Kritik
der Johannesoffenbarung
Wasch mich mit dem Blut meiner
Feinde
und ich werde der sein, der ich bin
D. H. Lawrence zur Offenbarung des Johannes
D. H. Lawrence sah in der Offenbarung
eine Vision der „Zu-Kurz-Gekommenen“, machtloser Menschen, die mit allen
Mitteln an die Macht gelangen wollen, an die totale Macht: „Denn die Offenbarung,
das sei ein für alle Mal gesagt, ist die Offenbarung des unsterblichen
Willens zur Macht im Menschen, und seine Heiligung und sein letztendlicher
Triumph.“ Jesus habe die Befreiung und den Ausweg der brüderlichen Liebe
gelehrt – „ein Gefühl, das nur die Starken kennen.“ Aber eine solche
souveräne Stärke der Güte streben die Apokalyptiker nicht an. Stets sind es
Titel der Macht wie „König aller Könige“ und „Herr aller Herren“, die in
der Offenbarung genannt werden, und nie die Titel der Liebe. (38)
Und an anderer Stelle heißt es: „Stets die Titel der Macht, nie die Titel
der Liebe. Immer Christus der allmächtige Eroberer, der sein großes Schwert
zückt unzerstört, der riesige Massen von Menschenleben zerstört, bis das
Blut ans Zaumzeug der Pferde reicht. Niemals Christus der Erlöser. Niemals.
Der Menschensohn der Apokalypse kommt, um eine neue schreckliche Macht auf
die Erde zu bringen, eine Macht, größer als die eines jeden Pompeius und Alexanders oder Kyros. Macht – furchtbare
zerstörerische Macht.“ (58)
Die Apokalypse erweist
sich also als ein Handbuch für Diktatoren. In diesem Sinne bringt sie
Lawrence auch mit der „Realpolitik“ in Zusammenhang. Hitler war (1926) noch
nicht an der Macht, aber Lenin und Mussolini waren es schon, als er seinen
Essay schrieb. Den Aufstieg der beiden Diktatoren sieht Lawrence
interessanterweise als das Ende des Säkularismus (!). Die Apokalypse,
so der Autor, „zieht die Zerstörung der ganzen Welt nach sich und die
Herrschaft der Heiligen in einer letztlich entleibten Herrlichkeit. Oder es
zieht die Zerstörung aller weltlichen Macht nach sich, und die Herrschaft
einer Oligarchie von Märtyrern (das Millennium). Dieser Zerstörung
jeglicher irdischer Macht streben wir jetzt entgegen. Die Oligarchie der
Märtyrer begann mit Lenin, und offenbar ist Mussolini ebenfalls ein
Märtyrer. Merkwürdige, ganz merkwürdige Leute sind diese Märtyrer, mit
ihrer sonderbaren kalten Moral. Wenn jedes Land seinen Märtyrer-Herrscher
hat, so wie Lenin oder Mussolini, was wird das für eine seltsame,
unvorstellbare Welt sein! Aber so wird es kommen, die Apokalypse ist immer
noch ein Buch, das Wunder bewirkt.“ (151, 152) Hitler und Stalin hatten
ihre Diktatur noch nicht entfaltet.
Lawrence selber ist im
englischen Milieu der Freikirchen aufgewachsen. Er hat deren fanatischen
Eifer am eigenen Leibe verspürt. Hinter ihrer vorgeblichen Motivation,
gerecht sein zu wollen, entdeckt der Dichter das reine Ressentiment. „Oh,
dieses Christentum der Apokalypse ist das Christentum der mittelmäßigen
Masse. Und wir müssen gestehen, es ist abscheulich. Selbstgerechtigkeit,
Selbstbetrug, Wichtigtuerei und verborgener Neid liegt unter allem. [...]
