Der Schatten des Dalai Lama

Sexualität, Magie und Politik im tibetischen Buddhismus

 

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TIBETISCHE STELLUNGNAHMEN

1. - Kelsang Gyaltsen - ehemaliger Sekretär des XIV Dalai Lama

2. - An Open Letter to Mr. Kelsang Gyaltsen by Helmut Gassner

3. - Tibetergemeinschaft Rapperswil/Jona - Schweiz

4. - Lobsang Gyalpo


Kelsang Gyaltsen - ehemaliger Sekretär des XIV Dalai Lama

Kelsang Gyaltsen (47) war bis Anfang 1999 sieben Jahre lang der Privatsekretär des Dalai Lama. Er ist in der deutschsprachigen Schweiz aufgewachsen und hat sich jetzt wieder dort niedergelassen. Zur Zeit vertritt er die Sache der Tibeter bei der Europäischen Union.

Interview in FACTS Nr. 9 - 4. März 1999

"Er schießt nur in die Luft" - "Kritik an seiner Person interessiert Seine Heiligkeit nicht" - sagt Kelsang Gyaltsen, der Exsekretär seiner Heiligkeit.

FACTS: Herr Gyaltsen, ist der Dalai Lama kritikfähig?

K. GYALTSEN: Sofern die Kritik fundiert ist, wird er sie akzeptieren.

FACTS: Die Autoren Victor und Victoria Trimondi bezeichnen ihn im Buch "Der Schatten des Dalai Lama" als genialen Manipulator.

K. GYALTSEN: Als buddhistischer Mönche ist es ihm wichtig, sich immer wieder selber zu überprüfen. Kritik an seiner Person interessiert seine Heiligkeit nicht.

FACTS: Ein Vorwurf der Autoren betrifft den sexuellen Missbrauch von Mädchen und Frauen durch Mönche.

K. GYALTSEN: Ein buddhistischer Mönch muss ein Gelübde ablegen, das striktes Zölibat verlangt. Leider gibt es wie in anderen Religionen auch im tibetischen Buddhismus Mönche, die ihr Gelübde brechen. Solche Einzelfälle anzuführen und damit eine ganze Religionsgemeinschaft zu diskreditieren, das ist Rufmord.

FACTS: Alles nur Spekulationen?

K. GYALTSEN: Ja. Das ist Effekthascherei auf Kosten des tibetischen Volkes: fundamentalistisch und rassistisch.

FACTS: Die Kritiken zielen hauptsächlich auf den Dalai Lama.

K. GYALTSEN: Die immense Popularität Seiner Heiligkeit zieht auch Kritik an. Und mit Sensationen dieser Art wollen andere noch Geld verdienen.

FACTS: Der Dalai Lama hatte seine Popularität bewusst genutzt.

K. GYALTSEN: Was ist dagegen einzuwenden? Schließlich hat sich der Westen erst durch Seine Heiligkeit für die schwierige Situation der Tibeter interessiert.

FACTS: Indem er als Shootingstar mit Hollywood Prominenz posiert?

K. GYALTSEN: Prominente? Herzlich willkommen! Aber dem Dalai Lama sagen all die Namen nichts. Einmal sass er Robert de Niro gegenüber und fragte den Unbekannten nach seinem Anliegen. Der lächelte bloß, worauf Seine Heiligkeit die Audienz beendete und ihn freundlich verabschiedete.

FACTS: Wahrscheinlich lachend. Der Humor des Dalai Lama ist ja so bekannt wie seine Schwäche für Waffen.

K. GYALTSEN: Seine Heiligkeit hat sich schon in seiner Jugend für Präzisionsmechanik interessiert, insbesondere für alte Uhren und Waffen. Er besitzt heute noch ein Luftgewehr.

FACTS: Der Dalai Lama als Ballermann? Ist er ein guter Schütze?

K. GYALTSEN: Wo denken Sie hin, er schießt nur in die Luft. Töten ist mit seinem Glauben nicht vereinbar. In seinem Garten in Dharamsala füttert er kleine Vögel und verscheucht mit dem Gewehr große Vögel, die den schwächeren das Futter wegschnappen.

FACTS: Gerechtigkeitssinn?

K. GYALTSEN: Dazu gibt es eine schöne Anekdote: Als kleiner Junge hatte er einen Papagei, der außer sich vor Freude war, wenn einer der Diener kam. Beim Dalai Lama blieb er still. Daraufhin hat er ihn mit einem Stock gepiesackt. Seine Heiligkeit erzählt diese Geschichte gerne als Beispiel für das Verhältnis der Chinesen zu den Tibetern. Um Zuneigung oder Akzeptanz zu erhalten, benützen sie den Stock. Doch Gewalt ist der falsche Weg.


Unser Kommentar zum Interview:

Kelsang Gyaltsen verweist, wie das auch der Dalai Lama ständig tut, auf das Zölibatsgelübde der buddhistischen Mönche. Er weiß sehr genau, dass dieses im tantrischen Buddhismus, der Kernlehre des Lamaismus, explizit aufgehoben wird. Es handelt sich also nicht um Einzelfälle sexueller Verfehlungen von Lamapriestern, wie sie in allen Religionen vorkommen, sondern das tibetische System beruht im Prinzip auf der Ausbeutung sexueller Energie zu spirituellen und weltlichen Machtzwecken eines Mönchsklerus. Das ist die Grundthese, die wir in unserem Buch ausführlich behandeln, die wir mit zahlreichen Zitaten belegen und zu der wir auch immer wieder zurückkehren. Die Sexualmagie des buddhistischen Tantrismus beinhaltet eine umfassende sakrale Weltanschauung, welche alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens durchdringt. Hinter ihr verbirgt sich eine "politischen Theologie", die der Lamaismus seit Jahrhunderten entwickelt und verfeinert hat und nach der er sich strikt ausrichtet. Das sexuelle Fehlverhalten "schwach" gewordener Lamas interessiert uns nicht.

Unser Buch als "rassistisch" zu bezeichnen ist eine weitere Unterstellung, da es uns niemals einfallen würde, etwas gegen die tibetische Rasse zu sagen. Im Gegenteil, wir sind fest davon überzeugt, dass das tibetische Volk wie alle Völker das Potential in sich trägt, einen freien und auf Gleichheitsgrundsätzen aufbauenden Rechtsstaat zu entwickeln, wenn die entsprechenden sozialpolitischen und pädagogischen Bedingungen dafür geschaffen würden. Nur meinen wir, dass dies mit einer fundamentalen Kritik von den Ideen und Praktiken der Jahrhunderte alte Mönchshierarchie, die alle Macht für sich beansprucht, einhergehen muss. Aber selbst innerhalb des tantrischen Ritualsystems halten wir Reformen für möglich (siehe S. 794 ff. - 2. Aufl.).

