Der Trikont Verlag
Der Trikont Verlag und das „Archiv 451“
Von Klaus Körner
Die Idee, einen eigenen
Verlag für die Neue Linke zu gründen, war 1967 in Köln entstanden. An der
Universität zu Köln agitierte eine der größten Gruppen des Sozialistischen
Deutschen Studenten-Bundes (SDS). Die Hoffnungen und Erwartungen des SDS
auf sozialistische Veränderungen waren nicht auf die neue Bundesregierung
der Großen Koalition unter Kurt Georg Kiesinger gerichtet, sondern auf die
Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt. Auf Kuba hatte Anfang 1966 eine
Konferenz der Befreiungsbewegungen der Dritten Welt (»Tricontinentale«)
stattgefunden. Den Text einer an diese Konferenz gerichteten Botschaft des
Revolutionshelden Ernesto Che Guevara wollte der
SDS zusammen mit einer Rede Fidel Castros vom 13. März 1967 in der
Universität Havanna in einem neuen politischen Verlag veröffentlichen. Die
Botschaft beider Texte war, dass nicht sogenannte freie Wahlen und
Wirtschaftshilfe zur Befreiung der Dritten Welt vom Joch des Imperialismus
führen könnten, sondern nur der bewaffnete Kampf. Auf jeder großen
Demonstration des Kölner SDS wurden Guevara-Plakate, die der Graphiker Eusebius Wirdeier geschaffen
hatte, mitgeführt. (1)
Die führenden Köpfe des Kölner
SDS-Arbeitskreises Dritte Welt waren damals Herbert Röttgen
und Gisela Erler, die Tochter des SPD-Politikers Fritz Erler. (2) Da beide
eine Affinität zu München hatten, schien ihnen München der richtige Ort für
den nach der Konferenz von Havanna benannten Trikont
Verlag. Als Verlagsinhaber wurde zunächst der angehende Mediziner Erich von
Derschatta ausgewählt. Später nannte sich das
Unternehmen Verlagskooperative oder Verlagskollektiv, tatsächlich wurde es
eine GmbH mit Gisela Erler und Herbert Röttgen
als Geschäftsführern. Der Charakter als Kooperative zeigte sich zunächst
daran, dass keine Tariflöhne gezahlt wurden, sondern alle Mitarbeiter den
Einheitslohn von 800 Mark erhielten.
Wirtschaftliche Grundlage für
Trikont war eine Vereinbarung mit dem
chinesischen Pressevertriebsunternehmen Guozi Shudian über den Verkauf der legendären
>Mao-Bibel<, der Zeitschriften >Peking Rundschau< und >China
im Bild< sowie Kleinschriften wie Lin Piaos
>Es lebe der Sieg im Volkskrieg<. Schon seit einiger Zeit gab es eine
»chinesische Fraktion« in der deutschen Linken, die sich um die Zeitschrift
>Spartakus< formiert hatte, es hatte den Chinesen aber an einem
deutschen Vertriebspartner gefehlt. Der erste Trikont-Prospekt
von 1967 wirkte wie eine aufklappbare Visitenkarte. Er enthielt neben dem
Guevara/Castro-Band als zweite Eigenproduktion nur die Kampfschrift des
französischen Kämpfers und Theoretikers der lateinamerikanischen Guerilla
Regis Debray >Revolution in der Revolution?<. Angekündigt wurden die Schriften des legendären
Siegers der Schlacht von Dien Bien Phu im Jahre
1954 General Vo Nguyen Giap
>Volkskrieg, Volksarmee< und als erster Teil der Schriften von Che Guevara >Erinnerungen aus dem
Guerilla-Krieg<. Es folgte 1968 zu Vietnam ein Buch von Ho-Chi-Minh
>Gegen die amerikanische Aggression<.
Wie in großen Verlagen üblich
begann Trikont damit, seine Bücher als Reihen
herauszugeben. Das erste Buch wurde als >trikont
aktuell< ausgewiesen, für den Band 2 der Reihe Che
Guevara >Partisanenkrieg, eine Methode< verfasste Peter Weiss einen Nachruf auf Che.
