MEDIEN (05)
1. -
PUBLIK FORUM - 10. April 1999 - "Der Schatten des tibetischen
Buddhismus" - Norbert Copray
2. -
BADISCHE ZEITUNG - 22. März 1999 - "Der Dalai Lama - Ende einer
schönen Legende" - Johannes Schradl
3. -
DER STANDARD - 9. März 1999 - "Verklärung und Entlarvung" -
Brigitte Voykowitsch
PUBLIK FORUM - 10. April 1999 - "Der Schatten des
tibetischen Buddhismus" - Norbert Copray
Der Dalai Lama in
der Kritik
Der Schatten des
tibetischen Buddhismus
Hat auch die
Religion des Dalai Lama ihre »Leichen im Keller«?
Ein Buch erregt die
Gemüter.
Aufruhr in der
buddhistischen Szene in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Das neue
Buch von Mariana und Herbert Röttgen, erschienen unter dem Pseudonym von
Victoria und Victor Trimondi mit dem Titel »Der Schatten des Dalai Lama«,
hat wie ein Blitz eingeschlagen. Die buddhistische Szene gibt sich im Allgemeinen
friedlich und weltoffen. Doch die fundamentale Kritik des Autorenpaares ist
starker Tobak für die Buddhisten, die durch das Buch ihre Religion und den
Dalai Lama auf das schwerste diffamiert sehen. Seit Wochen gehen nun Droh-
und Schmähbriefe bei Verlag und Autoren ein. Auf einer öffentlichen
Veranstaltung kürzlich in Frankfurt stieß ein Vertreter aus dem
unmittelbaren Freundeskreis des Dalai Lama wilde Drohungen gegen Mariana
und Herbert Röttgen aus.
Die Autoren haben
für deutschsprachige Verhältnisse einen Tabubruch begangen. In den
angelsächsischen Ländern schwillt seit einiger Zeit die kritische Literatur
zum Buddhismus, auch von Buddhisten, an. Speziell in Deutschland verharrten
die Medien in meist wohlwollenden, unkritischen Darstellungen. So konnte es
dazu kommen, dass etwa im Spiegel vor geraumer Zeit zu lesen war,
der Buddhismus sei die einzige Religion, die keine Leichen im Keller habe.
Was besonders Herbert Röttgen ärgert, denn eine solche Aussage zeuge nicht
nur von Unwissenheit, sondern auch vom gelungenen Marketing, das der Dalai
Lama im Westen in eigener Sache zu veranstalten verstehe. Die Person des
Dalai Lama fasziniert auch das Ehepaar Röttgen, und was der Dalai Lama
öffentlich sagt und tut, könnten sie Punkt für Punkt unterschreiben. Aber
es geht darum, hinter diese Oberfläche zu schauen und zu verstehen, was
tibetischer Buddhismus von alters her ist, wie er auch heute noch
organisiert ist und funktioniert, welche Ziele sich mit ihm verbinden und
wie er sie zu erreichen trachtet.
Buddhismus ist
nicht gleich Buddhismus. Der tibetische Buddhismus vereinigt im Grundsatz
den Mahayana-Buddhismus, der den Buddhismus der
breiten Bevölkerung nachvollziehbar macht, mit vorbuddhistischen sexuell-tantrischen, magischen und typisch tibetischen
kulturellen Traditionen zu einer eigenen großen Konfession neben anderen
buddhistischen Konfessionen. Doch selbst innerhalb des tibetischen
Buddhismus gibt es verschiedene Schulen, die sich nicht immer grün sind.
Aus Kreisen des Dalai Lama werden die Anhänger einer dieser Schulen sogar
der Kooperation mit den chinesischen Eroberern und Unterdrückern Tibets
verdächtigt. Von diesen sollen sie auch Gelder entgegengenommen haben.
Ähnliche Vorwürfe
werden jetzt an die Adresse des Autorenpaars Röttgen gerichtet. Sie sollen
eine Milliarde Mark von Seiten der katholischen Kirche oder der
evangelischen Kirche, seitens der Chinesen oder der Scientology-Organisation
für ihre »Hetzkampagne« erhalten haben. Nichts davon ist wahr. Wahr ist
allerdings, dass die Patmos-Verlagsgruppe seit mehr als vierzig
Jahren für ein fundiertes aufklärerisches und
humanistisches Sach- und Fachbuchprogramm steht, dass so erlesene Köpfe
versammelt wie Leonardo Boff und Eugen
Drewermann. Sie stehen für eine scharfe Kritik an der katholischen Amtskirche
und ihrer Art, das Christentum auszulegen und zu gebrauchen. Da ist das
Buch Röttgens nicht nur in guter Gesellschaft, sondern noch vergleichsweise
moderat.
