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Zen-Buddhismus und Faschismus


 

Rezension von Brian Daizen A. Victoria – Zen War Stories – von David Loy (Journal of Buddhist Ethics)

 

Zen War Stories" ist eine Fortsetzung von Victorias „Zen at War" (1997), die das Verhältnis zwischen institutionellem Buddhismus (besonders Zen) und japanischem Militarismus vor und während des 2. Weltkriegs untersucht. Das erste Buch schreckte viele westliche Schüler des Zen, in dem es zeigte, wie fast alle japanischen Zen-Meister und Institutionen glühende Befürworter des Kolonialismus und des Krieges im Pazifik gewesen waren. Dieses Buch ergänzt das vorherige. Tatsächlich enthält es nicht viele Geschichten vom Schlachtfeld, wie Victoria in der Vorrede bestätigt, aber das zusätzliche historische Material, welches er ausgegraben hat, ist fast genauso wichtig und unbequem für westliche Buddhisten.

 

 

Kapitel I faßt ein Interview mit Nakajima Genjo (1915-2000) zusammen, der bis zu seiner Pensionierung Leiter der an Hakuin orientierten Richtung des Rinzai-Zen war. Nach einer frühen kenshō (Erleuchtung) Erfahrung, trat er im Alter von 21 freiwillig in die kaiserliche Marine ein und diente dort 10 Jahre. Victoria gibt uns eine gekürzte Fassung seiner Erinnerungen, die am Ende betonen, wie dumm (weil schlecht geführt) der Pazifik-Krieg war, und in denen er sich bei seinen Kameraden entschuldigt, die im Kampf gefallen sind - aber, wie Victoria ausführt - nicht bei den Opfern der japanischen Aggression. Nakajima räumt ein, über die Anklagen wegen eines großen Massakers in Nanjing informiert zu sein, bleibt aber fest davon überzeugt, daß so etwas niemals passiert ist. „Es war eben Krieg, und so mag es ein paar Probleme mit den Frauen gegeben haben" (7).

 

Kapitel II beschreibt, wie stark das kaiserliche Militär durch die mönchische Zen-Lebensführung beeinflusst wurde. Selbst dessen Essensbehälter wurden nach dem Vorbild der Mönchs-Schüsseln gestaltet, die aber unpopulär wurden, weil das Aluminium von den Soldaten als zu kalt und metallisch empfunden wurde. Die Bedeutung der modernen Waffen wurde unterbewertet zugunsten seishin kyoiku (geistige Ausbildung), die die Bereitschaft des Soldaten, sich im Angriff zu opfern, einschloß. Dies erwies sich als ein fataler Fehler gegenüber dem mechanischen Charakter des modernen Krieges, vor allem der amerikanische Luftüberlegenheit.

 

Kapitel III und eine Reihe von nachfolgenden Kapiteln betonen die Rolle bestimmter Zen-Meister und ihrer Schüler, die sie bei Attentaten im Inland gespielt haben. Jene taten sich besonders in den frühen 1930er Jahren hervor und trugen zur Entwicklung der kaiser-zentrierten, militärisch dominierten Gesellschaft bei, die Japan am Ende dieses Jahrzehntes war. Zum Beispiel ermordete Oberstleutnant Aizawa Saburō, ein Student der Sōtō-Sekte des Meisters Fukusada Mugai, im Juli 1935 Generalmajor Nagata Tetsuzan. Bei seinem Prozess verteidigte er seine Handlungen als zen-gemäß: „Ich war in einer absoluten Sphäre, in der es weder Zustimmung noch Verneinung gab, weder gut noch böse" (33). Sein Lehrer Mugai verteidigte ihn in der gleichen Weise: „Es besteht kein Zweifel in Bezug auf Aizawas Reinheit des Charakters und aufopfernden Hingabe; angesichts der heutigen Korruption fühlte er sich gezwungen zu tun, was er tat" (34). Aizawa wurde dennoch verurteilt und 1936 hingerichtet.

