Trimondi Online Magazin

Kritische Auseinandersetzung mit dem Buddhismus

 

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BUDDHISMUSDEBATTE

Zahlreiche Artikel zum Lamaismus finden Sie auch unter den Segmenten Hitler-Buddha-Krishna und Kritisches Forum Kalachakra. Siehe ebenfalls: Presseberichte und Interviews.

 

Lamaismus, Demokratie und Menschenrechte?

Verträgt sich der tibetische Buddhismus mit der westlichen Demokratie?

Lamaismus und Menschenrechte

Demokratie unter den Exiltibetern? von B. Stevens

 

Verträgt sich der tibetische Buddhismus mit der westlichen Demokratie?

Die westliche Welt durchlebt heute - trotz ihrer humanistischen Tradition - immer noch eine Sinnkrise. Das ist ein allgemein diskutiertes Thema. Traditionen der verschiedensten Glaubensrichtungen bieten sich an, dieses Wertevakuum zu füllen und haben einen großen Zulauf. Soweit die "neuen" und "alten" Religionen machtpolitische Ansprüche stellen (wie der Lamaismus schon seit Jahrhunderten), sollten sie jedoch nach den Grundsätzen der humanpolitischen Wertebildung des Westens (Toleranz, Gleichheit der Geschlechter, Unantastbarkeit der Persönlichkeit, Freiheit des Individuums) überprüft werden. Unserer Ansicht nach hält der tibetische Buddhismus einer solchen Prüfung nicht stand. Anders der Mahayana Buddhismus, mit dessen Ideen der Dalai Lama an die Weltöffentlichkeit tritt, während er das problematische Ritualwesen des Tantrismus verschleiert. Im Mahayana Buddhismus ist das Wertegefüge ("Mitgefühl mit allen lebenden Wesen") - unserer Ansicht nach - durchaus mit der Humanpolitik des Westens vereinbar, wenn auch - was die Rolle der Frau anbelangt - noch reformbedürftig. Es dürfte sogar bei der Neuformulierung einer globalen Ethik ("Weltethos") sehr nützlich sein.


Statement eines ehemaligen Buddhisten:

Lamaismus und Menschenrechte

von XXX

In letzter Zeit häufen sich in der Presse pro-buddhistische Artikel und Veröffentlichungen, wobei diese sich meist auf den durch den XIV. Dalai Lama, Tensin Gyatso, vertretenen Lamaismus bzw. Mahayana Buddhismus beziehen. Oft genug wird dabei die politische Tibet-Frage mit religiösen Fragen vermischt und die deutsche Tibet-Unterstützerszene bemüht sich eifrig darum, angebliche Gemeinsamkeiten in den (Mahayana-)buddhistischen Quelltexten und den Grundwerten der westlichen Demokratien herauszustellen.

 

Doch sind hier erhebliche Zweifel angebracht.

 

Das Fundament westlichen Denkens ist der Glaube an die Rechte des Einzelnen im Kontrast zu Ordnungen, in denen das Individuum nur einen austauschbaren und unbedeutenden Teil eines übergeordneten Ganzen darstellt und von diesem Ganzen dirigiert werden muss. Daraus leiten sich unser Verständnis der Menschenrechte, der Menschenwürde, die mehr umfasst als die physische Unversehrtheit, der gesetzlich garantierten bürgerlichen Rechte und unsere demokratische Staatsform ab.

 

Betrachten wir im Gegensatz dazu die Glaubensgrundsätze des Buddhismus und die politische Realität des tibetischen Staates vor 1959,so finden wir ein absolutistisches System ohne erkennbare Gewaltenteilung und Bürgerbeteiligung, das sich alleine aus seinen religiösen Traditionen heraus rechtfertigte.

 

Weltliche Kunst und Kultur waren, abgesehen von wenigen meist mündlich wiedergegebenen Volkssagen, so gut wie unbekannt. Die Bevölkerung bestand überwiegend aus halbnomadischen, teils rivalisierenden Clans und Stämmen, die bedeutendsten festen Bauwerke bestanden in den großen Klöstern, um die herum sich die wenigen dauerhaften Siedlungen des Landes scharten.