Blick auf eine
Religion mit höchst irdischen Konflikten
Der Versuch, über
die Biographien der Autoren den Buchinhalt niederzumachen, dürfte
misslingen und ist in der Absicht leicht durchschaubar. Es ist richtig,
dass Herbert Röttgen in den sechziger Jahren zur links-revolutionären Szene
in München gehörte und in seinem Trikont-Verlag unter anderem die
kleine rote Mao-Bibel verlegte. Aber was sagt das aus? Immerhin hat er in
den achtziger Jahren so wertvolle und wichtige Bücher wie »Die
Wiederverzauberung der Welt« von Morris Bermann, »Fülle und Nichts« von dem
Dominikaner-Mystiker David Steindl- Rast und »Die
Logik der Liebe« des Dalai Lama herausgebracht.
Der Weg Röttgens
ist seit 1982 eine starke Annäherung an den tibetischen Buddhismus und eine
direkte Begegnung mit dem Dalai Lama, um dann dessen Aufforderung ernst zu
nehmen, nicht einfach einen Religionswechsel aus Faszination zu vollziehen,
sondern diese Religion und ihre Wege genau zu prüfen, Erfahrungen zu
sammeln und kritisch zu untersuchen. Das Ergebnis ist allerdings negativ
ausgefallen.
Mariana und Herbert
Röttgen sehen im tibetischen Buddhismus eine rückwärtsgewandte Religion mit
einem ausgeprägten Geister- und Dämonenglauben, mit vielen gestuften
esoterischen Lehren und Initiationen, die letztlich auf eine »Buddhokratie«
hinauslaufen, die den Menschen und die Gesellschaft total, das heißt
existentiell, religiös, ethisch, sozial und politisch in Anspruch nehmen
wollen. Um das überhaupt für möglich zu halten, ist ein gründliches Studium
der historischen, religiösen, theologischen, spirituellen und
gesellschaftspolitischen Hintergründe des tibetischen Buddhismus sowie der
Rolle und Funktion des Dalai Lama notwendig. Was Röttgen und Röttgen auf
den über achthundert Buchseiten ausbreiten, ist denn auch eine intensive
(in einigen wenigen Fällen allerdings ungenaue) Durchforstung der
vorhandenen und zugänglichen Literatur.
Bedeutsam ist dabei
allerdings die Frage, inwieweit die untersuchten Traditionen und Praktiken
dem heutigen Dalai Lama und seiner Rolle angelastet werden können,
inwieweit er selbst nicht auch eine starke Entwicklung durchgemacht hat,
seit er sich dem Westen zugewandt hat, und ob er sich überhaupt noch als
»Gottkönig« sieht. Die Autoren versuchen zu beweisen, wie sehr die alten
Überlieferungen bis heute ihre Gültigkeit haben, jedoch den im Westen
begeisterten Fans nicht zugemutet werden, um nicht das Ansehen zu
verlieren, das man zu brauchen glaubt, um in Sachen religiös-politischer
Freiheit für Tibet voranzukommen.
Nichtbuddhistische
Buddhismus-Forscher sehen jedoch in den Ritualen, im Geister- und
Bilderglauben den Versuch des tibetischen Buddhismus, spirituelle
Transportmittel, große Flösse gewissermaßen, bereitzustellen, die über den
Strom der menschlichen Rationalität hinübersetzen können zu einem
Ganzheitsbewusstsein, das die Buddhaschaft
bereits in diesem Leben erreichen lässt. »Maha-Yana«,
wie diese buddhistische Konfession genannt wird, heißt ja wörtlich:
»Grosses Fahrzeug«. Die Theorie besagt: Hat man das Ufer der Ganzheit
erreicht, kann man das Floss sich selbst überlassen. Die Visualisierungen
und Rituale sollen also den Durchbruch zu einer höheren Existenzform
ermöglichen, denn ein Mensch, der sich als Gottheit imaginiert,
gewinnt Bewusstseinskräfte zur Erleuchtung.
Röttgen und Röttgen
glauben allerdings, dass dies eine wohlwollende Interpretation sei. In
Wirklichkeit herrsche im tibetischen Buddhismus eher ein buchstäblicher
Götter-, Ritual- und Bilderglaube, der es an transformativer
Kraft vermissen lasse und daher neu durchgearbeitet gehörte. Besonders die tantristischen Sexualpraktiken, die nach der Theorie
beiden, Mann und Frau, in der körperlichen Vereinigung Erleuchtung bringen
sollen, laufen Röttgens zufolge auf eine schlichte sexuelle Ausbeutung der
Frau hinaus. Für Röttgens ist dieser Tantrismus letztlich ein »ritualisiertes Frauenopfer«.
