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Mittelmeerdebatte

 

Die griechischen Mythen berichten – wie es insbesondere Robert (Ranke) Graves gezeigt hat – von Kämpfen und Kriegen zwischen androkratischen und gynokratischen Gesellschaften im Mittelmeer der frühen Bronzezeit. Es wird heute von der modernen Altertumsforschung kaum mehr bezweifelt, dass die mediterranen Gendermythen einen geschichtlich-sozialen Kern haben. Der „Geschlechterkrieg“ im Mittelmeer, der in der hier veröffentlichten Mittelmeerdebatte zur Diskussion gestellt wird, endet jedoch nicht, wie man glauben könnte, mit der imperialistischen Einverleibung der gesamten Region durch Rom. So berichtet die historisch verbürgte Geschichte von der Berberkönigin Kahena, wie sich erneut eine Frau gegen eine imperiale Macht erhebt, aber diesmal sind es nicht Griechen oder Römer, sondern das muslimischen Eroberungsheer, das den ganzen Maghreb unterwerfen wird. Dieser bemerkenswerte militante Widerstand einer Kriegerin gegen den Islam, findet in einem Gebiet statt, wo Hunderte Jahre vorher das patriarchale Rom gegen Karthago kämpfte und sich durch seinen Sieg das Tor zur Weltherrschaft öffnete. In ihrem Beitrag Das Ithaka-Projekt vergleichen Victor und Victoria Trimondi die Kahena-Geschichte mit Virgils Mythos von Dido und Äneas.

 

Der folgende Artikel der Publizistin Anat Kalman über die Königin Kahena ist die Kurzfassung eines Beitrages für den „Südwestrundfunk vor Mitternacht“ (Dr. Herbert Antl, Feuilleton)  (http://storage.canalblog.com/31/80/571142/36127465.doc)

 

 

Kahena – die vergessene Königin von Ifrikia

 

von Anat Kalman

 

Der Feldherr Hassan Ibn Noomane fragte, wer denn der mächtigste Prinz sei. Da nannte man ihm zu seiner großen Verwunderung eine Frau, die über die Berber herrsche. Mächtig sei sie und eine Magierin. Ihr Name, so hieß es, sei El Kahena... (1)

                                         

Karl Martell aus dem Kaisergeschlecht der Karolinger, der 732 unserer Zeitrechnung in der Schlacht bei Tours und Poitiers die Araber besiegt hat, ging als ruhmreicher Kämpfer in die Geschichte ein. - Doch wer hat je etwas von Dahia, der Königin Kahena gehört? Von jener Frau, die vierzig Jahre zuvor im Aures-Gebirge, im heutigen Algerien, die gleiche Schlacht gegen die arabischen Eroberer führte und schließlich dem Feldherrn Hassan Ibn Noomane unterlag? Die Araber waren zu dieser Zeit bereits auf dem Weg nach Europa. Und die Niederlage der Kahena machte aus dem mächtigen heidnisch-jüdisch-christlichen Nordafrika mit seinen großen kosmopolitischen Städten wie Alexandrien, Cyrene und Karthago einen festen Bestandteil der arabisch-islamischen Welt. Damals, vor 1300 Jahren waren die Landschaften Nordafrikas noch nicht von der Wüste beherrscht, sondern fruchtbares Ackerland, mit saftig-grünen Weiden und bewaldeten Bergen. Das Christentum war faktisch Staatsreligion (2) und neben den Berbern, den Ureinwohnern Nordafrikas, lebten dort unter anderem auch viele Griechen und Römer. 

                                         

