Rezension
von Der Schatten des Dalai Lama
in Jetzt.de (Partner der Süddeutschen Zeitung). „Gegen Mitte der 90er Jahre
plante das Ehepaar [Trimondi] ein gemeinsames
Buch über den tibetischen Tantrismus. Es sollte ein positives Buch sein,
das bekunden beide noch heute. Doch als es im Jahr 1999 erschien, war in
etwa das genaue Gegenteil daraus geworden. Ein kulturkritischer
Rundumschlag. Sein Titel: Der Schatten des Dalai Lama. Kulturkritik war
noch nie leicht. Von innen ist sie nur dann möglich, wenn die kritische
Auseinandersetzung selbst Teil der Kultur ist. Von außen handelt man sich
schnell den Vorwurf ein, man habe keine Ahnung. Weil Demokratie und
Pluralismus im tibetischen Buddhismus auch heute noch immer keine
nennenswerte Rolle spielen, ist dem Autorenehepaar Trimondi
das Zweite vielfach widerfahren.“ (28.01.2007)
Alle
mögen den Dalai Lama.
Zurecht?
Blick hinter eine Fassade
von Ralf Heimann
Alle mögen den Dalai Lama. Weil er so
freundlich ist, weil er immer lächelt. Oder weil man zu wenig über ihn
weiß?
Als der XIV. Dalai Lama Tensin Gyatso im Jahr 2000
Deutschland besuchte, gab es bei einer Veranstaltung der SPD in München
eine bezeichnende Szene. Die Journalistin Franziska Augstein beschrieb sie
damals in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: Der Dalai Lama sprach
während seiner Rede von einer „one world religion“. Das Publikum
applaudierte begeistert. Der Dalai Lama fuhr fort: Er sei dagegen. Er
lachte. Nicht, weil er seine Zuhörerschaft düpiert hatte, sondern weil er
immer lacht. Der Dalai Lama scheint gar nicht anders zu können. Immerzu
muss er lachen. Und weil man so jemandem unmöglich irgendetwas übel nehmen
könnte, ist es fast egal, was er sagt. Applaus gibt es ohnehin immer. Das
westliche Publikum verharrt in dieser demütigen Haltung schon seit langem.
Die Kultur der Tibeter – an deren Spitze steht der Dalai Lama – hat in
Europa einen guten Leumund. Die Tibeter gelten als friedliebend,
ausgeglichen, tolerant, eben ungefähr so, wie man sich den Tibeter
vorstellt, nachdem man die Filme „Kundun“ und
„Sieben Jahre Tibet“ nacheinander gesehen hat.
Viele Jahre lang wäre es kaum
jemandem in den Sinn gekommen, inhumanes Übel ausgerechnet in der
buddhistischen Kultur zu vermuten. Man wäre wohl ähnlich angeschaut worden,
als hätte man am Abend des 10. September 2001 behauptet, am nächsten Morgen
würden zwei Flugzeuge in die Türme des Word Trade Centers fliegen, sie
gingen in Flammen auf und würden dann in den Staub fallen. Es ist heute
nicht mehr ganz so abwegig, zu behaupten, dass auch im Buddhismus einiges
falsch läuft. Sexuelle Rituale mit Minderjährigen? Der Jurist Herbert Röttgen (gab sich 2004 den Namen Victor Trimondi) führte Ende der 70er bis Mitte der 80er Jahre
den linken Trikont-Verlag. Für den Dalai Lama war
er zu dieser Zeit eine Art Event-Manager. Er ebnete ihm den Weg nach
Europa, 1982 holte er ihn zur Buchmesse in Frankfurt. Und das alles nicht
nur aus Geschäftssinn, sondern weil er selbst eine gewisse Affinität zum weltlichen
Führer der Tibeter hatte. Wie auch seine Frau Maria (heute Victoria Trimondi). Die beiden sind seit 1989 verheiratet. Gegen
Mitte der 90er Jahre plante das Ehepaar ein gemeinsames Buch über den
tibetischen Tantrismus. Es sollte ein positives Buch sein, das bekunden
beide noch heute. Doch als es im Jahr 1999 erschien, war in etwa das genaue
Gegenteil daraus geworden. Ein kulturkritischer Rundumschlag. Sein Titel:
Der Schatten des Dalai Lama. Kulturkritik war noch nie leicht. Von innen
ist sie nur dann möglich, wenn die kritische Auseinandersetzung selbst Teil
der Kultur ist. Von außen handelt man sich schnell den Vorwurf ein, man
habe keine Ahnung. Weil Demokratie und Pluralismus im tibetischen
Buddhismus auch heute noch immer keine nennenswerte Rolle spielen, ist dem
Autorenehepaar Trimondi das Zweite vielfach
widerfahren.
