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Nazi-Tibet-Connection


© Victor und Victoria Trimondi

Was interessierte die Nazis an Tibet?

Deutsche Hakenkreuze im Himalaja – Die SS-Tibetexpedition und ihre Protagonisten in 9 Kapiteln (Auszug aus dem Buch „Hitler-Buddha-Krishna – Eine unheilige Allianz vom Dritten Reich bis heute“ – Wien 2002 – Ueberreuter Verlag)


Kapitel 7

 

Einsatz der Tibetologen für den Nachweis einer verschollenen ur-arischen Hochkultur in Tibet

 

Von Lhasa aus wollte Schäfer als erster weißer Forscher "das Geheimnis Jaling Podrangs, der alten Hauptstadt Tibets, [ ... ] ergründen." (1) Tatsächlich erhielt er von der tibetischen Regierung die Erlaubnis, die Festungsruinen der Yarlung-Könige zu besuchen. (2) Das war ein ganz besonderes Privileg, welches dem britischen Repräsentanten in Tibet, Hugh Richardson, versagt wurde. "Viel Romantik ist mit diesen alten tibetischen Burgen, die so recht an die Erinnerungen an unsere eigenen mittelalterlichen Zeiten hervorrufen, verbunden." - schwärmte der SS-Mann. (3) Die archäologischen Überreste wurden von den deutschen Tibetforschern vermessen, fotografiert und gefilmt. Es dürfte kaum zweifelhaft sein, dass sie im Tal der tibetischen Könige nach Resten jener mysteriösen "arischen Urkultur" suchten, die einst auf dem "Dach der Welt" geherrscht haben sollte und deren südamerikanische Spuren der SS-Atlantisspezialist Edmund Kiss im Sonnentor von Tiahuanaco entdeckt zu haben glaubte.

 

Beger hatte fieberhaft daran gearbeitet, Überreste der arischen Rasse unter den Einwohnern des Schneelandes nachzuweisen, man hatte die Ruinen aus der Yarlung Dynastie dokumentiert und man brachte Heilige Texte aus der vorbuddhistischen Bon-Zeit mit, die nach "arischen" Elementen durchforstet werden sollten. So schlug nach der Rückkehr der "Abenteurer" (Schäfer und Beger) die Stunde der Tibetologen Helmut Hoffmann (1912 – 1992) und Johannes Schubert. Sie sollten Himmlers Vision von einer arischen "Hochkultur" im Himalaja wissenschaftlich begründen, indem sie das literarische Material, das die Forscher in ihrem Reisegepäck hatten, entsprechend bearbeiteten: Eine Ausgabe des Kangyur (das ist eine Schriftenreihe der Lehren Buddhas in 92 Bänden), Bon Texte, historische Dokumente und Briefe.

 

Helmut Hoffmann hatte 1937 in Berlin mit eine Arbeit über den Buddhismus promoviert. (4) 1938 forderte er in einem fachkundigen Aufsatz die deutsche Tibetforschung auf, sich durch die Übersetzung von Original-Texten zu qualifizieren. Seine später bei Professor Guiseppe Tucci in Rom eingereichte Habilitationsschrift behandelte die vorbuddhistische Bon-Religion des Landes. Mit Johannes Schubert zusammen vertrat Hoffmann einen interdisziplinären Ansatz. 1941 holte ihn Ernst Schäfer als wissenschaftlichen Referenten ins Sven Hedin Institut für Innerasienforschung. In einem Schreiben Wolfram Sievers an Schäfer vom 20. Nov. 1940 heißt es bürokratisch: "Der Antrag an den Reichsführer-SS, Dr. Hoffmann als wissenschaftlichen Mitarbeiter der Forschungs- und Lehrgemeinschaft 'Das Ahnenerbe' zu berufen, läuft von dem Kurator [Walther Wüst] an den Reichsführer als Präsidenten der Forschungs- und Lehrgemeinschaft 'Das Ahnenerbe'." (5) Am 22. Oktober 1948 übernahm Helmut Hoffmann an der Münchner Ludwig Maximilian Universität  den Lehrstuhl von Walther Wüst. Dessen "Seminar für arische Kultur- und Sprachwissenschaft" wurde jetzt in "Institut für Indologie und Iranistik" umbenannt. 1968 enthob das bayrische Staatsministerium für Unterricht und Kultus den Tibetologen seines Amtes, weil er homosexuelle Beziehungen zu einem Assistenten unterhalten und diesem außerhalb aller  Qualifikationskriterien eine Anstellung an seinem Institut verschafft  hatte. (6)

