TRIMONDI ONLINE MAGAZIN

Kritische und Kreative Kultur Debatte

 

INDEX | INHALT | LAMAISMUS

 

 

Victor und Victoria Trimondi

 

Ein Licht, das aus der Traumtrance des Tibetischen Buddhismus herausführt

 

Rezension von Christine A. Chandlers Buch

„Enthralled: The Guru Cult of Tibetan Buddhism“

 

 

Als Renegaten bezeichnet man den Abtrünnigen eines Glaubens- oder Wertesystems. Er ist ein Widerstandkämpfer, der sich gegen eine Ideologie oder Religion auflehnt, welcher  er früher selber einmal angehört hat. Einige der bekannten Renegaten, die gegen den Stalinismus opponierten, hießen  Arthur Koestler, George Orwell, Manès Sperber, Ignazio Silone, andere wandten sich entschieden gegen den Maoismus wie der französische Philosoph André Glucksmann, der in seiner Jugend Maoist war. Ihre Kritik am degenerierten Kommunismus war deswegen so gewichtig, weil sie authentisch war. Keiner hat so viel Kompetenz, eine Ideologie und ein System zu beurteilen, wie deren ehemalige Anhänger, die es von innen heraus kennen. Die Bücher der oben genannten Autoren brachten Klarheit und Aufklärung. Sie haben Tausende davor bewahrt, der totalitären Versuchung des autoritären Kommunismus zu widerstehen. Ebenfalls Tausenden von „Genossen“ und „Genossinnen“ gaben ihre Schriften den Mut und die Argumente, das autoritative Terror-System zu verlassen.

 

Auch Chris Chandler ist mit ihrem Buch, Enthralled – The Guru Cult of Tibetan Buddhism („Verzaubert: Der Guru Kult des Tibetischen Buddhismus“) eine Renegatin, die dem Lamaismus Jahre lang gedient hat und die jetzt ausgeschert ist. Deswegen nennt sie sich „Ex-Tibetan-Buddhist“ und managet eine Website gleichen Namens. Ihre kritische Studie ist brillant, authentisch, klar durchdacht und ohne Kompromisse. Wir hegen keine Zweifel daran, dass dieser Text viele westliche Anhänger des Tibetischen Buddhismus dazu veranlassen wird, ihre Religion ebenfalls problematisch zu sehen und sie dann zu verlassen. Er wird ihnen die Courage geben, den entscheidenden Schritt zu tun und andere wird er davor bewahren, dieses System jemals zu betreten. Die Autorin widmete ihr Buch „all den Missbrauchs-Opfern des tantrischen Lamaismus, deren Stimmen seit Jahrhunderten verschwiegen wurden.“

 

https://images-na.ssl-images-amazon.com/images/I/41CkF1qoOIL._SX331_BO1,204,203,200_.jpg

 

 

Seit wir im Jahre 1998 unser Buch Der Schatten des Dalai Lama – Sexualität, Magie und Politik im Tibetischen Buddhismus, das weltweit eine immer noch hochaktuelle Debatte auslöste, veröffentlicht haben, sind inzwischen zahlreiche kritische Publikationen und Websites erschienen, die den Tibetischen Buddhismus von Grund auf  hinterfragen. Zu den Autoren zählen Tibetologen, Religionswissenschaftler, Historiker, Journalisten und Blogger wie Melvyn Goldstein, Tom Grunfeld, Michael Parenti, Andrei Znamenski, Mike Garde, Maxim Vivas, Geoffrey D. Falk, Gilles van Grasdorff, Bernard Faure, um nur einige von den vielen zu nennen. Aber Chris Chandlers Aufklärungsbuch ist aufgrund seiner Authentizität und aufgrund der Tatsache, dass es aus der Feder einer Frau und einer Betroffenen stammt, etwas ganz Besonderes. Es kann unter die irrationale und ahnungslose Verherrlichung des Lamaismus und des Dalai Lamas durch die westliche Elite im Showbusiness und der Politik einen Schlussstrich setzen. Es wird aber auch die Buddhisten aller nicht-tibetischen Schulrichtungen aufwachen und erkennen lassen, dass es sich beim Lamaismus um eine Verzerrung und Verfälschung des Buddhismus handelt.

