinen. Der Bedeutungshalt
dieses Namens erfährt mehrere Interpretationen. Er soll heißen: „Der
Zerstörer von dem, was faul ist“. (7) Nach anderer Meinung bedeutet er „aus
Eisen“ oder „Maschine“. (8) Dieser „Eisen-Mann“ oder „Maschinen-Messias“
ist ein „Avatar“, eine Manifestation des höchsten
Gottes. Reitend auf einem Schimmel, in der Hand ein Schwert, das „leuchtet
wie ein Komet“, wird er die Bösen und Barbaren töten und die Reinheit
des Kosmos wieder herstellen.
Es kommt zu einer
apokalyptischen Endschlacht: „Durch seine unwiderstehliche Gewalt wird
er die Mlecchas [d. h. die Barbaren, heute
steht das Wort häufig für die Muslime, die Einwohner Mekkas] und Diebe
und all die, deren Sinn auf Unrecht gerichtet ist, vernichten.“ (Vishnu-Purana III, 6-9) Ganze Kontinente
versinken während der Endzeitkriege und tauchen danach wieder empor. Auch
im indischen National-Epos Mahabharata ist
der Kalki erwähnt. Dort heißt es von ihm: „Und
er wird Zerstörer von allem sein und ein neues Yuga
einleiten. Und umgeben von Brahmanen, wird dieser Brahmane alle Mlecchas ausrotten, wo immer diese niedrigen und
verächtlichen Geschöpfe Zuflucht suchen.“ (Mahabharata
III, 189) Als Weltenherrscher (Chakravartin) errichtet er sein Imperium über die ganze
Erde, um die ursprüngliche sittliche Ordnung wiederherzustellen. Einige
behaupten, er werde einen Zyklus des Friedens schaffen, der 10.000 Jahre
andauert. (9) „Den Menschen, die durch diese besondere Zeit verändert
werden, wird ein neues Menschengeschlecht entsprießen, das die Gesetze des Krita-Yuga [des goldenen Zeitalters] verfolgen
wird.“ (Vishnu-Purana III, 6-9)
Schon vor dem ersten
Weltkrieg wurde die apokalyptische Kalki-Prophezeiung
von nationalistischen Befreiungsbewegungen in Indien politisch aufbereitet,
um gegen die englischen Kolonialisten mobil zu machen. So richtete sich
damals eine Artikelserie in einer bengalischen Zeitung an „das Heer von
jungen Leuten, die die Nrisinha-
[Mannlöwen] und die Varaha- [Eber] sowie
die Kalki-Verkörperungen von Gott sind,
die das Gute retten und das Böse vernichten. Die Kalki-Inkarnation
ist diejenige, in welcher Vishnu kommen und
Indien von den Ausländern befreien wird.“ (10)
Dagegen gilt der Kalki-Mythos für Inder, die gegen das Brahmanentum und
die von diesem geforderte Kastenordnung opponieren, als eine Erfindung der
Priesterkaste, um die Unterschichten einzuschüchtern und zu versklaven. Es
handele sich dabei um ein für politische Machtzwecke instrumentalisiertes
Phantasma, schreibt der kastenlose Intellektuelle Sankar
Murugappan. Schon für die Jahre 1962, 1984 und
2000 hätten Anhänger des Mythos die Erscheinung des Gottes Vishnu (Kalki) vorausgesagt.
Nichts Derartiges sei geschehen. „Vishnu ist der
Gott des Brahmanismus und des Faschismus und der Vishnu-Kult
ist, zusammen mit seinem Vorgänger, die Religion der Veden, die Quelle, von
der aus das Gift der Apartheid und des Rassismus über die ganze Welt
gestreut wurde.“ – meint Murugappan. (11)
Kürzlich erregte ein in Hindi
veröffentlichtes Buch mit dem Titel Kalki
Autar die indische Öffentlichkeit. Der Autor,
Vaid Parkash, versucht darin nachzuweisen, dass
kein geringerer als der muslimische Prophet Mohammed der im Vishnu-Purana vorausgesagte Kalki
sei. Dieser sei also schon vor ca. 1.400 Jahren erschienen. Die Hindus
brauchten nur zum Islam konvertieren und das „Goldene Zeitalter“ könne
beginnen. Als Begründung für seine These wird unter anderem angegeben, nach
den Hindu-Prophezeiungen sei der Kalki der
„letzte Gottgesandte“, was auch von Mohammed gesagt werde. Der Prophet habe
sich ebenso wie der Kalki von Datteln ernährt und
unter Palmen gerastet. Im Vishnu-Purana seien wie im Koran alle Krieger nur mit traditionellen Waffen, mit Schwert,
Speer und Bogen ausgerüstet. Der Vishnu-Purana könne sich als nicht auf die Jetztzeit und
ausstehende Zukunft, in der Kriege mit modernen Waffentechniken geführt
würden, beziehen. (12) Von Hindu-Seite wurde dieses Buch (Kalki Autar),
wohl mit Recht, als eine verdeckte muslimische Propagandaschrift attackiert.
Die
Bhagavatgita
Weit bekannter, populärerer
und politisch brisanter als der Vishnu Purana ist die Bhagavadgita.
Das Wort bedeutet „Lied des Göttlichen“. Es handelt sich um einen Dialog
zwischen dem Feldherrn Arjuna und dem Gott
Krishna (ebenfalls einer Inkarnation von Vishnu),
der West und Ost gleichermaßen fasziniert hat. Die Bhagavadgita ist ein Segment,
des weit umfassenderen indischen „National-Epos“ Mahabharata.
Hier eine kurze Zusammenfassung des Inhalts: Der Feldherr Arjuna steht den Angehörigen seiner Sippe, seinen
Brüdern und Verwandten in einer Schlachtreihe gegenüber. Die beiden
verfeindeten Heere sind groß und stark. Arjuna
zögert, mit dem Gemetzel zu beginnen, weil er dadurch gezwungen wäre,
diejenigen, die er einstmals geliebt hatte und immer noch liebt, töten zu
müssen. Aber da spricht Krishna, die Inkarnation des Gottes Vishnu, zu ihm und ermahnt ihn, dass es seine
metaphysische Pflicht sei, als Krieger in den Kampf zu treten. Da die Welt
eine Illusion sei, sei auch der Tod seiner Verwandten in Wahrheit nur
Schein. Arjuna ist zwischen Emotionen und
Mitgefühl auf der einen Seite und kriegerischem Pflichtauftrag auf der
anderen hin und her gerissen und entscheidet sich schließlich für den
Bruderkrieg. Dieser endet mörderisch für alle Parteien. Es gibt nur
Verlierer.
Der Krieg und das Töten
werden in der Bhagavadgita zum
Selbstzweck, zur absoluten Pflicht, zum kategorischen Imperativ. „Behalt im
Auge Deine Pflicht und wanke nicht. Nichts gibt es Höheres für den Krieger
als den Kampf, der ihm als Pflicht ist auferlegt. Glücklich sind die
Krieger, denen das Schicksal einen solchen Kampf beschert. Es ist das Tor
zum Himmel, weit geöffnet.“ – erklärt Krishna dem Arjuna.
(13) Indem er erkennt, dass die zerstückelten Leiber der von ihm Erschlagenen
nur die endlichen „Ausstrahlungen der Materie“ sind, hinter der sich der
ewige unzerstörbare „Seinsgrund“ (purusha)
verbirgt, muss er alle irdischen Schlachtfelder als reine Illusion ansehen.
„Wer meint, dass Jener [der purusha] töte oder getötet werde, der ist im Irrtum
beiderseits. Denn Jener tötet nicht, noch wird er je getötet.“ (14) Getötet
werden „nur“ die Leiber, und diese sind vom Krieger zu vernichten, damit er
höhere Erkenntnis erlangen kann. „Der Kämpfer, der töten muss, wird also
dadurch nicht zum Zerstörer des Menschen, er ist nur das ausführende Organ
des Geschehens im Weltlauf.“ (15) Auch vor der Vernichtung des eigenen
Leibes, darf der Krieger nicht Halt machen, auch diesen muss er auf dem
Altar der Götter darbringen: „Unrecht ist es für den Krieger, zu Hause zu
sterben; in der Schlacht zu sterben ist des Kriegers ewige Pflicht.“ (16)
Nichts Höheres kann ein
wahrer Krieger anstreben als das Töten um des Tötens willen. Deswegen
widerspricht es den heiligen Gesetzen der Kshatriya-Kaste,
irgendeinen persönlichen Vorteil aus dem Blutvergießen zu ziehen: „Mit dem
Werke hast du es zu tun, niemals mit der Frucht der Werke. Sei keiner von
denen, die um des Nutzens Willen handeln.“ – spricht Krishna zu Arjuna. (17) Die Frage wofür gekämpft wird und die
Mittel, mit denen gekämpft, sind ohne Belang. Von Bedeutung ist nur, dass
gekämpft und dass getötet wird.
Krieg ist Opfer und
Weihehandlung, Krieg ist blutiger Gottesdienst. Er wird deswegen als
Eucharistie erfahren, als sakramentale Vereinigung mit der Gottheit. Wenn
der Kshatriya das eigene Blut mit dem seiner
Feinde vermischt, findet die unio mystica statt, die in einer Lichtflut kulminiert: „Ich schaue dich mit der Krone, mit der
Keule und dem Diskus als eine Glanzenergiemasse, die nach allen Seiten hinstrahlt, dich, den schwer zu Schauenden, den Glanz
von Feuerflammen und von Sonnen, den Unermesslichen.“ – in dieser
Gestalt sieht Arjuna den Krishna. (18) Aber das
Sonnenantlitz des Gottes ist ein Symbol des gnadenlosen Tod: „Ich bin der mächtige Tod, hierher gekommen zur Vernichtung. Darum auf, erwirb dir
Ruhm, besiege deine Feinde und tritt die hohe Herrschaft an. Von mir sind
diese alle schon im Voraus getötet. Du sei das Werkzeug nur, du
Linkshändiger.“ – sagt Krishna zu Arjuna.
(19) Die Bhagavadgita
gibt vor, dass durch die „Tatkraft“
des Kriegers Erleuchtung erlangt werden kann. Kampf und Schlacht werden
deswegen zum ultimativen Initiationsweg.
