MEDIEN (01)
1.
- BASELER ZEITUNG - 24. 12. 1999 - Religion in globaler Zeit - Aurel
Schmidt
2.
- BERNER ZEITUNG - 2. Mai 1999 - "Kratzer am Lack des mythischen
Gottkönigs" - Hans Peter Roth
3.
- FACTS Nr. 9 - 4. März 1999 - "Die Demontage Seiner Heiligkeit"-
Patrick Mauron und Stephanie Riedi
Baseler Zeitung vom 24. 12. 1999
Religion in globaler Zeit
Fragen an den Buddhismus / Von Aurel Schmidt
Jeden Tag geht das Leben in
Tibet weiter und verändert sich das Land etwas mehr, nicht unbedingt zum
Guten. Das Stadtbild des alten Lhasa wird täglich ein Stück weiter
zerstört, in Lhasa und Xigatze, den beiden größten Städten des Landes,
überwiegt heute die chinesische Bevölkerung. Die Tibeter sind Fremde im
eigenen Land geworden. Zweifellos sind Fortschritte erzielt worden, aber
die chinesische Okkupation kann damit nicht gerechtfertigt werden. Wenn
China behauptet, die kulturelle Eigenständigkeit Tibets zu respektieren und
zu fördern, dann muss man sich fragen, warum zum Beispiel in allen Klöstern
Tibets das Bild des Dalai Lama verschwunden ist. Nicht zu reden von der
politischen Indoktrination und den religiösen Restriktionen, ganz besonders
in den Klöstern. Die Tibeter reden mit den Touristen ziemlich offen
darüber.
Man kann sich allerdings auch
fragen, ob nicht zwischen Dalai Lama und chinesischer Führung in Beijing
ein asiatisches Machtspiel abläuft. Der Dalai Lama gewinnt immer mehr
Anhänger im Westen, die chinesische Führung weitet ihren Einfluss in Tibet
und in der Welt aus. Es wäre nicht überraschend, wenn eines Tages der Dalai
Lama mit chinesischer Billigung nach Tibet zurückkehrte. Beide Seiten
würden dabei nur gewinnen - Yin und Yang ergänzen sich. Dies aber ist
etwas, das die Menschen aus dem Westen am Ende der Aufklärung kaum
verstehen können. Sie halten sich daran, was sie bekennen, und lassen dabei
außer Acht, dass die Menschen in Asien ganz andere Vorstellungen von Zeit,
Handlung, Einfluss, Macht und so weiter haben. Der Dalai Lama ist ein
hervorragender Politiker. Beharrlich verfolgt er ein Ziel, das er keinen
Augenblick lang aus den Augen verliert. Er denkt nicht ohne Erfolg in
größeren Zeitkategorien. Darin liegt seine Überlegenheit. Die Rationalisten
müssen dabei den Kürzeren ziehen.
ZWEI SICHTWEISEN
Langsam breitet sich der
Buddhismus unter tibetischer Flagge im Westen aus. Buddhismus ist modern
oder chic - und der Dalai Lama kann sich auf die Hollywood-Connection
verlassen. Die Schauspielerin Goldie Hawn aus der US-Filmmetropole soll
gesagt haben: «Ich meditiere und fühle mich sexy.» Wer sich zum Buddhismus
bekennt, gehört mittlerweile zu den Gutsituierten, auch wenn es sich dabei
häufig um einen Privat-Buddhismus handelt, aus dem sich jeder und jede die
schönsten Rosinen herauspickt.
Robert Thurman,
US-amerikanischer Professor für Religionswissenschaft in Amherst und
Harvard und bekennender Buddhist, wie er von sich sagt, spricht von einem
Zivilisationswandel, zieht durch die Lande, predigt von einer «inneren» und
«coolen» Revolution und schwärmt von einer Buddhokratie beziehungsweise
einem «Buddhaversum», allerdings ausdrücklich unter US-amerikanischer
Vorherrschaft. Alle, die guten Willens sind, können daran teilnehmen,
nachdem der judäo-christliche Utopismus versagt hat. Was vor sich geht, ist
eine Entwicklung, die ansteckend wirkt, was in Anspielung
auf die Theorie von Rupert
Sheldrake, ebenfalls bekennender Buddhist, auf die «morphische Resonanz»
zurückzuführen ist. Das ist eher erbaulich als wissenschaftlich. Trotzdem
wird und soll der Buddhismus die Welt erobern.