Kelsang Gyaltsen spielt die "Benutzung der Prominenz" durch den Dalai Lama herunter. -  "Herzlich willkommen!" - Er weiß sehr wohl, dass die Prominenten insbesondere die Hollywoodschauspieler/innen in unserer Gesellschaft die Rolle von Vorbildern und Halbgöttern übernommen haben. Sie sind es, die für Millionen Menschen die "attraktiven" Werte zum Ausdruck bringen. Dank Hollywood konnte der Lamaismus ein viel beachtetes Terrain der westlichen popular culture erobern. Die Prominenten, die mit dem tibetischen Buddhismus liebäugeln, wissen jedoch nur in den wenigsten Fällen auf welches System sie sich da eingelassen haben. Sie werden bewusst uninformiert gehalten und dienen deswegen als Instrumente einer religiösen Machtpolitik, die sie kaum durchschauen dürften. Wir sind auf die Beziehung des Dalai Lama zu Hollywood ausführlich in unserem Buch eingegangen. (S. 770 ff. - 2. Aufl.)

Die Waffenschwäche des Friedensnobelpreisträgers ist in der Tat ein eigenartiges Phänomen. An sich wäre so etwas ohne Belang, wenn es nicht eine Persönlichkeit beträfe, die den Pazifismus (oder das Ahimsa - Prinzip) zu einer tragenden Säule seiner religiösen Weltanschauung gewählt hätte. Ebenso locker wie der Kelsang Gyaltsen spricht auch der Dalai Lama über seine Faszination von Feuerwaffen. Wir drucken die entsprechende Passage aus unserem Buch (S. 588 - 2. Aufl.) ab:

KRIEGSSPIELZEUGE:

Im Gegensatz zu dieser ständig nach außen hin demonstrierten pazifistischen Grundeinstellung steht überraschenderweise eine gewisse Faszination für das Kriegshandwerk, die Seine Heiligkeit schon als Kind in ihren Bann zog. In Martin Scorceses Film (Kundun) über das Leben des Dalai Lama wird diese Vorliebe in einer kleinen Szene plastisch dargestellt. Der kindliche Gottkönig spielt mit Zinnsoldaten. Mit einem Handstreich wirft er sie plötzlich um und ruft emphatisch aus: "Ich will die Macht!" Diese Filmanekdote dürfte realistischer gewesen sein als die fromme und weitverbreitete Legende, nach der der junge Gottkönig diese Zinnsoldaten einschmelzen ließ, um sie anschließend zu Spielzeugmönchen umzumodelieren.

Als Heranwachsender schätzte der Kundun Schießübungen mit einem Luftgewehr aus dem Nachlass seines Vorgängers und ist immer noch stolz darauf, ein guter Schütze zu sein. Ohne Scham verweist er in seiner Autobiographie darauf, dass er eine Luftpistole besitze und sich damit im Scheibenschießen übe. Eines Tages tötete er eine Hornisse, die ein Wespennest ausräuberte. "Ein Beschützer der Schutzlosen!" - kommentierte ein Biograph ehrfurchtsvoll diesen Scharfschuss. (Hicks, 197)

Die offen eingestandene Schwäche des Kunduns für Kriegsliteratur und Kriegsfilme hat nicht wenige seiner Bewunderer erstaunt. Als Junge war er begeistert von englischen Militärbüchern. Sie dienten ihm als Vorlage, um Kampfflugzeuge, Schiffe und Panzer nachzubauen. Später ließ er sich Passagen daraus ins Tibetische übersetzen. Das ehemalige SS Mitglied Heinrich Harrer musste ihm gegen Ende der 40er Jahre über die eben erst vergangenen Ereignisse des zweiten Weltkrieges berichten. Seit seiner Jugend hat sich an dieser Passion für Militaria wenig verändert. Noch im Jahre 1997 bekannte der Kundun in einem Interview seine Begeisterung für Uniformen: Sie "sind aber auch sehr attraktiv. ... Jeder Knopf an der Jacke glänzt so schön. Und erst die Gürtel. Die Abzeichen." (Süddeutsche Zeitung, Magazin, 21.3.97, 79) 1998 erzählte der Friedensnobelpreisträger auf seinem Deutschlandbesuch: "Ich habe mir schon als Kind gern Bilderbücher aus der Bibliothek meines Vorgängers angesehen, speziell über den ersten Weltkrieg. Ich liebte all die Instrumente, die Waffen und Panzer, die Flugzeuge, die tollen Kriegsschiffe und U-Boote. Später bat ich um Bücher über den zweiten Weltkrieg. Als ich 1954 China besuchte, wusste ich darüber mehr als die Chinesen." (Zeitmagazin, Nr. 44, 22. Oktober 1998, 24) Auf die frage nach seinen Fernsehgewohnheiten plauderte er (ebenfalls in Deutschland) über seine Vorliebe für Kriegsfilme: "Früher hatte ich allerdings eine Lieblingssendung. Sie werden es nicht glauben! 'M:A:S:H' - die US-Serie über den Vietnamkrieg. Sehr komisch .... (lacht) (Focus 44/ 1998)

Als er 1986 die Normandie besuchte, wünschte er sich aus heiterem Himmel und völlig gegen das Programm, das Landungsgebiet der Alliierten im Zweiten Weltkrieg zu besuchen. "Ich wollte auch die Waffen sehen, diese mächtigen Kanonen und alle diese Gewehre, die mich schmerzlich berührten. In der Nähe von diesen Maschinen, diesen Waffen und diesem Sand habe ich die Emotionen jener gespürt und geteilt, die sich damals dort befanden..." (Levenson, 291) Trotz solch frommer Beteuerungen des Mitgefühls mit den Schlachtenopfern klingt auch hier die kindliche Begeisterung an den Kriegsmaschinen durch. Oder handelt es sich dabei um eine Laune des "Zeitgottes", dessen Enthusiasmus für verschiedene Waffensysteme im Kalachakra Tantra - wie wir schon berichtet haben - so ausführlich zu Wort kommt?

Auch wenn solche martialischen Vorlieben und Spielereien im Normalfall harmlos sein mögen, so dürfen wir nie vergessen, dass der Dalai Lama anders als ein normaler Mensch eine Symbolfigur darstellt. Alles Fromme, was es ansonsten aus der Kindheit und dem Leben des Gottkönigs zu berichten gibt, gilt mittlerweile dank einer machtvollen Filmpropaganda als wunderbares Vorzeichen und als das Indiz eines kosmischen Planes. Ist es deswegen nicht konsequent, auch seine Faszination für das Kriegsmilieu als ein höheres Zeichen zu deuten, welches auf die aggressiven Potentiale seiner Religion hinweist?

Es gibt zwar im Buddhismus ein grundsätzliches Tötungsverbot, in den höchsten Einweihungsstufen des Tantrismus wird dieses jedoch aufgehoben. Auch Tiere dürfen von Anhängern des Lamaismus nicht getötet werden, dennoch kennt man im Lande kaum Vegetarier, denn das Essen von Fleisch ist erlaubt und üblich. Deswegen übernahm im alten Tibet eine andere Religionsgruppe die Schlachtungen, vornehmlich die Mohammedaner. Sie bildeten aus diesem Grunde eine unabdingliche gesellschaftliche Minderheit. Die Absage an den Vegetarismus wird vor allem und wohl mit einigem Recht mit klimatischen Argumenten begründet, im Schneeland sei eine rein pflanzliche Küche gar nicht möglich und gesundheitsschädlich. Bei den Exiltibetern, die mittlerweile ganz anderen Klimata ausgesetzt sind, hat sich diese Gewohnheit jedoch nicht geändert. Auch der Dalai Lama liebt die Fleischkost und lässt andere für sich schlachten.

