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     Als einer der ganz wenigen
    Buddhisten, die auf die Kritik am Kalachakra-Tantra
    mit ernst zu nehmenden Argumenten zu reagiert haben, ist der im Folgenden
    abgedruckte Artikel von Thomas Lautwein,
    Einzelmitglied der Deutschen Buddhistischen Union (DBU), zu werten. Wir
    haben uns deswegen die Mühe gemacht, zu den einzelnen Punkten einen
    ausführlicheren Kommentar zu schreiben.  
      
    Kalachakra: Mythos und
    Realität - einige Bemerkungen zur Kritik fundamentalistischer und
    „aufklärerischer" Gruppen an einem tibetisch-buddhistischen
    Ritualsystem 
     
     
    Lautwein: 
    In den letzten
    Wochen und Monaten häuften sich Berichte über massive Vorwürfe, die gegen
    den tibetischen Buddhismus, den Dalai Lama, den buddhistischen Tantrismus
    und die Kalachakra-Praxis erhoben wurden: Fundamentalistische
    christliche Gruppen und atheistische Religionskritiker versuchen gezielt,
    die Kalachakra-Einweihung, die der Dalai Lama im
    Oktober in Graz geben wird, als ein schwarzmagisches oder abergläubisches
    Spektakel darzustellen, bei dem die Teilnehmer manipuliert werden sollen,
    um sie für die aggressiven Welteroberungspläne des tibetischen Buddhismus
    zu instrumentalisieren. Dem tibetisch-buddhistischen Vajrayana
    (Tantrismus) wird dabei unterstellt, frauenfeindlich, fanatisch,
    kriegerisch und menschenverachtend zu sein. Schließlich wird perfiderweise behauptet, es bestünde eine geheime
    Allianz zwischen neonazistischen Gruppen und dem Dalai Lama, die gemeinsam
    antisemitische und antichristliche Ziele verfolgten. 
     
    In den tibetisch-buddhistischen Zentren und Gemeinschaften stellen wir
    fest, dass westliche Buddhisten in zunehmendem Maße aggressiv angegangen
    werden, dergestalt, dass besorgte Arbeitskollegen ihnen nahe legen,
    „Aufklärungsveranstaltungen“ des „Buddhismus-Experten“ Martin Kamphuis zu besuchen, oder dass ihnen im
    interreligiösen Dialog das Buch von Victor und Victoria Trimondi
    vorwurfsvoll entgegengehalten wird. Auch innerhalb der Anhänger des
    tibetischen Buddhismus macht sich Verunsicherung breit, und ich bin in
    meiner Eigenschaft als Vorstandsmitglied von Chödzong
    e.V. und Mitarbeiter des tibetischen Lamas Dagyab
    Kyabgön Rinpoche schon
    mehrfach gefragt worden, ob denn an diesen Vorwürfen nicht doch etwas dran
    sei. Auch bei anderen buddhistischen Gruppen, die nicht-tibetischen
    Traditionen angehören, gibt es sicherlich Bedenken und Vorbehalte gegen das
    buddhistische Tantra.  
      
    Trimondi:  
    Dass endlich eine
    Auseinandersetzung mit dem Kalachakra-Tantra
    stattfindet ist eine gute und förderliche Entwicklung. Schließlich
    herrscht, was dieses Ritual anbelangt, selbst bei lang praktizierenden
    Buddhisten eine große Unsicherheit. Wir begrüßen es deswegen, dass endlich
    von buddhistischer Seite die Debatte über die Tantra-Texte und -Praktiken
    geöffnet wird. 
      
    Lautwein: 
    Die Frage,
    inwieweit dieses noch authentischer Buddhismus ist, und ob es nicht ein
    Mischmasch aus Hinduismus, Schamanismus und degeneriertem indischem
    Spät-Buddhismus sei, ist legitim, auch wenn sie einem Tibeter nie in den
    Sinn käme.  
      
    Trimondi: 
    In der Tat sind aus diesen
    verschiedenen Kulturströmungen bestimmende Elemente in den tibetischen
    Buddhismus eingeflossen, insbesondere auch in das Kalachakra-Tantra.
    Hinzukommen im letzten Fall noch manichäische und islamische Ideen. Diese
    stehen teilweise in krassem Gegensatz zu Vorstellungen aus dem
    Urbuddhismus. 
      
    Lautwein: 
    Für Tibeter
    besteht nicht der geringste Zweifel, dass das Vajrayana
    Lehre des Buddha ist und nur im Rahmen des allgemeinen Mahayana-Buddhismus
    praktiziert werden kann. Da wir aber nicht in Tibet sind, und da wir keine
    Tibeter sind, müssen wir uns solchen Zweifeln und Anfragen stellen. 
      
    Trimondi:  
    Für Tibeter besteht auch
    kein Zweifel daran, dass der historische Buddha das Kalachakra-Tantra
    ca. 800 Jahre v. Chr. dem Shambhala-König
    Suchandra gelehrt hat (so ergibt es sich aus der Zeitrechnung des
    Originaltextes), obgleich Buddha Shakyamuni ca.
    500 v. Chr. gelebt hat. Der Kalachakra-Text ist
    im 10. Jh. n. Chr. konzipiert worden. Nicht nur Westler, sondern auch
    Tibeter, die im Westen leben, sollten sich mit solchen Widersprüchen
    kritisch auseinandersetzen. 
     
    Lautwein: 
    Man erwartet
    also offensichtlich, dass wir Anhänger des tibetischen und tantrischen
    Buddhismus uns rechtfertigen, oder zumindest Stellung nehmen, was wir denn
    da eigentlich treiben, wenn wir geheimnisvolle Einweihungen nehmen, täglich
    unsere Mantras murmeln und unsere „Götter" anbeten. 
     
     
    Trimondi:  
    Das ist richtig! Stellung zu
    beziehen und offen über die „geheimen Einweihungen“ und was dort genau
    passiert zu sprechen, ist wichtig, vor allem bei so vielen offenen Fragen
    und bei der zunehmend sich artikulierenden Kritik. 
      
    Lautwein: 
    Ich will nun
    versuchen, in Kürze einige grundlegende Tatsache über das Kalachakra-Tantra und das Vajrayana
    klarzustellen. Dabei kann ich natürlich nicht alle im Detail erläutern,
    schließlich haben wir es hier mit einem unglaublich komplexen religiösen
    Phänomen zu tun, das man jahrelang studieren und praktizieren kann.  
    Was also ist Kalachakra? 
     
    Buddhistisches Tantra (Vajrayana,
    Diamantweg) - Seit dem 4./5.
    Jahrhundert entstanden in Indien tantrische Meditations-Systeme, die nach
    und nach in den Hinduismus, Jainismus und Buddhismus integriert wurden.
    „Tantra" bezeichnet ursprünglich die Textur, die „Kette" eines
    Gewebes, und ist im Buddhismus zunächst die Bezeichnung für einen Text, in
    dem der Buddha in Gestalt einer sogenannten tantrischen Meditationsgottheit
    (tibetisch: Yidam) auftritt und eine
    Meditationsmethode erklärt. Jedes tantrische System dreht sich um eine
    solche Gottheit, die einen bestimmten Aspekt des Buddha
    verkörpert, so wird z.B. Avalokiteshvara als
    Inbegriff der Güte und Barmherzigkeit aller Buddhas gesehen. Der Tantriker
    soll sich nun mit dieser Gottheit in der Meditation identifizieren, um mit
    ihr eins zu werden und ihre Qualitäten zu verkörpern. Mittel dazu sind die
    Meditation über das Mandala der Gottheit, Rezitation von Mantren, Durchführung von Ritualen (die größtenteils
    aus endlosen Darbringungen von Opfergaben bestehen) und die ständige
    Identifikation mit der gewählten Gottheit. 
     
