Die
Macht der Apokalypse
Kontroverses Gespräch von Victor und Victoria Trimondi mit dem Schweizer Pfarrer Andreas Schwendener über die Apokalyptik in den Religionen,
insbesondere im Christentum. „Die Apokalypse ist keine frohe
Botschaft, sondern ein universelles Strafgericht, das mit unglaublicher
Grausamkeit durchgeführt wird. Der Weg ins kommende Paradies am Ende der
Zeiten ist mit Hekatomben von Toten gepflastert. Ich halte das dualistische
Denken von Gut und Böse in der Apokalyptik aller Religionen für grundlegend
falsch.“ (Victor Trimondi)
Die Macht
der Apokalypse
Das Bild vom Endkampf
zwischen Gut und Böse wird überall bemüht: In religiösen Brandreden, in
politischen Diskursen, im Kino. Das Autorenpaar Victor und Victoria Trimondi sieht in den apokalyptischen Schriften eine
Quelle der Gewalt. Pfarrer Andreas Schwendener,
der sie eingeladen hat, kann der Apokalypse auch eine frohe Botschaft
abgewinnen. Eine Kontroverse.
Herr Schwendener, glauben Sie als Christ an das nahe Ende
der Welt?
Andreas Schwendener: Nein. Ich sehe im Gebrauch
apokalyptischer Bilder und Metaphern den Versuch der Menschen, sich mit der
Endlichkeit der Welt und der eigenen Sterblichkeit auseinanderzusetzen.
Victor Trimondi: Das ist Ihre persönliche Meinung, aber
leider glauben Millionen von Fundamentalisten aus allen Religionen, das
Ende der Welt stehe kurz bevor. Sie schalten sich in das politische
Geschehen ein, damit ihre endzeitlichen Prophezeiungen durch ihr Handeln
beschleunigt werden. Klar wird das am Beispiel des iranischen Präsidenten
Mahmoud Ahmadinejad, der seine Politik offen in
den Dienst eines militanten schiitischen Messianismus stellt. Aus einer
ähnlichen Gesinnung heraus handeln sunnitische Organisationen wie Al Qaida
und Hamas. Auf der Gegenseite steht George W. Bush. Ich glaube zwar nicht,
dass er selber ein Apokalyptiker ist, aber er hält Reden, die sich
apokalyptisch interpretieren lassen. Denken Sie nur an seine Wendungen wie
«Kreuzzug», «Achse des Bösen», oder den Ausspruch, wer nicht für die USA
sei, sei gegen sie.
Sie zeigen in Ihrem
neuen Buch, dass alle Religionen über eine «apokalyptische Matrix» verfügen
. . .
Victor Trimondi: . . . in der Tat. Die Apokalypsen der
Religionen gleichen sich wie ein Ei dem anderen, obgleich sie sich auf den
Tod bekämpfen. Sie vereinen sich in einer Ökumene des Schreckens: Alle
radikalen Fundamentalisten erwarten einen militanten Messias, befürworten
den Heiligen Krieg gegen Andersgläubige, geben sich grenzenlosen
Zerstörungsphantasien hin und streben die Weltherrschaft an. In den letzten
Jahren ist die Faszination am kriegerischen Messianismus immer attraktiver
geworden, nicht nur in den monotheistischen Religionen, sondern auch in den
asiatischen, im Hinduismus und selbst im Buddhismus.
Warum?
Victor Trimondi: Eine der Ursachen ist das Ende der
säkularen Utopien des 20. Jahrhunderts. Der Kommunismus, der Faschismus,
aber auch der Fortschrittsglaube gehören der Vergangenheit an. Heute werden
Bedürfnisse nach radikaler gesellschaftlicher Veränderung durch religiöse
Heilserwartungen befriedigt.
Victoria Trimondi: Ein weiterer Grund sind die Konflikte im
Nahen und Mittleren Osten. Hier finden Kriege auf biblischen Territorien
statt, die alle in den apokalyptischen Schriften der drei monotheistischen
Religionen genannt sind, an zentraler Stelle Jerusalem mit dem Tempelberg
und natürlich Irak.
Viele westliche
Intellektuelle und Politiker gehen davon aus, dass es letztlich um
Machtinteressen geht – und dass der religiöse Jargon nur vorgeschoben ist .
. .
Victor Trimondi: Macht und Religion müssen sich ja nicht ausschliessen, sondern können sich ergänzen. Religion
wird heute immer weniger als Privatangelegenheit, sondern als Politik
verstanden. Das gilt ganz besonders für die fundamentalistischen
Strömungen.
Auch im christlichen
Umfeld?
Victor Trimondi: Absolut. Nicht nur die Islamisten, auch
die fundamentalistischen Christen in den USA fordern einen Gottesstaat und
die Entmachtung des säkularen Staates. In letzter Zeit können wir jedoch
eine Verschiebung in den Feindbildern der Fundamentalisten aller
Glaubensrichtungen beobachten: Der Feind Nr. 1 ist nicht mehr der säkulare
Staat, sondern der Andersgläubige.
