KRITISCHES FORUM KALACHAKRA

Kritisches Forum zur Hinterfragung des Kalachakra-Rituals

 

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Archiv 02

 

Gen Lamrimpa (Lobsang Jampal Tenzin)

Transcending Time, an Explanation of

The Kalachakra Six-Session Guru Yoga

1999 (Deutsche Version April 2002)

 

Dieser Text eines tibetischen Lamas ist von allen modernen Kommentaren des Kalachakra-Tantras der offenste. Lobsang Jampal Tenzin erhielt die mündliche Übertragung des Kalachakra-Wurzel-Tantras und des dazu gehörigen Kommentars (Vimalaprabhâ) vom XIV. Dalai Lama persönlich. Nur noch zwei weitere Lamas sollen dieses Privileg gehabt haben. Dem Text nach repräsentierten sie (geistig) bestimmte Regionen Tibets. Jampal Tenzin war und ist für Zentral- und Südtibet zuständig.

 

Er stellt in seinem Buch ohne Bedenken die sexualmagischen Praktiken dar und der Text ist deswegen für eine kritische Analyse des Kalachakra-Tantras eine wirkliche Bereicherung. Wir erfahren, dass dem Guru vom Schüler eine "Karma Mudra" (Sexualpartnerin) als geheimes Opfer (secret offering) übergeben werden muss.  Die Qualitäten der bei den Ritualen benutzten Frauen werden genau beschrieben. (129) Tenzin betont jedoch, dass im Kalachakra-Tantra neben jungen auch ältere Frauen benutzt werden können, was bei den anderen Tantras nicht der Fall sei. (130) Hoch qualifizierte Yogis, die ihre inneren Energieströme zu kontrollieren wissen, dürfen sogar Frauen ohne besondere Qualifikationen bei der Durchführung des Rituals einsetzen. (130)

   In den vier "höchsten Initiationen" nehmen der Guru, der Schüler und zehn Weisheitsgefährtinnen teil (Ganachakra). Die Vorgänge entsprechen weitgehend den vorangegangenen Einweihungen mit einer einzelnen Karma Mudra (Sexualpartnerin): Zuerst betastet der Schüler die Brüste der anwesenden Frauen. Ob der Guru dann mit allen zehn Karma Mudras in sexuelle Vereinigung tritt und der Schüler von den "heiligen Substanzen", dem männlichen Sperma des Meisters und weiblichen Samen aller zehn Sexualpartnerinnen kostet, oder ob der Schüler sich alleine mit den Frauen vereinigt oder ob der Lehrer sich nur mit einer vereinigt und der Schüler die anderen neun Anwesenden lange betrachtet, wird – wie Tenzin berichtet – von den tibetischen Kommentatoren unterschiedlich beantwortet. (135/136) Die 10 Karma Mudras stellen zehn Machtenergien dar, die der Schüler am Ende des Rituals in sich aufnimmt und dann beherrschen kann. Man nennt sie auch "Shaktis", ein Begriff, der eigentlich aus dem indischen Tantrismus stammt, aber hier (im Kalachakra-Tantra) wie dort "Mächte" bedeutet. (135) In dem überall in Graz verbreiteten "Kalachakra-Zeichen", auf Sanskrit: Dasakaro Vasi (Tibetisch: Namtschuwangdan  - auf  Deutsch: "Die zehn Mächtigen") sind die 10 Shaktis symbolisch gebannt. Sie werden "Winde" genannt, aber ursprünglich handelt sich dabei um die vom Kalachakra Adepten absorbierten weiblichen Energien der im Ganachakra rituell bearbeiteten 10 Frauen. (Siehe hierzu: V. & V. Trimondi – Der Schatten des Dalai Lama – 217) Das Ganachakra wird in den unteren Initiationsstufen in der sogenannten "Seidenband-Einweihung" symbolisch vorweggenommen. (Eine ausführliche Beschreibung des geheimen Rituals finden Sie in: V. & V. Trimondi – Hitler-Buddha-Krishna – 487 ff. Dort wird auch auf Konvergenzen mit faschistischen Schulrichtungen hingewiesen)

 