 

Wer ist Chris Chandler? Sie gehörte fast 30 Jahre lang der Karma Kagyü Linie an, der populärsten lamaistischen Sekte in den Vereinigten Staaten. An der Northeastern University absolvierte sie ein Studium in Psychologie und spezialisierte sich anschließend auf System Theorie. Sie hat berufliche Erfahrungen als Familientherapeutin, Sozialarbeiterin und als approbierte Schulpsychologin.

 

Wie Tausende von Westlern schloss sie sich mit viel Engagement und Begeisterung der östlichen Religion an auf der Suche nach Erleuchtung. Sie hatte die Versprechungen der Lamas von Glück, Gleichheit, Toleranz, Mitgefühl, von einer sozial gerechten Weltordnung, von inneren Frieden und vom Frieden auf Erden ernst genommen. Viele ihrer Generation, die westliche tibetische Buddhisten wurden, stammten wie sie aus der akademischen Mittelschicht, waren Studenten, Pädagogen, Sozialarbeiter, Psychologen, Künstler und Intellektuelle. Die meisten von ihnen entschieden sich, den Weg eines  Bodhisattvas zu gehen, weil sie eine bessere, gerechtere und friedfertige gesellschaftliche Zukunft schaffen wollten. Um die „Welt zu retten“, verknüpften sie östliche Religionen, Schamanismus, christlichen Altruismus, persönliche Weiterentwicklung und Erleuchtung mit  Grassroot-Aktivismus, einem alternativem Lebensstil und einer sozial engagierten Politik.

 

Auch die Kagyü-Schule des Lamas Chögyum Trungpa, der Chris Chandler beitrat, begann als der Zusammenschluss von westlichen jungen Männern und Frauen, die sich eine Protesthaltung gegen den (repressiven) bürgerlichen Wertekodex insbesondere der kapitalistischen amerikanischen Gesellschaft zu eigen gemacht hatten. Ihren radikalen Ausbruch aus den herrschenden sozialen Normen nannte Trungpacrazy wisdom“ (verrückte Weisheit). Aber was einmal libertär und altruistisch anfing, so die Autorin, endete in einer Religionsdiktatur und in sexuellen Exzessen, die keine Grenzen mehr kannten.

 

In dieser Gruppe kam Chris Chandler eine besondere Rolle zu. Wegen ihrer akademischen Ausbildung bot sie ihre Dienste an als Verwalterin, direkte Erziehungspädagogin und gesetzliche Erziehungsberechtigte für die Betreuung von Trungpas schwerkranken autistischen Sohn und begleitete ihn zusammen mit ihrem Mann Robert voller Aufopferung über fast sieben Jahre. Sie wohnte und betreute ihn in demselben Haus in Vermont, wo Trungpa bis zu seinem Tod gelebt hatte. Auch danach bewunderte sie diesen weiter als ihren ersten und besten Lehrer. Durch ihre enge Verbindung und ihren direkten Kontakt mit seiner Familie war sie eng mit der Elite der Lamas und ihren reichen westlichen Bewunderern und Förderern verbunden, die während all dieser Jahre Trungpas Sohn als die hohe Inkarnation eines Buddhas idealisierten und häufig in Vermont besuchten.

 

Heute erlebt sie ihre Zeit in der Gruppe so, als habe sie sich ständig in einem Trancezustand  befunden. Nach 30 Jahren Hingabe an das System und Selbstverleugnung wurde sie erleuchtet. Sie hatte hinter den Vorhang geblickt und das wahre Antlitz des Tibetischen Buddhismus erkannt. Aber diese Erweckung  gestaltete sich als ein langer, schwieriger Prozess, den sie zusammen mit ihrem Mann Robert durchstand, der ebenfalls westlicher tibetischer Buddhist war. „Ohne seine unerschütterliche Unterstützung und seinen beißenden Witz hätten wir uns niemals aus der tibetisch tantrischen Welt befreien können und dieses Buch wäre nie geschrieben worden.“ 