 

Tibetfreundliche Kreise stellen gerne heraus dass es in dieser lamaistischen Urgesellschaft keine Kasten, wie etwa im Hinduismus, gegeben habe, doch rechtfertigt sich daraus schon die Annahme einer quasimodernen, liberalen und egalitären Gesellschaft?

 

Statt vieler Kasten gab es im alten Tibet ein Zweiklassensystem, nämlich den Klerus (die Mönchsgemeinschaft, die ihrerseits einer starken hierarchischen Gliederung unterworfen ist) und die Laienbuddhisten, die ersteren untergeordnet waren. Auch heute wird in lamaistischen Kreisen häufig noch die Auffassung vertreten, der Lebenszweck eines Laienbuddhisten bestehe ausschließlich darin die Mönchsgemeinschaft zu ernähren und ihnen die banalen Dinge des Lebens abzunehmen.

 

Die Stellung einer Person in der Gesellschaft hängt nach buddhistischem Glauben vom Karma, also den Taten des Betreffenden in früheren Leben, ab. Es hat also alles seine Ordnung und Richtigkeit, weltliche und geistliche Macht sind nach der Logik einer höheren Ordnung legitimiert, ein Aufstieg ist bestenfalls in einem folgenden Leben denkbar.

 

Angesichts dieser Verhältnisse scheint es naiv zu glauben ,ein Einzelner hätte in dieser archaischen Gesellschaft die Möglichkeit gehabt, seinen Lebensweg, seinen menschlichen Umgang oder seinen beruflichen Werdegang frei zu wählen, von ernsthafter Gesellschaftskritik und Religionsfreiheit gar nicht zu reden.

 

Ferner gibt es allgemein im Buddhismus, nicht nur in seiner lamaistischen Variante, keine Grundlage für irgendwelche Menschenrechte. Es heißt zwar auch im Buddhismus dass man beispielsweise nicht töten solle, ein Recht auf Leben kann man dennoch nicht für sich daraus ableiten. Subtilere Rechte, wie beispielsweise das Recht auf Privatsphäre oder auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, also die Dinge die das Leben bei ehrlicher Betrachtung der Lage überhaupt erst lebenswert machen, sind im gesamten buddhistischen Kulturraum verpönt. Allgemein gesprochen empfindet ein Buddhist jedes Beharren auf oder Inanspruchnehmen von Rechten als eine Regung des Ego und damit als "unanständig". Als Beispiel für die gesellschaftlichen Auswirkungen einer derartigen Denkweise soll hier neben der traditionellen tibetischen Gesellschaft noch das durch den Zen-Buddhismus geprägte japanische Samurai-System genannt sein, das in Bezug auf die Bedeutung des Einzelnen eine Moral verherrlicht, die der eines Ameisenstaates nicht unähnlich ist.

 

Schlechte Voraussetzungen also dafür, den (Lippen-)Bekenntnissen populärer Buddhisten und Lamas zu dem westlichen System Glauben zu schenken. Man könnte jetzt einwenden dass dieses tibetische Gesellschaftssystem der Vergangenheit angehört und eine kleine, versprengte Gemeinde von Exiltibetern oder anderen Buddhisten wohl kaum einen gesellschaftlichen Wandel in ihrem Sinne in einem westlichen Land zuwege bringen wird.

 

Doch hier kommt die Verbreitung des lamaistisch-buddhistischen Glaubens als solches ins Spiel. Wenn wir, wie oben angedeutet, davon ausgehen können dass der (Mahayana-) Buddhismus sich nicht nur als fakultativer Heilsweg für freiwillige Aussteiger oder als Volksreligion, sondern als ein alle Lebensbereiche umfassendes, durch "Naturgesetze" legitimiertes, gesellschaftliches Ordnungssystem versteht, so ist es nur logisch anzunehmen dass ein Lama, der einem westlichen Schüler buddhistische Einweihungen erteilt, erwartet dass dieser auch das dahinter stehende Gedankengebäude übernimmt, also seine westlichen Ansprüche auf Souveränität seiner Person und den damit zusammenhängenden Rechten aufgibt.

