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George W. Bush und die Apokalypse

Der Wahn war größer, als man bisher wusste

 

Neue Dokumente zeigen, wie fanatisch George W. Bush und sein Verteidigungsminister Ronald Rumsfeld davon überzeugt waren, mit dem Irak-Krieg apokalyptische Prophezeiungen aus der Bibel zu erfüllen.

 

Nach einem Telefonanruf seines amerikanischen Amtskollegen im Jahre 2003, hatte der französischen Präsident Jacques Chirac verstanden, was George W. Bush trieb, den Krieg gegen den Irak zu entfachen. Bush forderte Chirac auf, sich der Koalition gegen Saddam Hussein anzuschließen, „weil Gog und Magog im Vorderen Orient am Werk sind“ und weil „die biblischen Prophezeiungen dabei sind, sich zu erfüllen.“ (L’Express 26. Feb. 2009, 28) Chirac war höchst erstaunt und reagierte nicht. Er konnte nicht glauben, dass sich der mächtigste Mann der Welt auf „Gog und Magog“ berief, um in den Irak einzumarschieren. Einen Tag später wiederholte Bush die beiden geheimnisvollen Worte auf einer Pressekonferenz, wo er über die „Achse des Bösen“ sprach. Der Élisée Palast sah die Sache als höchste Dringlichkeitsstufe und suchte eine Spezialisten. Angefragt wurde bei dem Schweizer Theologie-Professor Thomas Römer von der Universität Lausanne. Dieser fand die Quelle im Buch Ezechiel. Dort ist von einem Gog aus dem Lande Magog die Rede, der über die Israeliten herfällt. Die einschlägigen Sätze lauten: „So wird denn an dem selben Tage, an dem Gog  in das Land Israel einrückt, die Zornesglut in mir auflodern; und in meinem Zorneseifer, im Feuer meines Ingrimms spreche ich es aus: Wahrlich an jenem Tage wird ein großes Erdbeben im Lande Israel sein. [….] Die Berge sollen einstürzen und die Felsen sollen umfallen und alle Mauern zu Boden stürzen. Dann werde ich in meinem ganzen Bergland das Schwert gegen ihn aufbieten, so dass das Schwert eines jeden sich gegen den anderen kehrt. Und ich will das Strafgericht an ihm vollziehen durch Pest und Blutvergießen, durch Wolkenbrüche und Hagelsteine; Feuer und Schwefel will ich regnen lassen auf ihn und auf seine Kriegsscharen und auf die vielen Völker, die bei ihm sind.“ (Ezechiel 38:18-22) In der apokalyptischen Literatur vieler einflussreicher evangelikaler Kirchen in den USA ist diese Ezechiel-Prophetie eine Königsstelle, welche die hereinbrechende Apokalypse vorhersagt.

 

Anbetracht der gefährlichen Weltenlage, war das für Chirac nicht zum Lachen. Im Gegenteil: „Dieses Gleichnis von einer angekündigten Apokalypse, um eine Prophezeiung zu realisieren, beunruhigte und quälte ihn. Er machte sich auch über die mangelnde religiöse Kultur Gedanken in einer Zeit, in der die religiösen Grundargumente viel entscheidender bei den politischen und militärischen Entscheidungen sind, als man es wahrhaben möchte.“ – schreibt der bekannte Publizist Jean Claude Maurice in seinem jüngsten Buch. („Si vous le répétez, je démentirais - Chirac, Sarkozy, Villepin » – 2009 bei Plon) Bush war auch der Meinung, dass die islamistischen  Terroristen zuerst einen Sieg nach dem anderen erringen würden. „Sie werden die Region in Feuer und Blut stürzen.“ Und es werde einen „Pandora-Krieg“ geben. Mit einer seiner Prophezeiungen, die der Präsident zu Beginn der Krieges machte, sollte er tatsächlich Recht behalten: „Sunniten und Schiiten werden sich zerreißen. Nach der Invasion wird ein Bürgerkrieg mehr Zivilopfer fordern als die Kämpfe des Blitzkrieges. Al Qaida wird im Irak ein Manövrierfeld finden, das ihr bisher versagt war.“ (L’Express 26. Feb. 2009, 28)

Bushs Verteidigungsminister Rumsfeld war nicht weniger Bibel fixiert wie sein Präsident, wie Spiegel Online am 19. Mai 2009 berichtete. Er pflegte Bush seine täglichen Lageberichte zum Irak-Krieg in einer Mappe zu präsentieren, die er mit heroischen Photos und Bibelzitaten aufbereitete.