Über die Königin Kahena berichten nur wenige Quellen. Die älteste Erzählung stammt aus dem 9. Jahrhundert unserer Zeitrechnung vom arabischen Schriftgelehrten Ibn Abd Al Hakam (3), der sie zum ersten Mal erwähnte. Danach ging der größte arabische Geschichtsschreiber Ibn Khaldoun (4) im 14. Jahrhundert noch einmal ausführlich auf sie ein. Aber auch im Volksmund sind noch Erinnerungsfetzen vorhanden. Um ihnen zu begegnen, muss man nach Algerien in die Nähe des Aures-Gebirges fahren. Dort kann man den Erzählungen vom sagenhaften Brunnen Bir-El-Kahena lauschen, jenem Brunnen, an dem die Kahena, die Königin der Berber angeblich geköpft wurde und den es immer noch geben soll, obwohl bis heute keiner wirklich sagen kann, wo dieser Brunnen steht. Denn "es heißt, dass Hassan Ibn Noomane ihr den Kopf abschlug, ihren Körper dann in einen Brunnen werfen und ihren Kopf im Galopp nach Arabien bringen ließ. Doch Touristen, die davon gehört hatten und sich aufmachten, diesen Brunnen zu suchen, kamen nur enttäuscht zurück. Denn in fast jedem Ort zeigten ihnen Willige viele solcher Brunnen, die sie für den Bir-El-Kahena ausgaben." (5)

                                         

So ist die Königin Kahena bis heute eine Geheimnis umwobene, unbekannte Persönlichkeit, was wiederum zu Spekulationen anregte, die behaupten, dass sie eigentlich nur eine mythische Figur sei und überhaupt keine real existierende historische Person. Will man aber dem mittelalterlichen arabischen Geschichtsschreiber Ibn Khaldoun Glauben schenken, so war sie eine Frau  mit ganz besonderen Talenten. Diese Frau besaß die Fähigkeit die Zukunft vorauszusehen und was sie ankündigte, traf auch immer ein. Man sprach auch viel von dem Einfluss und der Macht, die sie über andere besaß. Und man war sich sicher, dass nur ihr Tod, den Aufständen der Berber ein Ende setzen konnte. Denn seit dem Tod des Führers Koceila hatten sich die Berber ihr angeschlossen. (6)

                                          

Man sagt, die Königin Kahena  hieß ursprünglich  Dahia, auch Damia oder Dinah und den Namen “Kahena” oder “Kahiya”  habe sie erst viel später bekommen, als weibliche Form des hebräischen Namens “Cohen”, was darauf hindeute, dass sie eine Priesterin, eine Marabout, eine Magierin gewesen war. Cohen” hießen bei den Juden nur die Hohenpriester,  im Arabischen heißt es in seiner maskulinen Form übersetzt "der Rabbiner". Die Kahena soll dem Stamm der Djeraoua angehört haben, die sehr wahrscheinlich Mitte des 4. Jahrhunderts unserer Zeitrechnung in die Gebirgszüge des Aures, im heutigen Algerien eingewandert waren. Woher sie kamen, weiss man nicht. Das Besondere an ihnen war jedoch, dass sie den jüdischen Glauben praktizierten. Darum war auch Dahia, die Kahena, Jüdin und Berberin zugleich. Wann sie geboren wurde, weiß niemand. Vermutlich in den Jahren, in denen die so genannten “ersten vier Khalifen” aus Arabien bis nach Nordafrika vordrangen, zwischen 640 und 648 nach Christus. Omar, der  “Beherrscher der Gläubigen” hatte zu dieser Zeit bereits Syrien und Palästina erobert. Damaskus war unter die Herrschaft des Islam gefallen und auch Jerusalem. Im Jahre 642 unterlag Ägypten dem Feldherrn Amr Bin Alass, der 645 dann die libysche Stadt Barka erreichte. Die sogenannten ersten vier Khalifen eroberten Nordafrika bis Tripolis. Vierzehn Jahre später drang der Feldherr Okba Ibn Nafi dann zum ersten Mal in Ifrikia ein, dem Reich der Djeraoua und der Ouareba, dem heutigen Tunesien und Algerien. Dort traf Okba Ibn Nafi zunächst auf den Berberstamm der Ouareba, die unter ihrem Führer Koceila zum Christentum übergetreten waren. Er konnte sie jedoch nicht besiegen und kehrte zunächst nach Arabien zurück. Zehn Jahre später kamen die Eroberer dann aber wieder, diesmal unter der Führung von Hassan Ibn Noomane, der nun gegen die vereinten Kräfte von Berbern und die Griechen kämpfen musste. Dabei kam König Thabet des Berberstammes der  Djeraoua ums Leben.

