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      APOKALYPTIK 
    
      
    
    Mit
    seinem neuen Buch (2009) hat Lutz von Werder einen wichtigen Beitrag zum
    heute kursierenden apokalyptischen Bewusstsein geleistet. Er spürt den
    Ursprüngen, Brüchen und Expansionen der Lust am Weltuntergang nach und
    enthüllt mehr und mehr die Vertreter des Apokalypse-Alarmismus. Dabei kommt
    das Paradigma des Weltendes in den Diskursen der Theologie, Philosophie,
    Ökologie, Ökonomie, Meteorologie, Technik, Umweltforschung,
    Kriegswissenschaft, Kosmologie zum Vorschein. Grund genug, um endlich zu
    fragen, wo das Rettende bleibt, wenn die Gefahr schon so gewachsen ist.  
      
      
    ISBN 978-3-86863-034-3 - 400 Seiten - EUR 19,80
     
    Geht die Welt unter – und wenn ja, warum? 
    Zur Kritik des
    apokalyptischen Bewusstseins
     
    Klapperntext:
    Die apokalyptisch anmutenden Ereignisse des aktuellen
    Katastrophen-Kapitalismus machen die Frage nach Weltende oder Weltwende zur
    Grundfrage der heutigen Philosophie. Dabei geht es um die Behauptung und
    Bestreitung des Weltunterganges. Der Umgang mit apokalyptischen
    Philosophien ist allerdings mit Gefahren verbunden: Er provoziert die sich
    selbst erfüllende Prophezeiung. Er fördert den Zynismus oder den
    Fatalismus. Die kritische Auseinandersetzung mit apokalyptischer
    Philosophie erweckt aber auch die Hoffnung auf den Widerstand gegen die
    Herren der Apokalypse. 
      
    Aus
    diesem Grund führt das Buch durch die realistischen, pessimistischen und
    optimistischen Philosophien des Weltendes und der Welterneuerung. Der Leser
    lernt drei Dimensionen der Apokalypse kennen: den Aspekt des Realismus, der
    Furcht und der Hoffnung. Damit legt das Buch die kritische Grundlage für
    eine philosophische Selbsttherapie der Apokalypse-Angst. Es eröffnet dem
    Leser ein neues vertieftes Verständnis der Welthoffnung. Es unterstützt
    damit den Kampf um die Rettung der Erde. Zum
    Buch im Schibri Verlag 
    
      
    
    Lutz von Werder: 
    Wann und warum geht die
    Welt unter? 
      
    In Zeiten der tiefen Krise
    der Gesellschaft stellt sich die Philosophie nur noch eine Frage: Wann und
    warum geht die Welt unter? Diese Frage erhält heute folgende Antworten: In
    der modernen Presse und im Fernsehen wird das Paradigma der Apokalypse als
    Lehre vom Weltende gerne benutzt. Man kann fast von der Arbeit einer
    Apokalypse-Industrie sprechen. Im Internet weist Google unter dem Stichwort
    „ Apokalypse“ eine Million Treffer nach. Sowohl in den Religionen als auch
    in der Wissenschaft und Politik verbreitet sich der apokalyptische Wahn wie
    eine Krankheit. Die apokalyptische Geschichtsinterpretation, seit dem
    11.9.2001, ist zum Zeitgeist geworden. Die Mainstream-Medien verbreiten den
    apokalyptischen Jargon. Die Tiefreligiösen glauben sowieso an die
    Apokalypse. Die Wissenschaftler benutzen den Apokalypse-Jargon, um sich
    finanziellen und politischen Einfluss zu sichern. Die religiösen
    Fundamentalisten werden dagegen zu Akteuren der Apokalypse. Diese Akteure
    sind unter anderem Militärs, Politiker, aber auch Guerilla-Gruppen.
    Esoterische Philosophen sehen da genauer: Sie legen heute schon das Datum
    des Weltuntergangs auf das Jahr 2012 fest. 
      
    Philosophische Lebenskunst
    muss sich deshalb der Frage „Wie lange besteht die Welt noch?“ stellen. Sie
    analysiert deshalb den Ursprung und den Hintergrund der Philosophie und
    Theologie des Weltendes bis zur Moderne.  
      