Tenzin spricht auch davon, dass das Universum im Kalachakra-Tantra von dem ausführenden Guru meditativ vernichtet und dann wieder neu geschaffen wird. Damit wird die zyklische Weltsicht der indischen Mythologie nach innen verlagert. Der Guru simuliert, in dem er innere Verbrennungsvorgänge in seinem Energiekörper imaginiert, den apokalyptischen Untergang der Welt.(150/151) Besonders ausführlich beschäftigt sich der Autor mit einer äußerst aggressiven und morbiden Erscheinungsform des Zeitgottes "Kalachakra", der den Namen Vajravega trägt. (180 ff.) Er gibt damit einen besonderen Einblick in den morbiden Charakter des Rituals. Zentrale Idee des Tantras ist – das ergibt sich klar aus einer kritischen Lektüre dieses Buches – die Übertragung weiblicher Energie auf den Tantra Meister zur Machtakkumulation während ihrer Vereinigung. (185)

 

Auszüge aus dem 9. Kapitel:  Gen LamrimpaKalachakra - die drei Zyklen der Zeit - Erklärungen zur Meditationspraxis von Kalachakra - Diamant Verlag - München 2002

 

DIE VIER HÖHEREN INITIATIONEN

[…]  Die Namen der vier höheren Initiationen sind: Vasen–Initiation,  geheime Initiation, Weisheits–Wissens–Intiation und Wort–Initiation. Die vier noch höheren Initiationen heißen genauso, nämlich Vasen–, geheime, Weisheits–Wissens– und Wort–Initiation.

 

In der Regel ist der Geist umso subtiler, je größer die Glückseligkeit in ihm ist, und je subtiler der Geist ist, desto weniger begriffliche Wahrnehmungen sind in ihm vorhanden. Je subtiler wiederum der Geist ist, der die Leerheit erkennt, desto stärker wirkt er als Gegenmittel gegen die Geistesgifte. Aus dem Grund versucht man in der Tantra–Praxis durch die Verwendung von Sinnesobjekten wie köstlichen Speisen und Getränken so viel Glückseligkeit und Freude als möglich zu erzeugen.

 

Nach den Tantras gibt es keinen größeren Fehler, als sinnliches Verlangen aufzugeben – und zwar deshalb, weil durch angenehme Sinneserfahrungen Freude entsteht, und dadurch ein subtiler Geist auftritt, welcher dazu eingesetzt werden kann, die Natur der Leerheit zu durchdringen. Zur Überwindung unserer Geistestrübungen ist das außerordentlich wirksam. Würden wir die Objekte sinnlichen Verlangens und die damit einhergehende Lust aufgeben, würden wir uns von vornherein den Zugang zu so einer Praxis verschließen.

 

Gibt man sich im Zusammenhang mit der Tantra–Praxis ganz gewöhnlichen, weltlichen Sinnesvergnügungen hin, ohne gleichzeitig zu erkennen, dass sie keinerlei inhärente Existenz besitzen und ohne dabei die Qualitäten der Freude und des subtilen Geistes zu entwickeln, so ergeben sich daraus negative Auswirkungen, die noch schwerwiegender sind als jene, die aufgrund des Übertretens der vier Grundgelübde eines buddhistischen Mönchs entstehen.

 

Der indische Tantriker und Weise Krsnapa meinte, wenn wir keine Yoga–Verwirklichung hätten und dennoch tantrische Vereinigungen mit einer Gefährtin ausüben, würden diese Praktiken uns keinesfalls zur Weisheit, sondern geradewegs in die Hölle führen. Wahre Ursprüngliche Weisheit wird so auf keinen Fall entstehen. Vielmehr wird das Resultat einer solchen bloßen Parodie die Wiedergeburt in einem Höllenbereich sein. Deshalb ist es erforderlich, diese Praxis entweder korrekt durchzuführen oder sie ganz zu unterlassen. Wenn wir uns einer solchen Praxis zuwenden und sie korrekt ausüben, so hat das zweifellos sehr großen Nutzen. Tun wir das hingegen auf inkorrekte Weise, so führt uns das direkt ins Unglück.