                                         

In diesem entscheidenden Moment trat die Kahena in der arabischen Geschichtsschreibung als Tochter von Thabet in Erscheinung. Im Jahr 683 unserer Zeitrechnung,  zog sie als Nachfolgerin ihres Vaters  mit ihrer Armee gegen Hassan Ibn Noomane in die Schlacht und  siegte.  Doch der  Waffenstillstand von 683, in dessen Folge die Kahena zur Königin von Ifrikia wurde, hielt  nicht lange an. Der Khalif Abd Al Malik schickte Hassan Ibn Noomane fünfzehn Jahre später erneut nach Ifrikia. Dieser griff nun Karthago an und machte es im Jahre 698 dem Erdboden gleich.  Die Kahena stand damals noch auf dem Höhepunkt ihrer Macht und in der Schlacht an dem kleinen Fluss Meskiane konnte sie Hassan Ibn Noomane noch ein letztes Mal in die Flucht schlagen.  Dabei soll sie von der Idee besessen gewesen sein, die Araber unter allen Umständen aus Ifrikia zu vertreiben. Kreuz und quer soll sie durch ihr Land geritten sein und die Bevölkerung dazu aufgerufen haben, ihre eigenen Städte und Dörfer dem Erdboden gleichzumachen und alles zu zerstören und zu verbrennen, damit die Araber nichts mehr vorfinden und so wieder abziehen.  Die arabischen Geschichtsschreiber berichten, dass sie dort, wo die Menschen ihrer Politik der verbrannten Erde nicht folgten, selbst zerstörte, was ihr in die Hände fiel. Und so soll sie sich in jenen Tagen in einen gefürchteten,  grausam tobenden Racheengel verwandelt haben.  Der israelische Forscher Haim Hirschberg stieß Ende der Sechziger Jahre in der algerischen Stadt Constantine, die am Rande des Aures-Gebirges liegt, auf ein altes jüdisches Gedicht, das aus der Kahena die “Kahiya” macht - eine blutrünstige, grausame Herrscherin. Eine Herrscherin, die nicht davor zurückschreckte, jene furchtbar zu strafen, die sich ihrem Willen widersetzten. Denn so heißt es in diesem Gedicht: Oh Sohn Jeschuruns - vergiss’ sie nicht - Deine Vorfahren - die Chaldäer, Cäsar, Adrian - und die Kahiya... jene Verfluchte - grausamer als  alle anderen  - sie gab ihren Kriegern unsere Jungfrauen - sie wusch im Blut unserer Kinder sich ihre Füße - Gott schickte sie uns, um unserer Sünden willen  - aber Gott hasst jene, die sein Volk leiden lassen - Gib’ mir meine Kinder zurück - damit sie an meinem Grabe weinen - ich habe sie gelassen - in den Händen der Kahiya....(7)

                                         

Die Kahena kämpfte jedoch weiter, bis sie im Gabes-Gebirge die arabische Armee erblickte. Diese holte sie schließlich ein und tötete sie. Der Krieg war so beendet und Hassan Ibn Noomane machte sich daran, die neue Verwaltung des Landes aufzubauen. Der Kopf der Kahena wurde nach Arabien gebracht, als Beweis dafür, dass nun auch Nordafrika endgültig unter der Herrschaft des Halbmondes stand. Bis zur vollkommenen Islamisierung Nordafrikas dauerte es jedoch noch rund 300 Jahre. Dabei sind nur  einige wenige jüdischgläubige Berberstämme ihrem ursprünglichen Glauben treu geblieben.

                                          