     
    Trimondi:  
    Bei der in den tantrischen
    Praktiken geforderten Identifikation mit einer Gottheit („Gottheitsyoga“)
    geht es nicht um irgendwelche transpersonale Wesenheiten, sondern um die in
    den jeweiligen Tantra-Texten kodifizierten Gottheiten. Der Schüler kann
    sich also nicht ohne weiteres mit „Göttern“ aus anderen Kulturkreisen
    „gleichschalten“. Viele dieser tantrischen „Gottheiten“ (Yidam) weisen von vornherein aggressive, ja mörderische
    Charaktermerkmale auf, so dass wir sie nach europäischem Verständnis eindeutig
    als „Dämonen“ kennzeichnen müssen. Sie verlieren nicht ihre aggressiven
    Züge, etwa durch die meditative Transformation ihres Charakters, sondern
    werden für die buddhistische Lehre als Schutzdämonen („Dharmapalas“)
    in den Dienst gestellt. Ein typisches Beispiel für einen in das Pantheon
    des tibetischen Buddhismus übernommene Dämonin
    ist die „Schutzgöttin“ des Dalai Lama, Palden Lhamo mit Namen. Sie reitet – in der ikonographischen
    Darstellung – auf einem Maultier durch einen Blutsee. Ihr Sattel ist aus
    der von ihr selber abgezogenen Haut des eigenen Sohnes gefertigt, der sich
    geweigert hatte, die buddhistische Lehre anzunehmen. Lautwein
    verschweigt, dass auch jeder Buddha und jeder Bodhisattva
    im tantrischen System grundsätzlich zwei Aspekte aufweist, einen gütigen
    und einen zornvollen (Heruka-Aspekt). Avalokiteshvara der „Inbegriff der Güte und
    Barmherzigkeit“ kann ebenfalls in der Gestalt des Totengottes Yama erscheinen und seine Güte kann darin bestehen,
    einen Menschen ins Jenseits zu befördern.  
      
    Lautwein: 
    Das
    Charakteristische der tantrischen Methode ist also die Identifikation mit
    einer Gottheit, die als Buddha-Aspekt gesehen wird. Es ist klar, dass aus
    Sicht monotheistischer Religionen ein solcher Versuch der
    „Selbstvergöttlichung" als blasphemisch und „satanisch"
    erscheinen muss, da in ihnen eine Einheit von Schöpfer und Geschöpf nicht
    möglich ist.  
      
    Trimondi:  
    Der Prozess der
    „Selbstvergöttlichung“ ist nicht nur ein Problem für Anhänger der
    monotheistischen Religionen, sondern ebenfalls für Humanisten. Durch diese
    Praxis wird das humanum,
    das Menschliche, aufgehoben. Der Mensch zählt letztlich nichts mehr, der
    Gott ist alles, das heißt: das Individuum, die Seele, die Substanz einer
    Persönlichkeit werden zugunsten eines Überwesens aufgehoben beziehungsweise
    diesem untergeordnet. Das ist insbesondere dann problematisch, wenn dieses
    Überwesen eine aggressive und kriegerische Wesenheit darstellt, wie dies in
    den Tantra-Riten oft der Fall ist. Nicht der Friedensaspekt des Buddhismus
    bestimmt den Charakter der meisten Tantras, sondern der Schreckensaspekt.
    Es herrscht dort jedenfalls die (un-buddhistische)
    Logik, dass es zuerst zu einer Entfesselung des Schreckens kommen muss,
    bevor der Frieden einkehren kann. 
      
    Lautwein: 
    Tatsächlich kann
    man sich auch fragen, ob eine solche Praxis denn nicht tatsächlich zu einer
    Ego-Aufblähung und Größenwahn führen kann, worauf man antworten muss, dass
    dies allerdings eine der größten Gefahren der tantrischen Praxis ist, an
    der schon viele gescheitert sind.  
      
    Trimondi: 
    Diese Gefahr liegt nahe, sie
    führt zu Willkür, Machtmissbrauch, Wahnideen wie bei Chögyum
    Trungpa, Ole Nydahl
    oder dem japanischen Sektenguru Shoko Asahara und deren Anhängern.
    Zahlreiche solcher Fälle sind in den letzten Jahren bekannt geworden. Aber
    nicht nur die „Ego-Aufblähung“ ist das Problem, sondern die tantrischen
    „Schreckensgötter“ selber bilden eine Gefahr, wenn sie, sei es auch nur in
    der Form kulturprägender Imaginationen, auf die Menschheit losgelassen
    werden. 
      
    Lautwein: 
    Es sind aber
    innerhalb des Vajrayana (Tantra) einige
    Sicherungen vorgesehen, die genau das verhindern sollen: Vorausgesetzt wird
    bei jedem Tantriker die allgemein buddhistische Zufluchtnahme, eine
    zumindest ehrliche Bemühung um die Bodhicitta-Motivation,
    und ein gründliches Verständnis von Leerheit.  
      
    Trimondi:  
    Ein Verständnis von Leerheit
    ist geradezu die Voraussetzung dafür, dass die tantrischen Schreckensgötter
    durch Imagination hervorgebracht und wieder aufgelöst werden könne. Es
    handelt sich bei der Shunyata-Praxis
    (Leerheitsmeditation) auch um die höchste Ausdrucksform einer
    Machtimagination: Der Yogi wird zum Herrn der Götter, der diese ex nihilo
    schaffen und wieder vernichten kann. Weder die „Zufluchtformel“
    noch die „Bodhicitta-Motivation“ sind ein Schutz
    vor Despotismus. Im Gegenteil, sie haben es erlaubt, dass die im Tantrismus
    allgemein geforderten unmoralischen und verbrecherischen Handlungen (auf
    die wir noch zu sprechen kommen) eine höhere „ethische“ Legitimation
    erhalten.  
      
    Lautwein: 
    In jeder
    tantrischen Praxis muss am Anfang darüber meditiert werden, dass man diese
    Praxis nicht zum eigenen Vergnügen durchführt, sondern „zum Wohle aller
    Lebewesen", und dass die „Gottheiten" (Yidams)
    abhängig entstandene Phänomene sind, die ihrer Natur nach leer sind.  
      
    Trimondi:  
    Die Mahayana-Formel „zum
    Wohle aller Wesen“ wird hier im Westen oft missverstanden. Es handelt sich
    dabei weder um eine reine „Sozialethik“, die sich um den sozialen Einsatz
    für die Mitmenschen bemüht, noch um das Prinzip Barmherzigkeit, wie dies im
    Christentum verstanden wird. Durch die Karma-Lehre zeigt der Buddhismus
    eine gewisse „a-soziale“ Einstellung, denn alles Leid, das ein Mensch
    erfährt, soll aus der Ansammlung seines schlechten Karmas entstanden sein. Vice versa –
    aus gutem Karma entsteht eine gute soziale Position. „Zum Wohle aller
    Wesen“ wirken allein Handlungen und Lehren, die Lebewesen zu der Erkenntnis
    bringen, sich von der Bedingtheit alles Seienden zu lösen, d. h. die
    „Wahrheiten des Buddhismus“ zu erkennen und ihnen zu folgen. Es handelt
    sich deswegen im Grunde um eine Missionsformel, die besagt, dass es zum
    Wohle aller Wesen ist, den Grundsätzen des Buddhismus zu folgen. Das gilt
    für den Mahayana-Buddhismus. Anders ist es jedoch im buddhistischen
    Tantrismus: Hier werden bei einer wörtlichen Deutung der Originaltexte
    eindeutig Verbrechen bis hin zum Mord „zum Wohle aller Wesen“ verlangt.  
      
    Lautwein: 
    Außerdem ist die
    tantrische Praxis abhängig von der Vermittlung und Betreuung durch einen
    qualifizierten Vajra-Meister, d.h. einen Guru
    oder Lama, der den Schüler in die tantrische Realität einführt und ihm die
    Befähigung überträgt, sich in dieser zu bewegen. Die
    Lehrer-Schüler-Beziehung im Vajrayana ist
    besonders problematisch, da sie traditionell so dargestellt wird, dass der
    Lehrer als Buddha zu betrachten ist und der Schüler angewiesen ist, alle
    Aktivitäten des Lehrers als vollkommen und rein zu betrachten. Ich möchte
    hier, um nicht zu ausführlich zu werden, auf die Aufsätze meines Lehrers Dagyab Kyabgön Rinpoche verweisen, der zu diesem Punkt immer wieder
    betont, dass der tantrische Lehrer in Wirklichkeit der gemeinsame karmische
    „Hintergrund" von Lehrer und Schüler ist, dass es genügt, den Lehrer
    während der Einweihung als Buddha zu sehen, und dass der Schüler auch im
    Tantra das Recht hat, Anweisungen des Lehrers zu ignorieren, die in
    eklatanter Weise gegen die allgemeine buddhistische Ethik verstoßen.  
      