 

• Die höhere Vasen–Initiation

Für die Vasen­Initiation innerhalb der vier höheren Einweihungen wenden wir uns nach Norden und erzeugen uns selbst als Vajra–Körper. Dann bringt man dem Guru Kalacakra – so wie man ein Mandala darbringt – eine vollständig  qualifizierte  Gefährtin beziehungsweise Vidja  dar, die deshalb so heißt, weil sich in Abhängigkeit von ihr der natürlich vorhandene Geist manifestiert.

 

Kalacakra nimmt die dargebotene Gefährtin an und gibt sie uns mit folgenden Worten – und den Mandala–Gottheiten als Zeugen – zurück: “Ich gebe dir diese Gefährtin zurück, damit du die Vereinigung von Glückseligkeit und Leerheit erfährst.” Dabei vergegenwärtigen wir uns, dass wir uns bereits in der Form des Vajra­Körpers hervorgebracht haben und die Gefährtin in Form der Sakti Visvamata.

 

Dann halten und streicheln wir – immer noch in Gestalt des Vajra–Körpers – die Brüste der Gefährtin und umarmen sie, was große Lust in uns hervorruft. Daraufhin schmilzt der weiße Bodhicitta in unserem Körper, und es steigt Glückseligkeit uns auf. Mit dieser Glückseligkeit richten wir uns auf die Leerheit, und durch diese Erfahrung der Vereinigung von Glückseligkeit und Leerheit empfangen wir die Vasen–Initiation.

 

Obwohl bei dieser Initiation gar keine Vase benutzt wird, nennt man sie deshalb Vasen–Initiation, da die Brüste der Gefährtin mit Vasen beziehungsweise “Behältern voller weißer Milch” verglichen werden.

 

Die Vasen–Initiation läutert, wie es heißt, das Verlangen zu lächeln und zu lachen. Erinnert euch an die vier Arten des Vergnügens, eine davon ist das Lächeln und Lachen. Sie entfernt außerdem die Verunreinigungen des Stirn–Tropfens, der mit dem Wachzustand verbunden ist, und ermächtigt uns dazu, den resultierenden Vajra–Körper zu erlangen.

 

Damit ist die Vasen–Initiation abgeschlossen.

 

• Die höhere geheime Initiation

Für die höhere geheime Initiation wendest du dich nach rechts zum südlichen Teil des Palastes und bringst dich in Form der Vajra–Rede hervor. Der Guru und die Gefährtin vereinen sich, und die von seinem Herzen ausgehenden Lichtstrahlen rufen alle Mandala–Gottheiten herbei, einschließlich Kalacakra mit Gefährtin. Sie strömen in den Mund des Guru ein und lösen sich durch das starke Verlangen an seinem Herz–Cakra auf. Obwohl das im Text nicht ersichtlich ist, treten sie auch in den Mund der Gefährtin ein, denn es sind hier sowohl die roten als auch die weißen Regenerations–Substanzen [beziehungsweise  sowohl der rote als auch der weiße Bodhicitta] beteiligt.

 

Dann sinken sie zur Spitze des Juwels beziehungsweise Vajra [oder männlichen Geschlechtsorgans], und dieser Zustand symbolisiert die Ursprüngliche Weisheit der nicht–dualen Glückseligkeit und Leerheit. Der Guru nimmt zuerst einen Tropfen des weißen Bodhicitta und platziert ihn in den Mund des Schülers. Dann nimmt die Gefährtin einen Tropfen des roten Bodhicitta  aus ihrem Lotus [beziehungsweise  weiblichen Organ] und platziert ihn in den Mund des Schülers. Wir verspüren die geheimen Substanzen der Gottheit und ihrer Gefährtin und blicken dabei auf den Lotus der Gefährtin, wodurch großes Verlangen in uns aufsteigt. Aufgrund unseres starken Verlangens und der damit einhergehenden großen Freude schmilzt der weiße Bodhicitta in uns; wir erfahren Glückseligkeit, die wir wiederum auf die Leerheit richten. Durch diese Erfahrung empfangen wir die geheime Initiation.

 

Sie reinigt die Verschmutzungen des Tropfens, der mit dem Traumzustand verbunden ist, und verleiht uns die Fähigkeit zur Verwirklichung der Vajra–Rede  sowie der neunten Bodhisattva–Ebene.