 

Daraus ergibt sich eine doppelte Problematik: Zum einen ist dies übel für die betroffene Person selbst, zum anderen kann es auch in dem Masse, wie die buddhistische Gemeinde im Westen wächst, zu einem gesamtgesellschaftlichen Problem werden. Es könnte - im Extremfall - dazu führen dass ein antidemokratisches System auf demokratischem Wege eingeführt, oder sich in jedem Fall ein schleichender Wertewandel im negativen Sinne in der Bevölkerung vollziehen würde.

 

Ohne gleich in Panik zu verfallen ob dieser "heimlichen Revolution" scheint mir doch die Frage berechtigt, weshalb man die Buddhismusfrage nicht offen auf der gleichen Ebene diskutiert wie andere religiöse Gruppen, die nicht fest auf dem Boden westlicher, freiheitlicher und demokratischer Werte stehen.

 

© ein ehemaliger Buddhist

 

 

 

Demokratie unter den Exiltibetern?

von B. Stevens

Dieses Buch [Der Schatten des Dalai Lama] liefert mir endlich den schlüssigen Hintergrund für meine eigenen widersprüchlichen Erfahrungen in Sachen Tibet! Aus Betroffenheit über die Menschenrechtsverletzungen begann ich mich vor etwa zwölf Jahren intensiv mit der "Tibet-Problematik" zu beschäftigen. Das Grundmotiv meiner "Tibetarbeit" war von Anfang an, daran mitzuwirken, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf die Menschenrechtssituation dort zu lenken. Mein Hauptinteresse galt eigentlich nie dem tibetischen Buddhismus und dem Brauchtum, weshalb meine Kenntnisse in diesen Bereichen zunächst auch sehr oberflächlich blieben. Ausführlich beschäftigte ich mich aber mit der politischen Dimension der sogenannten Tibetfrage und der damit verbundenen Geschichte Tibets. Schon bald verstärkte ich mein Engagement und nahm an vielen Tibet-Konferenzen im In- und Ausland teil, bzw. habe aktiv mitgewirkt. Das war nicht immer sehr einfach für mich, da ich einem anstrengenden Beruf nachging und auch mein privates Budget dadurch stark belastet wurde. Obwohl die Intention meines Arbeitskreises rein politischer Natur war, mussten wir bald feststellen, wie Leute aus der Esoterik-Szene versuchten, ihre religiösen Anschauungen in aufdringlicher Weise hineinzuschleusen. Ihr Verhalten nahm oft so groteske Züge an, dass wir um unser Bild in der Öffentlichkeit bangen mussten. Wir wollten einer romantisch verklärenden Betrachtung Tibets entgegenwirken, um auch in sachlichen Auseinandersetzungen mit Wissenschaftlern bestehen zu können. Es nervte enorm, wenn dauernd die Geschichte entstellt wurde, oder von paradiesischen Zuständen in der Vergangenheit Tibets die Rede war. Tibeter wurden als besonders friedsame und glückliche Menschen dargestellt, mit einem enormen Verantwortungsgefühl ihrer Umwelt gegenüber. Ferner hieß es, die tibetische Frau sei vorbildlich emanzipiert und der tibetische Mann besonders sanftmütig. Was den Umweltschutz anbetrifft, so habe ich auch in rein tibetischen Dörfern ebenso viel Müll herumliegen sehen wie in chinesischen. Was Emanzipation und Sanftheit etc. anbetrifft, habe ich da auch noch ganz andere Dinge sowohl aus Tibet, als auch aus der Exilgemeinschaft in Erinnerung. Also, es kostete schon Energie, immer wieder gegen diese hartnäckigen Klischees anzudiskutieren. Ich hatte nachher den Eindruck, dass man sie sogar nährte, um damit manipulieren zu können. Solche Dinge waren schon unerfreulich und bereiteten mir die ersten Kopfschmerzen. Doch auch trotz meines anstehenden mehrjährigen Auslandsaufenthaltes war ich noch besten Willens, mich weiterhin für die Wahrung der Menschenrechte in Tibet einzusetzen.