Da ist Jesus – aber das ist auch der heilige Johannes. Es gibt die
christliche Liebe – und es gibt den christlichen Neid. Die Liebe würde die
Welt ‚erretten’ – der Neid wird nicht eher Ruhe geben, bis er die Welt
zerstört hat. Es sind zwei Seiten einer Medaille.“ (149) Neben den Neid
tritt die Rache: „Diese frühen Christen gierten geradezu nach dem Ende der
Welt. Erst wollten sie mit dem Herrschen an der Reihe sein
– Rache! Schreit Timotheus – aber danach bestehen sie darauf, dass das
gesamte Universum ausgelöscht werden soll, samt Sonne, Sternen und allem anderen.
Und ein neues Jerusalem soll erscheinen, mit denselben alten
Heiligen und Märtyrern in ihrer Herrlichkeit. Alles andere ist
verschwunden, außer dem Pfuhl von Feuer und Schwefel, in dem Teufel,
Dämonen, die Tiere und die schlechten Menschen schmoren und leiden sollen,
von Ewigkeit zu Ewigkeit, Amen!“ (148)
Lawrence findet die
blutrünstige Sprache der Offenbarung abscheulich: „Weiterhin ist die
Bildersprache ausgesprochen unpoetisch und willkürlich. Manches ist
wirklich hässlich, all dies durchs Blut waten, das blutgetränkte Gewand des
Reiters und das die Leute im Blut des Lammes baden. Auch solche Phrasen wie
‚der Zorn des Lammes’ sind auf den ersten Blick lächerlich. Aber das ist
die eindrucksvolle Phrasierung der Freikirchen, all der Bethel-Gemeinden
von England und Amerika und die der Heilsarmee.“ (30) Die Grausamkeit kenne
keine Grenzen: „Johannes besteht auf dem Lamm, ‚welches geschlachtet war’:
wir erleben es jedoch nie geschlachtet, wir erleben bloß, wie es die
Menschen Millionfach abschlachtet. Selbst wenn es am Ende siegreich in
einem blutigen Gewand daher kommt, ist das Blut nicht sein eigenes:
es ist das Blut der feindlichen Könige.“
(87) Das erscheint ihm purer Nihilismus: „Die zweite Hälfte der
Apokalypse ist flammender Hass und pure Lust – Lust ist die einzige
Bezeichnung dafür – auf das Ende der Welt. Der Apokalyptiker will
das Universum oder den bekannten Kosmos völlig ausgelöscht sehen, und nur
eine himmlische Stadt und ein höllischer Schwefelsee bleiben übrig.“ (57)
Eine besondere Beachtung
schenkt der Dichter von Lady Chatterley’s
Lover dem Weiblichen, wie es in der Apokalypse abgehandelt wird.
Er sieht klar die dort betriebene Aufspaltung der Frau in die Madonna (das
apokalyptische Sonnenweib) und die Hure (Babylon). In der Offenbarung
– so Lawrence - „haben wir nichts außer Jungfrauen und Huren: Halb-Frauen,
die Halbfrauen des christlichen Zeitalters.“ (117, 118) „Hurerei“ bedeutet
für Johannes nicht nur jegliche Form der Sexualität, sondern auch
materieller Reichtum und Wohlstand. Lawrence erkennt in der Ablehnung alles
Materiellen erneut den Neid der Ausgeschlossenen: „Die späten Apokalyptiker
zerreißen sich die Münder über all das Gold und Silber und die Edelsteine
des sündigen Babylons. Wie sehr sie das alles begehren! Wie sie Babylon
um seine Pracht beneiden, ja beneiden! Wie liebend gerne sie alles
zerstören. Die Hure thront großartig mit ihrem goldenen Becher in der Hand,
gefüllt mit dem Wein des Sinnesfreuden. Wie
liebend gerne hätten die Apokalyptiker aus ihrem Becher getrunken! Da sie
es nicht vermochten, zerschlugen sie ihn mit Freuden.“ (117)
Das dämonisch Weibliche wütet
als Hure Babylon im Zeichen des Blutmondes: „Der Mond wird zu Blut, was
eine der schreckenerregenden Verkehrungen der
heidnischen Vorstellungswelt war, denn der Mond ist die Mutter des
