Der Schatten des Dalai Lama

Sexualität, Magie und Politik im tibetischen Buddhismus

 

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MEDIEN (01)

1. - BASELER ZEITUNG - 24. 12. 1999 - Religion in globaler Zeit - Aurel Schmidt

2. - BERNER ZEITUNG - 2. Mai 1999 - "Kratzer am Lack des mythischen Gottkönigs" - Hans Peter Roth

3. - FACTS Nr. 9 - 4. März 1999 - "Die Demontage Seiner Heiligkeit"- Patrick Mauron und Stephanie Riedi


Baseler Zeitung vom 24. 12. 1999

Religion in globaler Zeit

Fragen an den Buddhismus / Von Aurel Schmidt

Jeden Tag geht das Leben in Tibet weiter und verändert sich das Land etwas mehr, nicht unbedingt zum Guten. Das Stadtbild des alten Lhasa wird täglich ein Stück weiter zerstört, in Lhasa und Xigatze, den beiden größten Städten des Landes, überwiegt heute die chinesische Bevölkerung. Die Tibeter sind Fremde im eigenen Land geworden. Zweifellos sind Fortschritte erzielt worden, aber die chinesische Okkupation kann damit nicht gerechtfertigt werden. Wenn China behauptet, die kulturelle Eigenständigkeit Tibets zu respektieren und zu fördern, dann muss man sich fragen, warum zum Beispiel in allen Klöstern Tibets das Bild des Dalai Lama verschwunden ist. Nicht zu reden von der politischen Indoktrination und den religiösen Restriktionen, ganz besonders in den Klöstern. Die Tibeter reden mit den Touristen ziemlich offen darüber.

Man kann sich allerdings auch fragen, ob nicht zwischen Dalai Lama und chinesischer Führung in Beijing ein asiatisches Machtspiel abläuft. Der Dalai Lama gewinnt immer mehr Anhänger im Westen, die chinesische Führung weitet ihren Einfluss in Tibet und in der Welt aus. Es wäre nicht überraschend, wenn eines Tages der Dalai Lama mit chinesischer Billigung nach Tibet zurückkehrte. Beide Seiten würden dabei nur gewinnen - Yin und Yang ergänzen sich. Dies aber ist etwas, das die Menschen aus dem Westen am Ende der Aufklärung kaum verstehen können. Sie halten sich daran, was sie bekennen, und lassen dabei außer Acht, dass die Menschen in Asien ganz andere Vorstellungen von Zeit, Handlung, Einfluss, Macht und so weiter haben. Der Dalai Lama ist ein hervorragender Politiker. Beharrlich verfolgt er ein Ziel, das er keinen Augenblick lang aus den Augen verliert. Er denkt nicht ohne Erfolg in größeren Zeitkategorien. Darin liegt seine Überlegenheit. Die Rationalisten müssen dabei den Kürzeren ziehen.

ZWEI SICHTWEISEN

Langsam breitet sich der Buddhismus unter tibetischer Flagge im Westen aus. Buddhismus ist modern oder chic - und der Dalai Lama kann sich auf die Hollywood-Connection verlassen. Die Schauspielerin Goldie Hawn aus der US-Filmmetropole soll gesagt haben: «Ich meditiere und fühle mich sexy.» Wer sich zum Buddhismus bekennt, gehört mittlerweile zu den Gutsituierten, auch wenn es sich dabei häufig um einen Privat-Buddhismus handelt, aus dem sich jeder und jede die schönsten Rosinen herauspickt.

Robert Thurman, US-amerikanischer Professor für Religionswissenschaft in Amherst und Harvard und bekennender Buddhist, wie er von sich sagt, spricht von einem Zivilisationswandel, zieht durch die Lande, predigt von einer «inneren» und «coolen» Revolution und schwärmt von einer Buddhokratie beziehungsweise einem «Buddhaversum», allerdings ausdrücklich unter US-amerikanischer Vorherrschaft. Alle, die guten Willens sind, können daran teilnehmen, nachdem der judäo-christliche Utopismus versagt hat. Was vor sich geht, ist eine Entwicklung, die ansteckend wirkt, was in Anspielung

auf die Theorie von Rupert Sheldrake, ebenfalls bekennender Buddhist, auf die «morphische Resonanz» zurückzuführen ist. Das ist eher erbaulich als wissenschaftlich. Trotzdem wird und soll der Buddhismus die Welt erobern.