Der Dalai Lama: Von
religiösen Sinnsuchern in der westlichen Welt hoch verehrt, doch in der
asiatischen Welt des tibetischen Buddhismus nicht unumstritten
Was sich in all dem
an Kritik am tibetischen Buddhismus entzündet, ist für das Christentum,
speziell in seiner katholischen Spielart, längst zum Alltag geworden:
historische, psychologische, politische kritische Aufklärung, Konfrontation
mit eigenen Widersprüchen, Bewusstmachung der Risiken einer Religion, wenn
sie buchstäblichem statt symbolischem Glauben Vorschub leistet. Ob die
Kritik der Röttgens wenigstens im Ansatz richtig ist, muss die weitere
Diskussion zeigen. In allen Religionen koexistieren
Fundamentalismen und progressive Interpretationen. Vielleicht schillert der
Dalai Lama ebenso wie der Papst, wenn es um die eigene Konsequenz geht, der
einen oder anderen Grundrichtung nach innen und nach außen zugleich
zuzuneigen. Doch wer geglaubt hat, es könnte wirklich eine reine,
unschuldige, unbedarfte Religion geben und sie sei im tibetischen
Buddhismus zu finden, der ist jetzt eventuell entweder über diese Religion
bitter enttäuscht oder über die Autoren mehr als verärgert. Aber hier
geschieht, was sich selbst innerkirchlich Papst und Kirche schon seit Jahrhunderten
gefallen lassen müssen und was alle deshalb hätten wissen können:
Religionen werden von Menschen gestaltet. Sie müssen sich deshalb der
Kritik stellen und sie annehmen, damit sie nicht als Machtinstrumente und
zur Ausbeutung von menschlichen Bedürfnissen und Hoffnungen missbraucht
werden.
BADISCHE ZEITUNG - 22. März 1999 - "Der Dalai Lama - Ende
einer schönen Legende" - Johannes Schradl
Der Dalai-Lama - Ende einer
schönen Legende?
BUCH IN DER
DISKUSSION: Eine neue Untersuchung stellt kritische Fragen an den
religiösen Fundus des lächelnden Gottkönigs
Ist der Dalai-Lama
ein Frauenmörder? Verbirgt sich in dieser Figur, die als Gottkönig auftritt
und Bettelmönch zu gleich, ein gefährlicher Despot? Wer so fragt, legt sich
mit einer großen Gemeinde an. Eine halbe Million Menschen sind allein in
Deutschland dem tibetischen Buddhismus zugetan. Der Dalai-Lama steht ihnen
für Friedfertigkeit innere Harmonie, Mitgefühl und soziale Gerechtigkeit -
für das Gute schlechthin in der Welt.
Wo - im
aufgeklärten westlichen Umfeld - leibhafte Figuren aus anderen
Kulturkreisen zu Objekten inbrünstiger Verehrung werden, bleibt es nicht
aus, dass kritischer Rationalismus sich regt und sich gegen Überhöhungen
und Mystifizierungen aufbäumt. Beim 14. Dalai-Lama ist es jetzt soweit.
Pünktlich zum 40. Jahrestag der Besetzung Tibets durch die Chinesen machen
sich die Autoren Victor und Victoria Trimondi daran, im Keller (Gokhang) des tibetischen Buddhismus und hinter der
"tantrischen Maske" seiner Heiligkeit, des Dalai-Lama, das
Schlechte am Guten zu dechiffrieren. Victoria und Victor Trimondi
(bürgerlich: Mariana und Herbert Röttgen - bekannt und umstritten als Trikont-Verleger) stellen nicht in Frage, dass die
unzähligen öffentlichen Auftritte des Friedensnobelpreisträgers von eindrucksvoller
Sanftmut und Bescheidenheit sind. Regelmäßig vermeide es der Dalai-Lama
indessen, den Schleier über den "Schatten", die dunklen Seiten
seiner Religion, zu lüften, als da sind: sexualmagische Mysterien und
machtpolitische Obsessionen (Shambhala-Mythos), Geister und Dämonen (Nechung-Orakel) und mächtige Zerstörungskräfte.
Tibetische Lehre
contra westliche Zivilisation
Dabei ist,
natürlich, zum Beispiel das Bild vom Dalai-Lama als Frauenmörder nicht
wörtlich gemeint. Wohl aber gehe es (in dem höheren Tantras) um die
Aufopferung des weiblichen Prinzips zugunsten des männlichen und dem Raub
weiblicher Energie zugunsten des Tantrameisters.