Alle Versuche, die Bhagavadgita zu pazifizieren
oder zu verinnerlichen, wirken willkürlich. Sie sind naiv und auch
unverständlich, denn der Text legitimiert klar und eindeutig das Töten und
den Krieg in der Außenwelt. „Was das Töten betrifft“ - schreibt ein
gewisser Jaya Kumar, der sich darum bemüht, die
Kriegerphilosophie der Bhagavadgita
im Westen zu verbreiten - „so kann unser geistiger Wesengrund,
das was wir wirklich und ewig sind, weder selbst erschlagen noch erschlagen
werden, es wechselt Körper wie Kleider, der Tod ist nichts wirklich
Tragisches. Der höchste Wert irdischen Daseins ist Pflichterfüllung, frei
von schwächlicher Verhaftung und Erwartungen. Die Bhagavadgita verkörpert die
höchste Essenz des indischen Denkens, und seine gleichzeitig tiefste und
leichteste Einführung. Die pazifistische Tendenz, die Wirklichkeit des
äußeren Kampfes gegen das Böse zum bloßen Symbol für den inneren Kampf des
geistig Suchenden abzuwerten, übersieht nicht nur die spirituelle Dimension
des historischen Mahabharata
Krieges, sondern die eventuelle Notwendigkeit für ähnliche Konfrontationen auch
in der Zukunft.“ (20)
Eine bedeutende Expertin des
indischen Kulturkreises, Wendy Doniger O
Flaherty, Professorin für Religionsgeschichte an der Universität Chikago, kommt zu dem Schluss: „Die Bhagavadgita
ist kein niedliches Buch wie es einige Amerikaner glauben. In der ganzen Mahabharata [...] stachelt Krishna menschliche
Wesen zu allen Arten von mörderischen und selbstzerstörenden Handlungen
auf. [...] Die Gita ist ein ehrloses Buch, sie rechtfertigt den
Krieg. Ich bin ein Pazifist. Ich glaube nicht an ‚gute’ Kriege.“ – sagt die
Indologin. (21)
Dennoch ist Bhagavadgita
im eigentlichen Sinne keine Apokalypse. Sie erschöpft sich darin, die Welt
als Illusion darzustellen und so fehlt ihr das messianische Element und das
Versprechen eines irdischen Friedensreiches. Nicht einmal der Kampf
zwischen Gut und Böse ist Inhalt der Bhagavadgita. Sie steht
jenseits aller moralischer Überlegungen und fordert den Krieg um des
Krieges willen. Es gibt aber zahlreiche Versuche das absolute Kriegerethos
dieses Lehrgedichts mit apokalyptischen Visionen aus anderen Texten (wie
zum Beispiel den schon erwähnten Vishnu-Purana) zu kombinieren.
Das Ramayana
Von allen klassischen Epen
Indiens ist das Ramayana das Beliebteste.
Als 1987 das indische Fernsehen die Geschichte des Gottes Rama in einer
Serie ausstrahlte, wurde diese von vielen Millionen mit höchster Spannung
angesehen. Niemals vorher hatte sich eine so große Anzahl von Indern um ein
einziges kulturelles Ereignis gruppiert. Die Sendungen, so berichten
Beobachter, wurden von vielen wie ein Gottesdienst zelebriert. Menschen
vollzogen rituelle Reinigungen, bevor sie das Programm anschalteten, und
schmückten ihr TV-Geräte mit Blumengirlanden. (22)

Das Ramayana
übt von allen indischen Epen den größten Einfluss auf die Religiöse
Rechte des Landes aus. Hier in einer kurzen Zusammenfassung der Inhalt:
Dasaratha der König von Ayodhya
hatte vier Söhne. Einer von ihnen war die Inkarnation des Gottes Vishnu, den die Götter auf die Erde geschickt hatten,
um sie von der Tyrannei des Dämonen Ravana zu
befreien. Er trug den Namen Rama. Schon als junger Mann zeichnete sich Rama
durch seine heroischen Taten aus. Er gewann die schöne Sita als Frau, weil
er bei einem Wettstreit seine übermenschliche Kraft demonstrierte und den
Bogen des Shiva zerbrach, der als unzerbrechlich galt. Aufgrund einer
Intrige musste er jedoch auf den Thron verzichten und mit Sita 14 Jahre
lang in der Verbannung verbringen. Beide ziehen sich in die Wälder zurück.
Eines Tages gelingt es dem mächtigen Dämon Ravana,
Sita zu entführen. Unterstützt von dem heldenmutigen Affenkönig Hanuman entfesselt Rama einen gewaltigen Krieg gegen Ravana. Er zieht nach Sri Lanka, wo der Dämonenfürst seinen Regierungssitz hat. Die Insel ist
die Heimat der Rakshasas, fürchterliche
Ungeheuer. Mit seinem Affenheer baut Hanuman eine
gigantische Brücke, die den Subkontinent mit Sri Lanka verbindet. Eine
Invasion wird nun möglich. Es kommt zu einer blutigen Schlacht mit den
Dämonen, in der Ravana besiegt wird. Rama gewinnt seine Frau Sita zurück und kann
mit ihr zusammen den Thron zu besteigen.
Auch das Ramayana
ist im eigentlichen Sinne keine „Apokalypse“, ebenso wenig wie die großen
griechischen Epen die Ilias und
die Odyssee, mit denen es oft
verglichen wird. Es spricht von einer Geschichte aus der Vergangenheit und
hat keinen eigentlichen prophetischen Charakter. Das heißt jedoch nicht,
dass das Ramayana
keine endzeitlichen „Elemente“ in sich trägt, insbesondere weil es in einem
kosmogonischen Kampf zwischen Gut und Böse kulminiert. Zudem gilt Rama, als
eine Inkarnation Vishnus und ist damit per se
ein Weltenretter, der von den Göttern gesandt wurde, um die Menschen von
der Herrschaft der Dämonen zu erlösen. In die Zukunft projiziert bietet das
Epos deswegen genügend Material, um es als Endzeittext umzuinterpretieren,
wovon die Religiöse Rechte Indien
auch ausgiebig Gebrauch macht.
Eine wichtige Rolle spielt das Ramayana als Anleitung und
als Orientierung in der indischen Wertedebatte. Eine schöne
Liebesbeziehung, geradezu eine Romanze, eine ideale Ehe, die Achtung der
Kinder vor den Eltern, das Hohelied der Freundschaft, die Bejahung des
Alltags, Generosität und Dankbarkeit sind Inhalte dieses Textes. So trägt
das Ramayana
(im Gegensatz zur Bhagavadgita),
neben seinen kriegerischen Schilderungen, auch eindrucksvolle humanistische
Züge. Verglichen mit den christlichen und islamischen Endzeittexten, aber
auch mit dem Vishnu-Purana geht es nicht
nur um Krieg und Erlösung, sondern auch um die Gestaltung eines moralisch
bewussten und emotional schönen Familienlebens.
Vor seiner Funktionalisierung
durch die Politik war Rama deswegen mehr ein Symbol der guten Sitten und
auch des Liebe zwischen Mann und Frau. Nach seiner Apotheose als
Symbolfigur der Religiösen Rechten ist er jedoch primär zu einem
Kriegsgott geworden, zum Protagonisten eines militanten Nationalismus und
kriegerischen Messianismus. (23) Eine
der Ursachen hierfür ist sicher die Sage, dass der Gott das ganze Land von
den Himalajas bis zur Insel Sri Lanka unter seiner Herrschaft als sakraler
König vereinte. Jedenfalls werden in Kreisen der Hindutva die martialischen
Inhalte des Epos ganz in den Vordergrund gestellt. „Unter den Waffenträgern
bin ich Rama!“ – sagt Krishna in einem Kapitel der Bhagavadgita.
Rama wird in diesem Sinne als der Prototyp des göttlichen Kshatriya (Kriegers) angesehen und als „charismatischer Führer, herabgestiegen
auf die Erde zur Vernichtung der Dämonen und zur Schaffung einer idealen
Gesellschaft“. (24)
Die Popularität Ramas hat dazu geführt, dass er heute den Status eines
quasi universellen Erlösergottes erhält, der die Gesetze des Kosmos ebenso
bestimmt wie die der Politik. Krishna wird vor allem im Norden Indiens
verehrt, Rama dagegen ist pan-indisch und
überwindet die Nordsüdtrennung. Er eignet sich deswegen besser als
Integrationsfigur. (25) Rama, lesen wir bei dem schon zitierten Jaya Kumar, vertritt einen „wiedergewonnenen arischen
Kriegergeist“, um „sich mit der Zerstörung höherer dämonischer Mächte zu
befassen, die von einem anderen Planten aus die Werke von Göttern, Heiligen
und anderen friedfertigen Wesen bewusst sabotieren.“ (26) So spricht heute
die Hindutva von Rama als dem
personifizierten Dharma, d. h. von einer
personalen Inkarnation des göttlichen Gesetzes. Übrigens genießt der Gott
auch in anderen Ländern Asiens (Nepal, Indonesien, Thailand, Bali) eine
große Verehrung und eignet sich deswegen ganz besonders als ein
imperialistischer Vorkämpfer für eine südasiatische Hindutva
vom Himalaja bis nach Indonesien.
Politische Gegner der Religiösen Rechten behaupten, das Ramayana diene dagegen als militante Ideologie
gegen die niederen Kasten. Konsequenterweise wird für sie Ramas Gegenspieler, der Dämon Ravana,
zum Heroen des Aufstandes und zur Erlöserfigur der Unterschichten. Ravana habe den Versuch gemacht, von seiner Basis in
Sri Lanka aus, die Herrschaft der arischen Brahmanen (Priester) und Kshatriyas (Krieger) in Indien zu brechen. Als das
misslang, konnte sich die Kastensystem über ganz Indien ausbreiten: „Mit
der Tötung Ravanas wurden die Kastenlosen Südindiens
durch die brahmanischen Arier erobert. [...] Viele brahmanische Rishis [Heilige] wanderten aus dem Norden nach ganz
Südindien, das im Grunde eine kastenlose Gesellschaft war. Es wurde in eine
Kastengesellschaft transformiert und die Brahmanen errichteten ihre
ideologische Herrschaft über ganz Südindien.“ – schreibt Kancha Ilaiah in einer
scharfen Polemik gegen die Hindutva Philosophie.
(27)
Die Religiöse Rechte Indiens (Parteienspektrum)
1925 gründete Keshav Baliram Hedgewar die RSS (Rashtriya
Swayamsevak Sangh –
Hindu Heim Truppen). Von Beginn an orientierte er sich am Ramayana. So wählte er den Jahrestag, an dem
Rama den Dämonenkönig Ravana
besiegt haben soll, als Gründungsdatum für die RSS. Auch die anderen
Festtage, welche die Organisation feiert, richten sich nach Ereignissen,
die im Ramayana erwähnt werden.
Die RSS war und ist bis heute
eine paramilitärische Organisation. An der Spitze steht der Sarsanghchalak, der in der Satzung als „Führer und
Philosoph“ bezeichnet wird. Manchmal spricht man ihn auch als „Guru“ oder
gar als „Avatar“ an, d. h. als eine Inkarnation
des Gottes Vishnu. Nur ein Angehöriger der Brahmanenkaste mit blauen Augen darf dieses Amt
bekleiden. Erster Sekretär der RSS war V. D. Savarkar,
der 1922 mit seinem berühmten Buch Essentials of
Hindutva die ideologischen und theoretischen
Grundlagen für die neue religionspolitische Bewegung legte. Er ging von
drei Faktoren aus, welche die Identität eines Hindus ausmachten: Land, Blut
und Kultur. 1940 wurde M. S. Golwakar, der enge
Beziehungen zum europäischen Faschismus pflegte, zum Chef der RSS. Heute
liegt das Amt in Händen von Shri K. S. Sudarshan. Der Sarsanghchalak
(„Führer“) wird nicht von der RSS-Basis gewählt, sondern von seinem
Vorgänger bestimmt. Das macht die Organisation zu einem undemokratischen,
autoritativen Verband.