Aufs Ganze gesehen, ist Thurmans Buch «Revolution von innen» eine unumwundene buddhistische und noch mehr eine tibetische Propagandaschrift, auch wenn es jedem freigestellt ist, was er damit anstellt. Es stehen Dinge in dem Buch, die durchaus ansprechend sind, aber multikulturell oder multireligiös, wenn es denn sein muss, ist das Buch bestimmt nicht.

Dass man alles auch anders sehen und dabei zu völlig verschiedenen Ergebnissen kommen kann, zeigt ein anderes Buch: «Im Schatten des Dalai Lama» von Victor und Victoria Trimondi. Was Thurman in emphatischer, aber auch allgemein-nebulöser Weise ausdrückt, bringen Trimondi und Trimondi unumwunden auf den Begriff. Der Tantrismus (der tibetische Buddhismus), sagen sie, ist eine Theokratie, eine konservative bis totalitäre, undemokratische, frauenfeindliche Religion, der Dalai Lama, der unanfechtbar die geistige und weltliche Macht in Händen hält, ein geschickter «orientalischer Despot», der sich nach außen freundlich und verständnisvoll gibt, schlagfertig und humorvoll auftritt, aber im Inneren

unerbittlich seine Ziele verfolgt. Dass in dem Maß, wie ihm die Menschen im Westen zulaufen, die Kritik an ihm aus den eigenen Reihen zunimmt, ist noch eine andere Sache. Es sind zwei Punkte, die Trimondi und Trimondi zu zentralen Anliegen machen: zum einen die sexual-magischen tantrischen Kalachakra-Initiationsriten, die für einen kleinen Kreis von Eingeweihten über die spirituelle Visualisierung hinaus in einem praktischen und eindeutigen Sinn vollzogen werden. Dies zum Nachteil der Frauen, die von furchtbaren Lamas (Sanskrit «Guru», eigentlich Lehrer) missbraucht werden; und zum anderen die mit den Kalachakra-Tantras (Tantra bedeutet soviel wie Lehrtext, Lehrsystem) verbundene Vorstellung von einem Reich namens Shambhala, aus dem in der Publikumsversion die Erretter der Welt kommen, während für die Initiierten mit Shambhala in Wirklichkeit die vom Buddhismus eroberte Welt gemeint ist.

800 SEITEN ARGUMENTE

Auf 800 Seiten breiten die Trimondis ihre Argumente aus (hinter dem Pseudonym verbergen sich Herbert und Mariana Röttgen, die einst den Trikont Verlag betreut und auch enge Verbindungen mit dem Dalai Lama unterhalten haben). Ursprünglich hatten die beiden Autoren ein ganz anderes Buch schreiben wollen, aber als sie anfingen, sich mit der Materie näher zu befassen, wurden sie immer hellhöriger. Nicht anders war es bei der Vorbereitung dieser Rezension.

Der Umfang des Buchs verunmöglicht es, auf alle Details näher einzugehen. Ein gesamthafter Hinweis auf das Buch muss hier genügen. Wer will, kann darin neue Erkenntnisse gewinnen. Niemand muss es, so wie es ist, übernehmen, aber die Einwände, die alle gut belegt werden, sind gewichtig genug, um ernst genommen zu werden. Dass die von den Trimondis vorgebrachten Bedenken von China gesteuert sein könnten, wäre zu einfach. Alle Religionen streben danach, ihren Einfluss zu vergrößern, wie der Papst dies kürzlich auf seiner Reise in Indien für das Christentum in Asien geltend gemacht hat. Was den psychologischen Einfluss der tantrischen Rituale auf die Initiierten sowie ihre Sexualpartnerinnen betrifft, so können die Folgen gravierend sein. Tiefgreifende seelische Veränderungen können eintreten, wie sie zum Beispiel auch von ehemaligen Sektenmitgliedern bekannt sind. Verbunden damit ist eine ausgebaute Machtstellung der Lamas bis hin zum Dalai Lama. Das Buch der beiden Autoren hat begreiflicherweise heftige Kontroversen ausgelöst, die ausführlich im Internet veröffentlicht worden sind. Vielleicht am gewichtigsten sind dabei die Reaktionen der Frauen, die im Zeichen ihrer Buddhismus-Gläubigkeit als «Sex-Sklavinnen» zu leiden hatten, wie es die US-Amerikanerin June Campbell in dem auch auf Deutsch erhältlichen Buch «Göttinnen, Dakinis und ganz normale Frauen» (Berlin 1997) über die Rolle der Frau im Tantrismus beschrieben hat. Was die Trimondis mit ihrem Buch beabsichtigen, ist eine engagierte Religionskritik. Auch das Christentum, auch der Islam sind im Visier.

