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Nazi-Tibet-Connection


© Victor und Victoria Trimondi

Was interessierte die Nazis an Tibet und am tibetischen Buddhismus?

Deutsche Hakenkreuze im Himalaja – Die SS-Tibetexpedition und ihre Protagonisten in 9 Kapiteln (Auszug aus dem Buch „Hitler-Buddha-Krishna – Eine unheilige Allianz vom Dritten Reich bis heute“ – Wien 2002 – Ueberreuter Verlag)


Kapitel 2

Ernst Schäfer (1910-1992) - Tibetexperte der SS - Grundlagen einer nationalsozialistischen Naturwissenschaft

Ernst Schäfer, Sohn eines einflussreichen Hamburger Industriellen und Direktors des Gummikonzerns "Phoenix", wurde wie Sven Hedin von der "Forscheritis" (eigene Worte) ergriffen, die ihn zeitlebens nicht mehr loslassen sollte. So belegte er in der Absicht, ein Forscherleben zu führen, an der Universität Göttingen die Fächer Zoologie, Botanik, Völkerkunde, Geographie und Geologie und spezialisierte sich in Ornitologie. In den 30er Jahren hatte er  schon an zwei Tibetexpeditionen (1931/32 und 1934/36) unter amerikanischer Leitung (Brook-Dolan) teilgenommen. (1) Der Panchen Lama empfing ihn 1934 in China und stattete ihn mit einem Reisepass für ganz Tibet aus.

 

Schon als 23-jähriger Student war Schäfer SS-Anwärter (Spätere SS-Nummer: 138803; Parteinummer 4690995). Aufgrund seiner Expeditionserfolge von 1936 erregte er die Aufmerksamkeit Himmlers. Dieser ernannte ihn schon bald zum "SS-Untersturmführer im Persönlichen Stab". Gemeinsam mit dem Reichsführer-SS und anderen Leitern des "Ahnenerbes" wurde dann die "SS-Expedition Schäfer" ins Leben berufen. Himmler erklärte sich zum "Schirmherrn" des Unternehmens, dessen offizielle Bezeichnung folgendermaßen lautete: "Tibet Expedition Ernst Schäfer. Unter Schirmherrschaft des Reichsführers-SS Himmler und in Verbindung mit dem Ahnenerbe e. V. Berlin". (2)

 

Heinrich Himmler verband mit der geplanten Tibetexpedition offensichtlich okkult-rassistische Interessen. Hier das Protokoll von einer der Unterredungen, die er mit Schäfer nach dessen Rückkehr aus dem Himalaja führte: "Ob ich in Tibet Menschen mit blonden Haaren und blauen Augen begegnet sei, wollte er [Himmler] wissen. Als ich dieses verneinte, fragte er mich, wie denn nach meiner Meinung der Mensch entstanden sei." - Schäfer will kurz seine Kenntnisse zur humanen Evolutionsgeschichte skizziert haben - "Himmler hörte ruhig zu. Dann schüttelte er den Kopf: 'Akademische Lehrmeinungen, Schulweisheit, Arroganz der Universitätsprofessoren, die wie Päpste auf ihren Lehrstühlen sitzen [....] aber von den wirklichen Kräften, die die Welt bewegen, haben sie nicht die leiseste Ahnung [....] Nun ja, für die minderen Rassen mag das allenfalls zutreffen, aber der nordische Mensch ist beim letzten tertiären Mondeinbruch direkt vom Himmel gekommen'. Himmler hatte leise gesprochen, er sprach wie ein Priester. Die Kamarilla schwieg, und auch ich war sprachlos. Ich glaubte mich in ein heidnisches Kloster versetzt [....] 'Sie müssen noch viel lernen', fuhr Himmler schulmeisterlich fort, 'vor allem die Runenschrift und die Grundlagen der indo-arischen Sprachwissenschaften. Und natürlich müssen sie die Werke Hörbigers [Erfinder der 'Welteislehre'] studieren. [....] Der Führer befasst sich seit langem mit der Welteislehre. Es gibt noch zahlreiche Reste der tertiären Mondmenschen, letzte Zeugen der verschollenen, ehemals weltumspannenden Atlantiskultur. In Peru zum Beispiel, auf der Osterinsel und, wie ich vermute, in Tibet." (3)

 