Das absolute Erfolgsbuch der ersten Jahre, das elf Auflagen erlebte, war
Band 5 der Reihe, das >Bolivianische Tagebuch< von Che Guevara mit einem Vorwort von Fidel Castro. Das
Buch war dem Verlag aus Havanna mit der Verpflichtung angeboten worden, es
sofort und ohne jede Bearbeitung zu veröffentlichen. Es erschien
gleichzeitig in Frankreich, Italien, USA, Chile, Mexiko und in anderen
Ländern.
Linke Bücher mit APO-Gestaltung
In der Reihe >Trikont-Theorie< erschienen die aus dem
französischen übersetzten Schriften von Charles Bettelheim über den Aufbau
des Sozialismus in China. Als Band 1 von >Trikont-Agitation<
kam 1969 zu den Aktionen >Roter Punkt< in Hannover und Heidelberg die
Schrift >Straßenbahnaktionen ’69< heraus. Auf dem Umschlag ist eine
vom Graphiker Hansjörg Langenfass entworfene geballte Arbeiterfaust mit
blutleeren Knöcheln abgebildet, die besondere Schlagkraft vermitteln soll.
Das Faust-Motiv prangte auch auf vielen Umschlägen der umfangreichen Reihe >Schriften
zum Klassenkampf<. Andere Titel dieser Reihe wurden mit einer etwas
abstrahierten Menschenkette gekennzeichnet, so der dreibändige mit einer
neuen Einleitung versehene Raubdruck der >Geschichte der Kommunistischen
Jugendinternationale< aus den Jahren 1929 – 1931.
Die Einbandgestaltung mit
Fäusten, Demonstrationszügen und Fotomontagen entsprach nicht den
herkömmlichen Regeln schöner Buchgestaltung, man kann sie als APO-Graphik
bezeichnen. (3) Schon die Gestaltung sicherte den Trikont-Büchern
in der linken Szene Beachtung – und Nichtbeachtung bei der Auswahl der
schönsten Bücher. Zum zehnten Jahrestag des Prozessbeginns gegen Rainer
Langhans, Fritz Teufel und andere vor dem Schöffengericht Berlin-Moabit
wegen Verbreitung illegaler Flugblätter brachte der Verlag 1977 das schon
wegen seiner APO- und popkulturellen Gestaltung berühmte Buch >Klau
mich. StPO der Kommune I< als Reprint neu heraus. (4) Für den Vertrieb
vorwiegend über linke Buchhandlungen und fliegende Händler in
Mensa-Vorräumen war die Gestaltung kein Nachteil. Die Bände waren
gelumbeckt und hatten nur einen Pappeinband. Um die Satzkosten zu sparen,
wurden die Druckvorlagen auf der Schreibmaschine hergestellt. Der Charakter
der Bücher als Gebrauchsbücher wurde auch durch den Hinweis im Impressum
unterstrichen: »Genossen, die unentgeltlich Textstellen nachdrucken wollen,
mögen sich mit uns in Verbindung setzen.«
»Der Verlag handelte neben
Büchern auch mit Postern, Karten, Buttons, Stickern und allem, was damals
so üblich war«, erläutert die frühere Trikont-Lektorin
Christine Dombrowsky, so etwa
Black-Panther-Karten als Begleitmaterial zum Band >USA: Farbige
Revolution und Klassenkampf<. Die Bücher und Materialien wurden auch
über die DKP-nahen collektiv-Buchhandlungen
vertrieben. Doch damit war es aber 1975 aus, als Trikont
den zuerst 1958 auf Französisch unter dem Pseudonym Benno Sarel erschienenen Band »Arbeiter gegen den
>Kommunismus<. Geschichte des proletarischen Widerstands in der DDR
(1945 – 1958)« herausbrachte.
