MEDIEN (02)
1.
- ABENDZEITUNG - 19./20 Juni 1999 - "Hollywoods Heiliger" - Wulf
Petzold
2.
- SÜDDEUTSCHE ZEITUNG - 19. April 1999 - "Renegatenliteratur" -
Matthias Drobinski
ABENDZEITUNG - 19./20 Juni 1999 - "Hollywoods
Heiliger" - Wulf Petzold
Hollywoods
Heiliger
Buddhokratie? Phallokratie?
Zwei neue Bücher über den Dalai Lama kratzen am Mythos
Seine Heiligkeit, der Dalai
Lama. Ein Mann der Freiheit und des Friedens, ein sanfter Kämpfer für sein
unterdrücktes Volk, gegen die chinesischen Besatzer in Tibet. Keiner wird
weltweit so verehrt wie er, keine Religion hat solchen Zuwachs wie der
tibetische Buddhismus.
Charismatischer
Hoffnungsträger einer expandierenden Religion: der Dalai Lama
Am Wochenende gibt es in Bonn
eine große Feier der Tibet-Initiative mit dem Dalai Lama. Sie wird nicht
ungetrübt sein: Drei Autoren aus München, wo der Dalai Lama die größte
deutsche Gemeinde hat, eröffnen eine kritische Debatte über Sein und Schein
des Buddhismus.
Das Buch "Der Schatten des
Dalai Lama - Sexualität, Magie und Politik im tibetischen Buddhismus"
(Patmos Verlag, 816 Seiten, 58 Mark) kommt von Victor und Victoria
Trimondi. Hinter dem pseudonym stehen Herbert und Mariana Röttgen, die in
den 80ern die Türöffner des Dalai Lama in Deutschland waren. Herbert
Röttgen war Gründer des Münchner Trikont-Verlages, der von Links-Literatur
zur Esoterik-Exegese einschwenkte. Die zentralen Thesen dieses Buches: Der
tibetische Buddhismus ist eine durch und durch reaktionäre Religion,
menschenverachtend und manipulierend. Die Wurzeln reichten tief in Magie
und Opferrituale. Tantrismus sei zutiefst frauenfeindlich, schrecke nicht
vor Kindsmissbrauch und Nekrophilie zurück, zelebriere eine Phallokratie
buddhistischer Bonzen.
Dieser bittere Abschied von
einem Mythos wird mit einem riesigen Strom von Quellen zu belegen versucht.
Die Kritik kommt übrigens auch von Exil-Tibetern, kann selbst vom Dalai
Lama nicht mehr weggewischt werden: Mehr und mehr räumt er manche
Schattenseiten ein. Wenn also, wie geschehen, das Buch von Trimondi/Röttgen
als typische Renegaten-Rache abgetan wird, ist das zu billig. In Sachen
Religions- und Kulturhistorie ist das Autorenduo zweifellos firm.
Verschwörung der
Gelbmützen?
Ärgerlich wird`s freilich, wenn
das Buch alle Beweisketten zusammenknüpft und daraus eine gewaltige
Verschwörungstheorie strickt: Der tibetische Buddhismus, der unterm
Mäntelchen der Weltökumene andere Religionen unterwandern will, der
letztlich nach einer Buddhokratie strebt - die Weltherrschaft der
Gelbmützen. Nun mag der Dalai Lama zwar schon Superstar in Hollywood sein,
bei allen Staatsmännern offene Ohren finden, eine mächtige Lobby in vielen
Parlamenten haben (in Bonn von dem Grünen bis zur FDP) - aber wer ihn gar
zum Allmächtigen kürt, macht sich nur selber wichtig.
Der Münchner Psycho- und
Esoterik-Experte Colin Goldner vertritt in "Dalai Lama - Fall eines
Gottkönigs" (Alibri-Verlag, 425 Seiten, 39.80 Mark), einen anderen
Ansatz: Nicht Religionsanalyse, sondern politische-soziale Anamnese. Sein
Buch, manchmal arg wütend, bietet dreierlei: Eine detailreiche, oft
überraschende Biographie des Dalai Lama, eine umfassende Beschreibung
Tibets, die auch mit Geschichtsklitterungen aufräumt sowie eine
Bestandsaufnahme des Buddhismus.