Auch in seinem Entnazifizierungsverfahren kommt Schäfer mehrmals auf  Himmlers "seltsame Ansichten" zu sprechen und bezichtigt gleichzeitig viele seiner ehemaligen Ahnenerbenkollegen okkulter Neigungen: "Sie glaubten alle an die Welteislehre. Das war natürlich ganz unwissenschaftlich. Aber die Herren haben keine anderen Bücher gelesen. Das ist eine so tolle Geschichte, dass man es fast nicht glauben kann. Sie neigten alle zu der okkulten Seite." (4)

 

Obgleich es sich um einen SS-Projekt handelte, musste sich der gesellschaftlich gut situierte Industriellensohn die finanziellen Mittel für die Tibet-Expedition eigenhändig besorgen. Die Schutz-Staffel übernahm allein die Rückflugkosten. Dennoch wurde der Auszug der Deutschen mit viel Presse und mit großem Aufwand in der Öffentlichkeit diskutiert. "SS – Männer durchforschen Buddhas Reich" – "Im Geiste der SS durchgeführt. Himalaya Expedition unter der Schirmherrschaft Himmlers" – so oder ähnlich lauteten die Headlines. (5) Vor ihrer Abreise verpflichtete Himmler die Tibetforscher persönlich auf bestimmte "SS-Grundsätze", unter denen an erster Stelle stand: "Niemals zu vergessen, dass ein jeder Vertreter der nationalsozialistischen Weltanschauung und des deutschen Volkes ist." (6)

 

Vor Beginn der Expedition kam es zu diplomatischen Verwicklungen mit dem britischen Außenministerium, das die Einreise der Deutschen über Sikkim nach Tibet nicht billigen wollte. Schäfers guten internationalen Kontakte, aber auch die Tatsache, dass Himmler höchst persönlich in die Diplomatie eingriff, führten schließlich zum Erfolg. Der Reichsführer-SS hatte an die englischen Behörden einen Brief verfasst, in dem er darauf verwies, wie zuvorkommend englische Staatsbürger durch die deutschen Behörden behandelt würden und dass er das Verhalten der Briten als skandalös empfinde. Das Schreiben wirkte. Die deutschen Tibetforscher erhielten die Erlaubnis nach Sikkim einzureisen. (7)

 

In Indien wurden die Deutschen von den Medien empfangen. Schäfer resümierte später: "Die Indische Presse beschäftigte sich in spaltenlangen Artikeln mit den 'Nazispionen' und der Vertretern der 'Schwarzen Garde Hitlers', die unter wissenschaftlichen Vorwänden nach Indien gekommen seien, um zu intrigieren und das britische Prestige zu unterminieren." (8) Solche "Unterstellungen" hätten jedoch – so Schäfer – die Expeditionsteilnehmer nur zusammengeschweißt "und mit dem Willen beseelt, auf Biegen und Brechen durchzuhauen." (9) In einem Vortrag des "Himalaja Clubs" (Indien) stellte er das Zustandekommen des Unternehmens folgendermaßen dar: "Ich erhielt ein Telegramm vom Reichsführer-SS Himmler, in dem er mich bat, ihn aufzusuchen und meine Ziele und Vorstellungen darzustellen. Da ich schon seit langer Zeit ein Mitglied des Schwarzen Ordens (im engl. Original "Black Guard") war, bin ich nur zu froh gewesen, dass der höchste SS-Führer, selber ein sehr begabter Amateurwissenschaftler, in meiner Forschungsarbeit interessiert war. Es gab keine Notwendigkeit den Reichsführer-SS zu überzeugen, denn er hatte dieselben Ideen." (10)

 

Während der Expedition stand Himmler in ständiger Korrespondenz mit dem Tibetforscher. In dem Briefmaterial befindet sich der  folgende Satz des Reichsführers: "Was die Engländer als gentleman bezeichnen, das nennen wir einen SS-Mann." (11) Die Engländer sahen dies jedoch anders. Sir Basil Gould vom britischen India Office, der Schäfer 1938 in Lhasa traf, charakterisierte den Deutschen folgendermaßen: "interessant, kraftvoll, launisch, gelehrt, eitel bis hin zur Infantilität, respektlos gegenüber den sozialen Konventionen und Gefühlen anderer, und zuerst und vor allem ein Nazi und ein Politiker." (12)

 