In der Gründungsphase des
Verlages dominierten Titel über die politische Unterdrückung und
Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt. In seiner zweiten Phase wollte Trikont am Kampf für die Befreiung der Arbeiter in den
Metropolen teilnehmen. Versuche einiger Studentengruppen, mit gefälschten
Betriebsausweisen und blauer Arbeitskleidung, auf das Gelände von
Großbetrieben zu kommen, um dort die Arbeiter zu mobilisieren, waren
kläglich gescheitert. Der Verlag überlegte sich eine andere Methode für die
Arbeiternähe. Um in die Trikont-Belegschaft
aufgenommen zu werden, sollte man nachweisen, wenigstens ein halbes Jahr in
einem Betrieb gearbeitet zu haben. »Ich habe ein Jahr in einer Fräserei bei Siemens gearbeitet«, berichtet die frühere
Lektorin, »da arbeiteten Frauen, vor allem Ausländerinnen zu miesen
Bedingungen im Akkord für 800 Mark im Monat. Dort haben wir sogar einen
wilden Streik angezettelt.« (5)
Der Verlag verstand sich als
Bewegungsverlag, der mit anarcho-sozialistischen
Gruppierungen zusammenarbeitete, dazu gehörten die Münchner Spontibewegung >Arbeitersache<, die Frankfurter
Gruppe >Revolutionärer Kampf< mit Joschka Fischer und Daniel
Cohn-Bendit und in Norddeutschland die >Proletarische Front<. Zu der
gehörte auch Karl Heinz Roth, der für den Verlag das Buch »Die >andere<
Arbeiterbewegung« schrieb, in dem er die kapitalistische Repression von
1880 bis zur Gegenwart abhandelte sowie Aufstandsbekämpfung
und Werkschutz dokumentierte. Die 4. Auflage des Buchs erschien mit der
Forderung nach Haftverschonung für den mittlerweile verhafteten Autor und
einem Aufruf zu Solidaritätsspenden an einen »Anti-Repressionsfonds«.
Ebenfalls für diesen Zweck wurde das historische Lesebuch >Staatsfeind,
der ich bin …< mit Texten zur politischen Justiz von Rosa Luxemburg bis
Hans-Christian Ströbele herausgegeben. Eine Pickelhaube zierte den Umschlag
eines weiteren Sammelbandes mit kritischen Gedichten, Liedern und Balladen
über die Staatsgewalt von 1816 bis 1976 >Büttel – Schutzmann – Prügel-knabe<. Das Vorwort schrieb der Marburger Politikwissenschaftler
Wolfgang Abendroth.
Verlagsobjekt Bommi Baumann
Der Verlag hatte zwar Bücher
über den bewaffneten Kampf in der Dritten Welt veröffentlicht, aber keine
klare Position gegenüber dem in den 70er Jahren in der Bundesrepublik
aufkommenden »bewaffneten Kampf« bezogen. Die Parole lautete: »Wir
distanzieren uns nicht vom bewaffneten Kampf!«
Dann kam aus West-Berlin das Angebot des ehemaligen »Kämpfers« der Bewegung
2. Juni, Michael »Bommi« Baumann, einen Text mit
seinen Erfahrungen und Erlebnissen zu veröffentlichen. »Die Bezeichnung
Text war etwas zu hoch gegriffen«, bemerkt Christine Dombrowsky
über das Projekt, »tatsächlich hatte Bommi
Baumann Tonbänder besprochen, die wir erst abtippen mussten, um daraus dann
ein Manuskript zu machen.«
Bommi
Baumann war nach 1961 im Rahmen der Berlin-Hilfe als Arbeiter aus
Westdeutschland angeworben worden, war über die Kommune I in die
alternative Szene und von dort in den »bewaffneten Kampf« der Bewegung 2.
Juni gekommen. In dieser Szene hatte ihn der Verfassungsschutz als V-Mann
angeworben und sogar mit einem Revolver ausgestattet.Baumannwar
eine Art moderner Simplizissimus, der mit seinem
Bericht das Leben im Untergrund, die Kämpfer-Szene und ihre Verfolger
entlarvt. Das Buch endet mit einer Absage an die Gewalt.
