Bei dem folgenden Artikel handelt es sich um einen Vortrag gehalten
auf dem 19. Canetti-Syposium in Wien 2006. Er erschien in der Anthologie
„Islam – Dialog und Konroverse“ (Hrsg. John D. Pattillo-Hess und Mario R.
Smole) Wien 2007 (Löcker Verlag – www.gmmf.org/Buch_19.htm).
Die in den Fußnoten genannten Internet-Verweise wurden das letzte Mal 2006
überprüft.
Islamistische
Weltrevolution und
apokalyptischer Terrorismus
Seit Jahren ist die apokalyptische Obsession der
Islamisten bekannt, dennoch wird in der Öffentlichkeit kaum darüber
diskutiert: Osama bin Laden, Ayman al-Zawahiri, Abu Musab al-Zarqawi,
Muqtada al Sadr, Mahmoud Ahmadinedschad, Hassan Nasrallah und viele andere
prominente Mitspieler des internationalen Islamismus sind
Endzeit-Fanatiker, die sich als Erfüllungsgehilfen bei der Errichtung eines
weltweiten Kalifats oder sogar des Jüngsten Gerichts verstehen. „Gott
sandte mich mit einem Schwert, um die Stunde des Jüngsten Gerichts vorzubereiten, dann wenn Gott
allein verehrt wird ohne einen anderen neben ihm.“ (1) Dieser Spruch des
Propheten Mohammeds wird von Osama bin Laden und anderen Terroristen in
ihren „Kriegserklärungen“ immer wieder bemüht. Aber auch die große Masse
der Muslime ist für Endzeit-Ideologien empfänglich. „Eine Milliarde Muslime
werden letztendlich in ein Millennium Szenario hineingezogen, in dem sie
die Welt erobern. […] Je gewaltsamer und aktiver das apokalyptische
Szenario ist, je destruktiver können seine Konsequenzen sein, gleichgültig wie
unrealistisch die Ziele sind. Der Westen kann es sich nicht leisten, diese
Phantasien einfach nicht zu beachten, weil er sie für nicht realistisch
hält.“ – erklärt der amerikanische Historiker Richard Landes über den
Doomsday-Glauben in der islamischen Welt. (2)
Die
messianisch-apokalyptischen Offenbarungen erzählen von den letzten
Ereignissen in der Menschheitsgeschichte. Nahezu jede Weltreligion weist
derartige Prophezeiungen auf. Im Gegensatz zur christlichen Apokalyptik,
die sich auf einen geschlossenen Text, die Johannesoffenbarung, beruft, sind die islamischen
Endzeit-Vorstellungen eine Rekonstruktion aus verschiedenen Koran- aber insbesondere Hadith-Passagen. Das hat in den
Details zu unterschiedlichen Darstellungen des eschatologischen Geschehens
geführt, dennoch lässt sich das folgende Grundmuster herausarbeiten:
- Die menschliche
Geschichte ist der irdische Ausdruck eines kosmischen Krieges zwischen
Gut und Böse. In diesem universellen Kampf stehen sich die „Partei
Gottes“ und die „Partei Satans“ als unversöhnliche Mächte
gegenüber. Die Menschen sind gezwungen, sich für Gott oder gegen Gott
zu entscheiden.
- Die gegenwärtige Epoche
der Menschheitsgeschichte ist gekennzeichnet durch die zunehmende
Herrschaft des Bösen. Es ist eine Zeit der Niedertracht, des
Niedergangs und der Unwissenheit.
- Ein Dämon, der Dajjal, ergreift die
Gewaltherrschaft über die säkulare Welt der Ungläubigen. Er ist in
vielen Aspekten mit dem Anti-Christen der christlichen
Apokalyptik vergleichbar. Auch abtrünnige Muslime schließen sich ihm
an. Am Ende seiner Karriere versucht der Dajjal, wenn auch
vergeblich, nach dem Throne Allahs
zu greifen.
- Der Herausforderer des Dajjal,
der Messias des Islams,
erscheint als der Feldherr einer kosmischen Armee aus Menschen und
Engeln. Er wird der Mahdi genannt. Mit übernatürlichen Kräften
ausgestattet kämpft er gegen das Reich des Bösen und der Unwissenheit.
Doch letztlich ist er dem Dajjal nicht gewachsen. Da steigt aus
dem Himmel der Prophet Isa ibn Maryam, der muslimische Jesus,
und kommt dem Mahdi zur Hilfe. Ihm erst gelingt es, den Dajjal
zu vernichten.
- Die Kriege zwischen dem
Mahdi und Isa auf der einen Seite und dem
Dajjal auf der anderen
werden mit extremer Härte, mit Zorn und mit gnadenloser Grausamkeit
ausgefochten.
- Vernichtet werden am
Ende alle, die nicht Allah als den einzigen wahren Gott und Mohammed
als seinen Propheten anerkennen wollen. Gnade finden dagegen alle
rechtgläubigen Muslime und Konvertiten.
- Nach seinem triumphalen
Sieg errichten der Mahdi bzw. Isa einen weltweiten,
autoritativen „Gottesstaat“ (das Kalifat) mit dem Islam als
einziger Weltreligion.
- Das islamische Paradies
auf Erden ist nur von kurzer Dauer, dann findet das Jüngste Gericht (Qiyamah) statt, in dem die
Guten von den Bösen getrennt werden. Die menschliche Geschichte hört
auf, die Erde wird vernichtet, das Universum wird zweigeteilt in
Paradies und Hölle.
Grosso modo gelten diese acht Punkte
auch für die Schiiten, obgleich bei ihnen die Figur des Mahdi und des muslimischen Christus in der mystischen Gestalt
des 12. Imams, des schiitischen
Messias, zusammenfließen.
In welcher Beziehung zur Apokalyptik steht die
von den Islamisten angestrebte Welteroberung?