Von Sikkim aus wollte Schäfer direkte Verhandlungen mit der tibetischen Regierung aufnehmen, um eine Einreisegenehmigung zu erhalten, obgleich er den Briten versprochen hatte, die Grenze nach Tibet nicht zu überschreiten. In einem Brief  an den Rajah des Landes, einem Vertrauten des tibetischen Regenten, verwies er auf das "historische Treffen der östlichen und westlichen Swastikas", das in Lhasa stattfinden könne. (13) Der Rajah setzte sich bei den Tibetern ein, Schäfer schrieb einen Brief an den Regenten von Tibet, in dem er bat, dass er und seine "Kameraden" als "erste Sendboten unseres Volkes", das Land  besuchen dürfen, und erhielt die offizielle Einreiseerlaubnis. In einem Antwortschreiben "An den deutschen Herrn Dr. Schäfer, Meister der Hundert Wissenschaften" wurde ihm erlaubt, sich insgesamt zwei Wochen in der Hauptstadt des Landes aufzuhalten. (14) Nach der Einschätzung des SS-Mannes trafen die Expeditionsteilnehmer ständig auf Sympathien unter der Bevölkerung. Den Deutschen ging sogar das Gerücht voraus, sie wären dabei, Südtibet zu besetzen und "die deutsche Hakenkreuzflagge wehe über den englischen Forts in Gyangtse und Yatung." (15)

 

Als "ersten Deutschen in Lhasa" wurde den Expeditionsteilnehmern vom damaligen tibetischen Regenten Gyalpo Reting Chutuktu ein herzlicher Empfang bereitet. Auch zwischen Adeligen und Lamas auf der einen und den SS-Männern auf der anderen Seite entwickelten sich "freundschaftliche Beziehungen", denen der britische Resident in Tibet, Hugh Richardson, größtes Misstrauen entgegengebrachte, denn mittlerweile war die deutsche Wehrmacht in die Tschechoslowakei einmarschiert. Es kam zu gespannten Szenen. Schäfer wurde von Richardson öffentlich provoziert und konterte in seinem Expeditionstagebuch: "Am liebsten hätten wir diesem frechen, eingebildeten Fatzken eines in die Fr... gehauen - doch unsere Expedition soll ja zu einem erfolgreichen Ende kommen." (16)

 

Im August 1939 kehrte die "SS-Expedition Schäfer" nach Deutschland zurück und wurde mit großem Pomp von Himmler auf dem Münchner Flughafen empfangen. Für seine außerordentlichen Verdienste erhielt der Tibetforscher den SS-Totenkopfring und den SS-Ehrendegen als Auszeichnungen. Er begleitete Himmler in dessen Sonderzug (Heinrich) durch das besetzte Polen, besuchte anschließend Frankreich, hielt dort Vorträge und zählte fortan zum engsten Freundeszirkel um den Reichsführer-SS.

 

Anschließend hatte Himmler weitere Pläne mit Schäfer. Dieser sollte zum vierten Mal nach Tibet reisen und zwar mit einem SS-Stoßtrupp von 30 Mann, um à la Lawrence von Arabien, wie es wörtlich hieß, "die tibetische Armee gegen die britisch- indischen Truppen auf[zu]wiegeln." (17) Der Tibetforscher wollte sofort losschlagen, aber der Reichsführer-SS ermahnte ihn väterlich in einem Brief aus seinem Sonderzug Heinrich: "Ebenso wie wissenschaftlicher Dilettantismus verwerflich ist, ebenso ist es militärischer und soldatischer, wenn sie eine soldatische Aufgabe zu lösen bekommen, müssen sie zunächst zum Soldaten ausgebildet und erzogen werden. Mit ein bisschen Sabotage und Herumsprengen ist es nicht getan." (18) In der SS-Standarte "Der Führer" lernte Schäfer dann den Umgang am mittleren und schweren Granatwerfer und am schweren MG.

 

Der "deutsche Lawrence" plauderte aber unvorsichtigerweise das Unternehmen aus, so dass es zu argen Differenzen mit Himmler kam. Jedenfalls wurde dieser "Sonderauftrag" auf die direkte Intervention Hitlers hin zurückgenommen. Im Januar 1940 billigte aber die Leitung des SS-Ahnenerbes Ernst Schäfer die Errichtung einer "Forschungsstätte für Innerasien und Expeditionen". Diese Institution sollte unter anderem das Material der SS Tibetexpedition auswerten. Im Oktober desselben Jahres besuchte Sven Hedin das Institut, um das Filmmaterial und die Exponate, die man aus Tibet mitgebracht hatte, zu begutachten. Hedin war von den Aufnahmen beeindruckt: "Wir sahen ebenfalls die Prozessionen und Zeremonien der Lamapriester und den immer gleich malerischen Tempeldienst mit seinen Trommeln, Posaunen und Flöten sowie seiner unergründlichen Mystik." (19)