Am 17. März 2003, drei Tage vor Kriegsbeginn, zeigt der Bericht auf dem Titelblatt zwei US-Soldaten, am Boden hockend, die Köpfe wie zum Gebet gesenkt. Darüber steht ein Zitat aus dem Buch Jesaja: „Wen soll ich senden? Wer will unser Bote sein?“ (Jesaja 6:8.) Das sind die Sätze, die Gott zu Jesaja spricht und dieser antwortet ihm, er sei bereit, von nun an als Prophet Israels zu wirken. Der US-Präsident, nach eigenen Angaben von Gott berufen, wird das als Bestätigung seines göttlichen Auftrages gelesen haben. Was weiter nach dem knappen Zitat geschieht, erwähnt Rumsfeld nicht. Gott nimmt die Bereitschaft des Jesaja entgegen und beauftragt ihn, durch Strafpredigen die ungehorsamen Israeliten (und nicht deren Feinde, die Babylonier und Assyrer) in Furcht und Schrecken zu versetzen. Er prophezeit seinem eigenen Volk grauenhafte Untergangsszenarien. „Geh und sag diesem Volk. Hören sollt ihr, aber nicht verstehen. Sehen sollt ihr, aber nicht erkennen. Verhärte das Herz dieses Volkes, verstopf ihm die Ohren.“ […] Solange „bis die Städte verödet sind und unbewohnt, die Häuser menschenleer, bis das Ackerland zur Wüste geworden ist. dann ist das Land leer und verlassen. Bleibt nur noch ein Zehntel übrig, auch sie werden schließlich vernichtet.“ (Jesaja 6:10-13) Es ist kaum anzunehmen, dass Bush und Rumsfeld den Sende- und Botenauftrag Gottes so verstanden haben, dass er sich gegen sein eigenes auserwähltes Volk, in diesem Fall die Vereinigten Staaten von Amerika (für viele amerikanische Christen God’s own Country), richtet, sondern sie dürften darin sicher eine Prophezeiung gesehen haben, welche die Vernichtung der Iraker ankündigt.  

Am Stichtag der Invasion, dem 20. März 2003, macht Rumfeld einen umgekehrten Sinnfehler. Wiederum garniert er seine Berichtmappe, die ein Foto von drei US-Soldaten zeigt, mit einem Jesaja-Spruch: „Ihre Pfeile sind scharf und alle ihre Bogen gespannt. Ihrer Rosse Hufe sind wie Felsen geachtet und ihre Wagenräder wie ein Sturmwind.“ (Jesaja 5:28) Diesmal sind aber bei Jesaja die Assyrer gemeint, deren brutale und gnadenlose Invasion Israels von Gott angekündigt wird. Doch dürfte Rumsfeld diesmal kaum die Soldaten Saddam Husseins gemeint haben, die in der in der Endzeitliteratur immer wieder mit den Assyrern und Babyloniern verglichen wurden, sondern die eigene Armee. Auch die folgenden Sätze aus dem Prophetenbuch, die ebenfalls auf die Assyrer ansprechen, dürfte er auf die US Army bezogen haben: „Es ist ein Lärm wie das Brüllen des Löwen, wie wenn ein Junglöwe brüllt. Er knurrt und packt seine Beute, er schleppt sie fort, und niemand reißt sie ihm weg. Und es dröhnt über ihnen an jenem Tag wie das Brausen des Meeres. Wohin man blickt auf der Erde: nur Finsternis voller Angst; das Licht ist durch Wolken verdunkelt.“ (Jesaja 5:29,30)

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Ebenfalls das Neue Testament diente dazu, den Krieg zu legitimieren. Rumsfeld zitiert den Brief des Paulus an die Epheser: „Um deswillen ergreifet den Harnisch Gottes, auf dass ihr an dem bösen Tage Widerstand tun und alles wohl ausrichten und das Feld behalten möget.“ Die Sprüche Salomons begleiten die Soldaten auf ihrem Vormarsch nach Bagdad: „Befiehl dem HERRN deine Werke, so werden deine Anschläge fortgehen.

