Krieg der Religionen

Politik, Glaube und Terror

im Zeichen der Apokalypse

 

FRONT | EXPOSÉ | INHALT | MEDIEN | HOME

 

 

 

REZENSIONEN

 

 

Frankfurter Allgemeine Zeitung

16. März 2006

 

Opium der Völker
Für Victor und Victoria Trimondi sind die

Religionen gefährliche Gewaltproduzenten

 

Das Ehepaar Trimondi hat 1990 die "Interkulturelle Gesellschaft für kreative Symbolforschung" gegründet - die Adjektive können ruhig auch schon einmal vertauscht werden -, und unter diesem Dach führen sie interkulturkritische Feldzüge gegen ihre eigene spirituelle Vergangenheit. Und das kam so: In seiner von ihm selbst so bezeichneten "revolutionären Phase" als Leiter des Trikont- (nicht etwa: Trimondi-)Verlages publizierte Victor Trimondi Texte von Guevara, Bommi Baumann und schließlich sogar Volker Elis Pilgrims "Manifest für den freien Mann". Daß danach eine "spirituelle Phase" unumgänglich wurde, liegt auf der Hand. Aus Trikont wurde Dianus Trikont, die New-Age-Bewegung lockte, und komplementär zu Büchern aus dieser und für diese Bewegung organisierte man spektakuläre Mega-Events mit dem Dalai Lama, Carl Friedrich von Weizsäcker, Fritjof Capra und anderen Geistesgrößen.

 

Daß die gar zu leicht ins Poesiealbenhafte abdriftende Gemeinschaftsstimmung solcher Art Spiritualität ihn enttäuschte, ehrt den Autor. Andererseits muß man sich fragen, ob ihn die aus solcher Enttäuschung heraus entstandene "kulturkritische Phase" wirklich weitergeführt hat. Zunächst einmal negiert Trimondi, jetzt zusammen mit seiner Frau Victoria, einen großen Teil dessen, was ihm in der "spirituellen Phase" besonders wichtig war, zum Beispiel den tibetischen Buddhismus. Diese Kritik wird mit apostatischer Heftigkeit ins Allgemeine hochgeschleudert. So gut wie alle Religionen erscheinen den Trimondis nur noch als hochgefährliche Gewaltproduzenten. Aus den Basistexten aller Religionen, gleichviel ob es sich um die Bibel handelt, den Koran, die Vishnu Purana oder andere, könne man entnehmen, daß immer und überall der Weltuntergang gepredigt wird, in dessen Verlauf die Menschen zur Ehre Gottes oder der Götter einander schreckliche Taten antun oder solche erdulden müssen.

 

Die Trimondis nennen dies die "apokalyptische Matrix", worunter sie den in allen Religionen gemeinsamen Subtext ihrer Endzeit-Erwartung verstehen. Da geht es immer um den Kampf des Guten gegen das Böse, wobei - wie in einem Hollywood-Film - das Böse zuweilen ganz nahe am Endsieg ist, bevor dann mit einer letzten Anstrengung das Gute doch noch siegt. In diesem Kampf fließt das Blut in Strömen, das Blut der Märtyrer ebenso wie das der Bösen, die es nicht anders verdient haben. Einzelne Bücher aus dem Alten Testament, die Offenbarung des Johannes aus dem Neuen Testament, eine Menge Stellen im Koran lassen sich so als Quellen der Blutrünstigkeit lesen. Und, so die These der Trimondis, in genau diesem Sinne werden sie heute auch von vielen gelesen - mit schlimmen Folgen für das Zusammenleben der Menschen.

 

Es stimme einfach nicht, behaupten die Trimondis, daß der wahre Kern aller Religion friedlich, tolerant und gewaltfrei ist und jeglicher Fundamentalismus nur eine Abweichung davon. Die Weltreligionen trügen den geschichtlichen Stempel archaischer Gesellschaftsordnungen und Menschenbilder. Ihre Repräsentanten stünden deshalb vor einem höchst delikaten Problem. Sie müßten ihre Lehren im Grunde völlig neu fassen und alle gewalthaltigen Passagen aus ihren "Heiligen Schriften" entfernen. Versäumen sie das, besteht die Gefahr, daß die neuen Religionskriege die Weltkulturen zerstören. Wer in solchen Vorstellungen einen kleinen, aber scharfen apokalyptischen Unterton heraushört, braucht sich nicht erstaunt die Ohren zu reiben. Der Ambivalenz aller "großen Erzählungen", ob nun religiös oder säkular angelegt, entkommt niemand, auch nicht, wer sie entlarven will.