Religionen sind nicht nur aus naheliegenden Gründen autoritär - im Zeitalter der Globalität ändert sich auch der Charakter der Religionen immer mehr. Sie globalisieren sich selber, werden in zunehmender Weise aggressiv und treten in ihrem Anspruch auf letzte Wahrheiten immer unnachgiebiger auf. Das alles aber ist in einer Zeit, wo die Menschen immer dringender nach Sinn suchen und ihn in den Religionen zu finden hoffen, eine enttäuschende Erkenntnis. Wenn Sinn nur in irgendeiner Form von Abhängigkeit bestehen kann, ist das ein verkehrter Sinn. Der Buddhismus ist wahrscheinlich für viele Menschen deshalb so attraktiv, weil er ohne einen persönlichen Gott auskommt. Er versucht, einen individuell gangbaren Weg aufzuzeigen, wie man sich aus dem Kreislauf der Verstrickungen des irdischen Daseins befreien kann. Ein Pop- oder

Instant-Buddhismus aber kann das nicht leisten. Was die Diskussion, die das Buch von Trimondi und Trimondi ausgelöst hat, über den expliziten Inhalt hinaus zu erkennen gegeben hat, ist die Notwendigkeit, den Buddhismus kritisch zu befragen. Vieles ist bisher von vielen Menschen wahrscheinlich viel zu oberflächlich beziehungsweise idealistisch betrachtet worden. Kritische Wachsamkeit kann demgegenüber sehr wohl eine begleitende Anteilnahme sein.       A.S.

Literatur

Robert Thurman: Revolution von innen. Die Lehren des Buddhismus oder das vollkommene Glück. Mit einem Vorwort des Dalai Lama. Aus dem Amerikanischen von Dagmar Ahrens-Thiele. Econ. 302 Seiten. Fr. 37.--

Victor und Victoria Trimondi: Der Schatten des Dalai Lama. Sexualität, Magie und Politik im tibetischen Buddhismus. Patmos. 812 Seiten. Fr. 52.50.


BERNER ZEITUNG - 2. Mai 1999 - "Kratzer am Lack des mythischen Gottkönigs" - Hans Peter Roth - (MED 01)

Dalai Lama: Kratzer am Lack des mythischen «Gottkönigs»

Hans Peter Roth entdeckt in neusten Büchern Schatten über dem verklärten Tibet-Bild

Die Schonfrist für den Dalai Lama und den tibetischen Buddhismus ist vorbei. Vierzig Jahre nach der chinesischen Invasion rütteln gleich mehrere Autoren kräftig an verklärten westlichen Klischees über die angeblich so friedliche tibetische Kultur.

«Falsch!» sagt der Dalai Lama nachdrücklich vor laufender Kamera: «Ihre Behauptungen sind unwahr! Es gibt keine Gewalt unter Tibetern.» In einer «10 vor 10»-Sendung reagierte das religiöse und weltliche Oberhaupt der Tibeter gereizt auf kritische Fragen von Reporter Beat Regli. Der Schweizer TV-Mann hatte Übergriffe unter Exiltibetern in Indien dokumentiert und wollte den Dalai Lama darauf ansprechen. Und traf damit offensichtlich einen wunden Punkt. Denn der «Gottkönig» wird von seiner Entourage konsequent von allem abgeschirmt, was am Image Seiner Heiligkeit und des tibetischen Buddhismus kratzen könnte. «Dennoch war ich perplex, wie aggressiv und angespannt der Dalai Lama auf einige Fragen reagierte», sagt Regli. Die empörten Reaktionen auf Reglis Serie zeigen, dass man sich kritische Töne über die tibetische Kultur und ihren Alleinherrscher, den Dalai Lama, (noch) nicht gewohnt ist. Gerade in der Schweiz ist das Mitleid, das der brutale chinesische Einfall im Tibet vor genau 40 Jahren auslöste, nach wie vor besonders groß. Denn hier lebt eine namhafte tibetische Exilgemeinde mit eigenen Klöstern.