Das ist nichts, was ein zivilisierter westlicher Mensch gutheißen kann, so
wenig wie dem angeblich in dem religiösen Mythen angelegten Drang, eine
"buddhokratische" Weltherrschaft zu errichten. Gute Sitte
hierzulande ist die Trennung von Staat und Religion - erst recht dann, wenn
es sich um eine mit ziemlich aggressivem Potential handelt.
Westlichen
Mode-Buddhisten mit eher oberflächlichem Erleuchtungsdrang erschließt sich
derlei kaum - jedenfalls nicht bewusst, subkutan aber könnten sie schon
vorgeformt werden, argwöhnen die Autoren. Nicht zuletzt die buddhistische
Bilderflut, die Hollywood produziert, trage dazu bei. Das mag übertrieben
sein. Denn ziemlich zweifelhaft bleibt, ob jene 10 000 Verehrer, die
vergangenen November ins niedersächsische Schneverdingen pilgerten, um dort
dem Worten des Dalai-Lama zu lauschen und stundenlang zu meditieren, ihm
auch in einen buddhistischen Gottesstaat folgen würden. Und er hat ihnen
bedeutet: Bleibt ruhig bei jener Religion, die ihr habt; alles andere wird
schnell anstrengend.
Kritiker -
bestellte Tibetologen etwa - hielten den Autoren, kaum dass das Buch am
Markt war, vor, etwas grundsätzlich falsch verstanden zu haben. Es gehe
nicht an, die religiösen "Bilder" des Buddhismus umstandslos als (gefährliche) Handlungsanweisung fürs
Hier und Jetzt zu begreifen - statt bloß als weisheitlichen
Schatz. Die erschreckend aggressiv ausgetragenen innerbuddhistischen
Konflikte in Tibet mit der Gruppe der Shugden -
bis hin zu möglichen Ritualmorden - lehren indessen etwas anderes. Bleibt
die Kritik an der angeblich wissenschaftlichen Unzulänglichkeit der
800-Seiten-Abrechnung mit dem Lamaismus - ein Vorwurf, mit dem man
Außenstehenden gegenüber freilich schnell bei der Hand ist.
Auseinandersetzung
in aufklärerischem Interesse
Dass hier eine
Diskussion angestoßen wurde, die geführt gehört, ziehen die meisten
Kritiker indessen nicht in Zweifel. Auch wenn die Autoren streckenweise
schweres Geschütz auffahren, etwa indem sie eine Nähe des tibetischen
Buddhismus zum deutschen Faschismus und des 14. Dalai-Lama zum Chef der
mörderischen japanischen Aum-Sekte, Asahara, herstellen - ihr Anliegen ist berechtigt: sich
den Mythen hinter dem steten Lächeln des fernöstlichen Gottkönigs
zuzuwenden. In aufklärerischem Interesse. Werte
wie Menschenrechte, Demokratie, Gleichberechtigung und Pazifismus mag der
Dalai-Lama predigen, in der Religion und Tradition Tibets, sagt auch der
Tübinger Religionswissenschaftler Christoffer Grundmann, sind sie nicht
verankert.
DER STANDARD - 9. März 1999 - "Verklärung und
Entlarvung" - Brigitte Voykowitsch
Von welchem Tibet reden wir
eigentlich? Von welchem tibetischen Buddhismus, von welchem Dalai Lama? Die
Debatte um Mythos und "Wahrheit" ist nicht neu. Angesichts des
Buddhismusbooms im Westen mussten sich skeptische Stimmen zu Wort melden.
Warum auch sollte ausgerechnet der Buddhismus von einer kritischen Hinterfragung
verschont bleiben?
Bedenklich wird es freilich
dann, wenn ausgerechnet diejenigen, die zunächst kräftig am Aufbau des
Mythos mitwirken, plötzlich mit der gleichen Leidenschaft diesen
zerschlagen wollen. Wie Herbert und Mariana Röttgen, die unter Pseudonym zu
einer, wie sie vorgeben, "fundierten"
Radikalkritik ansetzen. Hinter der friedfertigen Fassade des tibetischen
Buddhismus wollen sie einen "atavistischen",
"fundamentalistischen", "sexistischen" und
"kriegerischen" Kulturentwurf "entlarven". Im Zentrum ihrer
Untersuchungen steht die Aneignung der weiblichen Sexualenergie durch die
tantrischen Meister, die sich auf diesem Weg spirituelle und weltliche
Macht sichern wollen. Den Dalai Lama selbst bezichtigen sie, ungeachtet
seines Bekenntnisses zur Demokratie, des Strebens nach einer buddhokratischen Weltherrschaft.
