Der
Tempelberg
Auszüge aus dem letzten Kapitel des
Buches: Krieg der Religionen – Politik, Glaube
und Terror im Zeichen der Apokalypse
Christliche Fundamentalisten
und der Tempelberg
Eine Übergabe des Tempels an die Palästinenser
bedeutet nach der Meinung des geborenen Holländers Jan Willem van der
Hoeven, Direktor des Christian Zionist Center in Israel, eine offene
Kooperation mit Satan: „Gott hat es in unsere Herzen hineingelegt, vor
dieser satanisch inspirierten Strategie zu warnen (die im Gegensatz zu
Gottes Willen und Wort steht), nämlich den Tempelberg als Teil für die
geplante Errichtung eines palästinensischen Staates zu stehlen, was
mittlerweile alle Nationen der Welt als Lösung für den Mittleren Osten
vorschlagen.“ (8) Auf seinen US-Reisen hetzt van der Hoeven sein Publikum
mit der Behauptung auf, die sehnsüchtig erwartete „Entrückung“ (rapture)
in den Himmel finde deswegen nicht statt, weil der Tempelberg noch von den
Muslimen besetzt sei und weil sich die Juden weigerten, den Dritten Tempel
zu bauen. Für die konservative Politik Benjamin Netanjahus hatte der
Fanatiker dagegen nur lobende Worte. Er verglich den damaligen
Ministerpräsidenten pathetisch mit Moses und „dem Rabbi von Nazareth“
(gemeint war Christus) und versicherte ihm: „Sie haben eine Armee von
Christen auf Ihrer Seite, die wollen, dass Sie an die Macht zurückkehren.“
Nach einer Rede Netanjahus sagte van der Hoeven: „Mein Messias wird nicht
in einer Moschee Omars erscheinen, sondern in einem Dritten Tempel, den
Gott erbauen ließ. [...] Ich hoffe unter Ihrer Zeit als Ministerpräsident.“
(9)
Die Restauration des Tempels stehe kurz bevor, glaubt
Hal Lindsey schon seit Jahren. Er zitiert den radikalen, jüdischen
Historiker Israel Eldad, der behauptet habe, Leute mit Macht und Einfluss
in der israelischen Regierung seien davon überzeugt, der Felsendom werde
durch eine natürliche oder übernatürliche Intervention zerstört und der
jüdische Tempel sehr bald wiederaufgebaut. (10) Um sofort reagieren zu
können, verwahren amerikanische Evangelikale die geschnittenen Tempelsteine schon in
Lagerhäusern. (11) The Jerusalem Temple Foundation sammelt mit
großem Erfolg Gelder, die sofort bei der Errichtung des Sakralbaus zur
Verfügung stehen. „Da gibt es eine wachsende Anzahl von Christen, viele von
ihnen organisiert in kleinen Kirchen und größeren Gruppen, die die
Konstruktion eines Dritten Tempels als einen Grundstein ihres Glaubens
ansehen.“ – war in der Jerusalem Post schon 1983 zu lesen –
„Obgleich es klare religiöse Glaubensunterschiede zwischen diesen Christen
und den Juden gibt, die auf einen Wiederaufbau des Tempels hinarbeiten,
kooperieren sie freiwillig und enthusiastisch miteinander.“ (12)
Mittlerweile ist die Zahl dieser „Tempel-Christen“ immer weiter angestiegen.
