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     Islam 
    
     
     
    Im Dienste des 12. Imam 
    Weshalb
    durch den Libanon-Krieg das Erscheinen des  
    schiitischen
    Messias beschleunigt werden sollte 
      
    Victor und Victoria Trimondi 
      
    Nachdem
    der Libanon-Krieg schon 15. Tage andauerte, entdeckten die westlichen
    Medien einen Artikel in der arabischen Tageszeitung Asharq al-Awsat mit dem Titel „Irans Geheimplan, im Falle, dass
    er von den USA angegriffen wird, trägt den Codenamen Qiyamah.“ Der detaillierte Bericht stammte vom 27. April 2006,
    wurde aber erst jetzt von einer breiten Öffentlichkeit wahrgenommen. Unter
    der Schirmherrschaft des Irans, heißt es dort, hätten sich verschiedene
    schiitische Djihad-Organisationen koordiniert, um im Falle eines
    US-Angriffs auf den Iran den Nahen- und Mittleren- Osten mit andauerndem
    Terror zu überziehen und darüber hinaus israelische, britische und
    amerikanische Ziele in der ganzen Welt durch „Märtyrer-Operationen“ anzugreifen.
    Beschlossen worden sei dieser „Geheimplan“ von Vertretern der Hisbollah aus dem Libanon, des Islamischen Djihad aus Palästina,
    der Mahdi-Armee aus dem Irak und
    den al-Quds-Brigaden aus dem
    Iran. Koordinationschef war der iranische Brigadegeneral Qassim Suleimani.
    Nach dem Treffen hätten die genannten Gruppen hohe Geldsummen aus Teheran
    erhalten.  
      
    Von ganz
    besonderem Interesse ist der Codename, der dem Plan gegeben wurde. „Qiyamah“ bedeutet Jüngstes Gericht. Der Glaube an das
    eschatologische Gericht am Ende der Zeiten (im Koran auch die Stunde
    genannt) zählt zu den Kernaussagen der islamischen Offenbarung. „Die
    Stunde kommt bestimmt, an ihr ist kein Zweifel möglich.“ - heißt es in
    der Sure 40. Der Sure 22 ist zu entnehmen, dass das „Beben der Stunde“ schrecklich sein wird, denn am „Tag der
    Abrechnung“, d. h. am Tag, an dem das Jüngste Gericht eröffnet wird, erscheint Allah grimmiger als je zuvor. Er scheidet die Gläubigen von den
    Ungläubigen und verdammt letztere zu ewigen Höllenstrafen. Theologisch ist
    es sicher nicht korrekt, den weltweiten Terror schiitischer „Gotteskrieger“
    als Qiyamah (Jüngstes Gericht) zu bezeichnen, aber zweifelsohne annonciert
    dieser Codename, dass sich radikale Schiiten in Teheran, Beirut und Bagdad
    endzeitlicher Bilder und Metaphern bedienen, um diese in realpolitische
    Strategien umzusetzen. Sie sind der Ausdruck einer Endzeitstimmung, die
    heute die gesamte schiitische Religionsgemeinschaft erfasst hat.  
      
    Die Messias-Obsession des Mahmoud
    Ahmadinedschad 
    Die
    Grundlagen für den offiziellen Schia-Glauben legte Sayyed Ruholla Khomeini
    (1900-1989). Der Ayatollah entwickelte eine aktive, militante, aggressive
    und politische Variante des bis dahin weitgehend passiven, quietistischen
    und unpolitischen Schiismus, welche sich (wie der Kommunismus) als
    Ideologie für die Ausgebeuteten dieser Erde präsentierte. Er forderte eine
    islamische Weltrevolution unter der Führung der Schia, verankerte dieses
    Postulat in der iranischen Verfassung, stellte die Eroberung Jerusalems
    (al-Ouds) an den Anfang seiner religionspolitischen Globalisierungs-Vision
    und prägte den in der islamischen Welt höchst populären Begriff vom „Großen
    Satan“, ein Synonym für die USA oder den Westen insgesamt. Kombiniert wurde
    diese Revolutionstheorie mit dem apokalyptisch-mystischen Glauben an die
    baldige Rückkehr des schiitischen Endzeit-Messias, des Imam-Mahdi. 
      