Unsere Kritik zielt hier nicht darauf, dass grundsätzlich Fleisch verzehrt wird, sondern dass das damit verbundene Töten anderen Volksgruppen aufgelastet wird und dass man selber als Buddhisten die fleischlichen Früchte davon verzehrt. Dabei ist weiterhin zu beachten, dass mit dem Töten von Tieren nach buddhistischer Lehre sehr schlechtes Karma dem Metzger aufgeladen wird, welches oft Jahrtausende lange Höllenstrafen zur Folge haben kann. Dieses übernehmen im Falle der Schlachtungen religiöse Minderheiten, die damit im Gesamtsystem die Rolle eines Sündenbocks ausführen.

 

Leserbrief von Kelsang Gyaltsen an DIE WOCHE:

43 der 46 Mitglieder des Exilparlaments werden gewählt. Drei Abgeordnete werden vom Dalai Lama ernannt. Das alte Tibet war kein demokratischer Rechtsstaat. Kein Tibeter, der bei rechten Sinnen ist, behauptet dies. Die Bemühungen und Maßnahmen, die der Dalai Lama in der tibetischen Exilgemeinschaft zur Demokratisierung ergriffen hat, sind grundlegend, umfassend und unumkehrbar. Es ist richtig, dass sich diese Demokratisierung im Exil nicht ohne Spannungen, Probleme und Rückschläge vollzieht. Jedoch sollte es keinen Zweifel am Willen des Dalai Lama geben, die tibetische Gesellschaft grundlegend zu demokratisieren.


Unser Kommentar zum Leserbrief:

Es ist nicht richtig, die exiltibetische Politik, die immer noch den Dalai Lama als Staatschef auf Lebenszeit anerkennt, als demokratisch darzustellen. Wir haben die "Scheinbekenntnisse des XIV Dalai Lama zur westlichen Demokratie" in unserem Buch ausführlich zur Sprache gebracht (S. 434, 2. Aufl.) Eine wirklich demokratische Willensbildung ist nicht nur technisch für die über 30 Länder verteilten tibetischen Flüchtlinge schwierig, sondern auch kaum beabsichtigt. Zum Beispiel wurde die Straßburger Erklärung des Dalai Lama (1988) niemals offen diskutiert und bisher durch keinen Volksentscheid abgesegnet. Sie beinhaltet aber immerhin die Daseinsfrage der gesamten tibetischen Nation, nämlich den Verzicht auf die eigene Souveränität gegenüber China. Ohne große Rückfragen bei seinen Untertanen entschied der "Gottkönig" über die nationale Existenz oder Nichtexistenz Tibets, was selbstverständlich zu starken Irritationen innerhalb der exiltibetischen Community geführt hat. Es gab im Übrigen noch nie (zumindest bis zum Jahre 2000) eine Entscheidung des Dalai Lama, der sein Parlament in seiner 35 jährigen Geschichte widersprochen hätte.

Vor einigen Jahren hielt Kelsang Gyaltsen vor einem internen Kreis einen Vortrag mit dem Titel "Tibet und Demokratie". In der anschließenden Diskussion kam er zu folgender Schlussfolgerung: "Demokratisierung ist wichtig, aber wenn sie dazu führt, dass die Kräfte der Tibeter völlig absorbiert werden in diesem Prozess, müssen wir uns fragen, ob das richtig ist und hinterfragen, ob es der geeignet Zeitpunkt für diesen Prozess ist ......" Die Demokratiefrage ist also Zukunftsmusik. Wie sie sich in einer autonomen Provinz des kommunistischen China realisieren soll, kann man sich schwer vorzustellen. "Aber schlussendlich" - heißt es weiter in der Diskussion - "wird es eine Zeit geben, in der der Dalai Lama nicht mehr da ist und dann müssen wir Tibeter selbst die Arbeit, die der Dalai Lama begonnen hat, fortsetzen, und dazu ist die Demokratisierung notwendig. Auf der anderen Seite ist es für uns Tibeter sehr schwierig, weil die Institution des Dalai Lama historisch herangewachsen ist und sozusagen den Bezug darstellt von politischer Struktur zum tiefverwurzelten buddhistischen Glauben. Die Unantastbarkeit des Dalai Lama ist hierdurch zustande gekommen und es gibt für uns Tibeter große Probleme, wenn kritische Fragen im Hinblick auf den Status des Dalai Lama auftauchen, die in einem demokratischen Staat möglich sein sollten."

Das ist ehrlich und benennt das Problem: Der Lamaismus und der demokratische Rechtsstaat sind nicht kompatibel. Dazu kommt, dass ein Grossteil des Volkes aus historischen Gründen einem Demokratisierungsprozess völlig fremd gegenübersteht. Aber selbst wenn die Institution des Dalai Lama in Zukunft als höchste staatliche Instanz abgeschafft würde, beinhaltet das Ritualwesen seiner Religion eine "politische Theologie" die systematisch auf die Einsetzung des Mönchsklerus als die entscheidende politische Gewalt in der Gesellschaft hinzielt. Auf diese Frage konzentriert sich unser Buch, ein Thema, das im Zusammenhang mit den islamischen Theokratieansprüchen schon ausgiebig debattiert wird. Wir zeigen auf, dass ein entsprechendes Streben nach globaler Herrschaft auch den tantrischen Buddhismus charakterisiert. Die Tibeter spielen in diesem Powerspiel der Religionen nur die Rolle eines Instruments, denn der Dalai Lama vertritt primär die Interessen seiner religiösen Weltanschauung und dann erst diejenigen seines Volkes.

Im Übrigen ist das von Kelsang Gyaltsen annoncierte Bemühen um Demokratisierungsprozesse unter den Exiltibetern, auf das immer wieder im Westen hingewiesen wird, weitgehend unbedeutend. Auf S. 487 unseres Buches schreiben wir: In dieser lamaistischen Restauration, nicht in der tibetischen Demokratiebewegung sehen wir ein Problem. Das Eigentümliche und Verwirrende an der politischen Situation ist jedoch, dass die klerikale Restauration mit großem Erfolg vorgibt, selber die Demokratiebewegung zu sein, und mit dieser Täuschung das Bewusstsein sowohl der Tibeter als auch des Westens manipuliert.