      
    Trimondi:  
    Der Lehrer hat im Tantrismus
    die absolute Gewalt über den Schüler. Das System beruht auf seiner vollständigen
    Unterwerfung und Schweigepflicht. Handlungen des Lehrers müssen, wie absurd
    und verbrecherisch sie auch erscheinen mögen, als eine Aufgabe auf dem
    Initiationsweg gesehen werden (siehe die Legenden von Naropa
    und Milarepa). Zur Lehrer-Schüler-Beziehung ein
    Zitat des XIV. Dalai Lama, das er als Kalachakra-Meister
    zu seinem Schüler spricht: „Was ich Dir auftrage, das musst Du tun. Du
    sollst mich nicht gering schätzen, und falls Du es tust, wird die Zeit des
    Todes kommen, ohne dass die Angst von Dir weicht, und du wirst in eine
    Hölle stürzen.“ (Dalai Lama – Kalachakra-Tantra
    – Berlin 2002, 251) Das Problem potenziert sich noch, da in den Tantras
    eine Verletzung der buddhistischen Grundgelübde und ethischen Normen
    geradezu gefordert wird, um den Initianten in einen Zustand jenseits von
    Gut und Böse zu katapultieren.
     
     
    Lautwein: 
    Hier sind zwei
    Vorwürfe zurückzuweisen: Dem Tantra-Schüler wird nicht eine Gottheit
    „implantiert", die seine Persönlichkeit auslöscht, vielmehr soll der
    Schüler seine Persönlichkeit durch den Kontakt zu einer transpersonalen
    Ebene transformieren. Eine echte tantrische Lehrer-Schüler-Beziehung ist
    keine spirituelle Sklaverei, sondern definiert sich durch eine tiefe
    Verbindung auf einer subtilen Ebene („Hintergrund", um wieder Dagyab Rinpoche zu zitieren). 
     
     
    Trimondi:  
    Das ist nicht richtig! Die
    Auflösung der Persönlichkeit, des Individuums und des Ichs ist schon eine
    Forderung der Anatta-Lehre, die allen
    buddhistischen Schulrichtungen zugrunde liegt. Ein wesentlicher
    Charakterzug buddhistischer Meditationspraxis besteht in der Dekonstruktion
    des Ichs. Im sogenannten „Gottheitsyoga“ des Tantrismus, wird dieses Ich
    durch die Gottheit ausgewechselt. Es gibt nicht nur einen Kontakt der
    Persönlichkeit zu einer transpersonalen Ebene, sondern die transpersonale
    Ebene (sprich die Gottheit als ein Buddha-Aspekt) benutzt den Körper des
    Initianten als ihr „Gefäß“.  Dies ist
    ein  terminus  technicus
    der immer wieder in den Tantra-Texten gebraucht wird. Es ist notwendig,
    schreibt der I. Dalai Lama im Zusammenhang mit dem Kalachakra-Tantra,
    „den Adepten in ein Gefäß zu verwandeln“.  
      
    Lautwein: 
    Wenn wir uns die
    Symbolik des Tantrismus ansehen, werden wir feststellen, dass sie viel Gemeinsamkeiten mit dem gleichzeitigen Hinduismus
    hat. Es ist nicht zu bestreiten, dass die meisten buddhistisch-tantrischen
    Gottheiten den Versuch darstellen, den Göttern des Hinduismus, der den
    Buddhismus in seiner indischen Spätphase immer mehr bedrängte, etwas
    entgegenzustellen, was ihren Einfluss neutralisiert oder kontrolliert. In vielen Tantras heißt es daher, der Buddha habe sich als
    diese oder jene Gottheit manifestiert, um einen bestimmten Hindu-Gott zu
    „zähmen". Anders ausgedrückt: Buddhistischen Meditierenden erschien
    der Buddha in ihren Visionen in einer Gestalt, die an ihnen vertraute
    indische Gottheiten gemahnte und von ihnen gleichzeitg
    als „Buddha" erlebt wurde. Meistens ist ein starker Bezug zu Shiva (Rudra) erkennbar, so ist z.B. Vajra-Bhairava
    das buddhistische Gegenstück zu Bhairava, einer
    furchterregenden Shiva-Form, ebenso wie Cakrasamvara
    und Vajrayogini erklärtermaßen ein Gegenbild zu
    Shiva und Parvati sind.  
      
    Trimondi: 
    Dieser starke hinduistische
    Einfluss sollte zu der Prüfung Anlass geben, inwieweit der buddhistische
    Tantrismus überhaupt noch etwas mit den Lehren des Urbuddhismus zu tun hat.
    Auf den ersten Blick scheint er mit seinem Götter- und Dämonenheer
    und seinen magischen Beschwörungen geradezu das Gegenteil  darzustellen.  
      
    Es ist falsch zu behaupten,
    dass der tantrische Buddhismus die wilden Hindugottheiten zähmen will. In
    keinem Tantra ist davon die Rede. Er besiegt sie und stellt sie dann als
    Schützer der buddhistischen Lehre in seinen Dienst. Die in tantrische „Dharmapalas“ transformierten Hindugottheiten gehorchen
    dem Befehl des Tantra-Meisters. Die Schützer verändern ihren
    Schreckenscharakter nicht, sondern potenzieren diesen noch, nur kämpfen sie
    jetzt auf der anderen Seite der Barrikade als Erfüllungsgehilfen der
    Buddhisten. Grausamkeit und Terror werden im Tantrismus nicht sublimiert
    oder abgeschafft, sondern nur unter die Kontrolle gebracht. Das ist etwas
    völlig anderes als Herr Lautwein behauptet. 
     
    Lautwein: 
    Im Lauf der
    Jahrhunderte wurden die tantrischen Systeme immer komplexer, es wurden
    immer mehr nicht-buddhistische Elemente integriert, die für den Buddhismus
    nutzbar gemacht werden sollten. Hierzu gehören u.a. Erfahrungen mit dem
    feinstofflichen Körper und magische Elemente, darunter auch Sexualmagie und
    Praktiken, die wir als nahezu nekromantisch
    bezeichnen können.  
     
     
    Trimondi: 
    Die nekromantische
    Seite des buddhistischen Tantrismus ist wirklich ein düsteres Kapitel und
    es ist gut, dass Lautwein darauf zu sprechen
    kommt. Der Umgang mit Substanzen von Toten (Hirn, Blut, Innereien, Knochen)
    und das Meditieren auf Friedhöfen und vor Leichen hat in den tantrischen
    Praktiken eine große Bedeutung und führt zu abartigen Vorstellungen. Dazu
    rechnet auch der rituelle Verzehr von Menschenfleisch. Der Buddhismusforscher Volker Zotz
    kommt deswegen zu dem Schluss: „Eine Bewegung wie Tantra, die von
    Geheimhaltung spricht und auch im buddhistischen Rahmen Riten verwendet, in
    denen Schädelschalen, kultische Messer, symbolische Tötungen und Bilder
    dämonischer Gestalten in sexueller Vereinigung eine Rolle spielen, ist
    naturgemäß auch anziehend für solche, welche die dunklen Seiten des Daseins
    attraktiv finden.  [….] Tantrische
    Rituale bergen für den, dem sie Realität bedeuten, vielerlei Gefahren,
    statt des erhofften Erwachens in Abgründe zu fallen. Schon der Totenschädel
    im religiösen Kult kann für den einen Mahnung an Vergänglichkeit sein, der
    andere mag destruktiven Kitzel spüren, eine Faszination des Todes.“ (Volker
    Zotz – „Kot, Urin und Menschenfleisch“ – in
    „Ursache & Wirkung“ Nr. 4 – 2000 – 31) Dass diese Faszination des Todes
    im Lamaismus, eine starke Attraktivität auf die SS-Männer der Tibetexpedition 1938/1939 ausübte, zeigen wir
    detailliert in „Hitler-Buddha-Krishna“ 
    in dem Kapitel. „Nekrophilie in der SS und im Lamaismus – ein
    Kulturvergleich“ (149 ff.) 
      