Aufs Ganze gesehen, ist
Thurmans Buch «Revolution von innen» eine unumwundene buddhistische und
noch mehr eine tibetische Propagandaschrift, auch wenn es jedem
freigestellt ist, was er damit anstellt. Es stehen Dinge in dem Buch, die
durchaus ansprechend sind, aber multikulturell oder multireligiös, wenn es
denn sein muss, ist das Buch bestimmt nicht.
Dass man alles auch anders sehen
und dabei zu völlig verschiedenen Ergebnissen kommen kann, zeigt ein
anderes Buch: «Im Schatten des Dalai Lama» von Victor und Victoria
Trimondi. Was Thurman in emphatischer, aber auch allgemein-nebulöser Weise
ausdrückt, bringen Trimondi und Trimondi unumwunden auf den Begriff. Der
Tantrismus (der tibetische Buddhismus), sagen sie, ist eine Theokratie,
eine konservative bis totalitäre, undemokratische, frauenfeindliche
Religion, der Dalai Lama, der unanfechtbar die geistige und weltliche Macht
in Händen hält, ein geschickter «orientalischer Despot», der sich nach
außen freundlich und verständnisvoll gibt, schlagfertig und humorvoll
auftritt, aber im Inneren
unerbittlich seine Ziele
verfolgt. Dass in dem Maß, wie ihm die Menschen im Westen zulaufen, die Kritik
an ihm aus den eigenen Reihen zunimmt, ist noch eine andere Sache. Es sind
zwei Punkte, die Trimondi und Trimondi zu zentralen Anliegen machen: zum
einen die sexual-magischen tantrischen Kalachakra-Initiationsriten, die für
einen kleinen Kreis von Eingeweihten über die spirituelle Visualisierung
hinaus in einem praktischen und eindeutigen Sinn vollzogen werden. Dies zum
Nachteil der Frauen, die von furchtbaren Lamas (Sanskrit «Guru», eigentlich
Lehrer) missbraucht werden; und zum anderen die mit den Kalachakra-Tantras
(Tantra bedeutet soviel wie Lehrtext, Lehrsystem) verbundene Vorstellung
von einem Reich namens Shambhala, aus dem in der Publikumsversion die
Erretter der Welt kommen, während für die Initiierten mit Shambhala in
Wirklichkeit die vom Buddhismus eroberte Welt gemeint ist.
800 SEITEN ARGUMENTE
Auf 800 Seiten breiten die
Trimondis ihre Argumente aus (hinter dem Pseudonym verbergen sich Herbert
und Mariana Röttgen, die einst den Trikont Verlag betreut und auch enge
Verbindungen mit dem Dalai Lama unterhalten haben). Ursprünglich hatten die
beiden Autoren ein ganz anderes Buch schreiben wollen, aber als sie
anfingen, sich mit der Materie näher zu befassen, wurden sie immer
hellhöriger. Nicht anders war es bei der Vorbereitung dieser Rezension.
Der Umfang des Buchs
verunmöglicht es, auf alle Details näher einzugehen. Ein gesamthafter
Hinweis auf das Buch muss hier genügen. Wer will, kann darin neue
Erkenntnisse gewinnen. Niemand muss es, so wie es ist, übernehmen, aber die
Einwände, die alle gut belegt werden, sind gewichtig genug, um ernst
genommen zu werden. Dass die von den Trimondis vorgebrachten Bedenken von
China gesteuert sein könnten, wäre zu einfach. Alle Religionen streben
danach, ihren Einfluss zu vergrößern, wie der Papst dies kürzlich auf
seiner Reise in Indien für das Christentum in Asien geltend gemacht hat.
Was den psychologischen Einfluss der tantrischen Rituale auf die
Initiierten sowie ihre Sexualpartnerinnen betrifft, so können die Folgen
gravierend sein. Tiefgreifende seelische Veränderungen können eintreten,
wie sie zum Beispiel auch von ehemaligen Sektenmitgliedern bekannt sind.
Verbunden damit ist eine ausgebaute Machtstellung der Lamas bis hin zum
Dalai Lama. Das Buch der beiden Autoren hat begreiflicherweise heftige Kontroversen
ausgelöst, die ausführlich im Internet veröffentlicht worden sind.
