Dalai
Lama, Höllenstrafen und Karma
Wurzeln
der Gewalt im tibetischen Buddhismus
aus: Hannes Müller, Wurzeln der Gewalt in Bibel
und Christentum. Mit einem Seitenblick auf Wurzeln der Gewalt im Koran und im tibetischen Buddhismus,
Selbstverlag Berlin 2003,
97 Seiten, S.42-49, ISBN 3-00-011623-0, € 5,-
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zum Buch
Höllendrohungen in der Lehre von Karma und Wiedergeburt
Der Dalai Lama sagt in seinem Buch: “Mein Leben und mein Volk”(München
1982) [kurz: LuV] zur Lehre von Karma und Wiedergeburt:
“Wir haben guten Grund zu glauben, daß alle Wesen, gleich welcher Art und zwar
sowohl Tiere wie Menschen, nach dem Tod wiedergeboren werden. In jedem Leben wird das Maß an Leiden und Freuden, das den Geschöpfen zugeteilt ist, durch die
guten oder bösen Taten im vorhergehenden Leben bestimmt; allerdings
können sie dieses Maß durch
ihre Anstrengungen im gegenwärtigen
Dasein abwandelnd beeinflussen. Dies ist das Gesetz des Karma.”(35)
Er verdeutlicht dies an
einem Beispiel(52):
“Ein armer Tibeter
hatte wenig Veranlassung, seinen reichen Gutsherrn zu beneiden oder anzufeinden, denn
er wußte, daß jeder
die Saat aus seinem früheren Leben
erntet.”
Den armen Tibetern wird damit
die Schuld an ihrer Armut angelastet. Fügt uns jemand
Leid zu, so ist nicht etwa der Leidzufügende schuld daran, sondern unser
eigenes schlechtes Karma, denn laut
Dalai Lama “gelten schlechte Karmas als verantwortlich für die verschiedenen Arten von Leiden, die
wir erdulden.”(199)
Wie die vorhergehenden Leben unser jetziges bestimmen sollen, so
auch das jetzige die folgenden Leben. Verdienstvolles
Karma bewirke die Wiedergeburt als
Gottheit, böser Dämon oder Mensch und: “Karma ohne Verdienst bewirkt eine Wiedergeburt in den niedrigeren Bereichen von Tieren, Pretas1
und Höllen.”(196)
Über die Höllen weiß
der Dalai Lama: “Es gibt verschiedene Grade von
Höllen, und die lebenden Wesen in jeder von ihnen sind ebenfalls
unterschiedlicher
Natur, entsprechend ihrem vergangenen Karma.” (ebd.)
Als Strafe für
böse Taten werden die grausamsten Höllenszenarien ausgemalt, die man sich meditierend
vergegenwärtigen soll.(s.u.) Der Dalai Lama begründet dies: “wir brauchen eine Art innerliches Abschreckungsmittel.” WzF 100 (Hervorh. v. A.) Er sagt deshalb: “Es ist wichtig, über das
Leiden der Tier- und Höllenbereiche zu meditieren. ... Ich glaube, daß solche Zustände wie die
verschiedenen heißen und kalten Höllen wirklich existieren. ... Höllenbereiche sind
Existenzzustände, in denen die Leiden so extrem sind, daß die
Wesen hier kaum noch irgendein Urteils- oder Erkenntnisvermögen
haben. Die Leidensfaktoren in den Höllen sind große Hitze und
große Kälte. Zu beweisen, daß diese Bereiche
existieren, übersteigt unsere normale Logik. ... Die Motive des Buddha, die Höllenbereiche zu erläutern, sind
einzig das Mitgefühl ... . Weil er keinen Grund
hatte zu lügen, müssen auch diese verborgenen Dinge wahr sein.” WzF 80ff – Drohen
vor der Hölle aus Mitgefühl!
