Nazi-Tibet-Connection
© Victor
und Victoria Trimondi
Was
interessierte die Nazis an Tibet und am tibetischen Buddhismus?
Kapitel 2
Ernst Schäfer (1910-1992) - Tibetexperte der SS - Grundlagen einer
nationalsozialistischen Naturwissenschaft
Ernst Schäfer, Sohn eines
einflussreichen Hamburger Industriellen und Direktors des Gummikonzerns
"Phoenix", wurde wie Sven Hedin von der "Forscheritis"
(eigene Worte) ergriffen, die ihn zeitlebens nicht mehr loslassen sollte.
So belegte er in der Absicht, ein Forscherleben zu führen, an der
Universität Göttingen die Fächer Zoologie, Botanik, Völkerkunde, Geographie
und Geologie und spezialisierte sich in Ornitologie. In den 30er Jahren
hatte er schon an zwei
Tibetexpeditionen (1931/32 und 1934/36) unter amerikanischer Leitung
(Brook-Dolan) teilgenommen. (1) Der Panchen Lama empfing ihn 1934 in China
und stattete ihn mit einem Reisepass für ganz Tibet aus.
Schon als 23-jähriger Student
war Schäfer SS-Anwärter (Spätere SS-Nummer: 138803; Parteinummer 4690995).
Aufgrund seiner Expeditionserfolge von 1936 erregte er die Aufmerksamkeit
Himmlers. Dieser ernannte ihn schon bald zum "SS-Untersturmführer im
Persönlichen Stab". Gemeinsam mit dem Reichsführer-SS und anderen
Leitern des "Ahnenerbes" wurde dann die "SS-Expedition
Schäfer" ins Leben berufen. Himmler erklärte sich zum
"Schirmherrn" des Unternehmens, dessen offizielle Bezeichnung
folgendermaßen lautete: "Tibet Expedition Ernst Schäfer. Unter
Schirmherrschaft des Reichsführers-SS Himmler und in Verbindung mit dem
Ahnenerbe e. V. Berlin". (2)
Heinrich Himmler verband mit
der geplanten Tibetexpedition offensichtlich okkult-rassistische Interessen.
Hier das Protokoll von einer der Unterredungen, die er mit Schäfer nach
dessen Rückkehr aus dem Himalaja führte: "Ob ich in Tibet Menschen mit
blonden Haaren und blauen Augen begegnet sei, wollte er [Himmler] wissen.
Als ich dieses verneinte, fragte er mich, wie denn nach meiner Meinung der
Mensch entstanden sei." - Schäfer will kurz seine Kenntnisse zur
humanen Evolutionsgeschichte skizziert haben - "Himmler hörte ruhig
zu. Dann schüttelte er den Kopf: 'Akademische Lehrmeinungen, Schulweisheit,
Arroganz der Universitätsprofessoren, die wie Päpste auf ihren Lehrstühlen
sitzen [....] aber von den wirklichen Kräften, die die Welt bewegen, haben
sie nicht die leiseste Ahnung [....] Nun ja, für die minderen Rassen mag
das allenfalls zutreffen, aber der nordische Mensch ist beim letzten
tertiären Mondeinbruch direkt vom Himmel gekommen'. Himmler hatte leise
gesprochen, er sprach wie ein Priester. Die Kamarilla schwieg, und auch ich
war sprachlos. Ich glaubte mich in ein heidnisches Kloster versetzt [....]