 

• Die höhere Weisheits–Wissens–Initiation

Für die höhere Weisheits–Wissens–Initiation werden wir wiederum an die Hand genommen und im Uhrzeigersinn nach vorne, in den Osten, geführt. Vor dem östlichen Gesicht der Gottheit bringen wir uns in Form des Vajra–Geistes hervor. Dadurch werden jegliche Verunreinigungen des Tropfens beseitigt, der mit dem Zustand des Tiefschlafs zusammenhängt.

 

Die Weisheits–Wissens–Initiation bezieht sich auf unsere Vereinigung mit der Weisheit – womit hier die Gefährtin gemeint ist. Da die Initiation durch das Schmelzen des eigenen Bodhicitta zustande kommt, wird sie, wie es heißt, im Mandala des relativen Erleuchtungsgeistes empfangen.

 

Der Schüler ist dabei bereits in Form des Vajra–Gcistes erstanden; die Gefährtin, nämlich jene, die zuvor der Gottheit dargebracht wurde, wird in Form von Visvamata erschaffen. Wir vereinigen uns mit ihr, wobei wir die drei innere Einstellungen entwickeln:

 

1. unseren eigenen Körper als göttlich anzusehen, indem man sowohl den Körper der Gefährtin als auch den eigenen Körper in göttlicher Gestalt visualisiert;

 

2. die eigene Sprache als Mantra zu betrachten, indem man die Silbe Phat visualisiert, wie gleich anhand zweier Beispiele erklärt wird;

 

3. den eigenen Geist als die Wirklichkeit selbst zu betrachten, indem man über die Leerheit meditiert. Dann löst du in Form der Hauptgottheit deinen Vajra,  das männliche Geschlechtsorgan – in Licht auf, und aus diesem Licht bildet sich die Silbe Hum. Aus diesem Hum heraus erhebt sich ein Vajra. Stelle dir vor, wie dein Hauptkanal an der Längsachse dieses Vajra entlang verläuft. Um zu verhindern, dass der weiße Bodhicitta aus deinem Vajra austritt, stellst du dir vor, wie er an der Spitze durch die gelbe Silbe Phat verschlossen wird. Wir visualisieren diese gelbe Silbe Phat also, um die Kraft der herabsteigenden Energie aufzuhalten, die  den weißen Bodhicitta nach außen treibt. Vor deinem geistigen Auge vergegenwärtigst du dir jedoch nicht das gewöhnliche männliche Organ, sondern visualisierst stattdessen einen Vajra. Wenn nun deine Lust aus der Berührung bei der sexuellen Vereinigung aufsteigt, stellst du dir einen fünfzackigen Vajra mit den Zacken an der Seite vor – so unangenehm diese Vorstellung auch sein mag. Das Folgende ist zwar nicht im Text enthalten, aber in der mündlichen Tradition überliefert: Um diese Vision leichter mit deinen eigentlichen Sinnesempfindungen in Einklang zu bringen, ohne sie mit gewöhnlichen Erscheinungen zu vermengen, visualisierst du den funfzackigen Vajra mit dem mittleren Stab und der Silbe Phat an der Spitze, als wäre er von einem sehr weichen, runden, hübschen Glasbehälter umschlossen, der aber nicht aus gewöhnlichem Glas ist. Das weiche, glatte Äußere dieser gerundeten Form ist aus lauter winzigen Miniatur–Vajras zusammengesetzt – aus ganz kleinen weichen Glaspartikeln, die so winzig sind, dass sie rund erscheinen. Auf diese Weise kannst du die Meditation mit deiner eigentlichen Sinneserfahrung in Übereinstimmung bringen, ohne dabei gewöhnliche Erscheinungen einfließen zu lassen.

 

Dann löst du den Lotus – das Geschlechtsorgan der Gefährtin – in Licht auf. Aus diesem Licht heraus erzeugst du dann den Lotus in Form eines roten dreiblättrigen Lotus, der in der Mitte leer ist. Diese Mitte ist der Zentralkanal, und du stellst dir vor, wie auch dieser durch die gelbe Silbe Phat verschlossen wird.

