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Nazi-Tibet-Connection


© Victor und Victoria Trimondi

Was interessierte die Nazis an Tibet und am tibetischen Buddhismus?

Deutsche Hakenkreuze im Himalaja – Die SS-Tibetexpedition und ihre Protagonisten in 9 Kapiteln (Auszug aus dem Buch „Hitler-Buddha-Krishna – Eine unheilige Allianz vom Dritten Reich bis heute“ – Wien 2002 – Ueberreuter Verlag)


Kapitel 8

 

Der SS-Mann und Bergsteiger Heinrich Harrer - Mentor des XIV. Dalai Lama

 

Heinrich Harrer hat als deutscher Lehrer des jungen XIV. Dalai Lama weltweite Berühmtheit erlangt. Mit seinem auflagestärksten Buch, das jemals über das Schneeland geschrieben wurde (Sieben Jahre in Tibet - Mein Leben am Hofe des Dalai Lama – Erstauflage 1952) zählt er zu den bekanntesten internationalen Autoren überhaupt. Weltweit wurden mehr als 4 Millionen seiner Bücher (die meisten über Tibet und den XIV.  Dalai Lama) in 57 Sprachen verkauft. Auch Harrer war, im Rang eines Oberscharführers, Mitglied der SS.

 

SS-Alpinismus: Der Nanga Parbat als "Schicksalsberg der Deutschen"

Die vier Bergsteiger Peter Aufschnaiter, Hans Lobenhoffer, Lutz Chicken und Heinrich Harrer brachen im Sommer 1939 in den Himalaja auf, um den Nanga Parbat zu bezwingen. Der Nanga Parbat wurde unter den Nazis, aber auch noch nach dem Kriege, als der "Schicksalsberg der Deutschen" angesehen. 1929 fand die erste, erfolglose deutsche Expedition zur Eroberung des Bergriesen statt. "Das Geschehen des Weltkrieges war noch in uns lebendig," - berichtete später einer der Teilnehmer - "denn die Mehrzahl von uns hatte bis zu seinem Ende und darüber hinaus die Waffen getragen. In zahllosen Schlachten bewährtes deutsches Soldatentum und das brennende Gefühl für die Schmach der Nachkriegszeit gaben unserem Plan seinen stärksten Auftrieb .... Was wir damals am Kangchendzönga [Gebirgskette mit dem Nanga Parbat] erreichten, öffnet uns die Möglichkeit für einen einheitlichen, großzügigen deutschen Einsatz auf die höchsten Ziele der Erde." (1) In den 30er Jahren führten vier weitere Expeditionen unter deutscher Leitung in das Gebiet (1934, 1937, 1938, 1939).

 

1934 kam es zur ersten Katastrophe. Drei Bergsteiger und sechs Träger starben in einem Schneesturm. Die 37er Expedition, die unter der Beteiligung der SS stattfand und an der der bekannte Geograph Carl Troll teilnahm, endete erneut mit einem Bergunglück, bei dem sieben Deutsche mit ihren Sherpas ums Leben kamen. Damals feierte der Völkische Beobachter den geretteten Troll als Nationalhelden und besang das gescheiterte Unternehmen als ein "Heldenlied der Kameradschaft und des mannschaftlichen Einsatzes". (2) Man zitierte ein Gedicht aus dem Tagebuch Hans Hartmanns, eines der Verunglückten, das die nationalistische Orientierung des Unternehmens klar zum Ausdruck bringt: "Was Frost und Leid - Mir gilt der Eid, - Der glüht wie Feuerbrände - Durch Schwert und Herz und Hände. - Es  ende drum wie's ende - Deutschland ich bin bereit." (3) 1938 zog eine neue Mannschaft mit Unterstützung der Deutschen Himalaja Stiftung nach Indien, um die Leichen der Verunglückten zu bergen. In ihrem Tagebuch schreiben die Teilnehmer dieser Expedition: "In schlichten Aufzeichnungen soll unser Erleben am Nanga Parbat und der Geist, der uns hinausführte, wieder aufklingen in der Gewissheit, dass Deutsche nicht ablassen werden von diesem Berg." (4) Auf der Endmoräne des Rakhiot-Gletschers errichteten sie eine Steinpyramide mit Hakenkreuzflagge.