Ein heute
häufig beschworenes eschatologisches Ziel der Islamisten ist die Errichtung
eines Weltkalifats des Friedens und der Glückseligkeit. Diese Vision
erinnert sehr an die Millennium Prophezeiung der Johannesoffenbarung. Sie ist jedoch gar nicht so leicht mit den
Endzeit-Texten des Korans in
Einklang zu bringen. Dort endet die Menschheitsgeschichte kurz vor dem Jüngsten Gericht, das die Gläubigen
mit dem himmlischen Paradies belohnt und die Ungläubigen verdammt. Ein
irdisches Paradies oder gar ein globales Endzeit-Kalifat ist im Koran
nicht erwähnt. Es gibt aber einige Hadiths,
die von etwas Ähnlichem sprechen. Zum Beispiel soll die Menschheit nach dem
Endsieg Isas eine kurze Periode des Friedens durchleben: „Isa wird die Unterdrückten von der Steuer
befreien. Es wird so großer Wohlstand herrschen, dass keine Kamele als
Reittiere benutzt werden, und den Menschen wird es an nichts fehlen.
Feindschaft, Hass und Bosheit werden unbekannt sein.“ (3) Diese
Kargheit von Millenniums-Bilden hat dazu geführt, dass von muslimischen
Rechtsgelehrten häufig Anleihen aus der christlichen Apokalyptik gemacht
werden, um diese für den Islam aufzubereiten.
Im
Gegensatz hierzu lässt sich die Vorstellung einer islamischen Welteroberung
sehr wohl aus dem Koran ableiten,
wenn man, wie die Fundamentalisten, die einschlägigen Passagen wörtlich
interpretiert. Das ergibt sich zum Beispiel aus der 8. Sure: „Kämpf gegen sie, bis es keine Verführung mehr gibt und
die Religion gänzlich nur noch Allah gehört.“ (Sure 8: 39) Diese
Aufforderung ist an erster Stelle nicht machtpolitisch zu verstehen,
sondern als ein moralischer Imperativ, denn die gegenwärtige Welt liegt in
den Händen Satans. So heißt es in der 4. Sure: „Diejenigen, die glauben, kämpfen auf dem
Weg Gottes. Und diejenigen, die ungläubig sind, kämpfen auf dem Weg der
Götzen. So kämpft gegen die Freunde des Satans.“ (4. Sure, 76)
Alle
Islamisten, ob schiitische oder sunnitische, haben den Konsensus, dass das
Reich Satans die säkulare Kultur des Westens ist. Seine koloniale
Vergangenheit, seine wirtschaftliche und politische Macht, seine Kriegsmaschinerie,
seine Massenkultur - all das ist für sie ein Werk des Teufels. Der Katalog,
den Osama bin Laden anführt, um die westliche Dekadenz aufzuzeigen, ähnelt
erstaunlich demjenigen, den christliche
Fundamentalisten ebenfalls gegen das säkulare Amerika auflisten:
Amoralität, Lügen, Prasserei, Unzucht, Homosexualität, Prostitution,
Sexindustrie, Drogen, Spielleidenschaft, Geldgier und die Trennung von
Politik und Religion werden von ihm genannt und er kommt zu dem Schluss:
„Es ist traurig, euch sagen zu müssen, dass ihr die schlimmste Gesellschaft
in der Geschichte des Menschengeschlechts seid.“ (4) Schon der Ägypter
Sayyid Qutb, der in den 60er Jahren hingerichtete Chefideologe des
Islamismus, hatte die US-Gesellschaft in all ihren Aspekten verteufelt. Später
nannte Ayatollah Khomeini die USA den „Großen Satan“ und heute sieht bin
Laden die Amerikaner und Juden als dessen Erfüllungsgehilfen. „Wir fordern […] die Kämpfer auf, einen
Krieg gegen die amerikanischen Soldaten des Satans und ihre Alliierten des Teufels
zu entfesseln.“ (5) Je mehr sich jedoch der Westen aus seinem
christlich-jüdischen Erbe definiert, umso mehr wird die religiöse Seite der
westlichen Kultur für die Islamisten zum satanischen Feindbild. Sie führen
ihren Religionskrieg jetzt gegen „Polytheisten“ und gegen „Kreuzzügler“.
Dass die
islamische Welteroberung nur gewaltsam geschehen kann, darin sind sich
sunnitische und schiitische Fundamentalisten einig. „Der Djihad ist
das Mittel für die Durchführung dieser Weltrevolution.“ - lesen wir bei
Sayyid Qutb (6) und Ayatollah Khomeini leitet die Welteroberung sogar
umgekehrt aus dem Konzept des Djihad
ab: „Diejenigen, die den Djihad studieren,
werden verstehen, weshalb der Islam die gesamte Welt erobern will. Alle
durch den Islam eroberte Länder oder Länder, die von ihm in Zukunft erobert
werden, tragen das Zeichen immerwährender Rettung.“ (7) Osama bin Laden
erklärte in einem Statement aus dem Jahre 2004: „Die Tradition des
Propheten besagt: Eine Gruppe aus meiner Gemeinschaft wird den Kampf fortführen,
um bis zum Jüngsten Tag die Gerechtigkeit durchzusetzen. So, macht es
sicher, dass ihr zu dieser Gruppe zählt.“ (8)
Der
„Heilige Krieg“ ist das adäquate Mittel zur Durchsetzung der islamischen
Eschatologie, denn der Mahdi wird
als militanter Messias
erscheinen. Er agiert zwar nicht so blutrünstig wie der in der Johannesoffenbarung vorhergesagte
Christus, aber er kennt ebenfalls kein Pardon mit den Ungläubigen. Von dem
schiitischen 12. Imam-Mahdi heißt
es in einem Hadith: „Ich bin der Prophet, und Ali ist mein
Erbe, und von uns wird abstammen der Mahdi, das Siegel der
Imame, und er wird alle Religionen erobern und Rache nehmen an den
Übeltätern. Er wird die Festungen einnehmen und sie zerstören, alle Stämme
der Götzendiener vernichten, und er wird Vergeltung üben für den Tod jedes
Märtyrer Gottes.“ (9)
Da nur der
Islam „immerwährende Rettung“ garantiert, sind nach Sicht der
Fundamentalisten alle Ungläubigen Hindernisse auf dem Heilsweg und stehen
deswegen vor der Alternative entweder zu konvertieren oder ausgerottet zu