Der Verlag diskutierte einen
Abend lang mit einer Abordnung der Westberliner RAF-Unterstützerszene über
den Text. Kurz nach Mitternacht legte einer der Angereisten einen Revolver
auf den Tisch, erklärte die Debatte für beendet und drohte: »Wenn ihr das
Buch raus bringt, knallen wir euch ab!« Für
Herbert Röttgen wurde in diesem Augenblick klar,
dass der Verlag das Buch herausbringen müsse. Er vergab den Druckauftrag am
nächsten Tag. (6)
Von dem Buch waren bereits
1.000 Exemplare verkauft, als die Münchner Staatsanwaltschaft einschritt.
Sie bewertete den Text als Verstoß gegen das Verbot der Billigung
verfassungsfeindlicher Straftaten nach den §§ 88a, 140 des
Strafgesetzbuchs, beschlagnahmte die noch vorhandenen Bestände, die
Druckunterlagen und sogar die Schreibmaschinen, auf denen das Manuskript
erstellt worden war, als Producta et Instrumenta Sceleris. Das
Landgericht verwies später kühl darauf, dass die Zuerkennung von
Schadensersatz für die Kollateralschäden, die bei Durchsuchungs- und Beschlagnahmeaktionen entstehen, versagt werden müsse:
»Die Antragsteller mussten schon aufgrund der Tatsache, dass die
Druckschrift überhaupt einen strafbaren Inhalt haben konnte, mit
behördlichen Maßnahmen rechnen. Sie haben diese grob fahrlässig
herbeigeführt«. (7)
Der Verlag startete daraufhin
eine beispiellose Solidaritätsaktion. Es gelang ihm, 368 prominente
Journalisten, Professoren, Schriftsteller und Verleger, von Abendroth bis
Zwerenz, zu gewinnen. Die protestierten gegen die politische Zensur und
erklärten sich zugleich bereit, als »Verleger« einer Neuausgabe auf dem
Umschlag genannt zu werden. Als Verlagsort wurde statt München Frankfurt am
Main angegeben, als Verlagsadresse die Karl Marx Buchhandlung und als
Auslieferung die Sozialistische Verlagsauslieferung. Linke Buchhandlungen
in der Provinz veranstalteten öffentliche Diskussionen über den Text und
das Verbot und boten dabei den Nachdruck an. So gelang die Verbreitung
trotz dreimaliger Beschlagnahmeanordnung. Der
Strafprozess gegen Herbert Röttgen und Gisela
Erler ging durch mehrere Instanzen, bis der Bundesgerichtshof 1978 die
Angeklagten freisprach und das Buch wieder freigab. Ohne den Prozess und
die Solidaritätsaktion hätte es schwerlich die Gesamtauflage von 80.000
Exemplaren erreicht. Bei einer Verurteilung jedoch wäre Trikont
schon von den Prozesskosten in Höhe von 40.000 Mark erdrückt worden. Stolz
präsentierte der Verlag 1979 eine Dokumentation über den erfolgreichen
Kampf gegen das Verbotsverfahren. (8) Eine späte Würdigung durch den
Freistaat Bayern erfuhr das Buch im Jahr 2002. Die Bayerische
Staatsbibliothek zeigte unter dem Titel >Remota<
wegen Staatsgefährdung oder Sittengefährdung weggesperrte Literatur aus
drei Jahrhunderten, darunter Bommi Baumanns
Bericht aus dem Trikont Verlag. (9)
Ein Verlag der Alternativbewegungen
Da der Verlag ein
Bewegungsverlag sein wollte und kein Burgverlag »wie Suhrkamp«, kein
»Vollstreckungsverlag« einer Organisation oder Ideologie und kein autoritärer
Verlagsleiterbetrieb »wie Wagenbach«, suchte er ständig nach neuen
Betätigungsfeldern. So wurde 1971 unter der Firma >Trikont-Unsere
Stimme< die Produktion von Schallplatten begonnen. Dazu gehörten
Folklore-Popmusik, historische Aufnahmen von >Songs aus dem Spanischen
Bürgerkrieg<, Lieder der europäischen Arbeiterbewegung und von
Regionalbewegungen sowie aktuelle Protestsongs (>Live in Santa Fu<).