Auch hier wieder eine Flut von
kritischen Quellen und eine erschreckende Diagnose: Der Dalai Lama als gar
nicht so toleranter Heiliger, der tibetische Buddhismus als Tarnkappe für
ein feudales Mönchsregime, das Jahrhunderte lang sein eigenes Volk
geknechtet hat und sich heute in Intrigen, Korruption und Machtkämpfen
austobt. Goldner hat sich im indischen Exil des Dalai Lama umgeschaut; Von
Harmonie & Humanität keine Spur, die Gelbmützen als Absahner gewaltiger
Touristenströme.
SÜDDEUTSCHE ZEITUNG - 19. April 1999 -
"Renegatenliteratur" - Matthias Drobinski
Vorgeschichte:
Am 1. November 1998 hatte
Matthias Drobinski eine Glosse in der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht,
die von den vielen apologetische Berichten, welche den Dalai Lama Besuch in
der Lüneburger Heide (1998) verherrlichten, wohltuend abstach. Drobinski
spricht von Bildern, durch die sich die Buddhisten als eine befreiende
Alternative zur westlichen Kultur anbieten: "Die Schwäche dieser
Gegenbilder ist," - so der Journalist - "dass es die dunklen
Seiten des Buddhismus ausblendet, die Ambivalenz jeden Religiösen."
Es war selbstverständlich, dass
der Verlag den Autor dieser Zeilen als einen der wenigen - wie wir glaubten
- kritischen Geister in der Dalai Lama- und Buddhismusrezeption
angesprochen hat, eine Rezension unseres Buches in der Süddeutschen Zeitung
zu veröffentlichen. Nachdem er einige Wochen unser Manuskript zur Verfügung
hatte, riefen wir ihn persönlich an, um zu erfahren, ob er beabsichtige,
etwas über unser Buch zu schreiben. Er sagte uns, er habe große
Schwierigkeiten den Text zu besprechen, weil er über den tibetischen
Tantrismus so gut wie nichts wisse und weil er nicht beurteilen könne, ob
das alles stimme, was wir behaupten würden. In der Tat ist eine
religionsphilosophische, tiefenpsychologische und kulturkritische
Auseinandersetzung mit den sexualmagischen Praktiken des tantrischen
Lamaismus die Voraussetzung dafür, unsere Analyse zu verstehen, denn die
Geschichte Tibets, die Politik der Dalai Lamas und die Verbreitung des
Buddhismus im Westen werden von uns ausgehend von dieser religiösen
Blickrichtung interpretiert.
Aber trotz dieses
Zugeständnisses der eigenen Unkenntnis wagte sich Drobinski an eine
Rezension, in der er a priori davon ausgeht, dass die von uns präsentierten
Fakten und die daraus gezogenen Schlussfolgerungen nicht stimmen, sondern
Produkte unserer eigenen Phantasie seien. Anstatt die von uns angegebenen Quellen
auf ihre Richtigkeit hin nachzuprüfen, nimmt er Nebenereignisse aus unserem
Buch heraus, verzerrt das Ganze und polemisiert gegen uns, vor allem mit
dem Argument, wir wären früher Anhänger des Dalai Lama gewesen und hätten
ihn jetzt verraten. (Wir sind auf seine Ausführungen im anschließenden
Leserbrief eingegangen). "In den nachfolgenden Rezensionen des Buches
[Der Schatten des Dalai Lama]" - schreibt Colin
Goldner - "wurde denn auch durchgängig (ob zu recht oder nicht sei
offengelassen) auf das 'Renegatentum' Herbert Röttgens abgestellt. Selbst
die Süddeutsche Zeitung mäkelte, über den Lamaismus brauche man
Informationen und nicht 'diese Abrechnung zweier Enttäuschter'. 'Warum' -
so fragt der Rezensent Matthias Dobrinski - 'macht sich ein seriöser Verlag
so etwas zu eigen? Gab es keinen Lektor, der klarmachen konnte, dass dies
ein erster zorniger Entwurf ist, aus dem vielleicht einmal ein Buch
entstehen könnte?' Bei aller Kritik an dem Röttgen Buch: Diese
Bewertung Dobrinskis deutet darauf hin, dass er sich den Tort nicht angetan
hat, die Schwarte tatsächlich zu lesen." (343)
Die Rezension von Drobinski hat
uns nicht wenig geschadet, da sie in einer wichtigen "seriösen"
Zeitung erschien und da sie immer wieder hergenommen wird, um sich die
Lektüre unseres Textes zu ersparen und ihn von vornherein zu verurteilen.