 

Das Lesemodell der Trimondis ist den "Heiligen Schriften" der jüdischen und der christlichen Religion sowie des Islams nicht angemessen. Es erstaunt schon, wenn "kreative Symbolforscher", statt einen Sinn für die Plastizität ihres Untersuchungsmaterials zu entwickeln, so tun, als ergäbe ein wortwörtliches Verständnis von Texten wie der Offenbarung des Johannes irgendeinen Sinn. Damit sind sie nicht die einzigen, die sich dieser Selbsttäuschung hingeben. Aber damit unterscheiden sie sich auch überhaupt nicht von den Gruppierungen, denen sie ihre kritische Untersuchung gewidmet haben. Der allergrößte Teil ihrer umfangreichen Studie ist dem Bibelverständnis verschiedener christlicher Gruppierungen in Nordamerika (zusammengefaßt als christliche Rechte), dem als "religiöser Zionismus" bezeichneten militanten orthodoxen Judentum und den religiösen Begründungen des politisch agierenden Islamismus gewidmet.

 

Was das rechts-christliche Amerika betrifft, da steigen sie tief in die leicht gruseligen Katakomben spiritueller Parallelwelten hinab. Das Welt- und Politikverständnis nimmt hier, immer auf der Basis vorgeblich wortwörtlicher Bibellektüre, die sonderbarsten Formen an. Hier wird etwa darüber diskutiert, ob George W. Bush ein militanter Messias oder der Antichrist ist. In solchen kulturellen Milieus werden apokalyptische Thriller in Millionenauflage produziert. Um die Terroranschläge vom September 2001 bildeten sich kuriose Mythologien. Es gibt Querverbindungen zu den Neokonservativen, deren Lehrmeister Leo Strauss die Trimondis allerdings nur als eine Karikatur seiner selbst präsentieren. Ferner gibt es Querverbindungen zum religiösen Zionismus, dessen militanteste Vertreter wie Meir Kahane und seine Schüler sich mit der christlichen Rechten in Nordamerika prächtig verstehen, obwohl deren Vertreter in ihren spirituellen Schubladen jede Menge Antisemitismus lagern haben.

 

Auch die Befürworter einer antiwestlich ausgerichteten islamischen Weltrevolution von Maulana Maududi und Sayyid Qutb bis hin zum "Kalifen von Köln" werden ausführlich vorgestellt. Das ergibt insgesamt eine wenig erbauliche Lektüre, was man aber nicht den Trimondis anlasten kann. Sie beklagen zu Recht die wachsende Popularität solcher mit religiösen Gründen direkt oder indirekt zur Gewalt in der Politik aufrufenden Schriften in Nordamerika, Israel und der arabischen Welt. Sie befürchten eine Eskalation der Gewaltbereitschaft insbesondere im Nahen Osten, aber auch generell zwischen den islamischen Gesellschaften und dem Westen.

 

Solche Befürchtungen und die davon abgeleiteten Warnungen soll man nicht pauschal abtun. Es ist gut zu wissen, was sich in den verschiedenen spirituellen Milieus unserer Gesellschaften diskursiv abspielt. Nur darf man das ziemlich komplexe Verhältnis zwischen solchen spirituellen Diskursen und dem sozialen und politischen Agieren der Menschen, darf man die evidenten Widersprüche zwischen Glauben, Denken und Reden (auch dem Reden mit Gott) sowie Entscheiden, Handeln und Tun aus der Analyse gerade nicht ausklammern. Die Trimondis lesen die gewaltgetränkten Sätze ihrer Gewährsleute auf ebenso naive Art wortwörtlich, wie diese ihre heiligen Texte wortwörtlich lesen. Auf diese Weise werden die Bereiche Religion und Politik schlicht zusammengelesen. Das ist gefährlich, in der Tat. Solche Implosion der Politik verhindern zu wollen, ist ein ehrenwertes Unterfangen. Aber man muß es wohl etwas anders anstellen als die Trimondis.

 

WILFRIED VON BREDOW

 

Victor und Victoria Trimondi: Krieg der Religionen. Politik, Glaube und Terror im Zeichen der Apokalypse. Wilhelm Fink Verlag, München 2006. 597 S., 39,90 [Euro].