Als Hauszeitschrift erschien das Blatt >Unsere Stimme<. Wie
undogmatisch es bei Trikont zuging, zeigt der
Nachdruck eines hier eingegangen Rundbriefs, in dem die vom DDR Dissidenten
Robert Havemann eröffnete Debatte über eine linke Wiedervereinigungspolitik
mit einer Entgegnung von Wolfgang Harich und einem Plädoyer für eine
Regionalkultur mit einem Austausch von Baden mit dem Elsaß
wiedergegeben wurde, obwohl das nichts mit Musik zu tun hatte.(10) Später
wurde Trikont – Unsere Stimme aus dem Verlag
ausgegründet und vertreibt heute in München mit Erfolg CDs.
Ein spätes Ergebnis der 68er
Bewegung war die feministische Bewegung. Gisela Erler gründete mit anderen
Frauen bei Trikont den Verlag Frauenoffensive.
Das erfolgreichste Buch waren die autobiographischen Aufzeichnungen von
Verena Stefan >Häutungen<, binnen eines Jahres wurden davon über
40.000 Exemplare verkauft. Der Verlag, der sich daraufhin selbständig
machen konnte, besteht ebenfalls heute noch. Die Schwulenbewegung war eine
Zielgruppe, die mit Titeln wie von Peter Schult >Besuche in Sackgassen.
Aufzeichnungen eines homosexuellen Anarchisten< angesprochen wurde. Aber
auch die kurzlebige Bewegung der Männergruppen wurde mit Schriften bedient.
Hier veröffentlichte Volker Elis Pilgrim sein >Manifest für den freien Mann< und
Geschichten und Protokolle von Männern unter dem Titel
>Männerbilder<. Gewichtiger war ein Handbuch für die AKW-Bewegung,
das über Organisation und Verhalten bei Protestaktionen unterrichtete und
auch dazu anleitete: >Kleines Handbuch für Atomkraftwerksgegner. Ein
Leitfaden für den Widerstand<. Für die Frankfurter Hausbesetzerszene
erschien vom Häuserrat Frankfurt >Wohnungskampf in Frankfurt<. In
Zusammenarbeit mit Trikont wurde eine der ersten
alternativen Stadtzeitungen, >blatt<, in
München gegründet. Zur Zeitschrift erschien das alternative >StadtBuch für München 76/77<, herausgegeben von
Ralph Schwandes und anderen. Der Verlag arbeitete
in der Redaktion der Zeitschrift >Autonomie. Materialien gegen die
Fabrikgesellschaft< mit und übernahm den Vertrieb. Eine weitere Neuerung
war die Entdeckung der den meisten Deutschen nur über Karl-May-Romane
bekannten Indianer. Der Titel >Die Wunden der Freiheit< dokumentierte
Selbstzeugnisse aus dem Kampf der Indianer gegen die weiße Eroberung und
heutige Unterdrückung in den USA vom Beginn der Kolonisierung 1622 bis
1977. Das Buch erlebte drei Auflagen im Verlag und eine
Taschenbuchlizenzausgabe. >Nur Stämme werden überleben< war der Titel
eines Bandes, in dem für die Selbstorganisation in Kommunen als Alternative
für die »zerfallende Industriegesellschaft« plädiert wurde.
Die Jahreskataloge des
Verlages waren nicht nur Werbeschriften, sondern versuchten auch über die
Debatten innerhalb des Verlages zu informieren. Der Katalog >10 Jahre
TRIKONT< enthält nicht nur einen Rückblick von Herbert Röttgen, sondern auch eine »Interne Verlagserwiderung«,
in der ihm folgendes vorgeworfen wird: zu vages Abtasten, Streben nach
konfliktfreier Sanftheit und zu viel Blutabgabe für neue Initiativen,
anstatt den gemeinsamen Gegner anzugehen und die Machtfrage zu stellen.