    Lautwein: 
    Kalachakra - Das späteste tantrische System, das im 10./11.
    Jahrhundert hervortrat, ist nun das Kalachakra-Tantra,
    das „Rad der Zeit". Zu dieser Zeit war der Buddhismus in Indien
    bereits im Niedergang begriffen. Es häuften sich die Einfälle moslemischer
    Heere, die vom Iran und dem heutigen Afghanistan aus immer wieder Einfälle
    in Nordindischen unternahmen und schrecklich unter den Hindus und
    Buddhisten wüteten, die in ihren Augen ja nur „Götzendiener" waren.
    Der Hinduismus konnte diese Schläge verkraften, doch die Zerstörung der
    buddhistischen Klöster brach dem indischen Buddhismus, der ohnehin schon
    zunehmend Anhänger an den Hinduismus verlor, das Rückgrat. Wenn wir uns nun
    versuchen, uns in die Situation eines indischen Buddhisten dieser Zeit zu
    versetzen, so können wir wohl verstehen, dass ihm eine derartige
    katastrophale Situation als Untergang der Welt erscheinen musste. Genau
    diese Stimmung finden wir nun im Kalachakra-Tantra
    gespiegelt: Es ist eine buddhistische Apokalypse, die den anbrechenden
    Weltuntergang beschreibt und versucht, den letzten verzweifelten Buddhisten
    etwas Hoffnung zu machen, indem sie eine Geschichtsdeutung unternimmt und
    ihnen die Hoffnung auf eine bessere Zeit macht, bzw. die Verheißung
    enthält, dass es irgendwo an einem sicheren Ort ein Friedensreich gibt, an
    dem der Buddhismus aufbewahrt wird.  
      
    Trimondi: 
    Das ist sicher richtig.
    Deswegen beinhaltet das Kalachakra-Tantra auch
    eine Weltuntergangsvision und ist damit kein Beitrag zu Weltfrieden, wie
    das nach außen hin proklamiert wird. Das macht es als Kulturentwurf für das
    Zusammenleben der Völker und für eine friedvolle Weltgemeinschaft
    gefährlich, ja geradezu unbrauchbar.  
      
    Lautwein: 
    Das Kalachakra-Tantra ist also vergleichbar mit der
    Offenbarung des Johannes, die ebenfalls das Thema "Weltuntergang"
    behandelt. Auch die „Offenbarung" enthält sehr düstere, unheimliche
    Bilder, und gipfelt am Ende in einer Vision vom Sieg des Guten und der
    Errichtung des himmlischen Jerusalems bzw. des tausendjährigen Reiches
    enthält.  
      
    Trimondi: 
    Apokalypsen gibt es in allen
    Religionen. Sie sind ein höchst problematisches Kulturerbe der gesamten
    Menschheit, weil sie den Untergang beschwören und meist auch einen
    Vernichtungskrieg gegen Andersgläubige. Sie bauen auf einem krassen
    Feindbild auf. Viele westliche Menschen sind aber gerade deswegen zum
    Buddhismus konvertiert, weil sie glaubten, dem apokalyptischen Szenario der
    monotheistischen Religionen entkommen zu können und hier eine Zuflucht des
    Friedens vorzufinden. Das Kalachakra Tantra ist
    jedoch noch „apokalyptischer“ als die monotheistischen Pendants. Verbunden
    mit der hinduistischen Theorie vom Kali-Yuga, dem
    untergehenden Zeitalter, erweist sich die buddhistische Apokalypse als eine
    unumstößliche Notwendigkeit, die sich immer wiederholt, bis in alle Ewigkeit,
    im steten Wechsel von Untergang und Wiederauferstehung.  
      
    Die Apokalypse der Yuga-Lehre unterscheidet sich unter anderem von der
    christlichen dadurch, das letztere als ein
    Ratschluss Gottes angesehen wird, die Apokalypse des Kalachakra-Tantra
    aber wird bewusst vom Tantra-Meister in seinem mikrokosmischen Körper
    simuliert und zwar durch die Entfesselung eines „inneren“
    Zerstörungsfeuers, der so genannten „Candali“,
    die alle Aggregate seines Energiekörpers zerstören soll. Diese aber
    entsprechen dem Kosmos (Sonne, Mond und Sterne), der auch am Ende des Kali Yuga in einem Feuermeer verschwindet.  
      
    Lautwein: 
    Genauso, wie die
    Offenbarung des Johannes viel Unheil bei psychisch labilen Christen
    gestiftet hat, die bei dem Versuch, das Datum des Weltuntergangs aus der
    Schrift zu errechnen, den Verstand verloren haben, genauso kann natürlich
    auch das Kalachakra-Tantra zu den blühendsten
    Phantasien und Wahnvorstellungen Anlass geben. Die Versuchung liegt nahe,
    die derzeitige Weltlage als Erfüllung von Prophezeiungen aus dem Kalachakra-Tantra zu sehen, aber damit begibt man sich
    auf das Niveau der Zeugen Jehovas.  
      
    Trimondi: 
    Die Apokalypse des Johannes
    hat in vielen christlichen Religionskriegen eine fatale Rolle gespielt. (Zum
    Beispiel diente sie als Begründung für beide Parteien im 30 jährigen Krieg)
    Auch die buddhistische Apokalypse wurde immer wieder bei historischen
    Ereignissen beschworen: bei den Mongolen, den japanischen Faschisten, in
    den tibetischen Lokalkriegen. Sie diente dem japanischen Sektenführer Shoko
    Asahara als Orientierungsmodell für seine Terroranschläge.  
      
    Lautwein: 
    Das Kalachakra-Tantra ist jedoch weitaus tiefgründiger.
    Neben den geschichtstheoretischen Aspekten, die ich hier auch nicht weiter
    ausführen kann, die aber samt und sonders auf allgemein buddhistischen
    Vorstellungen und den Sutras beruhen, ist das Kalachakra-Tantra außerdem ein Versuch, das Phänomen
    ZEIT buddhistisch zu erfassen. Hierzu muss man nun wissen, dass die Zeit (kâla) im alten Indien als eine konkrete Entität mit
    göttlichen Zügen aufgefasst wurde, so dass man sogar von einem Gott der
    Zeit sprechen kann. Es gab anscheinend auch ein philosophisches System, das
    sich „Philosophie der Zeit" (kâlavâda)
    nannte (siehe hierzu F.I Schtscherbazkoj,
    Erkenntnistheorie und Logik nach der Lehre der späteren Buddhisten, Kapitel
    II, „Zeitschrift für Buddhismus" N.F. Heft 7/12, München 1922, S. 275
    ff.). Die Zeit war im alten Indien (wie übrigens auch bei den Griechen) ein
    kosmisches Phänomen, das sehr eng mit der Bewegung der Planeten, den
    Jahreszeiten, den Lebensstufen des Menschen usw. zu tun hatte. Es darf uns
    daher nicht verwundern, dass im Kalachakra-System
    die komplette altindische Astrologie integriert ist, und dass das Kalachakra-System bis heute Grundlage des tibetischen
    Kalenders ist.  
      
    Trimondi: 
    Die Personalisierung der
    Zeit im Kalachakra Tantra macht es möglich, dass
    der ausführende Tantra-Meister sich als Zeitgott
    versteht, als Herrscher über die Zeit. Tatsächlich lässt sich der Dalai
    Lama während der Kalachakra-Zeremonie als Zeitgott („Kalachakra“)
    anbeten und von allen an dem Ritual Beteiligten  als Zeitgott
    imaginieren. Sogar die bürgerliche Presse hat dieses Phänomen wahrgenommen.
    So schrieb NEWS-Networld, die Internetseite der
    großen österreichischen Wochenzeitung News, am 21. 10. 2002 folgende
    Headline:  „Heute – Höhepunkt des Weltbuddhistentreffens – Dar Dalai Lama wird zum Zeitgott“ 
      
    Lautwein: 
    Des weiteren enthält das Kalachakra ausführliche
    Unterweisungen über die Physiologie des subtilen menschlichen
    Energiekörpers, in diesem Punkt unterscheidet es sich nicht von den anderen
    Tantras der höchsten Tantra-Klasse (die tantrischen Texte werden in vier
    sog. „Tantra-Klassen" eingeteilt, von denen das Anuttara-Yoga-Tantra
    die höchste ist). 
     
    Shambala - Innerhalb des Kalachakra-Tantra wird der Mythos von Shambala erzählt. Shambala
    soll ein Königreich irgendwo nördlich von Indien sein, dessen erster König
    vom Buddha selbst in das Kalachakra-Tantra
    eingeweiht wurde. Seitdem wird Kalachakra im
    Königreich Shambala praktiziert, das als Ideal
    einer gerechten, buddhistischen Gesellschaft geschildert wird. Shambala ist für gewöhnliche Menschen nicht zugänglich
    und kann nur in Visionen oder von Auserwählten betreten werden (eine
    Gemeinsamkeit mit der Gralsburg - darauf komme ich später noch zurück).
    Derzeit soll in Shambala der 21. König regieren,
    dessen Regierungszeit im Jahr 2027 u.Z. enden soll. Im Jahr 2425 wird Shambala von dem „mleccha"-König
    Lalo entdeckt und angegriffen werden. Der Begriff
    „mleccha" ist nicht ganz klar,
    wahrscheinlich bezieht er sich aber auf die Moslems, die im Mittelalter in
    Indien einfielen, und dient als Sammelbegriff für alle Nicht-Buddhisten, die
    den Buddhismus aggressiv bedrohen. Rudra Shakri, der 25. König von Shambala,
    wird diesen Angriff zurückschlagen und anschließend eine weltweite neue
    Friedenszeit einläuten. 
      