'Sie müssen noch viel lernen', fuhr Himmler schulmeisterlich fort, 'vor
allem die Runenschrift und die Grundlagen der indo-arischen
Sprachwissenschaften. Und natürlich müssen sie die Werke Hörbigers
[Erfinder der 'Welteislehre'] studieren. [....] Der Führer befasst sich
seit langem mit der Welteislehre. Es gibt noch zahlreiche Reste der
tertiären Mondmenschen, letzte Zeugen der verschollenen, ehemals
weltumspannenden Atlantiskultur. In Peru zum Beispiel, auf der Osterinsel
und, wie ich vermute, in Tibet." (3)
Auch in seinem
Entnazifizierungsverfahren kommt Schäfer mehrmals auf Himmlers "seltsame Ansichten"
zu sprechen und bezichtigt gleichzeitig viele seiner ehemaligen
Ahnenerbenkollegen okkulter Neigungen: "Sie glaubten alle an die
Welteislehre. Das war natürlich ganz unwissenschaftlich. Aber die Herren
haben keine anderen Bücher gelesen. Das ist eine so tolle Geschichte, dass
man es fast nicht glauben kann. Sie neigten alle zu der okkulten
Seite." (4)
Obgleich es sich um einen
SS-Projekt handelte, musste sich der gesellschaftlich gut situierte
Industriellensohn die finanziellen Mittel für die Tibet-Expedition
eigenhändig besorgen. Die Schutz-Staffel übernahm allein die
Rückflugkosten. Dennoch wurde der Auszug der Deutschen mit viel Presse und
mit großem Aufwand in der Öffentlichkeit diskutiert. "SS – Männer
durchforschen Buddhas Reich" – "Im Geiste der SS durchgeführt.
Himalaya Expedition unter der Schirmherrschaft Himmlers" – so oder
ähnlich lauteten die Headlines. (5) Vor ihrer Abreise verpflichtete
Himmler die Tibetforscher persönlich auf bestimmte
"SS-Grundsätze", unter denen an erster Stelle stand:
"Niemals zu vergessen, dass ein jeder Vertreter der
nationalsozialistischen Weltanschauung und des deutschen Volkes ist."
(6)
Vor Beginn der Expedition kam
es zu diplomatischen Verwicklungen mit dem britischen Außenministerium, das
die Einreise der Deutschen über Sikkim nach Tibet nicht billigen wollte.
Schäfers guten internationalen Kontakte, aber auch die Tatsache, dass
Himmler höchst persönlich in die Diplomatie eingriff, führten schließlich
zum Erfolg. Der Reichsführer-SS hatte an die englischen Behörden einen
Brief verfasst, in dem er darauf verwies, wie zuvorkommend englische
Staatsbürger durch die deutschen Behörden behandelt würden und dass er das
Verhalten der Briten als skandalös empfinde. Das Schreiben wirkte. Die
deutschen Tibetforscher erhielten die Erlaubnis nach Sikkim einzureisen.
(7)
In Indien wurden die
Deutschen von den Medien empfangen. Schäfer resümierte später: "Die
Indische Presse beschäftigte sich in spaltenlangen Artikeln mit den
'Nazispionen' und der Vertretern der 'Schwarzen Garde Hitlers', die unter
wissenschaftlichen Vorwänden nach Indien gekommen seien, um zu intrigieren
und das britische Prestige zu unterminieren." (8) Solche
"Unterstellungen" hätten jedoch – so Schäfer – die
Expeditionsteilnehmer nur zusammengeschweißt "und mit dem Willen
beseelt, auf Biegen und Brechen durchzuhauen." (9) In einem Vortrag
des "Himalaja Clubs" (Indien) stellte er das Zustandekommen des
Unternehmens folgendermaßen dar: "Ich erhielt ein Telegramm vom
Reichsführer-SS Himmler, in dem er mich bat, ihn aufzusuchen und meine
Ziele und Vorstellungen darzustellen. Da ich schon seit langer Zeit ein
Mitglied des Schwarzen Ordens (im engl. Original "Black Guard")
war, bin ich nur zu froh gewesen, dass der höchste SS-Führer, selber ein
sehr begabter Amateurwissenschaftler, in meiner Forschungsarbeit
interessiert war. Es gab keine Notwendigkeit den Reichsführer-SS zu
überzeugen, denn er hatte dieselben Ideen." (10)
Während der Expedition stand
Himmler in ständiger Korrespondenz mit dem Tibetforscher. In dem
Briefmaterial befindet sich der
folgende Satz des Reichsführers: "Was die Engländer als gentleman bezeichnen, das nennen wir
einen SS-Mann." (11) Die Engländer sahen dies jedoch anders. Sir Basil
Gould vom britischen India Office, der Schäfer 1938 in Lhasa traf,
charakterisierte den Deutschen folgendermaßen: "interessant,
kraftvoll, launisch, gelehrt, eitel bis hin zur Infantilität, respektlos
gegenüber den sozialen Konventionen und Gefühlen anderer, und zuerst und
vor allem ein Nazi und ein Politiker." (12)
Von Sikkim aus wollte Schäfer
direkte Verhandlungen mit der tibetischen Regierung aufnehmen, um eine
Einreisegenehmigung zu erhalten, obgleich er den Briten versprochen hatte,
die Grenze nach Tibet nicht zu überschreiten. In einem Brief an den Rajah des Landes, einem Vertrauten
des tibetischen Regenten, verwies er auf das "historische Treffen der
östlichen und westlichen Swastikas", das in Lhasa stattfinden könne.