 

Inoue Nissho (1886-1967), der das „Blutschwur-Corps" anführte, war ein weiterer zen-trainierter Ultra-Nationalist. In einem berüchtigten Vorfall beabsichtigte jene Gruppe 20 Personen zu ermorden, und sie schaffte es, 2 wichtige Figuren zu töten: einen ehemaligen Finanzminister und den Verwaltungs-Direktor des Mitsui zaibatsu. 1933 wurde Inoue während seiner  Gerichtsverhandlung über seine „zen-gemäße" Denkweise befragt: „Es ist zutreffender, dass ich keine systematischen Ideen habe. Ich transzendiere den Verstand und handele vollständig aus Intuition"(215). Seine Aktionen wurden vor Gericht von seinem Tutor, dem bekannten Zen-Meister Yamamoto Gempō, verteidigt, der erklärte: „Angesichts der Ereignisse, die unserer Nation in der letzten Zeit widerfahren sind, gibt es, abgesehen von denen, die egoistisch und böse sind, keine faire und aufrechte Person, die die Beschuldigten für ihr Handeln kritisieren würde"(216). Inoue hatte mehr Glück als Aizawa: er wurde zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt, aber im Jahre 1940 entlassen und Berater des Premierministers.

 

Kapitel IV konzentriert sich auf Ōmori Sōgen (1904-94), ein erfahrener Zen-Meister der Kampfkünste und wohl bekannt sowohl innerhalb als auch außerhalb Japans. Victoria beschreibt ihn als „Dr. Jekyll und Mr. Hyde des Zen." „Zen at War" diskutiert seine enge Verbundenheit mit der Familie Toyama, die für Einschüchterung, Erpressung und Mord verantwortlich ist. Nach dem Krieg etablierte Sōgen Zen-Zentren in den Vereinigten Staaten, wurde Präsident der Hanazono Universität in Kyoto und der einzige Zen-Meister, der es 1991 zu einem eigenen 15-zeiligen Eintrag ins Lexikon der Rechten in Japan brachte - für seine aktive Förderung des Faschismus zu Hause und des Imperialismus im Ausland. Obwohl von einigen als „der größte Zen-Meister der Neuzeit" gelobt, hatte er immer eine unkritische Haltung gegenüber dem Kaiser und blieb auch nach dem Kriege uneinsichtig. Die Art, wie Sōgen sein Verhalten während der Kriegszeit rationalisierte, entlarvt Victorias ausführliche Kritik als eine Kombination aus Lügen und Halbwahrheiten.

 

Kapitel V beschäftigt sich mit den militaristischen und antisemitischen Schriften von Yasutani Haku'un, im Westen gut bekannt als einer der Begründer der Sanbō Kyōdan Schule. Victoria fasst in dessen Buch „Dogen Zenji to Shshōgi" („Meister Dogen und die Abhandlung über Übung und Erleuchtung; 1943"), „ehrfurchtsvoll zum heiligen Unternehmen beizutragen, die acht Ecken der Welt unter ein Dach zu bringen", als Unterstützung des japanischen Imperialismus auf. Wir erfahren die Lehre von Dōgen als von Anfang bis  Ende gekennzeichnet durch seine Betonung der großen Pflicht zur Ehrfurcht vor dem Kaiser. Und was ist mit der buddhistischen Lehre, nicht zu töten? Diejenigen, die den Geist der Mahayana-Grundsätze verstehen, müssen bereit sein zu töten: „natürlich sollte man töten, so viele wie möglich töten. Man sollte hart kämpfen, jeden in der feindlichen Armee töten. Der Grund dafür ist, dass es notwendig ist, um Mitgefühl und kindlichen Gehorsam zur Perfektion zu bringen, das Gute zu unterstützen und das Böse zu bestrafen. Gleichwohl sollte man beim Töten die eigenen Tränen runterschlucken, eingedenk der Wahrheit des Tötens und dennoch Nicht-Tötens"(72).