werden. Von einem Dhimmi-Status der Christen und Juden als Steuerzahler, so
wie sie Jahrhunderte lang in den muslimischen Ländern gelebt haben, ist am
Ende der Zeiten keine Rede mehr. So kommt auch Khomeini zu dem Schluss:
„Der Koran lehrt uns, nur diejenigen als Brüder zu behandeln, die Moslems
sind und an Allah glauben. Er lehrt uns andere anders zu behandeln; er
lehrt uns sie zu schlagen, ins Gefängnis zu werfen und zu töten.“ (10)
Khomeinis jetziger Nachfolger, der Oberste Religiöse Führer des Irans
Ayatollah Khamenei predigt etwas Ähnliches. Wir haben „die Pflicht, so
lange zu kämpfen, bis die ganze Menschheit entweder konvertiert oder sich
der islamischen Herrschaft beugt.“ (11)
In den mittlerweile klassischen
Schriften der modernen islamistischen Theoretiker ist häufig anstatt von
Welteroberung von einer „universellen Revolution“ die Rede. Ziel dieser
Revolution ist nach Sayyid
Qutb die absolute Herrschaft Allahs in allen Breichen des
Lebens. „Gottes Souveränität zu
erklären bedeutet: die umfassende Revolution gegen die menschliche
Herrschaft in allen ihren Wahrnehmungen, Formen, Systemen und Umständen und
den totalen Widerstand gegen jede Erscheinungsform der menschlichen
Herrschaft.“ (12) Ebenso fordert der Gründer der pakistanischen
Muslimbruderschaft, Maulana Maududi, „eine Revolution durchzuführen, um
eine neue Ordnung zu schaffen […], die mit den Gesetzen des Islams konform
geht. […] Obgleich es die Pflicht der ‚Partei der Muslime’ ist, diese
Revolution zuerst dem eigenen Land zu bringen, ist ihr ultimatives Ziel die
Weltrevolution.“ (13) Nachweislich bedienten sich diese beiden prominenten
Ideologen des modernen Islamismus, Qutb und Maududi, bei linken
Revolutionstheorien.
Das gilt
auch für Ayatollah Khomeini, der sogar den von den sunnitischen Islamisten
benutzten Gegensatz zwischen „Haus des Islams“, sprich Herrschaftsgebiet
der Muslime, und „Haus des Krieges“, sprich Herrschaftsgebiet der
Ungläubigen, durch die marxistische Formel von Ausgebeuteten und
Ausbeutern, Unterdrückten und Unterdrückern ersetzt. Entsprechend fordert
die von ihm mitkonzipierte iranische Verfassung in Artikel 154 „die
gerechten Kriege der Erniedrigten gegen die Mächtigen in jedem Winkel der
Erde“ zu unterstützen. Heute ist dieser linksrevolutionäre Jargon weiterhin
ein wichtiges Element in der politischen Agitation der
Schia-Fundamentalisten. Er soll signalisieren, dass der revolutionäre
Islamismus das ethische Erbe eines internationalen Kommunismus
fortentwickelt hat. Das ist nicht nur ein propagandistischer Trick, um den
kapitalistischen Westen mit dem kommunistischen Gespenst zu erschrecken,
sondern kann zu realen Bündnissen führen, wie jüngst die Kooperation des
iranischen Präsidenten Mahmoud Ahmadinedschad mit dem venezuelanischen
Linkspopulisten Hugo Chavez, der sich wiederum im Gegenzug von dessen
religiösen Jargon inspirieren ließ und George W. Bush auf der diesjährigen
UNO-Vollversammlung als „Teufel“ beschimpfte.
Haben die „Märtyrer-Operationen“
einen eschatologischen Background?
Die häufigste
Form des „Heiligen Krieges“, der heute von den revolutionären Islamisten
geführt wird, sind die so genannten Selbstmord-Attentate oder
„Märtyrer-Operationen“. Reguläre Armeen aus Djihad-Kämpfern hätten gegenüber den westlichen
Militärmaschinerien keinerlei Chance. Obgleich in den letzten Jahren die
meisten Suizid-Attentate von Sunniten durchgeführt wurden, werden wir uns
in dieser Frage aus Zeitgründen auf den Schia-Fundamentalismus beschränken
und das aus drei Gründen:
- weil radikale Schiiten
die Ideologie der religiösen (nicht nationalistischen)
Märtyrer-Operationen in ihrer jetzigen Form als erste entwickelt
haben.
- weil die sunnitischen
Extremisten sich hiervon inspirieren ließen
- weil im Falle eines Iran-Krieges
mit einer schiitischen Welle von Märtyrer-Operationen ungeahnten
Ausmaßes zu rechnen ist.
In der modernen
Schia-Ideologie werden heute zwei Aspekte des Martyriums besonders
hervorgehoben. Einmal das Shahadat
als mystisches Urereignis, das aus sich heraus, die islamische Revolution
vorantreiben soll, zum andern das Martyrium als ein Ausdruck des Djihad, um mittels
Selbstmordaktionen militärische und terroristische Ziele zu erreichen.
Keiner hat die Mystik des Shahadats
mit der Vision einer islamischen Eschatologie so eng verknüpft wie der
charismatische iranische Philosoph Ali Shariati, der 1977 von der SAVAK,
dem Geheimdienst des Schahs, ermordet wurde. Shariati war davon überzeugt,
dass der revolutionäre Weg des Islams in eine klassenlose Gesellschaft
endet. In dieser Frage hatte er die Priesterklasse der Ayatollahs als
entschiedene Gegner, aber seinen Ausführungen zum Shahadat sind sie gefolgt.
Für Shariati ist das
Martyrium die ständige und höchste Opfergabe im Kampf für eine von
Unterdrückung und Unwissenheit befreiten Gesellschaft. Jeder hat die
Möglichkeit diesen blutigen Weg zu gehen, auch die Schwachen, die nicht die
Kraft besitzen, den Djihad zu führen. „Das Martyrium ist eine Einladung an alle
Lebensalter und alle Generationen, die besagt: Wenn du nicht töten kannst,
dann stirb!“ (14) Das Shahadat
führt unweigerlich zum Erfolg, weil es aus sich selbst heraus eine
transformatorische Kraft gebiert.