(11) Das Verebben der linken Welle und das Aufkommen der Grünen in der
Bundesrepublik führte Ende der siebziger Jahre zu einer Finanzkrise bei Trikont. Die erste Maßnahme war ein Solidaritätsbrief
an linke Buchhandlungen. »Ich betrieb damals eine Buchhandlung in Eßlingen«, erinnert sich der Hamburger Antiquar Lutz
Schenk, »auf den dringenden Hilferuf des Verlags, doch Bücher auf Lager zu
nehmen, um das Weiterbestehen von Trikont zu
sichern, habe ich reagiert. Einen Teil der Bücher habe ich heute noch.« (12)12
Wirksamer war einige Monate später eine große Ramschaktion, bei der die
Preise bis zu 80 Prozent reduziert wurden. Dadurch kamen 100.000 Mark in
die Kasse, und die weitere Verlagsarbeit war gesichert. (13)
Zu neuen Ufern: Esoterik
Der Verlagsleiter Herbert Röttgen entdeckte jetzt eine neue Linie für sich und
den Verlag: die Esoterik. Die Suche nach einer neuen Identität begann mit
einem neuen Namen. »Da kam ich auf >Dianus<
mit seinen verschiedenen Bedeutungen«, erinnert sich Herbert Röttgen, »Janus, der Gott des Anfangs, der Gott mit den
zwei Gesichtern … Oder Dianus als Mann der Diana.« (14) 1980 benannte sich der Verlag in Trikont-Dianus um, später wurde daraus Dianus Trikont, als
Verlagssignet diente das Motiv des nach links und rechts blickenden
Januskopfes.
Als neuer Autor wurde der
Volkskundler Sergius Golowin gewonnen, Er schrieb
in >Magische Gegenwart<, dass auch in unserer westlichen Konsumwelt
unter der Kruste des scheinbar rationalen Alltags »magisch-irrationale
Kulte, Spiele und Strukturen« wucherten. In dem etwas sachlicheren Band
>Der ewige Zigeuner< analysiert er, die Begegnung des Abendlandes mit
den Menschen des Ostens, aus deren Wissen und Träumen der europäische
Kulturuntergrund heute noch lebe und schöpfe.(15) Golowin
und Verleger Röttgen beteiligten sich an der
Herausgabe des >Bild-Lexikons der Symbole<, das eines der ersten
Bücher sogar als Hardcoverausgabe herauskam. Das Buch erlebt gegenwärtig
seine Drittverwertung als Lizenzausgabe im Fourier Verlag und wird meist
über das moderne Antiquariat angeboten. Es folgten ein Schamanenbuch von
Joan Halifax und weitere Bücher über Indianer. Jetzt geht es aber nicht
mehr um den Kampf gegen die Unterdrückung einer ethnischen Minderheit,
sondern um die spirituellen Traditionen der Indianer. Der Kurswechsel und
die Orientierung auf mehr bürgerliche als subkulturelle Zielgruppen zeigte sich auch in der Hinwendung zu
Hochglanzprospekten und fadengehefteten Leinenbänden mit Schuber. Röttgen schrieb dazu
im Prospekt von 1981: »Wir sind konservativ geworden und revolutionär
geblieben.« Manche Mitarbeiter, Kunden und
Geschäftspartner des Verlages beurteilten die Wendung zum Spirituellen
anders. Wolfgang Pohrt sah in der von Röttgen propagierten Hinwendung zu natürlichem Leben,
Volksliedgut, Indianern, Schamanen und hinterindischen
Weisheiten nicht nur eine bürgerliche Fluchtbewegung, sondern eine
Anknüpfung an die Blut-und-Boden-Ideologie der Nazis.(16)
Über ein neues Vorwort des
Verlegers zur 11. Auflage von Che Guevaras >Bolivianischem Tagebuch<, das auch in
die Taschenbuchausgabe übernommen wurde, (17) kam es zwischen dem Verband
des linken Buchhandels und dem Verlag zu einer öffentlich ausgetragenen
Kontroverse. Röttgen erinnert zunächst an Che Guevara als Hoffnungsträger und Symbol der ersten
weltweiten Revolution und fährt dann fort, die ursprünglichen Ideale seien
durch die Gewalt in einem Blutbad versunken. Che
Guevara erscheine heute verhängnisvoll verwoben mit den Gesetzen seiner
Feinde. Seine Forderungen nach Planwirtschaft, Kaderpartei und technischer
Revolution seien uns fremd geworden. »Heute vernehmen wir andere Stimmen
aus der Dritten Welt«, schreibt Röttgen, »die
tiefer, verheißungsvoller und vielversprechender sind als die forschrittsgläubigen Parolen der kaum verblichenen
Revolutionäre. Die Stimmen der Schamanen, die aus altem Wissen schöpfen und
aus deren Worten wir die Urgesetzte des Seins vernehmen können.« Im letzten Satz versteigt er sich zu der Aussage,
dass Guevara, der von US-geführten bolivianischen Spezialeinheiten gejagt,
gestellt und erschossen wurde, am Verrat einer zahnlosen Hexe gescheitert
sei, »weil er nicht erkannte, dass in ihr die Urkraft indianischen Geistes
vor ihm stand«.