(Siehe z. B. den unten abgedruckten Leserbrief von H. Franke) Drobinski ist
ein typisches Beispiel für diejenigen "aufgeklärten"
Intellektuellen der sogenannten liberalen Öffentlichkeit, die sich dann der
Aufklärung sperren, wenn diese Mühe und Arbeit macht. Sie werden damit -
wahrscheinlich aus Trägheit - zu Instrumenten der Gegenaufklärung. Der oben
abgedruckte Artikel aus der Münchener Abendzeitung wendet sich explizit
gegen Drobinskis Ausführungen.
Renegatenliteratur
Über den
Lamaismus brauchte man Information, nicht diese Abrechnung zweier
Enttäuschter.
Es hätte ein wichtiges Buch
werden können, gegen den Trend, den Lamaismus als eine Art Superreligion zu
sehen, die mit allen anderen leicht zu vereinbaren ist. Der Dalai Lama ist
ein sanfter, kluger Mann, dessen persönliche Art und dessen gewaltloser
Kampf gegen die chinesischen Besatzer seiner Heimat Tibet zurecht breite
Anerkennung findet. Und trotzdem gibt es Schattenseiten im Lamaismus, wie
es in jeder Religion Schattenseiten gibt. Es gibt erbitterte
Richtungskämpfe. Das Gedankengebäude des Tantrismus ist nur schwer mit
westlichem Denken zu vereinbaren. Und der Dalai Lama stand bis zum
Einmarsch der Chinesen einer mittelalterlich strukturierten Gesellschaft
vor.
Man muss dies sagen und
schreiben dürfen, ohne als Knecht Pekings zu gelten. Der Patmos Verlag
preist das über 800 Seiten mäandernde Werk der beiden unter Pseudonamen
auftretenden Autoren als Aufklärung in diesem Sinne - auf
Pressekonferenzen, in Zeitungsanzeigen. Er spricht von einer
"fundierten wissenschaftlichen Analyse", nennt das Buch "ein
aufklärendes und spannendes kulturhistorisches Grundlagenwerk". Wahrscheinlich
hätte das Autorenpaar sogar das Wissen gehabt, so etwas zu schreiben: Die
aufs Spirituelle gekommenen Altachtundsechziger haben in den 80er Jahren
zeitweise eng mit dem Dalai Lama zusammengearbeitet. Doch es ist den
Röttgens ergangen wie einst Tacitus: Sine ira et studio versprach er
zu schreiben und lieferte im Gegenteil eine wütende und eifernde Abrechnung
mit den Zuständen unter Kaiser Domitian, bei dem er in Ungnade gefallen
war.
Die nun vorliegende
Renegatenliteratur bedient sich des gleichen Musters - diesmal ist eine
Verschwörungstheorie herausgekommen. Und die geht so: Die Sanftheit des
Dalai Lama und die freundliche Innerlichkeit buddhistischer Versenkung sind
nur Maske. Hinter ihr verbirgt sich ein aggressives Konzept zur Errichtung
der buddhistischen Weltherrschaft, das im Ritus des Kalachakra Tantras
grundgelegt ist. dessen Inhalte fassen die Röttgens so zusammen: "1. -
Die Vernichtung Andersgläubiger. 2. - Eine kriegerische Gewaltphilosophie
und die Entfesselung eines Weltkrieges. 3. - Die Grundlage für eine
faschistische Ideologie. 4. - Die Verachtung des Menschen, des Individuums
und insbesondere der Frau. 5. - Die Opferung des anderen zur Akkumulation
eigener materieller und spiritueller Vorteile. 6. - Die Verbindung von
religiöser und staatlicher Macht. 7. - Die Eroberung der Welt und die
Errichtung einer globalen buddhokatischen Mönchsdiktatur mit manipulativen
und kriegerischen Mitteln." Um dies glaubhaft zu machen, bedienen sich
die Autoren hemmungslos aus dem Baukasten des Verschwörungstheoretikers,
Texte aus dem 10., dem 17. und dem ausgehenden 20. Jahrhundert werden ohne
Einordnung montiert, um den bluttriefenden und fleischfressenden Charakter
des Tantrismus zu entlarven.
Das Verfahren ist ungefähr so
seriös, wie Papst Johannes Paul für die Kreuzzüge verantwortlich zu machen
und einen evangelischen Kreisdekan für die antisemitischen Hofpredigten aus
dem 19. Jahrhundert - oder die Worte der katholischen Eucharistie "Das
ist mein Fleisch, das ist mein Blut" als Beleg für einen heimlichen
Menschenfresserkult zu entlarven. Mit dieser Methode kann man sich die
Fakten immer passend machen.