    Nachdem
    sich der Iran im Krieg mit Saddam Hussein ausgeblutet hatte und sich 15
    Jahre lang in einer Phase relativer Liberalität erholte, tauchten die
    Gespenster Khomeinis im Jahre 2005 wieder auf und nahmen von dem
    derzeitigen iranischen Präsidenten Mahmoud Ahmadinedschad Besitz. Man hat
    den Eindruck, dass dieser kleine Mann mit dem unerschütterlichen Blick und
    dem großen Mund Tag und Nacht von der fixen Idee angetrieben wird, er sei
    dazu auserwählt, die Epiphanie des schiitischen Messias vorzubereiten. Er
    hat dafür gesorgt, dass dessen verschiedene Namen selbst dem westlichen
    Durchschnittsbürger geläufig sind. Der „Imam-Mahdi“ oder „12. Imam“ oder
    „Verborgene Imam“ ist jene von den Schiiten bis hin zur Ekstase vergötterte
    Erlöserfigur, die nach einer Zeit des Chaos und der Kriege, die
    Unterdrückten dieser Erde unter dem Zeichen des Halbmondes und mit keine
    Opfer scheuender Gewalt befreit.  
      
    Es scheint
    so, als würde der Ayatollah-Diener Ahmadinedschad all sein politisches
    Handeln aus dem vermeintlichen Willen des „Imam Zamam“ ableiten, des „Herrn
    der Zeit“, wie der Zwölfte Imam ebenfalls genannt wird. Hören wir den
    Präsidenten in seinen eigenen Worten: „Die Hauptmission unserer Revolution
    ist es, den Weg für das Erscheinen des 12. Imam Mahdi zu pflastern.“ -
    erklärte er während eines Freitagsgebets. In allen Bereichen müsse die
    iranische Gesellschaft auf dieses Erwartungsziel hin konditioniert werden:
    „Heute sollten wir unsere Ökonomie, unsere Kultur und unsere Politik so
    definieren, als basierten sie auf einer Politik der Rückkehr des
    Imam-Mahdis.“ Selbst die UNO-Vollversammlung wurde im September letzen
    Jahres nicht vom Missionsdrang des Präsidenten verschont, als er auch dort,
    vor einer konsternierten Weltöffentlichkeit, die baldige Ankunft des
    schiitischen Endzeit-Messias verkündete und sogar das Ende des säkularen
    Zeitalters bekannt gab. Während der Rede wähnte er sich selber umstrahlt
    von einer mystischen Aureole aus grünem Licht. 
      
    Mittlerweile
    werden die polit-religiösen Reden Ahmadinedschads, der sich als ein
    Instrument Gottes mit dem Segen der Ayatollahs versteht, hinreichend durch
    die Weltpresse zugänglich gemacht. Dennoch besteht weiterhin eine
    unverzeihliche Ignoranz (oder eine Art säkularer Ekel?) über den
    eschatologischen Gehalt seiner einzelnen Statements. Ein Beispiel dafür:
    Die europäische Presse kommentiert zwar ausführlich die markigen Sprüche
    des Präsidenten über das „Wegradieren [Israels] von der Landkarte“ in einem
    „Schicksalskrieg“, aber eine Ableitung von Ahmadinedschads exzessivem
    Antisemitismus aus seinem apokalyptisch-messianischen Weltbild wurde
    unseres Wissen bisher nicht vorgenommen. Dabei gilt nach einer
    vermeintlichen Aussage des Propheten Mohammed die Vernichtung der Juden als
    die conditio sine qua non dafür,
    dass die Endzeit-Ereignisse überhaupt erst in Gang gesetzt werden, so dass
    der Imam-Mahdi erscheinen kann. „Die
    Stunde [das Jüngste Gericht] wird
    nicht kommen bevor die Muslime die Juden bekämpfen. […] Oh ihr Muslime, Ihr
    Diener Gottes, hier sind die Juden, kommt und tötet sie!“ - besagt ein in
    der ganzen islamischen Welt immer wieder zitierten Hadith. Ein zweiter Holocaust ist somit unabdingbarer Bestandteil
    des eschatologischen Dogmas, nach dem Ahmadinedschad seine Politik
    ausrichtet.  
      
