Was heißt hier
"Apokalypse"?
Dieses
Interview wurde Anfang 2006 dem Focus-Magazin gegeben, es kam jedoch nicht zu
einer Veröffentlichung:
FOCUS: Definitionsfrage: Ihr Buch
handelt von "Politik, Glaube und Terror im Zeichen der
Apokalypse". Was heißt hier "Apokalypse"?
TRIMONDI: Apokalypse (gr.) heißt
ursprünglich „Offenbarung“, „göttliche Ankündigung“. Dann wird darunter die
um das Jahr 90 n. Chr. aufgeschriebene „Offenbarung des Johannes“ oder
Johannesapokalypse verstanden, eine christliche Prophezeiung vom Ende der
Zeiten und der Wiederkunft Christi. Ausgehend hiervon spricht man von
„Apokalypse“ ganz allgemein als von einer Endzeit-Prophezeiung gleich in
welcher Religion sie zu finden ist. In diesem Sinne wird der Begriff
in unserem Buch gebraucht, wenn
nichts anderes vermerkt ist. Inhaltlich sind mit „Apokalypse“ die folgenden
Themata angesprochen: Die totale Vernichtung der bestehenden Welt, um eine
neue paradiesische Welt zu schaffen; der Auftritt eines militanten Messias
und eines absolut bösen Gegners; unvorstellbar verlustreiche Kriege
zwischen den Kräften des Guten und den Mächten des Bösen; der Einsatz von
Superwaffen; die Vernichtung aller Andersgläubigen und die Errichtung einer
totalitären Theokratie. Dieses Muster findet sich in „Apokalypsen“ aller
Glaubensrichtungen und wird deswegen von uns als die „apokalyptische
Matrix“ bezeichnet. Das gefährliche ist, dass heute
messianisch-apokalyptische Vorstellungen mit der Realpolitik insbesondere
im Nahen und Mittleren Osten verknüpft werden.
FOCUS: Sie haben ein
religionskritisches Buch geschrieben. Wenn man nun aber bei
"Amazon" nach Ihrem Buch sucht, wird man gleich mit einem massiv
okkulten Angebot anderer Buchtitel geködert, etwa mit Williguts
Geheimlehre, Runen-Interpreten, Fantasy-Gnostik etc. Daran ist wohl
Ihre selbst leicht esoterisch klingende Formel "im Zeichen der Offenbarung"
schuld. Bedient sich Ihr Titel nicht paradoxerweise selbst apokalyptischer
Formeln? Des apokalyptischen Stils?
TRIMONDI: Das mit „Amazon“ stimmt so
nicht. Es handelt sich dabei wahrscheinlich um Leser, die sich mit unserem
vorletzten Buch „Hitler-Buddha-Krishna“ , das sich kritisch mit dem
Okkultismus im SS-Ahnenerbe auseinandersetzt, beschäftigen. Wenn Sie heute
bei „Amazon“ nachlesen, hat das Publikum schon eine ganz andere Richtung
angenommen. Leser von Max Weber, Jean Ziegler und Jürgen Habermas werden dort als Interessenten
an dem letzten Trimondi-Buch aufgeführt.
Außerdem steht unser Text jetzt schon mehrere Wochen auf der
Top-Liste von „Amazon“ unter der Rubrik „Terrorismus“.
Wir
sprechen uns entschieden gegen das apokalyptische Denken aus und haben
dagegen ein 600seitiges Buch geschrieben. Es ist nun einmal so, dass
Millionen von fundamentalistischen Anhängern aller Religionen die
Weltpolitik endzeitlich unter dem „Zeichen der Apokalypse“ interpretieren
und unter diesem Zeichen machen wollen. Darüber berichteten die Magazine
Time und Newsweek auf ihren Titelseiten. Allein das haben wir mit dem Untertitel
ausdrücken wollen.
FOCUS: Das altgriechische Wort
"Aufdeckung" (apokalypse) behandelt im engeren Sinn der
Bibelwisssenschaften einen literarischen Gattungsbegriff. Es geht um
Mitteilung geheimer Wahrheiten, Lehren, philosophisch-mythische Dinge, die
da kommen mögen. Erst später überträgt sich diese geheime Einweihung auf
das mit ihr gemeinte transhistorische Szenarium einer
theokratisch-messianischen "Neu-Zeit". Immer ist auch der Titel
der Schrift des NT, der Offenbarung des Johannes, die die "Apokalypsis
des Jesus" bereits im ersten Satz ankündigt. Es geht um die Weissagung
beispielloser Katastrophen, um Endzeiten und Endzeitvisionen, um Neue
Welten, Zeitenumschwünge, das finale Heil, um den Endkampf, um
Weltuntergang, Armageddon samt Götterdämmerung. Warum fasziniert dies
Überbleibsel fanatischer Religionen noch heute die Gläubigen?