 

Ausgehend von den wissenschaftlichen Arbeiten der zwei bekannten Psychologen und Sektenforscher Robert Lifton und Margaret Thaler Singer, die beide allgemein verbindliche Kriterien dafür herausgearbeitet haben, ob es sich bei einer spirituellen Gruppe um eine Glaubensgemeinschaft oder einen Guru-Kult handelt, untersucht und hinterfragt Chris Chandler den Lamaismus und Tibetischen Buddhismus. Zu den klassischen Merkmalen eines repressiven Guru-Kultes zählen nach Lifton und Thaler Singer:  Kontrolle von Information und Kommunikation in der Gruppe; Bewusstseinsmanipulation der Anhänger durch den leitenden Guru und durch die Gruppe;  das undemokratische, hierarchisch-autoritäre Führungsprinzip; öffentliche Beichten in der Gruppe; die Unfehlbarkeit und Göttlichkeit des Gurus, die jegliche Kritik an ihm unmöglich machen; absolutes Schweigegebot über Gruppeninterna gegenüber der Außenwelt; das Androhen von monströsen Höllenstrafen bei Ungehorsam; psychischer Terror und Brainwashing; die Konstruktion einer eigenen Kommunikationssprache, die die Gruppe von der Außenwelt isolieren soll; Reduzierung und Aufhebung der familiären Beziehungen; systematische Dekonstruktion der Persönlichkeit, der Person und des Ichs usw. Dank ihres tiefen Insiderwissens zeigt die Chris Chandler durch zahlreiche Beispiele und viele persönliche Erfahrungsberichte, dass der Lamaismus alle die oben genannten Kriterien aufweist und deswegen als „Guru Kult“ zu bezeichnen sei.

 

Die Ex-Tibetische-Buddhistin berichtet auch darüber, welche Persönlichkeitsstörungen durch allzu viel Meditation entstehen können; wie die Schüler durch Mantren (Heilige Sprüche), die sie millionenfach wiederholen müssen, in einen Trance-Zustand versetzt werden; wie man sie durch ständige Prostrationen, bei denen sie sich flach auf die Erde werfen, gefügig macht; wie es in der Sangha (buddhistischen Gemeinschaft) verboten war und ist kritische Bücher über den Lamaismus zu lesen und diese rituell verbrannt wurden; wie das rationale neuzeitliche Denken systematisch abgebaut und durch ein magisches Weltbild ersetzt wird; wie die Unterschiede zwischen Gut und Böse bewusst verwischt werden. Sie gibt Einblick in die millionenschweren Geldflüsse, die durch die Adern der Lamokratie fließen und die ihre Quellen nicht nur von Mitgliedern der westlichen Geldelite haben, sondern mittlerweile auch in der VR China, wo der Tibetische Buddhismus (wie im Westen) zu einem modernen Trend geworden ist, der von vielen Reichen des Landes gefördert wird.

 

Chris Chandler setzt sich auch mit dem vom Dalai Lama seit Jahrzehnten jährlich und weltweit durchgeführten Kalachakra-Tantra-Ritual und der damit verbundenen Shambhala-Prophezeiung auseinander. Dieses Ritual wird von den Lamas als eine vorgebliche Vision für den Weltfrieden präsentiert. Dass die Texte des Tantras eine andere, extrem kriegerische und apokalyptische Sprache sprechen, ist offenkundig. Die Lamas rechtfertigen das nach außen hin, weil diese (völlig un-buddhistischen) Kriegsmetaphern nur symbolisch zu verstehen seien. In zahlreichen Veröffentlichungen haben wir und andere Autoren  zeigen können, dass dies nicht der Fall ist und dass sogar aggressive politische Bewegungen wie der Faschismus, der Nationalsozialismus und der Bolschewismus zum Kalachakra-Tantra und Shambhala Mythos gegriffen haben, um daraus eine extrem militante Ideologie zu konstruieren.