(13) Der Rajah setzte sich bei den Tibetern ein, Schäfer schrieb einen
Brief an den Regenten von Tibet, in dem er bat, dass er und seine
"Kameraden" als "erste Sendboten unseres Volkes", das
Land besuchen dürfen, und erhielt
die offizielle Einreiseerlaubnis. In einem Antwortschreiben "An den
deutschen Herrn Dr. Schäfer, Meister der Hundert Wissenschaften" wurde
ihm erlaubt, sich insgesamt zwei Wochen in der Hauptstadt des Landes
aufzuhalten. (14) Nach der Einschätzung des SS-Mannes trafen die
Expeditionsteilnehmer ständig auf Sympathien unter der Bevölkerung. Den
Deutschen ging sogar das Gerücht voraus, sie wären dabei, Südtibet zu
besetzen und "die deutsche Hakenkreuzflagge wehe über den englischen
Forts in Gyangtse und Yatung." (15)
Als "ersten Deutschen in
Lhasa" wurde den Expeditionsteilnehmern vom damaligen tibetischen
Regenten Gyalpo Reting Chutuktu ein herzlicher Empfang bereitet. Auch
zwischen Adeligen und Lamas auf der einen und den SS-Männern auf der
anderen Seite entwickelten sich "freundschaftliche Beziehungen",
denen der britische Resident in Tibet, Hugh Richardson, größtes Misstrauen
entgegengebrachte, denn mittlerweile war die deutsche Wehrmacht in die
Tschechoslowakei einmarschiert. Es kam zu gespannten Szenen. Schäfer wurde
von Richardson öffentlich provoziert und konterte in seinem
Expeditionstagebuch: "Am liebsten hätten wir diesem frechen,
eingebildeten Fatzken eines in die Fr... gehauen - doch unsere Expedition
soll ja zu einem erfolgreichen Ende kommen." (16)
Im August 1939 kehrte die
"SS-Expedition Schäfer" nach Deutschland zurück und wurde mit
großem Pomp von Himmler auf dem Münchner Flughafen empfangen. Für seine
außerordentlichen Verdienste erhielt der Tibetforscher den SS-Totenkopfring
und den SS-Ehrendegen als Auszeichnungen. Er begleitete Himmler in dessen
Sonderzug (Heinrich) durch das
besetzte Polen, besuchte anschließend Frankreich, hielt dort Vorträge und
zählte fortan zum engsten Freundeszirkel um den Reichsführer-SS.
Anschließend hatte Himmler
weitere Pläne mit Schäfer. Dieser sollte zum vierten Mal nach Tibet reisen
und zwar mit einem SS-Stoßtrupp von 30 Mann, um à la Lawrence von Arabien,
wie es wörtlich hieß, "die tibetische Armee gegen die britisch-
indischen Truppen auf[zu]wiegeln." (17) Der Tibetforscher wollte
sofort losschlagen, aber der Reichsführer-SS ermahnte ihn väterlich in
einem Brief aus seinem Sonderzug Heinrich: "Ebenso wie
wissenschaftlicher Dilettantismus verwerflich ist, ebenso ist es
militärischer und soldatischer, wenn sie eine soldatische Aufgabe zu lösen
bekommen, müssen sie zunächst zum Soldaten ausgebildet und erzogen werden.
Mit ein bisschen Sabotage und Herumsprengen ist es nicht getan." (18)
In der SS-Standarte "Der Führer" lernte Schäfer dann den Umgang
am mittleren und schweren Granatwerfer und am schweren MG.