 

In seinem  Entnazifizierungsverfahren betonte der Tibetologe, er habe sich immer strengstens an das wissenschaftliche Reglement gehalten und über die "Hirngespinste" anderer SS-Ahnenerben Mitglieder nur den Kopf schütteln können. Hoffmann verfolgte damit dieselbe Taktik wie Ernst Schäfer, indem er eine scharfe Trennungslinie zwischen Wissenschaftsgerechtigkeit und okkulter Spekulation zog, die es so in dem SS-Verein niemals gegeben hat. Obgleich weder Mitglied der NSDAP noch der SS, machte der Tibetologe den Rummel um Schäfers Film voll mit: "Kaum ein Land der Welt ist von solchen Geheimnissen umwoben wie gerade Tibet, wo die merkwürdigsten Dinge selbstverständlich scheinen, [....] wo mächtige Priester die weltliche und die geistliche Herrschaft in Händen haben." – schrieb er in einem Propagandaaufsatz zu Geheimnis Tibet, um den ihn Beger gebeten hatte. (7) Auch wenn sich Hoffmann opportunistisch verhielt, so soll seine hohe wissenschaftliche Qualifikation keineswegs angezweifelt werden. Ebenso wie Walther Wüst und Ernst Schäfer stellte er seine beachtlichen Fachkenntnisse dem SS-Ahnenerbe, und damit  der "Großen Idee", d. h. Rekonstruktion eines "urarischen Glaubens", zur Verfügung.

 

Die ungezeichnete Desiderata-Liste, die den Teilnehmern der SS-Expedition mitgegeben wurde und in der Objets und Beobachtungen aufgeschrieben sind, welche sie aus Tibet mitbringen bzw. während ihrer Reise tätigen sollten, ist offensichtlich von fachkundigen Tibetologen verfasst worden. Zu den dort genannten Aufgaben zählten: "Sagen über die Entstehung und Geschichte der einzelnen Plätze" zu sammeln  – ebenso die "Linienliste der Klosteräbte" – "Beziehungen der Gottheiten zu den einzelnen Bergen" –  insbesondere die Beschaffung eines "Ritualbuches für den Mount Everest und den Kanchendzönga" zur Beschwörung der Berggottheiten ausfindig zu machen –  "Genaue Bilder der Berggötter" – "Textbücher der Maskentänze" – "Einen Druck des Vaidurya Kalenders – des astrologischen Hauptwerkes" – "Gründungsurkunden der Klöster" – Die "Namen der Inkarnationen an den verschiedenen Klöstern, Listen ihrer Vorgänger". Unter der Rubrik Glaubensformen, Brauchtum und Sitte interessierte man sich für "Geburtsritus – Jünglings- und Mädchenweihe, Mannbarkeitsfest" und Hochzeitbräuche. (8) Tatsächlich wurden bei der Rückkehr der Forscher eine ganze Anzahl sehr detaillierter Angaben zu Religion, Brauchtum und den sozialen Lebensformen der Tibeter aufgezeichnet. Darunter auch die Beobachtung von "Lichterbäumen auf dem Potala", die an die deutschen Weihnachtsbäume erinnern sollten, der Vergleich tibetischer Langhörner mit den Alphörnern, analoge Maskentänze in Tibet und in den Alpen  und die Kurzbeschreibungen zahlreicher Klöster. (9)

 

Worum es den NS-Tibetologen wirklich ging, lässt sich aus den drei Forschungsschwerpunkten rückschließen, denen sich Helmut Hoffmann und auch Johannes Schubert zeit ihres Lebens (auch nach dem Kriege) gewidmet haben:

 

  1. Die Geschichte der tibetischen Könige
  2. Die Erforschung der Bon-Religion
  3. Das Kalachakra Tantra: Suche nach tibetischen Gelehrten

 

Diese Auswahl annonciert eine dahinter stehende ideologische Absicht. Das SS-Ahnenerbe war - wir wiederholen es - an dem Nachweis einer frühen arischen "Kriegerkultur" im Himalaja interessiert. Die "Priesterreligion" des Lamaismus konnte das nicht sein, sie enthielt allenfalls wichtige "Elemente" des urarischen Glaubens, die es herauszudestillieren galt. Zentraler für die "arischen Kulturwissenschaftler" war deswegen das Studium der extrem martialischen vor-buddhistischen Königsgeschichte und des vor-lamaistischen Bon-Kultes. Eine Sonderolle in der lamaistischen Literatur nahm jedoch das spät-buddhistischen Kalachakra-Tantra und die darin enthaltene kriegerische Shambhala-Vision ein  (Entstehungszeit: 10. Jh. n. Chr.). Dabei handelt es sich um einen bedeutenden tantrischen Ritualtext, von dem schon der deutsche Orientalist Albert Grünwedel in den 20er Jahren behauptet hatte, er sei nicht buddhistischen, sondern manichäischen Ursprungs. Die Manichäer aber genossen im SS-Ahnenerbe eine gewisse "arische" Reputation. (10) Es lag also nahe, das Kalachakra-Tantra besonders unter die Lupe zu nehmen.