 

Yasutani ergänzte diese Spitzfindigkeit mit seinem Angriff auf moderne Erziehung als Verfälschung des reinen japanischen Geistes, weil sie „seichte, kosmopolitisch gesinnte Personen" (86) erzeuge. Hätten einige Universitäts-Kurse in Geisteswissenschaften Yasutani zu eigenen, weniger seichten Ansichten gebracht? Trotz des Fehlens von Juden in Japan enthielt sein Buch heftige antisemitische Bemerkungen über „intrigante Juden" und deren „dämonische Ansichten", besonders über die im Judentum verwurzelten Vorstellungen von Freiheit und Demokratie, die als Beispiele für aku byodo (bösartige Gleichmacherei) dienten, die im Widerspruch zu den geordneten sozialen Beziehungen stand zwischen geistlichen Vorgesetzten und Untergebenen. Wie viele andere verstand Yasutani den japanischen Geist als westlichem Liberalismus und Individualismus überlegen, die das Leben bejahten, aber unfähig zur Akzeptanz des Todes waren. Gleichwohl geht Victoria bei der Darstellung dieser Gedanken vielleicht zu weit, wenn er eine „beunruhigende Parallele" zwischen dem Nazi-Holocaust und der Vergewaltigung von Nanking sieht und argumentiert, dass der Abstand vom Dämonisieren des anderen zum Massakrieren sehr gering ist. Wie brutal auch immer die japanische Behandlung Chinas, es war kein Versuch des Völkermords.

 

Kapitel VII diskutiert den offiziellen Kriegsdienst-Kodex, der Soldaten nötigt, niemals zu kapitulieren. Da von dem brillanten Strategen und Zen-Praktiker Imamura Hitoshi geschrieben, kann es uns nicht überraschen zu erfahren, daß der Kodex am stärksten von der Zen-Anschauung über Leben und Tod beeinflusst wurde. „Das, was Leben und Tod durchdringt, ist der erhabene Geist der Selbstaufopferung für das öffentliche Wohl. Leben und Tod transzendierend, eile ernsthaft vorwärts, um deine Pflicht zu erfüllen; geschätzt wird Pflicht, nicht Leben. Man sollte die Erkenntnis als Ideal annehmen, obwohl der Körper zugrunde geht, lebt man weiter im ewigen Leben der Nation in Einheit von Leben und Tod"(118). Sowohl die Rinzai als auch die Sōtō Sekten verbreiteten den Kodex, der auch auf Laien angewendet und genutzt wurde, um fanatischen Widerstand gegen die erwartete alliierte Invasion einzuschärfen. Victoria ist davon entsetzt und kommt zu dem Schluss: „Im Einflößen des selbstmörderischen japanischen Kampfgeistes, besonders ausgedehnt auf die Zivilbevölkerung mit der Kraft des religiösen Glaubens, offenbarten Japans Zen-Führer während des Krieges ihren gründlichen und vollständigen moralischen Bankrott" (144, seine Hervorhebung).

 

Man könnte antworten, daß dies nur das Zen-Verständnis des Militärs repräsentiert, aber er liefert ein Zitat aus Kriegszeiten von D. T. Suzuki, das unangenehm ähnlich ist: „Man kann mit Recht sagen, daß es der Geist des Kriegers ist, der das japanische Volk kennzeichnet. Ich glaube, wenn der Geist des Kriegers in seiner Reinheit von allen Klassen Japans aufgesogen würde - ob Regierungsbeamte, Militärs, Unternehmer oder Intellektuelle - dann würden die meisten der Probleme, die uns derzeit beunruhigen, hinweggefegt wie durch einem Schwertstreich"(119, aus „Ansichten des japanischen Volkes über Leben und Tod"[1942]). Allerdings führte der Schock und das Leid der Niederlage 8 Monate nach der Kapitulation zu einem andersartigen Schwerpunkt in Suzukis Vorträgen für den Kaiser: „Das Ego des Nationalstaats ist eine Form der Anhaftung des Selbst. Überall dort, wo das Selbst existiert, gibt es immer Kampf"(202).