Der "deutsche
Lawrence" plauderte aber unvorsichtigerweise das Unternehmen aus, so
dass es zu argen Differenzen mit Himmler kam. Jedenfalls wurde dieser
"Sonderauftrag" auf die direkte Intervention Hitlers hin
zurückgenommen. Im Januar 1940 billigte aber die Leitung des SS-Ahnenerbes
Ernst Schäfer die Errichtung einer "Forschungsstätte für Innerasien
und Expeditionen". Diese Institution sollte unter anderem das Material
der SS Tibetexpedition auswerten. Im Oktober desselben Jahres besuchte Sven
Hedin das Institut, um das Filmmaterial und die Exponate, die man aus Tibet
mitgebracht hatte, zu begutachten. Hedin war von den Aufnahmen beeindruckt:
"Wir sahen ebenfalls die Prozessionen und Zeremonien der Lamapriester
und den immer gleich malerischen Tempeldienst mit seinen Trommeln, Posaunen
und Flöten sowie seiner unergründlichen Mystik." (19)
Auch Himmler verlor
Innerasien nicht aus dem Blick. Am 21. März 1940 traf er sich mit Sven
Hedin und diskutierte mit ihm über ein Buch von Colin Ross Das neue Asien, von dem in weniger
als zwei Jahren fünf Auflagen verkauft wurden. (20) Der Text behandelt die
Umwälzungen im Fernen Osten und kommt auch auf religionspolitische Fragen zu sprechen.
Besonders interessant ist der Passus über Tibet und den Dalai Lama. Ross
vertritt hier die Meinung, dass im Kräftespiel Asiens der Lamaismus zwar
geschwächt sei, aber dennoch die alleinige Macht darstelle, auf die das
faschistische Japan setzen könne, um seine Herrschaft über China zu
errichten. Es sei falsch, "den ganzen Lamaismus als eine erledigte
Angelegenheit anzusehen." - schreibt Ross - "Wäre das der Fall,
würden sich die Japaner nicht so um ihn bemühen. Wenn für das machthungrige
Inselvolk überhaupt eine Möglichkeit besteht, zu der angestrebten Herrschaft
über ganz Asien zu gelangen, dann wahrscheinlich nur auf dem Wege über
Tibet und den Lamaismus. Hier allein findet es die geistige Kraft,
Institution und Legende vor, deren es bedarf. [....] Die in China
vorhandene religiös-politische Überlieferung reicht also nicht aus, um mit
ihrer Hilfe die japanische Herrschaft oder zu mindestens Mitherrschaft zu
begründen. Es bedarf einer stärkeren geistigen Kraft. Die aber ist in Tibet
vorhanden, vorausgesetzt, dass der Lamaismus die gegenwärtige Krise überdauert,
dass er sich erneuert, modernisiert und wie jeder Glaube, der heute etwas
erreichen will, sich nicht nur des Tabernakels bedient, sondern
gleicherweise des Traktors und notfalls des Tanks." (21)
Ross geht also davon aus,
dass tibetischer Lamaismus und japanischer Staatsfaschismus sich bestens
miteinander vertragen. Es ist die "theokratische" Idee vom
"Gottkaiser" bzw. "Gottkönig", die beide Länder
miteinander teilen: "Die Soldaten der chinesischen Republik aber"
- so Ross - "glauben allenfalls an die Demokratie." (22)
Wahrscheinlich hat sich Himmler von
solchen Einschätzungen bei der Planung von Schäfers zweiter, diesmal
militärischen, SS-Tibetexpedition inspirieren lassen.