 

"Bergsteigen" wurde unter den Nazis zum Edelsport der "Arier" mit einer geradezu religiösen Aura. Jakob Wilhelm Hauer beschwor zum Beispiel in seinem Buch Religion und Rasse einen nordisch, mystischen Alpinismus: "Abgesehen von den Japanern besteigen nur die Indogermanen, in großen geschichtlichen Zügen gesehen, die Berge, einfach aus Lust an den Bergen, ihrer Majestät und Unendlichkeit. Ihr ewiges Schweigen kündet dem tiefer Erlebenden den Gott. Und ein Bengt Berg [schwedischer Erzähler], der in den einsamen Klüften und Höhen des Himalaja den Lämmergeier und den Wolf belauscht und beobachtet, stellt diese Erfahrung religiös über alle Tempel, heiligen Lieder und Gebete. So kann nur ein nordischer Leistungs- und Wirklichkeitsmensch den Gott erleben. Einer anderen Art von Menschen muss das als Blasphemie erscheinen." (5) Der Alpinismus wurde so zur Ausdrucksform einer NS-Mystik.

 

Nur unter der Berücksichtigung dieses religiösen Rassenpathos ist die 39er Expedition von Heinrich Harrer und Peter Aufschnaiter richtig zu verstehen. Es ging den beiden darum, den "Schicksalsberg der Deutschen", der sich bisher so stark widersetzt hatte, durch die sportliche Hochleistung der "arischen Herrenrasse" zu bezwingen. Die Fahrt von 1939 war gedacht als Vorbereitung für eine deutsche Großexpedition, die 1940 den Nanga Parbat endgültig bezwingen sollte. In Indien wurden die deutschen Bergsteiger jedoch vom Ausbruch des zweiten Weltkrieges überrascht und in einem britischen Camp interniert. Harrer und Aufschnaiter gelang es später, nach Tibet zu entkommen (1944). Dort fanden sie in Lhasa Zuflucht und Harrer avancierte zum westlichen Lehrer des jungen Dalai Lama.

 

Harrers Nazi-Biographie

Bevor Harrers NS-Vergangenheit vor wenigen Jahren bekannt wurde, feierte man ihn als "Helden", als einen "Wächter der Menschenrechte" und als den "besten Botschafter Tibets".  1997 entdeckte der österreichische Journalist Gerald Lehner ein 80seitiges Dokument, welches detailliert über Harrers Nazi Zugehörigkeit berichtete. Harrer soll seit Oktober 1933 Mitglied der zu dieser Zeit in Österreich illegalen SA gewesen sein. Das ist bestritten, sicher ist, dass er von 1933 bis 1938 dem ebenfalls illegalen NS-Lehrverbund in Graz angehörte. Nachdem Hitler am 15. März 1938 Österreich annektiert hatte, trat der Bergsteiger kurz darauf der Schutz Staffel (SS) bei.

 

Heinrich Harrer, Adolf Hitler, Eiger Nordwand

 