 

Auch von den Lamas selber, entgegen ihren für die Öffentlichkeit aufbereiteten Äußerungen, werden die Shambhala-Texte nicht nur symbolisch verstanden. Chris Chandler deckt auf, wie die Schüler und Schülerinnen von ihrem Ex-Meister Chögyum Trungpa durch wochenlange Retreats und rituelle Praktiken zu „Shambhala Kriegern“ initiiert  wurden. Sie zeigt, dass Trungpas bizarre rituelle filmreife Auftritte in weißer Militäruniform, reitend auf einem Schimmel als Shambhala-General, und dass seine Shambhala-Meditationsinhalte von ihm keineswegs als pure Metapher oder als bloßes Symbol verstanden wurden, sondern dass sie auf eine Wiedergurt von sich und seiner Schülern als reale Krieger ausgerichtet waren, als „Buddhist Warriors“ in der Letzten Schlacht gegen die Mächte des Bösen.

 

Wenn man weiß, dass in dem Text der Shambhala-Prophezeiungen des Kalachakra Tantra, auf die sich Trungpas militärischen Initiationspraktiken stützten, alle abrahamitischen Religionen, aber an erster Stelle der Islam, die Hauptfeinde darstellen, kann man sich vorstellen wie gefährlich diese Seite des Lamaismus ist, welche die ganze Welt in einen apokalyptischen Strudel und einen Endzeitkrieg der Religionen hineinziehen möchte. Das unterscheidet sich nicht besonders von der Ideologie der muslimischen Gotteskrieger, die den dekadenten Westen mit Waffengewalt im Namen Allahs erobern und zerstören wollen. Das grausame Schicksal der muslimischen Rohingyas in Myanmar gibt einen erschreckenden „Vorgeschmack“ davon, was passieren könnte, wenn sich Muslime und Buddhisten in der Welt als Erzfeinde gegenüberstehen.

 

Der gesamte lamaistische Kult basiert für Chris Chandler auf der Apotheose der Lamas, die wie unfehlbare, omnipotente Gottheiten in menschlicher Gestalt verehrt werden und diesen Status auch für sich selber in Anspruch nehmen. Die Autorin bezeichnet das als „einen Kult des göttlichen Narzissmus einer Religion, die Jahrhunderte lang überdauert hat“. Sehr authentisch beschreibt sie, wie die lamaistischen Gurus ihren Schülern immer und immer wieder suggerieren, es wäre ein einmaliger Glücksfall und eine höhere Bestimmung ihnen begegnet zu sein.

 

In ihrem Buch wird ein ganz besonderes Augenmerk auf die Fälle sexuellen Missbrauchs innerhalb des Lamaismus geworfen. Seit vor 20 Jahren die schottische Ex-tibetische-Buddhistin und ehemalige Schülerin des damaligen berühmten Lama Kalu Rinpoche June Campbell  ihre erste Kritik an den frauenverachtenden sexuellen Praktiken des Lamaismus und hoher Lamas publizierte und damit für großes Aufsehen sorgte, sind zahlreiche neue Fälle in der Öffentlichkeit bekannt geworden, die von Chris Chandler in ihrem Buch ausführlich dokumentiert und kommentiert werden. In der Kagyü-Gruppe, der sie selber angehörte, wurden mehrere Schüler von dem Nachfolger Trungpas (Osel Tenzin – Thomas Rich) mit AIDS angesteckt. Auch das bezeichnete man in der Sangha immer noch als „Crazy Wisdom“, als ein „paradoxes Ereignis“ auf dem Weg zur Erleuchtung.

 

Kurz bevor „Enthralled …“ erschien wurde die internationale tibetisch buddhistische Szene von einem Aufsehen erregenden Skandal erschüttert, dem Fall Sogyal Rinpoche. Sogyal Lakar Rinpoche, wahrscheinlich der bekannteste Lehrer des tibetischen Buddhismus nach dem Dalai Lama, gelangte zur Berühmtheit durch sein Buch Das tibetische Buch vom Leben und vom Sterben, von dem er über drei Millionen Exemplare verkaufte und das zu den Klassikern der modernen tibetisch-buddhistischen Literatur zählt. Seine Organisation (Rigpa) ist auf der ganzen Welt verbreitet. Sie umfasst 130 Zentren in 41 Ländern. Den größten Tempel des tibetischen Buddhismus im Westen (Lérab Ling) ließ er in Frankreich erbauen.