 

Kapitel VIII untersucht die Aufgaben des buddhistischen Militärgeistlichen, der die Hingabe an den Kaiser und die Annahme des eigenen Karma betonte.

 

Kapitel IX übersetzt die Bekenntnisse eines solchen Geistlichen, des Nichiren-Priesters Fukushima Nichi'i (1909-87). Es ist eine grausame Aufzählung, wie die Bewohner Nordchinas behandelt und getötet wurden, ohne offensichtliche Gewissensbisse, trotz - oder wegen? - des Autors leidenschaftlichen Glaubens an das Lotos-Sutra. Leider wirkten sich die Betonung der Geistlichen von Selbstlosigkeit und Karma so aus, daß sie solche Kriegsgräuel förderten: „Wenn mein Leben nicht wichtig war, wurde das Leben des Feindes unweigerlich viel weniger wichtig. Diese Philosophie hat uns dazu gebracht, auf den Feind herabzuschauen und schließlich zu Massenmord und Misshandlung von Gefangenen"(Azuma, 146).

 

Kapitel X, „Buddhismus - Letzte Zuflucht für Kriegsverbrecher", setzt den Schwerpunkt auf die Methode, wie gefangene Führer des Krieges den Buddhismus benutzten, um ihr Verhalten und Schicksal zu rechtfertigen. Ich fand den Versuch in diesem Abschnitt etwas schwach, diese speziellen Militaristen mit dem Buddhismus zu verbinden, als ob deren persönliche Rationalisierungen eine Art Schuld des japanischen Buddhismus darstelle. Victoria fügt eine interessantere Geschichte über Kaiser Hirohito aus der Zeit nach der Kapitulation an, dessen Beratern diskutierten, ob er versuchen sollte, durch den Rückzug in den buddhistischen Priesterstand der Vergeltung zu entkommen - Vorbilder früherer Kaiser! Aber die Alliierten forderten nie seinen Rücktritt oder irgendein Verantworten seiner Handlungen während des Krieges, und am Ende wurde seiner Rolle genauere Prüfung durch die politischen Zielsetzungen des Kalten Krieges erspart.

 

Erfreulicherweise räumt eine Nachschrift ein, dass die Myōshinji-Schule der Rinzai Zen-Sekte im September 2001 in einer Proklamation endlich Verstöße zugab, in der Vergangenheit keine entschlossene Anti-Kriegs-Haltung aufrechterhalten sondern sich stattdessen den Kriegsbestrebungen angeschlossen zu haben. (Eine folgende Erklärung der Schulleiter räumte ein, dass „Zen at War" Katalysator für diese Entwicklung gewesen sei.). Im Frühjahr 2001 entschuldigte sich auch Kubota Jiun des Sanbō Kyōdan für „falsche Worte und Taten" von Yasutani Haku'un während der Kriegszeit. Victoria schließt mit der Hoffnung, daß seine Bücher Katalysator für nachdenkliche Anhänger aller Glaubensrichtungen werden, kritisch auf die Beziehung zwischen ihrem eigenen Glauben und staatlich initiierter Kriegsführung zu achten.