Die Autoren berichten von
sexuellem Missbrauch von Anhängerinnen durch tibetische Lamas. Es lassen
sich eine Reihe von Fällen belegen, es gab Gerichtsverfahren - der Schatten
einer Religion, bei der Meister und Schüler eine so enge Beziehung
eingehen. Der Dalai Lama hat das Problem erkannt und gemahnt: "Schüler
und Schülerinnen sollten dazu ermutigt werden, Lehrer in angemessener Weise
mit unethischen Aspekten ihres Verhaltens zu konfrontieren". So weit,
so schlecht: es gibt immer wieder Fälle sexuellen Missbrauchs. Der Dalai
Lama kritisiert das, der Erfolg bleibt ungewiss. Aber das ergäbe keine
Weltverschwörung. Also kommt der orakelnde Satz: "Was von solchen
Aufforderungen zu halten ist, (....) darauf werden wir im zweiten teil
unserer Studie ausführlich eingehen." Alles Verstellung, raffinierte
Maske.
Wie problematisch die
Quellenlage ist, auf die sich das Buch stützt, zeigen die Autoren selber:
nach 288 Seiten stellen sie den Orientalisten vor, auf dessen Übersetzung
und Interpretation des Kalachakra Tantras sie sich die ganze Zeit schon
berufen haben: Albert Grünwedel, geboren 1856, gestorben 1936. "Sein
Charakter wies zunehmend paranoide Züge auf" - attestieren die
Röttgens ihrem Kronzeugen, außerdem Verfolgungswahn und "Willkür bei
seinen Übersetzungen". Aber gerade deshalb ist er so wichtig, weil er
sich durch seinen Wahn "einen direkten tiefenpsychologischen Zugang
zur phantastischen und magisch-mystischen Welt des Kalachakra Tantras
verschafft hat." Spätestens hier wird die Angelegenheit kurios.
Die Rituale des Lamaismus setzt
der Dalai Lama in konkrete Politik um, versuchen die Autoren zu zeigen. Nun
taucht das altbekannte Personal der Weltverschwörer auf: Nazis,
Geheimdienstler Terroristen. A. ist Nazi, B. Hat Kontakte zu A., also ist
B. auch ein Nazi. Also: Heinrich Harrer, österreichischer Bergsteiger und
Globetrotter, war in der SS, unternahm für Himmlers Truppe eine
Forschungsreise in den Himalaja, wurde von den Briten festgesetzt, floh
1944 nach Tibet, war dort von Anfang der 50er Jahre Lehrer des jungen Dalai
Lama. Also? Halt, da sind die Autoren vorsichtig: "Dennoch gibt es
keine Anhaltspunkte dafür, die Unterrichtsstunden (....) als faschistisch
zu bezeichnen." Nicht festlegen, nichts beweisen, aber eben einen
Zusammenhang in den Raum stellen.
Shoko Asahara, Giftgasmörder
und Chef der japanischen AUM Sekte, traf mehrfach den Dalai Lama; natürlich
wird nicht verschwiegen, dass es vor dem Anschlag zum Zerwürfnis der beiden
kam, aber es bleibt die Vermutung: da war einer beeinflusst von der
lamaistischen Lehre und wurde zum Mörder. Jeder Satz des Buches wird in den
Dienst der Verschwörungstheorie gestellt, und das entwertet alles an Diskutierenswertem,
was die Autoren mit einigem Fleiß zusammengetragen haben.
Leider ist dies häufig das
Elend des Renegatentums: die Maßstäbe verloren zu haben. Aber warum macht
sich ein seriöser Verlag so etwas zu eigen? Gab es keinen Lektor, der
klarmachen konnte, dass dies ein erster zorniger Entwurf ist, aus dem
vielleicht einmal ein Buch entstehen kann? Vergangenes Jahr hat ein
Forscherteam nach der Religiosität der Deutschen gefragt - die
Anhängerschaft des Buddhismus war statistisch nicht messbar. Gute Voraussetzung
für die Errichtung einer Buddhokratie.