Vielleicht am gewichtigsten sind dabei die Reaktionen der Frauen, die im
Zeichen ihrer Buddhismus-Gläubigkeit als «Sex-Sklavinnen» zu leiden hatten,
wie es die US-Amerikanerin June Campbell in dem auch auf Deutsch
erhältlichen Buch «Göttinnen, Dakinis und ganz normale Frauen» (Berlin
1997) über die Rolle der Frau im Tantrismus beschrieben hat. Was die
Trimondis mit ihrem Buch beabsichtigen, ist eine engagierte
Religionskritik. Auch das Christentum, auch der Islam sind im Visier.
Religionen sind nicht nur aus
naheliegenden Gründen autoritär - im Zeitalter der Globalität ändert sich
auch der Charakter der Religionen immer mehr. Sie globalisieren sich
selber, werden in zunehmender Weise aggressiv und treten in ihrem Anspruch
auf letzte Wahrheiten immer unnachgiebiger auf. Das alles aber ist in einer
Zeit, wo die Menschen immer dringender nach Sinn suchen und ihn in den
Religionen zu finden hoffen, eine enttäuschende Erkenntnis. Wenn Sinn nur
in irgendeiner Form von Abhängigkeit bestehen kann, ist das ein verkehrter
Sinn. Der Buddhismus ist wahrscheinlich für viele Menschen deshalb so
attraktiv, weil er ohne einen persönlichen Gott auskommt. Er versucht,
einen individuell gangbaren Weg aufzuzeigen, wie man sich aus dem Kreislauf
der Verstrickungen des irdischen Daseins befreien kann. Ein Pop- oder
Instant-Buddhismus aber kann
das nicht leisten. Was die Diskussion, die das Buch von Trimondi und
Trimondi ausgelöst hat, über den expliziten Inhalt hinaus zu erkennen
gegeben hat, ist die Notwendigkeit, den Buddhismus kritisch zu befragen.
Vieles ist bisher von vielen Menschen wahrscheinlich viel zu oberflächlich
beziehungsweise idealistisch betrachtet worden. Kritische Wachsamkeit kann
demgegenüber sehr wohl eine begleitende Anteilnahme sein. A.S.
Literatur
Robert Thurman: Revolution von
innen. Die Lehren des Buddhismus oder das vollkommene Glück. Mit einem
Vorwort des Dalai Lama. Aus dem Amerikanischen von Dagmar Ahrens-Thiele.
Econ. 302 Seiten. Fr. 37.--
Victor und Victoria Trimondi:
Der Schatten des Dalai Lama. Sexualität, Magie und Politik im tibetischen
Buddhismus. Patmos. 812 Seiten. Fr. 52.50.
BERNER ZEITUNG - 2. Mai 1999 - "Kratzer am Lack des
mythischen Gottkönigs" - Hans Peter Roth - (MED 01)
Dalai Lama: Kratzer
am Lack des mythischen «Gottkönigs»
Hans Peter Roth
entdeckt in neusten Büchern Schatten über dem verklärten Tibet-Bild
Die Schonfrist für
den Dalai Lama und den tibetischen Buddhismus ist vorbei. Vierzig Jahre
nach der chinesischen Invasion rütteln gleich mehrere Autoren kräftig an
verklärten westlichen Klischees über die angeblich so friedliche tibetische
Kultur.
«Falsch!» sagt der
Dalai Lama nachdrücklich vor laufender Kamera: «Ihre Behauptungen sind
unwahr! Es gibt keine Gewalt unter Tibetern.» In einer «10 vor 10»-Sendung
reagierte das religiöse und weltliche Oberhaupt der Tibeter gereizt auf
kritische Fragen von Reporter Beat Regli. Der Schweizer TV-Mann hatte
Übergriffe unter Exiltibetern in Indien dokumentiert und wollte den Dalai
Lama darauf ansprechen. Und traf damit offensichtlich einen wunden Punkt.
Denn der «Gottkönig» wird von seiner Entourage konsequent von allem
abgeschirmt, was am Image Seiner Heiligkeit und des tibetischen Buddhismus
kratzen könnte. «Dennoch war ich perplex, wie aggressiv und angespannt der
Dalai Lama auf einige Fragen reagierte», sagt Regli. Die empörten
Reaktionen auf Reglis Serie zeigen, dass man sich kritische Töne über die tibetische
Kultur und ihren Alleinherrscher, den Dalai Lama, (noch) nicht gewohnt ist.
Gerade in der Schweiz ist das Mitleid, das der brutale chinesische Einfall
im Tibet vor genau 40 Jahren auslöste, nach wie vor besonders groß. Denn
hier lebt eine namhafte tibetische Exilgemeinde mit eigenen Klöstern.
