Victor &
Victoria Trimondi
Acht Fragen an
den XIV. Dalai Lama zum Kalachakra-Tantra
Seit
mehr als 25 Jahren führt der XIV. Dalai Lama die höchste tantrische Einweihung des tibetischen Buddhismus,
vor vielen Tausenden von Teilnehmern auf der ganzen Welt durch. Es ist ein
Heiliger Text („Tantra“), das sogenannte Kalachakra-Tantra und der darin enthaltene
Shambhala-Mythos, die
der Performance zugrunde liegen.
„Kalachakra“ (Sanskrit) bedeutet „Rad der Zeit“. Das Kalachakra-Tantra wurde in der letzten
Zeit häufig kritisch hinterfragt. In einer Dialoggesellschaft liegt es
nahe, dass sich der XIV. Dalai Lama diesen kritischen Fragen persönlich
stellt und sie beantwortet, sei es, um Verzerrungen oder
Fehlinterpretationen zu berichtigen, sei es, um sich offen zu den
problematischen Inhalten des Kalachakra-Tantras zu bekennen oder sich von diesen
öffentlich zu distanzieren. Deshalb haben wir acht Fragen an den
tibetischen Friedensnobelpreisträger kurz zusammengefasst und anschließend
erläutert:
- Dalai
Lama, weshalb prophezeit und verherrlicht das von Ihnen als „Ritual
für den Weltenfrieden“ angekündigte Kalachakra-Tantra
und der darin enthaltene Shambhala-Mythos
einen „Heiligen Krieg“ (Shambhala-Krieg) von
Buddhisten gegen Nicht-Buddhisten?
- Dalai Lama,
weshalb werden in dem von Ihnen als „Beitrag zur Weltökumene und zum
Weltethos“ angekündigten Kalachakra-Tantra
die drei monotheistisch-semitischen Religionen, insbesondere aber der
Islam, als „Feinde der Lehre“ angegriffen und ein Religionskrieg gegen
den Islam beschworen?
- Dalai
Lama, weshalb wird im Kalachakra Tantra
entgegen Ihren ständigen Bekenntnissen zur Demokratie die Institution
eines Chakravartin (eines
„Weltenherrschers“) beschworen, der einen globalen buddhistischen
„Gottesstaat“, eine „Buddhokratie“,
errichten soll?
- Dalai
Lama, weshalb fordern entgegen Ihren weltweit geschätzten
sozialethischen Beteuerungen die buddhistischen Tantra-Texte,
insbesondere auch das Kalachakra-Tantra, von
den Initianten die Durchführung „unmoralischer“ und „verbrecherischer“
Handlungen wie: töten, lügen, stehlen und die Ehe brechen?
- Dalai
Lama, weshalb werden entgegen Ihrer ständigen Beteuerungen, der
tibetische Buddhismus sei zölibatär und frauenfreundlich, in den
höheren Riten des Kalachakra-Tantra Frauen
sexualmagisch und sexistisch benutzt, um spirituelle, weltliche und
patriarchale Macht zu erlangen?
- Dalai
Lama, weshalb verbieten Sie, obgleich Sie immer wieder die Bedeutung
der „Dialoggesellschaft“ betonen, dass über die Geheimriten des Kalachakra-Tantra öffentlich diskutiert wird und
drohen bei Zuwiderhandlung mit „Höllenstrafen“?
- Dalai
Lama, weshalb haben Sie mit
Leuten aus dem Milieu des religiösen Faschismus und Sektenterrorismus
wie Bruno Beger, Jean Marquès-Rivière,
Miguel Serrano und Shoko Asahara, die sich aus Inhalten des Shambhala-Mythos für ihre Visionen und Handlungen
inspirieren ließen, so enge Kontakte gepflegt?
- Dalai
Lama, weshalb gibt es von Ihnen keine präzise Exegese der
problematischen Stellen des Kalachakra-Tantra-Textes,
die sich unmissverständlich von den kriegerischen, intoleranten,
sexistischen und buddhokratischen Aussagen
des Tantras distanziert, beziehungsweise diese Stellen aus dem
Originaltext streicht?