 

Diesem hohen und bekannten Lama wurde im Sommer 2017 in einem öffentlichen Brief von acht seiner engsten Mitarbeiter und langjährigen Anhänger ungeschminkt und detailliert kontinuierlicher  physischer, emotionaler, sexueller, finanzieller und spiritueller Missbrauch von Schülerinnen und Schülern über Jahrzehnte hindurch vorgeworfen. Chris Chandler konnte diesen Fall, der wie eine Bombe einschlug und dessen Auswirkungen für die tibetisch buddhistische Bewegung noch nicht abzusehen ist, in ihrem Text noch verarbeiten.

 

Die Autorin behandelt aber all diese Fälle von sexuellem Missbrauch, nicht nur als Übergriffe oder Verfehlungen einzelner sexbesessener Gurus, sondern weist nach, wie eng sie mit dem Jahrhunderte alten tantrischen, sexualmagischen Wesenskern des Lamaismus verflochten sind und darauf basieren. Sie folgert daraus, dass sexueller Missbrauch von Frauen ein institutionalisierter und integraler Bestandteil des Tibetischen Buddhismus ist. Das von ihr zusammengestellte Material beweist, wie man es hier mit einem extrem patriarchalen und misogynen Ausbeutungssystem und Kult zu tun hat, die expressis verbis auf der androzentrischen Aneignung weiblicher sexueller und spiritueller Energien beruhen.

 

Besonders aufschlussreich sind Chris Chandlers detaillierte Ausführungen über mehrere früher emanzipierte Frauen wie Tsultrim Allione, Sangye Khandro, Jetsun Khandro of Mindrolling or Pema Chödron und andere, die sich dem System auf Gedeih und Verderb unterworfen haben, die es aktiv unterstützen und die deswegen von den Lamas konsekriert, das heißt entgegen aller Tradition als weibliche Lamas anerkannt wurden. Die Autorin zeigt, was von der Mischung aus Feminismus und tantrischem Buddhismus, welche von diesen Frauen als „erleuchteter Feminismus“ bezeichnet und propagiert wird, zu halten ist.  Sie arbeitet heraus, dass es sich hierbei um einen perfiden ideologischen Betrug handelt, der ein zutiefst frauenfeindliches System als „frauenfreundlich“ verkauft. „Indem sie Bücher schreiben und Bewegungen kreieren, die auf New Age Seminaren als ‚erleuchteter Feminismus‘ vermarktet werden können haben diese sexuellen Gefährtinnen und Nonnen der Lamas ihre eigene Rechtfertigung des sexuellen Missbrauchs rationalisiert, indem sie sich selbst als machtvoll darstellen als vorgegaukelte Dakinis und Weisheitsfrauen – nicht als Opfer der Lamas oder ihres eigenen Phantasie überladenen Bewusstseins.“

 

Es ist erschreckend, zu erfahren, wie diese so genannten „Weisheits-Frauen“ oder „Power-Dakinis“ vor dem systematischen und rituell legitimierten Missbrauch ihrer Schwestern durch die Lamas in der Sangha seit Jahrzehnten ihre Augen verschließen.