    Apokalyptiker
    aller Religionen schrecken in ihren blutigen Vernichtungsphantasien vor
    rein gar nichts zurück, wenn es um die Auslöschung ihrer Gegner geht, in
    denen sie die „Feinde Gottes“ erkennen. Deswegen ist höchste Vorsicht
    geboten, falls sie politische und militärische Macht erlangen. Es empfiehlt
    sich, immer ihre endzeitliche Ideologie vor Augen zu halten. Das sollten
    wir auch im Falle der Rede tun, die Ahmadinedschad am 11. Juli 2006 hielt,
    nachdem die ersten Bomben auf den Libanon gefallen waren: „Stoppt endlich
    damit, diese verdorbenen Leute [die Israelis] zu unterstützten. Achtet
    darauf, die Wut der muslimischen Völker ist zunehmend im Steigen. Die Wut der
    muslimischen Völker wird bald den Punkt einer Explosion erreichen. Wenn
    dieser Tag kommt, müssen sie wissen, dass die Wellen dieser Explosion nicht
    auf die Gebiete unserer Region begrenzt sein werden. Sie werden ganz sicher
    die korrupten Kräfte erreichen, die dieses heruntergekommene Regime
    unterstützen.“ - drohte der Präsident. Solche Worte sind sicher keine
    erfreuliche Reaktion auf den europäischen Vorschlag über die Schließung der
    nuklearen Aufbereitungsanlagen - zumal mit dem Begriff „Explosion“ auch das
    Resultat eines atomaren Countdowns gemeint sein kann.  
      
    Dass im
    Iran die Absicht besteht, eine A-Bombe zu konstruieren, darin sind sich die
    Experten einig. Schon 1992 hatte der damalige Vizepräsident, Sayed
    Ayatollah Mohajerani, ein Interesse seines Landes angekündigt: „Da Israel
    damit fortfährt, nukleare Waffen zu besitzen, müssen wir, die Muslime,
    zusammenarbeiten, um eine Atombombe zu produzieren, unabhängig von einer
    Anstrengung der UNO, der Verbreitung [von A-Waffen] zuvorzukommen.“
    Bestätigt wird das heute durch einen am 13. Juli in der konservativen,
    iranischen Tageszeitung Kayhan
    Artikel: „Israel militärische Vorteile in der Region sind dabei
    zusammenzubrechen, und ein nuklearer Iran ist dabei das nukleare Prestige
    von Israel auszuradieren.“ – heißt es dort großsprecherisch. Erst eine
    „Schia-Bombe“ gäbe dem Iran das wirkliche Prestige apokalyptischen
    Schreckens. Anlässlich einer Militärparade im September 2005 wurde in
    Teheran eine neue Serie von Trägerraketen gezeigt, die auch mit atomaren
    Sprengköpfen ausgerüstet werden kann. Diese tragen den Namen Zilzal. Die Bezeichnung Zizal entspricht der 99. Sure des Korans, die von einem letzten
    Erdeben berichtet, welches das Jüngste
    Gericht (Qiyamah) einleitet. 
      