Bis heute konnten Historiker nicht klären, wie es überhaupt möglich war, dass es jüdischgläubige Berberstämme gab. Denn neben den christlichen Berberstämmen waren die Djeraoua nicht die einzigen jüdischgläubigen gewesen. Ibn Khaldoun nennt noch weitere: die Fendeloua, die Behloula, die Rhiata, die Nefouca.  Sie kannten den Talmud nicht und wurden von den in den Küstenstädten Nordafrikas lebenden Juden darum oft verachtet. Woraus Ibn Khaldoun schloss, dass es sich bei ihnen um zum Judentum übergetretene Berber handelt. Ein Teil der Berber war jüdischen Glaubens. Eine Religion, die sie von ihren mächtigen Nachbarn, den Israeliten aus Syrien übernommen hatten. Erst Idris I. rottete alle nicht-muslimischen Religionen vollkommen aus. Und setzte der Unabhängigkeit der verschiedenen Stämme ein Ende. Historisch belegbar ist das jedoch nicht. Es könnte sich auch um Teile jener israelitischen Stämme handeln, die noch vor unserer Zeitrechnung, im Jahre 721 von den Assyrern und 598  von Nebukadnezar II bei der Zerstörung Jerusalems verjagt wurden, über den Nil nach Nordafrika gelangten, sich dort  mit anderen Völkern vermischten und dabei ihrem Glauben treu blieben. Die Berberjuden kannten den Talmud nicht, jenen jüdischen Gesetzeskodex, der erst viel später von den Stämmen Juda und Benjamin im babylonischen Exil verfasst wurde, was darauf hindeuten könnte, dass die jüdischgläubigen Berber zumindest teilweise auf jene Verjagten zurückgehen, die die Entstehung des Talmuds nicht mehr miterlebt haben. Dieser Meinung war jedenfalls der jüdische Philologe Nahoum Slousch, der von den “Yehoud-el Arab”  als den „jüdischen Nomaden“ spricht,  die sich in Nordafrika niedergelassen haben. Dies führte er in einem Vortrag aus dem Jahre 1911 weiter aus.  Die Königin Kahena stammte meiner Meinung nach aus einer alten aaronitischen Priesterfamilie in Jerusalem. Denn als Kahena  konnte sie, wie die Cohanim - die Hohenpriester des Jerusalemer Tempels - die Zukunft voraussagen. Ausserdem sagen die arabischen Quellen, dass die Kahena 120 Jahre alt war, als sie unter dem Schwert von Hassan Ibn Noomane starb. Diese Zahl ist aber lediglich ein altes jüdisches Symbol, denn Moses soll mit 120 Jahren gestorben sein. Daher gibt sie nicht das wahre Alter an, sondern deutet nur daraufhin, dass die Kahena  nicht mehr jung war. (8)

 

Unklar bleibt jedoch, warum der Name “Cohen” in weiblicher Form auftritt, da es keine jüdische Tradition ist, aus Frauen Priester zu machen. Diese und andere Fragen konnten bislang weder von der Archäologie, noch von der Geschichtsforschung eindeutig beantwortet werden, weil selbst sprachwissenschaftlich kaum zu bestimmen ist, aus welchen  Völkern die einzelnen Berberstämme hervorgegangen sind.  Auch hier blühen Mythen und Legenden: neben der vermuteten israelitischen Herkunft,  gibt es die These, dass die Kabylen jemenitischer Abstammung seien und von den Touareg heißt es sogar, sie seien die Nachfolger der Überlebenden von Atlantis. Berberstämme gibt es auch heute noch viele. Von Ägypten über Libyen,  Tunesien,  Algerien bis nach  Marokko. Man kann   sagen, dass die Bevölkerung Nordafrikas mehrheitlich berberischer Herkunft ist. Sie sprechen zwar Arabisch, aber  ethnisch sind sie keine Araber. In Marokko unterscheidet man drei große Berbergruppen. Die Rif im Norden, die Tamazigt in Zentralmarokko und  die Chleu im Süden. In Algerien gibt es vor allem die Kabylen und die Touareg, um nur einige zu nennen. Die neuesten Ausgrabungen in Algerien ergaben allerdings, dass hier schon 1500 vor Christus Stämme gelebt haben, die, betrachtet man die Figuren und andere Fundobjekte,  durchaus zur Berberkultur zählen können. Was  beweisen würde, dass die Berber in Nordafrika eine sehr lange Tradition haben. Und ihre Dialekte gehören wahrscheinlich  - denn auch das ist nicht ganz genau zu definieren - zur Familie der hamito-semitischen Sprachen, zu denen auch das Altägyptische zählt.