Meditation über die Höllen soll Furcht erzeugen: “Wenn du über diese Leiden meditierst,
solltest du dir vorzustellen versuchen, du seist in diesen Seinsbereichen wiedergeboren und erduldetest die Leiden
selbst. Es heißt zum Beispiel, man sollte sich beim Nachsinnen über die
Leiden der heißen Höllen vorstellen, daß der eigene Körper brennt ... Je deutlicher du
dich außerstande fühlst, das Leiden zu ertragen, desto größer wird
deine Furcht vor den niederen Bereichen sein.” WzF 83f
Folglich gilt für den Dalai Lama: “Ein Buddhist ist jemand,
der, angespornt von der Furcht vor den Leiden des Wiedergeburtskreislaufs und der niederen Existenzbereiche, Zuflucht zu den Drei Juwelen nimmt: dem Buddha,
dem Dharma (den Lehren) und dem Sangha (der spirituellen
Gemeinschaft).” WzF 862
Und: “Was wir brauchen, ist ein tiefes Gefühl der
Furcht vor den Leiden der niederen Bereiche und Vertrauen auf die Befähigung der
Drei Juwelen, uns vor diesen zu beschützen. Wir entwickeln dieses Vertrauen, indem wir über die Vorzüge des
Buddha, des Dharma [also auch
der Höllen! d. A.] und
des Sangha meditieren.”
WzF 89 “
... sollten wir versuchen,
unsere Leidensfurcht zu intensivieren, ... . So werden wir, bewegt
von Todesbewußtsein und
Furcht vor den niederen Existenzbereichen, entdecken, daß die
Drei Juwelen uns beschützen
können, daß sie ein wahrer Hort
der Zuflucht sind.” WzF 95
So wird Angst vor den
Höllenqualen geschürt als Abschreckung vor bösen Taten. Das
gelte als Mitgefühl, da
es den potentiellen
Missetäter vor Höllenqualen bewahre. Der Dalai Lama versteht unter Mitgefühl also auch die
Erzeugung von Höllenangst.
Zu den bösen Taten zählt sexuelles Fehlverhalten, u.a. auch
Homosexualität: “eine sexuelle Handlung, die mit einer
unzulässigen Person ... vollzogen wird ... . Für
einen Mann ... (fallen) auch männliche Personen unter diese Kategorie. Unzulässige
Körperteile sind der After und der Mund.” WzF 102
Zu den bösen
Taten zählt auch das Töten eines Tieres, um es zu essen: “Im Buddhismus gibt es kein direktes Verbot
von Fleischgenuss. Es heißt lediglich, man dürfe kein Tier töten, um es zu essen. So war es in Tibet
durchaus üblich, Fleisch zu essen, ... . Da das Schlachten eines Tieres
aber nicht erlaubt war, überließ
man diese
Tätigkeit anderen, normalerweise den Muslims, ...”3 – Andersgläubigen
wird offenbar das dadurch verursachte schlechte Karma gegönnt, das angeblich Höllenqualen zur Folge hat.
Und den Tieren wird das Schlachten gegönnt – nur durch andere Hand. Wo
bleibt da das proklamierte Mitgefühl?
Eine negative Handlung des Geistes sei eine irrige Ansicht v. a. über den Buddhismus: “irrige Ansichten über die Drei Juwelen und das
Gesetz von Ursache und Wirkung seien die größten
irrigen Ansichten. ... und unter all diesen Verblendungen gilt die Wut
als die mächtigste. Eine einzige gegen einen Bodhisattva [= werdender
Buddha, d. A.] gerichtete
Regung der Wut würde einem alle Tugendvorräte zunichte machen, ... .” WzF 106
Zu der Wirkung
negativer Handlungen heißt es außerdem: “Zum Beispiel wird jemandes Leben
infolge einer Tötungshandlung nur von kurzer Dauer sein, ... , infolge eines Diebstahls wird
einem materieller Reichtum fehlen; infolge sexuellen Fehlverhaltens wird man einen sehr untreuen Ehepartner haben; ...” WzF 107
Entsprechend heißt es zu den angeblich karmisch
verursachten Vorzügen: “Aus einer angesehenen Familie zu stammen ist die Folge
davon, daß man immer bescheiden, niemals hochmütig ist und sich seinem
Lehrer und den eigenen Eltern innerlich wie ein Dienstbote
unterordnet. Die Ursache für großen Reichtum liegt darin, daß man Armen
materielle Unterstützung gibt.” WzF 110 Die Vergeltungskausalität
des Karma verdrängt alle anderen Erklärungsansätze.