Unsere Antwort auf
Drobrinskis Artikel:
Leserbrief an die Süddeutsche
Zeitung wurde mit geringfügigen Kürzungen am 15. Mai 1999 abgedruckt. Hier
die Originalfassung:
Betrifft: Ihren Artikel
"Renegatenliteratur - Über den Lamaismus brauchte man Informationen,
nicht diese Abrechnung zweier Enttäuschter" von Matthias Drobinski
(19. April 1999) Rezension des Buches "Der Schatten des Dalai Lama -
Sexualität; Magie und Politik im tibetischen Buddhismus" von Victor
und Victoria Trimondi (Herbert und Mariana Röttgen)
Wenn einem keine Argumente mehr
einfallen, um eine nicht genehme Meinung zu widerlegen, wenn das
vorgetragene "Beweismaterial" verlangt, seine bisherigen Positionen
grundsätzlich zu überdenken oder ganz einfach, wenn man sich nicht die Mühe
machen will, die Fakten zu überprüfen, dann unterstellt man am einfachsten
seinem Gesprächspartner Behauptungen, die dieser überhaupt nicht so gemacht
hat und polemisiert gegen diese Behauptungen. Genau eine solche Ranküne hat
sich Herr Drobrinski mit seiner Rezension unseres Buches "Der Schatten
des Dalai Lama" erlaubt. Statt eine längst überfällige Diskussion über
den tibetischen Buddhismus und sein spirituelles Oberhaupt zu öffnen, würgt
er diese von vornherein ab, indem er in einer diffamierenden Art und Weise
mit Unterstellungen arbeitet. In allen (!) von ihm angeführten
Kritikpunkten greift er "Positionen" von uns an, die so in
unserem Text überhaupt nicht zu finden sind oder dort sehr differenziert
behandelt werden. Er versucht unser Buch als unseriös darzustellen, weil er
einfach nicht wahrhaben will, was für ein atavistisches System sich hinter
dem Lamaismus verbirgt. Auf die einzelnen Polemiken seines Artikels haben wir
Folgendes zu antworten:
1. - Wir sind keine
"Renegaten", wie Herr Drobinski schreibt, da wir nie dem
Buddhismus angehört haben und niemals konfessionelle Anhänger des Dalai
Lama waren. Ich (Herbert Röttgen) habe in den 80er Jahren als Verleger
einige Bücher über den Dalai Lama und sein System publiziert und den
tibetischen Religionsführer mehrmals zu Kongressen eingeladen. Wichtiger
scheint uns jedoch, dass Herr Drobinski das Wort "Renegat" in
einem solch verächtlichen Tonfall artikuliert, wie einst die Kommunistische
Partei, für die der Begriff "Renegat" bekanntlich zu einem
Lieblingswort wurde. Dennoch verdanken wir verteufelten
"Renegaten" wie Wolfgang Leonhard, Ernst Bloch, Arthur Köstler,
Ignazio Silone und vielen anderen die fundiertesten Einsichten in die
Inhumanität des Stalinismus. Also selbst wenn wir "Renegaten"
wären, so könnte doch unsere Kenntnis des lamaistischen Milieus nur ein
Vorteil sein, um dieses System zu beurteilen. Dass Herr Drobinski unsere
Beziehung zum Dalai Lama mit derjenigen des römischen Historikers Tacitus
zu Kaiser Domitian vergleicht, ehrt uns, da Tacitus in seinem Herzen ein
Republikaner, Domitian aber ein Tyrann war.
2. - Die Kritik von Herrn
Drobinski unterstellt uns eine "Verschwörungstheorie". Das Wort
"Verschwörung" erscheint in diesem Sinne kein einziges mal in
unserem Buch. Wir weisen jedoch nach, dass der Lamaismus in seinem
Ritualwesen, seinen Visionen, seinen Symbolen und seiner Geschichte auf
eine Buddhisierung der Welt hinzielt. Wir analysieren seine politische
"Theologie", in deren Zentrum ein messianischer
"Chakravartin" (Weltenherrscher) und eine zu errichtende
"Buddhokratie" stehen. So ein sakral-politische Entwurf, mit
einem "übermenschlichen" Wesen an der Spitze, ist für den
asiatischen Kulturraum gar nichts besonderes. In der Geschichte vieler
Länder dieses Kontinents war ein "Chakravartin" (Weltenherrscher)
eine ständig erwartete Heilsfigur. Zahlreiche "sakrale" Herrscher
Indiens, Tibets, Chinas oder Südostasiens nahmen für sich in Anspruch, eine
entsprechende Rolle schon innezuhaben oder anzustreben.