menschlichen Wasserkörpers. Das Blut gehört zur Sonne, und der Mond kann
sich nur, wie ein Hure und weiblicher Dämon, in seinem ausgesprochen
negativen Aspekt als Dirne mit rotem Blut betrinken: Die Mondgöttin als
Bluttrinkerin. Sie, die dem körperlichen Quell aus Fleisch kühles Wasser
spenden soll.“ (94) Aber auch das himmlisch Weibliche gebiert nach Lawrence
Schrecken und Angst: „Der Drache in seinem kosmischen Aspekt zerstört den
dritten Teil des Kosmos, bevor vom Himmel auf die Erde hinuntergeworfen
wird. Mit seinem Schwanz fegt er den dritten Teil der Sterne hinweg. Die
Frau [das apokalyptische Weib] gebiert einen Sohn, der ‚alle Völker mit
eisernem Stab weiden’ soll. Wenn das eine Prophezeiung der Herrschaft des
Messias oder Jesu sein sollte, dann hat sie sich leider bewahrheitet! Denn
die Menschen werden heute alle mit eisernem Stab regiert. Das Kind wurde zu
Gott entrückt. Fast wünschten wir, der Drache hätte es erwischt.“ (128)
Lawrence verweist mit Recht
darauf, dass sich die Apokalypse verewigen will, indem die Guten und
Frommen ihr Paradies und ihr himmlisches Jerusalem auf den Fundamenten der
Hölle aufbauen: „Wenn nach dem jüngsten Gericht Himmel und Erde und die
gesamte Schöpfung hinweggefegt werden und nur die glorreichen Himmel
übrigbleiben, dann existiert dort unten immer noch dieser brennende Pfuhl,
in dem die Seelen leiden. Der in Herrlichkeit leuchtende ewige Himmel hoch
oben, und der schwefelig leuchtende Foltersee tief unten. Das ist die
Vision der Ewigkeit von allen Patmossern. Sie
können im Himmel nicht glücklich sein, ohne zu wissen, dass ihre
Feinde in der Hölle unglücklich sind.“ (105) Aber auch das Paradies erscheint ihm
abscheulich, das künstliche Paradies eines Juweliers: „Oh wie überdrüssig
werden wir all der Leiden und Plagen und Tode in der Apokalypse! Wie
unendlich überdrüssig sind wir allein des Gedankens an das neue Jerusalem,
das am Ende steht, dieses Paradies eines Juweliers! All dieses manische
Anti-Leben! Sie ertragen es nicht einmal, Sonne und Mond weiterexistieren
zu lassen, diese schrecklichen Heilsarmisten!
Aber das ist nur der Neid.“ (118)
Es gibt in der Johannesoffenbarung
eine Seite, die sie für Okkultisten aller Art besonders interessant macht:
„Nun ist dieses Element des Aberglaubens, an der Grenze zur Magie und zum
Okkultismus, sehr stark in der Apokalypse vertreten. Die Offenbarung des
Johannes ist, wir müssen das
zugestehen, ein Buch, das Wunder beschwört. Es ist voller Hinweise auf okkulte
Praktiken, und es wurde auch durch die Zeiten hindurch für okkulte Zwecke
gebracht, vor allem zum Wahrsagen und Prophezeien. Es bietet sich dafür an.
Ja das Buch ist sogar, besonders die zweite Hälfte, in einem Geist düsterer
Prophetie geschrieben, ähnlich den magischen Sprüchen der Okkultisten zu
dieser Zeit.“ (140) Unter diesem Aspekt kann Lawrence die Intentionen des
Johannes von Patmos als einen „Plan“ bezeichnen: „Nachdem wir dieses
reizende Buch einige Male gelesen haben, wird uns klar, dass der Heilige
Johannes, oberflächlich betrachtet, einen grandiosen Plan geschmiedet hat,
um jeden auszulöschen und zu beseitigen, der nicht zu den Auserwählten,
kurzum zu den erretteten Menschen gehörte, und um selbst den Thron Gottes
zu besteigen.“ (32) Ein Plan, den so alle Apokalyptiker ob christliche,
islamische, hinduistische aber auch buddhistische miteinander teilen.
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