Nein, das alte Tibet war nicht
das Shangri-La, zu dem Westler es so gerne
hochstilisieren. Über Feudalismus, Missstände und fragwürdige Praktiken
lässt sich offen selbst mit Mitgliedern der tibetischen Exilregierung
diskutieren. Auch im Westen sind darüber ernstzunehmende Werke erschienen.
Beim vorliegenden Buch aber krankt es schon im Ansatz, der, bei allem
Eigenlob der Autoren, schlicht unwissenschaftlich ist. Bedient wird eine
Polemik, die seriös recherchierte Fakten für entbehrlich hält.
Brief des ORF-
Journalisten Gerald Lehner an Frau Brigitte Voykowitsch, ihren Artikel über Tibet und ihre
Rezension unseres Buches "Der Schatten des Dalai Lama" im
STANDARD vom 9. März 1999 betreffend (März 1999). Gerald Lehner war derjenige Journalist, der die
Nazi-Vergangenheit Heinrich Harrers an die
Öffentlichkeit brachte:
Liebe Kollegin !
.......................
Ich stehe total auf Ihrer
Entwicklungspolitikberichterstattung und schätze ihre Arbeit wirklich sehr.
Habe viele Sachen in meinem persönlichen Archiv. Ihre Tibetstory von
gestern werde ich auch dazutun. Allerdings diesmal nicht so sehr aus
Begeisterung. Liebe Kollegin, ich hoffe, Sie nehmen den hier folgenden Kritizismus,
wie er gemeint ist: ehrlich und offen und gerade heraus, ohne persönliche
Ressentiments.
Ich halte diesen Artikel für -
sagen wir - ein Ergebnis von jemandem, der einer nahezu 50 Jahre alten
Ideologie und Klischeefabrik auf den Leim gegangen ist. Ich kenne Dharamsala von mittlerweile fünf Besuchen. Diese
Idyllisierung des Ortes konnte ich nur beim ersten mal
nachvollziehen. Aus meinen Reisen in den Himalaja, auch mit Expeditionen
etc., konnte ich in den vergangenen Jahren immer mehr Befindlichkeiten dort
ansässiger Menschen herausfinden.
In Asien haben wir es in vielen
Fällen mit Menschen zu tun, die es perfekt verstehen, Gefühle und vielerlei
Formen von Wahrheit und nötiger Auseinandersetzung hinter einer Maske der
Freundlichkeit zu verstecken. In Dharamsala
sitzen neben einer ganzen Reihe von - gefühlsmäßig - ehrlichen Menschen
auch die ehemaligen und heutigen machtgeilen Clans des tibetischen
Hochadels. Von einem gewählten Parlament und einer demokratischen Regierung
zu sprechen, ist wirklich ein Hohn angesichts der sozialen Zusammensetzung
dieser Regierung. Mit Verlaub, eine Regierung braucht Handlungsfähigkeit,
auch eine Exilregierung. Die tibetische ist intern so zerstritten und von
Clanstreitigkeiten zerfressen, dass es wirklich weh tut. Ich frage mich,
warum gehen westliche Journalisten dieser Ideologie immer wieder auf den
Leim? Würden sie von Demokratie sprechen, wenn der Papst plötzlich eine Art
Exilregierung ausrufen würde. Mit ihm selber als lebenslangen Chef ? Ist
das Demokratie, wenn - historisch betrachtet, nicht persönlich - ein
geistlicher Feudalherrscher sagt, wo es lang geht?
Die Dalai Lamas sind
Machtpolitiker wie alle anderen auch. Die historisch-belegbare Entstehung
des politischen Amtes hat kaum etwas mit Geist oder Spiritualität zu tun.
Sie geht auf einen Giftmord im 16 Jahrhundert zurück, als ein Mongolenfürst
die Macht an einen Tibeter übergeben wollte. Ein potentieller Kandidat
wurde von Anhängern des 5. Dalai Lama bzw. vielleicht in dessen direktem
Auftrag ins Jenseits befördert. Seither herrschen die Dalai Lamas über
Tibet. Tibet spielte sich über Jahrhunderte als Macht auf, die kleinere
buddhistische Fürstentümer brutal zu unterdrücken versuchte, siehe die
Geschichte von Bhutan beispielsweise. Die wollen bis heute nichts mit dem
Dalai Lama zu tun haben.
Ein Beispiel, das mein
Verständnis von Dharamsala etwas beeinflusst hat.