1. Dalai Lama, weshalb prophezeit und verherrlicht das von
Ihnen als „Ritual für den Weltenfrieden“ angekündigte Kalachakra-Tantra
und der darin enthaltene Shambhala-Mythos einen
„Heiligen Krieg“ (Shambhala-Krieg) von Buddhisten
(buddhistischen „Gotteskriegern“) gegen Nicht-Buddhisten?
Dalai
Lama, Sie werden weltweit als der größte "Friedensbotschafter"
verehrt, der sich in vielen öffentlichen Erklärungen gegen jegliche
Anwendung von Gewalt ausgesprochen hat und das Kalachakra-Tantra wird von Ihnen als ein "Beitrag zum Weltenfrieden"
präsentiert. Aber das Kalachakra-Tantra ist alles
andere als pazifistisch, sondern es prophezeit und fördert ideologisch
einen blutigen Religionskrieg zwischen Buddhisten und Nicht-Buddhisten um
die Weltherrschaft (Shambhala-Mythos).
Der Originaltext bezeichnet die buddhistische Kriegsführung als "gnadenlos" und "grausam". Dort heißt es:
"Die äußerst wilden
Krieger werden die barbarische Horde niederwerfen" und
"eliminieren." (Shri Kalachakra
I. 163/165) In mehreren Strophen beschreibt der Text die
mörderischen Superwaffen, welche die buddhistische Armee gegen die
"Feinde der Lehre" einsetzt. (Shri
Kalachakra I. 128 – 142) Der
historische Buddha hat den Krieg in jeglicher Form abgelehnt. Es gab für
ihn keinen "Gerechten Krieg" und schon gar keinen "Heiligen
Krieg". Aber gerade weil der Buddhismus als eine strikte Absage an
jegliche Gewalt empfunden wird, findet er im Westen eine so große
Anerkennung. Wie vertragen sich die
inhumanen und kriegerischen
Textstellen des Kalachakra-Tantra
mit der Friedensvision des Urbuddhismus und Ihren eigenen Friedensbeteuerungen?
Wieso werden im Lamaismus zahlreiche Kriegsgötter und Kriegshelden (Begtse, Mahakala, Gesar von Ling u. a.) verehrt? Bei sehr erfolgreichen tibetischen und
westlichen Vertretern des Lamaismus wie Lama Chögyam
Trungpa und Lama Ole Nydahl
finden sich Leitideen für buddhistische „Gotteskrieger“ („Shambhala-Krieger“), die auf einem krassen
Feindbilddenken aufbauen und einen Militär-Buddhismus predigen. Was tun
Sie, Dalai Lama, gegen eine solche Entwicklung in den eigenen Reihen? Wieso kann der von
Ihnen designierte Kalachakra-Interpret Alexander
Berzin offen die Prinzipien des islamischen Djihads
mit denjenigen des Shambhala-Krieges vergleichen?
2. Dalai Lama, weshalb werden in dem von Ihnen als „Beitrag zur
Weltökumene und zum Weltethos“ angekündigten Kalachakra-Tantra
die drei monotheistisch-semitischen Religionen, insbesondere aber der
Islam, als „Feinde der Lehre“ angegriffen und ein Religionskrieg gegen den
Islam beschworen?