Nur mit der Person des XIV
Dalai Lama wird dieser globale Machtanspruch nicht mehr verbunden. Dennoch
praktiziert der tibetische Hierarch ständig Rituale (das Kalachakra
Tantra) und verbreitet prophetische Mythen (den Shambhala Mythos),
welche die Errichtung einer Buddhokratie zum Inhalt und als Ziel haben,
auch wenn er sich nach außen hin ständig auf Prinzipien der westlichen
Demokratie beruft.
Dabei handelt es sich aber
nicht um eine "Verschwörung", sondern um die Durchführung eines
religiös-politischen Programms. Eine "Verschwörung" würde
bedeuten, dass sich eine Gruppe von Menschen in einem Geheimbund
zusammenschließt, um die Macht im Staate zu erobern. Davon kann im Falle
des tibetischen Buddhismus nicht die Rede sein. Die weltweite Errichtung
des Dharmas (der buddhistischen Lehre) ist durchaus ein offenes und
nicht ein geheimes Thema unter Buddhisten des tibetischen Weges, sie
ist Teil der dogmatischen Lehre und durch viele orthodoxe Aussagen
gestützt. Das gleiche gilt für die Errichtung einer globalen Buddhokratie.
Beispielsweise gab der berühmte Tibetologe Robert Thurman, Vater der
Schauspielerin Uma Thurman, 1997 auf einer internationalen Tibetkonferenz
in Bonn den alsbaldigen Untergang des dekadenten und materialistischen
Westens und seinen Ersatz durch eine weltweite buddhokratische Herrschaft
nach tibetischem Muster bekannt. Der Hollywoodschauspieler Richard Gere
sprach (1998) von einer Kettenreaktion, die in den nächsten Jahren zu einer
explosionsartigen Ausbreitung des tibetischen Buddhismus im Westen führen
soll.
3. - Herr Drobinski wirft uns
vor, wir benutzten Texte aus verschiedenen Jahrhunderten und würfelten sie
willkürlich zusammen. Selbstverständlich beziehen wir uns auf "alte
Texte" aus der Vergangenheit als Beweis. Jede (!) religiöse Tradition
hält an ihren sakralen Schriften fest, und je älter diese sind, um so
heiliger gelten sie. Eine mittlerweile kaum mehr überschaubare moderne
Fachliteratur und die zahllosen Aussagen von Betroffenen beweisen, dass die
Jahrhunderte alten buddhistischen Tantras auch heute noch von den Lamas
praktiziert werden. Ebenso beruft sich der XIV Dalai Lama auf die
traditionellen Texte und führt die in ihnen beschriebenen "alten"
Rituale durch. Für eine prinzipielle Reformation der Tantras ist uns kein
einziges Beispiel bekannt.
4. - Wir machen den XIV Dalai
Lama - wie uns Herr Drobinski unterstellt - nicht für alle Taten seiner
Vorgänger und für die tibetische Geschichte verantwortlich, obgleich wir
einiges Recht dazu hätten, denn nach der lamaistischen
Reinkarnationsdoktrin ist er über Jahrhunderte immer derselbe geblieben und
existiert zudem hier als die Ausstrahlung eines Buddhawesens, was ihn sogar
über die tibetischen Götter stellt. Unsere Buch untersucht dagegen die
politisch religiöse Institution des Dalai Lama und ihre Geschichte
sowie die Historie des Lamaismus seit seinen Anfängen. Der jetzige XIV
Dalai Lama ist nur ein Glied am Ende einer Kette.
Herr Drobinski wirft uns des
weiteren vor, wenn wir den XIV Dalai Lama für die Geschichte Tibets
verantwortlich machten, dann wäre das ebenso unseriös, wie wenn wir Papst
Johannes Paul für die Kreuzzüge zur Verantwortung zögen. Dabei gibt es
jedoch einen kleinen Unterschied: Papst Johannes Paul muss sich mit der
aufklärenden Kritik an der Inquisition und an den Kreuzzügen
auseinandersetzen. Er hat sich sogar nachträglich dafür entschuldigt. Der
XIV Dalai Lama aber nimmt zu den "Schattenseiten seiner Religion"
niemals öffentlich Stellung und unterstützt ein völlig verklärtes Bild von
der tibetischen Vergangenheit und von seinen Vorgängern.
Er eröffnet keine
unvoreingenommene Diskussion über die Geschichte seiner Religion und seines
Landes sondern verschleiert diese durch bewusste Falschaussagen. Die ersten
Versuche einer Kritik, wie zum Beispiel die Panorama Sendung vom 20. Nov.