Ich habe längere Zeit - auch bergsteigerisch - im Khumbu
Himal an der Südseite des Everest verbracht. Ich
war dreimal in Tibet, besonders in der Region Tingri,
nördlich von Cho Oyu und Everest. Nun kommen
jedes Wochenende aus der Region Tingri einige
tibetische Bergbauern und Yakhirten über einen
der höchsten Pässe der Erde (Nangpa La) ins
nepalesische Khumbu. Sie sind waschechte Tibeter.
Teils gehen sie in chinesischen Turnschuhen über den Nangpa
La, mit ihren beladenen Yaks, um Tsampa und Teppiche im Khumbu
zu verkaufen. Ich habe einen meiner Hochträger-Sherpas gebeten, mir ein
Interview mit einem dieser Händler und Bauern zu übersetzen. Ich habe den
Tibeter aus Tingri gefragt, warum er nicht gleich
nach Dharamsala flüchte, denn im Westen wird
gesagt, in Tibet sei es so unerträglich zu leben. Er lachte über das ganze
Gesicht: "Was soll ich dort? Da unten sitzen die hohen Fürsten mit
ihrer Exilregierung. Ich verehre den Dalai Lama sehr, aber in Dharamsala bin ich aufgrund meiner Herkunft als Bauer
ohnehin nur ein dreckiger Hund für diese Leute." Ob denn das Leben in
Tibet wirklich so schlimm sei, wie wir im Westen immer hören? "Ich
sehe kaum einen Chinesen, und wenn, dann gibt es manchmal Diskussionen. Wir
mögen sie nicht so sehr, aber es gibt auch einige, die bemühen sich. Ich
habe lesen und schreiben gelernt."
Tibet ist heute eine Region mit
vielerlei politischen, historischen und sozialen Widersprüchen. Es gibt
auch Ansätze zu einer positiveren Entwicklung. Natürlich leben dort Han-Chinesen ihre eigene Art von Rassismus aus, aber in
den Machtzentren von Lhasa sind mittlerweile
viele Tibeter vertreten. Der demokratische Wandel in China wird hoffentlich
eine Autonomie für Tibet bringen. Eine hoffentlich Südtiroler Lösung, wenn
das auch wie eine irre Utopie klingt heutzutage.
Warum reiten Sie jetzt schon
wieder auf 50 Jahre alten Klischees herum? Warum schaffen es von uns
westlichen Journalisten so wenige, diese Exilregierung mit denselben
Maßstäben zu messen, wie wir sonst auch Politiker messen? Clinton, der
Papst, Viktor Klima, Haider, alle sehen sich einer mehr oder weniger
kritischen Öffentlichkeit ausgesetzt. diese ewige kollektive Stilisierung
"der" Tibeter und des Dalai Lama zu chronischen Opfern und
bedauernswerten Exilanten, die ist so was von hinderlich für eine
demokratische Entwicklung. Bitte, versuchen sie, diese Exilregierung doch
wirklich mal unter die Lupe zu nehmen. da haben eine ganze Reihe von
Ewiggestrigen das Sagen, die gegenüber westlichen Journalisten die
Stehsätze von Demokratie heraushängen lassen. Einer praktischen Überprüfung
hält kaum etwas stand.
Der Dalai Lama schürt durch Unduldsamkeit
und adelige Einflüsterer sowie durch das
Staatsorakel (hat das mit Demokratie zu tun?) mittlerweile einen
Bürgerkrieg in den Reihen der Tibeter selbst. Ich habe in indischen Lagern
und Siedlungen mit Tibetern gesprochen, die von eigenen Leuten - Gegnern
des Shugden-Kultes - nahezu massakriert wurden.
Ihre Häuser wurden von Dalai-Lama-Freaks niedergebrannt. In München lebt
der ehemalige Abt des Klosters Sera (bei Lhasa)
als Wissenschaftler. Er arbeitet am ersten tibetisch-deutsch-englischen
Wörterbuch seit dreißig Jahren in München. Rufen Sie den mal
an, was der über den Dalai Lama zu erzählen weiß. Seine Kinder studieren in
Bayern und reden tibetisch und bayrisch und englisch. Tolle Familie. Das
ist tibetischer Modernismus.
Noch zu den Chinesen: würden
Sie - aus politikwissenschaftlicher Sicht- die Italiener in Südtirol heute
noch als Besatzungsmacht bezeichnen? Natürlich haben die in der Geschichte
nicht solche Verbrechen begangen, wie chinesische Politiker und Soldaten in
der Vergangenheit. Aber auch China ist von dem allgemeinen buddhistischen
Gesetz des stetigen Wandels nicht verschont. Und in ihrem Artikel klingt
eine Tibet-Ideologie durch, die wahrscheinlich Wiener und andere Esoteriker
gut bedient, mit einem kritischen Journalismus aber nicht so viel zu tun
hat. Die Story passt in dieser Form so gar nicht zur
Entwicklungspolitik-Berichterstattung von Ihnen, die ich so schätze. Sie
sehen, das Thema liegt mir am Herzen und wenn manche Passagen hier
vielleicht nicht gerade sanft klingen, ich habe das Mail geschrieben mit
dem Wunsch, eine konstruktive Kritik zu übermitteln.