Das Buch ist ein
schwergängiger Wälzer, voll mit kaum nachprüfbaren Fakten. Und wenn man die
zentrale These des 800 Seiten-Wälzers in einem Satz zusammenfasst, lautet
der so: Der tibetische Buddhismus ist im Kern fundamentalistisch,
sexistisch, kriegerisch und er will – wenn auch in nicht absehbarer Zukunft
– Weltreligion sein. Ungefähr so schreiben es die Autoren selbst. Warum sie
davon überzeugt sind? Da ist zum Beispiel der Fall der
Religionswissenschaftlerin June Campbell. Die Schottin war über Jahre
hinweg Dolmetscherin von Kalu Rinpoche,
einem der ranghöchsten Meister im tibetischen Kagyüpa-Orden.
Jenseits der okkulten Dimensionen des Buddhismus würde man ihr Schicksal
wohl wie folgt beschreiben: Sie beginnt eine Affäre mit ihrem Chef, wird
ihm hörig, aber schafft irgendwann den Absprung. Nimmt man die religiöse
Dimension hinzu, wird es komplizierter. Denn das, was Campbell während
ihrer Zeit als „geheime sexuelle Gefährtin des großen Meisters“ erlebte,
beschreibt sie als eine autoritäre „Kultur der Insider“. Und zu dieser
gehören Machtspiele, die Unterdrückung der Frau, sexuelle Rituale, an denen
auch Minderjährige teilnehmen, und auch die Einschüchterung. June Campbell
erzählt, sie wurde zum Schweigen gezwungen. „Menschen, die nie eine
Tradition wie die tibetische von innen kennen gelernt haben“, schreibt sie,
„mögen solche Ängste für vollkommen überzogen halten.“ Schmoren in der
buddhistischen Hölle Es ist nicht ganz klar, wie glaubhaft eine enttäuschte
Aussteigerin als Quelle ist. In den Medien jedenfalls wurde June Campbell
mitunter als „dubiose Außenseiterin“ abqualifiziert. Victor und Victoria Trimondi indes sahen sie als wichtige Quelle, zumal
offenbar einiges von dem, was sie beschreibt, in den Tantras (Lehrtexten)
dokumentiert ist. Darunter auch abstruse Rituale wie die Verwendung von
Kot, Urin und Menstruationsblut zur Intensivierung von Einführungsritualen
– und eben die Tatsache, dass auch Minderjährige daran teilnehmen. Es gibt
andere Aussteiger, die das bestätigen. Ein Großteil der religiösen Bräuche
entzieht sich allerdings einer Kritik, weil sie geheim sind.
Eines dieser geheimen Rituale
ist das Kalachakra-Tantra. Wenn auch vieles im
Buddhismus mehrdeutig und missverständlich ist, relativ eindeutig sind die
Strafen für Eingeweihte, die Texte ausplaudern: Sie werden in der
buddhistischen Hölle schmoren. Der Tibetologe
Edwin Bernbaum schrieb Anfang der achtziger Jahre
über das Ritual. Er interpretiert es so: Wer an ihm teilnimmt, hat das
Recht, als Shambala-Krieger wiedergeboren zu
werden. Shambala-Krieger nehmen an der
Endschlacht zwischen den Weltreligionen als Offiziere oder Fußvolk teil.
Die Trimondis sehen noch mehr in dem Ritual: Es
propagiere unter anderem die Vernichtung Andersgläubiger, die Verbindung
von staatlicher und religiöser Macht, eine kriegerische Gewaltphilosophie
und die Entfesselung eines Weltkrieges. Außerdem sei es die Grundlage für
eine faschistoide Ideologie. Der Dalai Lama hält bis heute an dem Ritual
fest. Im Jahr 2002 praktizierte er es vor 10.000 Menschen in Graz. Victor
und Victoria Trimondi haben zum Besuch des Dalai
Lama in der österreichischen Zeitung „Der Standard“ eine ganze Sonderseite
gefüllt mit einem Text über den „Kriegsritus“ Kalachakra.