Im Juli 1938 hatte er mit drei weiteren Bergsteigern die gefährliche Eigernordwand erklommen. Das galt damals als so spektakulär, dass er von Hitler persönlich empfangen wurde. Auf einer Sportveranstaltung jubelten 30.000 Zuschauer den drei "Helden von der Eigernordwand". Nur wenige Meter "vom Führer entfernt" nahmen diese "unbegrenzten Jubel aller Deutschen" entgegen. Am Nachmittag kam es im Hotel Monopol zur Audienz mit dem Reichskanzler. Hören wir Harrer selber, wie er am Ende des Buches Um die Eiger-Nordwand diese Begegnung wie ein religiöses Ereignis beschreibt: "Der Führer gibt jedem die Hand. Der Reichssportführer nennt unsere Namen. Wir haben den Eindruck, dass der Führer uns kennt und alles von uns weiß. Dann dürfen wir ihm von der Wand erzählen. Schließlich schüttelt der Führer den Kopf und sagt: 'Kinder, Kinder, was habt ihr geleistet!' Das vergesse ich nicht, wir alle nicht. – Dr. Frick spricht dann von den Opfern, die die Wand gefordert hat, da füge ich ein, dass 1936 zwei Bergsteiger aus der Ostmark [Österreich] und zwei aus dem Altreich [Deutschland] zusammen in den Tod gegangen sind. Der Führer hebt den Kopf und seine großen Augen sehen uns klar an: 'Das ist symbolisch.' – Dann überreicht der Führer jedem von uns sein Bild in silbernem Rahmen, und jedes Bild trägt seine Unterschrift. Auf meinem steht, von des Führers Hand geschrieben: 'Heinrich Harrer mit den besten Wünschen – Adolf Hitler, 22./24. Juli 1938.' Und genauso bei den anderen." Und dann kommt es zum absoluten Gipfelerlebnis: "Das ist für uns ein unschätzbarer Lohn, den Führer sehen und mit ihm sprechen zu dürfen. Durch die offene Balkontüre kommen Rufe, ein dumpfes Brausen. Wir wissen, was sie wollen, standen wir doch selbst einmal unten und in diesem Augenblick sind wir sehr stolz. Wir haben die Eiger-Nordwand durchklettert über den Gipfel hinaus bis zu unserem Führer!" (6) Auch der Reichsführer-SS Heinrich Himmler war bei diesem feierlichen Führerempfang anwesend. Er ging auf Harrer zu und fragte ihn: "Ich hätte da eine Expedition nach Tibet, wenn Sie Lust haben mitzugehen?" (7) Am 24. 12. 1938 heiratete der Held der Eigernordwand eine "blutreine Arierin". Die Ehe wurde vom Rasse- und Siedlungshauptamt (RuSHA) gebilligt.

 

In Indien kamen Harrer und Aufschnaiter nach ihrer Festnahme durch die Briten in ein Internierungslager (Central Internment Camp). Dort wurden die deutschen Gefangenen in zwei Blöcke getrennt. In den einen sperrten die Engländer die Nationalsozialisten, in den anderen die deutschen Antifaschisten. Ein Zeitzeuge hat das NS-Lager wie folgt beschrieben: "Es gab da hinter sorgsam bewachten Gittern einen regelrechten nationalsozialistischen Staat, der wieder in drei Zonen geteilt war, die besonders eingehegt waren. Da gab es Führer, Unterführer und einen inneren Kreis. Man fand da eine Organisation für 'Kraft durch Freude', für Sport und Sportwettkämpfe, für Musik und Theateraufführungen und für Erziehung. [....] Es gab aber auch schwarze Listen, geheime Akten, Boykott unliebsamer Elemente, Gleichschaltung widerstrebender Gruppen, zuweilen Prügelstrafe, Ansätze zur Briefzensur und Gestapo." (8) Zwischen den beiden Gruppen kam es ständig zu Streitigkeiten. Eines Tages hörte man von den NS-Treuen, denen Harrer und Aufschnaiter angehörten, einen abgehackten Sprechchor: "Du-ce! Du-ce! Du-ce! ..... Hit-ler! Hit-ler! Hit-ler!", während die Antifaschisten eine Strohpuppe verbrannten, die Mussolini darstellte. (9) Im November 1943 erklärten die Alliierten in der "Moskauer Erklärung" Österreich als Opfer der Naziaggression und forderten österreichische Staatsbürger auf, Widerstand gegen das Hitlerregime zu leisten. Österreicher in britischen Kriegsgefängnissen hatten die Möglichkeit, sich dieser Erklärung anzuschließen. Heinrich Harrer weigerte sich.

 

Nach mehreren vergeblichen Versuchen gelang es ihm am 29 April 1944, sechs Monate nach obiger Erklärung, zusammen mit Peter Aufschnaiter aus dem britischen Gefängniscamp endgültig nach Tibet zu fliehen. Harrer hatte die Absicht, sich nach Japan durchzuschlagen. Er blieb jedoch in Lhasa. Der ehemalige SS-Mann wurde aber erst 1949 zum Tutor des XIV. Dalai Lama. Nach Einmarsch der chinesischen Volksarmee Mitte März 1951 setzte er sich nach Kalimpong bei Darjeeling in Indien ab und kehrte 1952 nach Österreich zurück. Er ließ sich in Lichtenstein nieder und konnte seine Nazi-Vergangenheit geschickt verbergen.