 

Die Kriegsereignisse verhinderten jedoch einen wie auch immer gearteten  "Ariernachweis" für die drei genannten Komplexe der tibetischen Kultur. Nach 1945 setzte Hoffmann seine Forschungstätigkeit an dem von der SS-Tibetexpedition mitgebrachten Textmaterial fort, wenn auch diesmal gereinigt von jedwedem nationalsozialistischen Ideengut. Da sich die "Nazi-Tibet-Connection" im religiösen Neofaschismus zu einem beherrschenden Inhalt entwickeln konnte, sollten wir uns jedoch die drei genannten Schwerpunktthemen (tibetische Könige, Bon Kult, Kalachakra-Tantra) etwas genauer ansehen. Dabei haben wir einige Überlegungen, die der Tibetologe Helmut Hoffmann erst nach dem Kriege angestellt hat, miteinbezogen. 

 

Die Geschichte der tibetischen Könige

1950 beschrieb Hoffmann - gereinigt von jeglicher Rassenspekulation - "Die Gräber der tibetischen Könige im Distrikt 'P'yons-rgyas", die ca. 10 Jahre vorher von den Mitgliedern der SS-Expedition aufgesucht wurden. (11) Auch in seinem kenntnisreichen Buch Religionen Tibets - Bon und Lamaismus in ihrer geschichtlichen Entwicklung (1956) hat das Kapitel über die Yarlung Könige und das ihnen vorausgehende königliche Urgeschlecht einen recht beachtlichen Umfang. Letztere waren keinesfalls Buddhisten, sondern pflegten einen besonderen schamanistisch geprägten Religionsstil. Sie leiteten ihre Herkunft von Mitgliedern eines alten Geisterclans ab, die aus der Region des Himmels auf die Erde herabgestiegen seien. Auch die zwei mächtigsten Herrschergestalten der späteren Yarlung-Dynastie, Songtsen Gampo (12) (617 - 650) und Trisong Detsen (742 - 803), hatten sich in ihren Glaubensvorstellungen noch nicht eindeutig festgelegt. Sie schwankten zwischen der Bon-Religion, dem tantrischen Buddhismus und dem Schamanismus des Landes hin und her. Erst posthum wurden sie – Jahrhunderte später – von den tibetischen Lamas zu Inkarnationen von Buddhawesen erklärt. Historisch unbestritten ist, dass die tibetischen Könige große, grausame und sehr erfolgreiche Kriegsherren gewesen sind und dass sie gleichzeitig sakrale Aufgaben als Priesterkönige wahrnahmen. Es lag also sehr nahe, in ihnen die von den Nazis gesuchten Nachkommen arischer Kriegergeschlechter zu vermuten, und so verfasste Hoffmann 1942 einen Aufsatz zu Schäfers Film Geheimnis Tibet, in dem er die  archaischen Herrscher auf dem Dach der Welt besonders und als Gegenpol zum Lamaismus herausstellte: "So gibt uns das Jarlung -Tal Zeugnis von einer ganz anderen geschichtlichen Vergangenheit Tibets Auskunft, als sie in den lamaistischen Büchern dargestellt wird. Es kündigt nicht von buddhistischen Heiligen, sondern von uralten Entstehungssagen des Volkes und von mächtigen Königen, die einst ihre Herrschaft über weite Teile Zentralasiens ausdehnten." (13)

 