Milleniumsmängste, dachten wir, wären mit dem Jahr 2000 ausgestanden, aber
dann kam das Jahr 2001, und mit ihm der Komplex "9/11". Ein
Irrtum?
TRIMONDI: Es gibt hierfür zahlreiche
Gründe. Ganz allgemein hat eine Hinwendung zu religiösen Sinnfragen seit
den 70er Jahren stattgefunden, und diese betrafen für viele Gläubige nicht nur
die eigene Existenz und die eigene Seele, sondern auch die Gesellschaft und
damit die Politik insgesamt. Dabei stößt man ganz naturwüchsig auf die in
den Heiligen Schriften verankerten endzeitlichen Prophezeiungen, die bei
einer wortwörtlichen Deutung durchaus eine politische Interpretation
zulassen. Dann sind die machtvollen Ideologien des 20. Jahrhunderts, der
Faschismus und der Kommunismus, die selber ein starkes
apokalyptisch-messianisches Potential aufweisen, verschwunden und haben ein
Vakuum hinterlassen, welches jetzt von den fundamentalistischen Strömungen
der traditionellen Religionen aufgefüllt wird. Ebenso spielt die
weltpolitische Bedeutung der Nahost-Konflikte eine zentrale Rolle. Auch
wenn es dabei vielen Beteiligten ums Öl geht, so sind doch in den
apokalyptischen Prophezeiungen aller drei abrahamitischen Religionen diese
Regionen als Austragungsstätten kommender Endzeitkämpfe genannt. Das macht
es so verführerisch, dort stattfindende Kriege in einen
apokalyptisch-messianischen Zusammenhang zu stellen.
FOCUS: Sie legen die Stränge
fundamentalistischen Denkens in den Rändern der großen Religionen frei.
Lassen Sie sich da vom modernen Atheismus leiten? Sind Sie aus
Rationalismus gegen den "dunklen" Anteil, den Religiosität im
Menschenleben doch offenbar hat? Was haben Sie gegen die Apokalypse?
TRIMONDI: Der eschatologische
Fundamentalismus ist keine Randerscheinung mehr. In Amerika zählt man den
harten Kern der christlichen Apokalyptiker auf 10-15 Millionen Anhänger.
Dazu aber kommt ein Umfeld von 60 Millionen US-Bürgern, die mehr oder
weniger daran glauben, in der Endzeit zu leben. In Israel sind es
mindestens 20 % der Wähler, die sich an radikalen, messianischen
Vorstellungen orientieren. Für den Islam liegen keine Statistiken vor, aber
nach den Aussagen von Experten wie die Religionswissenschaftler David Cook
und Richard Landes ist die islamische Welt geradezu von endzeitlichen
Vorstellungen geradezu durchseucht. Mittlerweile wird dies durch die laut
ausposaunten Messias-Bekenntnisse des iranischen Präsidenten Mahmoud
Ahmadinedschad auch in der deutschen Mainstream-Presse wahrgenommen.
Wir
sind keine Atheisten, sondern Humanisten. Der Humanismus muss nicht per se
anti- oder a-religiös sein, er ist aber ein Grenzwert, der weder vom Staat noch
von einer Religion überschritten werden sollte. Wenn der Mensch das „Bild
Gottes“ ist, dann verdient er auch dessen Schutz.
Wir
leugnen den „dunklen Anteil“ der Religiosität im Menschenleben nicht. Im Gegenteil, wir
weisen ja gerade warnend darauf hin und sind uns sehr der Faszination
bewusst, die das zerstörerische Element in den Religionen auf Gläubige
ausüben kann. Wir sehen es jedoch als eine Aufgabe des Menschen an, sich
gegen diese „dunklen Seiten der Religionen“ zu stellen und auf das Recht des Humanum
(Menschlichen) in seinem Verhältnis zum Divinum
(Göttlichen) zu pochen.
Wir
sind gegen die Apokalypse, weil durch sie die bestehende Welt mit Mensch,
Tier und Pflanze vernichtet werden soll, um eine neue paradiesische Welt zu
schaffen; weil sie alle Andersgläubigen mit Gewalt liquidieren will, um
eine Theokratie ihres jeweiligen Glaubens zu etablieren; weil sie den
Heiligen Krieg propagiert und nicht vor dem Einsatz von ABC-Waffen
zurückschreckt; weil sie in der Gestalt des Militanten Messias eine
totalitäres Führerprinzip verherrlicht; weil sie im absoluten Kampf der
Guten gegen das Böse keine Differenzierungen, Selbstkritik und Diplomatie
zulässt; weil sie heute durch radikale fundamentalistische Gruppierungen
Einfluss auf die internationale Politik nimmt; weil sie ein irrationaler
Wahn ist, da sich bei den Konfliktparteien der Gott oder Messias der einen
als der Teufel oder Anti-Christ der anderen erweist und umgekehrt.
