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Kritik der Johannesoffenbarung


 

Wasch mich mit dem Blut meiner Feinde

und ich werde der sein, der ich bin

 

D. H. Lawrence zur Offenbarung des Johannes

 

Der bekannte englische Dichter David Herbert (D. H.) Lawrence (1885-1930) prangert in seinem Buch Die Apokalypse (verfasst 1926) eindringlichst die gefährlichen Gewaltbilder der johanneischen Offenbarung an. Von den positiven Eigenschaften des Christentums wie dem Glück des selbstlosen Dienens, der Freude am Wissen, dem Entsagen des Ehrgeizes fänden wir hier überhaupt nichts mehr. Der triumphierende Christus der Apokalypse sei ein brutaler „Schlächter“. Zwar verweise der Apostel in seiner Prophezeiung auf das Lamm, „welches geschlachtet ward“, aber: „Wir erleben es jedoch nie geschlachtet, wir erleben bloß, wie es die Menschen millionenfach abschlachtet. Selbst, wenn es am Ende siegreich in einem blutigen Gewand daherkommt, ist das Blut nicht sein eigenes: es ist das Blut der feindlichen Könige. ‚Wasch mich mit dem Blut meiner Feinde – und ich werde der sein, der ich bin …’ sagt Johannes von Patmos letztendlich.“ (86/87)

 

D. H. Lawrence sah in der Offenbarung eine Vision der „Zu-Kurz-Gekommenen“, machtloser Menschen, die mit allen Mitteln an die Macht gelangen wollen, an die totale Macht: „Denn die Offenbarung, das sei ein für alle Mal gesagt, ist die Offenbarung des unsterblichen Willens zur Macht im Menschen, und seine Heiligung und sein letztendlicher Triumph.“ Jesus habe die Befreiung und den Ausweg der brüderlichen Liebe gelehrt – „ein Gefühl, das nur die Starken kennen.“ Aber eine solche souveräne Stärke der Güte streben die Apokalyptiker nicht an. Stets sind es Titel der Macht wie „König aller Könige“ und „Herr aller Herren“, die in der Offenbarung genannt werden, und nie die Titel der Liebe. (38) Und an anderer Stelle heißt es: „Stets die Titel der Macht, nie die Titel der Liebe. Immer Christus der allmächtige Eroberer, der sein großes Schwert zückt unzerstört, der riesige Massen von Menschenleben zerstört, bis das Blut ans Zaumzeug der Pferde reicht. Niemals Christus der Erlöser. Niemals. Der Menschensohn der Apokalypse kommt, um eine neue schreckliche Macht auf die Erde zu bringen, eine Macht, größer als die eines jeden Pompeius und Alexanders oder Kyros. Macht – furchtbare zerstörerische Macht.“ (58) 

 

Die Apokalypse erweist sich also als ein Handbuch für Diktatoren. In diesem Sinne bringt sie Lawrence auch mit der „Realpolitik“ in Zusammenhang. Hitler war (1926) noch nicht an der Macht, aber Lenin und Mussolini waren es schon, als er seinen Essay schrieb. Den Aufstieg der beiden Diktatoren sieht Lawrence interessanterweise als das Ende des Säkularismus (!). Die Apokalypse, so der Autor, „zieht die Zerstörung der ganzen Welt nach sich und die Herrschaft der Heiligen in einer letztlich entleibten Herrlichkeit. Oder es zieht die Zerstörung aller weltlichen Macht nach sich, und die Herrschaft einer Oligarchie von Märtyrern (das Millennium). Dieser Zerstörung jeglicher irdischer Macht streben wir jetzt entgegen. Die Oligarchie der Märtyrer begann mit Lenin, und offenbar ist Mussolini ebenfalls ein Märtyrer. Merkwürdige, ganz merkwürdige Leute sind diese Märtyrer, mit ihrer sonderbaren kalten Moral. Wenn jedes Land seinen Märtyrer-Herrscher hat, so wie Lenin oder Mussolini, was wird das für eine seltsame, unvorstellbare Welt sein! Aber so wird es kommen, die Apokalypse ist immer noch ein Buch, das Wunder bewirkt.“ (151, 152) Hitler und Stalin hatten ihre Diktatur noch nicht entfaltet.