Was mich dagegen 1991 aber doch bewog, meine Arbeit von heute auf morgen hinzuschmeißen, war dann ein echtes Identifikationsproblem. Ich traf zunehmend auf gravierende Widersprüche in der Repräsentation der Exilpolitik im Westen und den tatsächlich vorhandenen Strukturen. Damals habe ich keine schlüssigen Erklärungen für diese Gegensätze finden können, jedoch war mir klar, dass ich die Exilpolitik der Tibeter nicht weiter unterstützen konnte.

Während meines anschließenden Auslandsaufenthaltes geriet diese Problematik langsam aus meinem Blickfeld. Doch dann konnte ich in den letzten beiden Jahren wieder einige rätselhafte Vorgänge der Presse entnehmen (u.a. die Shugden-Affäre), die so gar nicht in dieses inzwischen total verkitschte Tibetbild passten. Gerade als ich diese Vorkommnisse als weitere Bausteine meinem eigenen Tibeträtsel zufügen wollte, erschien das Buch des Autorenpaares Trimondi und lieferte mir endlich den schlüssigen Hintergrund für meine verwirrenden Erfahrungen. Ich habe das Buch verschlungen. Viele ihrer Thesen in Bezug auf den Tantrismus kann ich nicht beurteilen, weil ich mich mit dem tibetischen Buddhismus zu wenig befasst habe. Trimondis vertreten auch die Auffassung, dass wesentliche Vorgänge auf der tibetischen politischen Ebene durch die in ihrem Buch aufgezeigten Sachverhalte entscheidend mitbestimmt werden, und dass es sich folgerichtig nur um Scheinbekenntnisse der Exilpolitiker zur westlichen Demokratie handeln kann. Ich möchte nun anhand meiner eigenen Erfahrungen nachweisen, dass es eindeutig Strukturen gibt, die diese Kritik als berechtigt erscheinen lassen:

Westliches Interesse am tibetischen Demokratieprozess wird abgeblockt, da sonst offenbar würde, dass an Tabus festgehalten wird, die mit den wichtigsten Grundpfeilern einer Demokratie unvereinbar sind. Abweichende Standpunkte werden autoritär unterdrückt.

Im Zeitraum von 1990 bis 1991 fanden einige Konferenzen statt, die u.a. den Demokratisierungsprozess zum Thema hatten. Zu dieser Zeit wurde gerade das Exilparlament in Dharamsala aufgelöst, und der Dalai Lama wollte eine bedeutende Rede zur Fortsetzung des Demokratisierungsprozesses halten. Wie so viele "Westler" war auch ich brennend an den Demokratiestrukturen eines neuen Parlamentes interessiert. Obwohl diese Umstrukturierung ständig von Vertretern der Exilregierung thematisiert wurde, drang andererseits sehr wenig Inhaltliches heraus. Bald sah ich sogar Anhaltspunkte dafür, dass man das westliche Interesse an diesem Prozess als lästig und störend empfand.

Folgendes erlebte ich diesem Zusammenhang bei einer Begegnung mit Herrn Lhasang Tsering, damals Präsident des Tibetan Youth Congress. Er hatte bei einer Podiumsdiskussion gesagt, dass er an der bevorstehenden außerordentlichen Nationalversammlung in Dharamsala mit dem Thema Demokratisierung teilnehmen werde. Anschließend, unter vier Augen, bekundete ich freundlich mein Interesse am Fortgang und den möglichen Ergebnissen dieses Demokratieprozess. Seine zunächst freundliche Miene wandelte sich schlagartig, und giftig herrschte er mich an: "Das geht dich gar nichts an!" Abrupt wandte er sich ab und stapfte hastig davon. Ich stand wie vom Blitz getroffen da. Auf diese heftige Reaktion konnte ich mir keinen Reim machen. Hatte ich ein Sakrileg begangen?