Der
«Kuschelbuddha»
Für die einseitig
positive Sicht der tibetischen Kultur durch den Westen sieht die Berner
Ethnologin Elisabeth Oberfeld Gründe: «Das verklärte Bild fußt in
Hoffnungen und Phantasien, dass dort 'Shangri La', eine heile Welt
existiert, sozusagen eine Art Paradies auf Erden. Die Mehrheit der
Darstellungen in den Medien, besonders die grossen Hollywood-Produktionen
wie 'Kundun', 'Little Buddha' oder 'Seven years in Tibet' tragen zu diesem
verklärten Bild noch bei.» Idealisierungen und Phantasien würden
systematisch kultiviert, die Tibeter einseitig als friedfertige Menschen
voller Mitgefühl dargestellt. Andere Aspekte der tibetischen Wirklichkeit
blieben hingegen ausgeblendet, findet Elisabeth Oberfeld, die den Tibet
insgesamt sechsmal bereist hat.
Doch nun schlage
das Pendel zurück, schrieb kürzlich das Magazin «Facts»: «Der tibetische
Buddhismus gerät in Misskredit.» Dies habe sich der Dalai Lama zu einem
großen Teil selbst zuzuschreiben. Er habe sich mit seinem «Publicity-Wahn»
disqualifiziert und zum «ewig lächelnden Kuschelbuddha» degradiert.
Auch Helmut Gassner
hat sich mittlerweile vom tibetischen Führer distanziert. Er war von 1979
bis 1995 persönlicher Deutschübersetzer des Dalai Lama und erinnert sich
eines «sehr herzlichen Verhältnisses» zu ihm. Heute sei er schockiert über
die «widersprüchlichen Aussagen, ja Lügen Seiner Heiligkeit».
Frauenfeindliche
Tradition
In jüngster Zeit
vermitteln nun auch zahlreiche, neu erschienene Bücher ein ungewohnt
düsteres Bild der tibetischen Kultur. June Campbell -
Religionswissenschaftlerin in Schottland - betont in ihrem Buch «Göttinnen,
Dakinis und ganz normale Frauen», frauenfeindliche Aspekte im tibetischen
System. Für eine selbstbestimmte Subjektivität der Frau sei kein Raum. Die
Konsequenzen von männlicher Macht, weiblicher Abhängigkeit und von
Geheimhaltung hat sie am eigenen Leib erfahren. Über Jahre sei sie die
«geheime sexuelle Gefährtin» ihres Lehrers Kalu Rinpoche, eines
hochverehrten «Mönchs-Lamas» gewesen. Strikt geheimgehaltene
tantrisch-sexuelle Beziehungen zwischen Lehrer und Schülerin sind indessen
keine Einzelfälle, so June Campbell: «Sie sind bloß die Spitze eines
Eisbergs spiritueller Tradition, in der Herrschaftsstrukturen, Geheimhaltung
und Ausschluss eine wichtige Rolle spielen.»
Rituelle
Sexualmagie
Die massivste
Kritik übt das neu erschienene Buch «Der Schatten des Dalai Lama» des
deutschen Autorenpaars Victoria und Victor Trimondi alias Mariana und
Herbert Röttgen. «Eine zutiefst Frauenfeindliche Kultur erscheint auf der
tibetisch-buddhistischen Bühne, wenn der pazifistische Vorhang des
Mitgefühls weggezogen wird», bestätigen der Verleger und die Historikerin
die Sicht von June Campbell, und sie gehen noch weiter: In tantrischen Sexualriten
werde den Frauen die weibliche Lebenskraft, die «Gynergie» als «Brennstoff»
abgezapft. Denn in der sakralen Sexualität, im Eros und insbesondere in der
«Gynergie» der Frau liege die Hauptenergie, womit durch rituelle
Sexualmagie unmittelbar der mysto-politische Motor des lamaistischen
Systems angetrieben werde. «Grundsätzlich unterschätzt der
profan-materialistisch orientierte Westen derartige Zusammenhänge völlig»,
ist Victoria Trimondi überzeugt: «Er ignoriert die Macht von Praktiken wie
die sexuelle Ritualmagie und die Gefahr, die davon ausgeht, völlig. In
ihrer einseitigen Geisteshaltung weigert sich die westliche Kultur leider,
eine breit gefächerte Diskussion darüber zu eröffnen. Sie überlässt den
Religionen blind ihr Feld, unter der Voraussetzung, dass sie sich an die
Gesetze des Staates halten.»