Schlagen und Töten aus Mitgefühl
Entscheidend fürs Karma sei die Motivation, die auch gewaltsame Mittel rechtfertige: “Ist die Motivation recht, dann wird sie Glück
hervorbringen, auch wenn die Handlung selber möglicherweise ziemlich
gewalttätig anmutet; ...” WzF 100
Die
Kindheit des Dalai Lama macht seine Ansichten erklärlicher: “Mein Vater
war ... sehr jähzornig. Ich erinnere mich, wie ich einmal an seinem
Schnurrbart zupfte und dafür gleich heftig geschlagen wurde. ... Meine
Mutter war ... äußerst mitfühlend.” BdF 14
Die Kindersterblichkeit war hoch: von ihren sechzehn Kindern
wurden nur sieben groß. Über den Gebrauch der Peitsche beim Lernen im Kloster
berichtet der Dalai Lama: “ ...
ich kann mich noch gut an unsere
Schulräume ... erinnern. An gegenüberliegen- den
Wänden hingen zwei Peitschen, ... es genügte ein Blick unseres Erziehers
auf eine dieser Peitschen, um mich vor
Furcht erzittern zu lassen. ... Armer Lobsang Samten! Da er als Schüler nicht so gut wie
ich war, bekam er manchmal die Peitsche zu spüren, ... .”
BdF 26
Ins Kloster
kam er schon mit 3 Jahren. “Die darauffolgende
Zeit war eine ziemlich unglückliche Phase in meinem Leben. ... Es war
nicht unüblich, dass Kinder schon ganz jung ins Kloster kamen, und ich
wurde so wie all die anderen behandelt.”20 Er wurde von Angehörigen und
Gleichaltrigen isoliert, mit acht Jahren selbst von seinem
drei Jahre älteren Bruder,
außer gelegentlichen Besuchen “mein einziger Kontakt zu meiner
Familie”27. Im
Kloster brachte er versehentlich lose Schriftblätter seines Onkels
durcheinander, “wofür ich von meinem erzürnten Onkel ein paar saftige
Hiebe bezog.” LuV 22 So gab er selbst
auch seinem
jüngeren Bruder “ein paar kräftige Ohrfeigen”, wie er “ihn einmal dabei
ertappte, als er sämtliche Karpfen aus einem Zierteich gefischt ... hatte.” BdF 113
Auf die Frage: “Ist es für einen Buddhisten möglich, jemandem Schaden zuzufügen, um anderen zu helfen?” antwortet der Dalai Lama: “ ... Es hängt von der Stufe, auf der sich ein
Schüler des Buddhismus befindet und den Umständen der Situation ab. ...
Liebevolle Eltern, die ihren Kindern gegenüber eine tiefe Sympathie
empfinden, werden vielleicht zu harten Worten oder einer körperlichen
Strafe greifen, um ihren Kindern ein Fehlverhalten abzugewöhnen und mögen
deshalb vielleicht oberflächlich erscheinen und den Eindruck erwecken, daß sie dem Kind Schaden zufügen, wenn sie es
schlagen, aber in Wirklichkeit helfen sie ihm dadurch.” SnW 54f . So rechtfertigt er
Schlagen “aus Mitgefühl”. Und einem Schüler auf höherer Stufe sei
erlaubt, was einem niedrigeren nicht erlaubt sei [z.B. wohl auch bzgl.
des Zölibats].
Selbst
ethische Kriterien einer Art
präventiver Todesstrafe erörtert der Dalai Lama: Theoretisch gesprochen,
wenn jemand sich auf das Verüben von bestimmten Verbrechen festgelegt hat, durch deren
Ausführung negatives Karma geschaffen würde, und wenn es keine
andere Wahl gibt, diese Person an den Verbrechen und dem entsprechenden, für ihn jetzt und in
allen zukünftigen Leben sehr negativen Karma zu hindern, dann würde eine
reine Motivation des Mitgefühls das Töten dieser Person theoretisch
rechtfertigen. Es wäre ein Töten aus Erbarmen.” WvB 35 (Hervorh. v. A.)
Bemerkenswert ist die Begründung: nicht Rettung
der Opfer, sondern Mitgefühl mit dem Verbrecher, um negatives Karma
seines Verbrechens zu verhindern. Auf ein
Töten von Behinderten angesprochen: “Ist die Frage des Tötens aus Erbarmen ihrer Meinung nach diskussionswürdig im Bereich
der Ethik?” antwortet er: “Was ist denn Ethik, zumindest
vom buddhistischen Standpunkt aus betrachtet? Jede Tat, die gute
Resultate hat, die Glück hervorbringt, ist ethisch vertretbar.”ebd.36 Das jetzige Leben zählt im Buddhismus nicht aus sich
heraus und darf für “Glück” in zukünftigen Leben offenbar geopfert
werden – aus Mitgefühl.