Kritiker warfen Röttgen vor, Che Guevara
herabzusetzen und in die Esoterik zu ziehen. Am Ende stand die Kündigung
der Liefer-, Auslieferungs- und Vertreterverträge durch den Verlag. (18)
Der Abschied von der Neuen Linken hätte für Trikont
nicht den Ruin bedeuten müssen, schließlich hatten linke Schwesterverlage
wie Association, Oberbaumverlag oder Olle und
Wolle, die ihrer Linie treu geblieben waren, schließen müssen. Dianus-Trikont beteiligte sich jetzt sogar an
internationalen Kongressen über Schamanentum,
Geomantie, Metapolitik und keltisches Bewusstsein. Für den Kongress
>Raum und Zeit< in Garmisch-Partenkirchen konnte Röttgen
den Philosophen Carl-Friedrich von Weizsäcker und den Dalai Lama gewinnen.
Zu den Kongressthemen erschienen entsprechende Bücher, so auch ein Band des
Dalai Lama >Logik der Liebe<. Doch der Verlag hatte sich nur zum
Vorreiter der Esoterik-Welle gemacht, die Früchte dieser Zeitgeistwende
konnten Großverlage ernten. Kurz nach dem Kongress musste Dianus-Trikont Konkurs anmelden. Selbstkritisch räumt Röttgen ein: »Ich hatte angefangen, über unsere
Verhältnisse hinaus, das Programm aufzustocken, statt bisher 10 Bücher habe
ich 20 gemacht … Es war ein großes Spiel, ich habe alles auf eine Karte
gesetzt und gewusst: wenn jetzt keine große Resonanz kommt, haben wir keine
Chance mehr. In dem Sinn habe ich das Spiel verloren.«
(19)
Das »Archiv 451«
Was blieb, waren Kartons mit
Büchern und Verlagsmaterialien. Die frühere Lektorin Christine Dombrowsky und ein kleiner Kreis von Freunden
beschlossen 1991, aus dem Bestand ein Archiv aufzubauen. Als Name wurde
>Archiv 451. Die Trikont-Bücher in ihrer
Zeit< bestimmt. Die Zahl ist eine Anspielung auf den Truffaut-Film
>Fahrenheit 451<. In dem Archiv sind durch systematische Ankäufe
inzwischen sämtliche 254 Titel des Verlages vorhanden, viele sogar mehrfach,
so dass Interessenten sie kaufen können. Dazu gibt es einen Fundus mit
Plakaten, Zeitschriften und Grauem Material auch von anderen sozialen und
antiautoritären Bewegungen aus München. Es gibt ferner ein
Gesamtverzeichnis der Bücher, gegliedert nach Autoren und nach Sachthemen.