    Ahmadinedschad
    hat für seine Entscheidung, ob er das lukrative europäische Angebot als
    Gegenleistung für den Verzicht auf Urananreicherung annimmt, den 22. August
    2006 bestimmt. So etwas geschieht in einem Land, in dem jeglichem
    politischen Schritt eine religiöse Bedeutung zukommt, nicht ohne symbolische
    Absicht. Der 22. August entspricht dem 28. Rajab des muslimischen Kalenders, dem Tag, an dem Saladin
    Jerusalem für den Islam im Jahre 1187 zurückeroberte. Farid Ghadry,
    Präsident der Reform Party of Syria
    fügte noch eine mystische Erklärung hinzu: Die Nacht des 21. August sei das
    traditionelle Datum als Mohammed auf dem geflügelten Pferd Burak in den Himmel aufstieg und das
    am heute umstrittensten Ort der Erde, dem Tempelberg in Jerusalem. Dieses
    Datum, glaubt Bernard Lewis, der Doyen der angelsächsischen Arabistik,
    „könnte durchaus als angemessen erachtet werden für einen apokalyptischen
    Untergang Israels oder, wenn nötig, der ganzen Welt.“ Auch wenn dieses
    Datum jetzt schon überschritten ist, ohne dass etwas passierte, im nächsten
    Jahr kommt es wieder. „Der islamische Staat träumt davon, die Welt zu
    erobern. Wenn nicht in 10 oder 50 Jahren, dann in 500 und 1000 Jahren.“ –
    meint die Exiliranerin Elahe Boghart. 
      
    Die Hisbollah (Partei Gottes) im Krieg
    mit der Hisb-e-Shaitan (Partei
    Satans) 
    Die Hisbollah wurde von libanesischen
    und iranischen Anhängern des Ayatollah Khomeini gegründet. Auch für sie
    wirkt und webt hinter aller Ideologie, allen staatlichen Institutionen,
    aller Politik als letzte Instanz aus der Verborgenheit heraus der mystische
    Imam. Der ehemalige iranische Minister Ali Yunesi brachte die Beziehung der
    Organisation zu Teheran auf die knappe Formel:  „Iran ist Hisbollah und Hisbollah
    ist Iran“. Das gilt in Fragen der Religion noch mehr als in Fragen der
    Politik. Deswegen ist das religiöse Repertoire in den Reden des Hisbollah-Führers und Judenhassers
    Hassan Nasrallahs, dessen Name „Sieg Allahs“ bedeutet, ohne Originalität.
    Er wiederholt nur, was schon von Khomeini zur Doktrin erhoben wurde. Da
    braucht man sich in Teheran nicht über einen möglichen Dissens zu sorgen.
    „Zu Hassan Nasrallah sagen wir: gut gemacht! Dieser religiöse Lehrer brüllt
    wie ein Löwe, und das Blut des Imam Khomeini wallt in seinen Adern.“ -
    skandierte der iranische Parlamentssprecher Gholam-Ali Haddad Adel kurz
    nach Ausbruch des Libanon-Krieges 
      
    Wie für
    Ahmadinedschad so ist auch für Nasrallah der Verborgene Imam die oberste Autorität. Über die mystische
    Befehlskette an deren Spitze der „Herr der Zeit“ (Imam Zaman) steht, spricht auch der Hisbollah-Chef ganz offen: „Wir müssen dem wali al- faqih [höchster Rat der Ayatollahs] gehorchen. Die
    Führerschaft des faqih ist wie
    die Führerschaft des Propheten Mohammed und die des unfehlbaren Imam [des
    12. Imam]. So wie die Führerschaft des Propheten Mohammed und diejenige des
    unfehlbaren Imams obligatorisch ist, so ist es auch die Führerschaft des faqih […] Wenn der wali al-faqih jemandem befiehlt zu
    gehorchen und diese Person sich dem widersetzt, dann kommt das einer
    Insubordination gegenüber dem [verborgenen 12.] Imam gleich.“ Ideologisch
    ist die Hisbollah deswegen
    demselben messianisch-apokalyptischen Glühen ausgesetzt, die auch den
    iranischen Präsidenten Ahmadinedschad zum „leuchten“ bringen.  
      