 

1997 wurde sein Bestseller Sieben Jahre in  Tibet von Hollywood verfilmt mit dem Schauspieler Brad Pitt in der Hauptrolle (als Harrer) und mit dem XIV. Dalai Lama als Drehbuchberater. Der ehemalige SS-Mann hatte dem Regisseur Jean Jacques Annaud nichts von seiner Nazi-Vergangenheit erzählt. Als diese nach der Fertigstellung des Films bekannt wurde, sah sich Annaud gezwungen, wegen starker internationaler Proteste gewisse "Korrekturen" anzubringen. Gezeigt wurde jetzt ein reuiger Österreicher, der seine Bergsteigerkarriere als naiver Mitläufer des NS-Staates beginnt und sich dann unter dem Einfluss des jungen Dalai Lama und des tibetischen Buddhismus zu einem "Kämpfer für die Menschenrechte" empor läutert. Angesichts der chinesischen Invasion in Tibet sagt Harrer im Film: "Grausig - ich darf gar nicht daran denken, dass ich selbst einmal so intolerant war." (10) Von einem solchen Gesinnungswandel, ist in Harrers Büchern jedoch niemals die Rede gewesen. Er war eine reine Erfindung Annauds, um vor der Weltöffentlichkeit nicht das Gesicht zu verlieren und den Film zu retten.

 

Trotz der Entdeckung seiner NS-Vergangenheit bestand der ehemalige Nationalsozialist erst einmal darauf, niemals der SS angehört zu haben, musste aber, nachdem man ihm die Dokumente vorgelegt hatte, seine Zugehörigkeit doch zugeben. Daraufhin betonte er, nur ein simpler "Mitläufer" gewesen zu sein. Bergsteigen sei von Jugend an sein "Hobby" gewesen und er habe aus rein persönlichen Motiven die Eigernordwand erklettert. Zu  den beiden SS-Kameraden Ernst Schäfer und Bruno Beger - so Harrer - habe er keine Kontakte gepflegt. Dabei erschien im Jahre 1966 ein Buch von Beger mit dem Titel Es war in Tibet. Erlebtes im Himalaja und in Tibet. Im Vorwort zu diesem Text wird Harrer als "mein Tibetfreund Professor Heinrich Harrer" angesprochen und als einer der Personen genannt, welche das Buch überhaupt ermöglicht hätten.

 

Später schloss sich Harrer Annauds Läuterungsidee an. Der Bergsteiger Reinhold Messner, Bezwinger des Nanga Parbat, sah jedoch in diesem Schuldbekenntnis eine Lüge. Er versicherte, der ehemalige SS-Mann habe bis heute nichts dazu gelernt, er vertrete immer noch die Ideale des NS-Alpinismus.

 

Heinrich Harrer -  "Militärexperte" im Potala

Ob Heinrich Harrer über die Pläne Himmlers unterrichtet war, von Tibet aus unter der Leitung von Ernst Schäfer einen Militärschlag gegen die Briten in Indien zu führen, ist nicht bekannt. Wie dem auch sei, von den militärischen Interessen des SS-Mannes berichtet jedenfalls ein Spiegel Artikel vom 6.9.1950. Dort ist zu lesen: "Oberbefehlshaber der 10.000 Mann starken tibetischen Armee ist der Österreicher  Heinrich Harrer. Im Augenblick versucht er, eine Art Verteidigung zu organisieren. Den Nachschub sollen die braven Yaks (Grunzochsen) sichern helfen". Auch 1959, als die UFA einen Tibetfilm von ihm startete, bestätigte der ehemalige SS-Mann, er sei in Tibet "Militärberater" gewesen sei. (11) Sogar eine Passage aus Sieben in Jahre Tibet erzählt von seinen guten logistischen Kenntnissen. Mut und "Kadavergehorsam", die er beide in der SS gelernt hatte, findet er erneut bei den tibetischen Streitkräften: "Ein preußischer Feldwebel" - so Harrer - "hätte noch viel auszusetzen - allerdings könnte auch er nirgends bedingungsloseren Gehorsam finden. Das ist kein Wunder, denn die Armee besteht zum größten Teil aus Leibeigenen, die an blindes Gehorchen gewöhnt sind. Dazu kam nur noch der Gedanke, dass sie ihr Land und ihre Religion verteidigen sollten - das erfüllte sie mit Selbstbewusstsein und Kampfgeist." (12)