Jawaharlal
Nehru und andere indische Politiker sahen in der RSS eine indische Variante des Faschismus. Dies ist „ideologisch“ auch nachzuweisen,
aber da sich die Organisation bisher mehr oder weniger an die
demokratischen Spielregeln gehalten hat, erscheint eine solche Beurteilung
etwas zu überzogen. Die RSS ist
jedoch auf jeden Fall als ultrarechts bzw. als
eine Organisation der Religiösen
Rechten zu bezeichnen. Im August 2004 erklärte Arjun Singh, Minister in
der neu gewählten indischen Regierung, „dass die Philosophie des Hasses und
der Gewalt, auf die die RSS eingeschworen ist, den Mahatma [Gandhi] getötet
habe“. (28) Nathuram Godse,
der 1948 Gandhi ermordete, war ein fanatischer Anhänger der Hindutva und
ehemaliges Mitglied der RSS, aber vor der Tat aus der Organisation
ausgetreten. Singh wirft denn auch der RSS nicht den Mord an Gandhi vor,
sondern rekurriert auf die „Philosophie des Hasses“, die zu der Tat geführt
habe. Eine ähnliche Meinung vertritt Sonja Gandhi. „Als die Erbauer unserer
Nation für die Freiheit des Landes kämpften, spuckten die RSS-Leute das
Gift des Separatismus in die Gesellschaft.“ – sagte die Chefin der
Kongresspartei. (29)
Die BJP (Bharatiya
Janata Party – Indische Volkspartei) gilt als
der politische Flügel der RSS. Sie nimmt aktiv am Leben der indischen
Demokratie teil. Von 1998 bis 2004 stellte sie mit Ministerpräsident Atal
Vajpayee die Regierung. In der BJP gibt es extrem rechte Ansichten, aber
dennoch erwies die Parteispitze eine große Flexibilität und eine
Bereitschaft zum Kompromiss. Vajpejee zählte zum
liberalen Flügel, dagegen repräsentierte sein Innenminister Lal Krishna Adavani einen
Eiferer, der kein legales Mittel ausließ, um die indische Gesellschaft zu „hinduisieren“. Tatsache ist, dass die BJP trotz ihrer
Rechtslastigkeit, Erfolge in der Wirtschaft und in der internationalen
Politik aufweisen konnte und sogar Friedensgespräche mit Pakistan
einleitete. Ideologisch kann sie nicht
als puristisch bezeichnet werden, sondern sie ist eher ein Sammelsurium von
Ideen, unter denen sich einige Einander aufheben.
Es wäre deswegen noch
falscher wie im Falle der RSS die BJP schon als faschistisch zu bezeichnen,
aber sie trägt sowohl ideologisch als auch organisatorisch das Potential in
sich, jeden Augenblick in einen religiösen Faschismus umzukippen. Mit
diesem ultrarechten Milieu, das sich bis zu apokalyptischen
Wahnvorstellungen aufheizen kann, setzen wir uns hier auseinander.
Vor allem kulturell orientiert
ist der Welt-Hindu-Rat (VHP – Vishwa
Hindu Parishad). Er sieht sich als die
„geistige“ Kraft hinter der Hindutva. Der
Initiator war Swami Chinmayananda, der den Rat
1964 ins Leben rief. Mitgegründet wurde die
ultra-konservative Organisation übrigens vom XIV. Dalai Lama. Sie vertritt
gegenüber dem Islam und dem Christentum extrem militante Positionen. Auch
der VHP hat einen militärischen Flügel mit dem Namen „Bajrang
Dal“.
Daneben gibt es noch
radikalere Organisationen der Religiösen
Rechten. Zum Beispiel Shiv Sena
(SS), die sich als Kshatriya Armee des Gottes
Shiva versteht (Shiv Sena = Shivas
Armee). In ihr werden extrem rassistische Anschauungen vertreten.
Ursprünglich entstammt sie einer Abspaltung der Kongresspartei. Ihr Führer,
Bal Thackeray, fordert eine „wohlwollende
Diktatur“ für Indien. Der Shiv Sena
werden von ihren Gegnern zahlreiche politische Morde vorgeworfen.
Als eine Art lockere
Dach-Organisationen für die verschiedenen rechtsreligiösen Strömungen
versteht sich der Sangh Parivar („Hindu Familie“). Er beschäftigt
insbesondere auch mit dem Erziehungswesen. In den Sangh
Parivar Schulen wird eine Landkarte benutzt in
der neben Pakistan, Bangladesh, Myanmar (Birma)
auch Tibet als Teil eines indischen Imperiums eingezeichnet ist. (30)
Im 2004 gewannen Sonja Gandhi
und Manmohan Singh überraschenderweise die Wahl
und brachten erneut die Kongresspartei und damit die „Modernisten“ und Säkularisten an die Macht. Die BJP protestierte, es
handele sich dabei um eine Verschwörung von Marxisten, Christen und
Muslimen. Tief enttäuscht von der Entscheidung des indischen Wahlvolkes
schrieb der Vorsitzende der rechtsradikalen Organisation Hindu Unity, Rohit Vyasmaan: „Oh ihr schamlosen Hindus! Lasst euch nur
vergewaltigen, berauben und konvertieren durch das neue Sonja Regime in
Indien. Bereitet euch darauf vor, eure Töchter den Muslimen zu geben, eure
Frauen den Christen und euer aufgeblasenes Selbst den Kommunisten. Geht und
heißt die Rückkehr der Europäer nach Indien mit offenen Armen willkommen
oder macht euch ernste Gedanken über die Wiedereinführung eines muslimischen
Königreiches.“ (31)
Große Aufregung herrschte
auch, als Minister Arjun Singh gleich nach Antritt der neuen Regierung
forderte, die mit Hindu Propaganda verseuchten Schulbücher wegen ihrer
„Geschichtsfälschungen“ aus dem Verkehr zu ziehen: „Wenn unter Säkularismus
verstanden wird“ – reagierte eine der RSS nahe stehende Website – „all das,
wofür das alte Indien steht und wofür es respektiert wird, in Misskredit zu
ziehen, dann ist Arjun Singh ganz besonders ‚säkularistisch’.
Denn für ihn ist alles, was das Besondere an Indien ausmacht, sei es die Bhaghavadgita
oder die Upanishaden,
das Ramayana oder das Thirukkural
(32) ein Anathema. Um den Säkularismus zu retten, hat er die Upanishaden,
die Gita und das Thirukkural
und ähnliche Texte aus dem Blickfeld unserer Schuldkinder verbannt. Denn
für ihn sind sie Schmutzflecken, die das säkulare Indien schwächen.
Indische Kinder sollen vor den Rishis und den
Weisen Indiens gerettet werden.“ – heißt es auf einer Website. (33)
Radikale Mitglieder der RSS
kündigten an, sie würden jetzt ihre Straßenkämpfe wieder aufnehmen. „Die
BJP mag ihre Macht verloren haben, aber die Hindutva ist nicht tot.
Aktivisten des Hindu-Nationalismus werden sich gegen die Regierung stellen
und sie herausfordern, wahrscheinlich durch kommunale Gewalt, um ihre
Entschlossenheit zu testen.“ (34) Sprecher der Partei fordern die Rückkehr
zur „Hindutva der Muskeln“ (muscular Hindutva). (35)
Die indische Theokratie:
der Chakravartin
1997 gab Bal
Thackery von der radikal-religiösen Shiv Sena Partei ein Interview, in dem er forderte:
„Zur Hölle mit der Demokratie. Die Demokratie hat [Indien] ruiniert.“ (36)
Als Alternative hierzu wird schon seit Jahren von der religiösen Rechten
ein theokratisches Modell in die Debatte gebracht.
An der Spitze traditioneller
indischer Staates stand ein Priesterkönig. Er vertrat den Dharma, das kosmische Gesetz, und wurde deswegen
Dharmaraja („König des Dharmas“)
genannt. Dieser König war immer mit einer hohen Gottheit verbunden und galt
als deren Inkarnation. Er wurde deva, d.
h. „göttlich“ genannt.
Die höchste Stufe eines
sakralen Königs ist der „Chakravartin“, übersetzt
bedeutet das „Raddreher“. Gemeint ist das Rad des göttlichen Gesetzes, das
von einem Weltenherrscher „gedreht“ wird. Dabei handelt es sich um den Weltenkönig.
„Er ist der höchste Herr der Erde von einem Ozean zum anderen.“ –“Er
regiert nach seinem eigenen Willen selbst die Königreiche der anderen
Könige.“ – „Er ist der einzige Herrscher, denn er ist der Herr der ganzen
Erde.“ – heißt es in verschiedenen traditionellen Texten. (37) Der Chakravartin ist Träger sowohl der spirituellen wie der
politischen und militärischen Macht. Er ist der einzige Gesetzgeber. Er
besitzt die Kraft des Gesetzes (dharmabala).
Alle oben erwähnten Inkarnationen Vishnus (Krishna,
Rama) symbolisieren das Ideal dieses einzigen Souveräns und werden deswegen
ebenfalls Chakravrtin genannt.
Der erste RSS Sekretär V. D. Savarkar bezeichnete die „Institution des Chakravartin“ als die „politisch wichtigste Idee“ des
alten Indiens. (38) Insbesondere betonte er den imperialistischen und
militaristischen Aspekt des Weltenherrschers. Als mythische Orientierung
für eine Eroberung der Welt gilt ihm die Unterwerfung des asiatischen
Subkontinents durch den Gott Rama „Schließlich fand und erreichte die große
Mission, die von den Sindhus [Hindus] unternommen
wurde, um eine Nation und ein Land zu gründen, ihre geographische Grenze,
als der Prinz von Ayodhya [d. i. Rama] seinen
triumphierenden Einzug in Ceylon hielt und in dieser Zeit das ganze Land von
den Himalajas bis zum Meer unter eine einzige souveräne Herrschaft
brachte.“ (39) Rama ist für Savarkar ein
„Welteroberer“, der das Hindu-Imperium letztlich über den ganzen Planeten
errichten wird. Gerade aus diesem Aspekt wurde die siebte Inkarnation des
Gottes Vishnu (Rama) zum Parteigott der RSS und
BJP erhoben.