Als Sven Hedin den
Reichsführer-SS erneut aufsuchte, legte dieser ihm seinen Schützling Ernst
Schäfer ganz besonders ans Herz: "Ich kann Ihnen, Herr Doktor" -
so Himmler - "nicht genug danken für die Aufmunterung, die Sie ihm
[Schäfer] haben zuteil werden lassen. Sie ahnen nicht, was es für einen
29jährigen bedeutet, Unterstützung und Verständnis von einem erfahrenen
Veteranen zu erhalten." (23) Hedin konnte seine
"Patenschaft" für den 29-jährigen direkt in die Tat umsetzen. Er
wusste von dem Wunsch Walther Wüsts, Schäfer zum "Professor der
Vererbungslehre" zu ernennen und dass der Zoologe damit nicht
einverstanden war. Als Hedin Himmler darauf ansprach, antwortete der
Reichsführer großzügig: "Solches braucht er überhaupt nicht zu
fürchten." - dann fügte er geheimnisvoll hinzu - "Nach dem Kriege
wird er neue Aufgaben im Zusammenhang mit Deutschlands weit reichenden
Plänen bekommen. Ich gedenke nicht, ihn schon jetzt seine Ergebnisse
veröffentlichen zu lassen, weder seine volkstümlichen Bücher, seine
Farbaufnahmen noch seinen prächtigen Farbfilm in Verbindung mit
öffentlichen Vorträgen. Die Sensation, die er damit hervorrufen könnte,
würde in dem alles umfassenden Interesse für den Krieg ertrinken."
(24) Dass diese "Sensationen" nicht rein wissenschaftlicher Natur
waren, sondern einen rassenpolitischem Inhalt hatten, darauf kommen wir
noch zu sprechen.
Im Oktober 1941 fuhren
Wolfram Sievers, Ernst Schäfer und der Tibet Kameramann Ernst Krause in das
KZ-Dachau und wurden Zeugen eines Humanexperiments, das der Stabsarzt der
Luftwaffe Dr. Sigmund Rascher an einem Häftling durchführte. "Draußen
stand ein Omnibus," - so Schäfer - "der mir vorher nicht
aufgefallen war. Rascher leitete dort einen Versuch an einem Häftling. Der
Omnibus bestand aus zwei Kammern, einer Luftkammer, Unterdruckkammer, einem
Vakuum und einem Stand, in welchem Rascher drin war mit Hebeln und allem
Möglichen. Der Motor lief und dort hing an einem Fallschirm ein
Häftling." (25) Rascher wollte, dass seine Experimente gefilmt würden,
um anhand dieses Materials Vergleiche anzustellen. Er experimentierte in
Anwesenheit der genannten Personen über Luftembolien im Gehirn und die
Reaktionen von Menschen auf Unterdruck. Es gab Fälle, bei denen die Lungen
der Häftlinge während des Experiments explodierten. Als Ernst Schäfer
Raschers Büro betrat, sah er dort mehrere Gefäße mit menschlichen Gehirnen,
die der KZ-Doktor den beiden Besuchern zeigte, während er sie fragte, ob es
ihnen grusele. Schäfer bekannte später, er habe sich zutiefst betroffen
gefühlt, aber Konsequenzen habe er nicht daraus gezogen.
Im Frühjahr 1942, als die deutsche
Armee tief in den Osten eingedrungen war,
befahl der Reichsführer-SS, die "Tibet- und gesamte
Asienforschung" bevorzugt zu fördern. Diese galt von nun an als
"kriegswichtige Zweckforschung" und stand unter dem Überbegriff
"Kriegseinsatz der Wissenschaften". (26) Das Interesse der Nazis
an Innerasien wuchs in diesen Jahren beträchtlich. Es wurden zahlreiche
Presseartikel publiziert, die eine neue innerasiatische Ordnung forderten.
Insbesondere der Kaukasus,
der kurz vor der Eroberung durch die deutschen Truppen stand, rückte in den
Mittelpunkt von Himmlers Vorstellungswelt. Am 10. August gab er den Befehl
zur "Totalerforschung des Kaukasus" ("Projekt K"). Nach
dem Modell der SS-Tibetexpedition sollten erneut Wissenschaftler unter der
Leitung von Ernst Schäfer die besagte Region nach botanischen,
landwirtschaftlichen, zoologischen, entomologischen, geophysikalischen
Gesichtspunkten untersuchen. Neben militärischen Zielsetzungen glaubte man
auch im Kaukasus auf Spuren eines "arischen Menschenschlages" zu
stoßen. Aber die Ereignisse in Russland (Stalingrad) setzten dem
"Projekt K" ein jähes Ende.
Stattdessen baute Schäfer in
den letzten Kriegsjahren mit bemerkenswertem Erfolg das Sven Hedin Institut für
Innerasienforschung als eine Unterabteilung des SS-Ahnenerbes auf. Bei
der Planung, die noch in Zeiten deutschen Kriegsglücks stattfanden,
schwelgte die gesamte Führungsspitze des SS-Vereins in Großmachträumen.