    Trimondi: 
    Also ein Religionskrieg
    zwischen Buddhisten und Nichtbuddhisten, insbesondere zwischen Buddhisten
    und Moslems. Der Originaltext
    bezeichnet die buddhistische Kriegsführung als "gnadenlos" und "grausam". Dort heißt es:
    "Die äußerst wilden Krieger
    werden die barbarische Horde niederwerfen" und "eliminieren." (Shri Kalachakra
    I. 163/165) In mehreren Strophen beschreibt der Text die mörderischen
    Superwaffen, welche die buddhistische Armee gegen die "Feinde der
    Lehre" einsetzt. (Shri Kalachakra I. 128 – 142) Der historische
    Buddha hat den Krieg in jeglicher Form abgelehnt. Es gab für ihn keinen
    "Gerechten Krieg" und schon gar keinen "Heiligen
    Krieg". Im Kalachakra-Tantra werden die
    Hauptvertreter der semitisch-monotheistischen Religionen „Adam, Henoch, Abraham, Moses, Jesus, Mani, Mohammed und der
    Mahdi“ als die „Familie der dämonischen Schlangen" bezeichnet, die mit
    "Tamas", das heißt mit Eigenschaften der Finsternis, der
    Täuschung und der Unwissenheit ausgestattet sind. (Shri Kalachakra I. 154) Ein
    eschatologischer Religionskrieg gegen das "barbarische Dharma", insbesondere gegen den Islam, soll nach
    der Shambhala-Prophezeiung einer weltweiten
    Errichtung des "buddhistischen Dharmas"
    (des Buddhismus)
    vorausgehen. Der Original-Text
    spricht davon, dass das "machtvolle, gnadenlose Idol der Barbaren, die dämonische Inkarnation" - d. h. der Islam –  in „Mekka“ lebt. (Shri Kalachakra
    I. 154) In der Zeitschrift News vom 10. Okt. 2002 sagte der Dalai Lama: „Der Islam will als
    Weltreligion gelten, setzt aber genauso wie das Christentum vor ein paar
    Hundert Jahren vornehmlich auf Aggression. Das hat mit Religion nichts zu
    tun, sondern bloß mit Macht. Und das war sicher nicht im Sinne des
    Propheten Mohammed. Religion darf nicht von Macht geleitet werden.“ Solche
    Sprüche gießen in einer Zeit, wo der Westen in eine zunehmende
    Konfrontation zum Islam gerät, Öl ins Feuer. 
      
    Lautwein: 
    Was fällt uns hier auf? Offensichtlich greift der Shambala-Mythos
    ein altes buddhistisches Motiv auf, nämlich das des Cakravartin,
    des „Rad-Herrschers" oder Kaisers, der als gerechter Regent für
    Frieden und Gerechtigkeit sorgt. Diesem Mythos begegnen wir bereits im
    Pali-Kanon, und zwar in der 26. Lehrrede der
    Längeren Sammlung (Cakkavatti-Sihanada-Sutta, DN
    26). Ich kann auf diesen Text nicht näher eingehen, aber bei einem
    Vergleich wird man sicher feststellen, dass der König von Shambala nichts anderes ist als ein Cakravartin.
    Wenn man nun behauptet, dieser Mythos sei antidemokratisch, ist das
    ziemlich albern; man kann doch im Ernst von Buddhisten des 11. Jahrhunderts
    im alten Indien nicht verlangen, dass sie bereits die Idee einer modernen
    Demokratie westlichen Typs kennen. Genau so gut
    kann man Wolfram von Eschenbach vorwerfen, seine Schilderung des
    Gralsordens im „Parzival" sei faschistoid und frauenfeindlich. Es sei
    nur darauf hingewiesen, dass der Cakravartin in
    den einschlägigen Texten als Friedensfürst geschildert wird, dem sich die
    meisten freiwillig unterwerfen, weil sie sehen, dass unter seiner
    Herrschaft großer Wert auf soziale Gerechtigkeit und Fürsorge gelegt wird.  
     
     
    Trimondi: 
    Das Kalachakra-Tantra beinhaltet die buddhokratische Staatslehre vom Chakravartin,
    einem „Weltenherrscher“. „Am Ende der Zeiten wird der Chakravartin
    aus der Götterstadt oberhalb des Berges Kailash
    erscheinen. Er wird mit seiner eigenen Armee, die aus vier Dimensionen
    besteht, in einer Schlacht die Barbaren in allen Teilen des Erdkreises
    niederwerfen.“ – heißt es im Originaltext
    des Kalachakra-Tantra.  (Shri Kalachakra I. 161) Ein „Chakravartin“ gilt nach indischer
    Tradition als absolutistischer „Priesterkönig“, als ein „Theokrat“, der die
    religiöse, politische, juridische und
    militärische Macht in Personalunion vereinigt. „Bürgerliche
    Gewaltenteilung“ und Demokratie sind in dieser aus dem 10. Jahrhundert
    stammenden „politischen Theologie“ und damit auch der Kalachakra-Vision
    etwas völlig Unbekanntes. Man kann natürlich nicht den Verfassern des Kalachakra-Tantra vorwerfen, dass sie nicht
    demokratisch gedacht haben, aber man kann dem Dalai Lama einen Vorwurf
    machen, dass er solche buddhokratischen Rituale
    in unserer Zeit durchführt. Der Chakravartin-Idee
    wird auch durch die Errichtung des sogenannten Meru-Mandalas,
    das tibetische Lamas in der ganzen Welt aufbauen, gefestigt. 
      
    Dagegen berichtet eine
    Legende, dass Buddha Shakyamuni die
    „Weltherrschaft“ ablehnte. Als er vor die Wahl gestellt wurde, ein „Chakravartin“ oder ein Buddha zu werden, entschied er
    sich explizit für den Weg des Buddha, d. h. den Weg eines
    "Erleuchteten" und wies den Weg des Chakravartin,
    des „Weltenherrschers“ zurück. Auch
    moderne buddhokratische Weltentwürfe sind
    bekannt, sie werden zum Beispiel von dem amerikanischen Tibetologen
    Robert A. Thurman in seinem Buch „Revolution von
    Innen“ gefordert.  
      
    Lautwein: 
    Dieses Ideal hat
    z.B. den indischen Kaiser Ashoka dazu inspiriert,
    in der zweiten Hälfte seiner Regierungszeit eine im großen und ganzen
    humane und tolerante Politik zu treiben, die bis heute als vorbildlich
    gilt. Dass das Ideal in den asiatischen Ländern aber auch für weniger edle
    Zwecke instrumentalisiert wurde, lässt sich nicht bestreiten, aber das war
    im Westen auch nicht anders. Mythen sind leider anfällig für Missbrauch,
    sei es im Westen oder im Osten. Sollten wir daraus aber den Schluss ziehen,
    dass wir ganz ohne Mythen auskommen sollten?  
      
    Trimondi: 
    Ja, Mythen sind anfällig für
    Missbrauch, leider sind sehr viele davon schon gefährlich, wenn sie
    wörtlich genommen werden. Der buddhistische Chakravartin-Mythos
    war – wie wir das in unserem Buch „Hitler-Buddha-Krishna“ zeigen – sehr
    attraktiv für die Intellektuellen innerhalb der SS und ebenso das Bild vom
    indischen Kaiser Ashoka. Dieser wurde dort mit
    der Person Hitlers in einen Zusammenhang gebracht. Solch Ideen vom
    Weltenkaiser, die durch das Kalchakra-Tantra in
    unser westliches Kulturgefüge eingepflanzt werden, können für totalitäre
    politische Strömungen und für religiöse Fundamentalisten als Orientierung
    dienen. Bisher ist in den buddhistischen Milieus des Westens noch keine
    Debatte über die politisch-religiöse Rolle des Chakravartin
    eröffnet worden, obgleich diese metapolitische Idee durch lamaistische
    Rituale ständig beschworen wird. 
      