 

Chris Chandlers Buch erscheint in einem Augenblick, wo sich Frauen weltweit organisieren, um gegen sexuellen Missbrauch durch Männer zu protestieren. Der Fall des Hollywood Produzenten Harvey Weinstein hat eine Welle ausgelöst, die durch die Kampagne #Me Too, in der Frauen über die verschiedensten Formen von sexuellen Übergriffen berichten, in kürzester Zeit zu einer starken internationalen Bewegung geführt hat. Dieser weibliche Protestausbruch muss in der Tiefe als Reaktion und Antwort gesehen werden auf den aktuellen Aufstieg misogyner und antifeministischer politischer Rechts-Parteien und Patriarchen in vielen Ländern, die auf überholte nicht selten religiös begründete frauenfreundlichen Muster rekurrieren. In ihrem Buch beschreibt Chris Chandler, wie im spirituellen „Universum“ des Tibetischen Buddhismus ist diese maskuline und misogyne Welt vorgeprägt ist. Die Lama-Männer beanspruchen das absolute Sagen und benutzen Frauen für ihre Zwecke. Die Ex-tibetische Buddhistin fordert deswegen: „Es ist Zeit eine #Me Too, eine Bewegung gegen den sexuellen Missbrauch der Lamas zu starten, und die Augen nicht mehr davor zu verschließen, dass Tausende von westlichen Frauen Opfer dieser Lamas und ihrer institutionalisierten sexuellen Missbrauch-Praktiken geworden sind.“

 

Der institutionalisierte sexuelle Missbrauch von Frauen im Lamaismus wird ergänzt durch die weit verbreitete Päderastie in den tibetischen Klöstern. Die Autorin spricht in diesem Zusammenhang auch die problematische Institution der Kindermönche an und geht kurz auf den jungen, wieder reinkarnierten Lama Kalu Rinpoche ein, der in einem Youtube-Video über seine persönliche Leidensgeschichte als ein durch die Lamas missbrauchtes Kind berichtet. Sehr interessant sind auch eigene Erfahrungsberichte der Autorin über die Kinder der ersten und mittlerweile zweiten Generation westlicher Tibetischer Buddhisten (dharma brats) und deren Indoktrinierung, wie man es ebenfalls aus anderen Kultsekten kennt.

 

Einen weiteren Schwerpunkt des Buches „Enthralled… „ bildet die Auseinandersetzung mit westlichen Wissenschaftlern und Intellektuellen, die sich auf vorgebliche Erkenntnisse des Tibetischen Buddhismus und auf ihre engen Kontakte zu den Lamas und dem Dalai Lama berufen. Deren magisches Weltbild  wird ahnungslos und naiv von diesen Wissenschaftlern als „säkulare Ethik“ oder „säkulare Spiritualität“ propagiert, indem sie gutgläubig Begriffe nachplappern, die der Dalai Lama immer wieder geschickt benutzt, um die okkulten Hintergründe seines Systems zu verschleiern. Der Lamaismus ist für Chris Chandler weder die „positive Happiness Religion“ noch ein Vorreiter westlicher Wissenschaft, die er vorgibt, zu sein, sondern hinter der angeblich „säkularen Ethik“ verberge sich eine buddhokratische Priester-Ideologie, ein autoritäres System, welches überhaupt nicht die ethisch-humanistischen Standards kenne, wie wir sie hier spätestens seit der Aufklärung im Westen verstehen.  

 

Im Zentrum ihrer Untersuchungen zu diesem Phänomen steht das 1990 durch den Dalai Lama offiziell gegründete Mind and Life Institute mit mittlerweile Hunderten von international vernetzten Gelehrten aus angesehen akademischen Institutionen in allen Fakultäten, insbesondere aber Psychologen und Neurowissenschaftler. Die von Chandler als problematisch angesehen meditativen Praktiken des Mind and Life Instituts, hinter denen sich ihrer Meinung nach die globalen Machtanspruche des Lamaismus verbergen, sind inzwischen längst in der amerikanischen Gesellschaft verankert: Große Firmen wie Google wenden schon solche Methoden der „Achtsamkeit“ als Bewusstseinstraining ihrer Mitarbeiter an. Man findet sie sogar in den Trainingsprogrammen der US-Army. Politiker, Schauspieler, Wirtschaftsbosse lassen sich in den teuren Wellness Kliniken des Mind and Life Instituts wieder fit machen. Auch in Deutschland sind mehrere prominente Neurowissenschaftler wie zum Beispiel Wolf Singer, der auf Angela Merkels 50. Geburtstag den Festvortrag hielt, führende Mitglieder des Mind and Life Instituts.