Die Erforschung der Bon-Religion

Ebenso wichtig wie die archäologischen Funde aus der Yarlung Zeit sollten für den "Ariernachweis" im Himalaja die Bon-Forschungen sein. Der Tibetologe Johannes Schubert, der als Bibliothekar der Universitätsbibliothek Leipzig schon vor der Schäferexpedition enge Kontakte zu Bruno Beger pflegte, hielt als Reisevorbereitung für die Expeditionsteilnehmer einen Kurzvortrag mit dem Titel "Die heiligen Plätze der alten tibetischen Bon-Religion". Schubert forderte deren "schwerpunktmäßige" [!] Untersuchung. (14) In der schon erwähnten Aufgabenliste, die den SS-Männern für ihre Himalaja Recherchen ausgehändigt wurde, stand an zentraler Stelle: "Sehr wesentlich ist die Untersuchung über die Verbreitung des Kultes der Bon und des Padmasambhava. Heilige Plätze dieser Kulte verdienen ganz besondere Erforschung." (15) Die häufige Verwendung des Swastika-Symbols bei den Bon-po machte deren Religion besonders "arierverdächtig". Hakenkreuze wurden von den Nazi-Ideologen in jeder Kultur, wo immer sie auch aufgetreten sein mögen, als Spurenindiz für einen arischen Einfluss gedeutet. In einem Vortrag, den er 1941 in Rom hielt, erwähnt Hoffmann, dass die im Buddhismus so zentrale Gestalt des Bodhisattva bei den Bon-po "Svastikasattva" (d. h. "Hakenkreuzhalter") genannt werde. (16) Ein Teil ihrer Schriften seien in der "Sprache der Svastika-Götter von Kapita" abgefasst worden. (17) Schon 1938 vermutete der Tibetologe mit Recht, dass die Bon-Religion nicht - wie es die Forschung bis dahin vertrat - eine autochtone Glaubensrichtung der Tibeter war, sondern dass sie aus einem Lande namens Zhang-Zhung nach Tibet eingeführt wurde. Zhang-Zhung, westlich vom Kailash-Gebiet,  zählte im 6. Jh. n. Chr. zum Einflussbereich des iranischen Kulturkreises, der für die NS-Orientalisten eindeutig arische Wurzeln hatte. (18)

 

Das Kalachakra Tantra: Suche nach tibetischen Gelehrten

Ähnliches ist vom Kalachakra Tantra zu sagen, einem tibetischen Ritualtext, dessen öffentlicher Teil heute vom XIV. Dalai Lama weltweit durch spektakuläre und zahlreiche Aufführungen bekannt gemacht wird. Kalachakra bedeutet "Rad der Zeit" und ist gleichzeitig der Name des tibetischen "Zeitgottes". Der Text beinhaltet neben zahlreichen rituellen, teilweise sexualmagischen Anleitungen eine religionspolitische Vision, die eine Buddhokratisierung unseres gesamten Planeten als Ziel hat, den sogenannten Shambhala-Mythos. Auch das Kalachakra-Tantra sollte von den SS-Wissenschaftlern auf die darin verborgenen arischen Elemente hin untersucht werden. In der schon mehrmals erwähnten Desiderata Liste, die den Schäfer und seinen Männern mitgegeben wurde, ist als separater Punkt die Frage zu lesen: "Gibt es besondere Örtlichkeiten, an denen noch heute der Klacakra (tibetisch: Dus kyi akhor lo) Kult geübt wird? Ist ein jetziger lebender dafür berühmter Gelehrter namentlich und mit seiner Anschrift bekannt?" (19) Offensichtlich hatte man im SS-Ahnenerbe die Absicht, mit einem solchen Lama Kontakte aufzunehmen. 

 