Heute wird die Idee von einer
Weltherrschaft der indischen Religionssysteme jedoch vorerst nur kulturell
begründet: „Das Hindu Bewusstsein repräsentiert den ältesten und
kontinuierlichsten Strom des bewussten Intelligenz auf dem Planeten“ –
schreibt David Frawley, ein bekannter westlicher
Propagandist der Hindutva. (40) Den Anspruch auf
Globalisierung des Hindutums ergebe sich aus
seinem religiösen Pluralismus: „Hinduismus ist die bedeutendste
pluralistische Religionstradition der Welt. Sie basiert auf der Erkenntnis,
dass es eine Wahrheit aber viele Wege gibt. Sie basiert nicht auf einem
einzigen Erlöser, einer Kirche oder einem Heiligen Buch. Es gibt
wahrscheinlich mehr Religionen innerhalb des Hinduismus als außerhalb
davon. In seiner großen Umarmung können gefunden werden Monotheismus,
Polytheismus, Dualismus, Monismus, Pantheismus und selbst Atheismus.“ (41)
Jedoch sollte man sich vor diesem Pluralismus hüten, denn zu den
Programmsätzen eines „modernen“ indischen Theokratie zählen unter anderem:
Die Wiedereinführung des Kastensystems, die (freiwillige)
Witwenverbrennung, der Aufbau einer unschlagbaren Armee
Der
Heilige Krieg gegen die Dämonen (Asuras)
Zuerst unterstützte die Hindu-Rechte
Mahatma Gandhi. Sie schätzte dessen asketischen Lebensstil und seinen
Vegetarismus. Hohe Achtung genoss er auch in diesen Kreisen, weil er den
Namen des Gottes Rama zu seinem Hauptmantra gemacht hatte, das er täglich
mehrmals wiederholte. Aber schon bald wurde er zur Zielscheibe wegen des
von ihm vertretenen „Ahimsa-Prinzip“ der
Gewaltlosigkeit. Die Religiöse Rechte stellte das „Himsa-Prinzip“
dagegen, was soviel bedeutet wie „Militanz“ und
„Energie“. Viele Stimmen aus diesem Milieu behaupteten, Gandhis Ahimsa-Philosophie sei unindisch
und stamme aus dem Christentum. Insbesondere auch seine Toleranz gegenüber
den Muslimen als Schwäche gedeutet.
Der ideologische Kopf der Hindutva, V. D. Savarkar,
kritisierte den Mahatma scharf, weil er aus den Hindus eine „verweichlichte
Rasse“ geschaffen habe. Die „Verweiblichung der
Männer“ und wie diese wieder rückgängig gemacht werden könne, ist ein
großes Thema in der Religiösen Rechten. Man wirft den britischen
Kolonialisten vor, sie hätten bewusst die Muslime als „Kriegerkaste“
herausgestellt und gefördert, die Hindu-Männer aber hätten sie als
„Waschweiber“ präsentiert. Auch Gandhi habe ständig und weltweit mit seiner
Politik der Gewaltlosigkeit dazu beigetragen, dass Indien als eine Nation
von Feiglingen angesehen wird. „Gandhi war durch und durch Pazifist, ohne
Gewissensbisse und Skrupel. Seine ständigen Predigten zu seinen
Hindu-Anhängern, zu allen Zeiten gewaltlos zu sein, sogar angesichts der
Aggression, paralysierte geistig und körperlich Indiens Männer in einem solchen
Umfang, dass sie zu einer degenerierten, fügsamen, unterwürfigen und
sklavischen Rasse auf Erden wurden (und das immer noch sind).“ – schreibt
der als „gefährlich“ eingestufte rechtsradikale Fanatiker Rohit Vyasmaan. (42)
Wer den Krieg ablehnt und sich
nicht als Mann darauf vorbereitet gilt nicht nur als ein Feigling, sondern
entzieht sich zudem noch einer sakralen Pflicht, denn jeder Krieg der Hindutva ist „heilig“, sowie er in den Traditionellen
Texten beschriebenen wird, ein Krieg zwischen Gut und Böse, Wahrheit
und Lüge, Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit, Dharma
(göttliches Gesetz) und A-Dharma (Chaos), Götter
(Devas) und Dämonen (Asuras),
Heroen und Bösewichter. Der fundamentalistisch eingestellte amerikanische Vedenforscher David Frawley
(indischer Name: Vamadeva Shastri)
hat mit sehr klaren Worten herausgestellt: „Im Gegensatz zu dem modernen Ghandischen Stereotyp war der klassische Hindu-Weg sich
mit Rakshasas und Asuras
(Leuten mit einem egoistischen und gewaltsamen Temperament) auseinander zusetzen niemals einfach Ahimsa
(Gewaltlosigkeit). Er konnte in der Tat sehr aggressiv sein. [...] Wenn man
mit feindlichen und gewalttätigen Opponenten umgehen muss, wird eine
gänzlich unterschiedliche Handlungsweise gefordert. Asuras
verlangen danda (Bestrafung). Lasst uns
nicht die vielen Epen und Geschichten aus den Puranas
vergessen, in denen Götter, Göttinnen und Avatare
die Asuras [Dämonen] bekämpfen und
besiegen. [Es gibt kein Beispiel dafür], dass den Asuras
einfach vergeben werde und dass sie ihres Weges ohne Bestrafung gehen
dürften. [...] Es gibt nur einen Weg um sich mit Asuras
in der richtigen Art und Weise auseinander zusetzen,
man muss sie Schmerzen fühlen lassen. Der Asura-Typ
hat ein materialistisches Bewusstsein, der Schmerz muss deswegen materiell
zugefügt werden, Schmerzen für ihren Körper, Schmerzen für ihre Wohnstätten
und ihren Besitz. Die Schmerzen müssen dort auftreten, wo sie leben. [...]
Moderne Hindus müssen wieder mit Stolz himsa
[also nicht Ahimsa = Gewaltlosigkeit] kultivieren
und eine Politik, die dem Feind wehtut. [...] Sie müssen ihre Feinde auf
der Ebene angreifen, auf der ihre Feinde wirklich etwas fühlen und mit den
Waffen unseres Zeitalters. Einige der hohen metaphysisch moralischen
Gründe, zu denen viele Hindus greifen, bewirken nichts als Eskapismus.
Obgleich Hindus weiterhin Rituale, Gebete, Mantras und Meditationen für den
Frieden praktizieren sollten, sollte das nicht zum Ausschluss mehr
direkterer Aktionsformen in der materiellen Welt führen. Das Gandhische Prinzip der Barmherzigkeit [...] ist eine
der verdummendsten und verwirrendsten
Emotionen, und es ist genau das Gefühl, das Krishna in der Bhagavadgita aus Arjuna
herausziehen möchte. Barmherzigkeit und Mitgefühl mit dem Gewalttäter,
sanktioniert nur Gewalt und verursacht weitere Pein für die Opfer.“ (43)
Wer sind nun diese Asuras (Dämonen), die ein Kshatriya
bekämpft? Auf seiner Website http://HinduUnity.org legt der radikale
Hindu Rohit Vyasmaan
nicht nur Wert darauf die beiden monotheistischen Religionen, Islam und
Christentum, zu benennen, sondern den Feind zu personalisieren. In einer
umfangreichen Liste der ärgsten Gegner der Hindutva,
darunter Journalisten, Filmemachen und Buchautoren, stehen unter den ersten
10 Repräsentanten der Papst, Osama bin Laden, der amerikanische Televangelist und christliche Apokalyptiker Pat
Robertson (an vierter Stelle), Sonja Gandhi und Pervez
Musharaff (der Staatschef von Pakistan). „Es ist
von größter Wichtigkeit, dass die Hindus wissen, wir ihre Feinde sind.
Unsere Hindu Jugend muss gewarnt werden über die Rakshashasho
[die Dämonenanhänger] in der Gesellschaft, die
den Hinduismus zerstören wollen.“ (44)
Eine Besinnung auf die alten
Heiligen Schriften soll die Erinnerung an das vergangene Heroentum und
Kriegerideal wieder aufblühen lassen. So predigen es heute viele. Im
Sanskrit bedeutet Schrift „shastra“ und
Waffe „shaastra“. Es ist „ein Tief in die
indische Kultur eingebettetes Konzept, dass man die Schrift in der einen
und die Waffe in der anderen hält.“ – meint Prof. Surendra
Gamphir von der University of
Pennsylvania. (45)
Beziehungen zum Faschismus
„Die Parallelen zwischen
Indien heute und Deutschland vor den Nazis sind erschütternd, aber nicht
überraschend. Zahlreiche Hindu-Nationalisten machen keinen Hehl aus ihrer
Bewunderung für Hitler. Noch haben wir keinen Hitler. Stattdessen haben wir
eine hydraähnliche Organisation namens Sangh Parivar –
die ,gemeinsame Familie’ politischer und
kultureller Hinduorganisationen.“ – schreibt der indische Journalist Arundhati Roy. (46)
In der Tat gab es
wechselseitige Beziehungen zwischen der radikalen Hindu-Rechten auf der
einen Seite und dem Nationalsozialismus, Faschismus und Neofaschismus auf der anderen. In
unserem Buch Hitler-Buddha-Krishna – Eine unheilige Allianz vom Dritten
Reich bis heute sind wir ausführlich auf das große Interesse
eingegangen, das von Nazi-Intellektuellen dem indischen Kulturkreis
entgegengebracht wurde. (47) Bedeutende NS-Indologen wie Jakob Wilhelm
Hauer und Walther Wüst waren darum bemüht, die indische Philosophie und
Mythologie als die originellste, „tiefste“, intellektuellste und älteste
noch einsehbare „Wissenschaft“ der arischen Rasse darzustellen. Man darf
ohne Übertreibung sagen, dass insbesondere im SS-Ahnenerbe der direkte
Versuch unternommen wurde, eine „NS-Religion“ zu gründen, die aus Lehren
der Veden, der Upanishaden,
der Mahabharata
(Bhagvadgita)
und dem Pâli Kanon (den Lehren Buddhas) abgeleitet
werden sollte. „Unter den Schöpfungen des Indogermanentums
gehört die indo-arische Religion zu den höchsten
und reichsten. Ja sie wird in der Weltgeschichte der Religionen von keinem
Bereich an Reichtum und Kraft der Gestaltung übertroffen.“ (48) Ganz oben
im Rang der indischen Texte, die von vielen Nazis geschätzt wurden, stand
die Bhagavadgita. Das militante
Lehrgedicht übte einen signifikanten Einfluss auf Heinrich Himmler aus. Der
SS-Chef pflegte aus der Bhagvadgita zu zitieren, führte das Buch während des
Krieges bei sich und verglich den
Hauptgott Krishna mit Adolf Hitler. (49)
Nach dem Krieg nimmt die
Wahlinderin Savitri Devi, Gründerin des
„religiösen Hitlerismus“, diesen Vergleich an mehreren Stellen ihrer
Schriften wieder auf und feiert den NS-Diktator geradezu als inkarnierte
indische Gottheit. „Sie konnte Hitler, den Rassenretter, als den immer
wieder erscheinenden Avatar der Bhagavadgita evozieren.“ – schreibt ihr
Biograph, der britische Historiker Goodrick-Clarke.
(50) „Denn immer, wenn die Frömmigkeit hinschwinden will, o Bhârata,“
– zitiert Hitlers Priesterin aus dem vierten Gesang des
Kriegsgedichts unter Bezug auf den Diktator – „Ruchlosigkeit ihr Haupt
erhebt, dann schaffe ich mich selber neu. – Zum Schutz der guten Menschen
hier und zu der Bösen Untergang, - Die Frömmigkeit zu fest'gen
neu, ensteh' in jedem Alter ich.“ (51)
Während ihres Deutschlandaufenthaltes hatte sie, als sie sich mit einem
ehemaligen Klassenkameraden Hitlers in Leonding
unterhielt eine Vision, in der die Gesichtzüge
des „Führers“ mit denen Krishnas verschmolzen.