 

Auch Himmler verlor Innerasien nicht aus dem Blick. Am 21. März 1940 traf er sich mit Sven Hedin und diskutierte mit ihm über ein Buch von Colin Ross Das neue Asien, von dem in weniger als zwei Jahren fünf Auflagen verkauft wurden. (20) Der Text behandelt die Umwälzungen im Fernen Osten und kommt auch auf  religionspolitische Fragen zu sprechen. Besonders interessant ist der Passus über Tibet und den Dalai Lama. Ross vertritt hier die Meinung, dass im Kräftespiel Asiens der Lamaismus zwar geschwächt sei, aber dennoch die alleinige Macht darstelle, auf die das faschistische Japan setzen könne, um seine Herrschaft über China zu errichten. Es sei falsch, "den ganzen Lamaismus als eine erledigte Angelegenheit anzusehen." - schreibt Ross - "Wäre das der Fall, würden sich die Japaner nicht so um ihn bemühen. Wenn für das machthungrige Inselvolk überhaupt eine Möglichkeit besteht, zu der angestrebten Herrschaft über ganz Asien zu gelangen, dann wahrscheinlich nur auf dem Wege über Tibet und den Lamaismus. Hier allein findet es die geistige Kraft, Institution und Legende vor, deren es bedarf. [....] Die in China vorhandene religiös-politische Überlieferung reicht also nicht aus, um mit ihrer Hilfe die japanische Herrschaft oder zu mindestens Mitherrschaft zu begründen. Es bedarf einer stärkeren geistigen Kraft. Die aber ist in Tibet vorhanden, vorausgesetzt, dass der Lamaismus die gegenwärtige Krise überdauert, dass er sich erneuert, modernisiert und wie jeder Glaube, der heute etwas erreichen will, sich nicht nur des Tabernakels bedient, sondern gleicherweise des Traktors und notfalls des Tanks." (21)

 

Ross geht also davon aus, dass tibetischer Lamaismus und japanischer Staatsfaschismus sich bestens miteinander vertragen. Es ist die "theokratische" Idee vom "Gottkaiser" bzw. "Gottkönig", die beide Länder miteinander teilen: "Die Soldaten der chinesischen Republik aber" - so Ross - "glauben allenfalls an die Demokratie." (22) Wahrscheinlich hat  sich Himmler von solchen Einschätzungen bei der Planung von Schäfers zweiter, diesmal militärischen, SS-Tibetexpedition inspirieren lassen.

 

Als Sven Hedin den Reichsführer-SS erneut aufsuchte, legte dieser ihm seinen Schützling Ernst Schäfer ganz besonders ans Herz: "Ich kann Ihnen, Herr Doktor" - so Himmler - "nicht genug danken für die Aufmunterung, die Sie ihm [Schäfer] haben zuteil werden lassen. Sie ahnen nicht, was es für einen 29jährigen bedeutet, Unterstützung und Verständnis von einem erfahrenen Veteranen zu erhalten." (23) Hedin konnte seine "Patenschaft" für den 29-jährigen direkt in die Tat umsetzen. Er wusste von dem Wunsch Walther Wüsts, Schäfer zum "Professor der Vererbungslehre" zu ernennen und dass der Zoologe damit nicht einverstanden war. Als Hedin Himmler darauf ansprach, antwortete der Reichsführer großzügig: "Solches braucht er überhaupt nicht zu fürchten." - dann fügte er geheimnisvoll hinzu - "Nach dem Kriege wird er neue Aufgaben im Zusammenhang mit Deutschlands weit reichenden Plänen bekommen. Ich gedenke nicht, ihn schon jetzt seine Ergebnisse veröffentlichen zu lassen, weder seine volkstümlichen Bücher, seine Farbaufnahmen noch seinen prächtigen Farbfilm in Verbindung mit öffentlichen Vorträgen. Die Sensation, die er damit hervorrufen könnte, würde in dem alles umfassenden Interesse für den Krieg ertrinken." (24) Dass diese "Sensationen" nicht rein wissenschaftlicher Natur waren, sondern einen rassenpolitischem Inhalt hatten, darauf kommen wir noch zu sprechen.