 

Mit der dreifachen inneren Haltung vereinigst du dich nun mit der Gefährtin. Wenn der weiße Bodhicitta von deinem Scheitelpunkt zum Genital–Cakra herabsinkt,  erfährst du große Glückseligkeit, und mit dem Geist dieser großen Glückseligkeit meditierst du über die Leerheit. Diese Erfahrung wird als Weisheits–Initiation bezeichnet.

 

Sie reinigt die Verschmutzungen des Geistes, baut in uns den Tropfen auf, der mit dem Vajra–Geist verbunden ist, und befähigt uns dadurch zum Erlangen des Vajra–Geistes. Außerdem verleiht sie uns die Fähigkeit zum Erreichen der zehnten Bodhisattva–Ebene.

 

• Die höhere Wort–Initiation

Für die vierte Initiation, die Wort–Initiation, werden wir wieder an der Hand genommen und im Uhrzeigersinn nach hinten geführt, in den Westen. Während wir auf das Ursprüngliche–Weisheits–Gesicht der Hauptgottheit Kalacakra blicken, erzeugen wir uns als Vajra der Ursprünglichen Weisheit und unsere Gefährtin als Visvamata. Wie zuvor vereinigen wir uns mit ihr.

 

Bei dieser vierten Einweihung erfährt man also wieder die Vereinigung und dadurch Glückseligkeit. Dieses Mal jedoch erreicht der weiße Bodhicitta die Spitze des Juwels, wohingegen er vorher nur bis zum unteren Bereich des Genital–Cakra kam. Es steigt Glückseligkeit in uns auf, und wir meditieren über die Leerheit. Das gilt als die so genannte vorläufige vierte Initiation, zu der wir durch genau diese Erfahrung von Glückseligkeit und Leerheit gelangen.

 

Die Initiation läutert die Verunreinigungen des Tropfens, der die Vierte Gelegenheit auslöst. Sie befähigt uns zum Erreichen des Vajra der Ursprünglichen Weisheit sowie der elften Bodhisattva–Ebene.

 

Da man mit Worten in diese Einweihung  eingeführt wird, heißt sie Wort–Initiation. Und da sie in Abhängigkeit von der Vereinigung der zwei Wahrheiten empfangen wird – was ihr eigentlicher Sinn ist – sagt man, dass sie in Abhängigkeit vom absoluten Erleuchtungsgeist erlangt wird.

 

Mit diesen vier Initiationen – der Vasen Initiation, der geheimen Initiation,  der Weisheits–Wissens–Initiation und der Wort–Initiation – erwerben wir die Fähigkeit, die achte, neunte, zehnte und elfte Bodhisattva–Stufe  zu erreichen.

 

 

DIE VIER NOCH HÖHEREN INITIATIONEN

 

Die zu läuternden Grundlagen sind bei den vier höheren und den vier noch höheren Initiationen dieselben, aber die Läuterungsprozesse sind jeweils verschieden. Ich konnte keinen Unterschied hinsichtlich ihrer Funktionen feststellen, doch könnte man zu dem Schluss kommen, dass die Unterscheidung eine graduelle ist: Die höheren Initiationen reinigen die Befleckungen auf einer gröberen Ebene; die noch höheren Initiationen tun das auf einer subtileren Ebene.

 

Für die vier noch höheren Initiationen begibt sich der Schüler wie zuvor zu den entsprechenden Stellen im Mandala.

 

• Die noch höhere Vasen–Initiation

Die erste der noch höheren Initiationen ist die Vasen–Einweihung, die im Norden übertragen wird. Der Schüler bringt sich als Vajra–Körper hervor und hat jetzt zehn Gefährtinnen, deren Attribute in den Schriften näher beschrieben werden. Sie werden in Form der zehn Saktis erzeugt.

 

Der Einweihungsprozcss ist den vorhergehenden sehr ähnlich. Die Vasen–Initiation beginnt wie zuvor mit dem Streicheln der Brüste, der Umarmung und dem daraus resultierenden Aufkommen von großem Verlangen. Der weiße Bodhicitta schmilzt vom Scheitelpunkt des Kopfes hinab bis zur Stirn. Im Stirnbereich entsteht Glückseligkeit; aus dieser Glückseligkeit heraus wenden wir uns der Leerheit zu, und durch diese Erfahrung empfangen wir die Vasen–Initiation.