Zur Demokratiefrage siehe: Buddhismus (Lamaismus) und Demokratie

 

Leserbrief von Kelsang Gyaltsen im FOCUS 13/1999

Als Tibeter fühle ich mich betroffen und verletzt, wie unser Glaube und unser Oberhaupt diffamiert wird. Das Buch der Autoren Trimondi (alias Röttgen) und die marktschreierische Verbreitung ihrer absurden Vorwürfe durch die Medien gegen unseren Glauben sagen mehr über den vorherrschenden offenen Zynismus und über den latenten Kulturchauvinismus gewisser hiesiger Kreise aus als über den tibetischen Buddhismus und den Dalai Lama. Solange entfernte Völker und deren Kulturen geschwächt oder vom Aussterben bedroht sind, ist man bereit, Mitgefühl und Sympathie zu zeigen. Aber wehe, wenn sie als ebenbürtige Geistesströmungen in Erscheinung treten und sich behaupten.


Unser Kommentar zum Leserbrief:

Es ist richtig, dass wir gegenüber dem tibetischen Volk, dessen Kultur geschwächt und vom Aussterben bedroht war, Mitgefühl und große Sympathie gezeigt haben. Kelsang Gyaltsen spielt auf die Zeit bis Mitte der 80er an, in der ich (Victor Trimondi/ Herbert Röttgen) unter anderem mit ihm zusammen für den Dalai Lama Kongresse organisiert und dem tibetischen Oberhaupt offizielle Kontakte zu hohen Staatsstellen verschafft habe (siehe: Biographien). In der Tat war damals die internationale Stellung des Gottkönigs noch sehr geschwächt und nur wenige wollten ihm die Hand reichen, weil man die Kritik der Chinesen fürchtete.

Aber wir hatten nicht nur Sympathie und Mitgefühl, sondern glaubten von Anfang an auch etwas lernen zu können. Zwei Grundeinstellungen machten für uns (dazu zählte auch Petra Kelly), die wir aus der 68er Bewegung kamen, Tibet und seine Religion so attraktiv:

1.      das soziale Engagement für ein unterdrücktes Volk und

2.      die Idee von einer Bewusstseinsrevolution.

Nach den Enttäuschungen über die "linke Revolte" insbesondere unter dem Eindruck der mörderischen Ereignisse des "bewaffneten Kampfes" (RAF) schien uns der tibetische Buddhismus (ebenso wie andere "exotische" Religionen) über die ethisch hochstehenden Bewusstseinstechniken zu verfügen, die es möglich machen könnten, ohne Gewalt und mit friedlichen Mitteln eine neue humane Welt zu imaginieren und politisch hervorzubringen. Immer häufiger sprach der Dalai Lama, nicht zuletzt unter dem Einfluss seiner westlichen Freunde aus der ehemaligen Protestbewegung, eine solche Möglichkeit an und wie viele andere, so fühlten wir uns auch zu ihm hingezogen. Selbst die Recherchen zu unserem Buch haben wir mit dieser positiven Einstellung begonnen.

Siehe hierzu Interview: ORF/TV - "Treffpunkt Kultur" - Katja Sindemann

Aber wir mussten unsere Ansichten aufgrund unserer Forschungen und Erkenntnisse grundsätzlich korrigieren und das wurde höchste Zeit, denn wie Kelsang Gyaltsen mit Recht sagt, der tibetische Buddhismus ist heute schon im Westen als "ebenbürtige Geistesströmung in Erscheinung getreten und hat sich behauptet". Dass jedoch die kritische Auseinandersetzung mit einer herrschenden Geisteströmung "offener Zynismus" und "latenter Kulturchauvinismus" sein soll - ist nicht einzusehen. Es macht gerade ein Kriterium unserer westlichen Kultur aus, dass wir eine freie Meinungsäusserung als ein Grundgesetz anerkennen und diese sollten wir uns auch nicht nehmen lassen, wenn wir den Dalai Lama und seine Religion untersuchen und herausfordern. Im Gegenteil wir haben das Recht und die Pflicht, diese "ebenbürtige Geistesströmung" zu überprüfen, insbesondere wenn die Vermutung aufkommt, dass sie gefährlich für bedeutsame Werte in unserer Kultur sein kann.


An Open Letter to Mr. Kelsang Gyaltsen

Secretary of H.H. Dalai Lama - Helmut Gassner

 Offener Brief von Helmut Gassner an Kelsang Gyaltsen. Gassner war der frühere deutsche Übersetzer des Dalai Lama und geriet wegen der Shugden Affäre in Ungnade. Siehe zu seiner Biographie: Friedrich Naumann Stiftung.

Dear Kelsang Gyaltsen,

Please excuse me for writing this open letter. In your recent written response to the president of the Rabten Choeling association you mentioned my name in connection with "various TV and Radio programmes and press conference in Germany, Switzerland, United States and Austria which were designed to discredit His Holiness the Dalai Lama, the Tibetan Government-in-exile, to disrupt the Tibetan community and to undermine the Tibetan cause. There is no denying of this fact," and that there are people, who strongly believe that I am "one of the driving forces behind these programmes".

Dear Kelsang, you have not forgotten that on many gracious visits of His Holiness to Germany, Austria and Switzerland we have worked together as friends? Have you forgotten that since 1979 I have made every effort to put His Holiness' message on universal responsibility and harmony into befitting German words, deeply wishing for the audience to feel the same love and unity that always grasped my heart when hearing these words of H.H. Dalai Lama?

Do you really think that I could make any effort to discredit His Holiness the Dalai Lama or to disrupt the Tibetan community, after I have devoted my complete heritage and income to sustain Buddhist studies and practice in India and Europe? In all the years we worked together, you could have noticed that my thoughts and efforts always remained the same from year to year, and I can assure you, my gratitude to the Tibetan people and its great Buddhist masters has only increased during the past twenty years.

Through several of my friends I got to understand that you may consider myself as the very driving force behind the Swiss TV's report on the Dorje Shugden issue. If you really think so, then you have never had any direct and open conversation with Mr. Regli, the author of this report. As you certainly remember, I have repeatedly translated spoken Tibetan for the Swiss TV during the past twenty years. Besides other engagements for H.H. Dalai Lama, I translated for a chronicle about Ven. Trijang Choktrul Rinpoche in 1996. This chronicle was done by Mr. Regli, who is one of the most experienced journalists of DRS and has a very good knowledge of the various inclinations as well as political habits of Asian people. During the work for the chronicle he seemed impressed by the young Trijang Rinpoche and also mentioned his esteem for H.H. Dalai Lama.

In April 1997, a Newsweek article on the dreadful murder of Ven. Lobsang Gyatso brought the Dorje Shugden issue to an international public. In the months to follow I repeatedly received calls from journalists, who knew me as 'interpreter of H.H. Dalai Lama', requesting my opinion. What could I answer? After His Holiness' statements of 1996, where he declared Dorje Shugden to be a danger to his life and the cause of Tibet, my friends, teachers, and masters, who had all supported His Holiness with all their effort throughout their life, were now badly splitting into two heavily opposing groups. It seemed that the kind words of His Holiness were now replaced by words of segregation. I did not believe it, refused to watch any recordings and was convinced that some mischief in the exile government, unknown to myself, was at the root. I was sure that words I saw in various reports as 'statements of His Holiness' could not be His statements. As perplexed as I was myself there was little I could do to bring clarity to the perplexed questions of journalists.

