Debatte (04)
Die Nazi-Tibet-Connection
Ein Vortrag von Victor & Victoria
Trimondi
Der SS-Film
„Geheimnis-Tibet“
Der Naturwissenschaftler Ernst
Schäfer, Sohn eines einflussreichen Hamburger Industriellen, hatte in den
30er Jahren des vorigen Jahrhunderts
schon an zwei Tibetexpeditionen unter der amerikanischen Leitung von
Brook-Dolan teilgenommen. 1936 erregte er die Aufmerksamkeit Heinrich Himmlers, der ihn sogleich zum
"SS-Untersturmführer im Persönlichen Stab" ernannte. 1938 wurde
die "SS-Expedition Schäfer" ins Leben gerufen. Im SS-Ahnenerbe, in dem sich die
Intellektuellen und Akademiker des Schwarzen Ordens sammelten, diskutierte
man über die Existenz einer verschütteten rassistischen, indo-arischen
Kriegerreligion, aus denen sich unter anderem östliche „Weisheitslehren“,
wie zum Beispiel der Buddhismus, entwickelt haben sollten. Diese
„Urreligion“ nachzuweisen und zu rekonstruieren war ein primäres Anliegen
Himmlers und seines Forscherstabes, zu dem auch bedeutende Orientalisten
zählten. So verband er mit der SS-Tibetexpedition nicht nur
naturwissenschaftliche und militärpolitische Zielsetzungen, sondern auch
religiöse und okkulte. Seine Nazi-Forscher gingen mit den folgenden
Aufgaben in den Himalaja:
- Um nachzuweisen, dass
dort in „Urzeiten“ eine arisch weiße Rasse geherrscht habe. In dieser
Absicht wurden archäologische Recherchen und sogenannte
„rassenkundliche“ Vermessungen an Einwohnern des Landes durchgeführt
- Um in den tibetischen
Klöstern nach Schriften zu forschen, in denen das Wissen dieser indo-arischen
Urreligion verschlüsselt sei
- Um meteorologische,
zoologische und geologische Forschungen durchzuführen
- Um militärstrategische
Erkundigungen, insbesondere über die Einfluss Englands in dieser
Region einzuziehen
Im August 1939 kehrte die
"SS-Expedition Schäfer" nach Deutschland zurück und wurde mit
großem Pomp von Himmler auf dem Münchner Flughafen empfangen. Für seine
außerordentlichen Verdienste erhielt der Tibetforscher den SS-Totenkopfring
und den SS-Ehrendegen als Auszeichnungen. Im Frühjahr 1942, als die
deutsche Armee schon tief in den Osten eingedrungen war, befahl der Reichsführer-SS, die
"Tibet- und gesamte Asienforschung" bevorzugt zu fördern. Diese
galt von nun an als "kriegswichtige Zweckforschung" und stand
unter dem Überbegriff "Kriegseinsatz der Wissenschaften".
Schäfer baute in diesen Jahren
mit bemerkenswertem Erfolg das Sven
Hedin Institut für Innerasienforschung als eine Unterabteilung des
SS-Ahnenerbes auf. Die eigentliche Eröffnung des Instituts fand am Samstag
den 16. Januar 1943 in der Münchner Ludwig Maximilian Universität statt.
Vormittags wurde von deren Rektor Walther Wüst die Ehrendoktorwürde der
Naturwissenschaftlichen Fakultät an den schwedischen Asienforscher Sven
Hedin verliehen. Nachmittags zeigte
man die Uraufführung von Schäfers Film Geheimnis Tibet im
Ufa-Palast, Sonnenstrasse 8. Sven Hedin war völlig hingerissen. „Großartig, wunderbar, was wir hier gesehen haben!“
- rief er aus und schüttelte dem jungen SS-Untersturmführer Ernst Schäfer
immer wieder die Hand: „Sie sind der Mann, der
meine Forschungen fortsetzen sollte und muss!“ – sagte er zu
ihm. Schäfer machte aus dem Sven Hedin Institut die größte Abteilung
innerhalb des SS-Ahnenerbes.
Die Ost-Erfolge der deutschen
Armee und die Bündnisachse Berlin-Tokio führten zu einem allgemeinen
Interesse an Asien. So waren die deutschen Medien voll mit Berichten
über Japan, China, Indien, die
Mongolei und Tibet und der Film Geheimnis Tibet eignete sich
ausgezeichnet für die Propagandazwecke. Folgende Absichten wurden damit
verfolgt:
1.
Eine Aufheizung der allgemeinen
Kriegsbegeisterung
2.
Die Verherrlichung deutscher Elite-Krieger
im asiatischen Raum
3.
Ein Selbstporträts der SS als Forschungs-Institution, die es
versteht, Wissenschaft und Abenteuer miteinander zu verbinden
4.
Die Präsentation der Tibeter als mögliche
Bündnispartner gegen England, insbesondere gegen Indien als englische
Kolonie
5.