  

Die Kahena tauchte ja  in erster Linie  in der islamischen Geschichtsschreibung des Mittelalters auf. Erst viel später, während der Freiheitskämpfe gegen die französischen Kolonialherren im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert wurde sie dann in der arabischen und dann auch in der französischen Literatur zur Symbolfigur des Widerstandes. Da man sehr wenig über sie wusste, verwandelte sie sich in den modern literarischen Versionen der französischen Literatur  in eine außergewöhnlich schöne, wilde und freiheitsliebende Amazone.  Da sie sehr schön war, hielten die mächtigsten Stammesführer um ihre Hand an. Sie aber lehnte alle ab. Auch jenen jungen Mann, der bekannt war für seine Grausamkeit und sein zügelloses Leben. Aus welchem Grund auch immer hatte ihr Vater Thabet jedoch genau diesen zum Thronfolger bestimmt. Und als er dann nach dem Tode von König Thabet den Thron der Djeraoua bestieg, herrschte er grausam und ungerecht. Bis die Kahena sich schließlich entschloss, ihr Volk von diesem zu befreien und ihn kurzerhand heiratete. Denn kaum hatte sie sich ihm scheinbar hingegeben, da stieß sie ihm einen Dolch tief in die Brust. Das Volk aber feierte sie als seine Befreierin und ernannte sie zu seiner Königin. (9)   In ihrem  1925 erschienen Roman der Kahena  beruft sich die französische Schriftstellerin und weit gereiste Nordafrikakennerin  Magali Boisnard dagegen auf “alte arabische Quellen”, als sie die Kahena zur schönen Amazone und Geliebten des  Führes Koceila macht. Zu diesen Quellen gehört auch die Geschichte der Berber von Ibn Khaldoun, der tatsächlich darauf verweist, dass der christliche Führer Koceila  der wahre Nachfolger von Thabet gewesen war und dass ihm sogar die jüdischen Stämme folgten. Er soll dann um 686 unserer Zeitrechnung gestorben sein.    Sie zog die wertvollen gelben und orangenen Seidenlaken sachte über ihren makellosen Körper und lag in seinen Armen, als Koceila, der Führer der  Ouareba ihr die Bedeutung des Namens Ifrikia erklärte - jenes Tal, in dem sie beide lebten und das bis an den Horizont des Himmels zu reichen schien. “Ifrikia” soll  “Königin des Himmels” bedeuten. Andere sagen aber, es war der Name eines Kriegers - Ifricos - der mit seiner Armee durch das Land der Berber zog. Wieder andere sagen - und dies ist die Geschichte, die mir am besten gefällt, dass Ifrikia ursprünglich Lybia hiess, wie die Tochter des Yacoucha, des Sohns  von Yannoch, dem Erbauer von Memphis in Ägypten. Diese Lybia war eine große Frau und Du wirst ihre Nachfolgerin - denn wir werden dem Land der Berber Deinen Namen geben. Aus Lybia werden wir Dahia machen. (10) Bis heute erzählt man sich in Algerien, dass die Kahena zunächst eine Herrscherin war, die Zufriedenheit und Frieden über ihr Volk brachte. Über 10 Jahre lang. Es waren Jahre, in denen jeder Stamm sich selbst verwalten durfte, in denen man dafür sorgte, dass es den Armen etwas besser ging und in denen Gerechtigkeit und Großzügigkeit geherrscht haben sollen. Außerdem war sie Mutter von zwei Söhnen.  Ifran und Yazdiyan. Wer ihr Vater war, geht aus den Quellen nicht hervor. Doch der tunesische Historiker und Intellektuelle Muhamed Talbi meint, dass diese Namen durchaus authentisch sein könnten und vielleicht sogar auf zwei verschiedene Väter verweisen. Ifran sei berberischer Herkunft, während Yazdiyan von deus - dius - aus dem Lateinischen abgeleitet sein soll und auf eine christliche Herkunft deute. Was letztlich aber auch nicht ausschließt, dass auch Koceila ihr Vater sein könnte. Beide Söhne  -  Ifran und Yazdiyan - spielten dann später bei der Machtübernahme von Hassan Ibn Noomane eine ganz wesentliche politische Rolle, denn sie, so will es die Legende, unterwarfen sich dem muslimischen Eroberer und traten zum Islam über. Hier setzten nun eine ganze Reihe arabischer Theaterstücke und Romane an. Wie etwa das  1957 uraufgeführte Theaterstück El Kahena des algerischen Autors Ahmed Djelloul, in welchem die Seele Kahenas durch den Übertritt ihrer Söhne zum Islam gerettet wird und letztendlich sogar in den letzten Momenten vor ihrem Tod ein Glaubensbekenntnis ablegt: "Alles wird plötzlich so hell. Ein wunderbares Licht erscheint dort. Es ist das Licht des wahren Glaubens, des Islam, das sich nun bei uns verbreitet. Oh Herr, lass' mich Deine unübertreffbare Größe anbeten! Die Söhne der Kahena, der Streitbaren, haben meine Seele vor der schrecklichen Hölle gerettet. (11)