Dalai
Lama, Toleranz gegenüber anderen Religionen ist eine Ihrer Grundforderungen, die Sie zur
berühmtesten Symbolfigur des interreligiösen Dialoges gemacht hat. Jedoch
widerspricht das von Ihnen öffentlich als "Beitrag zur Ökumene"
vorgestellte Kalachakra-Tantra-Ritual in
zahlreichen Textpassagen krass dem Toleranzgedanken. Darin werden die
Hauptvertreter der semitisch-monotheistischen Religionen „Adam, Henoch,
Abraham, Moses, Jesus, Mani, Mohammed und der Mahdi“ als die „Familie der dämonischen
Schlangen" bezeichnet, die mit "Tamas", das heißt mit Eigenschaften der Finsternis,
der Täuschung und der Unwissenheit ausgestattet sind. (Shri Kalachakra I. 154) Ein
eschatologischer Religionskrieg gegen das "barbarische Dharma",
insbesondere gegen den Islam, soll nach der Shambhala-Prophezeiung
einer weltweiten Errichtung des "buddhistischen
Dharmas" (des Buddhismus) vorausgehen. Der Original-Text spricht davon, dass das "machtvolle, gnadenlose Idol der Barbaren, die
dämonische Inkarnation"
- d. h. der Islam – in „Mekka“
lebt. (Shri Kalachakra I. 154) Finden Sie nicht, dass in
einer Zeit, in der religiöse Kriege und der Kampf gegen den Islam geradezu
die Weltpolitik bestimmen, der im Kalachakra-Tantra
anvisierte Krieg gegen den Islam den Kampf der Kulturen anheizt? In der Zeitschrift News vom 10. Okt. 2002 sagen Sie: „Der
Islam will als Weltreligion gelten, setzt aber genauso wie das Christentum
vor ein paar Hundert Jahren vornehmlich auf Aggression. Das hat mit
Religion nichts zu tun, sondern bloß mit Macht. Und das war sicher nicht im
Sinne des Propheten Mohammed. Religion darf nicht von Macht geleitet
werden.“? Stellen Sie sich nicht
mit einer solchen Aussage in die Tradition des im Kalachakra-Tantra prophezeiten Shambhala-Krieges? Weshalb verschweigen sie das aggressive
Potential, die buddhokratischen Machtvisionen und
die Intoleranz in Ihrer eigenen lamaistischen Religion? Dies war sicher
nicht im Sinne ihres Religionsgründers Buddha Shakyamuni.
Religion darf nicht von Macht geleitet werden. Weshalb befehlen Sie, als Friedensfürst, einer vorbuddhistische
Dämonin, Palden Lhamo mit Namen, die ihrem eigenen Sohn die Haut
abgezogen hat und diesen als Sattel für ihr Maultier benutzt, weil er sich
weigerte, den buddhistischen Glauben anzunehmen? Glauben Sie, dass solche
Schreckensbilder den Toleranzgedanken und die eigene Toleranz fördern
können? Wieso wird Ihnen von einer traditionellen Glaubensrichtung des
tibetischen Buddhismus wie den Dorje-Shugden-Schule, der Sie früher selber angehörten,
höchste Intoleranz und die Verfolgung religiöser Minderheiten vorgeworfen?
3. Dalai Lama, weshalb wird im Kalachakra
Tantra entgegen Ihren ständigen Bekenntnissen zur Demokratie die
Institution eines Chakravartin (eines
„Weltenherrschers“) beschworen, der einen globalen buddhistischen
„Gottesstaat“ (eine „Buddhokratie“) errichten
soll?