Auf einer Konferenz 1991 kam es zu weiteren deutlichen Tönen gegenüber den Tibetunterstützern, diesmal von Herrn K. Gyaltsen, in seiner damaligen Eigenschaft als Vertreter des Dalai Lama in Europa. (Auszüge aus dem offiziellen Konferenzprotokoll): "Das Band zwischen Tibetern in Tibet und den Tibetern im Exil, dass was es zusammenhält und verkörpert, ist Seine Heiligkeit der Dalai Lama. Das sei festgestellt für die Tibeter, die am Prozess der Demokratisierung arbeiten und für unsere Freunde, die oft auch Druck ausgeübt haben, dahingehend, dass Demokratie forciert werden müsse. Diese Feststellung ist eine sehr wichtige, und jedem Freund Tibets sollte diese Tatsache bewusst sein!" Nochmals erklärte er mit Nachdruck zum Ende der Diskussion: "Ich kann nur sagen, dass die vom Dalai Lama angeführte Regierung die einzig legitime Regierung des tibetischen Volkes ist. Eine tibetische Regierung, die nicht von S.H. dem Dalai Lama geführt wird, könnte diesen Anspruch nicht aufstellen!" Die Trennung von Staat und Kirche musste also immer außerhalb jeglicher Diskussion bleiben. Dies schloss ja noch nicht einmal der Dalai Lama selbst aus, da er Monate zuvor angeregt hatte, dass das tibetische Volk selbst über die zukünftige Rolle der folgenden Dalai Lamas in einer Abstimmung entscheiden sollte. Reichlich merkwürdig, wenn sein Vertreter darüber völlig anders spricht! Was oder wem sollte man nun glauben? Tatsächlich gibt es nicht wenige Tibeter mit Demokratievorstellungen, die auch eine Diskussion über die zukünftige Rolle der Dalai Lamas nicht ausschließen. Diese Stellungnahmen werden jedoch nicht als wichtiger Beitrag für eine umfassende Diskussion aufgegriffen, sondern zumeist von offizieller tibetischer Seite wie ein Tabubruch sofort abgewürgt. Offenbar empfindet man solche Diskussionen als bedrohlich, nur so lassen sich auch die gereizten Reaktionen erklären. Wir "Westler" haben uns inhaltlich aus diesen Diskussionen herausgehalten, der Demokratieprozess sollte allein Sache der Tibeter bleiben. Lediglich wurde hin und wieder das Interesse am Verlauf dieses Prozesses bekundet, dass, wie gesagt, schon mit Argwohn betrachtet wurde.

Es existieren aber noch weitere Tabuthemen.......