Der «Kuschelbuddha»

Für die einseitig positive Sicht der tibetischen Kultur durch den Westen sieht die Berner Ethnologin Elisabeth Oberfeld Gründe: «Das verklärte Bild fußt in Hoffnungen und Phantasien, dass dort 'Shangri La', eine heile Welt existiert, sozusagen eine Art Paradies auf Erden. Die Mehrheit der Darstellungen in den Medien, besonders die grossen Hollywood-Produktionen wie 'Kundun', 'Little Buddha' oder 'Seven years in Tibet' tragen zu diesem verklärten Bild noch bei.» Idealisierungen und Phantasien würden systematisch kultiviert, die Tibeter einseitig als friedfertige Menschen voller Mitgefühl dargestellt. Andere Aspekte der tibetischen Wirklichkeit blieben hingegen ausgeblendet, findet Elisabeth Oberfeld, die den Tibet insgesamt sechsmal bereist hat.

Doch nun schlage das Pendel zurück, schrieb kürzlich das Magazin «Facts»: «Der tibetische Buddhismus gerät in Misskredit.» Dies habe sich der Dalai Lama zu einem großen Teil selbst zuzuschreiben. Er habe sich mit seinem «Publicity-Wahn» disqualifiziert und zum «ewig lächelnden Kuschelbuddha» degradiert.

Auch Helmut Gassner hat sich mittlerweile vom tibetischen Führer distanziert. Er war von 1979 bis 1995 persönlicher Deutschübersetzer des Dalai Lama und erinnert sich eines «sehr herzlichen Verhältnisses» zu ihm. Heute sei er schockiert über die «widersprüchlichen Aussagen, ja Lügen Seiner Heiligkeit».

Frauenfeindliche Tradition

In jüngster Zeit vermitteln nun auch zahlreiche, neu erschienene Bücher ein ungewohnt düsteres Bild der tibetischen Kultur. June Campbell - Religionswissenschaftlerin in Schottland - betont in ihrem Buch «Göttinnen, Dakinis und ganz normale Frauen», frauenfeindliche Aspekte im tibetischen System. Für eine selbstbestimmte Subjektivität der Frau sei kein Raum. Die Konsequenzen von männlicher Macht, weiblicher Abhängigkeit und von Geheimhaltung hat sie am eigenen Leib erfahren. Über Jahre sei sie die «geheime sexuelle Gefährtin» ihres Lehrers Kalu Rinpoche, eines hochverehrten «Mönchs-Lamas» gewesen. Strikt geheimgehaltene tantrisch-sexuelle Beziehungen zwischen Lehrer und Schülerin sind indessen keine Einzelfälle, so June Campbell: «Sie sind bloß die Spitze eines Eisbergs spiritueller Tradition, in der Herrschaftsstrukturen, Geheimhaltung und Ausschluss eine wichtige Rolle spielen.»

Rituelle Sexualmagie

Die massivste Kritik übt das neu erschienene Buch «Der Schatten des Dalai Lama» des deutschen Autorenpaars Victoria und Victor Trimondi alias Mariana und Herbert Röttgen. «Eine zutiefst Frauenfeindliche Kultur erscheint auf der tibetisch-buddhistischen Bühne, wenn der pazifistische Vorhang des Mitgefühls weggezogen wird», bestätigen der Verleger und die Historikerin die Sicht von June Campbell, und sie gehen noch weiter: In tantrischen Sexualriten werde den Frauen die weibliche Lebenskraft, die «Gynergie» als «Brennstoff» abgezapft. Denn in der sakralen Sexualität, im Eros und insbesondere in der «Gynergie» der Frau liege die Hauptenergie, womit durch rituelle Sexualmagie unmittelbar der mysto-politische Motor des lamaistischen Systems angetrieben werde. «Grundsätzlich unterschätzt der profan-materialistisch orientierte Westen derartige Zusammenhänge völlig», ist Victoria Trimondi überzeugt: «Er ignoriert die Macht von Praktiken wie die sexuelle Ritualmagie und die Gefahr, die davon ausgeht, völlig. In ihrer einseitigen Geisteshaltung weigert sich die westliche Kultur leider, eine breit gefächerte Diskussion darüber zu eröffnen. Sie überlässt den Religionen blind ihr Feld, unter der Voraussetzung, dass sie sich an die Gesetze des Staates halten.»