Insgesamt fasst das
Autorenpaar Trimondi in seinem über 800 Seiten schweren Buch das tibetische
System als einen «im Kern atavistischen, fundamentalistischen, sexistischen
und kriegerischen Kulturentwurf» zusammen, der eine «globale Buddhokratie»
anstrebe. Ein Kulturentwurf auch, der die westlichen Werte von Demokratie,
Meinungsfreiheit, Menschenrechten, Gleichberechtigung der Geschlechter und
Humanismus grundsätzlich in Frage stelle, obgleich er sich ständig darauf
berufe.
Aufruf zum Boykott
Am «Schatten des
Dalai Lama» scheiden sich die Geister: Ihr Buch werde in den Medien etwa zu
gleichen Teilen gut aufgenommen wie in der Luft zerrissen, meint Co-Autorin
Victoria Trimondi. Vernichtend urteilt etwa Peter Michel: «Es wäre
wünschenswert, wenn sich die am Buddhismus ernsthaft interessierten Leser
des Buches enthalten mögen», ruft der Chef und Vertriebsleiter des
Aquamarin Verlags in einem zweiseitigen Rundschreiben an Buchhandlungen
indirekt zum Boykott auf. Ein «historischer Tibet-Porno» sei das
«Machwerk». Dass Michels Esoterik-Verlag kein Interesse an der
Dalai-Lama-Kritik hat, ist allerdings einleuchtend: Erst letzten September
gab Michel den «Pfad des Mitgefühls» heraus, ein Buch, welches dem «Gottkönig»
die hinlänglich bekannte, strahlende Aura verleiht. Doch «Der Schatten des
Dalai Lama» verkauft sich gut. «Gerade dank der Kontroverse um das Buch»,
meint Victoria Trimondi. Schon bereiten die Co-Autoren die dritte,
überarbeitete Auflage vor.
Und bereits droht
weiteres Ungemach: Dieser Tage erscheint eine Streitschrift von Jutta
Ditfurth und Colin Goldner mit dem Titel «Dalai Lama, eine Biographie».
Darin bezichtigt der Sektenaufklärer Goldner das tibetische Oberhaupt unter
anderem, «religiöse Gehirnwäsche» zu betreiben.
FACTS Nr. 9 - 4. März 1999 - "Die Demontage Seiner
Heiligkeit"- Patrick Mauronund Stephanie Riedi - (MED 01)
DIE DEMONTAGE
SEINER HEILIGKEIT
Im Westen wird er verehrt und
als Friedensengel angehimmelt. Stars schmücken sich mit Seiner Heiligkeit.
Und 1999 jährt sich seine Flucht aus Tibet zum vierzigsten Mal.
Ausgerechnet jetzt fahren Kritiker dem DALAI-LAMA gehörig an den Karren.
GOTT ODER DÄMON?
Sexueller Missbrauch, Kontakt
mit Faschisten, Gehirnwäsche - die Vorwürfe gegen den Dalai-Lama haben's in
sich.
Sie kritisieren
den Dalai Lama:
Victor und Victoria Trimondi: Das
Autorenpaar will die Friedfertigkeit des Dalai-Lama als "eine
Maske" entlarven.
Colin Goldner: Der Psychologe
wird dem Dalai-Lama vor, er betreibe religiöse Gehirnwäsche.
Der Buddha ist der
Partyknüller. Neben Techno-Parade, Karneval und Feuerwerk ist das
geistliche und weltliche Oberhaupt von Tibet die Hauptattraktion an den
Genfer Fêtes de Genève Anfang August: Seine Heiligkeit, der Dalai-Lama.
Kaum eine Fete ohne den
64-jährigen Jetset-Mönch. Ob Filmpremiere oder Galadiner, der Dalai-Lama
wird dieses Jahr an kaum einem Promi-Anlass fehlen. Die Popularität des 14.
Dalai-Lama ist 40 Jahre nach seiner Flucht und der Niederschlagung des
tibetischen Volksaufstands am 10. März 1959 durch die chinesischen Besatzer
grösser denn je. Gedenkfeiern zum 40. Jahrestag finden in aller Welt statt.
1999 wird zum Dalai-Lama-Jahr.