 

Als Harrer mit dem jungen XIV. Dalai Lama zusammentraf war dieser 14 Jahre alt, ein Alter, indem ein Mensch entscheidende Prägungen erfährt. Über den genauen Inhalt des Lehrplans, den der ehemalige SS-Mann für den tibetischen "Gottkönig" ausgearbeitet hatte, wissen wir nur sehr wenig. (13) Der junge Mönch hatte technische und weltpolitische Interessen und sein deutscher Mentor unterrichtete ihn zudem in Englisch, Geographie und Rechnen. Harrer bestätigt die große Faszination des Jungen an Militärfragen: "Allein über den zweiten Weltkrieg besaß er ein siebenbändiges englisches Werk, dessen Bildbeschreibungen er sich ins Tibetische hatte übersetzen lassen. Er war imstande, die einzelnen Flugzeug-, Auto-, oder Tanktypen zu erkennen." (14) Seit seiner Jugend hat sich an dieser Passion für "Militaria" wenig verändert. (15) Noch im Jahre 1997 bekannte der XIV. Dalai Lama in einem Interview seine Begeisterung für Uniformen: Sie "sind aber auch sehr attraktiv. ... Jeder Knopf an der Jacke glänzt so schön. Und erst die Gürtel. Die Abzeichen." (16) Als er 1986 die Normandie besuchte, wünschte er sich aus heiterem Himmel und völlig gegen das Programm, das Landungsgebiet der Alliierten im Zweiten Weltkrieg zu besuchen. "Ich wollte auch die Waffen sehen, diese mächtigen Kanonen und alle diese Gewehre, die mich schmerzlich berührten." (17) Erstaunt schreibt der Journalist Steffen Windschall über den Auftritt des Religionsführers in Nürnberg im Jahre 2008: „Der Bezug des Dalai Lama zu Nürnberg ist ganz sicher ein besonderer - aber wohl ein anderer, als der, den Maly und tausende Lama-Fans im Kopf hatten: Als ‚very attractive’ befand ‚Seine Heiligkeit’ die ersten Bilder der Stadt, die er als Kind zu sehen bekam, berichtete er freimütig im Rathaus. Darauf zu sehen: ‚Generäle und ihre Waffen’. Auf anderen ‚Adolf Hitler und Hermann Göring’.“ (17 a) Ob Harrer dieses Interesse an militärischen Dingen gefördert oder sogar ausgelöst hat, wissen wir nicht, als ehemaliger Angehöriger von Hitlers Schutz-Staffel (SS), als großer Bewunderer des "Führers" und als Militärberater der tibetischen Armee hat er sicher nicht dagegen gearbeitet. So stellt sich ebenso der österreichische Alpinist und Journalist Gerald Lehner, der eine kritische Aufarbeitung von Harrers Nazi-Vergangenheit vorgelegt hat, folgende Fragen: „Zählten auch Demokratie, Aufklärung, Humanismus, Toleranz, Gewaltenteilung und Grundlagen eines modernen Staatswesens zu den Themen, die Harrer über die sechs Jahrzehnte mit dem Dalai Lama besprach, in denen sie in Kontakt waren? Beriet Harrer den ‚jungen Gottkönig’ schon im alten Tibet mit dem Weitblick eines Kosmopoliten und Humanisten? Wie hätte ein ehemaliger SS-, SA- und NSDAP-Mann, der einige Jahre zuvor noch bei Hitlers Sturmabteilung in Graz im Einsatz war, das tun können?“ Lehner bezweifelt das, er traut den humanistischen und demokratischen Bekenntnissen des Dalai Lama nicht: „Betrachtet man die tibetische Exilpolitik, dann ergibt sich – trotz der Verleihung des Friedensnobelpreises 1989 – ein düsteres Bild.“ – schreibt Lehner. (17 b)

 

Ist Heinrich Harrer ein Okkultist?

