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     Apokalytische Matrix 
    
     
     
    Säkulare Apokalyptiker: 
      
    
    
    
    Die apokalyptische Matrix ist bei
    „rechten“ Philosophen ebenso beliebt wie bei „linken“. So interpretierte
    der konservative Denker Ludwig Klages die gesamte Weltgeschichte als einen
    sich beschleunigenden Untergangsprozess. Ursache hierfür sei der „Geist“,
    insbesondere der Rationalismus, der Geist der Technik und der Geist
    Wissenschaften. „Eine Verwüstungsorgie ohnegleichen hat die Menschheit
    ergriffen, die ‚Zivilisation’ trägt die Züge entfesselter Mordsucht, und
    die Fülle der Erde verdorrt vor ihrem giftigen Anhauch.“ – klagte Klages am
    Ende der 20er Jahre. Als paradiesische Heilserwartung jenseits des
    apokalyptischen Untergangs leuchtet ihm eine Lichtorgie: „Wäre die
    Fluchtmacht des Geistes gebrochen, der entsetzliche Angstraum der
    ‚Weltgeschichte’ zerränne, und es ‚blühte Erwachen in Strömen des Lichts’“. 
      
    Das von
    Ernst Bloch 1918 erschienene Werk Geist
    der Utopie sollte ursprünglich Musik
    und Apokalypse heißen. Auch der linke Philosoph bekennt sich zur apokalyptischen Matrix: „Die
    Apokalypse ist das Apriori aller Politik und Kultur, die sich lohnt, so zu
    heißen. Nur dieser denkende Wunschtraum schafft Wirkliches, tief in sich
    hineinhörend, bis der Blick gelungen ist.“ Allein die radikale Zerstörung
    der bestehenden wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse kann – Bloch
    – den Geist der Utopie zur
    Realisierung verhelfen. 
      
    In den
    meisten Fällen folgen die philosophischen Apokalypsen strikt dem Muster der
    von uns herausgearbeiteten apokalyptischen
    Matrix, nur dass der erwartete Messias nicht eine Person, sondern eine
    Neue Philosophie oder Neue Weltsicht ist. Der französische Theoretiker
    Jacques Derrida versucht immerhin, der Zwangsgestalt des apokalyptischen
    Denkens zu entkommen, indem er nach einer Lektüre der Johannesoffenbarung von einer „Apokalypse ohne Apokalypse“ träumt: Von einer „Apokalypse ohne Vision,
    ohne Wahrheit, ohne Offenbarung, d. h. Sendungen […], Adressen ohne
    Botschaft und ohne Bestimmungsort, ohne entscheidbaren Absender oder
    Empfänger, ohne jüngstes Gericht, ohne eine andere Eschatologie als den Ton
    des ‚Komm’, seine différence
    selbst, eine Apokalypse jenseits von Gut und Böse.“ Dieser originelle
    Versuch, aus der apokalyptischen Matrix
    auszubrechen, bleibt dennoch nur ein Traum, da Derrida letztlich alles
    seinem allmächtigen Demiurgen, dem „Zufall“, überlässt. Nach diesem ist
    soll alles möglich sein, sogar ein Ereignisablauf, wie er in der Johannesoffenbarung beschrieben
    wird. Und so kann der Philosoph unverbindlich fragen: „Welche
    hermeneutische Kompetenz berechtigt [...] zu sagen, dass diese selbst,
    diese Katastrophe der Apokalypse,
    nicht diejenige ist, die […] von dieser
    oder jener apokalyptischen
    Schrift beschrieben wird? Zum Beispiel von der aus Patmos ….“ All is
    possible! 
      
    
    
    
     
     
    Das apokalyptische Tier - ein
    politischer Körper 
    Isaac Newton war ein
    fanatischer Doomsday-Prophet 
      
    Die britische Religionswissenschaftlerin Karen Armstrong hat in
    ihrem bekannten Buch  „Im
    Kampf für Gott – Fundamentalismus in Christentum, Judentum und Islam“
    (deutsche Übersetzung 2004) mehrmals Isaak Newton als den großen Antipoden
    zu einer fundamentalistischen Weltsicht herausgestellt. Zum Beispiel mit
    dem Satz: „Es ergeht uns ähnlich wie Newton, der als Abendländer vom
    wissenschaftlichen Geist derart durchdrungen war, dass er die Mythologie
    völlig unverständlich fand.“  Doch
    diese Benennung Newtons zum Kronzeugen für den Säkularismus erweist sich
    bei näherer Hinsicht als ein völliger Missgriff. Der berühmte Physiker war
    ein fanatischer (!) Apokalyptiker.  
      
    Jahrelang hat er sich mit der Johannesoffenbarung
    beschäftigt und wenigstens drei engagierte und ausführliche Abhandlungen
    dazu verfasst. Eine davon ist betitelt: „Prophezeiungen – das zweite Kommen
    Christi betreffend“. Der Physiker glaubte, dass die Apokalypse nicht
    „ethisch“ oder nur „spirituell“, sondern in jedem Fall „politisch“ zu
    verstehen sei: „Wenn jemand das [apokalyptische] Tier so deutet, als stelle
    es ein großes Laster dar, ist dies als seine private Imagination
    abzulehnen, denn nach Stil und Ausrichtung der Apokalypse und aller
    anderen prophetischen Schriften bedeutet das ‚Tier’ einen politischen
    Körper und in einigen Fällen eine Person, die einen solchen politischen
    Körper regiert, und es gibt keinen Grund für eine andere Interpretation in
    der Schrift.“ – schreibt Newton und erklärt im Folgenden seitenlang, dass
    die Protagonisten der Offenbarung wie der Drache, das Tier mit den
    zehn Hörnern, die Große Hure, Michael, das zornige Lamm usw. politische
    Institutionen oder Personen wie Könige, Armeeführer und Fürsten
    symbolisierten. (Isaac Newton – Yahuda Ms. 1.1 – Jewish National and
    University Library – in: www.newtonproject.ic.ac.uk/texts/yah1-1_n.html) Damit erweist sich der berühmte  Physiker als ein christlicher Fundamentalist.
    Es ist also absurd, wenn Karen Armstrong ihn ständig  als Protagonisten der Aufklärung gegen
    den Fundamentalismus herausstellt. Die Apokalypse ist nun mal eine große
    Versuchung und das nicht nur für religiöse Sektierer. Sie ist ohne weiteres
    mit der sogenannten „Modernen“ kombinierbar. 
      
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