Im Umgang mit um die Macht konkurrierenden
Rivalen ist die buddhistische Regentschaft in Tibet wenig mitfühlend
gewesen: “... im Frühjahr 1947, kam es zu einem traurigen Ereignis,... .
Ich wohnte gerade einer Disputation bei, als ich eines Tages in der Ferne
Schüsse fallen hörte, ... . Wie sich
herausstellte, wollte Reting Rinpoche4, der sechs Jahre
zuvor die Regentschaft
abgegeben hatte, diese wieder an sich reißen und wurde dabei von gewissen
Mönchen und Laienbeamten unterstützt. Diese unternahmen einen
Putschversuch gegen Tadrag Rinpoche, in dessen Verlauf Reting
Rinpoche verhaftet und viele seiner Anhänger getötet wurden. Reting Rinpoche ... starb bald darauf. ... Vielleicht
hätte durch meine Intervention die Zerstörung des Klosters Reting, eines der ältesten und
schönsten in ganz Tibet, verhindert werden können. Alles in allem war die
ganze Angelegenheit eine ziemlich dumme Geschichte.”BdF38f So spielt er die Tötung zahlreicher Mönche und
eigene Zerstörung eines Klosters herunter, während er spätere
ähnliche Taten der Chinesen hochspielt.
Dem Abschreckungsdenken verhaftet beantwortet
der Dalai Lama die Frage, ob die Gefahr
eines Krieges nach
den indischen Atomtests 1998 größer geworden ist: “Nein, das glaube ich nicht. Im Gegenteil: Die
Gefahr könnte durch die Atomwaffen sogar ein wenig geringer werden. Es ist wie in Europa
während des kalten Krieges: Die Atomwaffen wirkten als Abschreckung, haben einen Krieg verhindert.” CzP
Der Dalai Lama schreibt: “Erfolg durch Einschüchterung
und Gewalt ist bestenfalls vorübergehend; sein
oberflächlicher Nutzen schafft nur neue Probleme.” WzG 17 – Das gilt aber auch für die Einschüchterung mit
Höllenqualen und Atomwaffen und das Schlagen angeblich aus Mitgefühl.
Ursprünge
des Leidens
Der Dalai Lama meint, dass diese “von zweierlei
Art sind: leidbringende, oder
kontraproduktive, Emotionen und befleckte
Karmas(Handlungen). ... Es ist besser, über solche Dinge, die nur einmal
geschehen, zu reden, wohingegen man die andere Klasse von kontraproduktiven Emotionen, die Gefühle wie
Lust, Hass, Feindseligkeit, Eifersucht und Streitsucht einschließen, besser nicht ausdrückt, da sie sonst immer mehr zunehmen. Indem man sie zum Ausdruck bringt, verbreiten sie sich und werden
stärker. Es ist besser, über die
Nachteile nachzudenken, die entstehen, wenn man sich auf solche Emotionen einläßt, und zu versuchen, sie durch Gefühle von Zufriedenheit und Liebe zu ersetzen.” WzG 40f
Was heißt
es, Gefühle wie Lust und Hass besser nicht auszudrücken, sondern durch
Gefühle von Zufriedenheit und Liebe zu ersetzen? Verletzt es nicht die
persönliche Integrität, wenn bestimmte Gefühle nicht mehr als eigene Gefühle zugelassen werden
sollen? Lassen sich Gefühle einer Art überhaupt durch solche anderer Art ersetzen? Was geschieht dann mit den “ersetzten” Gefühlen? Verschwinden sie? Und wohin? Kommt das nicht einer Verdrängung gleich? Legt die alltägliche Erfahrung nicht eher nahe, dass wir zu unseren Gefühlen stehen sollten? Und sind nicht auch sogenannte negative Gefühle und
ihr Ausdruck berechtigt und sogar
notwendig, um angemessen mit negativen Einflüssen auf uns umzugehen, sie verarbeiten zu können und unserer Umgebung zu erkennen zu geben, was solche negativen
Einflüsse in uns anrichten? Wie sollen sonst solche Einflüsse als negativ erkannt werden? – Wenn negative Einflüsse nur als verursacht
durch eigenes Karma dargestellt
werden5, dann
geraten andere Ursachen gar nicht mehr ins Blickfeld. War die Lehre Buddhas nicht ideal, um von der Ausbeutung
durch die reichen Feudalherren
als Ursache des Leids der armen Bauern abzulenken?