Heinrich Harrer teilt mit Ernst Schäfer und Bruno Beger bestimmte Charaktermerkmale, die zeigen, wie sich die SS-Typologien gleichen: Auch er ist ein passionierter Abenteurer und hat Abenteurer als Idole: "Die Erstürmer der Gipfel der Welt: das waren meine Vorbilder. Grenzenlos war mein Wunsch, es ihnen gleichzutun." - mit diesen Worten beginnt er seinen Bestseller Sieben Jahre in Tibet. (18) Auch er betont immer wieder sein naturwissenschaftliches Weltbild und spielt gerne den Skeptiker, um dann wieder, ebenso wie Schäfer, von "übernatürlichen" Phänomenen fasziniert zu sein, die ihm in fremden Kulturen begegnen. Auch er idealisiert den tibetischen Adel und steht den tibetischen Unterschichten mit Verachtung gegenüber. Heinrich Harrer genießt wie Schäfer und Beger das High Life der Oberschicht von Lhasa in vollen Zügen, insbesondere in der Familie des Dalai Lamas. Auch ihn scheint die "diktatorische" Verfassung des Mönchsstaates wenig zu stören. Dem absolutistischen System begegnet er mit hohem Respekt: "Da Tibet durch ein Feudalsystem regiert wird, gehören Mensch, Tier und Land dem Dalai Lama, dessen Vorschriften für alle gesetzt sind." (19) Harrer beobachtet sehr genau das mittelalterliche, grausame Kriminalrecht des Landes und legitimiert es: "Es gibt keine Polizei in unserem Sinn, doch werden Übeltäter immer öffentlich abgeurteilt. Die Strafen sind ziemlich drastisch, aber in ihrer Art das einzig richtige bei der Mentalität der Bevölkerung." (20) Klingen da nicht Töne aus den rassistischen Thesen Bruno Begers an, der in Tibet nach Resten der arischen Rasse forschte, wenn Harrer im Klappentext seines Bestsellers (23. Auflage) den XIV. Dalai Lama wie einen Nachkommen der Arier beschreibt? "Seine Haut" – so Harrer über den "Gottkönig" – "war viel heller als die des Durchschnittstibeters und um einige Schattierungen lichter als die der Lhasa-Aristokratie. Seine sprechenden, kaum geschlitzten Augen zogen mich gleich in ihren Bann; sie sprühten vor Leben und hatten nichts von dem lauernden Blick vieler Mongolen." (21) Schon im Jahre 1939 hatte die Frankfurter Zeitung  behauptet, dass der neu gefundene Dalai Lama "Angehöriger einer in Tibet lebenden, sich sonderlich kleidenden Mischrasse" sei. (22)

 

Ebenso wenig wie Schäfer war Harrer ein Okkultist à la lettre, aber auch er hatte ebenso wie der naturwissenschaftliche Leiter des SS-Ahnenerbes ein Faible fürs Okkulte und Magische. Er sah fasziniert zu, wie es einem Regenmacher gelingt, den Himmel zum Strömen zu bringen, und berichtet wie ein Rosenkranz in der Hand eines Lamas von selbst zu brennen beginnt. (23) Aber er behält sich immer wieder eine reservatio mentalis vor: "Ich habe die Tibeter um ihre Gläubigkeit immer sehr beneidet, denn ich selbst bin mein ganzes Leben ein Suchender geblieben [geschrieben 1976]. Obwohl ich in Asien den Weg zur Meditation fand, blieb mir die Antwort auf das Letzte verschlossen." (24) Im Gegensatz hierzu  plaudert der junge "Gottkönig" in Harrers Buch erstaunlich offen über okkulte, höchst erschreckende Techniken der Bewusstseinsmanipulation, die er vorgibt, zu beherrschen: "Er erzählte mir, dass er sich gerade mit Büchern beschäftige, die uraltes Wissen über die Wege der Trennung von Körper und Geist überlieferten. Denn die Geschichte Tibets weiß von vielen Heiligen, denen es gelang, ihren Geist Hunderte von Meilen entfernt wirken zu lassen, während ihr Körper in Meditation versunken dasaß. Der junge Dalai Lama war überzeugt, dass er es kraft seines Glaubens und mit Hilfe der vorgeschriebenen Riten dazu bringen könne, an weit entfernten Orten, zum Beispiel Samye zu wirken. Wenn er soweit wäre, wollte er mich dorthin schicken und mich von Lhasa aus dirigieren. Ich erinnere mich, dass ich ihm darauf lachend erwiderte: 'Nun, Kundun, wenn du das kannst, werde ich auch Buddhist!" (25)