 

© Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.03.2006, Nr. 64 / Seite 7


Unsere Stellungnahme zur Bredow-Rezension:

 

Der von Karl Marx  ausgeliehene Begriff „Opium der Völker“ (richtig: „Opium für das Volk“), mit dem von Bredow gegen unser Buch polemisiert, trifft die Sache überhaupt nicht. Marx benutzte die Metapher in der Absicht, um zu zeigen, dass die Religion die Völker und die Massen von der sozialen Revolution abhalte. In einer dem Opium entsprechenden betäubenden und lähmenden Wirkung der Religion sah er ein Hindernis für den Aufstand gegen das Kapital und die gewaltbereite Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse. Das völlige Gegenteil weisen wir in unserer Studie nach. Die Religion zeigt heute keine betäubende und a-politische Wirkung mehr, sondern sie mischt so aktiv in der Politik mit wie seit dem 18. Jahrhundert nicht mehr. In ihren fundamentalistischen Varianten ist sie aufputschend, militant und radikalisierend. Sie ist dabei, die gesellschaftlichen Verhältnisse radikal zu verändern und schreckt dabei vor dem Einsatz von Terror nicht zurück, d. h. mit einem Wort, die Religion ist „revolutionär“ geworden.

 

Was unsere Person anbelangt, so ist von Bredows Besprechung perfide. Sie erklärt denjenigen, der die Krankheit (den apokalyptischen Wahn) diagnostiziert, zum Mitverursacher der Krankheit. Sie ist zudem verantwortungslos, weil sie die Krankheit oder zumindest ihre Schwere vertuscht und damit ihre Heilung hindert. Nie haben wir persönlich die gewalttätigen Endzeit-Passagen der Heiligen Schriften „wortwörtlich interpretiert“, sondern wir haben anhand zahlreicher Belege gezeigt, woran heute Hunderte Millionen aus allen drei monotheistischen Religionen und darüber hinaus glauben. Wir selber tun das überhaupt nicht, sondern unser Buch dokumentiert ausführlich, dass die verschiedenen messianisch-endzeitlichen Prophezeiungen einen echten Wahn (Die apokalyptische Matrix) darstellen, da sie sich bei einem Vergleich gegenseitig ad absurdum führen. Alle Fundamentalisten wollen im Grunde Ähnliches, auch wenn sie sich einander bis auf den Tod bekämpfen. Die Texte, aus denen sie ihre Vernichtungs-Visionen ableiten, gleichen sich nicht nur, sondern sind in vielen Fällen sogar dieselben.

 

Während mittlerweile Theologen wie Jürgen Moltmann, Sicherheitsexperten wie Kurt R. Spillmann, Orientalisten wie David Cook, Gewaltforscher wie Robert J. Lifton und Kulturwissenschaftler wie Herbert Schnädelbach  und viele andere mit größtem Nachdruck (!) vor diesen aus den Heiligen Büchern herausgelesenen apokalyptischen Obsessionen, die zurzeit die Welt heimsuchen,  warnen, betäubt Bredow die FAZ-Leser mit dem Opiat beschönigender Sätze: Es sei ja alles gar nicht so schlimm, sondern die wortwörtliche Interpretationen der Heiligen Schriften durch die Christliche Rechte in Amerika, die Ayatollahs im Iran, die Hamas in Palästina, die jüdischen Siedler in der Westbank, durch Osama bin Laden usw. würden ja einer nicht-wortwörtlichen Interpretation der Heiligen Texte durch gemäßigte Muslime, Christen und Juden widersprechen und seien deswegen bedeutungslos. Der Himmel möge ihm Recht geben, aber wer sich einmal im Milieu der Fundamentalisten genauer umgesehen hat, der erkennt sofort, welche erschreckende Macht das wort-wörtliche Wort ihres Gottes auf sie ausübt.

 

V. & V. Trimondi


Komparative Studien zum Fundamentalismus - 10. August 2006

 

Vogelstraußpolitik mitten

im Krieg der Religionen

Die Europäer wollen die religiösen Hintergründe des

Nahost-Konflikts nicht wahrnehmen noch wahrhaben

 

Kurz vor Ausbruch des Libanon-Krieges, am 22. Juni 2006, erschien in der Los Angeles Times ein Artikel mit dem Titel „Beschleunigung der Apokalypse – Christen, Muslime und Juden forcieren von hinten die Rückkehr des Messias“. Der Autor, Louis Sahagun, beginnt mit dem Satz: „Schon seit Tausenden von Jahren haben Propheten das Ende der Welt vorausgesagt. Heute, versuchen verschiedene religiöse Gruppen dieses Ende zu beschleunigen, indem sie die jüngsten Technologien benutzen. Ihr Endzeit-Spiel soll die versprochene Ankunft eines Messias beschleunigen.“ Direkt nach Beginn des Krieges hat dieser Endzeit-Wahn einen solchen Aufschwung erfahren wie nie zuvor und ist dabei, sich unheimlich rasch zu verbreiten.