»Wir möchten Trikont nicht zuerst als Esoterikverlag
sehen«, versichert die Archivleiterin Dombrowsky,
»sondern in der linken Münchner Tradition von Erich Mühsam und Ernst Toller
>poltisch, bissig, nachdenklich, intelligent und
kompromisslos<.« Wegen der Kosten, die mit dem
Aufbau und der Unterhaltung des Archivs verbunden sind, wird von Benutzern
ein angemessener Kostenbeitrag erbeten. (Kontakt: Christine Dombrowsky, Ligsalzstraße 11,
80339 München, Tel. 089/51 099559).
© Klaus Körner 2004
Fussnoten:
(1) Satisfaction und Ruhender Verkehr. 1968 am Rhein, hg. v. Kurt Holl u. Claudia Glunz,
Köln 1998, 124 f.
(2) Gisela Erler:
Frauenzimmer, Berlin 1985, 190.
(3) Hans Peter Willberg: Buchkunst im Wandel. Die Entwicklung der
Buchgestaltung in der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt a.M. 1984, 18
f.; Die vollkommene Lesemaschine. Von deutscher Buchgestaltung im 20.
Jahrhundert, hrsg. v.d. Deutschen Bibliothek u.
der Stiftung Buchkunst, Frankfurt a.M. u. Leipzig 1997.
(4) Rainer Langhans
und Fritz Teufel: Klau mich. StPO der Kommune I, Reprint der Erstauflage
von 1968, München 1977.
(5) Interview mit Christine Dombrowsky v. 13. Okt.
2002; Christine Dombrowsky:
Selbstverständlichkeit, in Hella Schlumberger,
Türkenstraße. Vorstadt und Hinterhof. Eine Chronik erzählt, München 1998,
510 f.
(6) Herbert Röttgen: Psychodelisches, in: Schlumberger,
Türkenstraße, 517.
(7) Beschluss des
Landgerichts München v. 30. Mai 1979 nach § 5 Abs. 2 Gesetz über die
Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen, zit. in: Marion Janzin u. Joachim Günter: Das Buch vom Buch. 5000 Jahre
Buchgeschichte, Hannover 1995, 454.
(8) Ein Buch wird
verboten. Bommi Baumann Dokumentation, hrsg. v.
Jürgen Arnold und Peter Schult, München 1979.
(9) Der
>Giftschrank<. Erotik, Sexualwissenschaft, Politik und Literatur –
>Remota<: Die weggesperrten Bücher der
Bayerischen Staatsbibliothek, hrsg. v. Stephan Kellner, München 2002;
Roland Seim: Zwischen Medienfreiheit und Zensureingriffen. Eine medien- und rechtssoziologische Untersuchung
zensorischer Einflussnahmen auf bundesdeutsche Populärkultur, Münster 1997,
239.
(10) Deutschland oder Frankonien? in: Unsere Stimme 1976, Nr. 1, Nov. 1976,
5.
(11) 10 Jahre Trikont, München 1977.
(12) Interview mit Herrn
Lutz Schenk v. 20. Nov. 2002.
(13) Abo Tavassolie: Der Verlag Trikont,
Seminararbeit am Institut für Buchwissenschaft der Universität Mainz v. SS
1997, 9.
(14) Röttgen:
Mytho-Poetisches, in: Schlumberger,
Türkenstraße, 517 ff., 526.
(15) Trikont-Dianus
Prospekt 1980; Christoph Bochinger: >New
Age< und moderne Religion. Religionswissenschaftliche Analysen,
Gütersloh 1994, 160 f.
(16) Wolfgang Pohrt: Eine Zukunft für die Vergangenheit, in: konkret
1/1981, Nachdruck in: 30 Jahre konkret, hrsg. v. Hermann L. Gremliza; Hamburg 1987, 282 – 284.
(17) Che
Guevara: Bolivianisches Tagebuch. Dokument einer Revolution mit einer
Einführung von Fidel Castro und einem Vorwort von Herbert Röttgen und Christiane Thurn, Reinbek b. Hamburg 1986,
7 – 9.
(18) Bochinger:
>New Age<, 160.
(19) Röttgen:
Mytho-Poetisches, in: Schlumberger,
Türkenstraße, 517 ff., 521.
Quelle: Aus dem Antiquariat. Zeitschrift für
Antiquare und Büchersammler 2 vom 9. April 2004, 101 ff. Abgedruckt in: http://protest-muenchen.sub-bavaria.de/artikel/1688
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