Eine Dokumentation der indo-arische
Rassenforschung, welche die Existenz einer verschütteten weißen Hochkultur
im Himalaja nachweisen sollte
6.
Ein Interesse an den magischen Ritualkulten
des Lamaismus
Die Version des Films Geheimnis
Tibet, die uns vorlag, beginnt mit den kriegerischen und aggressiven
Aspekten der tibetischen Kultur. Diese nimmt die große Öffentlichkeit heute
kaum wahr, denn das „Alte Tibet“ wird im Westen fälschlicherweise als ein
friedliebender Mönchsstaat dargestellt, in dem sich die Mehrzahl der
Bevölkerung geistigen Übungen hingab. Schon zu Anfang des Films wird der
Zuschauer durch den "Kriegstanz" des blutrünstigen, tibetischen
Schutzgottes Mahakala, des furchtbaren Herrn des Todes und des Schreckens,
in die rechte, aufgepuschte
Kampfstimmung versetzt. Im Drehbuch ist folgender Satz zu lesen:
„Dem Mahakala huldigen die besten der adeligen Krieger. Ihrem Kriegsgott
beweisen sie die höchste Kraft, Härte und Zucht.“
Auch in der Sequenz "Taschilhünpo und Schigatse",
in der Schäfer die tibetische Armee vorstellt, erhalten wir Einblick in den
Militarismus des Dalai Lama Staates: „So wird die Kriegsflagge zum Symbol
der Zentralgewalt.“ – heißt es vom Entschluss des XIII. Dalai Lama, ein
ständiges Heer zu schaffen.
Ebenfalls martialisch geht es bei der Sequenz "Das
Neujahrsfest" zu: „Das ist das alte heldische Tibet.“ – ruft ein
Sprecher begeistert aus – „Inmitten des Kirchenfestes hat es sich
wiedergefunden, mannhaft und zäh, fern jeder klösterlichen
Verweichlichung.“ Alles endet mit
einer Militärparade, welche die Besucher an die Heere des Dschinghis Khan
erinnern soll: „Scharfe Waffen! – meldet der erste. – Gute Sättel! – meldet
der Zweite. – Schnelle Pferde! – der Dritte – Tapfere Krieger! – So reiten
sie wieder dahin, woher sie gekommen – hinaus auf die Steppen und Öden.“
Im sogenannten
"Totenkomplex" des Films werden morbide Bilder der
Leichenzerstückelung und Verzehrung durch Geier, im Drehbuch als
"fliegende Särge" bezeichnet, gezeigt. Die SS-Männer waren an
solchen makabren Szenen aus der tibetischen Kultur besonders interessiert,
wie wir in unserer Analyse „Hitler-Buddha-Krishna“ nachgewiesen haben. Ebenso
faszinierte sie die magische Seite des Lamaismus. Sehr beeindruckend sind
die Filmsequenzen vom "Netschung-Lama", dem tibetischen
Staatsorakel, ein Medium, das einen mongolischen Kriegsgott mit dem Namen
Pehar vermittelt und das auch heute noch die politischen Entscheidungen des
XIV. Dalai Lama entscheidend mitbestimmt. „Ein
lebender Dämon voll ungeheurer Macht.“ – schreibt Schäfer zu
dieser Szene – „In ihm verkörpert sich die alte
Gottheit Tibets, die vor den Lamas war. Er trägt die Riesenmütze der alten
Zauberpriester.“ Das Bild dieses Zauberlamas aus der
Rotmützensekte schmückte denn auch die Einladungskarte für die Filmpremiere
von Geheimnis Tibet. Die rassistische Ausrichtung des
Propagandafilms wird durch Begers Schädelmessungen und –abformungen ausführlich
dokumentiert.

Die Einladungskarte zur Filmpremiere von
Geheimnis
Tibet diente eine Photographie des berühmten
Dolch-
Meisters (Phurba Master) der tibetischen
Nyingma
Tradition, Ling-tsang Gyalpo, als
Vorlage. Er galt als
eine Inkarnation des Kriegshalbgottes
Gesar von Ling.

Obgleich er ein anderes Land
und eine andere Kultur darstellt, ist Geheimnis Tibet von demselben
Geist durchdrungen, der damals das nazistischen Deutschland in Stimmung
versetzte: Beschwörung des Krieges und Leichenfelder. Himmler, der den
Tibetfilm gerne erst nach einem gewonnen Krieg gezeigt hätte, zögert bis
1942, ihn für die Öffentlichkeit freizugeben. Dann aber sah er darin ein
machtvolles Mittel, die Kriegsbegeisterung der Deutschen zu steigern und
anzuheizen. "Richtlinien für die Propaganda" begleiteten die
Aufführungen des Kunstwerkes, das die drei höchsten Auszeichnungen erhielt,
die der NS-Staat für Filme zu vergeben hatte: „staatspolitisch
wertvoll, künstlerisch wertvoll und kulturell wertvoll".