Ich hatte während längerer Zeit deutlich die gravierenden Unterschiede in der Meinung der Exiltibeter über den Strassburg-Fünf-Punkte-Plan (1988) des Dalai Lama wahrgenommen. Er beinhaltet u.a. den Verzicht Tibets auf die eigene Souveränität gegenüber China und wurde trotz seiner enormen Wichtigkeit mit den Betroffenen vorher nie offen diskutiert. Die Verwunderung bis hin zur Empörung über diesen Fünf-Punkte-Plan war unter den Tibetern deutlich zu spüren. Die Exilregierung unterließ es auch, im nachherein eine Meinungsumfrage zu diesem Papier zu starten, weshalb sich viele Tibeter übergangen fühlten. Es gärte in der Exilgemeinschaft. Trotzdem wurde diese Entscheidung des Dalai Lama vom Exilparlament (traditionsgemäß) unwidersprochen hingenommen. Ebenfalls bestehende Unterschiede in den Auffassungen über den Demokratieprozess bis hin zur Frage eines bewaffneten Kampfes waren und sind unüberhörbar. Jedoch kommt eine offene Diskussion darüber nicht zustande, bzw. wird im Keim erstickt. Trotz dieser Methoden schaffte es die Exilregierung nicht, ein auch nur annähernd einheitliches Bild zu repräsentieren. Darüber entstand eine spürbare Nervosität, die bis hin zu offenen Anfeindungen unter den Meinungsträgern eskalieren konnte. Vielen westlichen Tibetunterstützern, sowie auch mir, bereitete diese Entwicklung ziemliche Sorgen. Im Grunde hatten wir doch das gleiche Anliegen, das Herr Gyaltsen wie folgt formulierte: "Die tibetische Exilregierung zu unterstützen, ihr zu helfen vermehrt Profil zu zeigen, vermehrt in der Öffentlichkeit zur Geltung kommen zu lassen, ist mir nach wie vor ein wichtiges politisches Anliegen". Wir Freunde Tibets sollten also nicht nur auf die Menschenrechtsverletzungen hinweisen, sondern auch für die Sache der Exilregierung in der Weltöffentlichkeit eintreten. Genau aber darin lag für mich das dringendste Problem: Welche Inhalte sollten denn von uns glaubwürdig transportiert werden können? Dieses Profil war zu wenig greifbar, die Widersprüche zu offensichtlich. Die Besorgnis darüber wurde dann auch von einigen westlichen Unterstützern den Tibetern gegenüber geäußert. Völlig unerwartet wurde das aber von einigen Politikern nicht als ein wohlgemeinter Hinweis aufgenommen, sondern als Kritik und sogar als Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten! Man reagierte mit Verärgerung und Abwehr, sodass ein vernünftiger Dialog sofort abgeblockt wurde. Wir waren absolut erstaunt über diese heftige Reaktion auf die wohl gerechtfertigte Besorgnis unsererseits. Dies führte zu einer bedrückenden Stimmung, in der anschließend alle Teilnehmer zu einem Abschlussabendessen schritten. Ich hatte aber sehen können, dass trotzdem noch einige Gruppen von Tibetern heftig und sehr emotional untereinander weiterdiskutierten.

Die dann folgende Situation kann ich leider nur noch sinngemäß wiedergeben, da sie sich außerhalb des Protokolls abspielte: Wir saßen schon beim Essen, als Herr K. Gyaltsen plötzlich das Wort ergriff. Merklich erregt sagte er, dass er den Freunden und Unterstützern Tibets noch ein paar wichtige Dinge zu sagen habe. Er wäre bestürzt darüber, dass wir uns mit Dingen auseinander setzten, die uns eigentlich nichts angingen. Dass wir überhaupt untereinander über die tibetische Exilpolitik reden, und hier vor allem über den Demokratieprozess, würde uns nicht zustehen. Er wurde sehr emotional und seine Stimme zitterte, als er dann über die Bedeutung des Dalai Lama sprach. Geradezu, als ob wir uns weigerten, sie endlich zu verstehen, beschwor er mit dramatischen Gesten nochmals die Standpunkte des Nachmittags, und er betonte zum x-ten Mal, dass vor allem die Position des Dalai Lama nicht zur Diskussion stehen dürfe. Wir saßen alle ziemlich ratlos da. Ich fühlte mich an die Zurechtweisungen eines autoritären Lehrers erinnert. Er aber redete sich weiter in Rage: Wir (die Tibetunterstützer) zeigten ja bestimmt auch gelegentlich menschliche Schwächen im Umgang miteinander und hätten ebenfalls ab und zu Meinungsverschiedenheiten. Wir sollten uns zunächst einmal um uns selbst kümmern...