Ich sende herzliche Grüße und
würde mich über ein kleines Echo sehr freuen,
Vielen Dank, Ihr
Gerald Lehner
(Ich bin kein Spion der
Chinesen, wie Heinrich Harrer bzw. Teile der
Exilregierung über mich verbreiten, seit ich die Zusammenhänge zwischen
Dalai Lama, Exilregierung und faschistischen Funktionären aus einigen
Teilen der Welt beleuchtet habe und beleuchte)
Zweites E-Mail von
Gerald Lehner an Frau Voykowitsch
(März 1999):
Natürlich sind manche
Vorschriften und Maßnahmen von Chinesen in Tibet aus menschenrechtlicher
Sicht unerträglich. Aber Tibet ist heute nicht mehr das KZ, als das es seit
Jahrzehnten kommuniziert wird. Reden Sie bitte mit Westlern, die dort
waren, mehrfach. Vielleicht nicht gerade Esoterikern, sondern Leute, die
für einen wachen und kritischen Geist bekannt sind. Ich mag diese ewige schwarz-weiß-Malerei, wie Sie in ihren Artikel
durchklingt, eigentlich nicht. Die Realität ist grau oder Pastell in Farbe.
Die Aussage in ihrem Artikel, wo nach die tibetische Sprache so
zurückgedrängt werde, ist eine aufgelegte Lüge. Ich stehe jedes Jahr zu
Weihnachten selbst auf dem Salzburger Christkindlmarkt, verkaufe Glühwein
und Schmalzbrote, damit in der Region um Tingri
und Rongbuk kleine Volksschulen der Bergbauern
unterstützt werden. Dort lernen die tibetischen Kinder in tibetischer
Sprache. natürlich auch Chinesisch. In vielen anderen Regionen gibt es
ebenso tibetischen Unterricht.
Die Abwicklung und Finanzierung
für Schulbau und Restaurierung des Klosters Rongbuk
- beim Everest Base Camp - läuft über Lhasa, mit
Wissen der chinesischen Obrigkeit, die auch einige Tibeter in ihren Reihen
hat. Natürlich muss man sehr vorsichtig sein, um nicht in Machtpolitik
verwickelt zu werden als ausländische Organisation. Faktum ist, dass
Chinesen die praktische Unterstützung von einfachen Tibetern sehr wohl
zulassen und in Einzelfällen sogar wohlwollend unterstützen. Aus meiner
persönlichen Sicht ist das mit Zivilcourage verbunden, auch von Seiten
einiger Chinesen. Das ist praktisch mehr wert als so manche Sprechblase aus
Dharamsala.
Die Oberschichten des
tibetischen Exils haben es sich dort und in der Schweiz und den USA bequem
eingerichtet. Sie zählen in Nepal zu den reichsten und verhasstesten (bei
den armen in Nepal) Bevölkerungsgruppen. Grosse Teile des Tourismus in
Katmandu sind heute in exiltibetischer Hand. Stets unter der Mitleidsmasche
gegenüber westlichen Ausländern. Mit eigenen Hilfskräften und
Hindu-Unterschichten gehen einige dieser Chefs um wie Sklaventreiber. Wenig
buddhistisches Mitgefühl zu spüren. Nicht gerade viele dieser talentierten
Geschäftemacher denken an praktische Hilfe für die "dreckigen
Hunde", die einfachen Tibeter in der ehemaligen Heimat.
Ciao, Danke, Gerald
Es ist sicher ein Nachteil,
dass es noch keine tibetische Uni gibt. Aber ich denke, im heutigen Tibet
schadet es keinem Einwohner, wenn er neben Tibetisch auch Chinesisch lernt.
Ein weiteres
E-Mail von Gerald Lehner an Frau Voykowitsch (März 1999):
Liebe Kollegin !
Danke für das Echo. vielleicht
ist es der in unseren Kreisen verbreitete Zeitstress, dass sie darauf
verzichten, auf ein paar meiner Dinge näher einzugehen. Ich verstehe das
gut. würde mich dennoch freuen, wenn wir einmal länger reden könnten. Weil
ihre Eindrücke interessieren mich sehr.