„Sie war sicher, dass sie ihn Jahrhunderte lang gesucht hatte, Leben um
Leben, bis sie sich klar wurde, dass der Gründer des Dritten Reiches in Tat
er [Krishna] war, derjenige, der immer dann zurückkehrt, wenn es notwenig ist, die Frömmigkeit zu fest'gen“.
(52)
Auch die Morde der SS an
Millionen von Juden werden von Savitri Devi mit
den folgenden Zeilen aus der Bhagavadgita
gerechtfertigt: „Drum, ohne dran zu hängen je, führ aus die Tat, die
deine Pflicht! Wer handelt ohne Hang zur Welt, der Mensch erreicht das
höchste Ziel.“ (III, Verse 19/20)
In der Hitlers Schutz Staffel (SS) inkarnierte sich für Devi die
alte indo-arische Kriegerkaste. „Siehe als
Gleiches an – Vergnügen und Leid, Gewinn und Verlust, Sieg und Niederlage
und gürte dich für die Schlacht!“ – diese Maxime Krishnas
ist ihrer Meinung nach eine Grundeinstellung in der SS gewesen. (53)
Obgleich gebürtige Französin
von griechischen und englischen Eltern war Savitri
Devi in das rechtsradikale Milieu Indiens voll integriert. Ende der 30er
arbeitete sie unermüdlich als Brückenschlägerin
zwischen nazistischen Ideen und dem Hinduismus. Sie engagierte sich in
nationalistischen Bewegungen wie der All India
Hindu Mahasabha und dem Rashtriya
Swayamsevak Sangh
(RSS). Auch ihr Mann, der Brahmane Asit Krishna Mukherji, übte einen gewichtigen Einfluss sowohl als
Ideologe und als auch als politischer Drahtzieher aus. Er soll den Nationalistenführer Subhas
Chandra Bose (1897 - 1945) mit den Nazis in Kontakt gebracht haben.
Bose war im Geiste des Gurus Ramakrishna (1836-1886) und dessen Schülers Vivekananda (1863-1902) erzogen worden und pflegte eine
große Bewunderung für Sri Aurobindo (1872-1950).
Schon in seiner Jugend sann er über ein Revival der indisch-arischen Rasse
nach und suchte auf einer Pilgerreise bei verschiedenen Brahmanen Rat. Er
wurde Präsident des bengalischen Provinzkongresses und 1930 Bürgermeister
von Kalkutta. In seiner Antrittsrede forderte er eine „Synthese zwischen Sozialismus
und Faschismus“ (54) Wegen seiner anti-britischen Haltung musste Bose
emigrieren und ging nach Europa. Dort traf er mit Benito Mussolini und
Adolf Hitler zusammen. Später arbeitete er mit den Japanern zusammen. Der
Inder stellte innerhalb kürzester Zeit eine Armee, die Indian National Army, auf von 40
Tausend Mann aus drei Divisionen darunter auch ein Frauenregiment. Außerdem
bildete er eine provisorische indische Exilregierung, die von Deutschland
und Japan anerkannt wurde. Bis zum bitteren Ende stand er an der Seite der
Japaner. Am 18. August 1945 starb er an den Folgen eines Flugzeugunfalls.
Viele seiner Anhänger wollten
ein Ableben Boses nicht wahrhaben. Geschichten
wurden erzählt, dass er in China und Russland gesehen worden sei oder dass er
sich in einem Ashram in Indien aufhalte oder dass
er sich in den Himalaja zurückgezogen habe. Der indische Nationalistenführer wurde nach dem Tode von seinen
Anhängern vergöttlicht. „Ein Avatar ist
unsterblich und so kann Bose nicht altern.“ – heißt es in einem Text – „Er
erwartet einfach den Moment, wann er wieder erscheinen kann, um an der
Spitze seiner Truppen das indische Volk von seiner Last und der
internationalen Krise zu befreien.“ (55) Am 07. Juli 2004 griff der frühere
Premierminister die Kongresspartei an, sie habe Subash
Sandra Bose nicht in das Pantheon der indischen Helden aufgenommen. (56)
M. S. Golwakar, seit 1940 Chef der RSS, macht in seinem Buch We or our Nationhood Defined zahlreiche Bezüge zu Hitler. „Als es die
Reinheit seiner Rasse und seiner Kultur
bewahren wollte, schockte Deutschland die Welt, als es damit begann
das Land von den semitischen Rassen, den Juden, zu reinigen. Rassenstolz in
höchster Vollendung hat sich hier manifestiert. Deutschland hat auch
gezeigt, dass es für Rassen und Kulturen so gut wie unmöglich ist in einem
vereinten Ganzen integriert zu werden, wenn Unterschiede bestehen, die bis
in die Wurzel reichen: eine gute Lehre für uns in Hindustan, um daraus zu
lernen und zu profitieren.“ – schreibt Golwakar.
(57) Bal Thackeray, Chef der radikalen Shiv Sena Partei, lobt heute noch auf seinen
öffentlichen Treffen Hitler und die Nazis. Sechs von zehn Studenten nannten den Namen Adolf Hitler, als sie
gefragt wurden, welchen Menschen sie am meisten bewunderten. Das ergab eine
Umfrage im St. Stephen’s College in Neu-Delhi,
einem der Elite Colleges Indiens. Der Diktator habe seinem Volk nach der
Demütigung durch den Versailler Vertrag Selbstachtung gegeben, lautet die
häufigste Begründung der Studenten
für Ihre Wahl. „Die Hitler-Verehrung, die bis in hoch gebildete Kreise
reicht, ist ein indisches Phänomen, das viele deutsche Besucher seit jeher
verwundert und erschreckt. Die indischen Gesprächspartner sind ihrerseits
betroffen, dass Deutsche den von ihnen als Held empfundenen Mann
herabsetzen.“ – schreibt die Frankfurter Allgemeine Zeitung im Jahre
2002. (58)
Die Muslime und die Zerstörung der Babri Moschee
Der Hindu-Fanatiker Rohit Vyasmaan von HinduUnity gibt auf seiner Website eine kompromisslose
Definition der Religion Mohammeds, die von vielen in Indien geteilt wird:
„Der Islam ist der gewalttätigste und intoleranteste Glauben, der jemals
der Menschheit präsentiert wurde. Ein Beispiel [mentaler] Krankheit findet
sich im Koran unter dem faschistischen und martialischen Begriff ‚Djihad’ oder ‚Heiliger Krieg’. Die islamische Ideologie
basiert auf dem intensiven Hass gegen alle Nicht-Muslime. Sie hat die
Menschheit in zwei sich ständig befeindende Gruppen aufgeteilt: die Muslime
und die Nicht-Muslime.“ (59)
Dagegen wird die
vor-muslimische Geschichtsperiode Indiens von Hindutva-Anhängern
als eine Zeit der Prosperität und der Friedens dargestellt. Das Land sei
übersät gewesen mit Tempeln, in denen die indischen Götter Verehrung
fanden. Wachstum, Fortschritt und intellektuelle Leistung hätten diesen
vermeintlich paradiesischen Kulturkreis der Urväter geprägt. Dann aber
kamen die muslimischen Barbaren und mit dem „goldenen Zeitalter“ war es zu
Ende. Indien verfiel zunehmend dem Chaos und der Barbarei. Die Herrschaft
des Islams bedeute Tod, Destruktion, Grausamkeit, Intoleranz,
Zwangskonvertierungen, religiöse Unterdrückung und ökonomischer
Zusammenbruch. Sie sei „das blutigste Kapitel“ der indischen Geschichte
gewesen, „ein Marathon der Verfolgungen, der Religionskriege einschließlich
der Zerstörung Tausender von Tempel.“ (60)
Hindu-Fundamentlisten legen Wert darauf,
dass kein Unterschied zwischen einem „toleranten“ Religionsgründer Mohammed
seinen aggressiven Nachfahren gemacht wird: „Es ist nicht wahr, dass sich
die Muslime irren und ‚die Lehren des großen Mohammed falsch anwenden’. Die
meisten von ihnen folgen der Leitung ihrer fanatischen Imame und diese
fanatischen Imame können höchstens deswegen gerügt werden, weil sie gerade
nicht irren und weil sie voll die Doktrin des Propheten zur Anwendung
bringen. Deswegen sollten die Hindus wissen, dass diese Muslime nichts
anderes tun, als sehr ernst die Lehren dessen anwenden, der für die
kommunale Gewalt in Indien der Verantwortliche ist: Mohammed!“ (61) In der
Tat leiten die Muslime selber die Eroberung Indiens aus einem Versprechen
Mohammeds ab: „Der Bote Gottes versprach die Eroberung Indiens. Wenn sich
das ereignen sollte, werde ich meine Seele und meinen Reichtum darbringen.
Wenn ich getötet werde, zähle ich zu den besten aller Märtyrer und wenn ich
zurückkehre bin ich Abu Huraira der Befreite.“ –
sagte einer der Gefährten des Propheten. Und ein anderer sprach: „Zwei
Gruppen aus meiner Gemeinschaft (umma) wird Allah
vor dem Höllenfeuer verschonen:
diejenige, die Indien erobert, und diejenige, die [am Ende der Tage] mit
Isa [Jesus] und Maryam [Maria] sein wird.“ – so berichtet in einer
pakistanischen Zeitung aus dem Jahre 2001. (62)
Mit der muslimischen Invasion beginnt nach in der Hindutva
verbreiteter Vorstellung das Kali Yuga, das
Zeitalter des Untergangs, mit ihrer Vertreibung kann das paradiesische
Indien wiederhergellt werden, das ist für viele
Hindu-Fundamenlisten die simple Formel, die mehr
und mehr zur Spaltung der beiden Religionsströmungen beigetragen hat. Seit
Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre brachen zahlreiche blutige
Konflikte zwischen Hindus und der
muslimischen Minderheit des Landes aus. Den Höhepunkt bildete die
Zerstörung der Babri Moschee in der Stadt Ayodhya.
