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Dalai Lama


Weshalb versuchten die Veranstalter des Dalai Lama Besuches, den Religionsführer durch Zensurmaßnahmen vor kritischen Pressefragen zu schützen?

 

Von Victor und Victoria Trimondi

 

Der diesjährige Deutschland Besuch des Dalai Lama in Niedersachsen vom 17. – 20. September begann mit einem Eklat. In einer offiziellen Mitteilung hat der Deutsche Journalistenverband die Zensurversuche der Organisatoren kritisiert. Darin heißt es, dass Journalistinnen und Journalisten ihr Ton-, Bild- und Videomaterial vor einer Veröffentlichung zur Freigabe vorlegen müssten.  […]  Außerdem sollten vor und nach den Veranstaltungen keine Ton- und Bildaufnahmen gemacht werden. Bei Zuwiderhandlung würden die Aufnahmegeräte der Journalisten bis zum Ende der Veranstaltung konfisziert.

 

Kritik an den Akkreditierungsbedingungen begegnete der Veranstalter Ganden Shedrub Ling mit dem Hinweis, Journalisten würden „lediglich zur Einhaltung höflicher und respektvoller Verhaltensregeln angehalten“. Daneben solle vermieden werden, dass „potentielle und außergewöhnliche Missgeschicke ,paparazzimäßig“ in der Welt verbreitet würden. „Das ist der Versuch, die Berichterstattung über den Besuch des Dalai Lama zu zensieren“, urteilte DJV-Bundesvorsitzender Michael Konken. „Berichterstatter sollten keinesfalls diese Konditionen akzeptieren. Wenn der Veranstalter nicht einlenkt, ist der Boykott der Berichterstattung die einzig richtige Reaktion.“

 

Die Deutsche Presseagentur (dpa), der Evangelische Pressedienst (epd) und der Norddeutsche Rundfunk hatten denn auch unter diesen Bedingungen eine Berichterstattung erst einmal abgelehnt. Selbst als dann unter dem Protestdruck der Medien die peinlichen Akkreditierungsbestimmungen aufgehoben wurden, blieben der bittere Beigeschmack und die Frage nach dem Warum. Welche Themen könnten für das exiltibetische Oberhaupt so heikel sein, dass es überhaupt zu dieser Überreaktion im Umgang mit der Presse  gekommen ist?

 

Die Angst vor einer kritischen Berichterstattung über den Dalai Lama während dessen Hannover Aufenthaltes ist nach einem Blick in die Ereignisse der letzten Woche nicht unbegründet: Schwerpunkte seines Besuches sind diesmal der  ethischen Dialog und das Treffen mit Schülern und Schülerinnen, der Besuch von „Weltethos Schulen“ in Hannover und Steinhude, eine Diskussion vor mehr als 1000 Heranwachsenden und die Werbung für neue Patenschaften und Spenden zur Unterstützung tibetischer Kinder.

 

Ironischer weise sind es ein brisanter Enthüllungsartikel und ein Interview in der „Neuen Züricher  Zeitung“ vom 11.09.2013 (Die-tibetischen-Waisenkinder-die-keine-Waisen-waren  und
Eine-Entschuldigung-des-Dalai-Lama-wäre-enorm-wichtig) sowie eine bewegende Filmdokumentation des Schweizers Ueli Meier „Tibi und seine Mütter“, die dieses Jahr in den Schweizer Kinos gezeigt wurde, welche die  hohe moralische Integrität des Dalai Lama als makelloses Vorbild für eine bessere Jugend der Zukunft  in Frage stellt.

 

In erschütternder Weise bringen beide NZZ Berichte über Ueli Meiers Recherche und seinen Film ein bis dato noch nicht aufgearbeitetes dunkles Kapitel Zeitgeschichte der Schweizer exiltibetischen Diaspora, in dem der Dalai Lama eine führende Rolle spielt und dessen Hauptprotagonisten 200 tibetische Pflegekinder sind. Sie alle kamen vor 50 Jahren auf einer Privatinitiative des Schweizers Industriellen Charles Aeschimann und des Dalai Lama als tibetische „Waisenkinder“ in der Schweiz, obwohl sie zumeist beide Eltern oder wenigstens ein Elternteil  hatten, denen sie in den ohne deren Einverständnis entrissen wurden. Nur 19 Kinder waren Vollweise.

 

Viele davon waren zudem Kinder von politisch einflussreichen tibetischen Adelsfamilien. Die Auswahl der vorgeblichen „Waisen“ übernahm die Schwester des Dalai Lama Tsering Dolma persönlich in Dharamsala. Sie sollten auf Wunsch des Religionsführers im Schweizer Exil zur neuen tibetischen Kaderelite mit westlicher Erziehung ausgebildet werden. Keines dieser inzwischen erwachsenen Kinder, die schlecht oder überhaupt nicht tibetisch sprechen, ist nach Indien oder Tibet zurückgekehrt. Die grausame Trennung von ihren leiblichen Eltern, von denen sie sich als abgestoßen und ausgesetzt fühlen und die neue Schweizer Familienstruktur haben aus vielen von ihnen doppelte Fremde in zwei Kulturwelten gemacht. Die Wunden ihres persönlichen und kulturellen Identitätsverlustes sitzen bis heute tief. Eine Studie der Universität Zürich aus dem Jahre 1982 zeigt, dass von den in der Schweiz aufgewachsenen Tibetern einzig Suizide aus den  Dalai Lama – Charles Aeschimann Gruppe bekannt geworden sind.