In June 1997, the Indian press reported on the fate of Mr. Thubten's family, who was chased out of their house and village after Mr. Thubten had made public statements on events of recent Tibetan history, which were seen as a contradiction to statements of the Tibetan exile government. These reports in the Indian press aroused Mr. Regli's interest. He pursued investigations for several months and travelled to India in November to get on-site information.

After his return he requested me to verify the translations of the interviews, which amounted to some 16 hours of prime video material. Some of the statements by Dorje Shugden adherents were saddening, but the appearance and the statements of His Holiness were just devastating for myself. "Fanatic...., fundamentalist...., this is very clear" (was not shown on TV) are now the words of His Holiness for those who venerate Dorje Shugden, which includes his own tutor, the philosophical assistants he chose himself, the chamberlain who arranged his save escape from Tibet, many of the Khampa guerillas who gave their life for him to escape, many monasteries and whole regions of his own people, who have always been faithful to him.

Mr. Regli had left Switzerland full of esteem for His Holiness, hoping to meet the famous person full of radiance and kindness, but what he met was an irritable Dalai Lama, who insistently negates pinpointing questions of the journalist. With the impression of likeness to other strong men of Asia, Mr. Regli searched the recent Tibetan history under the rule of the Dalai Lamas and regents. When he asked me to review one of the reports in order to verify the correctness of the translations, I saw pictures of a prisoner punished by having his eyes destroyed. This was so saddening for me that I asked him to remove them. As he had good reason to include the sequence, he refused. My insistence led to a bad dispute with Mr. Regli, which finally caused him to revise his report, but solely due to his reconciling character, not due to any valid arguments from my side.

The historical event behind the disputed pictures was the mutilation of Lungshar, an influential Tibetan aristocrat close to the 13th Dalai Lama. The Tibetan Minister Trimön sought capital punishment for Lungshar and punishment of his sons by chopping off their hands. The effective intervention of Pabongka Rinpoche prevented these punishments from being executed. Trimön nevertheless succeeded in having Lungshar's eyes destroyed. Officially, Lungshar was charged for creating a communist party in Tibet, while other transmissions of the events say that he was making efforts to establish a constitutional monarchy in Tibet, a form of democratic rule he apparently got to appreciate during his stay in Great Britain.

If there is any truth in the various reports on the exile government's handling of the Dorje Shugden issue, then the ruling style of today's Tibetan government still has not overcome all facets of Lungshar's time. Dear Kelsang, did you ever verify the historical accuracy of your government's statements? Did you ever talk to living witnesses of recent Tibetan history? You grew up in the vicinity of the great Chamberlain Phala, the key organizer of His Holiness' historical escape from Tibet, but did you ever speak to him? May I guess that you didn't, because you were just about making effort to gain more fluency in the Tibetan language and to move from a Swiss banking career to Tibetan exile politics when Mr. Phala passed away. At that time I already had translated for His Holiness during several years and frequently met Mr. Phala, who was kind enough to honor my interest in Tibetan history with many amazing details of the escape. What am I to think, when today's official version from Dharamsala is quite different from the account of many witnesses I have met? When asked by journalists, do you expect me to ignore my first hand sources and blindly follow the statements of your government?

In your letter you mention that "it is totally baseless and malicious to assert that 'the most precious life of Kyabje Trijang Chogtrul Rinpoche was in great peril.'"

Do you really think that the letter shown on Swiss TV is a fake? In fact, the threat-letter shown is the very copy received by Zong Labrang by mail and the relevant lines translate into: "Anyone who goes against the policy of the government must be singled out one-pointedly, opposed and given the death penalty..... As for the reincarnations of Trijang and Zong Rinpoche, if they do not stop practicing Dholgyal and continue to contradict with the word of H.H. the Dalai Lama, ..... their life and activities will suffer destruction. This is our primary warning."

Twelve monks of Ganden Jangtse, who participated in a demonstration of several hundred monks of Ganden Shartse requesting religious freedom were expelled from their monastery. I have met several of these monks: Young boys, who left Chatring in Tibet, overcame the many obstacles to reach India and to enter the great monasteries, fully decided to study the Buddha's teachings and to tame their minds. Now ousted and displaced, one of the boys was constantly worrying that his weakhearted mother in Tibet might get to know his predicament and die of sorrow. When I asked why they didn't join one of the other great monasteries, they replied that many people would get pressured and suffer if they joined another monastic university and it became known. Dear Kelsang, who on earth could possibly pressure any monastic university to such an extent, except the outer, inner, and secret setups of the exile government?

I am quite aware that some of my questions may not comply with your government's ideas. I am also aware of the fate of Tsultrim from Clementown, Alo Chodzä, Guru Deva Rinpoche, Dawa Norbu, Jamyang Norbu, Mr. Thubten and many others, who publicly showed thoughts not in line with the exile government and got chased, beaten, stabbed, and even killed. I never had any hopes for personal gain when translating for His Holiness, and my only hope with these lines is that the Tibetan people may find the happiness they seek. But this will not be achieved by blindly following a leader, even if he is undoubtedly one of the most outstanding persons of our time.

When His Holiness was giving precious religious advice to subdue self-cherishing and intolerance, did your government ever make efforts to ensure that every Tibetan will comply with these great words of the Dalai Lama? Were there ever signature campaigns for Tibetans to confirm their abandonment of egoism? Were there ever any houses searched to make sure no stubborn egoists are left? Why is your government so active this time, trying to ensure that everyone will follow the semblant meaning of his statements?

Authorities who divide their people, are seeking to dominate them. Authorities who seek to serve their people, will make effort to unite them in harmony. But anyway, if it is the case, as it seems, that you have the truth, the power and the fame all on your side, then why do you even consider to mention the name of a person as insignificant as myself?

9.19.1998

Helmut Gassner, Dipl.Ing. ETH

Letzehof, 6800 Feldkirch, Austria

 

Tibetergemeinschaft Rapperswil/Jona - Schweiz

Folgender Brief (vom 08. 03. 1999) wurde an den ORF geschickt als Reaktion auf die Sendung "Treffpunkt Kultur" vom 22. Februar 1999

Sehr geehrte Damen und Herrn,

Nach der Ausstrahlung des Berichtes und der darauffolgenden Diskussion waren wir als erstes verblüfft, schockiert über die Aussagen des Autorenpaares, danach aber verärgert und traurig. Daher möchten wir mit diesem Schreiben unsere Meinung kundtun und hoffen, dass dem Ehepaar dieser Brief zugestellt wird. Die vielen Anschuldigungen basieren, wie auch Herr Brauen dies bemerkte, auf Vermutungen, undifferenzierten Beobachtungen, unseriösen Recherchen. Wir sind jedoch überzeugt, dass dies auch einer kritischen Leserschaft auffallen wird.

Trotzen wird das Buch für eine negative Einstellung gegenüber Seiner Heiligkeit, dem 14. Dalai Lama und auch dem ganzen tibetischen Volk sorgen.