Der Legende nach wurde der
Gott Rama in Ayodhya geboren, wo er seine Jugend
verbrachte. Die Geburtstätte soll sich auf dem
Gelände, auf der man später die sogenannte Babri
Moschee (Masjid) errichtete, befunden haben. Der
Legende nach wurde Ayodhya zum ersten Mal von Ramas Gegenspieler, dem Dämonen Ravana,
zerstört. Rama erobert den Ort zurück, verlegte aber seine Hauptstadt nach Saketa. Der Geburts-Tempel des Gottes wurde Ramjanmabhoomi genannt, was soviel
wie die „Geburtstätte des Rama“ heißt. Er
überdauerte über die Jahrhunderte, bis er von den hellenistischen Griechen
zerstört worden sein soll, dann aber wieder aufgebaut wurde. Die erste
muslimische Attacke konnte im 11. Jahrhundert abgewehrt werden, bis dann im
16. Jh. der islamische Eroberer Babur das Land überrannte und im Jahre 1528
den Tempel dem Erdboden gleich machte. An seine Stelle ließ er die Babri Moschee erbauen. In der RSS-Zeitschrift Organiser
schreibt ein Professor K. S. Lal: „Für die Hindus
ist Rama die höchste Manifestation des Göttlichen und sein Geburtsplatz Ayodhya ist das Heiligste des Heiligen. Der Tempel von Ramjanmabhoomi löst in ihrem Bewusstsein die
schrecklichen Erinnerungen an die blutrünstigen Eroberungen durch fremde
Invasoren aus. In der Periode des Mittelalters waren die Hindus hilflos:
sie konnten nur ihre Leben hingeben, um ihre Tempel von einem intoleranten
Eroberer oder Herrscher zu schützen. Sie brachten wiederholte Selbstopfer
für den Ramjanmabhoomi dar und
ließen sich nicht davon abhalten, dort einen Gottesdienst zu verrichten,
sogar als der Ort entheiligt und zerbrochen wurde.“ (63)
Die archäologischen Beweise
und historische Dokumente, die für die Existenz eines bedeutenden
Rama-Heiligtums unter der Babri Moschee sprechen,
bleiben jedoch zweifelhaft, obgleich mittlerweile Unmengen von Artikeln
hierzu verfasst wurden. In der Fachwelt werden die „Beweise“ ironisch als „Safranisierung der indischen Archäologie“ bezeichnet.
(64) Doch spielen sie im eigentlichen Religionskonflikt nur eine Randrolle.
„Der Glaube fragt nicht nach Beweisen!“ – erklärte der RSS-Führer K. S. Sudershan – „Wir alle glauben, dass sich Ramjanmabhoomi in Ayodhya
befindet, dass Rama an dem Ort geboren wurde, wo sich heute die
Konstruktion einer Moschee befindet. Das ist genug!“ (65)
Schon 19. Jh. gab es mehrere
hinduistische Versuche die volle Kontrolle über das Gelände zu gewinnen,
das von den Muslimen sehr vernachlässigt worden war. Im Dezember 1949
zitierte eine religiöse Menge neun Tage lang ohne Unterbrechung das Ramayana vor der Moschee. Ein Bildnis des Gottes
wurde am 23. Dezember dort aufgestellt. In der religiös aufgeladenen
indischen Öffentlichkeit nahm man diese Platzierung des Idols als ein
Wunder wahr. Man interpretierte es als die Aufforderung Ramas
an alle Hindus, seinen Tempel zurückzuerobern. Die Behörden aber
verurteilten das Aufstellen des Bildes und sahen darin einen Akt, der den
öffentlichen Frieden störte. (66) Die Rechtsfrage über das Tempelgelände
ist seither ungeklärt. Weitere „Wunder“ folgten. Einige wollen Rama als
Kind gesehen haben und ein großer Affe mit einer safranfarbenen
Flagge in der Hand habe auf dem Dach des Gebäudes gesessen und sei als Ramas General Hanuman erkannt
worden. (67)
Seit den 80er Jahren begannen
RSS/BJP/VHP und andere Organisationen des Sangh
Parivar mit Kampagnen, in denen sie den Gott
Rama zu einem nationalen Übergott erhöhten und
seine alten, alle seine von islamischen Heiligtümern verdeckten
Tempelstätten zurückforderten, um sie zu rekonstruieren. Im Zentrum dieser
religionspolitischen Aktivitäten stand wiederum die Babri
Moschee in Aydhoya. Am 9. November 1989 legten
Anhänger der Hindutva dort einen
Grundstein. Damals schrieb ein indischer Journalist: „Am selben Tag, an dem
mit dem Tempelbau in Ayodhya begonnen wurde,
wurde 5000 Meilen entfernt in Europa ein kommunistischer Tempel [gemeint war
die Berliner Mauer] abgerissen.“ Das sei kein Zufall gewesen. (68)
Am 6. Dezember 1992 stürmten
fanatisierte Hindutva-Anhänger das islamische
Heiligtum und zerstörten es völlig. 1200 Menschen fanden in den folgenden
Auseinandersetzungen einen gewaltsamen Tod und Tausende wurden verletzt vor
allem in Nordindien und Bombay. In Bangladesh und
Pakistan schlugen die Muslime zurück, brannten Hunderte von Hindutempeln
ab, brachten Hindugläubige um, plünderten deren Häuser und raubten ihr
Eigentum. Seit dieser Zeit brach die Gewaltwelle nicht mehr ab.
Der „Ramjanmabhoomi-Babri-Masjid-Konflikt“ hat
eine solche Dramatisierung erlangt, dass er die gesamte Nation spaltete,
ein Riss, die bis heute fortbesteht. In der Hindu-Moslem-Kontroverse
erlangte dieser Ort denselben Stellenwert wie der Tempelberg in Jerusalem
für die monotheistischen Religionen und ist damit auch oft verglichen
worden. „Wir können das [die Auseinandersetzung um das Tempelgelände] als
einen eschatologischen Prozess interpretieren“ – schreibt der Autor Tapio Tammien –
„der vergleichbar mit den Haltungen der Christen und Juden in ihrer
Beziehung zu der heiligen Stadt Jerusalem ist.“ (69) Außerdem hat die
Politisierung des Konflikts dazu geführt, den Gott Rama, die vermeintliche
Stätte seiner Geburt und die mit diesem Ort verbundenen Ereignisse so zu
hypostasieren, dass sie eine apokalyptische Dimension angenommen haben.
Spätestens seit 1992 gilt Ayodhya für Hindu-Fundamentalisten als die heiligste
aller indischen Städte, als der Ursprung der kosmischen Epochen, die nach
den Veden unterschiedlichen Göttern zugeordnet werden (Brahmalok,
Indralok, Vishnulok).
An diesem Ort soll auch die „menschliche“ Welt ihren Anfang genommen haben.
Der mythische Gesetzgeber Indiens, Manu, der das Kastensystem kodifizierte,
habe Ayodhya vom Himmel auf die Erde gebracht, um
von hier aus kosmogonisch und „gesellschaftspolitisch“ tätig zu werden.
(70) Eine andere Legende erzählt, dass sich jeder gläubige Hindu in Ayodhya von allen sündhaften Befleckungen
säubern könne. Die Hingabe an den neuen Rama-Kult ist geradezu
blindgläubig. An den Mauern von Ayodhya wurden
Sprüche, wie der folgende, gepinselt: „Es ist die Ansicht eines jeden
Individuums, dass ein Leben ohne Ram keine Bedeutung mehr hat.“ (71)
Die RSS-Zeitschrift Organiser
erklärte die Zerstörung der Babri Moschee 1992
als das Fanal, das eine neue Ära einleitet. Das muslimische Heiligtum wurde
zerstört, um ein Zeichen für die kommende Wiederherstellung des „Rama Rajya“ (das Königreich Ramas)
zu setzen. In einer Aufforderung des Welt Hindu Rates (VHP) an die Jugend
war zu lesen: „Gebt acht dass unser Ramjanmabhoomi
nicht wieder verloren geht. Steht auf. Stellt euch der Herausforderung!
Jugend – ihr seid an der Reihe. Schmeißt diese bösartigen Leute heraus,
werdet zu Welteroberern!“ (72) „Die Ram Tempel Bewegung gehört
ausschließlich den Heiligen und der Hindu-Gesellschaft. Sie hat nichts mit
irgendeiner politischen Partei zu tun.“ – sagte der Präsident des VHP,
Ashok Singhal. (73)
Der Ramjanmabhoomi in Ayodhya wird von der Religiösen Rechten als das
spirituelle Zentrum von 360 anderen Rama-Heiligtümern angesehen, die über
das ganze Land verstreut sein sollen und die es wieder aufzubauen gelte.
(74) Tatsächlich meldeten sich aus dem Welt Hindu Rat (VHP) Stimmen zu
Wort, die forderten, Tausende von Moscheen, unter denen sich diese Rama
Tempel und andere ehemalige indische Sakralbauten befänden, zu zerstören.
Auf dem Programm stand auch die Destruktion solch berühmter
kulturhistorischer Monumente wie der Qutub Minar in Delhi und das Taj Mahal Mausoleum. Die Restauration der vor-islamischen
Tempel hatte schon Swami Vivekananda in seiner
Schrift Die Zukunft Indiens prophezeit: „Tempel um Tempel wurden
durch die fremden Eroberer niedergerissen, aber bald nachdem die
Eroberungswelle vorbei war, entstand das Dach des Tempels erneut. Einige
dieser Tempel werden euch Bände von Weisheit lehren. Seht euch an wie diese
Tempel die Zeichen von Hunderten von Angriffen und Hunderten von
Regenerationen tragen, ständig zerstört und ständig aus den Ruinen wieder
auferstanden, verjüngt und stärker wie je zuvor.“ (75)
Andererseits ist die obskure,
schon halb-verlassene Babri Moschee seit ihrer
Zerstörung im Jahre 1992 durch Hindu-Fanatiker neben Mekka, Medina, Kerbala und Jerusalem zum fünftgrößten Heiligtum des
Islams avanciert. In Indien und Pakistan werden muslimische Ehre und Würde
mit dem Engagement für dieses Gebäude verbunden. Das Babri
Masjid Action Committee
mobilisiert weltweit Muslime, um die Moschee zu verteidigen. Es
organisierte die größten muslimischen Protestdemonstrationen, die es je in
Indien seit der Befreiung vom englischen Kolonialismus gegeben hat. Die Babri Masijd wurde zu einem
machtvollen Symbol muslimischer Identität.
Im Februar und März 2002 flackerten die Kämpfe in der Provinz Gujarat
wieder auf. Radikalisierte Muslime griffen einen Zug an, in dem sich
Hindu-Pilger befanden, und ermordeten 60 von ihnen. Die darauf reagierenden
Racheaktionen waren ebenfalls von einer unbeschreiblichen Brutalität.
Fanatisierte Hindus töteten weit
über 1000 Muslime darunter Frauen und Kinder. In Instruktionen für lokale
RSS Mitglieder aus Gujarat konnte man unter anderem die folgenden
Anweisungen zu lesen: „Greift nicht frontal an, sondern von hinten. [...]
Kämpft vor allem in der Nacht. [...] Gebt der Polizei keine Möglichkeit,
Waffen bei euch zu finden. [...] Deformiert neugeborene muslimische Babys.