Insgesamt fasst das Autorenpaar Trimondi in seinem über 800 Seiten schweren Buch das tibetische System als einen «im Kern atavistischen, fundamentalistischen, sexistischen und kriegerischen Kulturentwurf» zusammen, der eine «globale Buddhokratie» anstrebe. Ein Kulturentwurf auch, der die westlichen Werte von Demokratie, Meinungsfreiheit, Menschenrechten, Gleichberechtigung der Geschlechter und Humanismus grundsätzlich in Frage stelle, obgleich er sich ständig darauf berufe.

Aufruf zum Boykott

Am «Schatten des Dalai Lama» scheiden sich die Geister: Ihr Buch werde in den Medien etwa zu gleichen Teilen gut aufgenommen wie in der Luft zerrissen, meint Co-Autorin Victoria Trimondi. Vernichtend urteilt etwa Peter Michel: «Es wäre wünschenswert, wenn sich die am Buddhismus ernsthaft interessierten Leser des Buches enthalten mögen», ruft der Chef und Vertriebsleiter des Aquamarin Verlags in einem zweiseitigen Rundschreiben an Buchhandlungen indirekt zum Boykott auf. Ein «historischer Tibet-Porno» sei das «Machwerk». Dass Michels Esoterik-Verlag kein Interesse an der Dalai-Lama-Kritik hat, ist allerdings einleuchtend: Erst letzten September gab Michel den «Pfad des Mitgefühls» heraus, ein Buch, welches dem «Gottkönig» die hinlänglich bekannte, strahlende Aura verleiht. Doch «Der Schatten des Dalai Lama» verkauft sich gut. «Gerade dank der Kontroverse um das Buch», meint Victoria Trimondi. Schon bereiten die Co-Autoren die dritte, überarbeitete Auflage vor.

Und bereits droht weiteres Ungemach: Dieser Tage erscheint eine Streitschrift von Jutta Ditfurth und Colin Goldner mit dem Titel «Dalai Lama, eine Biographie». Darin bezichtigt der Sektenaufklärer Goldner das tibetische Oberhaupt unter anderem, «religiöse Gehirnwäsche» zu betreiben.


FACTS Nr. 9 - 4. März 1999 - "Die Demontage Seiner Heiligkeit"- Patrick Mauronund Stephanie Riedi - (MED 01)

DIE DEMONTAGE SEINER HEILIGKEIT

Im Westen wird er verehrt und als Friedensengel angehimmelt. Stars schmücken sich mit Seiner Heiligkeit. Und 1999 jährt sich seine Flucht aus Tibet zum vierzigsten Mal. Ausgerechnet jetzt fahren Kritiker dem DALAI-LAMA gehörig an den Karren.

GOTT ODER DÄMON?

Sexueller Missbrauch, Kontakt mit Faschisten, Gehirnwäsche - die Vorwürfe gegen den Dalai-Lama haben's in sich.

Sie kritisieren den Dalai Lama:

Victor und Victoria Trimondi: Das Autorenpaar will die Friedfertigkeit des Dalai-Lama als "eine Maske" entlarven.

Colin Goldner: Der Psychologe wird dem Dalai-Lama vor, er betreibe religiöse Gehirnwäsche.

Der Buddha ist der Partyknüller. Neben Techno-Parade, Karneval und Feuerwerk ist das geistliche und weltliche Oberhaupt von Tibet die Hauptattraktion an den Genfer Fêtes de Genève Anfang August: Seine Heiligkeit, der Dalai-Lama.

Kaum eine Fete ohne den 64-jährigen Jetset-Mönch. Ob Filmpremiere oder Galadiner, der Dalai-Lama wird dieses Jahr an kaum einem Promi-Anlass fehlen. Die Popularität des 14. Dalai-Lama ist 40 Jahre nach seiner Flucht und der Niederschlagung des tibetischen Volksaufstands am 10. März 1959 durch die chinesischen Besatzer grösser denn je. Gedenkfeiern zum 40. Jahrestag finden in aller Welt statt. 1999 wird zum Dalai-Lama-Jahr.