 

Im Oktober 1941 fuhren Wolfram Sievers, Ernst Schäfer und der Tibet Kameramann Ernst Krause in das KZ-Dachau und wurden Zeugen eines Humanexperiments, das der Stabsarzt der Luftwaffe Dr. Sigmund Rascher an einem Häftling durchführte. "Draußen stand ein Omnibus," - so Schäfer - "der mir vorher nicht aufgefallen war. Rascher leitete dort einen Versuch an einem Häftling. Der Omnibus bestand aus zwei Kammern, einer Luftkammer, Unterdruckkammer, einem Vakuum und einem Stand, in welchem Rascher drin war mit Hebeln und allem Möglichen. Der Motor lief und dort hing an einem Fallschirm ein Häftling." (25) Rascher wollte, dass seine Experimente gefilmt würden, um anhand dieses Materials Vergleiche anzustellen. Er experimentierte in Anwesenheit der genannten Personen über Luftembolien im Gehirn und die Reaktionen von Menschen auf Unterdruck. Es gab Fälle, bei denen die Lungen der Häftlinge während des Experiments explodierten. Als Ernst Schäfer Raschers Büro betrat, sah er dort mehrere Gefäße mit menschlichen Gehirnen, die der KZ-Doktor den beiden Besuchern zeigte, während er sie fragte, ob es ihnen grusele. Schäfer bekannte später, er habe sich zutiefst betroffen gefühlt, aber Konsequenzen habe er nicht daraus gezogen.

 

Im Frühjahr 1942, als die deutsche Armee tief in den Osten eingedrungen war,  befahl der Reichsführer-SS, die "Tibet- und gesamte Asienforschung" bevorzugt zu fördern. Diese galt von nun an als "kriegswichtige Zweckforschung" und stand unter dem Überbegriff "Kriegseinsatz der Wissenschaften". (26) Das Interesse der Nazis an Innerasien wuchs in diesen Jahren beträchtlich. Es wurden zahlreiche Presseartikel publiziert, die eine neue innerasiatische Ordnung forderten.

 

Insbesondere der Kaukasus, der kurz vor der Eroberung durch die deutschen Truppen stand, rückte in den Mittelpunkt von Himmlers Vorstellungswelt. Am 10. August gab er den Befehl zur "Totalerforschung des Kaukasus" ("Projekt K"). Nach dem Modell der SS-Tibetexpedition sollten erneut Wissenschaftler unter der Leitung von Ernst Schäfer die besagte Region nach botanischen, landwirtschaftlichen, zoologischen, entomologischen, geophysikalischen Gesichtspunkten untersuchen. Neben militärischen Zielsetzungen glaubte man auch im Kaukasus auf Spuren eines "arischen Menschenschlages" zu stoßen. Aber die Ereignisse in Russland (Stalingrad) setzten dem "Projekt K" ein jähes Ende.

 

Stattdessen baute Schäfer in den letzten Kriegsjahren mit bemerkenswertem Erfolg das Sven Hedin Institut für Innerasienforschung als eine Unterabteilung des SS-Ahnenerbes auf. Bei der Planung, die noch in Zeiten deutschen Kriegsglücks stattfanden, schwelgte die gesamte Führungsspitze des SS-Vereins in Großmachträumen. Sievers, Wüst und Schäfer diskutierten tatsächlich, ob sich das Institut auf Zentralasien beschränken oder die ganze Welt einbeziehen sollte. (27) Nach einigem Zögern hatte der berühmte Schwede seine Zustimmung dafür gegeben, seinen Namen herzuleihen. Die eigentliche Eröffnung fand am Samstag den 16. Januar 1943 statt, für die Münchner Ludwig Maximilian Universität ein großer Festtag. Vormittags wurde vom Rektor und ordentlichen Professor der Arischen Kultur- und Sprachwissenschaft Dr. phil. habil Walther Wüst an Sven Hedin der Doktorgrad der Naturwissenschaftlichen Fakultät ehrenhalber (doctor rerum naturalim in honoris causa) verliehen. In der Ernennungsurkunde hieß es: "Die naturwissenschaftliche Fakultät ehrt damit den kühnen und erfolgreichen Erforscher Zentralasiens, der mit unermüdlicher Hingabe die Hochgebirge und Wüsten dieses Raumes erschlossen, die Geheimnisse untergegangener Kulturen entschleiert und durch die Organisation und Leitung seiner Zentralasienexpeditionen ein großartiges Beispiel der wissenschaftlichen Zusammenarbeit schwedischer und deutscher Gelehrter gegeben hat. Sie bekundet damit zugleich ihre Verehrung für die edle Vornehmheit des Mannes, der nie gezögert hat, mannhaft für die Geltung deutscher Kultur einzutreten." (28) Fahnenmärsche, der erste Satz der Jupiter-Symphonie von W. A. Mozart, Führerehrung und Lieder der Nation begleiteten das Ereignis. Nachmittags zeigte man die Uraufführung von Schäfers Film Geheimnis Tibet im Ufa-Palast, Sonnenstrasse 8. Sven Hedin war völlig hingerissen. "Großartig, wunderbar, was wir hier gesehen haben!" rief er aus und schüttelte dem jungen SS-Untersturmführer immer wieder die Hand: "Sie sind der Mann, der meine Forschungen fortsetzen sollte und muss!" – sagte er zu Schäfer. (29) Am folgenden Tag fuhr man zur Eröffnung der Tibetausstellung in Salzburg.