    In der Moderne ergeben sich
    dann drei Denkströmungen vom Weltende, die wir genauer vorstellen wollen.
    Die realistische Philosophie heißt: 
    Die Welt dauert bis auf 
    weiteres weiter. Die pessimistische Philosophie des Weltendes heißt:
    Die Welt geht ganz sicher bald unter. Die optimistische Philosophie sagt:
    Die Welt erneuert sich – trotz allem. 
      
    Auf der Basis dieser
    Kontroverse um die Zukunft der Welt ist das moderne apokalyptische
    Bewusstsein zu kritisieren. Die vielfältigen Quellen des Lebensmutes sind
    für die philosophische  Lebenskunst
    neu zu erschließen. Das ist das Gebot der Stunde. 
    © Lutz von Werder 
    
      
    
    Lutz von Werder: 
    Selber denken mit … Kant, Descartes,
    Popper & Co. - Apokalypse als Thema der Skepsis 
      
    Kampf
    der Dogmatiker mit den Skeptikern 
    Die
    ganze Geschichte der Philosophie lässt sich als Kampf der Dogmatiker mit
    den Skeptikern verstehen. Dieser Gegensatz entsteht schon in der Antike.
    Dabei stehen sich dann zum Beispiel Platon als Dogmatiker, der das wahre
    Sein vom Schein unterscheiden kann, und Pyrrhon, der glaubt, der Mensch
    könne nur den Schein der Dinge erkennen, konträr gegenüber. Der Skeptiker
    bezweifelt die Reichweite der menschlichen Erkenntnisse und versucht, alle
    metaphysischen und theologischen Dogmen in Frage zu stellen.  
      
    Die antiken Skeptiker halten deshalb nichts
    von dogmatischen Urteilen über den Weltuntergang. Denn die einen glauben an
    ihn, die anderen bezweifeln ihn und ein sicheres Urteil besitzt keiner,
    weil der Erkenntnisgegenstand „Weltuntergang“ für das menschliche Urteil
    viel zu groß ist. Die antiken Skeptiker versuchen aber auch, jede Aussage über
    den Weltuntergang oder das Bestehenbleiben der Welt zu zerstören. So
    bekämpfen sie in der Antike sowohl die platonische, die aristotelische als
    auch die christliche Aussage über das Bestehen der Welt als fehlerhaft.
    Indem sie auch die Aussagen der christlichen Religion über den
    Weltuntergang als Unwahrheit bekämpften, hatten sie ihre Ruhe und waren
    völlig gelassen, wie die indischen Fakire, die ruhig auf dem Feuerholzstoß
    verbrannten. Allerdings wurde der Skeptizismus von den römisch-christlichen
    Kaisern im 6. Jahrhundert nach Christus mit Stumpf und Stiel ausgerottet. 
      
    DENKEN
    SIE SELBST: Sind Sie jetzt Skeptiker? Lässt Sie die Idee des Weltuntergangs
    schon völlig kalt? 
      
    In
    der modernen Philosophie kehrt die Skepsis wieder: 
      
    Immanuel Kant meint, der Mensch
    erkennt mit seiner „Raum-Zeit-Brille“ nur die Erscheinungen, aber nicht das
    „Ding an sich“. Die Welt als Welt im Ganzen ist für Kant niemals Inhalt des
    Wissens. Über die Welt gibt es nur Anschauungen. Das Ding an sich bleibt
    stumm. Ob also die Menschheit am Ende der Zeiten in den Abgrund stürzt oder
    sich dem ewigen Fortschritt verschreibt, ist für Kant überhaupt nicht zu
    entscheiden. Über die letzten Dinge ist deshalb gar keine wissenschaftliche
    Erkenntnis möglich.  
      
    DENKEN
    SIE SELBST: Stimmen Sie Kants Erkenntnis von den Grenzen der Erkenntnis zu? 
      
    Der
    Kant-Schüler Fichte ergänzt: Was
    für eine Vorstellung vom Ende der Welt man wählt, hängt davon ab, was für
    ein Mensch man ist. Denn die Idee der letzten Dinge kann man nicht beliebig
    auswechseln, sondern sie entsteht aus der Gesinnung der Seele und nicht aus
    dem Verstand. Es gibt also über die Apokalypse so viele Weltansichten wie
    es seelische Dispositionen und Individuen gibt. Im Groben kann man deshalb
    auch die realistische, die pessimistische oder die optimistische Sicht des
    Weltendes unterscheiden, wie wir es in diesem Buch auch tun.  
      