Ausgerechnet jetzt, auf dem Zenit der Verehrung Seiner Heiligkeit, erscheinen zwei Bücher mit explosivem Inhalt. Der Buddha des Mitgefühls soll vom Sockel gesprengt werden. "Aus dem Gott ist über Nacht ein Dämon geworden", heißt es in der eben erschienenen 800 Seiten starken Anklageschrift "Der Schatten des Dalai-Lama" von Victor und Victoria Trimondi. Das Autorenpaar will die Friedfertigkeit des Dalai-Lama als "eine Maske" entlarven und dem tibetischen Buddhismus als "einen im Kern atavistischen, fundamentalistischen, sexistischen und kriegerischen Kulturentwurf" darstellen.

Die zweite Streitschrift, "Dalai-Lama - eine Biografie" von Colin Goldner, erscheint im April. Der Sektenaufklärer bezichtigt das tibetische Oberhaupt, religiöse Gehirnwäsche zu betreiben, Kontakte zu Rechtsradikalen zu unterhalten sowie ein Glaubenssystem zu schützen, in dem Frauen und Mädchen sexuell missbraucht werden. Psychologe Goldner, der in München eine Beratungsstelle für Therapiegeschädigte führt, stützt sich auf Dokumente aus Dharamsala, dem Sitz der tibetischen Exilregierung, Augenzeugenberichte, religiöse Texte und die geschichtliche Deutung.

Die Demontage zielt auf einen Gottkönig, der seit der Verleihung des Friedensnobelpreises vor zehn Jahren auf einer Welle der Sympathie surft, die ihn bis nach Hollywood getragen hat. Stars, Sternchen und Staatsmänner sonnen sich im Glanz des charismatischen Buddhisten. Von Top-Model Cindy Crawford bis Modemacherin Christa de Carouge, von Clinton bis Cotti fraternisieren sie mit dem Friedensfürst. Dalai-Lama ist für alle da, Dalai Lama hat euch lieb. Ein Treffen mit Seiner Heiligkeit vom Dach der Welt gilt als höchste Stufe gesellschaftlicher Erleuchtung. In den letzten zwei Jahren bemächtigte sich auch Hollywood des Themas Tibet. Spektakuläre Filmepen wie "Kundun" und "Sieben Jahre in Tibet" vereinnahmten die breite Masse endgültig.

Nun schlägt das Pendel zurück. Der tibetische Buddhismus gerät in Misskredit. Tibetische Kreise zeigen sich schockiert: "Die Bücher sind eine Ausbeutung der Unkenntnis des Westens", sagt der Privatsekretär des Dalai-Lama, Kelsang Gyaltsen. Damit werde der tibetische Buddhismus böswillig diffamiert.

Beide Bücher haben inhaltlich verblüffende Parallelen. Das gleichzeitige Erscheinen der zwei Titel erklärt Victor Trimondi mit dem "Zeitgeist": "Eine kritische Auseinandersetzung mit der tibetischen Religion und dem Schattenseiten des Dalai-Lama war überfällig."

Tatsächlich wurde der Buddhismus im Vergleich zu Islam und Christentum bislang nur zögerlich hinterfragt: "Der Buddhismus war nicht nur gewaltlos", sagt Tibetkenner Martin Brauen vom Völkerkundemuseum der Uni Zürich. Im Westen wurde der Buddhismus zum Mythos der Gewaltlosigkeit hochstilisiert und die Sehnsüchte nach einem Land des Glücks auf Tibet projiziert. Daraus resultierte der Mythos von Shangri La, dem Ort, wo Sanftmut die Herzen regiert.

Einer, der an diesem Mythos tatkräftig mitgebastelt hat, ist derselbe, der jetzt zum Halali bläst: Herbert Röttgen mit Pseudonym Victor Trimondi, Koautor des "Schattens des Dalai-Lama". In den Siebzigerjahren Mitglied einer maoistischen Gruppe, fand er in den Achtzigerjahren Zuflucht bei der leiblichen Inkarnation des Mitgefühls. Als Verleger von buddhistischem Jubel-Büchern und Tourmanager Seiner Heiligkeit organisierte er für Dalai-Lama Auftritte an der Frankfurter Buchmesse 1982 und Kongresse mit Carl Friedrich von Weizsäcker, Fritjof Capra und David Bohm.