 

Lawrence selber ist im englischen Milieu der Freikirchen aufgewachsen. Er hat deren fanatischen Eifer am eigenen Leibe verspürt. Hinter ihrer vorgeblichen Motivation, gerecht sein zu wollen, entdeckt der Dichter das reine Ressentiment. „Oh, dieses Christentum der Apokalypse ist das Christentum der mittelmäßigen Masse. Und wir müssen gestehen, es ist abscheulich. Selbstgerechtigkeit, Selbstbetrug, Wichtigtuerei und verborgener Neid liegt unter allem. [...] Da ist Jesus – aber das ist auch der heilige Johannes. Es gibt die christliche Liebe – und es gibt den christlichen Neid. Die Liebe würde die Welt ‚erretten’ – der Neid wird nicht eher Ruhe geben, bis er die Welt zerstört hat. Es sind zwei Seiten einer Medaille.“ (149) Neben den Neid tritt die Rache: „Diese frühen Christen gierten geradezu nach dem Ende der Welt. Erst wollten sie mit dem Herrschen an der Reihe sein – Rache! Schreit Timotheus – aber danach bestehen sie darauf, dass das gesamte Universum ausgelöscht werden soll, samt Sonne, Sternen und allem anderen. Und ein neues Jerusalem soll erscheinen, mit denselben alten Heiligen und Märtyrern in ihrer Herrlichkeit. Alles andere ist verschwunden, außer dem Pfuhl von Feuer und Schwefel, in dem Teufel, Dämonen, die Tiere und die schlechten Menschen schmoren und leiden sollen, von Ewigkeit zu Ewigkeit, Amen!“ (148)

 

Lawrence findet die blutrünstige Sprache der Offenbarung abscheulich: „Weiterhin ist die Bildersprache ausgesprochen unpoetisch und willkürlich. Manches ist wirklich hässlich, all dies durchs Blut waten, das blutgetränkte Gewand des Reiters und das die Leute im Blut des Lammes baden. Auch solche Phrasen wie ‚der Zorn des Lammes’ sind auf den ersten Blick lächerlich. Aber das ist die eindrucksvolle Phrasierung der Freikirchen, all der Bethel-Gemeinden von England und Amerika und die der Heilsarmee.“ (30) Die Grausamkeit kenne keine Grenzen: „Johannes besteht auf dem Lamm, ‚welches geschlachtet war’: wir erleben es jedoch nie geschlachtet, wir erleben bloß, wie es die Menschen Millionfach abschlachtet. Selbst wenn es am Ende siegreich in einem blutigen Gewand daher kommt, ist das Blut nicht sein eigenes: es ist das Blut der feindlichen Könige.“  (87) Das erscheint ihm purer Nihilismus: „Die zweite Hälfte der Apokalypse ist flammender Hass und pure Lust – Lust ist die einzige Bezeichnung dafür – auf das Ende der Welt. Der Apokalyptiker will das Universum oder den bekannten Kosmos völlig ausgelöscht sehen, und nur eine himmlische Stadt und ein höllischer Schwefelsee bleiben übrig.“ (57)

 

Eine besondere Beachtung schenkt der Dichter von Lady Chatterley’s Lover dem Weiblichen, wie es in der Apokalypse abgehandelt wird. Er sieht klar die dort betriebene Aufspaltung der Frau in die Madonna (das apokalyptische Sonnenweib) und die Hure (Babylon). In der Offenbarung – so Lawrence - „haben wir nichts außer Jungfrauen und Huren: Halb-Frauen, die Halbfrauen des christlichen Zeitalters.“ (117, 118) „Hurerei“ bedeutet für Johannes nicht nur jegliche Form der Sexualität, sondern auch materieller Reichtum und Wohlstand. Lawrence erkennt in der Ablehnung alles Materiellen erneut den Neid der Ausgeschlossenen: „Die späten Apokalyptiker zerreißen sich die Münder über all das Gold und Silber und die Edelsteine des sündigen Babylons. Wie sehr sie das alles begehren! Wie sie Babylon um seine Pracht beneiden, ja beneiden! Wie liebend gerne sie alles zerstören. Die Hure thront großartig mit ihrem goldenen Becher in der Hand, gefüllt mit dem Wein des Sinnesfreuden. Wie liebend gerne hätten die Apokalyptiker aus ihrem Becher getrunken! Da sie es nicht vermochten, zerschlugen sie ihn mit Freuden.“ (117)

 

Das dämonisch Weibliche wütet als Hure Babylon im Zeichen des Blutmondes: „Der Mond wird zu Blut, was eine der schreckenerregenden Verkehrungen der heidnischen Vorstellungswelt war, denn der Mond ist die Mutter des menschlichen Wasserkörpers. Das Blut gehört zur Sonne, und der Mond kann sich nur, wie ein Hure und weiblicher Dämon, in seinem ausgesprochen negativen Aspekt als Dirne mit rotem Blut betrinken: Die Mondgöttin als Bluttrinkerin. Sie, die dem körperlichen Quell aus Fleisch kühles Wasser spenden soll.“ (94) Aber auch das himmlisch Weibliche gebiert nach Lawrence Schrecken und Angst: „Der Drache in seinem kosmischen Aspekt zerstört den dritten Teil des Kosmos, bevor vom Himmel auf die Erde hinuntergeworfen wird. Mit seinem Schwanz fegt er den dritten Teil der Sterne hinweg. Die Frau [das apokalyptische Weib] gebiert einen Sohn, der ‚alle Völker mit eisernem Stab weiden’ soll. Wenn das eine Prophezeiung der Herrschaft des Messias oder Jesu sein sollte, dann hat sie sich leider bewahrheitet! Denn die Menschen werden heute alle mit eisernem Stab regiert. Das Kind wurde zu Gott entrückt. Fast wünschten wir, der Drache hätte es erwischt.“ (128)