All diese
tiefergehenden Fragen stellt der Dalai Lama nicht. Seine Thesen gleichen so
einer oberflächlichen Effekthascherei. Er spricht damit vor allem diejenigen
an, die sich – nach Liebe und Mitgefühl sehnend –
von schönen Worten der Liebe und
des Mitgefühls vereinnehmen lassen, ohne die
Mühe der gedanklichen Reflexion und der Auseinandersetzung mit
kritischen Argumenten auf sich zu nehmen.
Zu verunreinigten Karmas als
Ursprungsart des Leidens meint der Dalai Lama: “Jegliche Freude und jegliches Leid hängt von Karmas bzw. früheren
Handlungen ab, die Neigungen im
Geist geschaffen haben. ... Falls
... die Wirkung
einer Handlung zu einer Wiedergeburt als Hungergeist führt, dann ist
diese Handlung untugendhaft, da ihre langfristige Auswirkung eine
schlechte Wiedergeburt ist.” WzG 42
Er bestimmt Tugendhaftigkeit zuallererst nach
ihrer Auswirkung auf die Art der eigenen
Wiedergeburt, also nach dem Eigennutz, und nicht
unmittelbar nach ihrer Auswirkung auf das Wohlergehen der
anderen, denen die Handlung gilt.
Die
Millionen Toten des Zweiten Weltkrieges, laut Dalai Lama haben sie die
Früchte ihrer eigenen Taten geerntet: Im
o.a. Adyar-Spezial Interview (37f) wird
der Dalai Lama zu Karma befragt:
“Karma, als Kurzformel,
bedeutet, in Ihren eigenen Worten, daß “wir die
Früchte unserer eigenen Taten ernten”. ... Bestürzend und schwierig zu
akzeptieren ist sie [diese
Definition] ... im Hinblick auf Kriegszustände, wenn ... Millionen
Menschen einen gewaltsamen Tod erleiden. Wie erklären Sie diesen
Aspekt des Karmagesetzes?
Dalai Lama: „ ... all
diese Menschen haben ... dieselbe Art und denselben Umfang negativen
Karmas erreicht. Ihnen allen gehört das gleiche Karma, ... jedes einzelne
Wesen, ist Teil dieses
kumulierten negativen Karma, und so kommt es zu
gemeinsamem Leid.”
Ungläubig fragt der Interviewer zurück:
Adyar
Spezial: Ja, aber, Eure Heiligkeit, diese furchtbare Ballung
von millionenfachem gewaltsamem Tod in den Jahren des zweiten
Weltkriegs...
Dalai Lama: Ich verstehe die Frage
sehr wohl. Der Hauptgrund ist das Karmagesetz. ...”
Millionenfaches
Leid, welches gesetzmäßig durch das negative Karma der Betroffenen verursacht sei, bringt einen
Buddhisten wie den Dalai Lama offenbar nicht aus seinem Gleichmut.
Der im Lächeln zur Schau getragene buddhistische Gleichmut gerät bei
Konfrontation mit dem Leid in der Welt häufig zur Gleichgültigkeit. Das
hinausposaunte Mitgefühl offenbart sich so als Gefühllosigkeit
mit dem Leid dieser Welt. Sein “Mitgefühl” bezieht sich ja auf die Gesamtheit
der Wiedergeburten in ewigen Zeiten – was bedeutet da schon ein jetziges
Leben? Auch wenn das Tötungsverbot betont wird, ein jetziges Leben ist für den
Buddhisten nur von Bedeutung in Hinsicht
darauf, ob es einen dem Ziel einer guten Wiedergeburt näher bringt.
Mitgefühl wird so Mittel zum Zweck der
guten Wiedergeburt und nicht zu einem unmittelbaren Ausdruck des
Mitfühlens mit dem Leben in meiner Umgebung. Das Tötungsverbot wird v.a. legitimiert mit der negativen Folge
einer niederen Wiedergeburt und nicht mit den negativen Folgen für den
Getöteten.
Moral:
Was im Christentum das
himmlische ewige Leben ist im
Buddhismus die künftige Wiedergeburt auf jeweils höherer Stufe. Hier mit
dem Lohn himmlischen Lebens und dort
mit dem Verdienst einer höheren Wiedergeburt wird Moral erkauft oder mit den Drohungen extremer Höllenstrafen
zu erreichen versucht. In beiden Religionen fehlt der Gedanke einer
autonomen Moral aus Einsicht.