Ein israelischer Beobachter der Szene schreibt: „Zwischen
fundamentalistischen Christen, deren Zahl Millionen erreicht, gibt es eine
wachsende Überzeugung, die Zeit sei gekommen, dass sich die biblischen
Prophezeiungen ein für allemal realisieren. Unter ihnen gibt es Amerikaner
und Europäer, andere kommen aus Japan und Asien, sie betrachten sich selbst
als Zionisten und erwarten den baldigen Aufbau des Tempels in unserer
Zeit.“ (13)
Aber der Aufbau des Dritten jüdischen Tempels führt
keineswegs nach den Prophezeiungen der Neo-Dispensationalisten zum Frieden,
wie wir gesehen haben, sondern leitet den Aufstieg des Anti-Christen ein. Eine der Bibelstellen, welche diese
Prophezeiung stützen sollen, findet sich im 2. Thessalonicher Brief des Apostel Paulus: „Denn zuerst muss der Abfall von Gott kommen und der Mensch der
Gesetzwidrigkeit erscheinen, der Sohn des Verderbens, der Widersacher, der
sich über alles, was Gott oder Heiligtum heißt, so sehr erhebt, dass er
sich sogar in den Tempel Gottes setzt und sich als Gott ausgibt.“ –
heißt es dort. (2:3-4) Daraus schließt Hal Lindsey: „Die Bibel macht es
klar, dass in den letzten Tagen der Anti-Christ seine Herrschaft im Tempel
von Jerusalem errichten wird. Deswegen muss und wird der Tempel wieder
erbaut werden.“ (14) Erst ein Vertrag zwischen dem Anti-Christen, den Israelis und den Palästinensern mache die
Rekonstruktion des jüdischen Heiligtums möglich. „Erinnert euch an Daniel 9: 27“ – ruft Lindsey aus
– „dort wird über den kommenden
Prinzen von Rom gesprochen [für Lindsey der Anti-Christ] und dieser Prinz wird sieben Jahre bevor der
Messias kommt, einen Vertrag schließen, der die Sicherheit für Israel
garantiert. […] Er wird sogar in der Lage sein, das Unmögliche zu
realisieren, nämlich einen Frieden mit den Muslimen herzustellen, so dass
der Tempel wieder errichtet werden kann.“ (15)
Aber dann lässt sich der Anti-Christ, wie wir schon berichtet haben, im Tempel als Gott
anbeten. „Dieser Tempel wird auch der ‚Tempel des Anti-Christen’ genannt,
weil er ihn schänden wird, indem er sein Bild im Allerheiligsten aufstellen
lässt. Dieser gotteslästerliche Akt ist in der Bibel als ‚Gräuel der
Verwüstung’ bekannt.“ – schreibt Tim LaHaye. Als Folge dieser Blasphemie,
die den ganzen Zorn Gottes hervorruft, geht das eigentliche
Endzeit-Schlachten los. „Der letzte Krieg der Welt wird wegen der
Auseinandersetzung zwischen Juden und Muslimen beginnen, wem dieses Gelände
zusteht. Viele sind in der Vergangenheit auf diesem Grund gestorben, und viele
werden hier in Zukunft sterben. Nicht dass wir so etwas gerne sehen, aber
es ist etwas, was die Propheten vorausgesagt haben.“ (16)
Der vom Anti-Christen
entweihte Dritte (jüdische) Tempel, in dem die Juden fälschlicherweise
ihren Messiah erwarteten, wird in
den Armageddon-Kriegen zerstört. Danach errichtet Jesus Christus den
Vierten (christlichen) Tempel, den Tempel des Tausendjährigen Reiches.
Jetzt kann das größte Heiligtum einer christlichen Theokratie auf die ganze
Welt ausstrahlen. Eingedenk der Tatsache, dass im Tausendjährigen Reich
Löwe und Lamm friedlich beieinander liegen, wirkt es etwas befremdlich,
dass im Vierten Tempel Tieropfer stattfinden. Bei Ezechiel heißt es: „So
spricht Gott der Herr: Am ersten Tag des ersten Monats sollst Du einen
jungen Stier nehmen, der ohne Fehler ist, und das Heiligtum entsündigen.
Der Priester nimmt etwas Blut von dem Sündopfer und bestreicht damit die
Türpfosten des Tempels und die vier Ecken der (mittleren) Stufen des Altars
und die Türpfosten des Tors zum Innenhof.“ (45: 18, 19) Jerry M.
Hullinger, ein Mitarbeiter des dispensationalistischen Magazins Bibliotheca Sacra begründet diese
aus dem Alten Testament
übernommene Opferpraxis folgendermaßen: „Tierische Opfer während des
Tausendjährigen Reiches werden hauptsächlich dazu dienen, rituelle
Unreinheit zu beseitigen“ bzw. die Gegenwart Gottes durch Opfer zu
schützen. (17)
Es war Stanley Goldfoot, ein
in Südafrika geborener Jerusalemer Geschäftsmann, der als einer der ersten
die christlichen und die jüdischen Tempelfanatiker mit Erfolg
zusammenbrachte. Goldfoot bezeichnete sich stolz als „extremen Rechten“.