Das Kalachakra-Tantra
beinhaltet die buddhokratische Staatslehre vom Chakravartin, einem „Weltenherrscher“. „Am Ende der
Zeiten wird der Chakravartin aus der Götterstadt
oberhalb des Berges Kailash erscheinen. Er wird
mit seiner eigenen Armee, die aus vier Dimensionen besteht, in einer
Schlacht die Barbaren in allen Teilen des Erdkreises niederwerfen.“ – heißt es im Originaltext des Kalachakra-Tantra. (Shri Kalachakra I. 161) Ein „Chakravartin“ gilt nach indischer
Tradition als absolutistischer „Priesterkönig“, als ein „Theokrat“, der die
religiöse, politische, juridische und
militärische Macht in Personalunion vereinigt. „Bürgerliche
Gewaltenteilung“ und Demokratie sind in dieser aus dem 10. Jahrhundert
stammenden „politischen Theologie“ und damit auch der Kalachakra-Vision
etwas völlig Unbekanntes. Buddha Shakyamuni
dagegen lehnte die „Weltherrschaft“ ab. Als er vor die Wahl gestellt wurde,
ein „Chakravartin“ oder ein Buddha zu werden,
entschied er sich explizit für den Weg des Buddha, d. h. den Weg eines
"Erleuchteten" und lehnte den Weg des Chakravartin,
des „Weltenherrschers“ strikt ab. Wieso
führen Sie seit über dreißig Jahren weltweit, obgleich Sie sich nach außen
hin zur Demokratie bekennen, das Kalachakra-Ritual
durch, in dem eine globale Buddhokratie mit einem
absolutistischen Regenten an der Spitze das angestrebte Gesellschaftsmodell
für unseren Planeten darstellt? Weshalb unterstützen Sie mit einem Vorwort
den buddhokratischen Weltentwurf des
amerikanischen Tibetologen Robert A. Thurman in seinem Buch „Revolution von Innen“? Weshalb
benutzen Sie als Grundlage für Ihre politischen Entscheidungen ein
menschliches Staatsorakel (Nechung), das von
einem mongolischen Kriegsgott (! Pehar) besessen
ist und nicht die für jede Demokratie üblichen politischen Willenbildungsprozesse?
4. Dalai Lama, weshalb fordern entgegen Ihren weltweit
geschätzten sozialethischen Beteuerungen die buddhistischen Tantra-Texte,
insbesondere auch das Kalachakra-Tantra, von den
Initianten die Durchführung „unmoralischer“ und „verbrecherischer“
Handlungen wie: töten, lügen, stehlen und die Ehe brechen?
In
den geheimen acht höchsten Einweihungen des Kalachakra-Tantra
soll der Initiant durch extreme mentale und physische „Übungen“ in einen
Zustand „jenseits von Gut und Böse“ versetzt werden. Der Original-Text
verlangt von ihm deswegen folgende „Untaten“ und „Verbrechen“: töten,
lügen, stehlen, die Ehe brechen, Alkohol trinken. Selbst Sie legitimieren
es, wenn ein Kalachakra-Adept - unter bestimmten
Umständen - Menschen tötet, „die der [buddhistischen] Lehre Schaden
zufügen“ oder „sich
anschicken, abscheuliche und unheilvolle Handlungen zu begehen“.
(Dalai Lama – dt. Kalachakra-Tantra
– Berlin 2002, S. 365) Auch wenn Sie verlangen, dass die in vielen
tantrischen Texten geforderten Tötungsakte – unter bestimmten Umständen –
aus "Mitgefühl" geschehen sollten, widersprechen Sie damit dem im
ursprünglichen Buddhismus fest verankerten strikten Tötungsverbot. In der
tibetischen Geschichte haben die „Tötungen aus Mitgefühl“ als Legitimation
zur Liquidierung politischer Gegner eine große Bedeutung gehabt und blutige
Spuren hinterlassen. Ethisch
verwerflich empfindet man auch im Westen den rituellen Verzehr von
Menschenfleisch, wie er wörtlich im Kalachakra-Tantra
vorgeschrieben ist.
5. Dalai Lama, weshalb werden entgegen Ihrer ständigen
Beteuerungen, der tibetische Buddhismus sei zölibatär und frauenfreundlich,
in den höheren Riten des Kalachakra-Tantra Frauen
sexualmagisch und sexistisch benutzt, um spirituelle, weltliche und patriarchale
Macht zu erlangen?
In
den höchsten geheimen Einweihungen des Kalachakra-Tantra
werden sexualmagische Riten durchgeführt, deren Ziel es ist,
"Sexualität" in weltliche und spirituelle Macht zu
transformieren. Nach den Originaltexten stellen die dabei benutzten Frauen
bestimmte Energieformen dar, wobei das Alter eine wichtige Rolle spielt.