Ausgerechnet jetzt, auf dem
Zenit der Verehrung Seiner Heiligkeit, erscheinen zwei Bücher mit
explosivem Inhalt. Der Buddha des Mitgefühls soll vom Sockel gesprengt
werden. "Aus dem Gott ist über Nacht ein Dämon geworden", heißt
es in der eben erschienenen 800 Seiten starken Anklageschrift "Der
Schatten des Dalai-Lama" von Victor und Victoria Trimondi. Das
Autorenpaar will die Friedfertigkeit des Dalai-Lama als "eine
Maske" entlarven und dem tibetischen Buddhismus als "einen im
Kern atavistischen, fundamentalistischen, sexistischen und kriegerischen
Kulturentwurf" darstellen.
Die zweite Streitschrift,
"Dalai-Lama - eine Biografie" von Colin Goldner, erscheint im
April. Der Sektenaufklärer bezichtigt das tibetische Oberhaupt, religiöse
Gehirnwäsche zu betreiben, Kontakte zu Rechtsradikalen zu unterhalten sowie
ein Glaubenssystem zu schützen, in dem Frauen und Mädchen sexuell
missbraucht werden. Psychologe Goldner, der in München eine Beratungsstelle
für Therapiegeschädigte führt, stützt sich auf Dokumente aus Dharamsala,
dem Sitz der tibetischen Exilregierung, Augenzeugenberichte, religiöse
Texte und die geschichtliche Deutung.
Die Demontage zielt auf einen
Gottkönig, der seit der Verleihung des Friedensnobelpreises vor zehn Jahren
auf einer Welle der Sympathie surft, die ihn bis nach Hollywood getragen
hat. Stars, Sternchen und Staatsmänner sonnen sich im Glanz des
charismatischen Buddhisten. Von Top-Model Cindy Crawford bis Modemacherin
Christa de Carouge, von Clinton bis Cotti fraternisieren sie mit dem
Friedensfürst. Dalai-Lama ist für alle da, Dalai Lama hat euch lieb. Ein
Treffen mit Seiner Heiligkeit vom Dach der Welt gilt als höchste Stufe
gesellschaftlicher Erleuchtung. In den letzten zwei Jahren bemächtigte sich
auch Hollywood des Themas Tibet. Spektakuläre Filmepen wie
"Kundun" und "Sieben Jahre in Tibet" vereinnahmten die
breite Masse endgültig.
Nun schlägt das Pendel zurück.
Der tibetische Buddhismus gerät in Misskredit. Tibetische Kreise zeigen
sich schockiert: "Die Bücher sind eine Ausbeutung der Unkenntnis des
Westens", sagt der Privatsekretär des Dalai-Lama, Kelsang Gyaltsen.
Damit werde der tibetische Buddhismus böswillig diffamiert.
Beide Bücher haben inhaltlich
verblüffende Parallelen. Das gleichzeitige Erscheinen der zwei Titel
erklärt Victor Trimondi mit dem "Zeitgeist": "Eine kritische
Auseinandersetzung mit der tibetischen Religion und dem Schattenseiten des
Dalai-Lama war überfällig."
Tatsächlich wurde der
Buddhismus im Vergleich zu Islam und Christentum bislang nur zögerlich
hinterfragt: "Der Buddhismus war nicht nur gewaltlos", sagt
Tibetkenner Martin Brauen vom Völkerkundemuseum der Uni Zürich. Im Westen
wurde der Buddhismus zum Mythos der Gewaltlosigkeit hochstilisiert und die
Sehnsüchte nach einem Land des Glücks auf Tibet projiziert. Daraus
resultierte der Mythos von Shangri La, dem Ort, wo Sanftmut die Herzen
regiert.
Einer, der an diesem Mythos
tatkräftig mitgebastelt hat, ist derselbe, der jetzt zum Halali bläst:
Herbert Röttgen mit Pseudonym Victor Trimondi, Koautor des "Schattens
des Dalai-Lama". In den Siebzigerjahren Mitglied einer maoistischen
Gruppe, fand er in den Achtzigerjahren Zuflucht bei der leiblichen
Inkarnation des Mitgefühls. Als Verleger von buddhistischem Jubel-Büchern
und Tourmanager Seiner Heiligkeit organisierte er für Dalai-Lama Auftritte
an der Frankfurter Buchmesse 1982 und Kongresse mit Carl Friedrich von
Weizsäcker, Fritjof Capra und David Bohm.
Doch Röttgen fand seine
Erleuchtung nicht. Stattdessen ging ihm ein Licht auf, als er mit seiner
Frau Victoria den tibetischen Buddhismus und den Dalai-Lama auf Herz und
Nieren prüfte. Nun zieht er als Aufklärer gegen seinen früheren Mentor ins
Feld. "Der Dalai-Lama ist nicht nur der einfache Mensch, als der er
sich darstellt", sagt er, "sondern ein sakraler Herrscher, der
über die weltliche und spirituelle Macht in einer Person verfügt."