Das Autorenpaar, welches sich durch den Namen des Dalai Lama auf egoistische Weise bereichern will, sollte sich über die Folgen seiner Publikation Gedanken machen: Einerseits wird unser politisches und religiöses Oberhaupt, welches sich ohne irgendwelche eigennützigen Gedanken für das tibetische Volk und für den Weltfrieden aufopfert, auf despektierlichste Art angeschuldigt und beleidigt, andererseits wird dem tibetischen Volk im allgemeinen, welches sicherlich durch die chinesische Unterdrückung genug durchleidet, mit solchen "Aktionen" noch mehr geschadet.

Ein herzliches Dankeschön möchten wir Herrn Brauen gegenüber aussprechen, der mit seinen fachkundigen Aussagen Realität von Fiktion und Wahn unterschied und uns noch ein wenig versöhnlich stimmte. Wir fordern das Autorenpaar dennoch auf, sich zu entschuldigen und sein Buch zurückzuziehen.

Wir danken für Ihre Bemühungen und verbleiben

mit freundlichen Grüssen

Lobsang Tsonang, Yonten Gope

(Vertreter der Tibetergemeinschaft Rapperswil/Jona, Schweiz)


Unser Kommentar zum Brief:

Es fällt uns nicht leicht, auf diesen Brief zu antworten, da er sicher aus einer tiefen Betroffenheit heraus geschrieben wurde. Unsere Kritik am Lamaismus ist auf jeden Fall so grundsätzlich, dass dies für Gläubige und für die Exiltibeter nur schwer nachvollzogen werden kann, wenn sie nicht bereit sind, Fundamente der eigenen Weltanschauung in Frage zu stellen. Man mag es uns abnehmen oder nicht, unsere Absicht besteht aber keineswegs darin, dem tibetischen Volk zu schaden oder es zu beleidigen. Im Gegenteil wir wünschen ihm, dass es die Kraft hat, sich von einem religiösen System des Lamaismus zu lösen, der (ebenso wie die Chinesen) seine Freiheit und seine Selbstbestimmung verhindert. Wir wünschen ihm volle Aufklärung und einen demokratischen Rechtsstaat jenseits einer problematischen religiösen Bevormundung. Aber das wird ohne eine fundierte Auseinandersetzung mit seinem religiösen Oberhaupt, seiner Religion und seiner Geschichte nicht geschehen können.

Was in diesem Brief überhaupt nicht angesprochen wird, sind die inneren Kämpfe, die zurzeit die exiltibetische Community erschüttern (insbesondere die Shugden Affäre, siehe: S. 543ff. - 2. Aufl.). In diesem Fall beschuldigen sich die verschiedenen Parteien mit einer gegenseitigen Polemik, wie wir sie niemals in dieser Form angewandt haben.

 

Lobsang Gyalpo -Polemisch und unwissenschaftlich:

Dieses Buch ist ein polemisches, subjektives und unwissenschaftliches Werk. Um etwas über tibetischen Buddhismus zu lernen, ist es nicht empfehlenswert. Das Buch ist voll mit Sätzen, wie "wir gehen davon aus", die später als Basis und Beweise für die Behauptungen der Autoren dienen.

Die Autoren sind nicht in die Lehre des tantrischen Buddhismus eingeweiht. Die Bilder von tantrischen Aktivitäten, welche die Autoren beschreiben, um ihre Vorwürfe zu rechtfertigen, sind nicht selbst erlebt worden. Für ein Buch über die Kultur und Religion eines Volkes, ist es bemerkenswert, dass die Autoren die Meinung der Tibeter selbst zu ihrer These überhaupt nicht zur Kenntnis genommen haben - kein Tibeter wurde interviewt. Aber dann in der ORF-Sendung sagte die Autorin, "Ich weiß selbst nicht warum die tantrischen Texte so geschrieben sind. Man soll die Tibeter selber fragen warum sie so sind und wie sie zu verstehen sind."

Die Autoren behaupten, dass ihre Darstellung des tantrischen Buddhismus so sein muss, aber aktuelle Beweise dafür sind in diesem Buch nicht zu finden. Als "Beweise" werden stattdessen · Zitate von verschiedenen Personen außer Kontext genommen · tibetische Texte falsch übersetzt · die Übersetzungen uralter Sanskrit Texte wörtlich genommen · Informationen aus zweiter und dritter Hand genommen · Gerüchte verwendet, um die Argumentationen zu untermauern.

Die Autoren behaupten, dass der tibetische Buddhismus und Seine Heiligkeit, der Dalai Lama, die Welteroberung anstreben. Diese Idee ist eine der Verrücktesten, die ich je gehört habe. Die Vergangenheit Tibets und die jetzige Realität widersprechen diesem vollkommen. Tibet in der Vergangenheit war ein xenophobisches Land und lehnte jeden Kontakt mit der außen Welt ab. Wie hätten der tibetische Buddhismus und der Dalai Lama die Welt erobern sollen, ohne Kontakte mit dem Rest der Welt aufzunehmen! Und wenn man den momentanen Zustand Tibets überlegt, dann ist diese Behauptung der Autoren als reine Schwachsinnigkeit zu verstehen.

Laut der Autoren strebt der tibetische Buddhismus die Vernichtung des Islams an. Die Realität widerspricht dieser Behauptung und beleuchtet die Schwäche des Wissens der Autoren über Tibet. Im alten Tibet gab es eine blühende moslemische Gesellschaft in Lhasa. Diese moslemischen Tibeter waren sogar berühmt für ihre schöne tibetische Sprache. Irgendwie haben diese fanatischen und fundamentalistischen tibetischen Buddhisten diese feindliche Gesellschaft übersehen und die Behauptung der Autoren nicht befolgt.

Einige ihre Aussagen über Seine Heiligkeit, den Dalai Lama, sind so absurd, dass sie lächerlich sind z.B. · S.H. nimmt Blickkontakt mit Frauen auf um ihre Energie auszusaugen und seine eigene aufzubauen. · Ein politischer Erfolg in Deutschland ist darauf zurückzuführen, dass kurz vorher ein tantrisch - buddhistisches Ritual von S.H. durchgeführt wurde.

In der ORF-Sendung sagte Herbert Röttgen, dass es in dem Buch keine pro chinesische Position gibt. Die Haltung der Autoren gegenüber China in dem Buch widerspricht jedoch dieser Aussage. Einige Bemerkungen könnten direkt aus Beijing stammen. z.B. : · "dass das tibetische Volk heute besser lebt als unter der Herrschaft des Lamaismus." - wie wissen sie das? In der ORF Sendung haben die Autoren zugegeben dass sie nie in Tibet waren. Wieso können sie dann so eine Aussage machen? "Die politische Situation in Tibet und Argument gegenüber einen potentiellen, chinesischen Imperialismus ..." - Wenn die Besetzung von Tibet, Ost-Turkestan und Innere Mongolei nicht Imperialismus ist, was ist dann Imperialismus? · "Wir müssen das Tibet der Vergangenheit als eine Kulturgemeinschaft und nicht als eine Nation bezeichnen" - Das ist historisch total falsch und außerdem widerspricht das ihrer anderen Aussage und Behauptung, dass die Tibeter so kriegerisch sind und auf der Pfad der Welteroberung. · Äußerungen von Politiker die Tibet für einige Tage besuchten und glaubten dass die Lage nicht so schlimm ist wurden mehr Bedeutung beigemessen.