 

Victorias neues Buch als ein Amerikaner Ende 2003 zu lesen und dabei über aktuelle und vergangene Politik der USA im Nahen Osten nachzudenken, muss mich über die vergleichbare Rolle des Christentums im Westen verwundern. Erwarten wir, indem wir die nationalistische Rolle des Zen kritisieren, im japanischen Buddhismus höhere Standards, als wir für uns selbst aufrechterhalten? Festzustellen, dass der Buddhismus von der japanischen Gesellschaft verzerrt wurde, heißt das am Ende nichts anderes, als dass auch der Buddhismus eine Religion ist, die von Menschen praktiziert wird? Eine von Victorias Inschriften zitiert Robert Bellah: „Jede Religion versucht, eine Wahrheit zu verkünden, welche die Welt überwindet, ist dabei aber in sehr weltliche Sehnsüchte verstrickt. Jede Religion versucht, die Welt nach ihrem Bilde umzuformen, aber es ist immer in gewissem Maße das Bild der Welt selbst." Sein Epilog zitiert eine ebenso vorausschauende Feststellung von Reinhold Niebuhr: „Die Nation ist immer mit einer Aura des Heiligen ausgestattet, was ein Grund dafür ist, warum Religionen, die Universalität beanspruchen, so leicht durch Nationalgefühl gefangen und gezähmt werden, wobei Religion und Patriotismus in dem Prozess verschmelzen.... Das beste Mittel zur Harmonisierung des Anspruchs auf Universalität mit dem einzigartigen und eingeschränkten Leben der Nation, wie es in Momenten der Krise deutlich wird, ist es, allgemeine und universell gültige Ziele für die Nation zu fordern"(229).

 

Solch Universalismus wird überall eher gelobt als praktiziert, aber Niebuhr berührt, was für Japan einzigartig ist als eines der großen Akteure auf der heutigen Weltbühne: es gab nie eine alles umfassende Revolution, was unter anderem bedeutet, dass es von ethischem Universalismus nie wirklich ergriffen wurde. Was gut und was schlecht ist, blieb (und bleibt weitgehend) bezogen auf die Perspektive der eigenen Gruppe. Der Import des Buddhismus verallgemeinerte nicht japanische Ethik, im Gegenteil, japanische Kultur neigte dazu, den Buddhismus unterzuordnen und zu „zersplittern". Als Folge davon wurde buddhistische Selbstlosigkeit als komplette Hingabe an Vorgesetzte ausgedrückt, und wie es der Leiter des Instituts für Zen-Studien an der Hanazono Universität formulierte: „Loyalität gegenüber dem eigenen Lehrer und der Tradition ist wichtiger als der Buddha und die Lehre" (91, Zitat Toga Masataka) - etwas, das Buddha selbst nie lehrte. Dies erklärt auch die Betonung so vieler buddhistischer Lehrer der religiösen Überlegenheit Japans und seiner künftigen Rolle, die Welt zu einer spirituellen Renaissance zu führen. Nichiren glaubte, daß „es Japan bestimmt war, die Quelle des wahren Glaubens für die ganze Welt zu werden." Der Rinzai-Meister Ean (1225-77) erklärte, dass „bis zum Ende der letzten Generation dieses UNSER Land alle anderen Länder übertreffen wird." Selbst Hakuin teilte diesen Ethnozentrismus: „Obwohl UNSER Land weitab liegt, ist sein Kaisertum ewig, edel sind seine Menschen. So übertrifft UNSER Land andere bei weitem..... Dieses UNSER Land ist rein und göttlich"(123). Unzählige weitere Beispiele könnten angeführt werden.

 