    Lautwein: 
    Schwarze Magie? - Ein weiterer
    Vorwurf gegen Kalachakra und das buddhistische
    Tantra lautet, dass es sich dabei um Magie handele. Hierauf ist zu
    erwidern: Genau das ist es. Tantra ist Magie. Über die Definition von Magie
    müsste noch ausführlicher gesprochen werden, ich will Magie vorläufig nur
    grob als den Versuch definieren, die Wirklichkeit oder Welt mittels
    symbolischer Handlungen, Vorstellungen und Willensakte zu beeinflussen. Wie
    kommen Buddhisten dazu, Magie anzuwenden? Nach buddhistischem Verständnis
    besteht die Wirklichkeit aus nichts anderem als Karma. Wir schaffen ständig
    unsere Wirklichkeit, d.h. wir setzen unsere Vorstellungen in Handlungen um,
    die dann das erzeugen, was wir als „Wirklichkeit" erleben. In der Tat
    ist die Wirklichkeit das von uns Ge-Wirkte. Dagyab Kyabgön Rinpoche meint hierzu: „Symbole und Rituale zu benutzen
    und Rituale durchzuführen bedeutet nicht, wild herumzuzaubern,
    sondern energisch, aber einfühlsam mit den gegebenen Kräften und Zuständen
    zu arbeiten und das bestehende Netz mit ‚möglichen' Fäden
    fortzusetzen." Die karmischen Gesetzmäßigkeiten sind dadurch nicht
    aufgehoben, im Gegenteil, gerade wenn man versucht, magisch zu arbeiten,
    muss man sich bewusst halten, dass es auf die eigene Motivation ankommt,
    und dass jede Aktion eine Reaktion erzeugt, die auf den Urheber
    zurückfällt. 
      
    Trimondi: 
    Das ist ein Wort, um das
    bisher immer herumgeredet wurde! Tantra ist Magie, daran besteht nicht der
    geringste Zweifel. Das heißt auch, der Dalai Lama will mit der Durchführung
    des Kalachakra-Tantra die Welt mittels
    symbolischer Handlungen, Vorstellungen und Willensakte beeinflussen. Das Kalachakra-Tantra soll – wie die Buddhisten sagen –
    Frieden schaffen. Aber dem widerspricht sowohl sein kriegerischer Inhalt
    als auch die Tatsache, dass sich seit 30 Jahren, in denen der Dalai Lama
    das Ritual außerhalb von Tibet durchführt, die Friedenssituation auf der
    Erde zunehmend verschlechtert. Dem 
    wiederum den Prophezeiungen des Kalachakra-Tantra
    entsprechen.  
     
    Lautwein: 
    Die Gefahr des
    Missbrauchs ist groß, deswegen wurde traditionell großer Wert auf die
    Reinigungspraxis gelegt, die den tantrischen Praktiken vorangehen sollte.
    Dass dennoch Missbrauch vorkommt, ist nicht zu bestreiten. Es gibt Lamas,
    die unter tantrische Praxis als Vorwand benutzen, Frauen ins Bett zu
    kriegen, es gibt genug Tibeter, die Liebes- und Schadenszauber durchführen,
    so wie wir das aus unserem Mittelalter auch kennen. Nach dem buddhistischen
    Karma-Verständnis schadet sich aber nur selbst, wer tantrische Magie zu
    selbstsüchtigen Zwecken missbraucht, er wird bildlich (oder vielleicht auch
    real) zum Dämon. 
      
    Trimondi: 
    Wie außerordentlich prägend
    schwarzmagische Handlungen die lamaistische Kultur Tibets bestimmt haben,
    zeigt sehr ausführlich Gerhardt W. Schuster in „Das Alte Tibet –
    Geheimnisse und Mysterien – St. Pölten 2000 – 108 ff.) 
      
    Lautwein: 
    Da in Asien der
    Glaube an Wesenheiten, Geister und Dämonen aller Art, die unter Umständen
    schädlich werden können, allgegenwärtig war und ist, war es für den
    Buddhismus lebensnotwendig, auf diese Ängste eine Antwort zu finden. Es
    gibt daher in allen buddhistischen Ländern magische Praktiken, um
    Ortsgeister, Dämonen oder Landesgötter in den Buddhismus einzubinden und
    friedlich zu stimmen. In Tibet war dieses Problem besonders gravierend, da
    die vorbuddhistische Bön-Religion und die alten
    Götter des Landes sich der Einführung des Buddhismus im 8. Jahrhundert
    heftig widersetzten. Das buddhistische Tantra war als Methode, schädliche
    „Energien" unter Kontrolle zu bringen und umzuwandeln, besonders
    geeignet, weil es in Indien allerlei schamanistische und magische Praktiken
    der altindischen Kultur integriert hatte, die von den Tibetern leicht
    nachvollzogen werden konnten. So wurden in Tibet Ortsgeister und Dämonen zu
    buddhistischen Schutzengeln umgewandelt (vor allem von Padmasambhava).
     
      
    Trimondi: 
    Folglich wird durch die
    Tantra Texte und Rituale der Dämonen- und Geisterglaube des Alten Tibets in
    den Westen verpflanzt. Um es noch einmal deutlich zu sagen, die alten
    Dämonen Indiens und Tibets wurden niemals durch die Tantriker in
    buddhistische „Schutzengel“ umgewandelt. Man braucht nur einen Blick auf
    ihre Ikonographie zu werfen, wo sie weiterhin als Schreckensgestalten
    abgebildet sind. Sie blieben nach ihrer Konvertierung weiterhin  „Dämonen“, nur dass sie jetzt nicht mehr
    gegen den Buddhismus kämpften, sondern ihn mit all ihrer Grausamkeit gegen
    seine Feinde verteidigten. Ihr Meister ist in der Tat der Yogi (Maha Siddha), der sie unter seine „Kontrolle gebracht“ hat.
    Aber er verwandelt die Dämonen nicht, sondern setzt sie nach gusto ein
    oder kommandiert sie zurück. 
      
    Lautwein: 
    Um es auf den Punkt zu bringen: selbstverständlich ist tantrische Magie,
    wie jede Magie, Ausübung von MACHT. Es hat keinen Sinn, diesen Punkt
    bestreiten zu wollen: Wenn der Dalai Lama die Kalachakra-Initiation
    gibt, führt er ein Ritual durch, das die Welt beeinflussen und im
    buddhistischen Sinn verändern soll.  
      
    Trimondi: 
    Das ist ehrlich und ohne
    Verschleierung gesagt: Es geht bei den Tantra Texten und Ritualen um MACHT!
    Alle Tantras beinhalten magische Techniken, um weltliche und spirituelle
    Macht zu erlangen. Im Falle des Kalachakra-Tantra,
    das in wesentlich von Zerstörungsszenarien gekennzeichnet ist und das als
    das Tantra des dunklen Kali-Yugas, des
    untergehenden Zeitalters, angesehen wird, geht es zudem um die „Macht der
    Zerstörung“.  
      
    Lautwein: 
    Allgemein spricht man im Vajrayana von vier
    Aktivitäten, die im Rahmen der tantrischen Praxis durchgeführt werden
    können: befriedend, vermehrend, zähmend und unterwerfend. Die meisten
    Rituale, die von tibetischen Buddhisten durchgeführt werden, sind
    befriedend oder vermehrend und haben zum Ziel, die eigenen Geistesgifte zu
    verringern, einen wohltätigen Einfluss auf die Umgebung auszuüben (z.B.
    eine gute Ernte zu sichern), oder die Lebensspanne zu verlängern. Ziel der
    zähmenden und unterwerfenden Aktivitäten kann hingegen die Bändigung
    negativer Kräfte („Dämonen") sein, oder gar ihre Vernichtung, wenn es
    nicht anders geht. Die Vernichtung eines anderen Wesens sollte man als
    Tantriker aber nur dann in Erwägung ziehen, wenn man gleichzeitig die
    Fähigkeit besitzt, das Bewusstsein des Getöteten in eine bessere
    Wiedergeburt zu transferieren. „Andernfalls ist man nur ein
    Schlächter", wie Padmasambhava meint. 
      