Hoffmann versuchte nach dem Kriege, mit zum Teil überzeugenden Argumenten, die nicht-buddhistischen Elemente des Kalachakra Tantra herauszuarbeiten. Insbesondere legte er dabei Wert auf einen manichäischen und darüber hinaus iranischen Einfluss. Die Lehre des Mani - so der Tibetologe - sei mit erstaunlicher Schnelligkeit bis nach Innerasien vorgedrungen. Der Religionsgründer habe es verstanden, sich jeweils der Sprache des zu missionierenden Volkes zu bedienen, zu den Christen sprach er als Christ, zu den Persern als Perser und zu den indischen und innerasiatischen Buddhisten als Buddhist. Das erlaubte es ihm, überall einzudringen und Einfluss zu gewinnen. Aber nicht nur Hoffmann, sondern auch sein renommierter Habilitationsvater, der berühmte Tibetologe Giuseppe Tucci (auf dessen Sympathien zum italienischen Faschismus wir noch zu sprechen kommen), hielt den im Kalachakra Tantra verehrten Adi Buddha (Höchsten Buddha) wesensgleich mit der Figur des höchsten manichäischen Lichtvaters. (20) Des weiteren sind für Hoffmann die inneren Lichterscheinungen bei der Meditationspraxis, deren Hervorrufen in diesem Tantra gelehrt wird, iranisch-manichäischen Ursprungs. "Dazu kommt die wuchernde Zahlensymbolik, eine besondere Vorliebe für dogmatische Fünferreihen, die als solche außerordentlich typisch für den Manichäismus zu gelten haben und welche [sich .... im] System des Kalachakra ('Rad der Zeit') als bedeutsam erweisen. Ich glaube nicht, dass die Einteilung des uns vorliegenden Kalachakra-Tantra dieser Doktrin in fünf Bücher auf einem bloßen Zufall  beruht." (21) Der Nachweis, dass das Kalachakra-Tantra aus iranischen Quellen fließt, hätte diesen für den Lamaismus so zentralen Ritualtext notwendigerweise in eine indo-arische Tradition gestellt und ihn als "arisches Urwissen" qualifiziert, denn die altiranischen Kulturen galten unter den  Nazi-Orientalisten einheitlich als die klassische Hochburg der Arier im Orients. (22) Auf einer Fakultätssitzung im philosophischen Seminar der Universität München, an der auch Walther Wüst teilnahm, wurde zum Beispiel folgendes Statement abgegeben: "Die Iranistik ist berufen, die Gruppe der iranischen Völker mit allen ihren Leistungen in das Gesamtbild der indogermanischen Völker einzubeziehen und dadurch den geistigen Weg der nordischen Rasse von ihrem Forschungsgebiete her entscheidend aufzuhellen. [....] Es ist nicht zu verkennen, dass der starke Einfluss einzelner jüdischer oder dem Judentum verhafteter Forscherpersönlichkeiten auf die Entwicklung der Iranistik äußerst hemmend eingewirkt hat." (23)

 

Die geplante "Sicherung" des Kalachakra Tempels in Leningrad durch das Sven Hedin Institut.

Ein interessanter Schriftverkehr innerhalb des SS-Ahnenerbes betrifft den ersten westlichen Kalachakra-Tempel von Leningrad (St. Petersburg), den der Burjaten-Lama Agvan Dorzhiev 1915 hatte errichten lassen. "Meiner Meinung nach" - schrieb der deutsche Mongolist Wilhelm Alexander Unkrig - "war der religiös fundierte Vorschlag von Agvan Dorzhiev die Gründung eines lamaistisch ausgerichteten Königreichs von Tibetern und Mongolen als einer Theokratie unter der Leitung des Dalai Lama ... und dem Schutz des zaristischen Russland. ... Hinzukam, dass zwischen den lamaistischen Gruppen die religiös begründete Hoffnung auf die Hilfe von einem messianischen Königreich aus dem Norden, das als nördliches Shambhala bezeichnet wurde, bestand." (24) Unkrig erwähnt auch einen umfangreichen Text in russischer Sprache, in dem der Versuch gemacht wurde, "die Dynastie der Romanow aus dem Kalachakra als künftige Weltbeherrscher nachzuweisen und ihre Genealogie auf das alte Geschlecht des Suchandra [das ist erste König von Shambhala] zurückzuführen." (25)

 

Dass die Tibetforscher des SS-Ahnenerbes an diesem "Objekt" ein besonderes Interesse hatten, ergibt sich aus einem Brief von Bruno Beger an den Tibetologen Johannes Schubert: "Eigentlich sollten wir uns" – so Beger – "bei der kommenden Eroberung Leningrads [St. Petersburg] den dortigen lamaistischen Tempel irgendwie sichern, oder die Verbindung mit diesem anknüpfen. Was halten Sie davon und wie könnten wir da vorgehen?" (26) Wie selbstverständlich empfiehlt Schubert: "Der buddhistische, besser lamaistische Tempel in Leningrad im Vorort Novaja Derevnaja [....] ist ein sehr gutes Objekt für das geplante Institut." (27) Das kurz vor der Gründung stehende Sven Hedin Institut hätte dann eine seiner Aufgaben darin gesehen, sich mit dem symbolträchtigen, der Kalachakra Gottheit gewidmeten Sakralbau zu beschäftigen.

 

Die prädestinierte Person, welche solche Untersuchungen hätte durchführen können, war der deutsche Mongolist Wilhelm Alexander Unkrig (1883 - 1956). Schon vor dem ersten Weltkrieg hatte sich dieser mit Inhalten des mongolischen und tibetischen Lamaismus sachkundig auseinandergesetzt und hierzu zahlreiche Schriften veröffentlicht. (28) Die Bücher der Tibet- und Asienforscher Alexandra David-Neel, Giuseppe Tucci, Ferdinand Lessing, Charles Bell, Colin Ross, Michael Prawdin wurden von ihm in Fachzeitschriften rezensiert und einem deutschen Publikum bekannt gemacht. Sein Spezialgebiet war die tibetische Medizin. 1926 erschien in der Zeitschrift für Buddhismus und verwandte Gebiete ein Aufsatz über Agvan Dorhziev den Erbauer des St. Petersburger Kalachakra-Tempels. (29) In diesem Text kommt Unkrig auch auf die Innenausstattung des Gebäudes zu sprechen, in dem neben den "acht Kostbarkeiten" eines Buddhas auch die "sieben Kostbarkeiten" eines Weltenherrschers (Chakravartin) aufgestellt waren.

