DER
STANDARD,
03. September 2002
Der
Dalai-Lama kommt im Oktober nach Graz. Er wird dabei auch in das
Kalachakra-Ritual einführen, einen kontroversiellen Text, wie der 2. Teil
eines Vorabdrucks des neuen Buches zur Buddhismus-Rezeption zeigt.
Ein Kriegsritus beim Dalai-Lama:
Das Kalachakra
Victor und Victoria Trimondi
Bevor sich die Mitglieder der
SS-Tibetexpedition (Schirmherr: Heinrich Himmler) 1938 aufmachten, um nach
Spuren einer indo-arischen Urkultur im Himalaja zu suchen, wurde ihnen eine
detaillierte Desiderata-Liste übergeben. Eine der Aufgabenstellungen
lautete wörtlich: "Gibt es besondere Örtlichkeiten, an denen noch
heute der Kalachakra-Kult geübt wird? Ist ein jetziger lebender dafür
berühmter Gelehrter namentlich und mit seiner Anschrift bekannt?"
Dr. Bruno Beger, fanatischer
Rassenspezialist im SS-Ahnenerbe, wegen Beihilfe zum Mord in 86 Fällen
verurteilt, schrieb 1942 an den Tibetologen Johannes Schubert:
"Eigentlich sollten wir uns bei der kommenden Eroberung Leningrads den
dortigen lama- istischen (Kalachakra-)Tempel irgendwie sichern, oder die
Verbindung mit diesem anknüpfen."
Neben Schubert stellte das
Sven-Hedin-Institut für Innerasienforschung (eine Unterabteilung des
SS-Ahnenerbes) noch zwei weitere Fachwissenschaftler an: den Tibetologen
Helmut Hoffmann und den Mongolisten Wilhelm Alexander Unkrig, beide auch
kompetent in Fragen des Kalachakra-Tantra. 1985 publizierte der
hochqualifizierte Orientalist Jean Marquès-Rivière das Buch Kalachakra -
Die tantrische Initiation des Dalai-Lama. In den 40er-Jahren war der Franzose
ein fanatischer Antisemit, Polizeichef des berüchtigten S. S. S. (Service
des Sociétés Secrètes), "Spürhund" der deutschen SS, wegen der
Auslieferung von Freimaurern und Juden an die Gestapo in absentia zum Tode
verurteilt.
Der ehemalige chilenische Botschafter
in Österreich und Begründer des "esoterischen Hitlerismus",
Miguel Serrano, hat den im Kalachakra-Tantra zentral behandelten
"Shambhala-Mythos" zu einem Grundstein seines rassistischen
Religionsentwurfs gemacht. In dem Internetartikel Las SS y el Tantra de
Kalachakra resümiert der Neofaschist Enrique de Vicente: "Es
handelt sich dabei um eine Kriegerinitiation, die einen Platz in den Reihen
derjenigen, die in der Endschlacht gegen die Kräfte des Bösen kämpfen
werden, zugesteht."
Ein Friedenstext?
Der Kalachakra-Text ist keineswegs
pazifistisch, sondern beschwört einen blutigen Religionskrieg zwischen
Buddhisten und Nichtbuddhisten, der in einer Weltbuddhokratie enden soll.
In der vorausgesagten "Shambhala-Schlacht" orientiert sich die buddhistische
Armee nicht nach den Friedensmaximen des Urbuddhismus: Sie wird
"gnadenlos" und "grausam" sein, und "die äußerst
wilden Krieger werden die barbarische Horde niederwerfen" und
"eliminieren". (Shri Kalachakra I, Seite 163 ff.).
Mit einer befremdlichen Begeisterung
fürs Detail schildert das Tantra die mörderischen Superwaffen, die gegen
die "Feinde der Lehre" zum Einsatz kommen. (Shri Kalachakra I,
Seiten 128-142). Moderne lamaistische Exegeten dieser Rüstungsfantasien
ergehen sich in spektakulären Vergleichen mit Atomsprengköpfen und Ufos.
Alle Teilnehmer an einer Kalachakra-Initiation haben das fragwürdige
Privileg, als "Shambhala-Krieger" wiedergeboren zu werden.
Für hohe Lamas bestimmter Linien sind
jetzt schon die Posten im Generalstab vergeben, und nach einer Vision des
Lamas Kamtrul Rinpoche soll der reinkarnierte Dalai-Lama selbst als
"zorniger Raddreher" (Rudra Chakrin) die buddhistischen Heere
anführen, um "alles Böse im Universum" zu unterwerfen.
Die Shambhala-Schlacht gilt als ein
"Heiliger Krieg" und wird, wie der islamische Djihad, im
"Inneren" wie im "Äußeren" ausgefochten. An der inneren
Front (im Geiste) ringt der Shambhala-Krieger, ähnlich wie der Mudjahed,
mit seinen schlechten Charaktereigenschaften; an der äußeren Front kämpft
er gegen die "Feinde des Dharmas" (also der buddhistischen
Lehre).