„Das Martyrium ist kein Mittel, um ein Ziel zu erreichen, es ist das
Ziel selbst. Es ist reine Ursprünglichkeit. Es ist die Vollendung. Es ist
eine Erhöhung. Es ist der direkte Weg zur höchsten Spitze der Menschheit
und es ist eine Kultur.“ (15) Khomeini drückte das ebenso pathetisch
aus. „Der
Baum des Islam kann nur wachsen, wenn er ständig mit dem Blut der Märtyrer
getränkt wird.“ (16)
Auf jeden
Fall kommt der Einsatz des Shahadats
als politische und militärische Waffe unmittelbar auf Khomeinis Konto. Zum
ersten mal wurde die Welt mit dem ganzen Ausmaß seines Märtyrerwahns
konfrontiert, als er kurz nach seiner Machtübernahme klarstellte: „Lasst
mich hier erklären, dass wir uns weder vor militärischen Interventionen
noch vor einer ökonomischen Isolation fürchten, denn wir sind Schiiten, und
als Schiiten heißen wir jede Gelegenheit willkommen, um unser Blut zu
verschütten. Unsere Nation blickt nach vorne auf der Suche nach einer
Gelegenheit zur Selbstaufopferung und zum Martyrium. [...] Ja wir haben
eine Bevölkerung von 35 Millionen, die sich alle nach dem Martyrium sehnen.
[...] Wir sind Männer des Krieges, auch wenn wir ohne eine entsprechende
Kriegsausrüstung in den Krieg ziehen.“ (17) Khomeini schickte wenige Jahre
später Zehntausende von Kindern und Jugendlichen mit karmesinroten
Stirnbändern, dem Kennzeichen der Märtyrer, in den Krieg mit dem Irak, wo
sie reihenweise getötet wurden. Die Ayatollahs sagten ihnen, sie seien
Schützlinge des Verborgenen Imam
und würden als „Blutzeugen“ ins Paradies eintreten.
Khomeinis
Shahadat-Philosophie hatte noch weitere
verhängnisvolle Folgen, denn es war ein schiitischer Shahid, der die
Initialzündung für die Explosion islamischer Selbstmordattentate auslöste. Als Beginn
der modernen religiösen Suizid-Kultur wird von Historikern der 11. November
1982 genannt, an dem der siebzehnjährige Ahmad Qassir aus dem Umfeld der
schiitischen Hisbollah, einen weißen Mercedes mit Sprengstoff in ein
israelisches Militärlager steuerte und dort 141 Soldaten und Zivilisten in
die Luft jagte. Dieses spektakuläre Ereignis war das Startzeichen des sich
immer weiter ausbreitenden islamischen Märtyrer-Wahns, der von den Schiiten
im Libanon seinen Ausgang nahm, von den palästinensischen Sunniten
aufgegriffen, von ägyptischen Muslimbrüdern fortentwickelt und dann von al-Qaida globalisiert wurde. Vorher
galt der Selbstmord nach sunnitisch-koranischer Tradition als verboten.
Ohne es zu wollen, haben die
Israelis zu dieser Entwicklung beigetragen. Sie deportierten in den 80er
Jahren palästinensische Aufständische und al-Fatah Kämpfer, die alle Sunniten waren, in den Süden des
Libanon, wo diese Kontakte mit der Hisbollah aufnahmen. Aus dieser
Begegnung entstand nicht nur eine explosive Waffenbrüderschaft, sondern
auch ein folgenreicher Ideologietransfer. Denn als die militanten
Palästinenser aus dem Libanon in die Westbank und den Gazastreifen
zurückkehrten, brachten sie das neue „Paradigma des Todes“, die Djihad-Kultur der
Märtyrer-Operationen, mit. „Wir
haben den Schia-Geist aus der Flasche entlassen.“ – sagte damals der
israelische Premier Itzhak Rabin. (18)
Außer
einem atomaren Terrorakt fürchten heute Sicherheitsexperten nichts mehr als
eine globale Welle schiitischer Selbstmordattentate nach einem
militärischen Konflikt mit dem Iran. Diese könnte weit blutrünstiger
ausfallen als die bisher bekannten Operationen sunnitischer Islamisten wie al-Qaida, zumal im Iran ein
Riesenheer von potentiellen Selbstmordattentätern für den Fall der Fälle
ausgebildet worden sein soll. Schon 2005 hatte Mohammadresa Jafari, Chef
einer militärischen Einheit mit dem Namen „Kommando der freiwilligen
Märtyrer“, gedroht, 50.000 Kämpfer stünden bereit, um sich nicht nur im
Nahen und Mittleren Osten, sondern auch in den USA und anderen NATO-Staaten
in die Luft zu sprengen. „Märtyreraktionen stellen den
Gipfel in der Größe eines Volkes dar und sind die höchste Form seines
Kampfes.“ - „Der Feind hat Angst, dass die Kultur des Martyriums zu einer
Weltkultur aller Freiheitsliebenden wird.“ (19) Ähnliche Drohungen sind
seither mehrfach von Sprechern des Mullah-Regimes wiederholt worden.