    René Descartes hatte eine andere
    skeptische Haltung vorgestellt. Er nannte drei Gründe für die
    Erkenntnisbegrenzung des Menschen: 
      
    1.     
    Wir erkennen mit den Sinnen, die Sinne können aber
    täuschen. 
    2.     
    Wir erkennen am Tag oder im Traum. Tag- und
    Traumerkenntnis sind aber kaum zu  
    unterscheiden. 
    3.     
    Die Welt kann von einem bösen Gott geschaffen sein, der
    es so eingerichtet hat, dass alle Erkenntnis Täuschung ist. 
      
    Für
    Descartes ist also auch die Apokalypse kein Erkenntnisgegenstand, da sie
    mit den Sinnen nicht zu erkennen ist. Sie kann eher geträumt als erkannt
    sein. Sie kann von einem bösen Gott als Albtraum über die Menschen verhängt
    worden sein, ohne doch der Realität zu entsprechen.  
      
    Für
    David Hume ist es klar: Auch
    über die Apokalypse kann „keine Schlussfolgerung uns je einen Zustand der
    Sicherheit und Überzeugung verschaffen“ (D. Hume: Eine Untersuchung über
    den menschlichen Verstand. Frankfurt 2007, S. 200–205). Jedes Urteil über
    die Apokalypse ist durch die Unsicherheit der Sinne und die Unsicherheit
    aller abstrakten Schlussfolgerungen in Zweifel zu ziehen. 
      
    Karl R. Popper hegt auch den
    Zweifel an der Möglichkeit perfekter menschlicher Erkenntnis. Sowohl die
    ideale Gesellschaft als auch die absolute Weltvereitelung muss unsicher
    bleiben. „Wahr bleibt, dass alles Leben immer gefährdet ist. Wir alle, so
    vermute ich, werden wohl früher oder später sterben. Aber Gefahren gab es
    schon immer. Immer, seit dem Ursprung des Lebens, gab es die Drohung des
    Unterganges, und trotz dieser Drohung hat das Leben überlebt. Die Welt ist
    die schlechteste aller möglichen, aber eine andere Welt gibt es nicht.“ (K.
    Popper: Alles Leben ist Problemlösung. München 2004, S. 249) 
      
    DENKEN
    SIE SELBST: Können Sie mit Poppers Thesen die Apokalypse vergessen? 
      
    Ein
    zeitgenössischer Vertreter der Skepsis ist in Deutschland Odo Marquard. Er wurde 1928 in
    Pommern geboren und war am Ende des zweiten Weltkrieges beim Volkssturm, wo
    ihm „die Zukunft immer mehr als Ende erschien“ (O. Marquard: Skepsis in der
    Moderne. Stuttgart 2007, S. 13). Gegen das apokalyptische Ende des
    Faschismus entwickelte er früh seine Skepsis. 1954 promovierte er. Acht
    Jahre folgten als Assistent bei Joachim Ritter, 1963 Habilitation und
    Privatdozent in Münster, ab 1965 Professor für Philosophie in Gießen. 1993
    wurde er emeritiert. Marquard verstand sich als Mitglied der „skeptischen
    Generation“ (H. Schelsky), die als Flakhelfer-Generation von den Dogmen des
    Faschismus genug hatte. Er verstand sich bald explizit als Skeptiker. Seine
    skeptische Philosophie „paralysiert die Versuchung, sich einer einzigen
    totalitären Allgewalt zu unterwerfen“ (O. Marquard: Philosophie des
    Stattdessen. Stuttgart 2001, S. 10). Aber er entwickelte auch besondere
    „Schwierigkeiten mit der Geschichtsphilosophie“ (O. Marquard:
    Schwierigkeiten mit der Geschichtsphilosophie. Frankfurt 1982). Marquards
    Kritik des apokalyptischen Bewusstseins wollen wir nun in fünf Schritten
    darstellen: 
      