 

Schäfer machte aus dem Sven Hedin Institut die größte Abteilung innerhalb des SS-Ahnenerbes, so dass Walther Wüst in einer Aktennotiz vorschlug: "Das Beste wäre wohl, wenn wir zu einem Reichsinstitut würden, das dem Reichsführer SS [Himmler] direkt untersteht." (30)  Dies sollte auch ohne Schwierigkeiten gelingen, denn schon 1942 hatte Himmler befunden, "dass die Tibet- und die gesamte Asienforschung hier zentral zusammengefasst und stärkstens ausgebaut werden soll." (31) Schloss Mittersill in Tirol wurde zur Heimat des Instituts. Im SS-Ahnenerbe träumte man von einer elitären Wissenschaftsakademie: "Es soll Mittelpunkt für Wissenschaftler werden. Von Zeit zu Zeit sollen hervorragende Wissenschaftler dort zusammenkommen, Vorträge aus ihren Arbeitsgebieten halten und dabei in der schönen Umgebung bei Sport und Jagd ihre Gedanken austauschen." Himmler dachte sogar daran, dass Mittersill "Ausgangspunkt der großen SS-Expeditionen" werden sollte. (32) Schäfer konnte jedoch nur wenige anerkannte Fachkräfte an sein "Imperium" binden. Zu den von ihm engagierten Wissenschaftlern zählten auch die beiden Tibetologen Helmut Hoffmann und Johannes Schubert und der Mongolist Wilhelm Alexander Unkrig. Neben der jeweiligen Qualifikation spielte jedoch "die Atmosphäre männlich-herzlicher Kameraderie, die der Draufgänger Schäfer stets zu verbreiten wußte", eine genauso große Rolle für den Erfolg des Instituts. (33)

 

Trotz seiner Arbeitsüberlastung widmete sich der Zoologe Schäfer noch der Tierzucht von Tibethunden und von Pferderassen. Man hat dies als eine "Marotte" abgetan, aber die Ergebnisse der Pferdezüchtung waren nichts anderes als Vorexperimente der von Himmler in großem Stil geplanten Menschenzüchtung: "Wie wir unser altes hannöverisches Pferd aus wenigen reingebliebenen Vater- und Muttertieren wieder herausgezüchtet haben," – so der ausgebildete Landwirt - "so werden wir aus dem besten deutschen Blut durch Verdrängungskreuzungen im Laufe der Generationen wieder den reinen Typ des nordischen Deutschen züchten." (34)

 

Während seines Entnazifizierungsverfahrens (1947) wurde Schäfer zu einer Art Kronzeuge der Anklage und kam deswegen trotz seiner hohen Stellung innerhalb des SS-Ahnenerbes ungeschoren davon. Der Industriellensohn gab sich weltoffen, gewandt und sprach fließend Englisch. Seine fachlichen Qualifikationen als Zoologe galten als unumstritten. Das gab seinen Aussagen in weiteren Verfahren gegen andere Angehörige der SS Gewicht und Seriosität. Er bezeugte unter anderem, dass Himmler den Plan fasste, die polnische Intelligenzija physisch auszurotten und er gab die Namen derjenigen Personen preis, die zum exklusiven "Freundeskreis" des Reichsführers-SS zählten. Weiterhin bestätigte er, dass dort über das Massenvernichtungsmittel "Sulfa" referiert wurde, das später in Konzentrationslagern zur Anwendung kommen sollte.