    Trimondi: 
    D. h. die Tötung eines
    Menschen ist – unter Umständen – erlaubt, wenn damit für diesen eine
    bessere Wiedergeburt garantiert wird. Ob dies der Fall ist, bestimmt der
    Maha-Siddha, der erleuchtete Guru. Der XIV. Dalai
    Lama schreibt in Kalachakra-Tantra -Der Einweihungsritus - Theseus Verlag 2002 auf S. 363-365: „Diejenigen aus der
    Buddha-Familie des Vajra sollten zweifellos
    töten; diejenigen aus der Buddha-Familie des Schwertes (sollten) die
    Unwahrheit (sagen).“ (S. 363) Er kommentiert diesen Passus (364): „Solche
    Aussagen lassen sich auf zweierlei Art und Weise erläutern: in einem
    vorläufigen und letztgültigen Sinn. Im Guhyasamaja-Tantra zum Beispiel muss die
    Aussage: ‚Wenn (du) all die So-Genannten tötest, wirst (du) die höchste vorzügliche
    Verwirklichung erlangen’, auf vielfältige Weise erläutert werden. Man
    spricht dabei von den sechs Methoden und den vier Möglichkeiten.“ 
      
    „Vorläufig“ bedeutet hier
    „real“ – „letztgültig“ bedeutet eine „innere“ letztlich „geistige“
    Entsprechung. Beides (!) ist im Tantrismus immer angesprochen. So führt der
    Dalai Lama unter Beziehung auf den Originaltext des Kalachakra
    fort (364,365): „Hier, bei der Erklärung dieses Gelöbnisses wird gesagt,
    dass diejenigen aus der Buddha-Familie des Vajra
    – mit anderen Worten diejenigen aus der Buddha-Familie von Akshobhya – ‚zweifellos töten sollten’. In seiner
    vorläufigen Bedeutung besagt das Folgendes: Von Mitgefühl motiviert,
    könnten diejenigen aus der Buddha-Familie von Akshobhya
    - unter Umständen – Menschen töten, die der Lehre Schaden zufügen
    beziehungsweise die empfindende Wesen hassen und sich anschicken,
    abscheuliche und unheilvolle Taten zu begehen, von denen sie mit anderen
    Mitteln nicht abzuhalten sind.“ 
      
    Das ist durchaus „real“
    gemeint, so wie es „wörtlich“ im Original 
    und „wörtlich“ im Kommentar des Dalai Lamas steht und es wie es sich
    ebenso aus dem Sinn und der Geschichte des Tantrismus ergibt. Tötungen aus
    „Mitgefühl“ zählen im Übrigen zum buddhistischen „Ethos“ und haben vielfach
    als politische Legitimation herhalten müssen. Im selben Theseus
    Verlag,  wo der hier zitierte Dalai
    Lama Kommentar zum Kalachakra erschienen ist,
    wurde auch ein Text des Buddhismusforschers
    Volker Zotz veröffentlicht, der bei einem
    Vergleich zwischen dem Buddhismus mit dem Nationalsozialismus zu der
    Aussage kommt: „Doch konnte dies (das Mitgefühlsgebot)
    in der Geschichte des Buddhismus auch immer wieder bedeuten, aus Mitleid
    und Weisheit zu töten“. (Volker Zotz – Auf glückseligen Inseln – Buddhismus in
    der deutschen Kultur – Theseus Berlin 2000,
    224)  
      
    All das widerspricht
    jedenfalls dem Bild der absoluten Gewaltlosigkeit, das der Buddhismus im
    Westen verbreitet und das ihn für viele Menschen so attraktiv macht. Im
    tantrischen Buddhismus geht es jedoch letztlich um viel mehr, nämlich
    darum, einen Zustand jenseits von „gut“ und „böse“ zu erreichen, der es
    erlaubt, schneller die Erleuchtung zu erlangen, das heißt es geht darum, zu
    einem Übermenschen (Maha Siddha) zu werden.  
      
    Lautwein: 
    Die Frage,
    welche Motivation wir dem Dalai Lama unterstellen wollen, muss sich nun
    jeder selbst stellen, der nach Graz fahren will. Vielleicht hat der Dalai
    Lama ja doch eine gute Motivation?  
      
    Trimondi: 
    Vielleicht? – Aber ein
    apokalyptisches Tantra mit so vielen Ungereimtheiten, darf nicht
    unhinterfragt hingenommen werden. Jeder hat ein Recht zu fragen, wenn
    dieses Ritual öffentlich, in einem westlichen Land und mit der
    Unterstützung von Staatsgeldern durchgeführt wird.  
      
    Lautwein: 
    Noch ein kurzes Wort zur sexuellen und nekrophilen
    Symbolik, die uns im höchsten Yoga-Tantra begegnet. Der buddhistische
    Tantrismus versucht, wie alle Tantra-Systeme, die Quelle unserer größten
    Begierden und Ängste zu transformieren. Sex ist der stärkste Ausdruck von
    Begierde, den wir kennen, und der Tod ist das, wovor wir am meisten Angst
    haben. Mit Sex und Angst zu arbeiten, ist das Gefährlichste, was man tun
    kann, wenn man die Energien, die hinter ihnen stecken, tatsächlich in den
    Griff bekommt, könnte dies die schnellste Methode sein, um unsere inneren
    Hindernisse zu beseitigen. Es ist ein Spiel mit dem Feuer, und es ist
    nichts für kleine Kinder und Menschen, die nicht fest im buddhistischen
    Glauben verwurzelt sind. 
      
    Trimondi: 
    Jeder aus der lamaistischen
    Szene weiß, dass im tibetischen Tantrismus mit realen Frauen sexualmagisch
    gearbeitet wird. In zahlreichen Texten ist das nachzulesen und durch
    zahlreiche Zeugenberichte ist dies belegt. Aber wenn Professoren der Tibetologie wie Alexander Berzin, Robert A. Thurman oder Ernst Steinkellner vor die Kamera der
    Fernsehanstalten treten, leugnen sie die sexualmagischen Riten schlichtweg
    ab und sprechen davon, dass diese nur „symbolisch“ durchgeführt würden. Das
    ist eine ständig wiederholte Lüge und da die große Masse der Menschen
    einfach nicht glauben will, dass der lächelnde Dalai Lama etwas mit
    Sexualmagie zu schaffen hat, kann diese Lüge immer wieder erfolgreich
    ausgesprochen werden, obgleich dieselben „Wissenschaftler“ in ihren Texten
    und Seminaren das Gegenteil behaupten. Thomas Lautwein
    ist immerhin so ehrlich, dass er die sexualmagischen Praktiken zugesteht
    und auf deren eminente Gefahr hinweist. 
      
    Gerade wegen dieser Gefahr
    ist es umso wichtiger, die Sexualmagie der Tantras
    in all ihren Aspekten einer öffentlichen Debatte zugänglich zu machen. Das
    ist heute möglich - in einer Zeit, in der Themen der Sexualität nicht mehr
    tabuisiert sind. Besonders gefährlich sind die Tantras, weil die in ihnen
    beschriebenen sexualmagischen Riten auch von Kreisen praktiziert werden,
    die dem harten Kern des religiösen Faschismus angehören und die nicht davor
    zurückschrecken, Menschenopfer, insbesondere von Frauen, zu fordern. Dass
    sie dabei die entsprechenden Originaltexte der
    Tantras nicht uminterpretieren müssen, sondern wörtlich nehmen können,
    macht diese östlichen Religionssysteme umso problematischer.  
      
    Nach unserer sehr
    detaillierten Analyse der Riten haben wir den Schluss vieler bedeutender
    Forscher wie Helmut von Glasenapp, David Snellgrove, Alex Wayman und
    anderen bestätigt gefunden, dass es bei den buddhistischen Tantras um das
    Aufsaugen der weiblichen Energie (Gynergie) durch
    den Yogi geht. Die Tantras sind in ihrer traditionellen Form extrem
    sexistisch. 
      
    Lautwein: 
    (aus diesem
    Grund kann ich die Erklärung von Bischof Capellari,
    ein gläubiger Christ könne an der Kalachakra-Einweihung
    nicht teilnehmen, gut verstehen. Ich bin ebenfalls der Meinung, dass ein
    gläubiger Christ mit der tantrischen Methode nichts anfangen kann).  
      
    Trimondi: 
    Es gibt aber eine ganze
    Anzahl von Buddhisten, die sich mit Empörung über die Entscheidung des
    Grazer Bischofs aufgeregt haben, und die liberale Presse hat diese
    Aufregung mitgespielt. 
      
    Lautwein: 
    Wir können auch
    feststellen, dass die sexuelle und Todessymbolik, die wir im buddhistischen
    Tantra antreffen, in allen Kulturen existiert. Offensichtlich gibt es
    spirituelle Erfahrungen, die man notgedrungen nicht anders ausdrücken kann,
    als in einer Symbolik, die auf den ersten Blick obszön erscheint. Auch hier
    kann ich nicht ins Detail gehen, aber wer sich z.B. näher mit der Kabbalah befasst hat, weiß, dass etwa bei der
    Meditation über die Sephiroth Binah
    und Chochmah eine sexuelle Symbolik auftritt, die
    der tantrischen an Krassheit in nichts nachsteht.  
      