 

Eine weitere, sehr detaillierte Darstellung eines anderen mit dem Kalachakra-Tantra verbundenen Sakralbaus erschien 1933 von dem deutschen Asienforscher Wilhelm Filchner mit dem Titel Kumbum Dschamba Ling – Das Buch der hunderttausend Bilder Maitreyas. Ein Ausschnitt aus Leben und Lehre des heutigen Lamaismus. Auch in diesem Text, der das Hauptsymbol des Kalachakra-Tantra als Titelbild trägt und der das zentrale Kloster des Panchen Lama (Kumbum) beschreibt, wird mehrmals auf den Shambhala Mythos und auf die damit verbundene Idee des Weltenherrschers (Chakravartin) Bezug genommen. (30) Von den insgesamt  18 Kapiteln des Filchner-Buches hatte Unkrig zumindest 9 verfasst. (31) Der Mongolist war also der richtige Wissenschaftler, um die Symbolik des St. Petersburger Tempels, unter der sich auch ein Hakenkreuz befand, zu entschlüsseln. Das mag sehr wahrscheinlich der Grund gewesen sein, weshalb ihn Ernst Schäfer 1942 als freien Mitarbeiter an das Sven Hedin Institut holte und ihm eine monatliche "Forschungsbeihilfe" von 100 später 200 Reichsmark netto zugestand. (32) Das Kalachakra Tantra ist also kein unbekanntes Thema im SS-Ahnenerbe gewesen. Da die in diesem Tantra enthaltene religionspolitische Utopie des Shambhala-Mythos bis heute auf faschistische Intellektuelle eine eminente Anziehungskraft ausgeübt hat, werden wir immer wieder darauf zu sprechen kommen.

 

Zusammenfassend ist zu sagen, dass sich das SS-Ahnenerbe als eine Institution zur Konstruktion und Rekonstruktion eines rassistischen "arischen Glaubens" verstand. Wissenschaftler der unterschiedlichsten Disziplinen arbeiteten dort nicht um der "reinen" Wissenschaft willen, sondern mit der Aufgabe, diesen hypostasierten "arischen Glauben" wissenschaftlich zu untermauern, so wie das Walter Wüst in seinen Indogermanischen Bekenntnissen dargestellt und gefordert hatte. Im Buddhismus, in den verschiedenen iranischen Religionsströmungen (Awesta, Zurvanismus), im Bon-Kult, im Manichäismus, in den Mythen der tibetischen Könige, in den lamaistischen Tantratexten, insbesondere im Kalachakra Tantra, sollten die Sprachforscher des Sven Hedin Instituts Weisheiten ausfindig machen, die dann als Bausteine zur Rekonstruktion und Restauration jener "nordisch-arischen Urreligion" dienen sollten.

 


(1) Ernst Schäfer - Geheimnis Tibet - Erster Bericht der Deutschen Tibet-Expedition Ernst Schäfer 1938/39 - Schirmherr Reichsführer SS - München 1943, 178

(2) Die Yarlung-Dynastie beherrschte Tibet vom 6. bis 9. Jh. n. Chr. und wurde später durch die Herrschaft des Lamaismus abgelöst.

(3) Ernst Schäfer - Geheimnis Tibet - Erster Bericht der Deutschen Tibet-Expedition Ernst Schäfer 1938/39 - Schirmherr Reichsführer SS - München 1943, 183

(4) Die Doktorarbeit lautete: "Bruchstücke des Atannatikasutra aus dem zentralasiatischen Sanskritkanon der Buddhisten"

(5) Staatsarchiv München – Staatsanwaltschaften – 34 878/ 65, Brief vom 20. November 1940

(6) Universitätsarchiv München E – II – 1771  Helmut Hoffmann - Bayrisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus Akt. Z. 1/5 – 5/106 726 Vom 30. Aug. 1968

(7) Bundesarchiv Berlin: R 135 / 65 – 165620

(8) Bundesarchiv Berlin: R 135 / 57 – 151363

(9) Bundesarchiv Berlin: R 135 / 57 – 151459 ff.