 

Der Dalai Lama hat sich bis dato weder zu der durch ihn persönlich mit verursachte Schicksals Tragödie dieser 200 tibetische ehemalige Kinder je geäußert, noch hat er sie um Vergebung gebeten, noch hat er zu Ueli Meiers Dokumentation, die ihm vorgelegt wurde, Stellung bezogen. Als (ex) politisches und religiöses Oberhaupt der Exiltibeter, als Jahrzehnte lang aufs wärmste empfangener Gast schuldet er dem Schweizer Staat, der wie kein anderes westliches Land die  größte tibetische Flüchtlingsdiaspora aufnahm und ihr eine neue Heimat gab, eine diplomatische Entschuldigung für seine in den 60ern zusammen mit seinem „Agreement Partner“ Charles Aeschimann bewusst betriebene politische Manipulation, denn  der damalige Schweizer Bundesrat hatte offiziell die Aufnahme von tausend tibetische Flüchtlingen beschlossen, die aber vom Roten Kreuz als „ganze“ Familien ausgewählt wurden. Die „Tarnung als tibetischen Waisenpflegekinder“ der privaten Dalai Lama – Aeschimann Initiative konnte so nur am Rande der offiziellen Bundesbehörden vorbei realisiert werden. In der damaligen Briefkorrespondenz  zwischen den  Dalai Lama und Aeschimann wird die Transaktion als „Dealings with the Children“ bezeichnet.

 

Der herzlose Umgang mit Kindern ist im Übrigen nichts Atypisches für eine theokratische oder besser buddhokratische Gesellschaft wie die tibetische, die sich schon seit Jahrhunderten bis hinein in unsere Zeit durch die Rekrutierung von Mönchskindern reproduziert. Diese werden im jüngsten Alter aus ihrem Familienzusammenhang gerissen und einer reinen Männergesellschaft unter striktem Reglement und mit einer extrem autoritativen Erziehung eingegliedert. Im alten, monastischen Tibet blieb den Eltern gar nichts übrig, als einen Teil ihrer Kinder an die herrschende klerikale Elite abzuliefern, sei es aus Zwang, sei es aus finanziellen Gründen, sei es um ihnen eine Ausbildung oder einen Karriereweg in der Politik des Landes zu garantieren. Wenn auch in viel geringerem Maße als früher, gelten solche Gründe sogar heute noch für viele Exiltibeter-Familen in Indien, insbesondere wenn sie gerade als Flüchtlinge aus China gekommen sind.

 

Nicht nur die drastische Erziehung in den Klöstern muss nach westlichen Standards als inhuman bezeichnet werden, sondern die Päderastie ist ein in der Mongolei und Tibet häufig auftretendes und weit verbreitetes Phänomen, das selbst vor Hohen Lama-Inkarnationen nicht Halt macht, wie in jüngster Zeit aus einem Video des jungen Kalu Rinpoche zu hören ist: „Als ich neun war starb mein Vater und ich hatte ein sehr schweres Leben. […] Ich wurde zu verschiedenen Klöstern transportiert und als ich 12 und 13 war, wurde ich sexuell von anderen Mönchen missbraucht. […] Mein eigener Lehrer versuchte mich zu töten, das ist die Wahrheit und das zu einer Zeit, wo ich wirklich noch traditionell war. […] Sie versuchten mich zu töten, weil ich nicht tun wollte was sie von mir verlangten.“ Kalu Rinpoche ist einer der ranghöchsten Lamas der so genannten Kagyü-Schule. (http://www.youtube.com/watch?v=z5Ka3bEN1rs )

 

Im weitesten Sinne zählen auch die „Selbstverbrennungen“ in Tibet der letzten Monate zur Frage „Kindesmissbrauch“, denn viele der „Märtyrer“ waren junge Mönche. Mit ihrem Selbstmord protestierten sie nicht nur für ein freies Tibet, sondern ebenso für die Rückkehr des Dalai Lama. Auch in diesem Fall hat sich der Religionsführer ethisch nicht korrekt verhalten. Zwar gab es kurz vor seinen Deutschlandbesuch eine Distanzierung von den „Märtyrer-Aktionen“ in der Wochenzeitung „Die Zeit“ vom 13.06.2013. „Was diese jungen Leute tun, hilft nicht.“ – sagte der Dalai Lama dort in einem Interview. Aber Monate lang hatte er, trotz internationaler Aufforderungen und obgleich der Buddhismus nicht nur das Töten sondern auch den Suizid verbietet, die Selbstverbrennungen keineswegs verurteilt, sondern erklärt, er könne nichts dazu sagen, um nicht die Familien der Opfer zu beleidigen. Dutzende junger Mönche kamen so auf schreckliche Weise um. Dabei hätte ein einziges, klares Wort die Tragik vermeiden lassen, denn der Dalai Lama gilt für seine tibetischen Anhänger als Lebender Gott auf Erden. Erst als es keinen Erfolg hatte, den Westen durch die spektakulären Selbstmorde zu mobilisieren, sondern im Gegenteil, als die Kritik daran immer lauter wurde, kam die Distanzierung von Seiten des Religionsführers. Danach hörten die Selbstverbrennungen sofort auf.

 

„Missbrauchte Kinder“, das ist ein Thema, dem sich der tibetische Buddhismus, genauso wie es die Katholische Kirche tun musste, noch wird zu stellen haben. Dabei sollte es der Dalai Lama eigentlich besser wissen. In seiner Autobiographie und auf vielen Vorträgen erzählt er immer wieder wie sehr er seine Mutter geliebt und wie sehr er unter der Trennung von ihr gelitten habe, denn Kinderrechte sind auch Menschenrechte.

 

19. September 2013

 

© Victor & Victoria Trimondi