FOCUS: Was ist "der Krieg
der Religionen"? Warum sollen Religionen sich nicht mit dem
anthropologisch-geschichtlichen Erden-Faktum "bellum" befassen,
der ja nicht wegdiskutiert werden kann?
TRIMONDI: Die Religionen sollten sich
auf jeden Fall mit dem Faktum „bellum“ befassen. Sie tun dies ja auch
ausgiebig, wenn keineswegs immer aus einer friedlichen Perspektive heraus.
Ihre Geschichte und viele Passagen aus ihren Heiligen Schriften zeigen,
dass alle Glaubensrichtungen ihre kriegerischen Seiten haben selbst der
Buddhismus. Dabei sehen sie den Krieg nur selten als ein reines
„Erden-Faktum“, welches im Gegensatz zur Welt des Heiligen steht an,
sondern im Gegenteil, aus dem „bellum“ wird oft ein „bellum sanctum“, ein
Heiliger Krieg, ein Djihad oder ein Kreuzzug.
FOCUS: Oder ist der Krieg
gemeint, den die Dogmatiken der jeweiligen Weltreligionen zur Verbreitung
ihrer Gläubigenbasis gegen andere Reiche und Länder führen? Oder der
tatsächliche Feldzug untereinander zerstrittener Religionen, den diese
gegeneinander führen?
TRIMONDI: Ja, das ist auch gemeint! Aber
im Zentrum unserer Analyse steht der eschatologische Krieg, der in seiner
Radikalität alle anderen Formen des Heiligen Krieges übersteigt, weil er
auf eine Endlösung hin tendiert und auf die totale Vernichtung des Gegners
aus ist, es sei denn dieser konvertiert zum jeweiligen Glauben.
FOCUS: Wir alle haben Lessings
Toleranzparabel von den drei Ringen in der Schule gelesen. Jetzt käme es
darauf an, den jeweiligen abrahamitischen Traditioen genau diesen Respekt
zu erweisen. Stattdessen mehrt sich ein im Westen ein anti-islamisches
Kreuzzugsenken, das doch nur von Übel sein kann. Wie verorten Sie Ihr Buch
in diesem Zusammenhang?
TRIMONDI: In bestimmten Kreisen aller
Religionen gibt es eine zunehmende Entwicklung in Richtung Intoleranz hin zum
Fundamentalismus, wobei sich die gegnerischen Glaubensrichtungen
gegenseitig „hochschaukeln“. Je radikaler sich der eine gebärdet, desto
radikaler glaubt der andere darauf reagieren zu müssen. Charakteristisch
für den aktuellen Fundamentalismus ist, dass er keinen Unterschied mehr
macht zwischen dem Politischen und dem Religiösen. Politik ist für
extremistische Christen, Muslime und Juden zu einem Element in Gottes
Heilsplan beziehungsweise in Teufels Destruktionsplan geworden. Kreuzzug
und Djihad sind deswegen nur die Kehrseite derselben Medaille. Früher hat
fundamentalistische Islam vor allem gegen den säkularen und dekadenten
Westen polemisiert und die Christliche Rechte in Amerika gegen den
materialistischen und kommunistischen Osten. Mittlerweile tritt aber die
kämpferische Rhetorik gegen den Säkularismus immer mehr in den Hintergrund.
Bin Laden und Ahmadinedschad kämpfen gegen zionistische Kreuzzügler, und
große Teile der amerikanischen Armee glauben sogar, dass sie im Irak gegen
den Teufel Krieg führen.
FOCUS: Manchmal hat man das Gefühl,
es ginge hier beim "Krieg der Religionen" nicht um den Genitivus
Subjektivus, sondern um einen Dativ, nämlich um den Krieg, den Sie
den (unaufgeklärten) Religionen erklären. Brauchen wir mehr
Religionskritik?