(10) Siehe das Kapitel über den SS-Gral und die Rolle von Otto Rahn im Ahnenerbe. In der Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft von 1936 (Bd. 90) weist W. Henning-Berlin in einem Aufsatz "neue Materialien zur Geschichte des Manichäismus" darauf hin, dass die "Parzivalfabel" des Wolfram von Eschenbach manichäischen Ursprungs sein könnte.

(11) Helmut Hoffmann - "Die Gräber der tibetischen Könige im Distrikt 'P'yons-rgyas" in Nachrichten der Akademie der Wissenschaften in Göttingen - I Philologisch-historische Klasse - Jahrgang 1950 Nr. 1

(12) Der Feldherr und Stammeshäuptling Songtsen Gampo (617 - 650) soll ein Heer von 200 000 Mann befehligt haben. Seine Kriegsführung galt als äußerst barbarisch und die "Rotgesichtigen", wie die Tibeter von den umliegenden Völkern genannt wurden, verbreiteten Angst und Schrecken in ganz Zentralasien.

(13) Filmwelt Berlin vom 23. 12. 1942. In einer anderen Fassung des Aufsatzes heißt es: "Hier und nicht in dem allbekannten Lhasa, sollen die ältesten Könige der Vorzeit geherrscht haben, lange ehe die Priester des Lamaismus im Lande ihre Herrschaft errichteten. Auch uralter Sage Raunen weiß von manchen Stätten dieses Tales Kunde zu bringen." (Bundesarchiv Berlin: R 135/ 65 – 165616) Hoffmann kommt auch auf den Mythos zu sprechen, dass im Yarlung Tal der Bodhisattva Avalokiteshvara in der Gestalt eines Affen mit einer Felsdämonin die ersten Menschen erzeugt habe.

(14) Reinhard Greve - "Tibetforschung im SS-Ahnenerbe" in Thomas Hauschild - Lebenslust und Fremdenfurcht - Ethnologie im Dritten Reich - Frankfurt 1995, 180. Der mysteriöse Bon-Kult führte in den 30er Jahren sowohl unter Orientalisten wie unter Okkultisten zu zahlreichen Spekulationen. Zum Beispiel leitete der faschistische Traditionalist Julius Evola, das Symbol des "mystischen Shambhala, der nördlichen Stadt, aus der vorbuddhistischen Bon Tradition" ab. (Bruno Zoratto (Hrsg.) - Julius Evola nei Documenti Segreti dell'Ahnenerbe - Roma 1997, 49 ff.)

(15) Bundesarchiv Berlin: R 135 / 57 151363. Padmasambhava gilt als der eigentliche Gründer des tibetischen Buddhismus. Er brachte die Buddha Lehre zu Beginn des 9. Jahrhunderts von Indien nach Tibet.

(16) Helmut Hoffmann – La Religione Bon Tibetana – Rom 1943, 16

(17) Ebenda: 22

(18) Helmut Hoffmann - Die Religionen Tibets - Bon und Lamaismus in ihrer geschichtlichen Entwicklung - München 1956, 40 und derselbe: "Probleme und Aufgaben der tibetischen Philologie" – in: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft - Bd. 92 (Neue Folge Bd. 17), Leipzig 1938, 357/358

(19) Bundesarchiv Berlin: R 135 / 57 - 151363

(20) Helmut Hoffmann - Die Religionen Tibets - Bon und Lamaismus in ihrer geschichtlichen Entwicklung - München 1956, 41

(21) Ebenda. Auch Johannes Schubert war an der Kalachakra Forschung interessiert. 1936 verfasste er ein Gutachten zur umstrittenen Kalachakra Übersetzung des Orientalisten Albert Grünwedel. Schubert ist von deren wissenschaftlichen Korrektheit voll überzeugt und hofft, dass das "gewaltige Werk" bald im Druck erscheinen. (Otto Ilzhöfer - Zu Albert Grünwedels Kalacakra Manuskript - Aktenstücke und Glossen - Nachlaß der Bayrischen Staatsbibliothek, München 1953, 9). 1953 veröffentlichte er "Das Wunschgebet um Shambhala". Der "Shambhala Mythos", der nach dem Krieg die okkulte Nazi-Tibet-Connection beherrschen wird, ist ein Teil des Kalachakra Tantras.