 

Gerade für Intellektuelle und für Wissenschaftler kann Chris Chandlers aufklärerisches Buch der Auslöser sein, der ihnen die Augen öffnet, sie aus der Trance herausführt und ihren getrübten wissenschaftlichen Blick wieder kritisch schärft so dass sie erkennen, was sich hinter der Kulisse des Wellness-Buddhismus abspielt. Die intellektuelle Redlichkeit der Autorin, ihre klare Argumentationslinie, ihre Fachkenntnisse als Psychologin und System-Theoretikerin verbunden mit ihrer fast 30jährigen aktiven Teilnahme an dem System geben ihr die akademische und empirische Kompetenz hierzu. Chris Chandlers Buch verkündet das endgültige Aufwachen aus der Shangri-la Illusion mit ihren vorgeblichen „Friede, Liebe und Harmonie“ Träumen von einem globalen Utopie.

 

Sie kommt zu dem folgenden ernüchternden Schluss: Die tibetischen Lamas und der Dalai Lama haben eine politisch-religiöse Agenda für eine globale Buddhokratie. Ihr sexualmgisches tantrisches Kult-System nimmt Abstand von allen zentralen westlichen Werten und Standards wie Humanismus, Demokratie, Freiheit des Denkens und der Rede, Gleichwertigkeit der beiden Geschlechter, soziale Verantwortung, Bildung für alle zugunsten einer androzentrischen und anti-demokratischen Priesterdiktatur. Die Autorin zeigt wie die westlichen Anhänger des Tibetischen Buddhismus als „nützliche Idioten“ benutzt wurden, um eine mittelalterliche, aggressive Doktrin und Praxis global durchzusetzen, in deren Zentrum der so genannte Adi-Buddha, der vorgebliche Herrscher über das Universums und die Zeit stehen soll und der in seiner Inkarnation als Shambhala König „Rudra Chakrin“ die Welt mit einem apokalyptisch-messianischen Religionskrieg überziehen will.

 

Wir möchten unsere Rezension mit dem Zitat beenden, mit dem Chandler ihr Buch einleitet. Es stammt von Allen Ginsberg. Der berühmte Beatnik Poet war ganz und gar den Versuchungen des Tibetischen Buddhismus verfallen, insbesondere seinem Meisterlama Chögyum Trungpa. Aber für einen kleinen Augenblick wurde ihm klar, worauf er sich eingelassen hatte, und er schrieb: „Die ganze Zeit mache ich mir Vorwürfe, dass ich die gesamte Dichterszene und Merwin [ein weiterer bekannter amerikanischer Poet] dazu verführt habe, in diese unmögliche Unterwerfung unter eine spirituelle Diktatur einzutreten, aus der sie sich niemals werden lösen können und die dabei ist, die amerikanische Kultur für immer zu ruinieren. Alles ist möglich. Wir können von den tibetischen Monstern erobert und gefressen werden.“ Nichtdestrotz hat sich Ginsberg bis zu seinem Tode nicht radikal von den „Tibetischen Monstern“ lossagen können. Das zeigt wie tief dieses System das Bewusstsein von Menschen besetzen kann.

 

Im Unterschied hierzu ist Chris Chandler der endgültige Ausstieg gelungen und wir sind sicher, dass viele ihr folgen werden. Ihr Buch ist ein Licht, dass die Menschen aus dem tantrisch-sexualmagischen Labyrinth des Lamaismus und aus Alan Ginsbergs Albtraum herausführt.

 

 

© Victor und Victoria Trimondi

 

 


Chris Chandler: Das ist die beste Untersuchung und das beste Material, das jemals über den Tibetischen Buddhismus geschrieben wurden – Rezension des Buches „Der Schatten

 

Chris Chandler: Ist der Lamaismus ein Kultsystem?Robert J. Liftons acht Kriterien für Bewusstseinskontrolle und der Lamaismus, die kultische Form des Buddhismus

 

Ex Tibetan Buddhism – Blog von Chris Chandler