Philosophische Grundlagen des tibetischen
Buddhismus
Buddhas Lehre fußt auf der These: “Die Hauptursache des Leidens ist Unwissenheit, die irrtümliche Ansicht, dass Lebewesen und Objekte
inhärent existieren.” WzG 100 “Inhärent existieren, das heißt, in und aus sich
selbst heraus.”41 Das Fehlen von inhärenter Existenz nennt der
Buddhismus Leerheit oder Selbstlosigkeit. Die Welt existiert, aber sie ist ihm
leer, Maya(=Trugbild), da alles in der Welt seine Ursache hat, abgeleitet ist und nicht aus sich heraus
existiere, die Welt uns aber als aus sich selbst
heraus existierend erscheine. Das Selbst gilt als existent, aber als abgeleitet, oder
bedingt, existent und daher als
leer von eigenständiger Existenz.
Im
Relativismus, dass alle Phänomene relativ sind, leer von
Eigenständigkeit, sie nur eigenständig scheinen, aber in
Wirklichkeit nur Schein(= Maya) sind, sieht er die
endgültige Wahrheit des mittleren Weges zwischen Nihilismus und
Realismus. Als die Mitte
zwischen den Extremen unbedingter Existenz und Nicht-Existenz nimmt er diese Welt nur als bedingte
Existenz(Schein, Maya) wahr.
Als lebende Wesen können wir aber Einfluß nehmen auf unsere Lebensbedingungen. Wir können sie so
gestalten, dass wir weniger abhängig von ihnen sind. So können wir den
Grad der Freiheit entfalten. Das heißt: Wir sind weder absolut frei, noch absolut bedingt. Wir existieren in je verschiedenen Graden der
Bedingtheit und der Freiheit von Bedingungen – in bedingter Freiheit.
Unsere Existenz verbindet also Anteile
der Bedingtheit mit Anteilen der Freiheit. Je mehr wir die Anteile der Freiheit entfalten, desto mehr Möglichkeiten der
Wahl gewinnen wir, desto mehr gewinnen wir
an Selbstheit, an Existenz aus uns selbst heraus. Das ist die Basis für
Kreativität, Verantwortlichkeit und Sinnstiftung in unserem Leben. Die
Leerheit und Selbstlosigkeit als zentrales Dogma des Buddhismus wie auch
der Anthroposophie bedeutet aus dieser Sicht die “Ertötung
aller Selbstheit”. (So auch der Titel eines anthroposophiekritischen
Buches von Kathrin Traube, München 1994
Wie man über die Hölle meditiert – ein
tibetisch-buddhistischer Lehrtext
Der
Buddhismus sieht Leben vor allem als Leiden an. Verblendung sei die Hauptursache
des Leidens. Es gebe aber einen Weg, das Leiden zu beendigen. Wenn wir die Verblendung als Ursache des Leidens
stufenweise überwinden, würden wir zur Erleuchtung und damit zur
Beendigung des Leidens gelangen.
Als “Stufenpfad
zur Erleuchtung” will der Buddhismus diesen Weg schulen. Ein dazu anleitender original tibetischer
Lehrtext ist das Buch “Die Elixiere der Erleuchtung” von Lama Jesche Tsöndrü (um 1800), das heute als Grundtext eines Schulungskurses in Tibetisch Buddhistischen
Zentren6 dient. Es “erfreut sich ... großer Beliebtheit, da es ... sehr gut für die tägliche Praxis und
längere Meditationsklausuren als auch zum
Auswendiglernen verwendbar ist”(12), heißt es einführend.
“Vorbereitende
Übungen” vergegenwärtigen die Lehre Buddhas als einzige Zuflucht,
selbstverpflichten zum Streben nach Erleuchtung, huldigen visualisierten
verdienstvollen Gottheiten und führen zu einem Ritual von 7
Hingabe-Übungen.7
Dann wird zu Bittgebeten aufgefordert, u.a. zu: “Nun [rezitiere ... Folgendes:] Bitten an
die geistigen Lehrer ...
Lass niemals den Gedanken aufkommen, dass
erhabene geistige Lehrer, die den fehlerlosen Pfad lehren, mit gewöhnlichen Fehlern behaftet
wären.”(33) sowie: “Möge das bloße Erinnern, Hören und Sehen der Zustände der niederen Daseinsformen
[= Hölle, Hungergeist, Tier (d. A.)] mich in große Furcht versetzen.”(34) und: “Lass mich meinen Feind – das
Greifen nach dem Selbst – verbannen, ...”(ebd.).