(22) Die herrschende Meinung unter den tibetischen und westlichen Historikern ist, dass das Kalachakra Tantra aus Lehren zusammengesetzt wurde, die ursprünglich aus Indien stammen und die dann in Zentralasien ausformuliert wurden. Im 10. Jh. sei das Kalachakra-Tantra dann nach Indien "zurückgekehrt" und im 12. Jh. von dort nach Tibet gebracht worden. Die beiden russischen Geographiehistoriker B. I. Kuznetsov und Lev Gumlev sind der Auffassung, das Mythenreich Shambhala stehe mit dem Reich des Achämiden-Kaisers Kyros dem Großen (559-530 v. Chr) in einem Zusammenhang. Sie sprechen  auch von einem in tibetischen Schriften erwähnten persischen Land, in dem das Hakenkreuz verehrt wurde. "Der iranische Swastika repräsentiert die Sonne und streckt seine Arme gegen den Uhrzeigersinn aus. Das ist ganz offensichtlich die Region des Mithras, des persischen Lichtgottes, dessen Kult später nach Tibet als Bon-Religion eindrang." (B. I. Kuznetsov and Lev Gumilev "Two Traditions of Ancient Tibetan Cartography" – in New York Geographic Society – Sep. 1970, 571)

(23) Universitätsarchiv München O-N-10 (arische Philol.: Wüst) – Brief  Wolfgang Schultz - Philosophisches Seminar

(24) Rückübersetzung aus dem Englischen. Es handelt sich dabei um einen Brief, den Unkrig 1954 verfasst hat und der in englischer Sprache abgedruckt ist in: Robert A. Rupen – Mongols of the Twentieth Century – Bloomington 1964, 106. Ekai Kawaguchi, ein buddhistischer Mönch aus Japan, der um die Jahrhundertwende Tibet besucht hatte, will von einem Pamphlet aus der damaligen Zeit gehört haben, in dem Dorzhiev schrieb: "Shambhala war Russland. Der Zar war darüber hinaus eine Inkarnation von Tsongkhapa [der Gründer der lamaistischen Gelbmützen, denen auch der Dalai Lama angehört] und wird früher oder später die ganze Welt unterwerfen und ein gigantisches buddhistisches Reich errichten." (In: John Snelling - Buddhism in Russia - The Story of Agvan Dorzhiev - Shaftesbury u. a., 1993, 79)

(25) Ebenda: 148

(26) Bundesarchiv Berlin: R 135 / 46 - 164553

(27) Bundesarchiv Berlin: R 135 / 46 - 164548

(28) Unkrig legte 1912 sein Examen als russisch-orthodoxer Priester ab und hatte die Absicht, in der Mongolenmission  Ostrusslands tätig zu werden. Wegen der bolschewistischen Revolution musste er nach Deutschland zurückkehren.

(29) Zeitschrift für Buddhismus und verwandte Gebiete - Nr. 7 – 1926, 135 – 151. Auch Walther Wüst publizierte in dieser Zeitschrift, die von dem Pâli-Forscher Wilhelm Geiger herausgegeben wurde.

(30) Wilhelm Filchner – Kumbum Dschamba Ling – Das Buch der hunderttausend Bilder Maitreyas. Ein Ausschnitt aus Leben und Lehre des heutigen Lamaismus – Leipzig 1933. Über das Kalachakra siehe S. 140 ff.  Das Hauptsymbol des Kalachakra Kultes nennt sich Namtschuwangdan ("Die zehn Mächtigen").

(31) Hartmut Walravens – Wilhelm Alexander Unkrig – Mongolist, Theologe und Kenner lamaistischer Heilkunde – Eine Bibliographie – Hamburg 1982

(32) Bundesarchiv Berlin: R 135 – 24 – 163290. "Später, wenn Herr Prof. Unkrieg [sic!] zum Reichsinstitut übernommen ist, sollen RM 450. – netto gezahlt werden." (163300) Bei Robert Arthur Rupen ist nachzulesen, die Nazis hätten Unkrig wegen seiner Zugehörigkeit zur Orthodoxen Kirche und seines "Interesses am Lamaismus" verfolgt, sie hätten seine Bibliothek zerstört. Aus diesem Grunde sei er sehr krank geworden. (Robert A. Rupen – Mongols of the Twentieth Century – Bloomington 1964, 112) Diese Behauptung deckt sich nicht mit der Tatsache, dass Unkrig seit 1942 Geldbezüge aus dem Sven Hedin Institut, das eine Unterabteilung des SS-Ahnenerbes war, erhielt.


Kapitel 8

Der SS-Mann und Bergsteiger Heinrich Harrer - Mentor des XIV. Dalai Lama

 

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