Das Ganze ist eine unglaubwürdige Schwarz/Weiss-Darstellung nur eines Teils des tibetischen Buddhismus.


Unser Kommentar zur Leserrezension:

Um über einen religiösen Kult zu schreiben, muss man nicht unbedingt in ihn eingeweiht sein. Die hier im Westen entwickelte Religionswissenschaft, Kulturanthropologie, Tiefenpsychologie und Soziologie geben uns ausreichend Kriterien und Begriffe, um fremde Religionen zu studieren und einzuschätzen. Wäre eine "Einweihung" zum Verständnis notwendig, dann dürfte nur ein ganz kleiner Teil der Tibetologen über die tantrischen Rituale schreiben und ernst genommen werden. Die umfangreiche Literatur darüber wäre von keiner Bedeutung und auch die Schriften der klassischen Tibetologie wie die von Guiseppe Tucci, David Snellgrove, Helmut Hoffmann, Rolf A. Stein und vielen anderen hätten keine "Beweiskraft", denn all diese Autoren waren nicht initiiert. Wer keine "Weihen" erfahren hat, der muss schweigen! Wer die "Weihen" erfahren hat - so können wir entgegnen - hat überhaupt die größten Schwierigkeiten, eine Kritik durchzuführen, denn die Initiation verlangt ja gerade von ihm, dass er alle Grundlagen des Systems akzeptiert. Wir haben hier im Westen eine wissenschaftliche Tradition, die es uns erlaubt, auch über Religionen, deren Anhänger wir nicht sind, eine Debatte zu führen. Diese sollten wir uns nicht von den Lamas nehmen lassen, schliesslich sind sie es, die in unser Kulturgefüge eindringen und nicht der Westen hat das Schneeland besetzt sondern allenfalls die Chinesen. Lobsang Gyalops Forderung läuft darauf hinaus, dass nur der Kranke den Kranken heilen kann, oder dass nur der Dirigent seine eigene Konzertaufführung kritisieren darf.

Nicht unsere persönlichen Erlebnisse sind bei der Beurteilung der tibetischen Kultur wichtig, sondern die kompetenten Forschungsarbeiten, aus denen wir zitiert haben. Ein Großteil unserer Argumente stammt aus dem Munde oder der "Feder" von Tibetern.

"Ich weiß selbst nicht, warum die tantrischen Texte so geschrieben sind. Man soll die Tibeter selber fragen, warum sie so sind und wie sie zu verstehen sind." - soll Victoria gesagt haben. Dieser Satz kann kaum so ausgesprochen worden sein, schließlich haben wir ein 800seitiges Buch über die Tantra Texte geschrieben und uns dort viele unterschiedliche Meinungen von tibetischen Gelehrten und westlichen Wissenschaftlern hierzu diskutiert. Dass wir keine "Beweise" erbracht hätten, Zitate von verschiedenen Personen außer Kontext genommen wären, dass tibetische Texte falsch übersetzt worden wären, dass die Übersetzungen uralter Sanskrit Texte wörtlich genommen würden, dass Informationen aus zweiter und dritter Hand genommen worden wären und das Gerüchte verwendet wurden, um die Argumentationen zu untermauern - all das muss an konkreten Fällen aufgewiesen werden, dann können wir darauf antworten.

Zur Welteroberung siehe Interview: Buddhokratie und Weltenherrschaft. Nur kurz: Wir haben beschrieben, wie im tantrischen Ritualwesen die Errichtung einer weltweiten Buddhokratie und die Institution eines Weltenherrschers angestrebt werden. Als Beweis hierfür haben wir die einschlägigen Texte und die Aussagen bekannter Buddhisten und Tibetologen zitiert.

Der "Blickkontakt mit Frauen" - zählt zu den Formen der sogenannten niederen Tantras (Action Tantra): "It is said that in Action Tantra the desire involved in male and female looking or gazing at each other is used in the path." (Tenzin Gyatso, the Dalai Lama - The Kalachakra Tantra, Rite of Initiation, London, 1985). Nicht nur wir haben diese "Verzauberung" durch den Blick des Gottkönigs festgestellt, sondern das ist unter seinen Zuhörerinnen ein oft erwähntes Phänomen. Auf S. 419 (2. Auflage) zitieren wir: Dass der Dalai Lama ständig charmante Augenkontakte mit Frauen aus seiner Zuhörerschaft herstellt, ist schon vielen, die ein Teaching von ihm besucht haben, aufgefallen und wird tatsächlich im Internet diskutiert: "Es ist wohl möglich" - schreibt dort Richard P. Hayes über die "Flirts" des Kunduns -, "dass er bewusst eine Anstrengung macht, den Augenkontakt mit Frauen herzustellen, um deren Selbstbewusstsein und deren Selbstwertgefühl ... aufzubauen. Es ist ebenfalls möglich, dass er unbewusst die Gesichter der Frauen mit seinen Blicken abtastet, weil er sie attraktiv findet. Und es kann auch sein, dass er Frauen attraktiv findet, weil sie irgendwie seinen Anima Komplex auslösen." (* 25.03.1998 - <rhayes@wilson.lan.mcgill.ca>) Hayes hat mit seinem letzten Satz recht, wenn er die weibliche Anima mit der tantrischen Maha Mudra (der "inneren Frau") gleichsetzt. Mit seinen Flirts verzaubert der Kundun die Frauen und trinkt gleichzeitig ihre "Gynergie". Dass es sich bei solchen Blickkontakten um den "Raub weiblicher Energie" (Gynergie) handelt, das ist ein sehr vielschichtiges Thema, das wir in unserem Buch über Hunderte von Seiten diskutieren.

Auf das magische Weltbild des tantrischen Buddhismus, nach dem durch das Ritualwesen Einfluss auf die Weltpolitik genommen werden soll, sind wir an vielen Stellen unseres Buches eingegangen. Das gilt auch im Zusammenhang mit den genannten Bonner Ereignissen (siehe S. 569). In einer Kultur, wie die westliche, erscheint ein solcher Zusammenhang absurd, für atavistische Systeme wie das tibetische ist er jedoch eine Selbstverständlichkeit, die aber gegenüber der "liberalen Öffentlichkeit" geleugnet wird.