Man beginnt mit 11-jährigen Mädchen. In der 8. bis 11. Einweihungsstufe des
Kalachakra-Tantra wird nur mit
"einer" Frau sexualmagisch experimentiert, in der 12. bis 15.
Einweihungsstufe, dem sogenannten Ganachakra,
nehmen neben dem Meister und dem Initianten insgesamt 10 Frauen an dem
Ritual teil. Es ist die Pflicht des
Schülers, seinem Lama die Frauen als "Geschenk"
anzubieten. Frauen gelten im Kalachakra-Tantra als bloße
"Energiespender" für den männlichen Praktikanten und spielen nach
Beendigung des Rituals keine Rolle mehr. Wie vertragen sich solche Riten
mit dem Menschenrecht, das die Gleichberechtigung beider Geschlechter
garantiert und zu dem Sie sich mehrmals öffentlich bekannt haben? Die
Geheimhaltung der Sexualmagie in den höheren Einweihungen des Kalachakra-Tantra hat zu wilden Spekulationen und
Vermutungen geführt. Weshalb geben Sie hierüber die Diskussion nicht frei,
sondern behaupten in der Öffentlichkeit, dass der tibetische Buddhismus
eine zölibatäre Religion sei, die den Geschlechtsverkehr zwischen Mann und
Frau für Mönche grundsätzlich ablehne?
6. Dalai Lama, weshalb verbieten Sie, obgleich Sie immer wieder
die Vorteile der „Dialoggesellschaft“ betonen, dass über die Geheimriten
des Kalachakra-Tantra öffentlich diskutiert wird
und drohen bei Zuwiderhandlung mit „Höllenstrafen“?
Dalai Lama, Sie selber schreiben, dass es den
Eingeweihten in die höheren Stufen des Kalachakra-Tantra
bei Höllenstrafen verboten ist, über die geheimen Inhalte des Rituals
öffentlich zu sprechen. In diesem Zusammenhang drohen Sie in einem
Kommentar des Kalachakra-Tantra einem Schüler:
„Was ich dir auftrage, das musst du tun. Du sollst mich nicht gering
schätzen, und falls Du es tust, wird die Zeit des Todes kommen, ohne dass
die Angst von Dir weicht, und du wirst in eine Hölle stürzen.“ (Dalai Lama – dt. Kalachakra-Tantra
– Berlin 2002, S. 251) Der historische Buddha hat dagegen gefordert, nichts
zu glauben, sondern alles durch eigene Erfahrung und nach den Gesetzen der
Vernunft zu überprüfen. (Anguttara Nikaya I, 174). Das
ist eine Aussage, die Sie selber auch immer wieder machen. Weshalb
verbieten Sie dann eine öffentlich geführte Debatte über die geheimen
Tantras und die Geheimriten des Kalachakra-Tantra?
Weshalb öffnen Sie nicht die Geheimriten und machen Sie publik und fördern
damit ein System des Okkultismus?
7. Dalai Lama, weshalb haben Sie mit Leuten aus dem Milieu des religiösen
Faschismus und Sektenterrorismus wie Bruno Beger,
Jean Marquès-Rivière, Miguel Serrano, Shoko
Asahara, die sich aus Inhalten des Shambhala-Mythos
für ihre Visionen und Handlungen inspirieren ließen, so enge Kontakte
gepflegt?
Sie haben mehrmals betont, dass sich die
Grundsätze des Mahayana-Buddhismus besonders mit westlichen
Demokratievorstellungen und dem Gebot der Menschenrechte decken würden.