 

Sich selbst schilderte Schäfer als das Opfer seiner Umwelt, als einen Mann, der "aus der Wildnis kam" (unter Bezug auf seine beiden ersten Tibetexpeditionen) und der dem Regime mit Abscheu und Hilflosigkeit gegenüber gestanden sei. e chronische "Angstpsychose" und  seine "Weltfremdheit" hätten ihn davon abgehalten, Deutschland zu verlassen. Vor allem präsentierte er sich als den einzig seriösen Wissenschaftler im SS-Ahnenerbe. Alle anderen Mitglieder des SS-Vereins außer ihm hätten einer "okkulten Seite" zugeneigt. "Das ist eine so tolle Geschichte, dass man es fast nicht glauben kann." - erklärte er seinen amerikanischen Befragern. (35)

 

1949 ging Schäfer nach Südamerika und baute in Venezuela die "biologische Forschungsstation Rancho Grande auf. Gleichzeitig bekleidete er eine Professur an der Universidad Central. 1955 sehen wir ihn im Dienste des belgischen Königs Leopold III, der ihn beauftragte einen Dokumentarfilm über den Kongo zu drehen. Das Sven Hedin Institut für Innerasienforschung hinterließ auch nach seiner "Entnazifizierung" Spuren. München wurde nach dem zweiten Weltkrieg zu einem Zentrum der Himalaja Forschung. Es entstanden private Organisationen und Stiftungen.


 (1) Die Erlebnisse während dieser beiden Reisen hat er später (1952) in einem populistischen Buch mit dem Titel Unter Räubern in Tibet - Gefahren und Freuden eines Forscherlebens veröffentlicht.

(2) Teilnehmer der Tibetexpedition waren: der Leiter Ernst Schäfer (Zoologie, Botanik), der Geophysiker Karl Wienert (Geologie, Geographie), der Rassenkundler Bruno Beger (physische Anthropologie/Rassenkunde), der Kameramann Ernst Krause und der Rennfahrer Edmund Geer (Technischer Leiter). In den 80er Jahren nannte Schäfer das SS-Unternehmen schlicht "Deutsche Tibet-Expedition Ernst Schäfer 1938/39".

(3) Rüdiger Sünner - Schwarze Sonne - Entfesselung und Mißbrauch der Mythen in Nationalsozialismus und rechter Esoterik - Freiburg 1999, 48. Nach Reinhard Greve soll sich Himmler über den Reisebericht von Alexandra David-Neel, Ferdinand D. Lessing und Ferdinand Ossendowski informiert haben. (Reinhard Greve – "Das Tibet-Bild der Nationalsozialisten" – in Thierry Dodin und Heinz Räther – Mythos Tibet – Wahrnehmungen, Projektionen Phantasien – Köln 1997, 104)

(4) Institut für Zeitgeschichte - München: Vernehmung Ernst Schäfer A – 1948156 vom 2. 4. 47

(5) Bundesarchiv Berlin: NS 021 / 000168

(6) Bundesarchiv Berlin: R 135 / 66 - Bruno Beger: "Rassenkundliche Verhältnisse in Tibet als Forschungsziel" - 15

(7) In seinem 1989 erschienen Buch Über den Himalaja ins Land der Götter, welches die SS-Expedition schildert, kommt Schäfer überhaupt nicht auf die Schutz-Staffel (SS) zu sprechen. Er führt dort seinen Erfolg auf die guten Kontakte zur Royal Central Asian Society, deren Mitglied er war, und zu Sir Francis Younghusband, dem "Eroberer Tibets aus dem Jahre 1904" zurück. (siehe p. 7/8)

(8) Bundesarchiv Berlin: R 135 / 71 – 164933 ff.

(9) Bundesarchiv Berlin: R 135 / 71 – 164934

(10) Reinhard Greve – "Das Tibet-Bild der Nationalsozialisten" – in Thierry Dodin und Heinz Räther – Mythos Tibet – Wahrnehmungen, Projektionen Phantasien – Köln 1997, 172 (Übersetzung aus dem Englischen). In einem Interview aus dem Völkischen Beobachter vom 11. Dezember 1942 ist zu dem selben Ereignis zu lesen: "Aus diesem Grunde trat ich 1936 an den Reichsführer-SS Heinrich Himmler heran und fand in ihm den größten und selbstlosesten Förderer meiner Ideen. Sicher nicht nur deshalb, weil er selbst Wissenschaftler ist, sondern weil der Expeditionsgedanke ein Pioniergedanke ist und dem Wesen der SS entspricht."