In diesem Sinne ist wohl auch ein
Statement Ahmadinedschads, der einer Vereinigung mit dem Namen „Die sich für die Revolution Aufopfernden“
angehört, zu verstehen, in dem er eine Beziehung zwischen
„Märtyrer-Operationen“ und islamistischer Weltrevolution herstellt: „Eine
neue islamische Revolution ist geboren dank des Blutes der Märtyrer [...]
und wenn Gott es will, wird sie alle Ungerechtigkeiten in der Welt
ausrotten. Die Ära der Unterdrückung, der Hegemonie, der Tyrannei und der
Ungerechtigkeit kommen zu einem Ende und eine Welle islamischer
Revolutionen wird bald über die ganze Welt hinwegfegen. In einer Nacht
legen die Märtyrer eine Wegstrecke zurück, die im Normalfall 100 Jahre
dauern würde.“ (20)
Dass
iranische Militärs einem potentiellen, globalen Märtyrer-Krieg gegen den
Westen eine eschatologische Bedeutung zumessen, wird auch aus einem Artikel
ersichtlich, der Anfang 2006 in der arabischen Tageszeitung Asharq al-Awsat erschien und den
folgenden Titel trug: „Irans Geheimplan, im Falle, dass er von den USA
angegriffen wird, trägt den Codenamen Qiyamah.“
Unter der Schirmherrschaft iranischer Geheimdienste, heißt es dort, hätten
sich verschiedene schiitische Djihad-Organisationen
koordiniert, um im Falle einer US-Attacke „Märtyrer-Operationen“ in der
ganzen Welt durchzuführen. (21) Von besonderem Interesse ist hier der
gewählte Codename „Qiyamah“. „Qiyamah“ heißt die 75. Sure und bedeutet das Jüngste Gericht.
Welche Bedeutung hat eine „muslimische
Bombe“ in den Endzeit-Szenarien?
Die
Begriffe „apokalyptischer Terrorismus“, „apokalyptische Gewalt“ und
„apokalyptischer Krieg“ sind mittlerweile als Termini anerkannt, um
bestimmte Gewalttaten religiöser Fundamentalisten zu bezeichnen. Der
renommierte amerikanische Psychologe und Gewaltforscher Robert Lifton gibt
hierzu eine treffende Definition: „Apokalyptische Gewalt bezeichnet die
Bereitschaft, enorme Zerstörungen im Dienste einer spirituellen Säuberung
anzurichten. Eine Welt soll aufhören zu existieren, um Platz zu machen für
eine bessere. Ich habe herausgefunden: Man kann nur dann große Mengen von
Menschen umbringen, wenn man es im Namen absoluter Rechtschaffenheit tut.
Apokalyptische Gewalt ist so gefährlich, weil sich derjenige, der sie
anwendet, auf heiliger Mission wähnt.“ (22) Im Zusammenhang mit dem
drohenden terroristischen Einsatz von Atomwaffen spricht Lifton von einem
apokalyptischen „Nuklearismus“. (23) In der Tat spielt in den
Doomsday-Phantasien aller radikal-religiösen Gruppen ob Christen, Juden,
Hindus, Buddhisten oder Muslime die A-Bombe eine Königsrolle. Das liegt
nicht zuletzt daran, dass Gott in ihren jeweiligen Endzeit-Prophezeiungen
mit Erdbeben, Feuerregen, Meteoren, heißen Winden und Rauchwolken seine
Gegner vernichtet. All das sind Katastrophenbilder, die an Atomexplosionen
erinnern.
Dass al-Qaida oder andere islamische
Terror-Organisation, eine ultimative Waffe wie die A-Bombe im Namen
absoluter Rechtschaffenheit gegen den satanisierten Westen einsetzen würden,
steht außer Frage und dass sie sich diese besorgen wollen, ist ebenfalls
nicht zu bezweifeln. Bin Laden hat beides klar zum Ausdruck gebracht. „Wir betrachten es nicht als ein
Verbrechen, wenn wir versuchen, uns nukleare, chemische und biologische
Waffen zu beschaffen.“ (24) Unter dem Eindruck der indischen
Atombombenversuche von 1998 forderte er die atomare Aufrüstung aller
Muslime: „Wir rufen die muslimische Welt und Pakistan – insbesondere seine
Armee – auf, sich auf den Djihad
vorzubereiten. Dies sollte eine nukleare Streitmacht mit einbeziehen.“ (25)
Im selben Jahr publizierte er eine Deklaration mit dem Titel „Die
Nuklearbombe des Islam“. Darin war unter anderem zu lesen „Es ist die
Pflicht der Muslime, soviel Kräfte wie möglich zu sammeln, um die Feinde
Gottes in Terror zu versetzen.“ (26) Noch konkreter wurde der „al-Qaida Mann Nr. 2“, der ägyptische
Arzt und Chefstratege Ayman al-Zawahiri. In einem Gespräch mit dem
pakistanischen Journalisten Hamid Mir antwortete er lachend, als sein
Interviewer bezweifelte, dass al-Qaida über Nuklearwaffen
verfüge: „Mr. Mir, wenn sie 30
Millionen Dollar haben, dann gehen sie auf den schwarzen Markt in
Zentralasien, kontaktieren dort irgendeinen der enttäuschten sowjetischen
Wissenschaftler, dann werden ihnen dort eine ganze Menge von smarten
Aktentaschen-Bomben angeboten. Diese [Wissenschaftler] selber haben uns
kontaktiert, und wir haben unsere Leute nach Moskau, nach Taschkent und
andere zentralasiatische Staaten geschickt und dort einige ‚Koffer-Bomben’
erworben.“ (27)
Selbst im akademischen Milieu
der renommierten al-Azhar Universität in Kairo ist die „islamische Bombe“ ein Thema. 1999 forderte Scheich
Sayyid al-Tantawi den ägyptischen Besitz von Nuklear-Waffen, um sich gegen
Israel verteidigen zu können. Als theologische Legitimation hierzu gab er
einen Satz des ersten Kalifen Abu Bakr an, der lautet: „Wenn sie dich mit
dem Schwert bekämpfen, dann bekämpfe auch du sie mit dem Schwert; wenn sie
dich mit dem Speer bekämpfen, dann bekämpfe du sie mit dem Speer.“ Daraus
zog der Scheich den folgenden Schluss: „Wenn Abu Bakr heute leben würde,
dann würde er sagen: ‚Wenn sie dich mit einer Atombombe bekämpfen, dann
musst du sie ebenfalls mit einer Atombombe bekämpfen.’“ (28) In einem am
23.12.03 verfassten Communiqué von Gelehrtem des al-Azhar Universität war
zu lesen, dass die Beschaffung nuklearer Waffen eine religiöse
Verpflichtung sei. Das Schreiben war ein Beitrag zu der Debatte, die der
Scheich Ala A-Shanawi mit der Behauptung auslöste, Mohammed hätte sich Nuklearwaffen
besorgt, um seine Feinde zu bekämpfen. (29) 2006 erklärte Gamal Mubarak,
der Sohn des ägyptischen Präsidenten und dessen vermutlicher Erbe, Ägypten
sollte sein eigenes Nuklearprogramm verfolgen. (30) Auch in Saudi-Arabien
gibt es Stimmen, die Interesse an einer eigenen „Bombe“ anmelden. 2003
veröffentlichte der Dissidenten-Scheich Nasir bin Hamad al-Fahd eine
Schrift mit dem Titel „Rechtsgutachten über den Gebrauch von
Massenzerstörungswaffen gegen die Ungläubigen.“, worin er deren Einsatz als
Mittel rechtfertigt, wenn die Ungläubigen nur dadurch zurückgeschlagen
werden könnten. Zivile Opfer müssten dabei in Kauf genommen werden. Al-Fahd
entwickelt in seinem Pamphlet die folgende Logik: Nach muslimischen
Statistiken seien 10 Millionen Muslime durch Amerikaner getötet worden. Das
rechtfertige es, die gleiche Zahl an
US-Bürgern durch Massenvernichtungswaffen zu töten. (31)
Alle
Experten sind sich einig, dass auch die iranischen Ayatollahs trotz
gegenteiliger Versicherungen sehr gerne über Atomwaffen verfügen würden.