 

Auch Schäfer verfiel – wie wir oben gezeigt haben – immer wieder dem Bann "tibetischer Potentaten", denen er begegnete: "Sie zwingen ihrer Umgebung etwas Magisches auf und verbreiten den Nimbus des Geheimnisvollen um sich." (26) Bei Harrer ist das nicht anders: "Sind auch wir diesem verwirrenden, fremdartigen Traum verfallen? [....] Senden die Götter die Zeichen ihrer Zuneigung?" – fragt er bei einem offiziellen Auftritt des jungen XIV. Dalai Lama – "Nun ist der 'Lebende Buddha' ganz nahe gekommen .... jetzt geht er an unserem Fenster vorbei. Die Frauen harren in tiefer Verbeugung und wagen kaum zu atmen. Die Menge erstarrt. Aufs tiefste ergriffen verbergen wir uns hinter den sich verneigenden Frauen, wollen uns wehren gegen die Macht, die uns in ihren Bann zieht. Es ist ja nur ein Kind, sage ich mir immer wieder. Ein Kind .... und doch das Ziel des geeinten Glaubens Tausender, Inbegriff ihrer Gebete, Sehnsüchte, Hoffnungen." (27)

 

Nachtrag:

 

Harrer verstarb im Jahre 2006. Ein Jahr später erschien ein kritisches Buch über ihn von Gerald Lehner:

 

Trübes im Ozean des Wissens - Ein Buch über den Forscher Heinrich Harrer ist auch eine Auseinandersetzung mit Österreichs Vergangenheitsbewältigung und dem Weltbild des Dalai Lama

 

Siehe auch:

Heinrich Harrer: Dalai Lama's Mentor, Nazi and CIA Agent

http://www.celebritynetworth.com/watch/c24vYYWD308/heinrich-harrer-dalai-lamas-mentor/


(1) Deutsche Himalaja Stiftung München - Nanga Parbat - Berg der Kameraden - Berlin 1939, 5

(2) Mechtilde Rössler und Sabine Schleiermacher - "Himmlers Imperium auf dem Dach der Welt - Asienexpeditionen im Nationalsozialismus" - in Hubenstorf  (Hrsg.) u. a. - Medizingeschichte und Gesellschaftskritik - Festschrift für Gerhard Baader - Husum 1997, 440

(3) Deutsche Himalaja Stiftung München - Nanga Parbat - Berg der Kameraden - Berlin 1939, 6

(4) Ebenda: 7

(5) Jakob Wilhelm Hauer – Religion und Rasse – Tübingen 1941, 213

(6) Heckmair – Vörg – Kasparek – Harrer – Um die Eiger-Nordwand – München 1938, 95/96 Heckmair – Vörg – Kasparek – Harrer – Um die Eiger-Nordwand – München 1938. Das Buch erschien im Zentralverlag der NSDAP. In einem Vorwort schrieb der "Reichsorganisationsleiter" Dr. Ley: "Ich wünsche und hoffe, dass insbesondere das politische Führungskorps dies Buch lesen und studieren möge, weil darin der Sinn des Bezwingens als Ausdruck unserer heroischen Zeit ein glänzendes Zeugnis erhalten hat." (10)

(7) Stern 23/ 1997, 29. Gerald Lehner und Tilman Müller: "Ein Held mit braunen Flecken".