Auf ihrer Internetseite verweist ein kleines Piktogramm auf den Artikel,
der Link steht in einer Liste zwischen Dutzenden von weiteren Verweisen.
Allein dem Kalachakra-Ritual haben die Trimondis eine ganze Rubrik auf ihrer Internetpräsenz
gewidmet, ein „Kritisches Forum Kalachakra“. Der
erste Eintrag heißt: „Die Apokalypse des Dalai Lama.“ Kritik interessiert
Seine Heiligkeit nicht Im Internet sammelt das Ehepaar alles, was schwarz
auf weiß über ihre Arbeit erscheint.
Würde man das gesamte Archiv
der Seite www.trimondi.de durch den Drucker schicken, es wären wohl mehrere
hundert Seiten. Ein ganzes Konvolut voller Argumente, und voll ebenso
vieler Gegenargumente. Das Internetmagazin ist sorgsam gegliedert, die
Presseartikel zuweilen samt Leserbriefen abgedruckt. Darin schreiben
Aussteiger, die sich bestätigt fühlen. Und es schreiben Buddhisten, die die
Kritik nahezu durchweg als absurd abtun. In einem Interview mit dem
Schweizer Nachrichtenmagazin „Facts“ kommentiert sogar der Privatsekretär
des Dalai Lama das Buch „Der Schatten des Dalai Lama“: Kritik an seiner
Person interessiere Seine Heiligkeit nicht, sagt er. Mit dieser Haltung ist
er offenbar nicht allein. Nur wenige Wochen nach dem Buch der Trimondis erschien eine kritische Biographie des Münchener
Esoterik- und Psycho-Experten Colin Goldner.
Nach „endloser Beschimpfung,
Schmähung und Bedrohung“ wusste er sich nicht mehr anders als durch einen
offenen Brief zu helfen. Darin beschreibt er die Reaktionen, ihm sei sogar
ein Huhn ohne Kopf zugesandt worden. Und nicht nur das: Das Buddhistenmagazin „Ursache & Wirkung“ warf ihm vor,
so mit den Tibetern umzugehen, „wie die Nazis die Juden verunglimpfen.“
Colin Goldner erstattete Strafanzeige. „Bitte tragen Sie dazu bei“,
forderte er in seinem offenen Brief, „dass das tatsächliche Gesicht des
(tibetischen) Buddhismus, das in der Regel hinter einem Schleier von
Friedfertigkeit und Toleranz verborgen wird, an die Öffentlichkeit kommt.“
Dort allerdings tut sich in den vergangenen Jahren nur wenig. Der Internetbuchhändler
amazon.de führt gut 2000 Titel zum Thema Buddhismus. Ein kritisches
darunter zu finden, dauert jedoch eine Weile. Die Reputation des Dalai Lama
hat im Westen sieben Jahre nach den kritischen Veröffentlichungen keinen
Schaden genommnen. Ein Indiz dafür findet man auf
der Internetseite der Trimondis in der Rubrik
„Newsletter“: Am 8. September 2006 verlieh der US-amerikanische Kongress
ihm die Congressional Gold Medal,
die höchste Ehrung, die eine Privatperson in den USA erhalten kann. Ehrenstaatsbürger
in Kanada war Tensin Gyatso
da schon. Die Auszeichnung hatte er wenige Wochen zuvor entgegengenommen.
Den Text entnehmen wir mit
freundlicher Genehmigung der aktuellen Ausgabe des Online-Magazins daheim,
die sich mit dem Thema "Religion" befasst. "daheim"
versteht sich als "unabhängiges Online-Magazin, die Redaktion arbeitet
in München. Jede Ausgabe widmet sich einem Thema und beleuchtet dieses aus
verschiedenen Perspektiven. Das Magazin möchte Denkanstöße geben und sich
dabei die Zeit nehmen, aktuellen Debatten und Fragestellungen auf den Grund
zu gehen." Ein Porträt des Daheim-Magazins erschien bereits auf
jetzt.de.
Quelle: Jetzt.de Partner der Süddeutschen Zeitung: http://www.jetzt.de/redaktionsblog/alle-moegen-den-dalai-lama-zurecht-blick-hinter-eine-fassade-357408
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