Sievers, Wüst und Schäfer diskutierten tatsächlich, ob sich das Institut
auf Zentralasien beschränken oder die ganze Welt einbeziehen sollte. (27)
Nach einigem Zögern hatte der berühmte Schwede seine Zustimmung dafür
gegeben, seinen Namen herzuleihen. Die eigentliche Eröffnung fand am
Samstag den 16. Januar 1943 statt, für die Münchner Ludwig Maximilian
Universität ein großer Festtag. Vormittags wurde vom Rektor und
ordentlichen Professor der Arischen Kultur- und Sprachwissenschaft Dr.
phil. habil Walther Wüst an Sven Hedin der Doktorgrad der
Naturwissenschaftlichen Fakultät ehrenhalber (doctor rerum naturalim in
honoris causa) verliehen. In der Ernennungsurkunde hieß es: "Die
naturwissenschaftliche Fakultät ehrt damit den kühnen und erfolgreichen
Erforscher Zentralasiens, der mit unermüdlicher Hingabe die Hochgebirge und
Wüsten dieses Raumes erschlossen, die Geheimnisse untergegangener Kulturen
entschleiert und durch die Organisation und Leitung seiner
Zentralasienexpeditionen ein großartiges Beispiel der wissenschaftlichen
Zusammenarbeit schwedischer und deutscher Gelehrter gegeben hat. Sie
bekundet damit zugleich ihre Verehrung für die edle Vornehmheit des Mannes,
der nie gezögert hat, mannhaft für die Geltung deutscher Kultur
einzutreten." (28) Fahnenmärsche, der erste Satz der Jupiter-Symphonie
von W. A. Mozart, Führerehrung und Lieder der Nation begleiteten das
Ereignis. Nachmittags zeigte man die Uraufführung von Schäfers Film Geheimnis
Tibet im Ufa-Palast, Sonnenstrasse 8. Sven Hedin war völlig
hingerissen. "Großartig, wunderbar, was wir hier gesehen haben!"
rief er aus und schüttelte dem jungen SS-Untersturmführer immer wieder die
Hand: "Sie sind der Mann, der meine Forschungen fortsetzen sollte und
muss!" – sagte er zu Schäfer. (29) Am folgenden Tag fuhr man zur
Eröffnung der Tibetausstellung in Salzburg.
Schäfer machte aus dem Sven Hedin Institut die größte
Abteilung innerhalb des SS-Ahnenerbes, so dass Walther Wüst in einer
Aktennotiz vorschlug: "Das Beste wäre wohl, wenn wir zu einem
Reichsinstitut würden, das dem Reichsführer SS [Himmler] direkt
untersteht." (30) Dies sollte
auch ohne Schwierigkeiten gelingen, denn schon 1942 hatte Himmler befunden,
"dass die Tibet- und die gesamte Asienforschung hier zentral
zusammengefasst und stärkstens ausgebaut werden soll." (31) Schloss
Mittersill in Tirol wurde zur Heimat des Instituts. Im SS-Ahnenerbe träumte
man von einer elitären Wissenschaftsakademie: "Es soll Mittelpunkt für
Wissenschaftler werden. Von Zeit zu Zeit sollen hervorragende
Wissenschaftler dort zusammenkommen, Vorträge aus ihren Arbeitsgebieten
halten und dabei in der schönen Umgebung bei Sport und Jagd ihre Gedanken
austauschen." Himmler dachte sogar daran, dass Mittersill
"Ausgangspunkt der großen SS-Expeditionen" werden sollte. (32)
Schäfer konnte jedoch nur wenige anerkannte Fachkräfte an sein
"Imperium" binden. Zu den von ihm engagierten Wissenschaftlern
zählten auch die beiden Tibetologen Helmut Hoffmann und Johannes Schubert
und der Mongolist Wilhelm Alexander Unkrig. Neben der jeweiligen
Qualifikation spielte jedoch "die Atmosphäre männlich-herzlicher