Doch Röttgen fand seine Erleuchtung nicht. Stattdessen ging ihm ein Licht auf, als er mit seiner Frau Victoria den tibetischen Buddhismus und den Dalai-Lama auf Herz und Nieren prüfte. Nun zieht er als Aufklärer gegen seinen früheren Mentor ins Feld. "Der Dalai-Lama ist nicht nur der einfache Mensch, als der er sich darstellt", sagt er, "sondern ein sakraler Herrscher, der über die weltliche und spirituelle Macht in einer Person verfügt." Sein Anspruch auf Weltenherrschaft sei Bestandteil der buddhistischen Doktrin. Röttgen verweist auf dem Tibetologen Robert Thurman, Vater der Schauspielerin Uma Thurman. "Das Sprachrohr des Dalai-Lama" habe 1997 auf einer Tibet-Konferenz in Bonn den baldigen Untergang des dekadenten Westens und seinen Ersatz durch eine weltweite buddhokratische Herrschaft nach tibetischem Muster bekannt gegeben.

Radikale Desillusionierungen für die Gläubigen und "Boom-Buddhisten". Allein in der Schweiz gibt es 100 buddhistische Zentren, über 30 000 Sinnsuchende folgen dem Pfad des Gutmenschen.

Von allen buddhistischen Linien ist der tibetische Tantrismus in Europa und den USA am meisten verbreitet. Als jüngste Buddhismus-Lehre hat sie laut dem Dalai-Lama "eine ausgeprägte sexuelle Symbolik", woraus oft der falsche Eindruck entstehe, es gehe um realen Sex. Die tantrischen Rituale bestünden ausschliesslich aus visualisierten Übungen, um weibliche und männliche Energien zu vereinen.

Das steht in krassem Gegensatz zu einem der Hauptvorwürfe der Buchautoren Trimondi und Goldner. "Im Tantrismus geht es um nichts anderes als um sexuelle Gewalt, darum, angeblich für die eigene Erleuchtung Mädchen oder möglichst junge Frauen sexuell auszubeuten", sagt Psychologe Goldner. Die sexuelle Übergriffe und die streng geheim gehaltenen Sexualbeziehungen hochrangiger tibetischer Lamas seien nicht Einzelfälle, sondern Teil des Systems als Zeuginnen zitieren die Ankläger allerdings nur Westlerinnen.

Überhaupt, bemängelt Ethnologe Brauen, fehle es dem Autoren für ihre wichtigsten Thesen an stichhaltigen Beweisen. "Trimondis Anklageschrift basiert auf wortwörtlichem Tantra-Übersetzungen, die über 1 000 Jahre alt und überholt sind." Das sei, wie wenn ein Afrikaner anhand des Johannes-Evangeliums das heutige Christentum erklären wollte. Dem entgegnet Röttgen: "Auch der Dalai-Lama bezieht sich auf diese Texte und Rituale, die er durchführt."

Neben dem Gelehrtenstreit gibt es auch handfestere Kritiken an Seiner Heiligkeit. Beim eifrigen Hausieren für die Tibet-Sache hat er offenbar dem Blick für Gut und Böse verloren. Seine Kontakte zum japanischen Guru und Giftgasmörder Shoko Asahara brachten ihn unter anderem den ruf eines Fundifreundes ein. "Der Dalai-Lama stellte dem faschistischen Sektenführer 1989 ein Empfehlungsschreiben zur Verbreitung des Buddhismus in Japan aus", sagt Colin Goldner. Nur dank diesem "Schutzbrief" sei es Ashara möglich gewesen, mit Aum die wirtschaftlich potenteste Okkult-Sekte aller Zeiten aufzubauen, die für den Giftgasanschlag in der Tokioter U-Bahn 1995 verantwortlich ist. "Im Gegenzug sind gigantische Summen in die Kasse der tibetischen Exilregierung geflossen."

Goldner hat noch weitere Pfeile im Köcher. So bezichtigt er die tibetische Exilregierung einer "gezielten Propaganda durch Falschinformation". Tibet-Unterstützergemeinschaften sollten mit Argumenten gefüttert werden, damit Spendengelder fließen. Letztlich fehle jeder Beweis für die angeblich 1,2 Millionen tibetischen Opfer die systematische Folterung politischer Gefangener und dem viel zitierten kulturelle Völkermord.

Zynismus, nennt Kelsang Gyaltsen, Privatsekretär Seiner Heiligkeit, die Vorwürfe Goldners. Was die Todesopfer anbelangt, gesteht er, dass die Zahl nicht exakt sei, da sie auf Befragungen von Flüchtlingen beruhe. "Die zurzeit 300 bis 400 Flüchtlinge pro Monat sind aber Zeugen genug." Im Januar hätten die Chinesen eine neue Atheismuskampagne lanciert.