Strittig ist nur, ob oder wann ihre Techniker sie herstellen können oder ob
sie die Bombe nicht schon besitzen. Diese wäre nicht nur eine
Sicherheitsgarantie für ein Land, das im Osten und im Westen durch die
amerikanische Armee eingekesselt ist, sondern würde auch den Stolz der
Schia-Fundamentalisten eminent hochtreiben. Der Erdölstaat Iran könnte zu
einer Großmacht mit einem eminenten Einfluss auf die gesamte politische
Lage im Mittleren Osten werden.
Einige Hinweise auf die nuklearen
Ambitionen des Irans ergeben sich aus der Vergangenheit. Zwar hatte
Khomeini erklärt, Atombomben seien unislamisch (32), doch schon im Jahre
1992 forderte Ayatollah Mohajerani, der damalige Vizepräsident des Irans: „Da Israel damit
fortfährt, nukleare Waffen zu besitzen, müssen wir, die Muslime,
zusammenarbeiten, um eine Atombombe zu produzieren, unabhängig von einer
Anstrengung der UNO, der Verbreitung [von A-Waffen] zuvorzukommen.“ (33)
Immer wieder bis hin in die jüngste Zeit wurden ähnliche Anspielungen von
offizieller Seite gemacht. „Die
Anwendung einer einzigen Atombombe würde Israel völlig zerstören, während
sie der islamischen Welt nur begrenzten Schaden zufügen würde.“ – erklärte
der ehemalige Präsident Rasfandschani im Jahre 2001 (34) und in einem in
der konservativen, iranischen Tageszeitung Kayhan veröffentlichten Artikel war am 13. Juli 2006 zu lesen:
„Israels militärische Vorteile in der Region sind dabei zusammenzubrechen,
und ein nuklearer Iran ist dabei das nukleare Prestige von Israel
auszuradieren.“ (35) Auch Ahmadinedschad benutzt einen Jargon, der
unangenehm an die Beschreibung von atomaren Explosionen erinnert: „Der
Vulkan der Wut der Menschen in der Region steht kurz vor dem Ausbruch. Der
korrupte Staat, der Jerusalem besetzt hält, ist der Endpunkt der liberalen
Zivilisation. Wenn dieser Vulkan explodiert und der Ozean der Wut zu rasen
beginnt, dann werden die Schockwellen nicht nur auf die Region begrenzt
sein.“ (36)
Die messianische Gesellschaft im
Iran
Der
Beisitz einer Atomwaffe hätte für die Mullahs auch eine zentrale
eschatologische Bedeutung, denn kein Land der Welt wird zurzeit so
gründlich von einem apokalyptischen Endzeit-Wahn heimgesucht wie der Iran.
Kurz nach seinem Amtsantritt im Sommer 2005 hat sich der neue Präsident Mahmoud Ahmadinedschad als
Erfüllungsgehilfe des 12. Imams,
des von den Schiiten erwarteten militanten Messias, präsentiert. So als
könne er dessen Epiphanie beschleunigen, repetiert er ständig bei seinen
offiziellen Ansprachen Gebetsformel, mit der er das Erscheinen des 12.
Imams beschwört. Öffentlich erklärte er: „Die Hauptmission unserer
Revolution besteht darin, den Weg für das Erscheinen des 12. Imams, des
Mahdi, zu pflastern. Wir sollten unsere Wirtschaft, unsere Kultur und
unsere Politik nach der Politik von der Rückkehr des Imam Mahdi
ausrichten.“ (37) Noch Bürgermeister von Teheran ließ Ahmadinedschad einen
ganzen Boulevard mit der Begründung renovieren, der Imam-Mahdi werde dereinst darüber in die Hauptstadt einmarschieren.
Gleich zweimal (2005 und 2006) benutzte er die UNO-Vollversammlung als
missionarische Plattform, um den Völkern der Welt die Ankunft seines
Messias kund zutun. Die erste UNO-Predigt war religionspolitisch eine
Sensation, denn Ahmadinedschad proklamierte kurz und bündig das Ende des
agnostischen, säkularen Zeitalters und stellte das Primat der Aufklärung in
Frage. Ahmadinedschad beendete seine Rede mit dem Satz: „Oh allmächtiger Gott, ich bete zu dir,
das Hervortreten deines letzten Triumphes zu beschleunigen, [durch das
Hervortreten] des Vorhergesagten, des perfekten und reinen menschlichen
Wesens, das diese Welt mit Gerechtigkeit und Frieden erfüllen wird.“ (38)
Jeder, der den religiösen Background dieser Sätze kennt, weiß, dass mit dem
„perfekten Wesen“ der 12. Imam
gemeint ist. Von New Yorck in den Iran zurückgekehrt erklärte der
Präsident, während seiner Ansprache habe sich ein mystisch-grünes Licht auf
ihn hinabgesenkt.