(8) Hellmuth Hecker - Der erste deutsche Bhikkhu - Das bewegte Leben des ehrwürdigen Nyanatiloka (1878-1957) und seine Schüler - Konstanz 1995, 234

(9) Ebenda: 234

(10) Stern 1997, 41, 24

(11) In: Mechtilde Rössler und Sabine Schleiermacher - "Himmlers Imperium auf dem Dach der Welt - Asienexpeditionen im Nationalsozialismus" - in Hubenstorf  (Hrsg.) u. a. - Medizingeschichte und Gesellschaftskritik - Festschrift für Gerhard Baader - Husum 1997, 452

(12) Heinrich Harrer - Sieben Jahre in Tibet - Mein Leben am Hofe des Dalai Lama - Frankfurt 1976, 229/230

(13) Der Dalai Lama berichtet in seiner Biographie nur beiläufig über die gemeinsamen Sitzungen: "Das erste Mal traf ich ihn [Harrer], wie ich glaube, im Jahre 1948. Von da an sahen wir uns bis zu seiner Abreise regelmäßig, normalerweise einmal wöchentlich. Durch ihn erfuhr ich viel über die Welt außerhalb Tibets, besonders über Europa und den zweiten Weltkrieg." (Dalai Lama XIV - Buch der Freiheit - Bergisch Gladbach 1990, 59)

(14) Heinrich Harrer - Sieben Jahre in Tibet - Mein Leben am Hofe des Dalai Lama - Frankfurt 1976, 247

(15) Mehrere Beispiele hierfür in: V. & V. Trimondi – Der Schatten des Dalai Lama – Sexualität, Magie und Politik im tibetischen Buddhismus – Düsseldorf 1999, 587 ff.

(16) Süddeutsche Zeitung Magazin vom  21.03.97

(17) Claude B. Levenson - Dalai Lama - Die autorisierte Biographie des Nobelpreisträgers - Zürich 1990, 291

(17 a) Nürnberger Abendzeitung - 19. 05 2008 – „Dalai Lama in Nürnberg: Fans Jubeln, Gegner schimpfen“ - Steffen Windschall

(17 b) Gerald Lehner – Zwischen Hitler und Himalaya – Die Gedächtnislücken des Heinrich Harrer – Wien 2007, 265

(18) Heinrich Harrer - Sieben Jahre in Tibet - Mein Leben am Hofe des Dalai Lama - Frankfurt 1976, 7

(19) Ebenda: 40

(20) Heinrich Harrer - Sieben Jahre in Tibet - Mein Leben am Hofe des Dalai Lama - Berlin 1997 (23. Auflage), 103

(21) Ebenda: Klappentext

(22)  Frankfurter Zeitung vom 22. 7. 39

(23) Ebenda: 167

(24) Ebenda:   63

(25) Ebenda: 249/250

(26) Ernst Schäfer - Geheimnis Tibet - Erster Bericht der Deutschen Tibet-Expedition Ernst Schäfer 1938/39 - Schirmherr Reichsführer SS - München 1943, 116

(27) Heinrich Harrer - Sieben Jahre in Tibet - Mein Leben am Hofe des Dalai Lama - Frankfurt 1976, 142. Dieser Pietätszene folgt ein Ausbruch frenetischer Massenekstase, die zeigt, wie atavistisch das tibetische System war: "Wie aus einer Hypnose erwacht, stürzen in diesem Augenblick Zehntausende aus der Ordnung ins Chaos. Der Übergang ist so plötzlich, dass man fassungslos ist. Geschrei, wilde Gesten .... sie trampeln sich gegenseitig zu Boden, bringen sich fast um. Aus den eben noch weinend Betenden, ekstatisch Versunkenen sind Rasende geworden. Die Mönchsoldaten beginnen ihr Amt! Riesige Kerle mit ausgestopften Schultern und geschwärzten Gesichtern - damit die abschreckende Wirkung noch verstärkt wird. Rücksichtslos schlagen sie mit ihren Stöcken auf die Menge ein [....] Heulend steckt man die Schläge ein, aber selbst die Geschlagenen kehren wieder zurück. Als ob sie alle von Dämonen besessen wären. Sind das noch die selben Menschen, die sich erst demütig vor einem Kind beugten? Jetzt nehmen sie die Peitschenhiebe hin wie einen Segen. Rußende Pechfackeln über den Köpfen, Schmerzensschreie aus dem Toben der Masse, hier ein verbranntes Gesicht - dort das Stöhnen eines Niedergetrampelten." (143)


Kapitel 9

Peinliche Freundschaften des XIV. Dalai Lama zu den SS-Männern

 

Index: Die Nazi-Tibet-Connection

 

 

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