    Der Kampf
    der Terrororganisation gegen Israel und den Westen trägt aus diesem Grunde
    auch extrem dualistische und zudem kosmogonische Züge. In ihm stehen sich
    die Kräfte des ‚Guten’, d. h. die „Partei Allahs“ (Hisb-e-Allah das
    ist „Hisbollah“) und die  Mächte des
    ‚Bösen’, die „Partei Satans“ (Hisb-e-Shaitan), unversöhnlich
    gegenüber. Der Begriff „Satan“ als Synonym für Israel, für Amerika oder für
    den gesamten Westen gehört zur rhetorischen Standardausrüstung eines jeden Hisbollah-Sprechers. Es ist also
    zutreffend, wenn die Politologin Yehudin Barsky die Hisbollah als eine Organisation charakterisiert, die ihre
    Mitglieder dazu „auffordert, gegen die Kräfte des Bösen in der Welt zu
    kämpfen, um eine letzte apokalyptische Konfrontation zwischen Muslimen
    (gekennzeichnet als die Kräfte Gottes in der Welt) und den Westen
    (gekennzeichnet als die Kräfte des Bösen) zu beschleunigen.“  
      
    Auch wenn
    sich die blutigen Aktionen der Hisbollah
    bis jetzt weitgehend auf die Region beschränkt haben, so will die „Partei
    Gottes“ ihren kosmischen Krieg gegen den „westlichen Satan“ früher oder
    später globalisieren. Dieses Fernziel wird nicht nur offen ausgesprochen,
    sondern drückt sich auch demonstrativ in Emblem der libanesischen
    Gotteskrieger aus, das eine Hand mit einem AK-47 Gewehr, den Namen der
    Organisation und einen Globus (!) zeigt. Von Teheran aus wird zudem das „kosmische“
    Selbstverständnis von Nasrallahs Armee ständig angeheizt: „Ihr seid die
    Sonne des Islams, die das ganze Universum durchstrahlt.“ - schwärmte der
    bisher als liberal geltende Präsident des Irans, Mohammed Khatami.
    Mittlerweile ist Hassan Nasrallah in der arabischen Welt zum „Super Hero“
    emporgestiegen, wie der Fernsehsender Al-Jazeera
    auf seiner englischen Website feststellt. Auch  gläubige Sunniten, Hamas-Aktivisten und
    palästinensische Säkularisten sehen in ihm den Held der Stunde. 
      
    Die Endzeitstimmung im Irak 
    Trotz
    aller westlichen Gegendarstellungen sind im Irak die Schiiten dabei, eine
    islamische Theokratie nach iranischem Muster vorzubereiten. Protagonist
    dieses Projekts ist der 33jährige radikale Muqtada al-Sadr. Charismatisch,
    finster entschlossen hat der junge Ayatollah seine eigene Miliz aufgebaut,
    die mittlerweile gut ausgerüstete „Mahdi
    Armee“. Diese orientiert sich, wie schon der Name suggerieren soll,
    ebenfalls an einem endzeitlichen „Programm“ des Verborgenen Imam. Am 19. Februar erklärte al-Sadr in einem
    Interview des Senders al-Jazeera,
    seine Gotteskrieger seien „die Basis des Imam Mahdi und eine solche Basis des Prophezeiten [Messias]
    könne nicht aufgelöst werden.“ Al-Sadrs Prediger verkünden im ganzen Land,
    die Erscheinung des militanten Messias stünde kurz bevor und die Amerikaner
    wüssten darüber genau Bescheid. Sie hätten den Irak-Krieg begonnen und
    hielten das Land besetzt, weil sie den Imam-Mahdi
    töten wollten. 
      
    Schon
    al-Sadrs Vater, Muhammad Sadiq
    al-Sadr, und sein Großonkel Muhammad Baqir al-Sadr waren auf die
    schiitische Erlösergestalt sowie auf den Tag des Jüngsten Gerichts (Qiyamah)
    fixiert und publizierten hierzu mehrere Schriften, darunter auch eine Enzyklopädie des Imam Mahdi. Im Irak
    Saddam Husseins bauten die beiden Ayatollahs offen und im Untergrund ein
    Netzwerk von gläubigen Anhängern auf und wurden schon zu Lebzeiten als
    mystische Populisten verehrt. Ihre Ermordung durch Schergen des
    Baath-Regimes brachte ihnen die Titel „der erste Märtyrer“ und „der zweite
    Märtyrer“ ein. Muqtada al-Sadr führte die messianische Tradition der
    Familie fort und bereitet sich ebenfalls auf die Endzeit vor, obgleich er
    keine gründliche theologische Ausbildung genossen haben soll.  
      