1997 ("Verklärt - Verkitscht - Verfälscht - Hollywood feiert den Dalai
Lama") oder eine Sendereihe des Schweizer Fernsehens vom 5. 6. 7. 8.
Jan. ("10 vor 10") wurden von der "Tibetlobby" mit
unredlichsten Mitteln diffamiert.
5. - Wir berichten in der Tat
von mehreren Fällen sexuellen Missbrauchs durch zeitgenössische Lamas. Aber
das interessiert uns in unserem Text nur am Rande, während Herr Drobinski
behauptet, diese "Sexgeschichten" seien ein zentrales Anliegen
von uns, so als wären wir zwei eifernde Moralapostel. Tatsache dagegen ist,
dass sich der grösste (!) Teil unserer 800seitigen Studie der strukturellen
Ausbeutung der Frau durch die sexualmagischen Geheimpraktiken des
tibetischen Tantrismus widmet, über die in der breiten Öffentlichkeit so
gut wie nichts bekannt ist und über die auch Herr Drobinski kein Wort
fallen lässt.
6. - Der Orientalist Albert
Grünwedel wird von uns nirgends als "Kronzeuge" angegeben. Das
ist wiederum eine der diffamierenden Erfindungen von Herrn Drobinski. Bis
auf Seite 288 unseres Buches, wo wir auf Grünwedel eingehen, beschäftigen
wir uns ausführlich mit dem Ritualwesen des Tantrismus und weisen unsere
Thesen durch Zitate aus den Originalschriften, durch die Aussagen
zahlreicher Tibetologen und durch Zeugenberichte nach. Grünwedels trauriges
Schicksal (er litt an Wahnvorstellungen) war deswegen für uns interessant,
weil er durch die Beschäftigung mit dem tibetischen Buddhismus
(insbesondere mit dem Kalachakra Tantra) sein seelisches
Gleichgewicht verlor. Seine Aussagen sind ebenso "phantasievoll"
wie diejenigen von Madame Blavatsky, Nicholas Rörich, Chögyum Trungpa,
Miguel Serrano und anderen, die wir ebenfalls ausführlich in unserem Buch
untersuchen.
6. - Ebenso werfen wir dem
Dalai Lama nicht seine Kontakte zu ehemaligen Nazis und dem japanischen
Giftgasguru Shoko Asahara per se vor (was Herr Drobinski uns
unterstellt), sondern wir zeigen seitenlang auf, wie sich Asahara und
faschistische Intellektuelle vom tantrischen Buddhismus tibetischer Prägung
wesentlich beeinflussen ließen (wovon Herr Drobinski nichts erwähnt. Darin
sehen wir in der Tat eine große Gefahr, da sich entsprechende Praktiken und
Visionen in der Neonaziszene weit verbreitet haben.
Der Artikel von Herrn Drobinski
verhindert von vornherein die längst überfällige Diskussion über ein
Religionssystem, dass mit großer Vehemenz in unser westliches Kulturgefüge
eindringt und dem es bisher gelungen ist, unter Berufung auf die
bedauernswerte Lage der tibetischen Flüchtlinge, jeden kulturkritischen und
philosophiekritischen Diskurs über seine Grundlagen und seine Geschichte zu
unterbinden. Eine offene Auseinandersetzung aber sollte ein demokratisches
Prinzip des Westens bleiben und nicht durch
"Renegatenverfolgungen", die wir sie aus den autoritativen
Systemen des vergangenen Jahrhunderts kennen, ersetzt werden. Wir haben mit
unserem Buch, das explizit ein Dialogbuch sein will, die Tore für eine
solche Diskussion geöffnet. Das ist auch für den tibetischen Buddhismus und
den XIV Dalai Lama eine Chance, denn es werden - wie wir wissen - andere
Schriften folgen, welche einen solchen Dialog nicht mehr zulassen wollen
und ihre Kritik wird radikaler als die unsere ausfallen.
V. & V.
Trimondi
Ausführlich zur
Weltenherrschaft und Verschwörungstheorie siehe: Buddhokratie
und Weltenherrschaft
In derselben
Ausgabe wurde noch der folgende Leserbrief abgedruckt:
Ich habe Matthias Drobinskis
Besprechung des unmöglichen Buches der beiden "Trimondi" mit
großen Interesse gelesen, zumal ich zu den deutschen Sinologen gehöre, die
sich viel mit Buddhismus und Zentralasien beschäftigt haben. Alle
Tibetologen, mit denen ich über das Buch sprach, äußerten die Meinung, dass
man das Buch vergessen könne. Auch ich teile diese Ansicht.