Sogar vor
dem Mann, der in der iranischen Presse als „der Satan“ bezeichnet wird,
macht der missionarische Eifer Ahmadinedschad nicht halt. In George W. Bush
glaubt er (wohl nicht ganz zu Unrecht) ebenfalls einen Kämpfer gegen das
Zeitalter des Säkularismus und Liberalismus vor sich zu haben. So schickte
er seinem amerikanischen „Kollegen“ einen ausführlichen Brief, in dem auf
die gemeinsamen Werte des Islams und des Christentums hingewiesen wird.
Durch eine Verwischung des Unterschiedes zwischen dem islamischen Christus
(den er mit dem 12. Imam
gleichsetzt) und des christlichen Christus kommt er zu dem Schluss, dass
sowohl die amerikanischen Christen als auch die Schiiten denselben
Welterlöser und Weltimperator erwarten. (39)
Der
iranische Präsident spricht, so der Spiegel
nach einem langen Interview mit ihm, wie im Rausch, wie ein Beseelter, wie
ein Prophet. „Wünscht
Ahmadinedschad, der Apokalyptiker, der auf den Mahdi wartet, das Armageddon
herbei? […] Das Land ist jetzt schon ein Alptraum, eine Kombination aus
Hasspredigten und dem Streben nach der Bombe, deren Besitz dieser Staat,
allen Dementis zum trotz, wohl anpeilt.“ (40) Die Reformpolitiker des
Irans, die unter dem früheren Präsidenten Mohammad Khatami für einen
„Dialog der Kulturen“ eingetreten sind, gelten als out und die so genannten „Prinzipientreuen“, die Khomeinis Vision
einer islamischen Weltrevolution folgen, sind wieder in. So erklärte Hassan Abbasi, einer der prominenten
Theoretiker des Landes, dass die Idee von einer „messianischen
Gesellschaft“ seit dem Beginn der iranischen Revolution noch nie so aktuell
und attraktiv gewesen sei wie heute. Er ist davon überzeugt, dass die
„Prinzipientreuen“ schon voll die Macht in ihren Händen halten. „Sie
sind überall – in der Regierung, im islamisches Parlament, in den
Ratsversammlungen, im Wächterrat und in der Justiz. […] Daher bin ich
voller Hoffnung, dass mit Hilfe der neuen Regierung die Gesellschaft sich
in Richtung einer messianischen Gesellschaft entwickeln kann.“ (41)

Präsident Mahmoud Ahmadinedschad kündigt in der heiligen
Stadt Mashhad in
einer besonderen Zeremonie die erfolgreiche Urananreicherung
an (2006)
Man kann
jedenfalls sagen, dass die iranische Gesellschaft in unseren Tagen von oben
bis unten von einer messianischen Imam-Mahdi-Obsession
heimgesucht wird. „Heute ist die
Zeit gekommen, die günstigen Bedingungen für eine [zukünftige] Regierung
des Imam-Mahdis zu schaffen, möge
Allah bald sein nobles Erscheinen bewirken.“ - erklärte vor einem Jahr die
höchste spirituelle und politische Autorität des Landes, Ali Khamenei. (42)
In dem so genannten Bright Future
Institut aus der Stadt Ghom, dem Think
Tank für die Endzeit-Ideologie Ahmadinedschads, wird der Versuch
unternommen die Mahdi-Ideologie als Paradigma zu verankern, um daraus alle
anderen Wissenschaftsdisziplinen abzuleiten. Diese Totalisierung des
Geistes trägt den offiziellen Namen Mahdismus. „Der Mahdismus ist der letzte Ausweg des
gegenwärtigen Menschen aus der Welt des Bösen und der Korruption. Die
Doktrin des Mahdiismus ist der letzte Ausweg in der Endzeit und der einzig
mögliche Standpunkt angesichts des Weltendes.“ – heißt es in einer Grundsatzerklärung
des Instituts, das im September einen Kongress mit 4000 Teilnehmern
organisierte. Key Speaker waren
mehre prominente Ayatollahs und der Präsident höchst persönlich. (43)
Ebenso
schwelgt das iranische Militär in endzeitlichen Bilderwelten: Die neuesten
auf Paraden gezeigten Trägerraketen, tauglich für atomare Sprengköpfe,
tragen den Namen Zilzal. Al-Zilzal heißt die 99. Sure des Korans und bedeutet das Erdbeben, welches dem Jüngsten Gericht (Qiyamah) vorausgeht. Wie die
iranische Bevölkerung von Morgens bis Abends mit Doomsday-Parolen
indoktriniert wird, lesen wir in einer Reportage des Spiegels: „Schon um Viertel nach acht, gleich nach den
Frühmachrichten, geht es um die Apokalypse, um das Ende der Welt. […] ‚Das
Ende der Zeiten ist nah’, sagt [ein Sprecher des populären Radiosender
Dschawan]. 50 Zeichen, so stehe es geschrieben, würden auf das
bevorstehende Weltende hindeuten, 33 habe er bereits erkannt. Die Männer
werden sich kleiden wie Frauen, heiße es in den Büchern. ‚Und? Versinkt
diese Stadt nicht in Sittenlosigkeit?’ Der Fluss durch die Heilige Stadt
werde austrocknen. ‚Ist nicht der Fluss durch Ghom inzwischen völlig
versiegt?’ Genau dazu passe es, dass nun plötzlich alle über die Atombombe
redeten – auch ein Zeichen für ‚aschar-esamam’,
das Ende der Zeiten und die Wiederkehr des Mahdi, des zwölften, des
verborgenen Imam.“ (44)
Aber nicht
nur die Fundamentalisten im Iran, sondern auch die Hisbollah im Libanon und die Mahdi-Armee im Irak sehen sich als Vortrupp des schiitischen Messias.
Von dem Hisbollah-Führer Hassan
Nasrallah sagte das politische Oberhaupt der libanesischen Drusen, Walid
Jumblatt: „Wie Ahmadinedschad wartet er auf den 12. Imam, den Mahdi.