    Seine
    Mahdi-Krieger beteiligen sich nur deswegen begrenzt an den Aufständen gegen
    die westlichen Besatzungsmächte, weil den Schiiten dank ihrer absoluten
    Bevölkerungsmehrheit die ganze politische Macht früher oder später von
    selbst in die Hände fällt und weil der bis jetzt noch übermächtige
    Ayatollah Sistani das Sagen hat. Sollte es aber zu einem westlichen
    Militärschlag auf den Iran oder Syrien kommen, dann werde die Mahdi-Armee
    gegen die Amerikaner und Briten einen fürchterlichen Krieg entfesseln,
    warnte al-Sadr vor kurzem.  
      
    Leere
    Drohungen? - In Bagdad weiß man längst, worum es den radikalen Schiiten im
    Grunde geht. Hören wir einen Einwohner der Stadt: „Beide, Ahmadinedschad
    und Sadr, sind devote Gläubige an den ‚Retter-Imam’ des Schia-Islam, der
    12. Nachkomme des Propheten Mohammed. […] Sie glauben es sei ihre Pflicht,
    den Weg zu pflastern und den Grund vorzubereiten, damit der Imam erscheinen kann, dessen
    Erscheinen […] bestimmte Bedingungen und eine bestimmte Abfolge von
    Ereignissen erfordert.“  
      
    Diese
    penetrante Präsenz des Verborgenen
    Imam hat etwas Unheimliches, Surreales und Aufdringliches. Schon in den
    ersten Tagen des Libanon-Krieges tauchten Graffitis mit religiösen
    Botschaften über die Ankunft des Heilsbringers an Mauern des geschundenen
    Bagdad auf. Eine davon lautete: „Durch den Verzicht auf Sünde und durch
    Unterwerfung für das Heil nach dem Tode, werden wir die besten Soldaten
    unseres Führer und Retters, des Mahdi,
    sein.“ Solche Sprüche befinden sich besonders häufig im Gebiet um das
    Innenministerium mit seinen Polizeitruppen, die sehr loyal zu Sadr stehen.
    Auf Fahnen sind ähnliche Parolen zu lesen. Seit mehr als einer Woche
    marschieren Mitglieder der Mahdi
    Armee im Gleichschritt durch die Hauptstadt, in ihren Händen
    Kalaschnikows, irakische Nationalflaggen und libanesische Hisbollah-Fahnen. Sie skandieren:
    „Wir folgen deinen Befehlen Muqtada, wir folgen deinen Befehlen Nasrallah!“
    Einige von ihnen tragen eine Banderole mit der Aufschrift: „Die Mahdi Armee und die Hisbollah Hand in Hand um die
    islamische Religion und den schiitischen Glauben zu verteidigen.“ Am 4.
    August gingen nach einem Aufruf al-Sadrs Zehntausende in Bagdad auf die
    Strasse, um gegen Israel und Amerika zu protestierten. Der Schulterschluss
    mit der Hisbollah unter dem
    Zeichen des allgegenwärtigen Imam
    ist schon längst vollzogen.  
      