Die Premieren fanden in den „einzelnen
Gauhauptstädten [....] in engster Verbindung mit den SS-Dienststellen“
statt. Schäfer selber war anwesend in Berlin, Hamburg, Dresden, Halle,
Weimar, Frankfurt a. M., Düsseldorf, Köln, Heidelberg, Strassburg,
Stuttgart, Augsburg Salzburg, Linz, Wien, Klagenfurt, Innsbruck.
In mehr als 400
Publikationsorganen wurde der Film durch Artikel, die nach dem damaligen
propagandistischen Medienverständnis
fast alle vorher verfasst und dann an die Presseorgane verteilt worden
waren, besprochen. Die meisten der Artikelüberschriften trugen einen
enigmatischen Unterton. Zum Beispiel: „Wir
reiten in die verbotene Stadt des Dalai Lama“ ~ „Im Schatten der
Götterburg“ ~ „Geheimnis Tibet
entschleiert“ ~ „Mit der Kamera in der Burg der Götter“ ~ „Laaloo –
die Götter wollen es“ ~ „Die Burg eines Gottkönigs“ ~ „Der Gottkönig empfängt uns“ „Funkelnder Kriegstanz der Götter“ ~ „Im
Banne der Dämonen“ ~ „Blick ins
Unbekannte“. Mitten im Zweiten Krieg fiel Deutschland in einen
"Tibetrausch". Erst wieder Ende der 90er Jahren gewinnen zwei
Filme über den XIV. Dalai Lama (Kundun und Sieben Jahre Tibet)
ein ähnlich breites Interesse.
Der Film Geheimnis Tibet
war mehr als eine Kulturdokumentation, es sollte ein Epos für die
"ganzen Kerle" sein, die in Himmlers "Schwarzen Orden"
ihren Dienst machten: „Aus dem Pioniergeist und
dem Tatendrang der jungen Ordensgemeinschaft der SS heraus war diese
Expedition geplant worden und von einer Handvoll von Männern mit wenig
Aufwand und nur mit den notwendigsten Mitteln in die Wirklichkeit umgesetzt
worden.“ – schrieb die
Zeitschrift Der Freiheitskampf.
Schäfer und seine Forscherkollegen wurden als "Typen"
dargestellt, an denen sich jeder "normale" SS-Mann und Hitlerjunge
orientieren konnte: Abenteuerlustig, draufgängerisch, zynisch, nekrophil,
fanatisch, rassistisch, überheblich, extrem ehrgeizig, diszipliniert und
unterwürfig. Dass sie diese Eigenschaften mit wissenschaftlichen
Qualifikationen verknüpften, war kein Widerspruch, sondern geradezu ein
weiteres Charakteristikum der SS-Typologie für die höheren Ränge.
Der Film wirft die Frage auf,
was ist daran Nazi-Propaganda und was sind authentische Darstellungen.
Immerhin nimmt der Zuschauer hier bewegte Bilder wahr, die sprechen und die
von zahlreichen Berichten westlicher Tibetreisender, auch wenn diese keine
Nazis waren, bestätigt wurden. Die Tibet-Unterstützungsszene zeigt denn
auch normalerweise ein durchaus positives
Porträt des Films. So wird der Nazi-Streifen oft kritiklos als ein
wertvolles, anthropologisches und historisches Dokument präsentiert. Zum
Beispiel in einer Ankündigung des ORF zum „Buddhistischen Filmfestival“ in
Wien 2002: „Am Sonntagabend wird eine filmische
Rarität geboten: ‚Geheimnis Tibet’ ist eine Dokumentation der Ufa aus dem
Jahr 1939 über eine deutsche Expedition nach Tibet.“
Erst
als die peinliche „Nazi-Tibet-Connection“ in die öffentliche Diskussion
gebracht wurde, sprach man in diesen Kreisen auf einmal von
„Nazi-Projektionen“ auf die tibetische Kultur. Die abwegigste derartiger
Darstellungen stammt von einem Tom Mustroph, der in einem Artikel über das
Filmfestival „BuddhaVision 2000“ behauptet, Himmler habe das tibetische
Ritualwesen christlich umgedeutet. Dort heißt es: „Heerscharen von Jesuiten machten sich auf
den Weg und wurden Spezialisten der selbst für jesuitische Verhältnisse
haarsträubenden Praxis, tibetische Rituale als originär christlich
umzudeuten. Einer, der bis zum Schluss auf Biegen und Brechen an dieser
Geschichte festhielt, war übrigens Heinrich Himmler. Der oberste SS-Mann
schickte 1938 eine Expedition ins Hochgebirge. Ein Filmteam der Ufa war mit
dabei. Das Produkt, der 90-minütige Dokumentarfilm ‚Geheimnis Tibet’ ist
einer der interessantesten Beiträge des Festivals.“ (BuddhaVision
2000)
© Victor und Victoria Trimondi
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