Kameraderie, die der Draufgänger Schäfer stets zu verbreiten wußte",
eine genauso große Rolle für den Erfolg des Instituts. (33)
Trotz seiner
Arbeitsüberlastung widmete sich der Zoologe Schäfer noch der Tierzucht von
Tibethunden und von Pferderassen. Man hat dies als eine "Marotte"
abgetan, aber die Ergebnisse der Pferdezüchtung waren nichts anderes als
Vorexperimente der von Himmler in großem Stil geplanten Menschenzüchtung:
"Wie wir unser altes hannöverisches Pferd aus wenigen reingebliebenen
Vater- und Muttertieren wieder herausgezüchtet haben," – so der
ausgebildete Landwirt - "so werden wir aus dem besten deutschen Blut
durch Verdrängungskreuzungen im Laufe der Generationen wieder den reinen
Typ des nordischen Deutschen züchten." (34)
Während seines
Entnazifizierungsverfahrens (1947) wurde Schäfer zu einer Art Kronzeuge der
Anklage und kam deswegen trotz seiner hohen Stellung innerhalb des
SS-Ahnenerbes ungeschoren davon. Der Industriellensohn gab sich weltoffen,
gewandt und sprach fließend Englisch. Seine fachlichen Qualifikationen als
Zoologe galten als unumstritten. Das gab seinen Aussagen in weiteren
Verfahren gegen andere Angehörige der SS Gewicht und Seriosität. Er
bezeugte unter anderem, dass Himmler den Plan fasste, die polnische
Intelligenzija physisch auszurotten und er gab die Namen derjenigen
Personen preis, die zum exklusiven "Freundeskreis" des
Reichsführers-SS zählten. Weiterhin bestätigte er, dass dort über das
Massenvernichtungsmittel "Sulfa" referiert wurde, das später in
Konzentrationslagern zur Anwendung kommen sollte.
Sich selbst schilderte
Schäfer als das Opfer seiner Umwelt, als einen Mann, der "aus der
Wildnis kam" (unter Bezug auf seine beiden ersten Tibetexpeditionen)
und der dem Regime mit Abscheu und Hilflosigkeit gegenüber gestanden sei. e
chronische "Angstpsychose" und
seine "Weltfremdheit" hätten ihn davon abgehalten,
Deutschland zu verlassen. Vor allem präsentierte er sich als den einzig
seriösen Wissenschaftler im SS-Ahnenerbe. Alle anderen Mitglieder des
SS-Vereins außer ihm hätten einer "okkulten Seite" zugeneigt.
"Das ist eine so tolle Geschichte, dass man es fast nicht glauben
kann." - erklärte er seinen amerikanischen Befragern. (35)
1949 ging Schäfer nach
Südamerika und baute in Venezuela die "biologische Forschungsstation
Rancho Grande auf. Gleichzeitig bekleidete er eine Professur an der
Universidad Central. 1955 sehen wir ihn im Dienste des belgischen Königs
Leopold III, der ihn beauftragte einen Dokumentarfilm über den Kongo zu
drehen. Das Sven Hedin Institut für
Innerasienforschung hinterließ auch nach seiner
"Entnazifizierung" Spuren. München wurde nach dem zweiten
Weltkrieg zu einem Zentrum der Himalaja Forschung. Es entstanden private
Organisationen und Stiftungen.
(2) Teilnehmer der
Tibetexpedition waren: der Leiter Ernst Schäfer (Zoologie, Botanik), der
Geophysiker Karl Wienert (Geologie, Geographie), der Rassenkundler Bruno
Beger (physische Anthropologie/Rassenkunde), der Kameramann Ernst Krause
und der Rennfahrer Edmund Geer (Technischer Leiter). In den 80er Jahren
nannte Schäfer das SS-Unternehmen schlicht "Deutsche Tibet-Expedition Ernst
Schäfer 1938/39".