Ich habe mit keiner Zeile die
chinesische Politik rechtfertigen wollen. Nur - als Basisgesetz einer
modernen Welt müssen wir wohl akzeptieren, dass bestehende Grenzen
heutzutage möglichst nicht verändert werden sollen. In Tibet kann es also
nur um echte Autonomie gehen, bei gleichzeitigen Lösungen für die dort
mittlerweile auch ansässige chinesische Bevölkerung. Das sind Fakten.
Ich denke dennoch, dass allein
die Schlagzeile ihrer Story eine absolute Sprechblase ist. Schauen sie sich
junge Tibeter in Tibet heute an, die hängen am Internet und geben sich
alles, was unsere Kids auch wollen. Dieser Geistbegriff ist doch ein
Kasperltheater. Die tibetische Gesellschaft ist wie die chinesische
ähnlichen Veränderungen und Umwälzungen unterworfen wie wir sie alle
verspüren heute. Der tibetische Traditionalismus passt gut zu unserer
alpinen Lederhosenideologie. Die pflegen einen statischen Kulturbegriff,
der unseren Schuhplattlern in nichts nachsteht.
Und Tatsache ist: tibetische
Politik und ihren hohen Würdenträger (inklusive das Parlament der Reichen
und oberen Clans) haben in 40 Jahren Exil wenig dazugelernt. Außer ein paar
demokratische Fassaden aufzurichten.
Brauchen Sie Hintergrundinfos
zu diesem "Parlament" und zu dieser "Regierung",
abseits der Fassaden. recherchiert von amerikanischen Kollegen? Ich kenne
auch Clintons Berater in Tibetfragen, angefeindet von den Esoterikern mit
ihrer Ideologie. Er ist ein intimer Kenner Tibets und seiner Geschichte,
alles andere als ein Chinesenfreund und an einer indischen Uni sitzt ein
Exiltibeter und Politikwissenschaftler, der ein gutes Buch geschrieben hat.
Wenn Sie den Münchner Exlama
von Sera und Sprachwissenschaftler (Bayerische Akademie der Wissenschaften)
fragen würden, dann sehen Sie, dass Shugden-leute
sehr wohl zu Diskussionen bereit sind. Ihre Feststellung kann ich überhaupt
nicht bestätigen. Immerhin sind weltweit nahezu eine Million Exiltibeter
(waschechte, nicht westliche Kuttenträger) dem Shugden
verbunden.
Der tibetische Politologe in
Indien beschreibt in seinem Buch "Red Star over
Tibet", wie bereits beim Einmarsch der Chinesen ein Teil der
Adelsclans zu den Kommunisten überschwenkte, um die eigenen Pfründe zu
retten. Als das nicht ging, übersiedelten diese Familien nach Dharamsala.
Was sagen sie konkret zu den
extremen sozialen Unterschieden in der tibetischen Gesellschaft, die im
Exil bis heute gepflegt und gehegt werden?
Ich habe auch das Gefühl, dass
sie das neue Buch [Der Schatten des Dalai Lama] gar nicht gelesen haben.
Sie verwursten in ihrer Kritik die marktschreierische Eigenwerbung
wortwörtlich übernommen aus der Broschüre des Verlages und der Vorwurf der
Unwissenschaftlichkeit ist ein so weit gefasster. Martin Brauen, bis über
beide Ohren - und familiär - mit der Exilregierung verbandelt,
überzieht momentan kreuzzugartig die Redaktionen mit eben diesen
Sprechblasen.
Das Buch hat seine Mängel, doch
über weite Strecken bringt es Dinge, die einfach stimmen. Ich würde mich
nicht dieser Sexualkritik am tibetischen Buddhismus anschließen, wie sie
die Röttgens oder Röttgers (?) machen. Weil alle
Menschen - ob tibetisch oder westlich - sollen mit ihren Geschlechtsorganen
tun dürfen sollen, was immer sie wollen - so lange sie Kinder, jugendliche
und Leute in Ruhe lassen, die damit nichts zu tun haben wollen.
Aber der politische Sumpf um
die Tibetideologie ist vorhanden. und er stinkt zum Himmel, zwischen all
diesen esoterischen Klischees, die wir seit 50 Jahren aufgetischt bekommen.
Wäre mal toll, ein Bier oder
sonst was zu trinken zusammen und wirklich zu diskutieren und zu reden.
Freue mich schon auf andere Stories von Ihnen,
vielleicht nicht aus Tibet. Gott sei dank gibt's ja noch viele andere gute
Gegenden auf erden (LOL, mit Schmunzeln geschrieben)
Ciao, alles gute, danke, Gerald
|