 

Fast zur gleichen Zeit, das heißt, in den Jahren des Algerienkrieges, den Frankreich von 1954 bis 1962 führte, erschien der französische Roman La Kahena der Schriftstellerin Marcelle Magdinier, die  die Kahena nun ganz im Gegenteil zu Ahmed Djelloul als jene Kraft preist, die sich für alles “Europäische” einsetzte. Stammte sie denn nicht aus dem gleichen Geschlecht wie der Heilige Augustinus und warf sie nicht die Araber aus Ifrikia hinaus, wie Jeanne d’Arc die Engländer aus Frankreich? Marcelle Magdinier macht aus ihr eine Verbündete der französischen Kolonialherren. Denn damals war die Kahena den Arabern unterlegen. Doch nun bringt das große Frankreich das “Alteuropäische” wieder nach Nordafrika zurück, so Marcelle Magdinier. Darum mündet ihr Roman in ein Treffen im Jenseits, wo sich Dahia, die Kahena mit Jeanne d'Arc, der Johanna von Orléans und dem Heiligen Augustinus persönlich unterhält, bis der große Heilige den beiden Heldinnen gesteht. "Oh Jeanne und Dahia, ihr wisst nicht, wie ähnlich ihr euch seid! Trotz aller Unterschiede. Sicher, Dahia, du hast nach christlich moralischen Grundsätzen gesündigt. Aber Dein Ziel, das Du verfolgtest, reinigte Dich wieder von der Sünde. Außerdem war ich selbst einst in Karthago alles andere als ein keuscher junger Mann gewesen. Auch ich war dem Feuerdunst des Luxus und der Lust erlegen. Aber ihr beide habt für das gleiche Ideal gekämpft. Die Araber wollten den Aures besitzen und die Engländer Frankreich. Und ihr allein habt den Mut und den Willen besessen, dagegen aufzubegehren." (12) Darum nennt man die legendäre Kahena seit Anfang de 20. Jahrhunderts auch die "Jeanne d'Arc d'Afrique du Nord" und als solche wird sie vor allem wieder seit dem Berber-Frühling von 1980 wieder betrachtet. Vor allem von zeitgenössischen algerischen Dichterinnen, wie Zerfa Sahraoui oder  Salima Aït-Mohamed.  Für beide symbolisiert sie « das ewige Gebet um Freiheit » Das  zur Zeit wieder zunehmende Interesse für die Kultur und Geschichte der Berber,  sowie der Kampf um die Erhaltung der Berber-Dialekte in den Ländern Tunesien, Algerien und Marokko lässt die legendäre Kahena wieder aus dem Dunkel der Vergangenheit auftauchen, um als schöne Legende die lange Zeit ausschließlich muslimische Version der nordafrikanischen Geschichte zu revidieren. So wie der algerisch-französische Historiker Lucien Ouhlabib. „Stellen Sie sich einmal vor, in einer Schule gibt  man nordafrikanischen Kindern eine Einführung in ihre Geschichte. Und man würde dabei weder auf den Koran, noch auf eine gemeinsame arabische Geschichte zurückgreifen. Statt dessen aber andalusisch-berberische Dichter vorlegen,  ihnen die Geschichte des Kaisers Justinian, des Marc-Aurel und des Bischofs Cyprian erzählen und ihnen die lateinischen Schriften vom Kirchenvater Tertullian und dem Heiligen Augustinus zu lesen geben. Mal ganz abgesehen von all den vielen anderen jüdisch-christlichen Figuren unserer berberischen Kultur - wie der Königin Kahena. Ich glaube,  sie würden in dieser Klasse nur Unverständnis und Aufruhr auslösen. Und doch ist das die Wahrheit. Das ist die wahre Geschichte von uns Berbern vor  der Islamisierung durch die Araber. Eine Geschichte, die eng mit Europa verbunden ist und trotzdem der muslimisch-arabischen Welt angehört.”  (13)