Deswegen kommt der vom XIV. Dalai-Lama
designierte Interpret des Kalachakra-Tantras, Alexander Berzin, zu dem
Schluss: "Die Kalachakra-Darstellung des Shambhala-Krieges und die
islamische Diskussion über den Djihad zeigen bemerkenswerte
Ähnlichkeiten." Entsprechend zum Märtyrerkult moslemischer
"Gotteskrieger", werden gefallene "Shambhala-Krieger"
mit einem buddhistischen Paradiesaufenthalt belohnt. Es gibt zudem im
Tantra besondere Riten und meditative Praktiken, die den Untergang der Welt
simulieren sollen. "Was ist Kalachakrayana (der ,Weg
des Kalachakra')?" - so fragt einer der kompetentesten
Tantraspezialisten, Shashi Bhusan Dasgupta, und antwortet: "Das Wort
Kala bedeutet Zeit, Tod und Zerstörung. Kalachakra ist das Rad der
Zerstörung."
Im Originaltext kommt der ökumenische
Gedanke mit keinem einzigen Satz zum Ausdruck. Im Gegenteil, als
"Feinde des Buddhismus" und als "Familie der dämonischen
Schlangen" werden explizit die "Führer" der drei mono-
theistischen Religionen genannt: "Adam, Henoch, Abraham, Moses, Jesus,
der im weißen Gewand (Mani), Mohammed und Mathani (der Mahdi)". Wir
lesen, dass das "machtvolle, gnadenlose Idol der Barbaren, die
dämonische Inkarnation" in Mekka lebt. (Shri Kalachakra I,
Seite 154). Der Text zielt auf einen globalen Religionskrieg gegen die
Anhänger Mohammeds.
Grundsätzlich ist Sexualverkehr den
buddhistischen Mönchen verboten. In den höchsten, geheimen Einweihungen des
Kalachakra-Tantra finden jedoch sexualmagische Riten statt, deren Ziel es
ist, Sexualität in weltliche und spirituelle Macht zu transformieren.
Vergewaltigungstantra
Die dort "benutzten" realen
oder imaginierten Frauen (beides ist möglich!) stellen bestimmte
Energieformen dar, wobei das Alter eine wichtige Rolle spielt. Man beginnt
mit elfjährigen Mädchen. Diese tantrische Sexualmagie mit Minderjährigen
stößt bei westlichen Vertrauten des XIV. Dalai-Lama, wie dem Münchner
Theologieprofessor Michael von Brück, auf Verständnis: "Wenn in
einigen Tantras die sexuelle Vereinigung mit einer Zwölfjährigen empfohlen
wird, so ist zu bedenken, dass zu jener Zeit in Indien die Mädchen mit elf
oder zwölf Jahren im Heiratsalter waren."
Ein weiteres Ziel der tantrischen
Einweihung ist es, die Initianten, welche unterschiedlichen Buddha-Familien
zugeordnet werden, durch die Aufhebung ethischer Normen den
Erleuchtungsprozess zu beschleunigen. Der Text fordert unter anderem zu
folgenden Untaten auf: lügen, stehlen, die Ehe brechen, Alkohol trinken,
mit Frauen aus den Unterklassen sexuell verkehren. "Diejenigen aus der
Buddha-Familie des Vajra sollten zweifellos töten."
Der Kommentar des XIV. Dalai-Lama dazu:
"Hier, bei der Erklärung dieses Gelöbnisses, wird gesagt, dass
diejenigen aus der Buddha-Familie des Vajra - mit anderen Worten:
diejenigen aus der Buddha-Familie von Akshobhya - zweifellos töten
sollten." In seiner vorläufigen Bedeutung besagt das Folgendes:
"Von Mitgefühl motiviert, könnten diejenigen aus der Buddha-Familie
von Akshobhya unter Umständen Menschen töten, die der Lehre Schaden zufügen
beziehungsweise die empfindende Wesen hassen und sich anschicken,
abscheuliche und unheilvolle Taten zu begehen, von denen sie mit anderen
Mitteln nicht abzuhalten sind." (Seine Heiligkeit der Dalai-Lama -
Kâlachakra-Tantra - Der Einweihungsritus, Berlin 2002). Solche und
analoge Inhalte machen es Faschisten leicht, sich in diesem Text, den sie
"wörtlich" interpretieren, wieder zu finden. Die notwendige
aufklärende Diskussion und Exegese des Tantra wird leider von lamaistischer
Seite durch strengste Geheimhaltung der höheren Einweihungen unter
Androhung von "Höllenstrafen" extrem erschwert: "Um die
komplexe Symbolik des Tantra, die sexuelle und kriegerische Elemente
enthält, richtig zu interpretieren, sind entsprechende Kenntnisse
erforderlich, die u. a. in Einweihungen vermittelt werden." - So
argumentieren unbeholfen Buddhisten wie der Veranstaltungsleiter des Grazer
Kalachakra-Ereignisses, Manfred Klell, auf Kritik daran.
Höchst befremdlich ist zudem, dass der
XIV. Dalai-Lama zu Faschisten und Hitler-Verehrern wie Bruno Beger, Miguel
Serrano, Jean Marquès-Rivière und Shoko Asahara, der sich für seine
Sarin-Anschläge auf die Tokioter U-Bahn aus der Shambhala-Vision
inspirieren ließ, Kontakte hatte. Der 11. September hat deutlich gemacht,
dass kriegerische Religionsinhalte in Terror umschlagen können. Eine
kritische Debatte über den unreflektierten Kulturimport von
fundamentalistischem Gedankengut aus dem Osten ist deswegen ein Gebot der
Stunde.
Donnerstag
lesen Sie: Das Wirken der Gotteskrieger
© DER STANDARD, 3. September 2002
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