Das Fehlen einer durchgehend transzendentalen Perspektive macht japanische Kultur aber auch so attraktiv, einschließlich ihrer Religionen: Japaner scheinen in ihrer Welt nicht-dualistisch zu sein, was in ihrer Art sehr attraktiv für entfremdete Westler ist. Doch bedeutet das nicht, dem Problem zu entgehen. Natürlich wollen wir japanisches Zen als einen höheren Standard ansehen als das Christentum, weil viele von uns unsere christlichen oder jüdischen Wurzeln für das gekappt haben, was wir als überlegene Religion sehen wollen. Wir haben gelernt, unsere japanischen Lehrer als überlegene geistige Wesen anzusehen, weshalb wir von den Geschichten schockiert sind, die Victoria erzählt. Buddhistische Erleuchtung beinhaltet eine Weisheit, die Täuschung und Ego überwindet, aber Victoria reibt unsere Nasen in kollektive Wahnvorstellungen und das Gruppen-„Wir", die vom japanischen Buddhismus unterstützt wurden; Leben als erleuchtetes Wesen schließt den Ausdruck des Mitgefühls für alle empfindenden Wesen ein, aber japanischer Buddhismus rationalisierte nationalistische Aggression und das Töten vieler unschuldiger Menschen. Bedeutet dies nach allem, dass unsere japanischen geistigen Vorstellungen nicht wirklich erleuchtet waren? Das ist ein schmerzhafter Gedanke, und so sind wir versucht, den Boten zu töten - und Victorias manchmal emotionale Prosa macht ihn zu einem leichten Ziel.

 

Es ist möglich, dass Victorias Bücher einige westliche Zen-Schüler dazu veranlassten oder dazu bringen werden, ihre Praxis aufzugeben, aber es gibt eine weitere Alternative. Er fordert uns auf, in unserer Zuneigung zur Tradition zu reifen, vor allem in unserem Verständnis, was es bedeutet, erleuchtet zu sein. Die anti-intellektuelle Betonung des japanischen Zen - einer Intuition, die über Gut und Böse „hinausgeht" - bewirkt, die herrschende Ideologie aufzuwerten, doch ist dieser Schwerpunkt mehr japanisch als buddhistisch? Es ist einfacher, den Unterschied von außen zu sehen, obwohl amerikanischer „down-to-earth"-Pragmatismus eine ähnliche antiintellektuelle Voreingenommenheit gegenüber Abstraktion zeigt. Vielleicht schließt ein echtes buddhistisches Erwachen ein, Konzepte nicht zu beseitigen, sondern sie zu befreien? Gedanken kommen auch aus dem Bewusstsein. Um aufgeklärte Weisheit am strahlendsten in unseren verdunkelten Zeiten auszudrücken, benötigen unsere Meditationspraktiken Vervollständigung durch tieferes Wissen und Verständnis der Vergangenheit sowie der gegenwärtigen Weltlage. In Erinnerung an die traurige Geschichte, die Victorias Bücher offenbaren, entsteht so die Möglichkeit eines modernen Buddhismus, der diese Fehler in Zukunft vermeiden könnte.

 


Brian Daizen A. Victoria - Zen, Nationalismus und Krieg, eine unheimliche Allianz - Berlin 1999

 

Brian Victorias zeigt in seinem Buch wie eng Zen und Bushido mit dem japanischen Faschismus und dessen Kriegsideologie verwoben war. Victoria beginnt sein Buch mit einem Zitat Adolf Hitlers: "Wir haben eben überhaupt das Unglück, eine falsche Religion zu besitzen." - soll der Diktator gesagt haben. - "Warum haben wir nicht die der Japaner, die das Opfer für das Vaterland als das Höchste ansieht." Diese Aussage beschwört eine historisch brisante Tatsache: Nicht nur der Shintoismus sondern auch der japanische Buddhismus waren gekennzeichnet durch eine militaristische und auf einem krassen Feindbilddenken aufbauende Weltanschauung. Mit ganz wenigen Ausnahmen des buddhistischen Widerstandes (die Victoria hervorhebt) haben sich die japanischen Buddhisten zum faschistischen System ihres Staates bekannt und zwar von der Frühphase bis zum Ende des 2. Weltkrieges. Sogar eine im Westen so unangefochtene Autorität wie D. T. Suzuki rechnet dazu. Kaum eine buddhistische Persönlichkeit (der Soto-Schule, der Rinzai-Schule, der Shin-Schule, der Nichiren-Schule), welche nicht ihre religiösen Vorstellungen dem herrschenden System mit Begeisterung angeglichen hätte. "Krieger Zen" - "Die Einheit von Zen und Schwert" - "Buddhismus des kaiserlichen Weges" - "Reichs Zen" - "Soldaten Zen" - "Samurai-Zen" - waren damals die Schlagworte der damaligen Zeit. Nach dem Kriege wird die martialische Haltung der buddhistischen Schulen nur zögernd aufgearbeitet. Sie überlebt teilweise und geht in die in die Ideologie des japanischen "Unternehmens Zen" ein.