 

Ihr Zweck, die Anlagen, die sie hinterlässt, sowie die Ermächtigung und die Fähigkeit, die sie uns verleiht, bleiben gleich wie in der vorherigen Vasen–Initiation; daher wird sie genauso genannt und hat auch dieselbe Etymologie.

 

• Die noch höhere geheime Initiation

Der Schüler wird nun zum südlichen Bereich des Mandala geführt, welcher der Vajra–Rede entspricht, und er bringt sich als Vajra–Rede hervor. Nach der Gelug–Tradition gibt es zwei verschiedene Darstellungsweisen dieser geheimen Initiation:

 

1. die Darstellung der Vollendungsstufe von Gyeltsab Dsche, einem der beiden Hauptschüler von Lama Dsche Tsongkhapa, und die Anmerkungen eines unbekannten Schülers zu diesen Belehrungen von Dsche Tsongkhapas über die Vollendungsstufe. Diese beiden Texte stimmen überein. Demnach begibt sich bei der geheimen Initiation die Hauptgottheit in Vereinigung mit der Gefährtin, erst dann werden die geheimen Substanzen an den Schüler weitergegeben.

 

2. Die Darstellung von Khedrub Dsche; dem anderen der beiden Hauptschüler von Dsche Tsongkhapa, wonach sich der zu Initiierende selbst mit der Gefährtin vereinigt, nicht die Hauptgottheit. Überdies sinkt nach dieser Darstellung der weiße Bodhicitta gleich bis zum Herz– und nicht zum Kehl–Cakra.

 

Die erste Interpretation durch Gyeltsab Dsche und jenen anderen Schüler von Dsche Tsongkhapa scheint insofern schlüssiger, als es sich hier um eine “geheime” Initiation handelt, was eher auf den Aspekt einer Übertragung der geheimen Substanzen hindeutet.

 

Nach dieser ersten Interpretation vereinigt sich die Hauptgottheit mit neun der zehn Gefährtinnen. Bei jeder der Vereinigungen gehen Lichtstrahlen von ihrem Herzen aus und laden die Buddhas ein, die entweder durch den Scheitelpunkt oder den Mund der Hauptgottheit gleiten – das macht keinen Unterschied. Dann sinken sie auf den Grund ihres Herzens herab und lösen sich in Licht auf. Es entsteht große Lust in der Hauptgottheit, und der weiße Bodhicitta steigt bis zur Spitze des Vajra–Juwels. Gleichzeitig sinkt der rote Bodhicitta der Gefährtin hinunter bis zum empfindlichsten Punkt des Lotus. Die Hauptgottheit nimmt je einen Tropfen des weißen und des roten Bodhicitta auf den Ringfinger und gibt diese an den Schüler weiter. Der Schüler kostet die beiden geheimen Substanzen und richtet dann den Blick auf die Lotusse der neun Gefährtinnen. Daraus erwächst starkes Verlangen in ihm, woraufhin sein Bodhicitta schmilzt und auf Höhe des Herzens herabsinkt. Mit diesem starken Verlangen richten wir unser Gewahrsein auf die Leerheit, und an diesem Punkt empfangen wir die geheime Einweihung.

 

Obwohl die Hauptgottheit sich mit neun Gefährtinnen vereinigt, nimmt ihre Glückseligkeit nicht ab, weil auch keine Flüssigkeit verloren geht. Es heißt, wenn man seine Samenflüssigkeit verliert, führe das zum Tode, wird sie jedoch zurückbehalten, verhilft es einem zum Siddhi der Unsterblichkeit. Außerdem heißt es, wenn man sich mit dieser Praxis des Zurückhaltens der Flüssigkeit vertraut macht, würde der Körper zusehends eine jugendliche Ausstrahlung gewinnen. Er wird geschmeidig und starke bis sich schließlich die eigene Erscheinung der eines Sechzehnjährigen annähert.