    Sollte es zu einem
    Schiitenaufstand im Irak kommen, sind die Folgen nicht mehr auszumalen,
    denn Horrorszenen aus Apocalypse Now
    sind jetzt schon zum irakischen Alltag geworden. „Es gibt da einen
    Geschmack nach Apokalypse.“ - schreibt Reuven Paz, Direktor des Project fort the Research of Islamist
    Movement – „Nicht nur Jugendliche, sondern Leute in den 30ern mit
    Familie, sind bereit in den Irak zu gehen, und sich selbst in die Luft zu
    sprengen. Ungefähr 700 Menschen töten sich dort jedes Jahr. Sie glauben, dass
    sie am Abend vor dem Ende der Geschichte leben und das der große Sieg des
    Islams kurz bevorstehe.“ 
      
    Ausgehend von den
    schiitischen Minderheiten in Afghanistan, über die islamische Republik
    Iran, über den Irak bis hin zu den Mittelmeerstränden des Libanon ist in
    ununterbrochener Linie eine aggressive messianisch-apokalyptische Bewegung
    der Schia entstanden. Sie ist machtvoller als al-Qaida, weil sie nicht nur den Terrorismus als Option hat,
    sondern auch eine, zumindest nach außen hin demokratische Staatspolitik.
    Mahmoud Ahmadinedschad im Irak, Hassan Nasrallah im Libanon und Muqtatda
    al-Sadr im Irak sind politische Führer von Parlamentsfraktionen und üben
    direkt oder indirekt Regierungsaufgaben aus. Das erlaubt es ihnen, je nach
    Lage, zwischen Diplomatie, Terrordrohung und realem Terror zu wählen. 
      
    Auch wenn
    Ahmadinedschad, was die endzeitlichen Inhalte seiner Reden anbelangt, am
    lautstärksten unter ihnen predigt, so symbolisieren Nasrallah und al-Sadr
    weit mehr als er das Image eines militanten Messianismus. Der iranische
    Präsident gleicht mit seinem offenen Hemdkragen und abgetragenen
    Straßenanzug einem Apparatschick der Kommunistischen Partei, die beiden
    Ayatollahs dagegen nehmen mit ihrer strikten, würdevollen klerikalen
    Kleiderordnung, ihrer Dynamik und ihrem entschlossen Ja zum Heiligen Krieg das Bild des
    kommenden Imam-Mahdis vorweg, so dass viele ihrer Anhänger diesen schon in
    ihnen leibhaftig vor sich glauben.  
      
    Heute sagen die
    Schiiten, dass ihre große Stunde geschlagen hat, und damit auch die Glocke,
    welche die Rückkehr ihres verborgenen Erlösers ankündigt. Ihr triumphales
    Selbstbewusstsein verdanken sie nicht zuletzt den USA und dem Westen
    insgesamt, die ihren Erzfeind Saddam Hussein und die ihnen feindlich
    gesinnten Taliban ausschalteten. Hinzukommt, dass durch die von Washington
    so gefeierte Einführung der Pseudo-Demokratie im Irak der Schia früher oder
    später die politische Macht im Lande ohne großes Zutun von selber in die
    Hände fällt, da sie die absolute Mehrheit hat. Auch der Libanon-Krieg hat
    das Selbstwertgefühl der Schiiten beachtlich stärken können. In der
    gesamten islamischen Welt wird der Widerstand Hassan Nasrallahs und der Hisbollah gegen die Israelis als
    glorreicher Sieg gefeiert. Das absolute Gipfelerlebnis wäre nun der Bau
    einer A-Bombe. Weshalb sollten die Ayatollahs in Teheran darauf verzichten?
     
      
    Ein durchgehendes
    schiitisches Großreich vom Libanon bis Afghanistan würde an die 50 % aller
    Erdölvorkommnisse der Region besitzen – eine Horrorstatistik für den Westen.
    Alleine jedenfalls dürfte er das Schia-Gespenst, das er selber aus der
    Flasche befreit hat, wohl nicht mehr loswerden. Nur wenn die mächtigen
    sunnitischen Staaten, die ebenfalls den nach ihrer Vorstellung häretischen
    Glaubensbruder aus dem Norden wie den Teufel fürchten, der Schia-Welle
    einen Damm entgegensetzen, besteht Hoffnung. Dass es dazu kommt, verlangt
    vom Westen vor allem zwei Talente: eine brillante, ausdauernde und
    einheitliche Diplomatie.  
      
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