Dies gilt jedoch nicht – bei einer wörtlichen Interpretation – für
zahlreiche Inhalte des tantrischen Buddhismus, der das Zentrum der
tibetischen Religion darstellt. So
ist es eine Tatsache, dass der im Kalachakra-Tantra
integrierte Shambhala Mythos (Shambhala-Krieg) zu aggressiven Verhaltensweisen, megalomanischen Visionen und Verschwörungstheorien
sowohl in der Geschichte asiatischer Völker als auch im religiösen
Faschismus und Neofaschismus geführt hat. Schon im SS-Ahnenerbe, Heinrich
Himmlers Ideologieschmiede, bestand ein Interesse an den Inhalten des Kalachakra-Tantra und der einflussreiche faschistische Kulturphilosoph Julius Evola sah im Mythenreich Shambhala
das esoterische Zentrum einer sakralen Kriegerkaste. Diese Vision ist bis
heute fest in der religiösen Ideenwelt des internationalen
Rechtsextremismus verankert. Allein das macht es schon notwendig, sich klar
und eindeutig von dem kriegerischen Shambhala-Mythos
zu distanzieren und diesen als Textstelle zu verbieten. Im Gegensatz dazu
haben Sie zu Leuten aus den faschistischen Milieus, wie dem ehemaligen
SS-Mann Bruno Beger (wegen Beihilfe zum Mord in
86 Fällen verurteilt), den SS-Kollaborateur, bedeutenden Orientalisten und
Tantra-Experten Jean Marquès-Rivière (in absentia
wegen der Auslieferung von Juden und Freimaurern an die Gestapo in
Frankreich zum Tode verurteilt), den
Gründer des „esoterischen Hitlerismus“ und ehemaligen chilenischen Botschafter
Miguel Serrano (Cheftheoretiker des
SS-Mystizismus) und den japanischen Terroristen und Hitlerverehrer
Shoko Asahara freundschaftliche Kontakte gepflegt. Da sich das Kalachakra-Tantra gegen alle Religionen,
die einen semitischen Ursprung haben, richtet, kann es sehr leicht von rechtsradikalen, antisemitisch
eingestellten Kreisen für ihre rassistische Propaganda in Dienst genommen
werden und wurde schon in diesem Sinne benutzt.
8. Dalai Lama, weshalb gibt es von Ihnen keine präzise Exegese
der problematischen Stellen des Kalachakra-Tantra-Textes, die sich unmissverständlich
von den kriegerischen, intoleranten, sexistischen und buddhokratischen
Aussagen des Tantras distanziert, beziehungsweise diese Stellen offiziell
aus dem Originaltext streicht, bzw. ihre Verbreitung verbietet?
Bisher liegt von Ihrer
Seite keine klare Exegese des Kalachakra-Tantras
vor, die sich von dem Gewaltpotential des Textes distanziert. Auf die
Frage, inwieweit eine Exegese alter Texte überhaupt möglich ist, geben Sie
widersprüchliche Antworten. Auf der einen Seite sagen Sie: „Selbst die
Worte des Buddha müssen einer kritischen Prüfung unterzogen werden. So sind
einige seiner Aussagen nicht wörtlich zu verstehen und müssen anders
interpretiert werden. Wir haben die Freiheit, bestimmte Aussagen nicht
einfach zu akzeptieren, sondern wir müssen sie unter entsprechenden
Bedingungen neu interpretieren.“ (Dalai Lama – „Augen der Weisheit“ –
Freiburg 2002, 178) Dem widerspricht auf der anderen Seite konträr Ihre
folgende Aussage: „Die Tantras und die Sutras
sind die letzte Autorität, nicht wir. Wenn sich darin eine schriftliche
Referenz befindet, besteht keine Notwendigkeit für uns, diese Dinge
aufzukündigen und anzunehmen, der Buddha hätte in seinem Bewusstsein eine
Analogie mit der westlichen Religion oder Wissenschaft gehabt.“ (in: The Berzin Archives – Kalachakra Teachings HHDL 2. htm)
Wieso ist eine vollständige, korrekte und kommentierte Übersetzung des Kalachakra-Tantra bisher in einer westlichen Sprache
nicht zugänglich gemacht worden, obgleich Sie schon Zehntausende von
Westlern in dieses Ritual eingeweiht haben?
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