 

Die Erklärungen hinsichtlich Tropfen, Ermächtigung und so weiter stimmen genau mit denjenigen zur höheren geheimen Initiation überein.

 

• Die noch höhere Weisheits–Wissens–Initiation

Zur Weisheits–Wissens–Initiation wird der Schüler wiederum im Uhrzeigersinn in den östlichen, vorderen Bereich des Mandala geführt, vor das Angesicht des Vajra–Geistes der Hauptgottheit. Nun ist es jedoch der Schüler, der sich wie zuvor beschrieben mit den neun Gefährtinnen vereinigt, wobei er die erwähnten drei inneren Haltungen einnimmt.

 

Bei der Vereinigung mit den Gefährtinnen sinken die Tropfen vom Grunde des Herzens herab zum Genital–Cakra. An diesem Punkt entsteht Glückseligkeit, und wir meditieren auf die Leerheit hin. Diese Erfahrung führt uns zur dritten der noch höheren Initiationen,  der Weisheits–Wissens–Initiation. Etymologie und Resultate der Einweihung sind die gleichen wie bei der vorherigen Weisheits–Wissens–Initiation.

 

Wenn der weiße Bodhicitta vorn Genitalbereich zur Spitze des Juwels aufsteigt, führt das zu einer Glückseligkeits– und Leerheitserfahrung, die von der gleichen Natur wie die Erfahrung der Weisheits–Wissens–Initiation ist. Sie wird zwar die “bloße vierte Initiation” (tib. dbang bzhi pa tsam) genannt, ist aber tatsächlich von einer Natur mit der Weisheits–Wissens–Initiation.

 

In diesem Punkt weichen die Darstellungen von Gyeltsab Dsche und Khedrub Dsche voneinander ab. Der eine sagt, dass bei der Weisheits–Wissens–Initiation der weiße Bodhicitta  direkt zur Spitze des Juwels aufsteigt. Der andere meint einfach nur, dass er sich zum Genital–Cakra hinbewegt, und man dann, wenn er zur Spitze des Juwels gelangt, von der bloßen vierten Initiation spricht, um dies von der tatsächlichen vierten Initiation zu unterscheiden. Die zweite Interpretation ist wahrscheinlich näher liegend, da sie mehr der zu läuternden Basis entspricht.

 

• Die noch höhere Wort–Initiation

Wenn sich der weiße Bodhicitta  an der Spitze des Juwels befindet,  erzeugen wir uns und unsere Gefährtin als Gottheiten der leeren Form. Große Glückseligkeit entsteht an diesem Punkt in unserem Geist, und wir haben eine Erkenntnis der Leerheit. Daraufhin erscheint unserem geistigen Auge eine Vereinigung von Körper und Geist. Diese Erfahrung bereitet uns wiederum vor auf die Vereinigung,  die zum Zeitpunkt des Resultats auftritt, und dies wird als Wort–Initiation oder vierte Initiation bezeichnet. Die Reinigung der verschiedenen zu läuternden Elemente erfolgt bei dieser Initiation genauso wie bei der höheren Wortinitiation beschrieben.

 

Eine ausschließliche Besonderheit dieser noch höheren Wort–Initiation ist, dass sie in uns die Fähigkeit zum Erlangen der zwölften Bodhisattva–Stufe  begründet. Die anderen Aspekte, wie Etymologie und so weiter, sind dieselben wie bei der höheren Wort–Initiation.

 

GELÖBNISSE

 

Behaltet im Kopf, dass während der Initiation von den Gelöbnissen gesprochen wird, die einzuhalten sind, und von dem Verfall, vor dem wir sie bewahren sollen. Wir erhalten eine Einführung in die Disziplin sowie die Anweisung, uns innerhalb der fünfundzwanzig Verhaltensregeln der Kalacakra–Disziplin zu bewegen. Achtet hierbei darauf, dass es zwischen den allgemeinen Tantra–Systemen und dem Kalacakra–System einige Unterschiede hinsichtlich der vierzehn Hauptübertretungen von Tantra–Gelübden gibt.

 

 

 

© Copyright 2003 – Victor & Victoria Trimondi

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