Sein Anspruch auf Weltenherrschaft sei Bestandteil der buddhistischen
Doktrin. Röttgen verweist auf dem Tibetologen Robert Thurman, Vater der
Schauspielerin Uma Thurman. "Das Sprachrohr des Dalai-Lama" habe
1997 auf einer Tibet-Konferenz in Bonn den baldigen Untergang des dekadenten
Westens und seinen Ersatz durch eine weltweite buddhokratische Herrschaft
nach tibetischem Muster bekannt gegeben.
Radikale Desillusionierungen
für die Gläubigen und "Boom-Buddhisten". Allein in der Schweiz
gibt es 100 buddhistische Zentren, über 30 000 Sinnsuchende folgen dem Pfad
des Gutmenschen.
Von allen buddhistischen Linien
ist der tibetische Tantrismus in Europa und den USA am meisten verbreitet.
Als jüngste Buddhismus-Lehre hat sie laut dem Dalai-Lama "eine
ausgeprägte sexuelle Symbolik", woraus oft der falsche Eindruck
entstehe, es gehe um realen Sex. Die tantrischen Rituale bestünden
ausschliesslich aus visualisierten Übungen, um weibliche und männliche
Energien zu vereinen.
Das steht in krassem Gegensatz
zu einem der Hauptvorwürfe der Buchautoren Trimondi und Goldner. "Im
Tantrismus geht es um nichts anderes als um sexuelle Gewalt, darum,
angeblich für die eigene Erleuchtung Mädchen oder möglichst junge Frauen
sexuell auszubeuten", sagt Psychologe Goldner. Die sexuelle Übergriffe
und die streng geheim gehaltenen Sexualbeziehungen hochrangiger tibetischer
Lamas seien nicht Einzelfälle, sondern Teil des Systems als Zeuginnen
zitieren die Ankläger allerdings nur Westlerinnen.
Überhaupt, bemängelt Ethnologe
Brauen, fehle es dem Autoren für ihre wichtigsten Thesen an stichhaltigen
Beweisen. "Trimondis Anklageschrift basiert auf wortwörtlichem
Tantra-Übersetzungen, die über 1 000 Jahre alt und überholt sind." Das
sei, wie wenn ein Afrikaner anhand des Johannes-Evangeliums das heutige Christentum
erklären wollte. Dem entgegnet Röttgen: "Auch der Dalai-Lama bezieht
sich auf diese Texte und Rituale, die er durchführt."
Neben dem Gelehrtenstreit gibt
es auch handfestere Kritiken an Seiner Heiligkeit. Beim eifrigen Hausieren
für die Tibet-Sache hat er offenbar dem Blick für Gut und Böse verloren.
Seine Kontakte zum japanischen Guru und Giftgasmörder Shoko Asahara
brachten ihn unter anderem den ruf eines Fundifreundes ein. "Der
Dalai-Lama stellte dem faschistischen Sektenführer 1989 ein Empfehlungsschreiben
zur Verbreitung des Buddhismus in Japan aus", sagt Colin Goldner. Nur
dank diesem "Schutzbrief" sei es Ashara möglich gewesen, mit Aum
die wirtschaftlich potenteste Okkult-Sekte aller Zeiten aufzubauen, die für
den Giftgasanschlag in der Tokioter U-Bahn 1995 verantwortlich ist.
"Im Gegenzug sind gigantische Summen in die Kasse der tibetischen
Exilregierung geflossen."
Goldner hat noch weitere Pfeile
im Köcher. So bezichtigt er die tibetische Exilregierung einer
"gezielten Propaganda durch Falschinformation".
Tibet-Unterstützergemeinschaften sollten mit Argumenten gefüttert werden,
damit Spendengelder fließen. Letztlich fehle jeder Beweis für die angeblich
1,2 Millionen tibetischen Opfer die systematische Folterung politischer
Gefangener und dem viel zitierten kulturelle Völkermord.
Zynismus, nennt Kelsang
Gyaltsen, Privatsekretär Seiner Heiligkeit, die Vorwürfe Goldners. Was die
Todesopfer anbelangt, gesteht er, dass die Zahl nicht exakt sei, da sie auf
Befragungen von Flüchtlingen beruhe. "Die zurzeit 300 bis 400
Flüchtlinge pro Monat sind aber Zeugen genug." Im Januar hätten die
Chinesen eine neue Atheismuskampagne lanciert.
