Mittelmeerdebatte
Seit Nicolas Sarkozy im Juli 2008
seine „Union für das Mittelmeer“ aus der Taufe gehoben hat, stößt die schon
seit mehreren Jahren diskutierte Frage nach einem mediterranen
Kulturparadigma wieder auf zunehmendes Interesse. Die Debatte erscheint
einsichtig und notwendig, da es nicht nur um die Schaffung eines
politischen, ökonomischen und ökologischen Raumes geht, sondern um eine Art
kultureller Identität beziehungsweise um eine kulturelle Vision für diese
Region. Aufgrund der Heterogenität der Kulturen in den mediterranen
Anrainerländern gestaltet sich jedoch der Versuch, einen gemeinsamen Nenner
zu finden, als äußerst schwierig. Am häufigsten wird das „andalusische
Modell“ vorgeschlagen, eingedenk des „goldenen Zeitalters“, in dem die
Gläubigen aller drei monotheistischen Religionen im muslimischen Andalusien
in fruchtbarem Austausch miteinander verkehrt haben sollen. (Gilles Kepel)
Für Kulturkritiker wie William I. Thompson ist die Mittelmeerkultur
endgültig passé und wurde in der Neuzeit durch die atlantische Kultur des
Kapitalismus abgelöst, während sich die Kultur der Zukunft in die
asiatischen und amerikanischen Anrainerländern des Pazifischen Ozeans
verlagern werde.
Im Jahre 2005 erschien als
Sondernummer der „Mediterranean Historical Review“ eine kleine Anthologie
zusammengestellt von dem Kulturwissenschaftler Irad Malkin mit dem Titel
„Mediterranean Pradigms and Classical Antiquity“. Aus den verschiedenen
Beiträgen zieht der Herausgeber den Schluss, die Geschichte, die Religionen
und die Kulturen der einzelnen Mittelmeerländer und Mittelmeervölker seien
so unterschiedlich, spezifisch und kontrovers, dass von einem gemeinsamen
mediterranen Kulturkreis etwa im Sinne von Max Weber oder Samuel Huntington
nicht gesprochen werden könne. Nicht das Einheitliche, Gemeinsame,
Kongruente habe seit jeher die Mittelmeerkultur bestimmt, sondern
Diversifikation, Mobilität, Dezentralisierung, Fluidität, Wandel,
Transgression, Unfestigkeit, Multikulturalität seien für die ganze Region
so typisch, dass ihnen geradezu ein paradigmatischer Charakter zukomme. Das
so definierte und neu erkannte „mediterrane Paradigma“ steht deswegen für
eine Kultur ständiger Veränderungen und neuer Begegnungen, die sich nicht
mehr um Zentrum-Peripherie-Modelle kümmert. Es habe deswegen einen globalen
Beispielswert für das Zusammenleben aller Kulturen auf unserem Planeten.
Ebenso wird an anderer Stelle das Mittelmeerepos par excellence, Homers „Odyssee“, als ein Topos für den
postmodernen Menschen herausgestellt, wenn auch mit einer Einschränkung.
Nur ein „ein Odysseus ohne Ithaka-Projekt“, so Wolfgang Welsch, könnte das
Urbild des postmodernen Menschen sein, ein Mensch, der sich die Irrfahrten
durch das Leben zum Ziel gemacht hat.
Wegen seiner bewusst gewählten
Unschärfe macht das von Irad Malkin und seinen Mitautoren vorgestellte
mediterrane Kulturmodell jegliche programmatische Gemeinsamkeit für die
Region, auf welchem Gebiet auch immer, unmöglich. Übergreifende kulturelle
Entwürfe oder Visionen, die den Horizont der einzelnen Anrainerstaaten
überschreiten, müssen danach als verfehlt erscheinen, selbst ein so
wesentliches Anliegen wie die Festigung der humanpolitischen Paradigmen.
Einen völlig neuen Ansatz
bringt das Kulturologenpaar Victor und Victoria Trimondi in die Diskussion.
Die beiden Autoren zeigen in einer Studie, wie die Mittelmeerkulturen das
Resultat eines seit Jahrtausenden geführten Paradigmenstreites zwischen
matriarchalen und patriarchalen Kulturkreisen gewesen sind, wie dieser
„Geschlechterkampf“ während der Bronzezeit in der Form von Kriegen
ausgefochten wurde, wie er später bis heute in mediterranen Mythen,
Religionen und Kunstwerken
weiterlebte und wie er entscheidend die europäische Psyche geprägt hat.
Davon ausgehend und unter Einbeziehung der modernen Gender-Debatte folgt
wie naturwüchsig, dass sich die neue Mittelmeerkultur an einem „Paradigma
der Geschlechterbegegnung“ orientieren könnte. V. und V. Trimondi haben
ihren Entwurf als „Ithaka-Projekt“ bezeichnet, um zu zeigen, dass die
„Irrfahrten“ durch die Kulturen und Religionen ein Ziel haben: Begegnung
und Heimkehr.
In
Deutsch
Das Ithaka-Projekt - Mediterrane Mythen,
Monotheismus und die Geschlechterfrage
Erläuternde Beiträge:
Anatomie
eines Selbstmords - Henry Purcell‘s Dido and Aeneas
Kahena – die vergessene
Königin von Ifrikia
En Français
Le projet Ithaque - Mythologie méditerranéenne,
monothéisme et le débat moderne sur la question du gender
La mondialisation et l’espace méditerranéen
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