Nicht nur ich empfand das Entgegenhalten dieser relativ "normalen Problemchen" gegenüber den gravierenden Problemen innerhalb der Tibetergemeinschaft und deren Tragweite für ihr ganzes Volk als grotesk und lächerlich. Dieser emotional überschiessende Auftritt wurde als so unangebracht aufgefasst, dass einige empört von der Tafel aufstanden und den Saal verließen. Schließlich wurde Gyaltsen aber doch von einigen Tibetern sachte ausgebremst. Er kam zum Schluss und fand erstaunlicherweise noch ein paar Worte des Dankes an die westlichen Freunde, bevor er sich als zukünftiger Privatsekretär S.H. nach Indien verabschiedete. Er setzte noch nach, dass er uns dies noch mit auf unseren weiteren Weg geben wollte. Es war im Saal peinlich still geworden. Das tibetische Festessen war inzwischen kalt geworden. Vielen war der Appetit gründlich vergangen. Da die Abreise der Teilnehmer nach dem Essen bevorstand, konnte eine Aussprache über das zuvor Erlebte nicht mehr stattfinden. Spontane Reaktionen reichten aber von Schockiertsein bis zu Tränen der Verzweiflung. Einige beschwichtigten: "Dem war wohl heute eine Laus über die Leber gelaufen!"

Doch mir war leider sofort klar geworden, dass es sich hierbei nicht um eine einmalige Entgleisung handelte. Dazu hatte ich über Monate schon zu viele seltsame Reaktionen führender Exiltibeter erleben können, die immer in Zusammenhang mit der Darstellung ihres Demokratieprozesses vor der "Unterstützerszene" standen. Obwohl Dissonanzen bei einem solch wichtigen Prozess eher natürlich sind, versuchten sie diese zu verbergen und davon abzulenken, indem sie sogar ihre Freunde und Unterstützer maßregeln wollten oder sie sogar vor den Kopf stießen.

Auch in der Exilgemeinschaft existieren noch immer feudale Strukturen, ebenso hält man an Orakelwesen und Zauberglauben fest. Das alles hat Auswirkungen nicht nur auf das Alltagsleben, sondern auch bis hinauf in die Politik.

Ich hatte nun oft genug erleben können, wie sich diskussionswillige Tibeter von Exilpolitikern merkwürdig schnell einschüchtern und sich sogar von anwesenden Landsleuten zur Zurückhaltung ermahnen ließen. Schon lange hatte ich die Unterordnung bzw. Unterwürfigkeit anhand der Mimik und Körperhaltung gegenüber diesen und anderen "Persönlichkeiten" wahrgenommen. Auf mich wirkte das befremdlich, zumal ja viele der Tibeter in Europa aufgewachsen waren. Woher nahmen die Vertreter der Exilgemeinschaft diese Autorität, und wie kam es, dass sie darin auch noch bestätigt wurden? Ich erinnerte mich an die Äußerung eines Tibeters, der mir dazu sagte, dass viele seiner Landsleute auch im Exil leider immer noch sehr obrigkeitsgläubig wären und selbst heute manche Mitglieder der ehemaligen Adelsfamilien autoritär auftreten können, da sie weiterhin zweifelhafte Verehrung fänden. Noch erstaunter war ich, als ich damals erfuhr, dass das Staatsorakel (Nechung Orakel) immer noch fleißig befragt wurde, wenn politisch wichtige Entscheidungen anstanden! Diese ganzen Umstände stehen einer freien Meinungsbildung und einer persönlichen Übernahme an Verantwortung für einen Demokratisierungsprozess absolut entgegen. Wen wunderte da, dass mangelnde Interesse und die geringe Beteiligung an der ersten Wahl für das Exilparlament?