(11) Karl E. Meyer und Shareen Blair Brysac - Tournaments of Shadow - The great game and the race for Empire in Central Asia - Washington 1999, 517

(12) Ebenda: 513

(13) Ebenda: 516

(14) Ernst Schäfer - Geheimnis Tibet - Erster Bericht der Deutschen Tibet-Expedition Ernst Schäfer 1938/39 - Schirmherr Reichsführer SS - München 1943, 89/162

(15) Bundesarchiv Berlin – R 135 / 71 – 164936

(16) Reinhard Greve - "Tibetforschung im SS-Ahnenerbe" in Thomas Hauschild - Lebenslust und Fremdenfurcht - Ethnologie im Dritten Reich - Frankfurt 1995, 176

(17) Michael H. Kater - Das Ahnenerbe der SS 1935-1945 - Ein Beitrag zur Kulturpolitik des Dritten Reiches - München 1997, 212

(18) Bundesarchiv Berlin: NS 19 – 2709 – F. 1 –  15

(19) Sven Hedin - Ohne Auftrag in Berlin - Buenos Aires 1950, 166

(20) Der amerikanische Schriftsteller und Erfolgsautor Colin Ross (Brockhaus bot 1940 16 verschiedene Titel von ihm an) war ein glühender Hitlerverehrer, der mit dem Diktator mehrmals zusammentraf  und diese Treffen zu den erhabensten Glücksmomenten in seinem Leben zählte: "Wohl uns, dass aus unserer Mitte ein Führer entstand, der trotz des Adlerflugs seines Willens, trotz der Genialität seines Geistes ein einfacher schlichter Mann blieb. Wohl uns, dass wir in eine Zeit hineingeboren sind, in der so großes sich vollendet." (Colin Ross - Das Neue Asien - Leipzig 1941, 17)

(21) Colin Ross - Das Neue Asien - Leipzig 1941, 251

(22) Ebenda: 249/250

(23) Sven Hedin - Ohne Auftrag in Berlin - Buenos Aires 1950, 190

(24) Ebenda: 191

(25) Institut für Zeitgeschichte - München: Vernehmung Ernst Schäfer A – 1948156 vom 1. 4. 47

(26) Reinhard Greve - "Tibetforschung im SS-Ahnenerbe" in Thomas Hauschild - Lebenslust und Fremdenfurcht - Ethnologie im Dritten Reich - Frankfurt 1995, 181

(27) Staatsarchiv München – Staatsanwaltschaften – 34 878/ 51, 272

(28) Universitätsarchiv München OC-XI-9 – Loseblatt. Die eigentliche Gründung des Instituts hatte schon ein halbes Jahr vorher (am 10. Juni 1942) stattgefunden, ebenfalls in Anwesenheit Sven Hedins. Walther Wüst, hielt die Einleitungsrede und verlas einen Brief des Reichsführers-SS, Heinrich Himmler.

(29) Deutsche Allgemeine Zeitung – 18. Jan. 1943. Karl E. Meyer und Shareen Blair Brysac - Tournaments of Shadow - The great game and the race for Empire in Central Asia - Washington 1999, 519

(30) Mechtilde Rössler und Sabine Schleiermacher - "Himmlers Imperium auf dem Dach der Welt - Asienexpeditionen im Nationalsozialismus" - in Hubenstorf  (Hrsg.) u. a. - Medizingeschichte und Gesellschaftskritik - Festschrift für Gerhard Baader - Husum 1997, 446

(31) Michael H. Kater - Das Ahnenerbe der SS 1935-1945 - Ein Beitrag zur Kulturpolitik des Dritten Reiches - München 1997, 215

(32) Staatsarchiv München – Staatsanwaltschaften – 34 878/ 49, 10 – Anlage 2

(33) Ebenda: 213

(34) Volker Ackermann - Nationale Totenfeiern in Deutschland: Von Wilhelm I. bis Franz Joseph Strauß. Eine Studie zur politischen Semiotik - Stuttgart 1990, 114

(35) Institut für Zeitgeschichte - München: Vernehmung Ernst Schäfer A – 1948156 vom 2. 4. 47


Kapitel 3

Ernst Schäfer und Tibets Regent Reting Rinpoche: "Treffen des westlichen und östlichen Hakenkreuzes in Freundschaft und Frieden"

 

Index: Die Nazi-Tibet-Connection

 

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