Der erste Brief des Petrus wird zum Spottgedicht auf Saddam Hussein: „Denn das ist der Wille Gottes, dass ihr mit Wohltun verstopft die Unwissenheit der törichten Menschen.“ Und als US-Truppem durch die „Schwerter von Kadesia“, den berühmten Triumphbogen, in Bagdad einziehen, greift Rumsfeld erneut auf den Propheten Jesaja zurück: „Tut die Tore auf, dass herein gehe das gerechte Volk, das den Glauben bewahrt!“ Am 10. April 2003, dem Tag nach dem Umsturz der Saddam-Statue, steht ein Satz aus dem Buch der Psalmen auf dem Cover der Berichtmappe mit dem Bild eines irakischen Kindes, das einen GI küsst. „Einem Könige hilft nicht seine große Macht“, steht darüber, „ein Riese wird nicht errettet durch seine große Kraft.“ (Psalmen 33)

Zwei Tage nach dem Jessica Lynch-Drama munterte Rumsfeld seinen Präsidenten in einem Memo mit folgendem Bibelspruch auf: „Siehe, ich habe dir geboten, dass du getrost und freudig seist. Lass dir nicht grauen und entsetze dich nicht; denn der HERR, dein Gott, ist mit dir in allem, was du tun wirst.“ Dazu der Spiegel: „Das Zitat mag einem bekannt vorkommen. Es entstammt der Bibel: Altes Testament, Josua Kapitel 1, Vers 9. Rumsfeld ließ die Quelle sogar hinzufügen. Ein trefflicher Auszug: In der Heiligen Schrift galten diese Worte Josua, dem Erben Mose, der die Israeliten beim Marsch nach Kanaan anführte. Rumsfelds neuzeitliche Analogie ist augenfällig: Auch Bush führte sein Volk nun ins gelobte Land, auf Geheiß Gottes - der Krieg als Kreuzzug. Bush hatte das Unterfangen ja persönlich so genannt, drei Tage nach den Anschlägen des 11. September 2001: ‚Dieser Kreuzzug, dieser Krieg gegen den Terror.’“ (Spiegel Online 19. Mai 2009)

Dass Rumsfeld bevorzugt mit Jesaja-Zitaten die Kriegsstimmung seines Präsidenten anheizte, lag wohl auch an der apokalyptischen Ausrichtung dieses Buches. In dem Kapitel 24 ist die so genannte „Jesaja-Apokalypse“ aufgeschrieben mit allem, was dazu gehört: Weltgericht, Kollektivschuld, Vernichtung der Erde, Massaker, ewige Verdammnis der Feinde, Siegesfeiern. Hier einige Kosproben: „Verheert wird die Erde, verheert, geplündert wird sie, geplündert. Ja, der Herr hat es gesagt.“ (24:3) Man denkt unwillkürlich an die Plünderungen in den Museen Bagdads. Weiter heißt es: „Die öde Stadt liegt in Trümmern, alle Häuser sind für den Zutritt verschlossen. Auf den Gassen jammern die Leute.“ (24:10,11) – „Die Erde birst und zerbirst, die Erde bricht und zerbricht, die Erde wankt und schwankt. Wie ein Betrunkener taumelt die Erde, sie schwankt wie eine wacklige Hütte.“ (24:19:20) Der folgende Spruch ließe sich gut als Legitimation für Praktiken in Guantanamo verwenden: „Sie werden zusammengetrieben und in eine Grube gesperrt; sie werden ins Gefängnis geworfen und nach einer langen Zeit wird er sie strafen.“ (24:22) Wenn wir unter Betracht ziehen, wie grausam der Gott des Alten Testaments in vielen Passagen mit seinen Feinden umgeht, wundert es einen keineswegs, dass sich ein „flammender Christ“ wie Rumsfeld dazu berechtigt fühlte, Folterungen an Gefangenen zu legitimieren.

Der apokalyptische Spuk, den die Welt auf dem Höhepunkt der Bush-Ära erleben musste, hinterlässt auch heute noch seine Spuren in der popular culture. Eine davon ist die kitschige Apokalypsen-Verfilmung „Knowing“ des Regisseurs Alex Proyas mit Nicholas Cage in der Hauptrolle, die im Frühjahr (2009) in den Kinos startete. Cage spielt einen zu Beginn skeptischen Astro-Physiker, der gegen Ende erkennen muss, dass Gott erbarmungslos die Welt in „Shock-and-Aweuntergehen lässt. Vier Golem-artige Todesengel mit schaurigen Flüsterstimmen und aufgestylt in Matrix-Mänteln holen am unausweichlichen Ende noch ein Mädchen und einen Jungen ab, um sie auf einen anderen Planeten zu versetzen, damit beide dort nach ihrer Geschlechtsreife eine neue Menschheit zeugen. Um sie nicht allzu zu erschrecken, dürfen die Kinder einen weißen Kuschelhasen in ihre neue Welt mitnehmen. Wer die Bibel und einige ihrer evangelikalen Deutungen kennt, weiß, dass sich der Regisseur von der Markeba-Vision des Ezechiel und den Rupture-Prophezeiungen der Dispensationalisten, einer einflussreichen evangelikalen Sekte in den USA, hat inspirieren lassen. Auf die Ezechiel Stelle wird direkt durch das Vorzeigen eines alten Stichs Bezug genommen. Dort erscheint Jahwe als Feuergott auf einem Thronwagen. Ein Sturmwind kam von Norden, eine große Wolke, umgeben von einem hellen Schein. Aus dem Feuer strahlte wie glänzendes Gold.“ - heißt es in der Vision und dann beschreibt der Prophet die vier Cherubine, die den Thron Gottes tragen: „Zwischen den Lebewesen war etwas zu sehen wie glühende Kohlen, etwas wie Fackeln, die zwischen den Lebewesen hin- und herzuckten. Das Feuer gab einen hellen Schein und aus dem Feuer zuckten Blitze.“ (Ezechiel 1)