(3)
Rüdiger Sünner - Schwarze Sonne -
Entfesselung und Mißbrauch der Mythen in Nationalsozialismus und rechter
Esoterik - Freiburg 1999, 48. Nach Reinhard Greve soll sich Himmler
über den Reisebericht von Alexandra David-Neel, Ferdinand D. Lessing und
Ferdinand Ossendowski informiert haben. (Reinhard Greve – "Das
Tibet-Bild der Nationalsozialisten" – in Thierry Dodin und Heinz
Räther – Mythos Tibet – Wahrnehmungen, Projektionen Phantasien –
Köln 1997, 104)
(4)
Institut für Zeitgeschichte - München: Vernehmung Ernst Schäfer A – 1948156
vom 2. 4. 47
(5)
Bundesarchiv Berlin: NS 021 / 000168
(6)
Bundesarchiv Berlin: R 135 / 66 - Bruno Beger: "Rassenkundliche
Verhältnisse in Tibet als Forschungsziel" - 15
(9)
Bundesarchiv Berlin: R 135 / 71 – 164934
(10)
Reinhard Greve – "Das Tibet-Bild der Nationalsozialisten" – in
Thierry Dodin und Heinz Räther – Mythos Tibet – Wahrnehmungen,
Projektionen Phantasien – Köln 1997, 172 (Übersetzung aus dem
Englischen). In einem Interview aus dem Völkischen Beobachter vom
11. Dezember 1942 ist zu dem selben Ereignis zu lesen: "Aus diesem
Grunde trat ich 1936 an den Reichsführer-SS Heinrich Himmler heran und fand
in ihm den größten und selbstlosesten Förderer meiner Ideen. Sicher nicht
nur deshalb, weil er selbst Wissenschaftler ist, sondern weil der
Expeditionsgedanke ein Pioniergedanke ist und dem Wesen der SS
entspricht."
(15)
Bundesarchiv Berlin – R 135 / 71 – 164936
(16)
Reinhard Greve - "Tibetforschung im SS-Ahnenerbe" in Thomas
Hauschild - Lebenslust und
Fremdenfurcht - Ethnologie im Dritten Reich - Frankfurt 1995, 176
(17)
Michael H. Kater - Das Ahnenerbe der SS 1935-1945 - Ein Beitrag zur
Kulturpolitik des Dritten Reiches - München 1997, 212
(18)
Bundesarchiv Berlin: NS 19 – 2709 – F. 1 –
15
(19)
Sven Hedin - Ohne Auftrag in Berlin
- Buenos Aires 1950, 166
(21) Colin Ross - Das Neue Asien - Leipzig 1941, 251
(23) Sven Hedin - Ohne Auftrag in Berlin - Buenos Aires
1950, 190
(25) Institut für
Zeitgeschichte - München: Vernehmung Ernst Schäfer A – 1948156 vom 1. 4. 47
(26) Reinhard Greve -
"Tibetforschung im SS-Ahnenerbe" in Thomas Hauschild - Lebenslust und Fremdenfurcht -
Ethnologie im Dritten Reich - Frankfurt 1995, 181
(28) Universitätsarchiv
München OC-XI-9 – Loseblatt. Die eigentliche Gründung des Instituts hatte
schon ein halbes Jahr vorher (am 10. Juni 1942) stattgefunden, ebenfalls in
Anwesenheit Sven Hedins. Walther Wüst, hielt die Einleitungsrede und verlas
einen Brief des Reichsführers-SS, Heinrich Himmler.
(30) Mechtilde Rössler
und Sabine Schleiermacher - "Himmlers Imperium auf dem Dach der Welt -
Asienexpeditionen im Nationalsozialismus" - in Hubenstorf (Hrsg.) u. a. - Medizingeschichte und Gesellschaftskritik - Festschrift für
Gerhard Baader - Husum 1997, 446
(31) Michael H. Kater - Das
Ahnenerbe der SS 1935-1945 - Ein Beitrag zur Kulturpolitik des Dritten
Reiches - München 1997, 215
(34) Volker Ackermann - Nationale
Totenfeiern in Deutschland: Von Wilhelm I. bis Franz Joseph Strauß. Eine
Studie zur politischen Semiotik - Stuttgart 1990, 114
(35) Institut für Zeitgeschichte - München: Vernehmung Ernst
Schäfer A – 1948156 vom 2. 4. 47
Kapitel 3
Ernst Schäfer und Tibets Regent Reting
Rinpoche: "Treffen des westlichen und östlichen Hakenkreuzes in
Freundschaft und Frieden"
Index: Die Nazi-Tibet-Connection
|