[...] Fragt alle Politiker danach, was sie für die Hindus tun wollen. Wenn
einer von ihnen irgendwie mit Muslimen zusammenarbeitet, dann boykottiert
ihn und verabreicht ihm eine Lektion. Erklärt in
aller Ruhe allen Hindu-Händlern, die eine Geschäftsbeziehung mit Muslimen
in der Hoffnung aufgenommen haben, billige Waren zu erhalten, dass dies
falsch ist. Wenn sie dann immer noch nicht zuhören wollen, verursacht ihnen
soviel ökonomischen Schaden wie nur möglich.“
(76) Bal Thackeray, Chef von Shiv
Sena forderte damals: „Wenn ihr den Mut habt, entzieht den Muslimen das
Wahl- und Bürgerrecht. Wir werden sehen, wer ihnen eine Träne nachweint.“
(77) Er stachelte seine Anhänger auf, wie der Hindu-Gott Shiva zu reagieren
und ihr destruktives „Drittes Auge“ zu öffnen, um den Muslimen „eine
Lektion zu erteilen.“ (78)
Auch in einem Statement des
Welt-Hindurates (VHP) wurden die indischen Götter als Schutz vor den
Muslimen beschworen: „Euer leben ist in Gefahr – Ihr könnt jeden Augenblick
getötet werden! Lord Sri Krishna sagte zu Arjuna:
‚Erhebt eure Waffen und tötet die Ungläubigen’!“ – heißt es dort. (79) In
einem Flugblatt war zu lesen: „Am 29. März seid ihr gerufen. Sammelt euch
unter Ram’s Namen und greift an. Wir werden
Muslime töten in derselben Art wie wir die Babri-Moschee
zerstört haben. [...] Wir Hindustani schwören, dass wir euch ausfindig
machen und töten werden. [...] Wir werden sie in Stücke schneiden und ihr
Blut wird fließen wie Flüsse.“ (80) Schockierend ist ein weiteres
Flugblatt, das während der Ereignisse verteilt wurde und das zu
Vergewaltigungen aufruft: „Der Vulkan, der bisher jahrelang nicht aktiv
war, ist jetzt ausgebrochen. Er hat den Arsch der Miyas
[Muslime] verbrannt und sie nackt tanzen lassen. Wir haben unsere Penisse
entblößt, die bisher verdeckt waren. Ohne Castor-Öl in ihren Ärschen haben
wir sie zum schreien gebracht. Alle, die zum
Religionskrieg aufrufen sind Ficker. Wir haben die engen Vaginas der ‚Bibis’
[muslimische Frauen] ausgeweitet. [...] Sie haben ihre Pfeile in die Ärsche
der Mullahs geschossen. Wacht auf Hindus, da gibt es immer noch um euch
herum Muslime, die leben. Lernt aus dem Panvad
Dorf, wo ihre Mutter gefickt wurde. Sie wurde im Stehen gefickt während sie
aufschrie. Sie erfreute sich an den unbeschnittenen
Penissen. Mit der Hindu-Regierung haben die Hindus die Macht, die Miyas (Muslime) zu vernichten. Tritt sie in den Arsch
und vertreibe sie nicht nur aus dem Dorf und aus der Stadt sondern auch aus
dem Land.“ (81)
„Fallen die radikalen Seiten
der Hindutva weg, wenn es den Hindus
erlaubt sein wird, ihren Rama Tempel in Ayodhya
zu bauen?“ – fragt der indische Journalist Pratap
Bhanu Mehta – „Wird dies hinreichen, die Hindus
von ihrer apokalyptischen Politik der Selbstüberschätzung abzubringen?“
(82) In der Tat gibt es Versuche, den Konflikt
Neben einer Säkularen Lösung
des Konflikts wird in der Debatte ein indischer Islam gegen den
Invasions-Islam ausgespielt. Die von dem Eroberer Barbur
errichtete Babri Moschee sei ein Symbol der Fremdenherrschaft
gleichermaßen für indische Hindus wie für indische Muslime. So versuchte
der RSS-Chef K. S. Sudershan die muslimische
Bevölkerung dadurch zu gewinnen, dass er behauptete, die Babri Masjid sei niemals mit
einer religiösen Intention erbaut worden, sondern sollte ein „Monument der
Sklaverei“ sein. Deswegen habe der Hindu Rat (VHP) der Zerstörung des
Gebäudes zugestimmt. (83) Ende 2003 drei unterstützten die Sangh Parivar eine
Intervention des XIV. Dalai Lama, Gespräche zwischen den Parteien herzustellen.
Weshalb die muslimische Seite diesen Vorschlag bisher abgelehnt hat,
erörtern wir im nächsten Kapitel.
Der Kaschmir Konflikt
In Kaschmir treffen Hindus
auf der einen Seite und Muslime auf der anderen aufeinander an und
dazwischen agieren verschiedene separatistische Gruppierungen. Für alle
Kampfparteien hat die geplagte Region einen hohen symbolischen Stellenwert.
Alles begann 1989 als Bomben an drei Stellen im Distrikt Srinagar
explodierten. Im Dezember desselben Jahres wurde die Tochter des indischen
Innenministers, eines Kaschmiri, entführt.
Innerhalb von Wochen brach in der Region ein Krieg aus. Die Muslime des
Landes riefen mit der Unterstützung Pakistans zum Djihad
auf und die Hindus konterten mit Raketen und Granaten. Brutale Kriegsszenen
spielten sich im bis dahin friedvollen Kaschmir ab. Indien warf Pakistan
vor, dass es internationalen Djihad-Brigaden aus
dem Sudan, aus Afghanistan, Libyen, Tschetschenien und dem Iran erlaube, in
der Region zu agieren, dem jedoch von pakistanischer Seite widersprochen
wurde. Jedenfalls kam es zu extrem blutigen Auseinandersetzungen, bei denen
Tausende, insbesondere auch Zivilisten, ihr Leben lassen oder fliehen
mussten. Folterungen und Vergewaltigungen waren an der Tagesordnung. Es ist
nicht übertrieben von einem „Kaschmir Krieg“ zu sprechen, auch wenn die
Konfrontationen immer wieder abflauen. Zahlreiche Artikel interpretieren
den Kashmir-Konflikt als Auslöser für ein
„asiatisches Armageddon“. „An der Grenze der Apokalypse“ heißt ein Artikel
von Christopher Hitchens. (84) In Delhi erschien
eine Studie hierzu mit dem Titel „Armageddon Faktor. Nuklearwaffen im
indisch pakistanischen Kontext“. (85)
Eine wirklich erstaunliche
Reaktion gab es im fernen Kaschmir gegen anti-islamische Äußerungen von
Jerry Falwell, dem charismatischen Protagonisten
und Endzeitpredigers der Religiösen
Rechten Amerikas. Dies zeigt, wie eng die apokalyptischen Milieus
miteinander verquickt sind und wie „sensibel“ sie aufeinander reagieren. Falwell hatte unter anderem gesagt: „Ich glaube, der
Prophet Mohammed war ein Terrorist.“
Kurz darauf wurde in ganz Kaschmir gegen Falwell
protestiert. Aufgerufen zu Protesten hatte die Organisation der Kaschmir
Händler unterstützt von zahlreichen religiösen und sozialen Gruppierungen:
„Muslime in der ganzen Welt, insbesondere aber in Kaschmir, können alles
für den Propheten opfern. Wir wenden uns an das Volk von Kaschmir am Montag
den Generalstreik zu beachten.“ – hieß es in einem offiziellen Statement,
dem man in Sopore, Baramula,
Kupwara, Anantnag, Pulwana und anderen größeren Städten Folge leistete.
Läden, Geschäfte und Schulen wurden geschlossen. Auf einem Flugblatt war zu
lesen: „In Wirklichkeit sind die Christen die Terroristen. Sie warfen eine
Bombe auf Japan und töteten Millionen von Menschen. Sie liefen Amok in
Vietnam, sie töteten unschuldige Menschen im Irak, sie sind verantwortlich
für die Ermordung der Palästinenser.“ – „Solch eine Person sollte gehängt
werden!“ – schrieb Scheich Nazir, Sekretär der National Konferenz, über Falwell. (86)
Die semitischen Religionen
Angesichts der islamischen Eroberungen und der Kolonialisierung durch
die christlichen Briten hat sich in der Hindutva eine negative
Haltung gegen die semitischen
Religionen als solche verbreitet: „Wenn die semitischen Kräfte und
Staatsstellen, die durch einen brutalen alles andere ausschließenden
religiösen Fanatismus ermächtigt wurden, und besetzten und unsere einzelnen
Staaten [Provinzen] und Institutionen, konnte unsere Gesellschaft dennoch
überleben und ihr multidimensionales Leben weitgehend intakt halten.“ – war
in einem Buch über den Ayodhya Konflikt zu
lesen. (87) Aber mit „semitisch“
ist hier vor allem christlich und islamisch gemeint. Der klassische
Antisemitismus gegen das Judentum spielt zurzeit keine Rolle in Indien. Im
Gegenteil schon seit mehreren Jahren gibt es auf der politischen Ebene sehr
enge Kontakte zwischen Israelis und Indern. Die anti-islamische
Grundeinstellung, der „Kampf gegen den Terrorismus“ und die Angst vor der
„islamischen Bombe“ haben zu einem Schulterschluss beider Länder geführt. Indien
wurde zu einem wichtigen Markt für die israelische Militärindustrie
Bei den Muslimen des Landes werden die drei Partnerländer Indien, Israel
und die USA als „Der Nexus“ bezeichnet. Als die Columbia Shuttle 2003
explodierte, an deren Bord sich Amerikaner, ein Israeli und ein Hindu
befanden, wurde dies als eine „Strafe Gottes“ an der „Dreieinigkeit des
Bösen gegen den Islam“ (trinity of evil against
Islam) gewertet, insbesondere da der Absturz in Texas, der Heimat der
Bush Familie und in der Nähe eines Ortes Namens „Palästina“ stattfand. (88)
Während der britischen
Okkupation, aber auch in den letzten Jahren konvertierten Tausende von Inder
zum Christentum. Davon betroffen waren und sind viele Menschen aus den
unteren Kasten, die in der politischen Ideologie der Hindu-Rechten einen
Outsider-Status einnehmen. Statt selbstkritisch zu hinterfragen, weshalb es
zu diesen Massenbekehrungen kommt, gehen Hindutva-Gruppen mit
Gewalt und Terror gegen diese Christen vor.
Argumentiert wird
theologisch: Christus würde als der einzige Gott gesehen, der die Anhänger
anderer Glaubensrichtungen letztendlich auf ewig in die Hölle verdammt.
Christentum und Islam gebärdeten sich als „Religionen der Exklusivität“. In
Wahrheit handele sich aber dabei um einen Aber- und Teufelsglauben. Zudem
übernähmen die Anhänger der „semitischen Religionen“ keine persönliche
Verantwortung. Sie seien fatalistisch eingestellt und argumentierten im
Gegensatz zu den Hindu-Religionen unwissenschaftlich. „Die Intoleranz,
Brutalität und Barbarei, die von den Religionen der Exklusivität begangen
wurden, sind unaussprechlich und jenseits jeder Parallele.“ – ist auf der
Website einer Hindutva Organisation zu lesen.