Viele Fehler hat sich der Dalai-Lama selbst zuzuschreiben. Kitsch und Kommerz überschatten dem Mythos Tibet und lenken von gesellschaftlichen und politisch-religiösen Missständen ab. "Das Staatsorakel als politischer Entscheidungsträger im Exilparlament ist mit einem demokratischen Staatssystem nur schwer vereinbar", sagt selbst Martin Brauen. Auch führe die Institution der wieder geborenen Lamas (Tulku) zu einer unerwünschten Machtkumulation.

Unbestritten ist, dass sich der Dalai-Lama mit seiner Publicity-Wahn selbst disqualifiziert. Er posiert gegen einen zweistelligen Dollar-Millionenbetrag als Werbemodell für Apple Computer, gestaltet eine Sondernummer der Hochglanz-Postille "Vogue" und verfasst Vorwörter für Fremdautoren im Akkord. Der Marketingchef des Buddhismus hat sich damit zum ewig lächelnden Kuschelbuddha degradiert.

Selbst Dalai-Lamas eigene PR-Strategie "Gewaltlosigkeit, Toleranz und Mitgefühl" hat ihre Halbwertszeit erreicht. "All die Sympathie-Bezeugungen der Weltöffentlichkeit haben in 40 Jahren schlussendlich nicht s gebracht", sagt der Schweiz-Tibeter Jigme Risur, Präsident des Vereins Tibeter-Jugend Europa. "Wir sind die Rolle der netten Tiberterli leid." Die Organisation stellt sich gegen die politische Zielsetzung ihres Oberhaupts. Sie fordert ausdrücklich die Unabhängigkeit Tibets und nicht nur Autonomie, wie sie der Dalai-Lama propagiert.

Außer für politische Differenzen sorgt der Dalai-Lama seit Mitte der Neunzigerjahre auch für religiöse Turbulenzen in dem eigenen Reihen. Mit der Erklärung, die Verehrung des Schutzgeistes Dorje Shugden sei gefährlich, spaltete er die größte Schule des Tantrismus, die so genannten Gelbmützen, in zwei Lager. Pikanterweise ist der Dalai-Lama Oberhaupt der Gelbmützen.

"All die Sympathie-Bezeugungen der Weltöffentlichkeit haben schlussendlich nichts gebracht." (JIGME RISUR; VEREIN TIBETER-JUGEND EUROPA)

Die Schweiz ist ein Spiegel des religiösen Bruderzwists. Seit Anfang der Sechzigerjahre lebt hier mit 2400 Menschen die größte exiltibetische Gemeinschaft außerhalb Asiens. Der Shugden-Konflikt führte zum Bruch der beiden tibetischen Klöster in der Schweiz. Die Mönche im Kloster in Mont-Pelerin VD beugen sich im Unterschied zu jenen in Rikon ZH nicht dem Empfehlungen des Dalai-Lama. "Wir verehren Seine Heiligkeit; aber wir könne nicht einem jahrhundertealten Glauben abschwören", sagt Abt Gonsar Tulku Rinpoche. Seither sind sie Outlaws für einen Grossteil der Exiltibeter, die hinter dem Dalai-Lama stehen. Die sieben Mönche des Klosters in Rikon folgen bedingungslos dem Kurs ihres Oberhauptes. Die ehemals guten Beziehungen sind durch den Entscheid des Gottkönigs überschattet. Im einzigen vom Dalai-Lama gegründeten Kloster des Westens mag man sich zum Konflikt nicht mehr äußern. "Wir sind doch in erster Linie Tibeter", sagt der stellvertretende Abt Lodro Tulku.

Wenn der Gottkönig heür die Schweiz besucht, wird er nicht nur an den Fêtes de Genève seine Güte lächelnd zu Markte tragen. Lächelnd wird er heuer nach Gina Lollobrigida, Roger Moore, Fredy Knie und Armenpriester Abbe Pierre die Patenschaft für den winzigsten Weinberg der Welt übernehmen: den 1,67 Quadratmeter kleinen "Farinet" im Unterwalliser Ort Saillon. Damit wird der Dalai-Lama - trotz Antialkohol-Gelübde - zum ersten buddhistischen Winzer.

Kommentar:

Ich (Victor Trimondi) war nie Maoist. Siehe: Biographien

 

 

 

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