Dieser Aspekt der schiitisch-religiösen Massenmobilisierung kann einen das
Fürchten lernen.“ (45) Im Irak hat der
der 33jährige radikale Ayatollah Muqtada al-Sadr seit Beginn der
amerikanischen Besatzung eine eigene Miliz aufgebaut, die mittlerweile gut
ausgerüstete „Mahdi Armee“. Diese
orientiert sich, wie schon der Name suggeriert, ebenfalls an einem
endzeitlichen Programm. Am 19. Februar erklärte der Ayatollah in einem
Interview, seine Gotteskrieger seien „die Basis des Imam Mahdi und eine solche Basis des Prophezeiten könne nicht
aufgelöst werden.“ (46) Al-Sadrs Vater und Onkel, die von Saddam Hussein
ermordet wurden, hatten mehrere
Schriften verfasst, die den schiitischen Messias zum Thema haben, darunter
eine Enzyklopädie des Imam Mahdi. Der junge Chef der Mahdi-Armee gilt als Schützling der iranischen Hardliner.
Ausgehend
von den schiitischen Minderheiten in Afghanistan, über die islamische
Republik Iran, über den Irak über ein verbündetes Syrien bis hin zu den
Mittelmeerstränden des Libanon hat sich in kürzester Zeit eine aggressive
messianisch-apokalyptische Bewegung der Schia entwickelt, die über eine
geschlossene Ideologie, über gut funktionierende Staatsapparate,
hervorragend ausgerüstete Untergrundarmeen, über ungeheuren Reichtum und
vielleicht sogar bald über eine Atombombe verfügt.
Es sind vor
allem die verschiedenen ABC-Waffendrohungen, die es erlauben, von der
Auslösung einer möglichen „Apokalypse“ zu sprechen. Der unter sunnitischen
Terroristen weit verbreitete Satz, „Amerika wird bald sein Hiroshima
erleben, es ist nur noch eine Frage der Zeit“, darf nicht nur als eine
makabre Phrase abgetan werden. Er wird von kompetenten Kennern der Szene
ernst genommen. Ihre extreme Shahadat-Ideologie,
nach der das Blut der Märtyrer die
islamische Weltrevolution vorantreiben soll, gibt auch den
Schia-Fundamentalisten die Möglichkeit gegenüber der Bevölkerung sowohl
einen von den USA erlittenen als auch einen selber gegen Israel oder ein
westliches Land durchgeführten Atomschlag theologisch zu legitimieren.
Würde so etwas Schreckliches, gleich von wem ausgelöst, passieren, dann
hätte das neben den grauenhaften personellen, materiellen und
wirtschaftlichen Schäden einen ungemein gefährlichen ideologischen
Rückkoppelungseffekt: Apokalyptiker aller Länder und aller Religionen sähen
sich dadurch bestätigt und anstatt dem Endzeit-Wahn abzusagen, würde dieser
um ein Vielfaches potenziert, denn nichts nährt den Doomsday-Glauben mehr
als reale von Menschen verursachte Katastrophen.
Es kann
heute kein Zweifel mehr daran bestehen, dass eschatologische aus den Heiligen Schriften abgeleitete
Dogmen, Prophezeiungen und Spekulationen einen konstitutiven Stellenwert
für den revolutionären Islamismus haben. Das gilt sowohl für das Ziel (die
Errichtung eines globalen Kalifats), als auch für die Mittel (die
Entfesslung einer Weltrevolution durch den Djihad und durch Märtyrer-Operationen), als auch die politische
Organisationsform (die Unterwerfung unter eine charismatisch messianische
Führergestalt), als auch für die Interpretation der gegenwärtigen
Weltenlage, die als Epoche der Ignoranz, der Dekadenz, des Chaos und Todes
angesehen wird. Man sollte die Gefahr, die davon ausgeht, aber auch als
eine Chance für den Westen diskutieren, seine Werte des Humanismus auch
wirklich in die Tat umzusetzen. Aber es sind nicht nur die erbarmungslosen
Gesetze des Turbo-Kapitalismus und die brutale, westliche Kriegsführung,
welche ein humanistisches Weltbild ständig verletzten, sondern im Herzen
der westlichen Welt, den Vereinigten Staaten von Amerika, hat sich eine
machtvolle religiöse Bewegung, die Christliche
Rechte, entwickelt, die sich ebenso wie der revolutionäre Islamismus an
einer Ideologie der Weltvernichtung orientiert, wenn auch in diesem Fall
unter dem Zeichen des Kreuzes.
Endnoten:
(2) Richard Landes –
“Jihad, Apocalypse, and Anti-Semitism” – 01.09.04 – in: www.jcpa.org/phas/phas-24.htm
(5) Peter L. Bergen – Holy
War, Inc. – Inside the Secret
World of Osama bin Laden – New York u. a. 2001, 96
(10)
Bruno Schirra – Iran – Sprengstoff
für Europa – Berlin 2006, p. 146
(16) Times Online – Kevin Toolis - A million martyrs await the call
(17) Richard T. Antoun – Understanding
Fundamentalism – Christian, Islamic, and Jewish Movements – Walnut Creek u. a.
2001, 42
(32)
Gero von Randow und Ulrich Landurner – Die
iranische Bombe – Hintergründe einer globalen Gefahr – Hamburg 2006, 85
(34) George Perkovich - Dealing With Irans Nuclear Challenge -
Carnegie Paper, April 28, 2003
www.ceip.org/files/projects/npp/pdf/Iran/iraniannuclearchallenge.pdf
, p. 6
(39) Originaltext
des Briefes an George W. Bush: http://online.wsj.com/public/resources/documents/wsj-IranianPres_letter.pdf
(43) Mahdaviat International Conference - The Doctrine of Mahdism - www.mahdaviat-conference.com/en/wp-print.php?p=35
(46) Juan Cole - Muqtada
al-Sadr on Aljazeera – in: www.juancole.com/2006/02/muqtada-al-sadr-on-aljazeera-ready-to.html
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