TRIMONDI: Es ist wirklich befremdlich,
dass man schon in den Verdacht gerät, sich mit den Religionen in einem
Kriegszustand zu befinden, wenn man sich (nicht zuletzt unter dem Druck des
religiösen Terrorismus) kritisch gegen die extrem destruktiven Tendenzen in
den Endzeitvorstellungen der verschiedenen Glaubensrichtungen äußert. Seit
wann führt man in einer Zivilgesellschaft Krieg, weil man gute Argumente in
die Debatte wirft? Aber eine solche Haltung ist heute durchaus
symptomatisch: Die Mainstream-Religionen möchten es partout vermeiden, dass
eine grundsätzliche Diskussion über die in ihnen verankerte Apokalyptik
eröffnet wird, weil das einige schmerzhafte dogmatische Konsequenzen zur
Folge hätte. Der Mainstream-Säkularismus scheut diese Fragen, weil er nichts
davon versteht und weil er glaubt, die
offiziellen Religionen hätten die fundamentalistischen Strömungen
dogmatisch voll im Griff. Es spricht vieles dafür, dass der etablierte
Klerus in nächster Zeit weniger durch säkular eingestellte Kritiker, sondern
durch die extremistischen Strömungen aus den eigenen Glaubensrichtungen
dazu gezwungen wird, sich mit dem militanten Messianismus, mit
Theokratie-Ambitionen und mit gefährlichen Weltuntergangs-Ideologien
auseinander zusetzen.
FOCUS: Überbetonen Sie nicht den
Extremismus, der sich an den Rändern der drei abrahamitischen Religionen
breit gemacht hat?
TRIMONDI: Wir haben oben schon darauf
hingewiesen, dass es sich im Falle des Extremismus rein statistisch gesehen
um keine reine Randerscheinung mehr handelt. Sogar wenn man die
Millionenzahl der Fundamentalisten noch als „marginal“ bezeichnet, so
sollte man Folgendes in Betracht ziehen: Die Extremisten in allen drei
abrahamitischen Religionen sind politisch äußerst aktiv und hochgradig
motiviert bis hin zur Selbstaufopferung; sie sind alle in verschiedenen
Grassrout-Bewegungen tätig und sozial sehr engagiert; sie spielen bei den
Wahlen oft das „Zünglein an der Waage“, da ihre Zahl hinreicht die eine
oder andere Partei an die Macht zu hieven; das war bei der amerikanischen
Präsidentenwahl (2004) so, ebenso wie bei den israelischen Wahlen. Im Irak
zeichnet sich ab, dass eine eschatologisch orientierte Schiitenmehrheit
durch Wahlen an die Macht kommt. Im Iran ist sie es schon und in den
palästinensischen Gebieten hat die radikale Hamas die Wahl gewonnen, die
apokalpytisch-messianische Vorgaben in ihrer Gründsatzerklärung von 1988
aufweist.
FOCUS: Sitzt man heute nicht
zwischen allen Stühlen, wenn man heute Auswüchse des Judentums, des
Christentums und des Islam zugleich attackiert?
TRIMONDI: Wieso? – Wie schon erwähnt,
haben die etablierten Religionen viel weniger Probleme mit säkular
eingestellten Religionskritikern von außen, als mit den extremistischen
Strömungen aus den eigenen Reihen bzw. mit Fundamentlisten der jeweils
anderen Religion. Der religiöse Mainstream muss sich notwendiger Weise mit
dem Humanismus zusammentun, um eine friedfertige Alternative zum religiösen
Extremismus zu entwickeln. Das versucht er ja auch, zum Beispiel mit der
Ökumene und dem interreligiösen Dialog, eine durchaus positive Erscheinung,
die sich sogar mehr an einem humanistischen als an einem religiösen
Programm orientiert. Wir kritisieren jedoch an dieser Bewegung, dass sie
die kriegerisch-messianischen Inhalte, die sich ja in allen Religionen
feststellen lassen, überhaupt nicht debattiert. Die „Apokalypse“ ist für
die Weltökumene kein Thema, obgleich sie in der Vorstellungswelt der
Fundamentalisten das religiöse Zentrum ausmacht.
FOCUS: Ist die christliche
Rechte der Hauptadressat bzw. der Hauptschuldige? 7 bzw. 8 Kapitel sind den
USA und dem Fundamentalismus gewidmet.
TRIMONDI: Es gibt keinen Hauptadressaten
oder Hauptschuldigen im apokalyptischen Welttheater. Die verschiedenen
militant-messianischen Bewegungen puschen sich gegenseitig hoch. Mal sind
es die christliche, mal muslimische, mal jüdische Extremisten, die an
vorderster Stelle die Aufmerksamkeit auf sich richten. Das wechselt. Zu
erwähnen ist noch, dass endzeitliche Bewegungen katastrophenabhängig sind.
Bei einer allgemeinen Zunahme von Gewalt und Terror werden sie gestärkt,
bei einer allgemeinen Pazifizierung verlieren sie an Gewicht.
FOCUS: Überfordern Sie sich
nicht, wenn Sie sich in Ihrem Buch religionswissenschaftliche Kompetenzen
zusprechen, die für die Analyse der drei Monotheismen unverzichtbar und
nötig sind?
TRIMONDI: Das können nur die Leser
unserer Bücher beurteilen und unter diesen haben wir jedenfalls eine
beachtliche Anzahl guter (auch akademischer) Referenzen.
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