Drobinski geht in seiner
Besprechung auch auf Alfred Grünwedel ein. Er war ein genialer Gelehrter
und auch korrespondierendes Mitglied der Bayrischen Akademie der Wissenschaften.
Aber er wurde verrückt - alles was er nach 1916 veröffentlicht hat, zeugt
von echtem Wahnsinn. Ich selbst habe noch Leute gekannt, die ihn kannten
und Geschichten über ihn erzählen konnten. So hatte er über die Tür seines
Dienstzimmers im Münchener Museum für Völkerkunde ein Pentagramm anbringen
lassen, um Dämonen fernzuhalten. Außerdem hatte er die Gewohnheit, bevor er
sich an tantrische Texte begab, zu Abwehr des Bösen den Anfang des Johannes
Evangelium zu rezitieren, auf Griechisch, denn auf Deutsch und Latein helfe
es nichts! Drum wurde Grünwedel auch vorzeitig in Pension geschickt.
Weniger bekannt ist, dass ein
Buch Grünwedels aus der Zeit seines Wahnsinns, nämlich Tuska (in dem
er etruskische Inschriften zu deutschen versuchte), Folgen gehabt hat.
Grünwedel unterstellte den Etruskern dämonische und unanständige
Vorstellungen von Teufeln und Hölle, die dann von Alfred Rosenberg in
seinem Mythos des 20. Jahrhunderts aufgegriffen wurden, wo er
behauptet, die Höllenvorstellungen im Christentum den alten Etruskern
zuschreiben zu können. Rosenberg war also hereingefallen auf Grünwedels
irre Theorien.
Prof. Dr. Herbert Franke
Unser Kommentar zu
Prof. Frankes Leserbrief:
Prof. Franke hat Drobinskis
Kritik aber nicht unser Buch gelesen und beruft sich nur auf das Hörensagen
der Tibetologen. (Das geht schon allein daraus hervor, dass wir in unserem
Text Albert Grünwedels Einfluss auf Alfred Rosenberg behandeln, während
Franke behauptet, dass diese Beziehung nicht bekannt sei.) Weil er sich auf
das nicht hinterfragte Urteil einiger voreingenommener Tibetologen
verlässt, ist dem Autor des Leserbriefes auch nicht bewusst, dass wir keine
fachwissenschaftliche Studie (der Tibetologie) sondern ein
kulturhistorisches, tiefenpsychologisches und kulturkritisches Werk
geschrieben haben. In diesem Kontext haben wir Albert Grünwedel nicht als
einen "Kronzeugen", sondern als einen lebenden Beweis dafür
angeführt, welche verheerende Auswirkungen die Beschäftigung mit den
Tantras auf Menschen haben kann, sobald diese ernst von Menschen genommen
werden. Eine Behauptung, die auch von lamaistischer Seite immer wieder
geäußert wird. (Wir haben hier Leserbriefe zu unserem Buch vorliegen, in
denen Betroffene von ihren Besessenheiten berichten, die sie nach
tantrischen Ritualen erfahren haben und die ihr seelisches Gleichgewicht
völlig zerstört haben.) Grünwedel wurde, wie er selber sagt, durch die
Beschäftigung mit dem Kalachakra Tantra (diesem "tiefverruchten
Buch") in den Wahnsinn getrieben und sah sich aus diesem Grunde von
Dämonen bedroht.
Alfred Rosenberg hat übrigens
Grünwedels Tusca bewusst falsch interpretiert. Auf S. 303 Anm. 36
unseres Buches schreiben wir hierzu: "Einer der wenigen,
welche sich aus der Tusca bedient haben, war der Chefideologe des
Nationalsozialismus Alfred Rosenberg. In seinem Grundlagenwerk Der
Mythos des 20. Jahrhunderts widmet er ein ganzes Kapitel dem
etruskischen Satanismus, und greift vor allem auf Grünwedels Thesen zurück.
Er kommt jedoch zu einer völlig konträren Deutung des Kultes, für den
Tibetologen [Grünwedel] handelt es sich bei der etruskischen Kultur um ein
patriarchales heliolatrisches Opfersystem, für den Nationalsozialisten
dagegen um eine der abscheulichsten Formen des Matriarchats, der von der
römisch - nordischen Staatsidee der Garaus gemacht wurde."
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