Der Buddhismus ist in Indien seit dem 9. Jh. in die schärfsten Auseinandersetzungen mit dem Islam geraten, daran besteht historisch kein Zweifel. Neben dem Hinduismus waren es vor allem Moslems, welche die Buddhisten aus dem Subkontinent vertrieben, von denen viele bedeutende Lehrer in Tibet Schutz und Zuflucht suchten. Beide Religionen standen sich also in der Vergangenheit feindlich gegenüber. Der Konflikt hat religionspolitisch im sogenannten Kalachakra Tantra und Shambhala Mythos seinen literarischen Niederschlag gefunden. Diese Tantra Texte entstanden aus der Zeit islamischer Eroberungen und als Reaktion hierauf. Im Shambhala Mythos wird eine globale Konfrontation des tantrischen Buddhismus mit dem Islam vorausgesagt. Im Jahre 2326 findet zwischen beiden Religionen - nach dieser Prophezeiung - eine Endschlacht statt, aus der dann die Buddhisten siegreich hervorgehen. Der Tibetologe Ernst Steinkellner argumentiert gerade gegen uns, wir hätten willkürlich diesen aggressiven Mythos hervorgeholt, der nur historisch aus dem Konflikt mit dem Islam verstanden werden könne. Wir zeigen aber an vielen Beispielen, wie aktuell und gefährlich dieser Mythos heute geworden ist. Nicht wir sprechen von einem Krieg mit dem Islam, sondern das Kalachakra Tantra, das höchste Ritual des Dalai Lama.

Was die "blühende" moslemische Gemeinschaft in Lhasa anbelangte, so war diese eine gesellschaftliche Notwendigkeit und weniger ein Ausdruck der kosmopolitischen Bedeutung der tibetischen Hauptstadt. Aus den Angehörigen moslemischen Glaubens rekrutierten sich nämlich die sozial verwerflichen Berufe wie zum Beispiel die Schmiede aber vor allem die Metzger. Die tibetische Mönchsgemeinde lebte nämlich keineswegs nach vegetarischen Grundsätzen, was wegen der Höhe des Landes auch verständlich sein mag. Aber dennoch war das Töten von Tieren strengstens verboten, im Gegensatz zu ihrer Verspeisung. So musste es eine Gruppierung von Nicht- Buddhisten geben, welche die Schlachtungen durchzuführen hatten. Diese standen aber sozial auf der untersten Stufe auch wenn sie zeitweise sehr viel Geld machten, denn Fleisch war bei den Mönchen und beim Adel eine sehr begehrte Ware.

"Dass das tibetische Volk heute besser lebt als unter der Herrschaft des Lamaismus." - sollen wir in unserem Buch geschrieben haben. Die präzise Stelle lautet: "Es ist hier nicht unsere Aufgabe, eine Einschätzung der von chinesischer Seite viel gepriesenen Errungenschaften, die sie in das mittelalterliche Land gebracht hätten, zu geben. Wir selber glauben, dass das tibetische Volk heute sozial besser lebt als unter der Herrschaft des Lamaismus. Aber damit meinen wir keineswegs, dass die aktuelle gesellschaftliche Situation im Schneelande ideal wäre. Viele der exiltibetischen Anklagen und Kritiken an der 'Minderheitenpolitik' Beijings halten wir durchaus für zutreffend." (S. 487 - 2. Aufl.)

Über die schrecklichen und rückständigen sozialen Zustände des alten Tibet gibt es hinreichend glaubwürdige Literatur und selbst Filmdokumente, die nicht aus chinesischer Feder stammt. Grosse Verehrer der tibetischen Kultur zählen zu den Kritikern der alten Zustände wie Alexandra David Neel, Heinrich Harrer, Hugh Richardson. Außerdem schreiben wir auf S. 481 (2. Aufl.): Selbstverständlich schließen diese negativen Zustände keineswegs aus, dass es im Schneeland auch Oasen des Friedens, des Gleichmuts, der Gelehrsamkeit, der Freude, der Hilfsbereitschaft, des Edelmuts, oder wie die buddhistischen Tugenden alle heißen mögen, gab. Aber das spezifische am heutigen Tibetbild ist, dass es nur seine Lichtseiten betont und seine Schattenseiten einfach wegleugnet und verdrängt.

" 'Die politische Situation in Tibet und Argument gegenüber einen potentiellen, chinesischen Imperialismus ...' - Wenn die Besetzung von Tibet, Ost-Turkestan und Innere Mongolei nicht Imperialismus ist, was ist dann Imperialismus?" - fragt er und unterstellt uns, wir würden eine chinesische Position beziehen. Genau das Gegenteil ist der Fall. Wir diskutieren in unserem Text sehr ausführlich eine potentielle chinesische Großmachtpolitik, die zu einem asiatischen Imperialismus führen kann. Nur führen wir als neues Element in diese Debatte ein, dass dies durchaus mit einer Unterstützung des Lamaismus vor sich gehen kann (S. 707ff.).

"Wir müssen das Tibet der Vergangenheit als eine Kulturgemeinschaft und nicht als eine Nation bezeichnen" - Das genaue Zitat lautet: Hinzukommt, dass die Tibeter erst in unseren Tagen dabei sind, sich als eine Nation herauszubilden, ein Selbstverständnis, das vorher keineswegs - zumindest seit der klerikalen Beherrschung des Landes - existierte. Wir müssen das Tibet der Vergangenheit als eine Kulturgemeinschaft und nicht als eine Nation bezeichnen. Gerade der Lamaismus und die Vorgänger des XIV Dalai Lama, der sich heute an die Spitze der tibetischen Nation stellt, haben die Entwicklung eines wirklichen Nationalgefühls bei der Bevölkerung verhindert. Die "Gelbe Kirche" vertrat ihre buddhistische Lehre, beschwor ihre Gottheiten und verfolgte ihre ökonomischen Belange - nicht jedoch die Interessen der Tibeter als ein einheitliches Volk. Deswegen hatte der Klerus auch niemals die geringsten Bedenken, sich mit Mongolen und Chinesen gegen die Einwohner des Schneelandes zu verbünden. Die Herausbildung des Nationalstaates beginnt in Europa im 19. Jh.. In Tibet hat dieser Prozess bisher nicht stattgefunden. Die Entwicklung eines tibetischen Nationalbewusstseins war deswegen auch bis vor wenigen Jahren ein viel debattiertes Thema in der exiltibetischen Community. Doch hat selbst der Dalai Lama jetzt mit der Straßburger Erklärung auf den nationalen Anspruch verzichtet und sich auf mit der kulturellen Autonomie zufrieden gegeben.

Auch eine Kulturgemeinschaft kann, jenseits der nationalen Bestimmungen, kriegerisch sein. Aktuelle Beispiele finden sich bei Entwicklungstendenzen innerhalb des islamischen Kulturraumes. Wir sagen nicht, dass die tibetische Kultur kriegerischer gewesen sei als andere Kulturen, sondern dass sie über ein extrem dichtes, jederzeit aktivierbares Kriegspotential verfügt, das verschwiegen und verleugnet wird.

Politiker wie Helmut Kohl, Jimmy Carter, Joan Robinson und Antje Vollmer, die das jetzige Tibet besuchten und anschließend die vom Dalai Lama mehrmals als "Holocaust" bezeichnete Ausrottung des tibetischen Volkes nicht bestätigen wollten, werden grundsätzlich von Dharamsala als von den Chinesen manipulierte Naivlinge hingestellt. Jetzt, wo der Dalai Lama die Annäherung an China sucht, hat sich auch seine Meinung geändert.

 

 

 

 

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