 

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Im Film verwandeln sich die die vier flüsternden Todesengel am Ende in gläserne durchsichtige Riesen, in deren Körper es wie Energieblitze „hin- und herzuckt“. Der Thronwagen ist zu einem aus Sphärenkugeln bestehenden Raumschiff mutiert. Mit diesem Gefährt rauben die zuckenden Cherubine die beiden Kinder. Ähnliches wird in den Prophezeiungen der Dispensationalisten vorausgesagt. Am Ende der Zeiten „raubt“ Gott die Unschuldigen und entführt sie in den Himmel (deswegen „rupture“), bevor er mit seinem eigentlichen Zerstörungswerk beginnt. „Knowing“ ist ein neo-konservativer, missionarischer, kitschiger Endzeitfilm, den man nur dann ansehen sollte, wenn man sich einen Einblick in das kaputte, religiöse Bewusstsein vieler Amerikaner während der Bush-Ära verschaffen will.

 

Man mag zahlreiche psychologische, soziale, historische und politische Ursachen für den religiösen Apokalypsen-Wahn ausfindig machen, ohne die Heiligen Texte der Weltreligionen gäbe es ihn nicht. Sie sind eine conditio sine qua non für das Endzeitfieber. Es ist zwar feststellbar, dass apokalyptische Obsessionen, soweit sie sich politisch äußern, keine allzu lange Lebensdauer haben. Das Endzeit-Adrenalin, das in der Erwartung des kommenden, blutigen Messias ausgeschüttet wird, hält allenfalls ein paar Jahre, oft nur Monate an. Dann kehrt meist Nüchternheit ein, so auch in den letzten Monaten des Bush-Regimes. Aber die apokalyptischen Texte sind damit nicht aus der Welt. Sie scheinen nur so darauf zu warten, dass sich neue Propheten-Politiker und Militär-Visionäre auf sie stürzen, um mit ihnen ihre aggressiven Pläne zu rechtfertigen und durchzusetzen. Da die apokalyptischen Götter nicht nur mit Blitzen und Bomben strafen, sondern auch mit Hungerkatastrophen und mit Seuchen, ja alle nur denkbaren Zerstörungsphantasien ausleben, werden zu Beginn der Obama Ära die Endzeitängste primär mit der Wirtschaftskrise und der Schweinegrippe in Zusammenhang gebracht. Zudem ist das Internet voll mit „schlauen“ Berichten, die Barack Obama als den Anti-Christen „entlarven“.

 

Die Auseinandersetzung mit den Endzeittexten der Religionen ist also weiterhin aktuell. Zeiten des relativen Friedens sollten dazu genutzt werden, dass sich darüber informieren, welch zerstörerisches Potential in den apokalyptischen Schriften lauert. Dann käme es nicht zu solchen Aussagen wie die des Spiegel-Reporters, der naiv und schulmeisterlich zugleich die Bibel-Festigkeit von Ronald Rumsfeld in Frage stellt, weil: „Die eigentliche Botschaft des Propheten Jesaja war Friede und Gerechtigkeit.“ (Spiegel Online 19. Mai 2009) Die eigentliche Botschaft von Bush und Rumsfeld war auch „Friede und Gerechtigkeit“. Das lässt sich durch Tausende von Zitaten belegen. Aber genau wie der Apokalyptiker Jesaja, glaubten die beiden US-Amerikaner, das Frieden und Gerechtigkeit erst durch Schrecken und vergossnes Blut zu erreichen seien: „Denn der Herr verlässt den Ort, wo er ist, um die Erdenbewohner für ihre Schuld zu bestrafen. Dann deckt die Erde das Blut, das sie trank, wieder auf und verbirgt die Ermordeten nicht mehr.  - heißt es bei Jesaja (26:23)

 

Victor und Victoria Trimondi

 

© Victor & Victoria Trimondi