Herr Schwendener, wie beurteilen Sie die Gefahr des
Fundamentalismus bei den Christen?
Andreas Schwendener: Ich möchte die Frage nach dem
Fundamentalismus von kriegerischen Konnotationen lösen. Man sollte sie in
Beziehung zum Schicksal der Menschen setzen. Viele haben heute mit einer
aufgeklärten Sichtweise Mühe und leiden an einem Sinndefizit. Die Religion
erlaubt ihnen, ihr Leben in einen grösseren
Sinnzusammenhang zu rücken.
Apokalyptische Texte
wie die Johannesoffenbarung üben eine grosse
Faszination aus. Man fühlt sich bedeutend, weil man auf der Seite des Guten
gegen das Böse kämpft . .
Andreas Schwendener: . . . hier tut eine seriöse
theologische Arbeit Not, die die Apokalypse im Kontext ihrer Entstehungsgeschichte
erläutert. Die Johannesoffenbarung ist nicht vom Himmel gefallen, sondern
von Menschenhand geschrieben – und zwar in einer Zeit, in der sich die
Christen gegen Rom wehrten.
Auf Ihrer Homepage
bezeichnen Sie die Johannesoffenbarung als «frohe Botschaft von der Ankunft
des Gottesreiches».
Andreas Schwendener: Ich beziehe mich auf das, was Jesus am
Anfang seines Auftretens verkündet: Das Reich Gottes ist nahe, tut Busse.
Er knüpft an die Propheten an, die vom Kommen Gottes sprechen, der
Gerechtigkeit will. Das Christentum ist nicht nur eine Religion, die
individuelle Frömmigkeit kultiviert, sondern zum Frieden und zur Liebe
befreit. Ich sehe in der Johannesoffenbarung Ansätze zur Vision eines
friedlichen Zusammenlebens der Völker. Es gibt viele Widerstände dagegen,
aber das Reich wird kommen.
Das ist eine gewagte
Interpretation der Offenbarung . . .
Andreas Schwendener: . . . mag sein. Aber genau das reizt
mich.
Victor Trimondi: Einspruch. Die Apokalypse ist keine frohe
Botschaft, sondern ein universelles Strafgericht, das mit unglaublicher
Grausamkeit durchgeführt wird. Der Weg ins kommende Paradies am Ende der
Zeiten ist mit Hekatomben von Toten gepflastert. Ich halte das dualistische
Denken von Gut und Böse in der Apokalyptik aller Religionen für grundlegend
falsch. Wenn schon, Herr Schwendener, würde ich
als Christ die Pfingstbotschaft stark machen wollen, das Wehen des heiligen Geistes, der Frieden und Verstehen in die Welt
bringt.
Andreas Schwendener: Die Pfingstbotschaft ist die
Anfangskraft. Dann gibt es Widerstände gegen Gottes Wort, das in die Welt
kommt, gegen Frieden und Liebe – die Überwindung dieser Widerstände wird in
der Apokalypse beschrieben.
Victoria Trimondi: Sie sprechen als Christ – aber dasselbe würde
ein Buddhist, ein Hindu oder ein Moslem sagen. Jeder erwartet, dass sein
Messias als Friedensbote und als Richter kommt, das heisst
als Richter über die Andersgläubigen. Die Apokalyptiker der verschiedenen
Religionen schaukeln sich gegenseitig hoch, indem sie den Gott des anderen
zu ihrem Teufel machen und umgekehrt. Deswegen liegt in der Apokalypse der
ideologische Stoff für den Religionskrieg.
Andreas Schwendener: Das führt nirgendwohin. Wenn man nur
halbwegs aufgeklärt ist, erkennt man, dass alle Religionen gleich
funktionieren. Diese Einsicht sollte sie verbinden statt trennen.
Das setzt voraus, dass
man sich von der wörtlichen Lektüre der Heiligen Texte löst.
Andreas Schwendener: Es ist ohnehin klar, dass jeder Leser der
Heiligen Schriften die Texte interpretiert, ob er es weiß oder nicht . . .
. . . das ist aus
westlich-aufgeklärter Sicht gesprochen. Solange der Leser nicht weiss, dass er interpretiert, hat er den Anspruch, die
Schriften auf die einzig mögliche Art und Weise zu lesen. Umgekehrt läuft
natürlich ein distanziert-interpretatorischer Zugang zu den Schriften auch
Gefahr, den Glauben seiner Authentizität zu berauben. Am Ende hat man einen
aufgeklärten, aber zahnlosen Glauben.
Victor Trimondi: Es ist so, dass fundamentalistische Bewegungen
nicht nur einen starken, ja geradezu fanatischen Glauben haben, sondern
sich auch sozial aufopfernd engagieren. Die Hamas oder die
Moslem-Bruderschaft setzen sich mehr für die Armen ein als der Staat, in
dem sie leben. Dasselbe gilt mit Einschränkung auch für fundamentalistische
Christen in den USA. Der Fundamentalist ist frommer und mutiger als der
Mainstream-Christ. Was wir brauchen, ist ein dritter Weg: eine engagierte,
humanistisch ausgerichtete Frömmigkeit.