Viele Fehler hat sich der
Dalai-Lama selbst zuzuschreiben. Kitsch und Kommerz überschatten dem Mythos
Tibet und lenken von gesellschaftlichen und politisch-religiösen
Missständen ab. "Das Staatsorakel als politischer Entscheidungsträger
im Exilparlament ist mit einem demokratischen Staatssystem nur schwer
vereinbar", sagt selbst Martin Brauen. Auch führe die Institution der
wieder geborenen Lamas (Tulku) zu einer unerwünschten Machtkumulation.
Unbestritten ist, dass sich der
Dalai-Lama mit seiner Publicity-Wahn selbst disqualifiziert. Er posiert
gegen einen zweistelligen Dollar-Millionenbetrag als Werbemodell für Apple
Computer, gestaltet eine Sondernummer der Hochglanz-Postille
"Vogue" und verfasst Vorwörter für Fremdautoren im Akkord. Der
Marketingchef des Buddhismus hat sich damit zum ewig lächelnden
Kuschelbuddha degradiert.
Selbst Dalai-Lamas eigene
PR-Strategie "Gewaltlosigkeit, Toleranz und Mitgefühl" hat ihre
Halbwertszeit erreicht. "All die Sympathie-Bezeugungen der
Weltöffentlichkeit haben in 40 Jahren schlussendlich nicht s
gebracht", sagt der Schweiz-Tibeter Jigme Risur, Präsident des Vereins
Tibeter-Jugend Europa. "Wir sind die Rolle der netten Tiberterli
leid." Die Organisation stellt sich gegen die politische Zielsetzung
ihres Oberhaupts. Sie fordert ausdrücklich die Unabhängigkeit Tibets und
nicht nur Autonomie, wie sie der Dalai-Lama propagiert.
Außer für politische Differenzen
sorgt der Dalai-Lama seit Mitte der Neunzigerjahre auch für religiöse
Turbulenzen in dem eigenen Reihen. Mit der Erklärung, die Verehrung des
Schutzgeistes Dorje Shugden sei gefährlich, spaltete er die größte Schule
des Tantrismus, die so genannten Gelbmützen, in zwei Lager. Pikanterweise
ist der Dalai-Lama Oberhaupt der Gelbmützen.
"All die
Sympathie-Bezeugungen der Weltöffentlichkeit haben schlussendlich nichts
gebracht." (JIGME RISUR; VEREIN TIBETER-JUGEND EUROPA)
Die Schweiz ist ein Spiegel des
religiösen Bruderzwists. Seit Anfang der Sechzigerjahre lebt hier mit 2400
Menschen die größte exiltibetische Gemeinschaft außerhalb Asiens. Der
Shugden-Konflikt führte zum Bruch der beiden tibetischen Klöster in der
Schweiz. Die Mönche im Kloster in Mont-Pelerin VD beugen sich im
Unterschied zu jenen in Rikon ZH nicht dem Empfehlungen des Dalai-Lama.
"Wir verehren Seine Heiligkeit; aber wir könne nicht einem
jahrhundertealten Glauben abschwören", sagt Abt Gonsar Tulku Rinpoche.
Seither sind sie Outlaws für einen Grossteil der Exiltibeter, die hinter
dem Dalai-Lama stehen. Die sieben Mönche des Klosters in Rikon folgen
bedingungslos dem Kurs ihres Oberhauptes. Die ehemals guten Beziehungen
sind durch den Entscheid des Gottkönigs überschattet. Im einzigen vom
Dalai-Lama gegründeten Kloster des Westens mag man sich zum Konflikt nicht
mehr äußern. "Wir sind doch in erster Linie Tibeter", sagt der
stellvertretende Abt Lodro Tulku.
Wenn der Gottkönig heür die
Schweiz besucht, wird er nicht nur an den Fêtes de Genève seine Güte
lächelnd zu Markte tragen. Lächelnd wird er heuer nach Gina Lollobrigida,
Roger Moore, Fredy Knie und Armenpriester Abbe Pierre die Patenschaft für
den winzigsten Weinberg der Welt übernehmen: den 1,67 Quadratmeter kleinen
"Farinet" im Unterwalliser Ort Saillon. Damit wird der Dalai-Lama
- trotz Antialkohol-Gelübde - zum ersten buddhistischen Winzer.
Kommentar:
Ich (Victor Trimondi) war nie
Maoist. Siehe: Biographien
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