(89)
In einer komparativen Studie
mit dem Titel Die Heiligen Veden und
die Heilige Bibel behandelt der Autor Kanayalal
M. Talreja die folgenden Kapitel, die für sich
selber sprechen: „Der biblische Gott schafft Konflikte, der vedische Gott
lehrt den Frieden – Der biblische Gott ist zornvoll,
der vedische Gott ist ein gütiger Freund – Gnade durch den vedischen Gott,
Massaker durch den biblischen Gott – Die Bibel schreibt die Todesstrafe
vor, die Veden predigen Reformation – Die Bibel erniedrigt Frauen, die
Veden erheben sie – Es gibt obszöne Szenen in der Bibel und einen
moralischen Verhaltenscode in den Veden – Bibel: Folter an Ungläubigen,
Veden: Liebe für alle – Die Bibel predigt scheußliche Intoleranz, die Veden
predigen Bruderschaft – Der biblische Gott verlangt das Opfer von Tieren,
der vedische Gott rettet sprachlose Geschöpfe – Vegetarismus in den Veden,
Fleischessen in der Bibel – Menschenopfer in der Bibel, Gewaltlosigkeit in
den Veden – Einen Zug von Kannibalismus in der Bibel, Reinheit in den Veden
– Unwissenschaftliche Lehren in der Bibel, wissenschaftliche Wahrheit in
den Veden – Die Bibel predigt die Unwahrheit, die Veden predigen die
Wahrheit – Die Bibel verdammt Wissen, Weisheit und Philosophie, die Veden
fördern sie – Die biblische Doktrin der Verdammnis und die vedische Doktrin
der Rettung – Hexerei in der Bibel, göttlicher Weg in den Veden – Die Bibel
errichtet die Sklaverei, die Veden predigen Gleichheit und Freiheit – Die
Bibel predigt Rassismus, die Veden predigen gleiche Rechte“ (90)
Christliche Fundamentalisten
seien weit schlimmer als Hitler. (91) „Jesus ist Schund. Es ist höchste Zeit für Hindus zu lernen, dass
Jesus Christus keine spirituelle Macht darstellt oder eine moralisch
Aufrichtigkeit. Er ist nichts mehr als ein Konstrukt, um eine bösartige
imperialistische Aggression zu legitimieren. Die Aggressoren haben ihn als
besonders nutzbringend angesehen. Aus diesem Grunde sollten Hindus wissen
dass Jesus nicht anderes bedeutet als ein Unheil
für ihr Land und ihre Kultur“ – sagte ein hochstehendes Mitglied des RSS.
(92)
Der VHP-Generalsekretär Ashok
Singhal, ein spiritueller Hardliner, ist davon
überzeugt, dass es eine christliche Konspiration gibt, in der Absicht den
Hinduismus zu verdrängen. Mutter Theresa und die in Italien geborene Sonja
Gandhi sieht er als zwei „römische“ Agenten
in diesem Verschwörungsplan: „Muslime und Christen wollen dieses
Land übernehmen. Hindus werden terrorisiert und wir müssen das stoppen!“
(93) Es gelang der Religiösen Rechten Indiens sogar, den XIV. Dalai
als Verbündeten in die Christenschelte mit einzubeziehen, wie wir im
folgenden Kapitel noch zeigen werden.
Zunehmend haben sich die
Auseinandersetzungen mit den Christen verschärft. Eine mit großem Eifer
betriebene „Rückgewinnungskampagne“ soll Abtrünnige wieder der Hindutva zuführen. Das geschieht durch religiöse
Propaganda und verschiedene Grade der Gewalt. So werden katholische Nonnen
in weißer Tracht gezwungen diese gegen safranfarbene
Saris umzutauschen. 1999 ermordete ein aufgebrachter Mob den australischen
Missionar Graham Staines und zwei seiner Söhne
(zehn und acht Jahre). Von den blutigen Konflikten von Gujarat (2002) waren
nicht nur Muslime betroffen, sondern es kam auch zur Vergewaltigung
christlicher Nonnen, Bibeln wurden öffentlich verbrannt, christliche
Gläubige wurden vehement eingeschüchtert.
Um an das ertragene Leid
durch die „semitischen Religionen“ zu erinnern wurde ein Hindi Holocaust
Memorial Museum eingerichtet. Auf deren Website ist zu lesen: „Diese Seite
ist den vielen Millionen indischen Hindu-Leben gewidmet, die durch die
islamischen und christlichen Invasoren Indiens verloren gingen, ebenso wie
dem unglaublichen Verlust kultureller und spiritueller Institutionen.“ (94)
Zum Schluss noch ein paar
Sätze zu den Kastenlosen und Stammesreligionen (z. B. Drawiden),
die ebenfalls von der Hindutva
ausgeschlossen werden. Es handelt hier um eine weitere soziale und
religiöse Front. Zum Beispiel protestierten im Jahre 2001 an die 100.000
Angehörige der unteren Kasten aus der Stadt Bhuj
gegen die Hindu-Gruppen, die Nahrungsmittel an sie verteilen wollten, weil
sie gezwungen worden seien, zuerst zu dem indischen Göttern zu beten, bevor
sie etwas erhielten. (95)
Aber es zeigt die „Universalität“
der apokalyptischen Matrix, dass auch die „Ausgeschlossenen“ zu religiösen
Endzeitbildern greifen, um ihre Rechte zu artikulieren. Sie schlagen mit
denselben ideologischen Waffen zurück und heizen dadurch das religiöse
Klima weiter an. In einem Pamphlet mit dem Titel „Drawidatva
und die Befreiung von den Hindu-Nazis“ fordert Runoko
Rashidi, ein Sprecher der Bewegung: „Das Gebot
der Stunde ist die drawidische Einheit in ganz Indien. [...] Als
Alternative und als Gegenkraft zur ‚Hindutva’
haben wir die ‚Dravidatva’ zu setzen. [...] Wir
haben Tamil als die linguistische Gegenkraft zu Sanskrit, wir
haben Ravana als unseren mythologischen Gott und
als Gegensymbol zu dem Hindu-arischen Gott Ram zu setzen, wir haben die
drawidische Spiritualität als Gegenspiritualität zum Hinduismus zu setzen.“
(96) Der Dämon (Ravana) des einen ist der Gott
des anderen (Rama) und umgekehrt.
„Indien ist das Land ist das
Land, indem die Götter auf die Erde erscheinen können und wo die großen
Yogis geboren werden. […] Aber Indien ist auch das Land, wo die Anti-Götter
(Asuras) herrschen können und wo
feindliche Kräfte kein nationales Erwachen zulassen.“ - schreibt der
amerikanische Vedenforscher David Frawley. (97) Indien ist somit das Land, in dem
politische und soziale Ereignisse immer auch eine religiöse Interpretation
erfahren und da sich diese an den traditionellen, eschatologischen Texten
orientiert, fällt sie nur selten friedlich aus. Wieder sind es, ebenfalls
in diesem Kulturkreis, die Heiligen Schriften, welche die ideologische
Grundlage für die zahlreichen zum Teil blutigen Auseinandersetzungen
bilden. Strukturell stimmen die indischen Apokalypsen mit den
monotheistischen überein, die apokalyptische Matrix bleibt dieselbe. Es
gibt jedoch einen wesentlichen Unterschied. Während in den monotheistischen
Endzeitprophezeiungen geschilderten Vorgänge einmalig sind, wiederholen sie
sich im indischen Kulturkreis in unendlicher Wiederkehr. Weltuntergang
folgt nach einer Periode der Weltentstehung auf Weltuntergang und das in
alle Ewigkeit.
(5) Wir haben in den
meisten Fällen die Umschreibung der Sanskrit-Namen und Begriffe ohne diaktrische Zeichen wiedergeben. Was die Bhagavadgita und Vedanta
anbelangt, so haben wir die in der deutschen Literatur oft auftretende
weibliche Geschlechtsform gewählt
Während wir bei dem Mahabharata, Vishnu
Purana die originäre männliche
Geschlechtsform beibehalten haben.
(10) Emanuel Sarkisyanz – Russland und der Messianismus des
Orients – Sendungsbewusstsein und politischer Chiliasmus des Ostens –
Tübingen 1955, 314
(19) Jakob Wilhelm Hauer
– Eine indo-arische Metaphysik des Kampfes und
der Tat – Die Bhagavadgita in neuer Sicht mit
Übersetzungen – Stuttgart 1934, 54
(24) Jaya
Kumar – Du bist der einzige Ausweg – Schritte zu neuer Gottgeburt –
Wien 1976, 47
(25) K. R. Malkani – The Politics of Ayodhya & Hindu-Muslim Relations – New Delhi 1993, 59
(27) Kancha Ilaiah – Why
I am not a Hindu A Sudra critique of Hindutva Philosophy, Culture and Political Economy
– Calcutta 1996, 89
(37) Armelin, I. – Le roi détenteur de la
roue solaire en révolution (Cakravartin) – selon
le Brahmanisme et selon le Bouddhisme – Paris o. J., 7, 8
(39) John McGuire – Peter Reeves – Howard Brasted
(ed.) – Politics of Violence from Ayodhya to Behrampada – New
Delhi 1996, 187
(47) Victor und Victoria Trimondi – Hitler-Buddha-Krishna – Eine unheilige
Allianz vom Dritten Reich bis heute – Wien 2002
(48) Jakob Wilhelm Hauer
– Das religiöse Artbild der Indogermanen und
die Grundtypen der indo-arischen Religion –
Stuttgart 1937, XII
(49) Felix Kersten -
Totenkopf und Treue - Heinrich Himmler ohne Uniform - Hamburg 1952,
189/190
(50) Nicholas Goodrick-Clarke - Hitler's
priestess: Savitri Devi, the Hindu-Aryan myth,
and neo-Nazism - New York
1998, 120
(53) Nicholas Goodrick-Clarke - Hitler's
priestess: Savitri Devi, the Hindu-Aryan myth,
and neo-Nazism - New York
1998, 122
(54) Nicholas Goodrick-Clarke - Hitler's
priestess: Savitri Devi, the Hindu-Aryan myth,
and neo-Nazism - New York
1998, 79
(55) Nicholas Goodrick-Clarke - Hitler's
priestess: Savitri Devi, the Hindu-Aryan myth,
and neo-Nazism - New York
1998, 90
(58) Frankfurter Allgemeine Zeitung – 17.12.02 –
„Machtmensch - Warum Hitler bis heute in Indien verehrt wird“
(60) Pradeep Nayak - The politics of the Ayodhya dispute – New Delhi 1993, 53
(61) Koenraad Elst
- Ayodhya and After - Issues Before
Hindu Society – Chapter 11 – The riots - www.bharatvani.org/books/ayodhya/ch11.htm
(66) Pradeep Nayak
– The politics of the Ayodhya dispute – New Delhi 1993, 42,
47; siehe auch: Sarvepalli Gopal (Hrsg.) – Anatomy of a Confrontaion.
The Babri Masjid-Ramjanmabhumi
issue – New Delhi
1991, 132
(67) John McGuire – Peter Reeves – Howard Brasted
(ed.) – Politics of Violence from Ayodhya to Behrampada – New
Delhi 1996,
149
(70) In: Sarvepalli Gopal
(Hrsg.) – Anatomy of a Confrontaion.
The Babri Masjid-Ramjanmabhumi
issue – New Delhi
1991, 134
(75) K. R. Malkani – The Politics of Ayodhya & Hindu-Muslim Relations – New Delhi 1993, 11
(97) David Frawley – „Hinduism and the
clash of civilizations” – in: http://bharatvani.org/books/civilization/part1.html
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