 

                                                                                                                       © Anat Kalman


Anat Kalman ist freie Korrespondentin und Publizistin (Reportagen, Hintergrundberichte, Feature und Hörspiele für alle öffentlich rechtlichen Radios Deutschlands) Seit 2004 Europabeauftragte des Freien Deutschen Autorenverbandes (FDA). Homepage: http://www.belanat.canalblog.com/


Anmerkungen

1./  Khaldoun, Ibn, Histoire Des Berbères et Des Dynasties Musulmanes De l'Afrique Septentrionale, Paris, 1925/1956, Band 1 p.2oo ff.

2./ cf. El-Bayan Histoire d’Afrique et de l’Espagne, Alger 1901 – El-Kairouani, Histoire de l’Afrique, 1845 – Zilling, Henrike Maria, Tertullian, Untertant Gottes und des Kaisers, Paderborn 2004

3./- arabsicher Geschichtsschreiber , 803-871 unserer Zeitrechnung

4./ arabischer Geschichtsschreiber, 1332-1406 cf:  Ibn Khaldun, Abdurahman M., Mokaddimat Ibn Khaldoun, Ed. Darweesh al-Jawydi, al-Maktaba al-Asriyah, Sidon-Beirut, 1995.  - Al-Asqalani, Ibn Hajar, Ad-Dorar al-Kaminah fi ‘Ayan al-Miah al-Thamina,[the Hidden Jewels in the notables of eight century] a Photostat copy of the Hyderabad edition (1929-1930). Dar Ihya al-Torath al-Araby, Beirut, n.d.  - Ibn Khaldun, The Muqaddimah, An Introduction to History, Tr. Franz Rosenthal, Bollingen Series XLIII. Princeton University Press, Princeton, 1967 3 Vols.  - Fischel, Walter J., Ibn Khaldun in Egypt: His public functions and his historical research (1382-1406) A study in Islamic Historiography, University of California Press, Berkeley 1967.  - Enan, Mohammad A., Ibn Khaldun: His life and Works, Kitab Bhavan, New Delhi, 1979.  - Mahdi, Muhsin, Ibn Khaldun’s philosophy of History: A study in the philosophic foundation of the science of culture, George Allen & Unwin, London, 1957.  - Issawi, Charles, An Arab Philosophy of history: Selections from the prolegomena of Ibn Khaldun of Tunis (1332-1406), the Wisdom of the East Series, John Murray, London, 1950.  - Lacoste, Yves, Ibn Khaldun: The birth of history and the past of the third world. Tr. David Macy. Verso, London, 1984.   -  Lawrence, David, Ed., Ibn Khaldun and Islamic Ideology, E. J. Brill, Leiden, 1984.  

5./ Jean Déjeux, Les Femmes d’Algérie, Paris 1987 p.21 ff

6./  Khaldoun, Ibn, Histoire Des Berbères et Des Dynasties Musulmanes De l'Afrique Septentrionale, Paris, 1925/1956, Band 1 p.215 ff

 7./ Jean Déjeux, les Femmes d’Algerie, ibid. –  Haim Hirschberg, History of the Jews in North Africa, Jerusalemn , Leiden 1974.p 26 ff

8./ Nahum Slousch,  La civilisation hébraique et phénicienne à Carthage, Paris 1911. p. 16 ff

9./ Magali Boisnard, Le Roman de la Kahéna, Paris 1925, p 13 ff

10./ ibid. – Didier Nebot, La Kahéna, Reine d’Ifrikia, Paris 1998, p. 19 ff

11./ Ahmed Djelloul, Al Kahena, Alger 1957, p 34

12./ Marcelle Magdinier, La Kahena, Paris 1952 p. 116

13./ Lucien Oulahbib, Les Berbères et le christianisme, Paris 2004 p. 2

© Victor & Victoria Trimondi