 

Aber Victoria sucht tiefer nach den Wurzeln des "Kriegs Zen" und findet schon im ursprünglichen Buddhismus kriegerische Elemente. Er verweist auf die ambivalente Rolle des Kaisers Ashoka, der keineswegs - wie vielfach angenommen - nur ein erleuchteter Friedensfürst war und er zitiert mehrere kriegerische Passagen aus verschiedenen Sutren (Suvarnaprabhasa-Sutra; Upayakaushalya-Sutra; Mahaparinirvana-Sutra) Victoria' s Buch zeigt wie leicht der Buddhismus für eine Kriegsideologie benutzt werden kann und benutzt wurde. Sein Werk ist deswegen ein wichtiges Aufklärungsbuch, das die Buddhisten in die historische Verantwortung nimmt.

 

Ausgehend von einer konsequenten Kritik der Geschichte sieht Victoria die bewusste Rückkehr zur ursprünglich pazifistischen Lehre des Buddha (die strikte Einhaltung des Tötungsverbotes), die klare Trennung von Sangha und Staat und die soziale Ausrichtung des "engagierten Buddhismus" als Alternative zu einer undifferenzierten Übernahme von buddhistischen Ideen.

 

Was uns bei seiner Analyse fehlt, ist die Auseinandersetzung mit der Geschlechterthematik. Es fällt auf, dass in dem ganzen Werk keine einzige Frauengestalt thematisiert wird. Das mag der historischen Wirklichkeit durchaus entsprechen, es lässt jedoch die Frage aufkommen, ob nicht gerade das Ausschalten allen Weiblichen die Ursache für die Kriegermentalität des Buddhismus darstellt und ob eine Reform dieser Religion gar nicht möglich ist, wenn sie sich nicht primär der Geschlechterfrage stellt.

 

© Victor & Victoria Trimondi

 


Kurzbiografie von Brian Victoria

Brian Daizen Victoria ist aus Omaha, Nebraska gebürtig und 1961er Absolvent der Wesleyan Universität in Lincoln, Nebraska. Er ist M.A. in Buddhismus der zu der Soto-Zen-Sekte gehörenden Komazawa Universität in Tokio und Doktor der Philosophie der Abteilung für „Religiöse Studien" an der Temple University. Neben zahlreichen wissenschaftlichen Artikeln und Buchkapiteln gehören zu Victorias wichtigsten Schriften eine 1. und 2. erweiterte Auflage des „Zen at War" (Weatherhill, 1997, Rowman & Littlefield, 2006). Dieses Buch ist ins Japanische, Deutsche, Polnische, Französische und Italienische übersetzt worden. Ferner hat Victoria „Zen War Stories" (Routledge-Curzon, 2003) geschrieben, ein autobiografisches Werk mit dem japanischen Titel „Gaijin de ari, Zen bozu de ari" (Als Ausländer, als Zen-Priester), 1971 von San-ichi Shobo veröffentlicht, „Zen Master Dōgen" in Zusammenarbeit mit Prof. Yokoi Yūhō der Aichi-gakuin Universität (Weatherhill, 1976) und eine Übersetzung des „The Zen Life" von Sato Koji (Weatherhill, 1972). Victoria ist derzeit Professor für Japanologie und Direktor des Programms „Japan und seine buddhistische Tradition", gesponsert von „Antioch Education Abroad" der Antioch Universität in Yellow Springs, Ohio.

© Victor & Victoria Trimondi