(18) Insbesondere wird der von uns schon hinreichend vorgestellte Leiter
von Temple Mount Faithful, Gershon Salomon, von den
Neo-Dispensationalisten geschätzt und von ihnen als ein „Heiliger Mann“
verehrt. Pat Robertson lud den selbsternannten Rabbi zu seiner Club 700
Show ein. Dagegen setzte ihn die amerikanisch-jüdische Anti-Defamation
League 1999 auf eine Liste von Personen, die eine Bedrohung für die Sicherheit
der USA darstellen. (19) Christliche und jüdische Fundamentalisten
verbindet – wenn auch zeitlich begrenzt – ein gemeinsames Interesse.
Entsprechend erntete Gershon Salomon 1998 auf einem Kongress christlicher
Zionisten standing ovations, als
er forderte: „Die Mission der gegenwärtigen Generation besteht darin, den
Tempelberg zu befreien und dort den schmutzigen Schandfleck zu tilgen, ich
wiederhole es, zu tilgen. [...] Das jüdische Volk wird nicht an den Toren,
die auf den Tempelberg führen, gestoppt werden. [...] Wir werden unsere Flagge über dem
Tempelberg hissen, von dem der Felsendom und seine Moscheen verschwinden
werden und auf dem es nur unsere israelische Fahne und unserem Tempel geben
wird. Das muss in unserer Generation vollendet werden.“ (20)
Nicht nur für jüdische,
sondern auch für christliche Fundamentalisten sind die oben erwähnten
israelischen Fanatiker von Gush-Emunim,
die versucht haben, die islamischen Sakralbauten auf dem Tempelberg zu
zerstören, „Heroen“. Amerikanische Gemeinden sammelten große Geldsummen zur
Verteidigung der Täter vor Gericht. (21) Daneben haben die Christen ihren
eigenen „Tempelberg-Terroristen“. 1969 stürmte Dennis Michael Rohan, ein
australischer Tourist, den Moriah-Berg. Er legte Feuer in der al-Aqsa Moschee. Die Flammen waren
so mächtig, dass es Stunden brauchte, um sie unter Kontrolle zu bringen.
Wie zu erwarten, führte das Ereignis zu großen Unruhen in der islamischen
ebenso wie in der jüdischen Bevölkerung. Premierministerin Golda Meir und
Moshe Dayan, die nachmittags das Gelände besuchten, waren entsetzt. Nachdem
Rohan am nächsten Tag festgenommen wurde, rechtfertigte er sein Verbrechen
mit den Worten: „Gott wollte, dass ich den Tempel baue. Da ich auserwählt
wurde, dies zu tun, musste ich den Beweis dafür bringen, indem ich die
Moschee zerstörte.“ (22)
Als im April 2003 Pat
Robertson in der Synagoge Beth Sholom in Framingham (USA) erklärte – „Es
gibt keine Schlacht von Armageddon; es gibt nur eine Schlacht um
Jerusalem.“ – da nahm ihm das keiner, der seinen Fanatismus kannte, ab.
„Was Robertson in der Synagoge sagte“ – meint Chip Berlet von Political
Research Associates – „ist eine Blendwerk, um einen Schleier über die
Augen der Leute zu legen. Im Grunde versucht er eine Koalition [mit der Jüdischen
Rechten] zustande zu bringen, so dass sie die Moschee auf dem Tempel
Berg in die Luft sprengen können, um sie durch eine Synagoge zu ersetzen –
und dann wird Christus zurückkommen.“ (23)
Mit Faszination warten die fundamentalistischen
Christen darauf, dass die Bombe im „Zentrum der Welt“ platzt: „Es ist
allgemein anerkannt, dass es keinen verletzbareren Flecken auf Erden gibt
als den Tempelberg. Wenn der Tempel Berg Dynamit ist, und die Tempel
Bewegung die Lunte, wie lange wird es noch dauern, bis die explosive
Situation erreicht ist?“ – fragt der evangelikale Tempelberg-Experte
Randall Price. (24)
Die Fußnoten sind nachlesbar in der Printausgabe von: „Krieg der
Religionen“
Weitere Kapitel:
Der
Tempelberg als messianisches Weltenzentrum (1)
Jüdische Fundamentalisten und
der Tempelberg (2)
Christliche
Fundamentalisten und der Tempelberg (3)
Islamische Fundamentalisten
und der Tempelberg (4)
Tempelberg: Wahn und Wirklichkeit im Krieg der
Religionen (5)
Der
Tempelberg als Garten (6)
|