    1. Statt
    Universalgeschichte: Multiversalgeschichte 
    2. Statt
    Weltanschauungsmonismus: Weltanschauungspluralismus 
    3. Statt
    Zukunftsmonismus: Zukunftspluralismus 
    4. Statt
    Monomythen: lieber Polymythen 
    5. Statt
    apokalyptischer Infantilisierung: lieber erwachsene Skepsis 
    6. Statt
    Hölle auf Erden: lieber Erde auf Erden 
      
    Dem letzten Punkt wollen wir uns hier zuwenden: 
      
    Statt Hölle auf Erden: lieber Erde auf Erden 
    Das moderne apokalyptische
    Bewusstsein beginnt für Marquard, wie gesagt, mit Rousseau. Die Natur ist
    gut, sagt Rousseau, der Mensch aber macht alles schlecht. Deshalb zurück
    zur Natur. Dagegen steht am Beginn des modernen apokalyptischen
    Bewusstseins Kant. Kant erkennt in den Wissenschaften die Basis eines
    langsamen Fortschritts. Kant setzt also auf: Vorwärts zum „ewigen Frieden“. 
      
    Das moderne apokalyptische
    Bewusstsein erfährt am Beginn seiner Entstehung zugleich seine Bestreitung.
    Die Skepsis motiviert also schon am Beginn der Moderne zur
    Urteilsenthaltung, wenn es um die Zukunft der Welt geht. Diese
    Urteilsenthaltung bedeutet zugleich den Zusammenbruch des apokalyptischen
    Dogmas, dass es mit der Welt immer schlecht enden muss. Es kann schlecht
    enden, nach Rousseau, es kann aber auch, nach Kant, einen kontinuierlichen
    lang andauernden Fortschritt geben. Für den Skeptiker ist es unmöglich, für
    das eine oder für das andere zu votieren. Er enthält sich deshalb des
    Urteils über die Apokalypse und hat Ruhe.  
      
    Allenfalls denkt er mit
    Hölderlin: „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch“ oder mit Wilhelm
    Busch: „Wer Sorgen hat, hat auch Likör“ (O. Marquard: Skepsis in der
    Moderne, a.a.O., S. 108). Der Skeptiker kommt zu dem antiapokalyptischen
    Resultat: Die Welt wird zwar niemals der Himmel auf Erden, aber auch nicht
    die Hölle auf Erden, sondern nur die Erde auf Erden werden können. 
      
    © Lutz von Werder 
      
    Siehe auch:  
    Die Apokalypse ist das Apriori aller Politik
    und Kultur – Säkulare Philosophen im Banne der apokalyptischen Matrix. 
      
    
      
    
    Das Philosophische Café mit Lutz von Werder in
    der Urania Berlin
    Thema: Weltende oder Weltwende? 
    2010
    Sonntags 10.30 bis 12.00 Uhr 
    10.
    Jan. - Weltende und ewige Wiederkehr: F. Nietzsche 
    24.
    Jan. - Weltende in der asiatischen Philosophie: M. Eliade 
    07.
    Feb. - Weltende in der christlichen Philosophie: Papst Benedict XVI. 
    28.
    Feb. - Weltende durch den Krieg der Weltreligionen? V. u. V. Trimondi 
    04.
    April - Weltende und Apokalypse-Industrie: M. Horx 
    18.
    April - Warum man für 50 Billionen die Welt retten kann: B. Lomborg 
    09.
    Mai - Die Skepsis gegenüber der Apokalypse: O. Marquardt 
    23.
    Mai - Existentialismus und Weltende: K. Jaspers, J. Shell 
    Urania Berlin e.V. 
    An der Urania, 10787 Berlin 
    Tel.: (030) 218
    90 91, Fax: (030) 211 03 98 
    www.urania.de - kontakt@urania-berlin.de 
    
      
    
    Prof. Dr. Lutz von Werder  
    Geb.
    1939, Philosoph. Bis 2004 Hochschullehrer für Kreativitätsforschung an der
    Alice-Salomon-Fachhochschule in Berlin-Hellersdorf. Seit 1993 Leitung von
    Philosophischen Cafés in Berlin mit 80 bis 300 Personen. Herausgeber des
    Magazins „Selber denken“,
    zahlreiche Publikationen zur philosophischen Lebenskunst, praktischen
    Philosophie, zum kreativen/wissenschaftlichen Schreiben sowie literarischer
    Texte. 
      
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