Meditationen
schließen sich an: 6 grundlegende, 2 für eine Person
von mittleren Fähigkeiten und 6 für eine höher entwickelte Person. In der
“1. Meditation DAS ANVERTRAUEN AN
DEN GEISTIGEN LEHRER” wird zuerst beschrieben, dass bei korrektem
Anvertrauen letztlich völlige Befreiung von allen Leiden zu erlangen
sei.(39)
Über “die Nachteile des
Sich-nicht-Anvertrauens” heißt es: “Und da gelehrt wird, dass Respektlosigkeit ihnen gegenüber auch
Respektlosigkeit den Siegern gegenüber bedeutet, gibt es nichts, was eine
schlimmere karmische Frucht hervorbringen könnte. / So viele Augenblicke des Zornes gegenüber
dem spirituellen Meister in mir
entstehen, für so viele Zeitalter werde ich in den Höllen geboren,
und ebenso wird das gesammelte Verdienst der gleichen Anzahl
von Zeitaltern
zerstört; so lehrt es das Kalacakra-Tantra.”(40)8 Für einen
Nicht-Erleuchteten “müssen alle
scheinbar fehlerhaften Aspekte der Taten meiner geistigen Beschützer entweder
die [mich] täuschenden Erscheinungen meines schlechten Karmas sein, oder
sie sind absichtlich gezeigt worden.”(43) – So wird jede Kritik abgeblockt.
Für
unheilsam Handelnde gelte: “... da das durch unheilsame Handlungen
geschaffene Karma unausweichlich ist, werden sie als Höllenwesen von
großer Hitze oder Kälte gepeinigt und als Pretas
müssen sie unter großem Hunger und Durst leiden, während sie als Tiere
getötet, ausgenutzt und von großer Dummheit gequält werden.”(93)
Meditationen über Geburt und Tod folgt die Meditation
über die Höllen etc.(61ff): “4.
Meditation DIE LEIDEN DER DREI
NIEDEREN BEREICHE ... Die Art und Weise, wie man über die Leiden der
heissen Höllen meditiert ... Wenn
ich aufgrund der äußerst großen Kraft der negativen Handlungen und der nur schwachen heilsamen Taten in den Abgrund
der furchterregenden niederen
Bereiche falle, wie könnte ich deren Leiden ertragen?
Viele “Meilen” unter der Erde
befinden sich die so genannten Höllen der Lebewesen. Der Boden [besteht aus] rot
glühendem, sengendem Eisen; an den Seiten ist er von versengenden, eisernen Zäunen
umgeben. Der Raum darüber wird von Flammen durchdrungen. ... In der heißen[Hölle] wird man wie ein Fisch in riesigen, rot
glühenden Eisenkesseln gebraten. Mit einem brennenden, spitzen Pfahl
wird man vom Anus her durchstoßen, bis [dieser] wieder am Scheitel austritt. Dabei flackern aus den
Sinnesöffnungen stark lodernde Flammen hervor. Man wird auf den
rot glühenden Boden gelegt und dann mit eisernen Hämmern geschlagen.
In der äußerst heißen [Hölle] wird man mit
einem dreispitzigen, stark lodernden Stab aufgespießt. ... In einem großen Eisenkessel wird
man in geschmolzenem und brodelndem Kupfer gekocht. Und löst sich das Fleisch
von den Knochen, wird das Skelett auf den Boden geworfen, Haut
und Fleisch wachsen wieder wie bei der Geburt, und
man wird wie zuvor gekocht.”(63)
Auf 5
Seiten werden so die Leiden in 8 heißen Höllen, ihren Nebenhöllen und in
den 8 kalten Höllen ausgemalt. Dazu
heißt es: “So unerträglich sind
die starken Leiden der Höllenwesen! Zudem
muß man
diese nicht nur
eine
kurze Weile erfahren, sondern
unzählige Äonen. ... Wird solches gelehrt und dir entstehen nicht Furcht
und Schrecken – muß dann dein
Geist nicht
wie aus
Stein
oder
etwas ähnlichem sein?”(65) Und ähnlich qualvoll werden auf 3
Seiten die Leiden der Hungergeister und Tiere beschrieben und Anweisungen gegeben, wie man über diese
zu meditieren habe.