    Trimondi: 
    Die Tantras sind obszön bis
    zum äußersten Exzess. Sie wollen dies auch sein und nicht nur so scheinen.
    Ihre Obszönität wird nicht dadurch aufgehoben, dass der Tantra-Meister in
    dieser perversen Welt letztendlich die Kontrolle behält. Das macht die
    Sache im Kern noch schlimmer, da sich die obszönen Szenen ohne innere seelische
    Beteiligung, d. h. auch ohne jegliche Skrupel abspielen müssen. Potenziert
    werden diese Vorgänge noch durch die enge Verbindung von Sexualität  mit morbiden Szenarien, eine Mischung,
    die man gemeinhin als „Nekrophilie“ bezeichnet und auf die wir in der
    tantrischen Kultur immer wieder stoßen. 
      
    Lautwein: 
    Abschließend
    will ich aber nicht verhehlen, dass auch ich einige Bedenken in Betreff auf
    das buddhistische Tantra habe.  
      
    Trimondi: 
    Sehr gut! Der tibetische
    Tantrismus sollte als spirituelle Disziplin abgeschafft werden und der XIV.
    Dalai Lama sollte das Kalachakra-Tantra endgültig
    verbieten, damit wir seine Friedens- und Toleranzaufforderungen ernst
    nehmen können. 
      
    Lautwein: 
    Aus dem bisher
    Gesagten dürfte deutlich geworden sein, ein wie anspruchsvoller und heikler
    Weg der Diamantweg ist, und es dürfte klar sein, dass er nur für wenige
    geeignet ist. Dennoch geben tibetische Lamas überall im Westen häufig
    tantrische Einweihungen, bei denen man davon ausgehen kann, dass ein Gutteil
    der Teilnehmer an solchen Veranstaltungen komplett überfordert ist.  
      
    Trimondi: 
    Danke, Herr Lautwein! Das ist sehr mutig ausgesprochen. 
      
    Lautwein: 
    Tibetische Lamas
    sind auch oft nicht in der Lage, die Fragen und Probleme ihrer westlichen
    Schüler nachzuvollziehen, weil der kulturelle Hintergrund ein anderer ist.
    Ein Paradebeispiel für einen westlichen Schüler, der völlig hilflos in den
    tibetischen Buddhismus hineingeriet, der in seinen neurotischen und
    abergläubischen Vorstellungen sogar nur bestärkt wurde, bis er sich am
    Schluss nicht anders befreien konnte, als zum Christentum zurückzukehren,
    ist übrigens Martin Kamphuis, der heute als
    „Buddhismus-Experte" und Warner vor der üblen „Tantra-Magie" des
    Dalai Lama auftritt. Sein Lebensbericht „Ich war Buddhist" ist ein
    Paradebeispiel dafür, was man als Westler am tibetischen Buddhismus alles
    missverstehen kann, und wie man an seinen eigenen Neurosen scheitern kann.  
     
     
    Trimondi: 
    Der Lebensweg Martin Kamphuis ist – wie immer man zu seinen Anschauungen
    stehen mag – ein Fallbeispiel für die Neurosen, die durch die
    Tantra-Praktiken hervorgerufen werden können. Wir kennen eine Anzahl von
    Fällen, welche dem von Kamphuis mehr oder weniger
    ähneln, ja zum Teil viel gravierender sind. Man sollte seine Darlegungen
    sehr ernst nehmen, auch wenn man nicht den von ihm gewählten christlichen
    Weg einschlagen möchte. Die starke Orientierung am Christentum hat ihm
    wahrscheinlich erst die Möglichkeit gegeben, aus der „tantrischen Falle“ zu
    fliehen.  
      
    Lautwein: 
    So wird auch die
    Kalachakra-Einweihung in Graz für die meisten
    Teilnehmer wohl eher ein „Event" sein, das wenig bleibende Eindrücke
    hinterlassen wird. Ob das buddhistische Tantra auf Dauer im Westen heimisch
    werden wird, ist unklar, und eine Frage, die innerhalb der
    tibetisch-buddhistischen Szene in den nächsten Jahrzehnten noch diskutiert
    werden muss, wird sein, ob wir als westliche Menschen nicht unseren eigenen
    Zugang zum Vajrayana suchen müssen. 
      
    Trimondi: 
    Sehr interessant: Herr Lautwein stellt die Frage nach einem westlichen
    Buddhismus. Ob es so etwas überhaupt geben kann, dafür ist es
    Voraussetzung, dass es eine öffentliche Debatte ohne Tabus gibt. Herr Lautwein hat hier einen wichtigen Anfang gemacht. 
      
    Lautwein: 
    Eines aber
    können wir in der Zwischenzeit von Buddhisten und Nicht-Buddhisten
    verlangen: Fairness und Verbreitung von korrekten Informationen. Bei Victor
    und Victoria Trimondi ist dies leider nicht
    gegeben. 
      
    Trimondi: 
    Vielleicht doch – wenn man
    mit uns diskutiert hätte. Zum Abschluss möchten wir eine Email abdrucken,
    die uns vor wenigen Tagen zugeschickt wurde. „Hallo,  mit Spannung bin ich jetzt bei den
    letzten Seiten Ihres  D.L.- Buches angelangt. Als ehemaliger
    [buddhistischer Aktivist] war ich anfänglich wie vor den Kopf gestoßen, ob
    der massiven Kritik, die unerbittlich das alte, wenn auch schon etwas
    kränkelnde tibetisch/buddhistische Weltbild zerstörte. Meines Erachtens
    handelt es sich bei den äußerst scharfen Reaktionen  aus tibetisch/buddhistischen Kreisen, -
    die meisten mir bekannten Stellungnahmen sind geradezu auffällig mit
    Verleumdung und Diffamierung gespickt - um ähnliche geartete
    Abwehrreaktionen, wie sie automatisch in mir während der Lektüre abliefen.
    Die Reaktionen  fallen natürlich umso schärfer und aggressiver aus, je
    tiefer man mit dem Kritisierten (noch) identifiziert ist. Mit allen Mitteln
    muss das verinnerlichte Weltbild - der Fixpunkt in einem ansonsten
    haltlosen Universum erhalten werden, sonst droht der endgültige Verlust des
    Selbst etc. Da von buddhistischer Seite traditionell ebenfalls das
    Selbstbild attackiert und auf Hinterfragung und sogar Auflösung desselben
    hingearbeitet wird, könnte man die Lektüre Ihres Buches als ziemlich 
    fortgeschrittene Bewusstseinstechnik empfehlen. Mein Glückwunsch zu der
    grandiosen Darstellung Ihrer Sicht der Zusammenhänge!“ 
     
    Lautwein: 
      
    Fußnoten: 
    (1) Folgende
    Definition scheint mir brauchbar: „Bezeichnung für besondere Kräfte von
    Gegenständen, Wesen- und Gottheiten und die Formen, über diese Kräfte zu
    verfügen. Die Kräfte wirken nicht aus sich heraus, sondern werden erst
    durch Rituale, bestimmte Handlungen, die Verwendung von Symbolen oder
    Gebete aktiviert. Die Anwendung bestimmter Techniken führt immer zur
    entsprechenden Wirkung der magischen Kraft. Magische Elemente spielen in
    allen Religionen eine Rolle, wenn auch - vor allem bei monotheistischen
    Religionen - die Vorstellung der direkten Beeinflussbarkeit der Gottheit zu
    Gunsten der Unabhängigkeit ihres Wirkens zurückgetreten ist." (Harenberg Lexikon der Religionen, Dortmund 2002, S.
    975).(2) L.S. Dagyab Rinpoche:
    Buddhistische Glückssymbole. München 1992. 
    (3) S. hierzu Martin J. Boord: A Bolt of Lightning from the Blue. The vast
    commentary on Vajrakila. Berlin 2002. 
    (4) „If one does not know the rites of elevating to a higher plane, one
    will be merely a butcher." (Boord; Bolt of lightning, S. 281). 
    
    Nota bene:
    die obenstehenden Ausführungen sind meine private Meinung und entsprechen
    nicht der offiziellen Parteilinie von Chödzong
    e.V. 
     
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