 

Die ganz großen US-amerikanischen Medien öffnen zurzeit den populären Doomsday-Propheten der Christlichen Rechten (Tim LaHaye, Pat Robertson, Jerry Falwell, John Hagee, Hal Lindsey) ihre Studios und ihre Talkshows, sie veröffentlichen Interviews mit ihnen und zitieren ausgiebig Bibelverse, welche die Ereignisse und ihre zukünftigen Abläufe vorausgesagt haben sollen. Wir sprechen hier nicht von den Mega-TV- und Radio-Stationen der Christlichen Rechten (das versteht sich von selbst), sondern von Sendern wie CNN, ABC und Magazine wie Newsweek. Auf der anderen Seite steigert sich die gesamte schiitische Welt in einen apokalyptischen Rausch wie seit den Zeiten des Ayatollah Khomeini nicht mehr. Doch in Europa möchte das keiner wahrhaben.

 

Denn trotz aller gegenteiligen Anzeichen, beharrt das Gros der europäischen Medien darauf, dem Konflikt im Nahen Osten sogar jede religiöse Dimension abzusprechen, geschweige denn, die apokalyptisch-messianischen Erwartungen, die Millionen von Menschen damit verbinden,  wahrzunehmen. Das schafft ein grob verzerrtes Bild der Lage, was zu verhängnisvollen politischen  Fehlentscheidungen führen kann. Anders die Menschen vor Ort, die täglich erfahren müssen, welche destruktiven Energien religiöse Gefühle freisetzen können. Hören wir die Meinung von Omar Fahdi, ein Mitglied der Organisation Friends of Democracy mit Sitz in Bagdad, die ihre Aufgabe darin sieht, im Irak demokratische Werte zu verbreiten: „Obgleich die Religion immer eine wichtige Rolle in den früheren arabisch-israelischen Kriegen gespielt hat, tritt sie jetzt in das Zentrum. Es ist der theologische Aspekt dieses Konflikts [gemeint ist der Libanon-Krieg], der ihn so explosiv macht. Als ein Beobachter aus dem Irak, sehe ich, dass der Iran dabei ist, eine Mullah-Version von Armageddon zu lancieren, indem er den religiösen Glauben von frommen Schiiten aus der Region ausnutzt.“ Fahdi fordert mit Nachdruck, dass dieser religiöse Wahn vom Westen wahrgenommen werden muss, um darauf adäquat reagieren zu können. „Ansonsten mag Irans Armageddon-Tag zu einer self-fulfilling prophecy werden“.

 

Was tun? Für die Politik schlägt Josef Joffe in einem Zeit-Artikel („Der Wahnsinn an der Macht“) eine „entschlossene Eindämmungspolitik mit langem Atem“ vor. Eine ähnliche Strategie mag auch für die ideologische Seite des wuchernden Endzeitwahns gelten, der die Konflikte in Nahen Osten hemmungslos anheizt und immer wieder von neuem entzündet. Erste Voraussetzung hierfür ist jedoch die Kenntnis über dessen Inhalte, seine Ursachen, seine Verbreitung, seinen politischen Einfluss, seine Suggestionskraft und seine Schwächen. Doch für all diese Fragen besteht hierzulande keine allzu große Nachfrage, am wenigsten bei den Mainstream-Kirchen und den Politikern. Weshalb? Die offiziellen Glaubensinstitutionen müssten sich dann höchst kritisch mit den Passagen ihrer Heiligen Schriften auseinandersetzen, aus denen die Fundamentalisten den jeweiligen Endzeitwahn ableiten – eine besonders delikate Angelegenheit. Die säkularen Politiker jeglicher Couleur sehen dagegen in der Religion nichts anderes als ein ideologisches Mittel, das zu Machtzwecken missbraucht wird, und nehmen religiöse Bewegungen im Grunde nicht ernst.

 

© Victor & Victoria Trimondi