Jedenfalls beschäftigte mich das Erlebte noch tagelang, und mich beschlich nagender Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Demokratiebestrebungen. Das offensichtliche Vorhandensein von Tabus und die Existenz von alten Strukturen auch innerhalb der tibetischen Exilregierung stehen im krassen Gegensatz zu den von ihnen im Westen vertretenen Demokratievorstellungen. Ich hatte nun erlebt, dass sie nicht nur ihre Landsleute, sondern auch ihre westlichen Unterstützer in autoritärer Weise zu "führen" versuchten und wohl auch deren kritiklose Hingabe forderten. Eine Hingabe an eine scheinheilige Sache, deren wahre Ziele mir damals noch ein Rätsel blieben. Das folgende Zitat aus einem Tagebuch (von 1991) verweist nochmals auf meinen inneren Konflikt nach diesen Erlebnissen: "Wir arbeiteten alle nach dem Prinzip: Lasst uns den Karren ziehen, der Kutscher wird uns schon lenken! Ich hatte mir ein Bild von diesen 'Kutschern' machen können und mir schon mit meinem Interesse für das Ziel ihre Sympathien verscherzt. Wie will man im Grossen für eine Demokratie sorgen, wenn man sie im Kleinen nicht duldet? Man darf sich aber für sie ins Zeug legen bis zum Geht-nicht-mehr. Was wollen sie eigentlich verbergen? Vielleicht das Fortbestehen der ehemaligen Elite, die autoritär ihre Machtposition verteidigt? Egal was es ist, es ist eine scheinheilige Sache und ich werde hier wahrscheinlich wichtige Energien verschwenden!"

Ich zog daraus die Konsequenz, dass ich meine gesamte Tibetarbeit niederlegte. Dieser Ausstieg war ein tiefer und schwieriger Einschnitt in meinem Leben. Trotzdem war ich lange zwischen Erleichterung und Gewissenskonflikten hin- und hergerissen, beschloss aber, mich weiterhin rein humanitär für Tibet einzusetzen. Meinen erstaunten Mitstreiter/innen daheim, (die diese Dinge nicht erlebt hatten), wollte ich meine wahren Beweggründe zunächst nicht nennen. So sehr ich ihre Motivation auch schätzte, so konnte ich mich immer weniger des Eindrucks erwehren, dass sie mit viel Naivität und Oberflächlichkeit am Werke waren. Ich setzte damals voraus, dass ich bei ihnen mit meinen o.g. Gedanken und Erfahrungen mit diesen 'Politikern', jenen Nutznießern ihres harten Engagements für Tibet, auf Unverständnis und Abwehr stoßen würde. Einige Tibeter würden daraufhin bestimmt alles relativieren, um ihre fleißigen Helfer weiterhin bei der Stange zu halten. Dazu kommt, dass nicht nur die breite Öffentlichkeit über viele dieser o.g. Vorgänge im Unklaren gelassen werden soll, sondern gerade auch Tibethelfer, die harte Basisarbeit unter großem körperlichen und finanziellen Einsatz leisten.

Aus ganz ähnlichen Gründen wird das Buch " Der Schatten des Dalai Lama" innerhalb dieser Szene wohl auf absolute Abwehr stoßen. Noch schwerwiegender ist, dass es eine Legende, an der sich auch viele "Sinnentleerte" anklammern, aus dem Fenster wirft. Eine fundierte Auseinandersetzung mit allen Facetten des Themas könnte schmerzlich und bedrohlich für viele werden, und deshalb ist es leichter, dieses Buch mit Hilfe einer "Verteufelung" zu verdrängen. Tibet ist ein mächtiger Mythos in unserer Zeit. Das wissen zu aller erst jene Leute, die diesen Mythos instrumentalisieren. Durch die mangelnde sachliche Information der Öffentlichkeit haben diese Leute ein leichtes Spiel. Dieses Buch kann aber gerade hier ansetzen und einen wichtigen Beitrag zur Eröffnung einer längst überfälligen Diskussion leisten. Es wird irritieren, und über manches wird man sich mit Recht streiten können, aber man muss endlich damit beginnen. Eine einseitige Hetzkampagne hilft niemandem. Außerdem heißt es auch: Nur getroffene Hunde bellen! Nur eine sachliche Auseinandersetzung in gegenseitiger Toleranz kann dazu beitragen, dass die für die Sache Tibets eintretenden Menschen ihre Position neu überprüfen und gegebenenfalls auch neue Standpunkte vertreten können. Diese Diskussion sind die Tibeter ihren Unterstützern bislang schuldig geblieben. Echte Demokratie kommt immer von unten! Ich hoffe, dass die Tür zu einem Dialog über den Inhalt dieses Buches nicht schon im vornherein zugeschlagen wird, eine wichtige Chance würde sonst vertan!


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