 

Lawrence verweist mit Recht darauf, dass sich die Apokalypse verewigen will, indem die Guten und Frommen ihr Paradies und ihr himmlisches Jerusalem auf den Fundamenten der Hölle aufbauen: „Wenn nach dem jüngsten Gericht Himmel und Erde und die gesamte Schöpfung hinweggefegt werden und nur die glorreichen Himmel übrigbleiben, dann existiert dort unten immer noch dieser brennende Pfuhl, in dem die Seelen leiden. Der in Herrlichkeit leuchtende ewige Himmel hoch oben, und der schwefelig leuchtende Foltersee tief unten. Das ist die Vision der Ewigkeit von allen Patmossern. Sie können im Himmel nicht glücklich sein, ohne zu wissen, dass ihre Feinde in der Hölle unglücklich sind.“ (105)  Aber auch das Paradies erscheint ihm abscheulich, das künstliche Paradies eines Juweliers: „Oh wie überdrüssig werden wir all der Leiden und Plagen und Tode in der Apokalypse! Wie unendlich überdrüssig sind wir allein des Gedankens an das neue Jerusalem, das am Ende steht, dieses Paradies eines Juweliers! All dieses manische Anti-Leben! Sie ertragen es nicht einmal, Sonne und Mond weiterexistieren zu lassen, diese schrecklichen Heilsarmisten! Aber das ist nur der Neid.“ (118)

 

Es gibt in der Johannesoffenbarung eine Seite, die sie für Okkultisten aller Art besonders interessant macht: „Nun ist dieses Element des Aberglaubens, an der Grenze zur Magie und zum Okkultismus, sehr stark in der Apokalypse vertreten. Die Offenbarung des Johannes ist, wir müssen  das zugestehen, ein Buch, das Wunder beschwört. Es ist voller Hinweise auf okkulte Praktiken, und es wurde auch durch die Zeiten hindurch für okkulte Zwecke gebracht, vor allem zum Wahrsagen und Prophezeien. Es bietet sich dafür an. Ja das Buch ist sogar, besonders die zweite Hälfte, in einem Geist düsterer Prophetie geschrieben, ähnlich den magischen Sprüchen der Okkultisten zu dieser Zeit.“ (140) Unter diesem Aspekt kann Lawrence die Intentionen des Johannes von Patmos als einen „Plan“ bezeichnen: „Nachdem wir dieses reizende Buch einige Male gelesen haben, wird uns klar, dass der Heilige Johannes, oberflächlich betrachtet, einen grandiosen Plan geschmiedet hat, um jeden auszulöschen und zu beseitigen, der nicht zu den Auserwählten, kurzum zu den erretteten Menschen gehörte, und um selbst den Thron Gottes zu besteigen.“ (32) Ein Plan, den so alle Apokalyptiker ob christliche, islamische, hinduistische aber auch buddhistische miteinander teilen.

 

Lawrence These, dass die Apokalypse eine Obsession der Zu-Kurz-Gekommenen darstellt ist heute nicht mehr so aufrecht zu erhalten. Die englischen Sekten, die er dabei in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts im Auge hatte, haben sich mittlerweile in den USA zu Mega-Kirchen entwickeln. Auch kann nicht mehr der Neid auf die Mächtigen das vordringlichste Motiv sein, das die amerikanische Doomsday-Szene in Erregung versetzt, da sie mittlerweile zahlreiche Machtpositionen im Staat schon besetzt hält. Der Endzeit-Wahn geht tiefer, er ist Ausdruck eines religiös begründeten Todestriebes. Auch Lawrence hat sich davon anstecken lassen. Sein Roman „Die gefiederte Schlange“, der sich mit der Reinkarnation der aztekischen Götter Mexikos auseinandersetzt, ist wohl als apokalyptisch zu bezeichnen.

 

(D. H. Lawrence – Die Apokalypse – Düsseldorf 2000 - Patmos-Verlag)

 

© Victor und Victoria Trimondi

Siehe auch:

 

Das wohl schrecklichste Erbe des Neuen Testaments ist die so genannte Offenbarung des Johannes (Herbert Schnädelbach)

 

 

© Victor & Victoria Trimondi

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