Nach derartigem Einflößen von Höllenfurcht und
nachdem jede Kritik an Lehre und Lehrer nur als in die Hölle führende
Respektlosigkeit vor den erleuchteten Meistern gebrandmarkt ist, bleibt
nur noch die Zuflucht zu Buddha: “5.
Meditation Die Praxis des
Zufluchtnehmens So sind die
unerträglichen Leiden der Höllenwesen, der Pretas und Tiere kaum auszuhalten. Bei wem ich auch meine Zuflucht suche, nichts als die Drei Juwelen
kann mich vor ihnen schützen. ... Das Dharma ist die eigentliche
Zuflucht, ...”(69) und: “Indem ich es unterlasse, auch nur über die bloßen
Buchstaben der heiligen Lehre hinauszugehen, werde ich [meine]
Wertschätzung zeigen.”(71)
In der 6.
Meditation wird bekräftigt: “Denn die unerträglichen
Leiden sind die Früchte der von mir allein begangenen Handlungen.”(72) Die 7. Meditation nennt den Körper “in seinem eigentlichen Wesen etwas Leidhaftes.” Die “Leiden der Geburt” seien “wahrlich erschreckend”.
“Für Menschen ist es in der Gebärmutter äußerst unrein und übelriechend. Denn
diese ist mit Eiter, Blut, Getier und anderem angefüllt. ... ein Sammelpunkt größter
Schrecken. ... Aus der unreinen, übelriechenden Passage dieser sehr engen
knöchernen Maschine werde ich dann unter ... Qualen ... geboren. Danach fällt das unerwünschte Leid wie Regen auf mich herab.”(75) Geburt, Alter, Krankheit und Tod seien Feinde, die
uns im Daseinskreislauf kreisen lassen.(77)
1 “Pretas:
Gespenster, die unaufhörlich vom Elend des Hungers und Durstes geplagt
werden.” (ebd.) 2 und Buddha sei unfehlbar 3
Dalai Lama BdF 27; ähnlich LuV 12: “Die Metzger ... gelten als Sünder und Ausgestoßene.” 4
Rinpoche(=wertvoller, kostbarer) ist ein
Ehrentitel, der spirituellen Meistern verliehen wird 5 z.B.: “Wenn die Schwierigkeiten jedoch unüberwindbar sind, dann
denken Sie über die Tatsache nach, dass
diese Unannehmlichkeiten durch Ihre eigenen Handlungen in diesem oder
einem früheren Leben verursacht worden sind. ... , dass Leiden seinen
Ursprung im Karma hat, ...” WzG 96 6
im TBZ Berlin laut Programm 1-6/03 und im TBZ Hamburg laut Tsöndrü, 12
7
ehrerbietende Verneigungen,
Darbringungen von Opfergaben, Bekennen der Verfehlungen, bewunderndes Erfreuen,
Ersuchen um das Darlegen der Lehre, Bitte um Verweilen des Meisters,
Widmung der Erleuchtung - die laut Dalai Lama (WzG 82f)
täglich zu üben sind. 8 Der Dalai Lama weiht regelmäßig in das
Kalachakra-Tantra ein.
Literatur:
Dalai Lama:
- LuV = Mein Leben und mein Volk, München
1982
- BdF = Das Buch der Freiheit, Bergisch Gladbach
1990
- SnW = Sehnsucht
nach dem Wesentlichen. Die Gespräche in Bodhgaya, Freiburg 1993
- WzF = Der Weg zur Freiheit, München 1996
- WzG = Der Weg zum
Glück, Freiburg 2002
- WvB = “Wahrheit hat
viele Bedeutungen”. Ein Gespräch mit S.
H. dem Dalai Lama, in:
Troemel, Hank (Hrsg.), Adyar
spezial. Theosophie und Buddhismus, Satteldorf
1994
- CzP = “Chinas
System wandelt sich zum Positiven”, Presse-Interview von
Babette
Kerner u. Andreas Unterberger, in: Tibet und Österreich – News,
Die
Presse, 12.06.1998 (www.logic.at/tibet/besuch/presse-interview)
Jesche Tsöndrü: Die Elixiere der Erleuchtung, hrsgg. u. übers. v. J. Manshardt,
Dharmata-Verlag Berlin 2002
© und verantwortlich im Sinne des Presserechts
Hannes Müller, Berlin 2003
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