Der Konflikt zwischen gelebtem und korrektem Glauben findet auch
innerhalb der christlichen Kirchen statt. Wie sieht der Pfarrer die
Situation?
Andreas Schwendener: Wörtliche Interpretationen wirken
ganzheitlicher, inspirieren die Leute. Das führt in den Freikirchen zu mehr
Engagement für den Glauben. Aufgeklärt predigende Pfarrer in den
Landeskirchen hätscheln die Seele der Gläubigen und warnen vor
Fehlinterpretationen. Man hat Angst vor dieser missionarischen Frömmigkeit,
die nicht nur verbindet, sondern auch ausgrenzt.
Wie stehen Sie zu
diesen Bewegungen?
Andreas Schwendener: Ich suche das Gespräch. Das macht auch
die reformierte Kirche: Die Frontstellung zwischen Landes- und Freikirchen
ist längst aufgeweicht, wir wollen voneinander lernen.
Victor Trimondi: Es wäre schön, wenn diese Gespräche im
Sinne eines humanen Christentums und toleranten Weltbürgertums fruchtbar
wären. Ich habe da so meine Skepsis. Weshalb gibt es in den Endzeitvisionen
nicht das Bild von einem pazifistischen und humanistisch eingestellten
Messias, der mit einem Olivenzweig in der Hand und mit überzeugenden Worten
den Menschen aller Religionen den Frieden bringt? Das wäre eine Offenbarung
der Toleranz und Gnade ohne Weltvernichtung.
Sehen Sie die
Möglichkeit einer humanistischen Frömmigkeit, wie sie die Trimondis vorschlagen?
Andreas Schwendener: Ich halte den Humanismus für ein
realistisches Menschenbild: Er weiß um die Zerstörungskraft des Menschen,
aber auch um dessen Friedenspotential. Es sollte doch möglich sein, ein
Gespräch zu führen, in dem die verschiedenen religiösen Erkundungen der
menschlichen Seele zusammenkommen. Die Basis eines solchen Gesprächs wäre
die Vernunft. Die Vernunft ist ein Geschenk Gottes an den Menschen – darin
sind sich alle Religionen letztlich einig.
Aufgezeichnet
von René Scheu
Victor und Victoria Trimondi: Krieg der Religionen. Politik , Glaube und
Terror im Zeichen der Apokalypse
(Fink-Verlag 2006)
Der Pfarrer und die
Offenbarung
Hat die Johannesoffenbarung
im Neuen Testament mit ihren furchteinflössenden
Szenen und Gestalten nicht etwas von einem Horrorfilm? Andreas Schwendener denkt nach. Sie sei eher ein Albtraum,
erschreckend, aber zugleich offen auf alle Seiten – und deshalb
deutungsbedürftig. Seit zwei Jahren beschäftigt sich der reformierte
Pfarrer mit dem umstrittensten Buch der Bibel, das der Reformator Luther am
liebsten aus dem Kanon gestrichen hätte. In seinem Studienurlaub im Herbst
2005 besuchte Schwendener die sieben Gemeinden im
heutigen Anatolien, an die Johannes von Patmos seine Vision vom Jüngsten
Tag richtet. Die Eindrücke seiner Reise hat er auf einer der Offenbarung
gewidmeten Internet-Seite zugänglich gemacht.
Der 52-jährige Pfarrer,
der seit über zehn Jahren den St. Galler Kirchenboten leitet, sucht nach
immer neuen Zugängen zu dem, was er den göttlichen Kosmos nennt. Aber muss
es gerade die Johannesoffenbarung sein? Warum lädt er Theologen und Kulturwissenschafter wie die Trimondis,
die sich damit schwer tun, nach St. Gallen ein? «Wie die Genesis versucht,
die Welt vom Anfang her darzustellen, so versucht die Apokalypse, die Welt
vom Ende her zu sehen.» Und das Ende ist – wenigstens in Schwendeners Perspektive – für alle Menschen gut: «Die
Zukunft der Welt ist in Gottes Hand.»
Mit einer Sprache, die
zuweilen esoterisch anmutet, will sich Schwendener
einen Reim auf diese Welt machen. Er liest und reist. Was kommt nach der
Apokalypse? Vorerst, meint er, gebe dieses Buch mit sieben Siegeln noch
genug zu denken.
«Die radikalen
Fundamentalisten aller Religionen erwarten einen militanten Messias,
befürworten den Heiligen Krieg gegen Andersgläubige, geben sich
grenzenlosen Zerstörungsphantasien hin und streben die Weltherrschaft an.» (Victor Trimondi)
René Scheu
Quelle: http://www.tagblatt.ch/altdaten/tagblatt-alt/tagblattheute/hb/hintergrund/art875,34243
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