KRIEG DER RELIGIONEN

Politik, Glaube und Terror

im Zeichen der Apokalypse

 

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Der Tempelberg

 

Auszüge aus dem letzten Kapitel des Buches: Krieg der Religionen – Politik, Glaube und Terror im Zeichen der Apokalypse

 


Christliche Fundamentalisten

und der Tempelberg

Bevor wir uns mit der Bedeutung des Tempelberges für die „modernen“ christlichen Fundamentalisten zuwenden, möchten wir einen kleinen Exkurs ins Mittelalter machen, um zu zeigen, dass das Gelände auch in historischer Zeit zum Austragungsort von  Ereignissen wurde, die mittlerweile einen mythischen Stellenwert haben. Wir sprechen von der Einnahme und Plünderung Jerusalems durch die Kreuzzügler am 15. Juli 1099, die in einem unsäglichen Blutrausch gipfelten. Nach der Zahlenangabe eines Chronisten wurden dmals 70.000 jüdische und muslimische Einwohner (1) der Stadt auf brutalste Weise ermordet. „Weiber, die in betürmten Palästen und Gebäuden Zuflucht gesucht hatten, machten sie [die Kreuzritter] nieder mit der Schärfe des Schwertes; Kinder, Säuglinge noch, traten sie mit flachem Fuß den Müttern vom Busen oder rissen sie aus den Wiegen, um sie sodann gegen Mauern und Türschwellen zu schmettern und ihnen das Genick zu brechen; andere schlachteten sie mit den Waffen hin, wieder andere erschlugen sie mit Steinen; nicht Alter noch Geschlecht der Heiden ward verschont […] Und es war nicht nur der Anblick der Leichen, der zerhackten, entstellten, verstümmelten, welcher dem Beschauer bange werden ließ; wahrhaftig beklemmend wirkte auch das Bild der Sieger selbst, die vom Scheitel bis zur Sohle von Blute troffen, und ein Grauen packte alle, die ihnen begegneten.“ (2)

 

Die Metzeleien kulminierten auf dem Tempelberg, wohin sich Männer, Frauen und Kinder geflüchtet hatten. Ein Augenzeuge berichtet: „So mag es hinreichen zu sagen, dass auf dem Tempel Salomons und dessen Vorhallen die Männer bis zu ihren Knien und bis zum Zaumzeug ihrer Pferde im Blut ritten. Wirklich – es war ein gerechtes und glänzendes Gottesurteil, dass dieser Platz mit dem Blut der Ungläubigen aufgefüllt wurde, da er so lange deren Blasphemien ertragen musste. Die Stadt war voll mit Leichen und mit Blut.“ (3) Allein 10.000 Muslime, die sich auf dem Gelände aufhielten und sich teilweise im Felsendom und der al-Aqsa Moschee verschanzt hatten, sollen von den Kreuzrittern geköpft worden sein.

 

Blut wird auch in Zukunft auf dem Tempelberg fließen, das jedenfalls versichern die christlichen Fundamentalisten von heute. Voraussetzung für die Erfüllung ihrer Bibelprophezeiungen ist die Errichtung des Dritten (jüdischen) Tempels. „Es bedarf nur noch eines weiteren Ereignisses, um die Bühne für Israels Rolle im letzten großen Akt des historischen Dramas zu bauen. Das ist der Wiederaufbau des alten Kulttempels auf seinem alten Platz. […] Es gibt da ein Hauptproblem, das die Konstruktion des dritten Tempels verhindert. Dieses Hindernis ist der zweit-heiligste Platz des muslimischen Glaubens, der Felsendom. […] Hindernis hin, Hindernis her, es ist sicher, dass der Tempel wieder erbaut wird. Die Prophezeiung verlangt es.“ - weissagte der amerikanische Doomsday-Autor Hal Lindsey schon 1970. (4) Solche   Prognosen werden nicht nur im Alten Testament (Daniel 9:26-27), sondern ebenso im Neuen Testament (Matthäus 24:15) und in der Offenbarung des Johannes (11:1,2) ausfindig gemacht. Die Anzahl biblischer Belegstellen ist gewaltig. (5) Indem man sie mit systematisierender Absicht aneinander reiht, lässt sich daraus ein präziser dramatischer Handlungsablauf konstruieren. Fest steht zum Beispiel, dass der kommende Messias über das östliche „Goldene Tor“ den Tempelberg betreten wird. Die christliche Gruppe Messiahcam (cam steht für Kamera) hat deswegen eine ständig laufende Kamera mit dem „Goldenen Tor“ im Visier aufgestellt, um die Ankunft nicht zu verpassen. Die Bilder können 24 Stunden rund um die Uhr im Internet abgerufen werden. (6) 

 

Baptisten-Pastor John Hagee verweist auf die weltgeschichtliche und mikrokosmische Bedeutung dieses Ortes und beschwört die Gewalt, die hiervon in der Endzeit ausgehen werde: „Die Schlacht um Jerusalem, und die Schlacht für das Herz und die Seele Amerikas, ist eine Schlacht zwischen Licht und Dunkelheit. Es ist eine Schlacht zwischen Gut und Böse. Ihr seht auf euren Fernsehschirmen einen Krieg auf Erden, den Männer ausführen, die durch die Mächte des Lichts und der Dunkelheit angetrieben werden. Und im Zentrum dieser globalen Schlacht ist ein kleines Stück Erde; ein 45 Acres großer Ort inmitten der Stadt Jerusalem. Dieses hochgeschätzte Stück Grund ist das Pulverfass der Welt, und es entzündete – der Legende nach – den  ersten verbürgten Mord in der menschlichen Geschichte.“ (7)

 

Eine Übergabe des Tempels an die Palästinenser bedeutet nach der Meinung des geborenen Holländers Jan Willem van der Hoeven, Direktor des Christian Zionist Center in Israel, eine offene Kooperation mit Satan: „Gott hat es in unsere Herzen hineingelegt, vor dieser satanisch inspirierten Strategie zu warnen (die im Gegensatz zu Gottes Willen und Wort steht), nämlich den Tempelberg als Teil für die geplante Errichtung eines palästinensischen Staates zu stehlen, was mittlerweile alle Nationen der Welt als Lösung für den Mittleren Osten vorschlagen.“ (8) Auf seinen US-Reisen hetzt van der Hoeven sein Publikum mit der Behauptung auf, die sehnsüchtig erwartete „Entrückung“ (rapture) in den Himmel finde deswegen nicht statt, weil der Tempelberg noch von den Muslimen besetzt sei und weil sich die Juden weigerten, den Dritten Tempel zu bauen. Für die konservative Politik Benjamin Netanjahus hatte der Fanatiker dagegen nur lobende Worte. Er verglich den damaligen Ministerpräsidenten pathetisch mit Moses und „dem Rabbi von Nazareth“ (gemeint war Christus) und versicherte ihm: „Sie haben eine Armee von Christen auf Ihrer Seite, die wollen, dass Sie an die Macht zurückkehren.“ Nach einer Rede Netanjahus sagte van der Hoeven: „Mein Messias wird nicht in einer Moschee Omars erscheinen, sondern in einem Dritten Tempel, den Gott erbauen ließ. [...] Ich hoffe unter Ihrer Zeit als Ministerpräsident.“ (9)

 

Die Restauration des Tempels stehe kurz bevor, glaubt Hal Lindsey schon seit Jahren. Er zitiert den radikalen, jüdischen Historiker Israel Eldad, der behauptet habe, Leute mit Macht und Einfluss in der israelischen Regierung seien davon überzeugt, der Felsendom werde durch eine natürliche oder übernatürliche Intervention zerstört und der jüdische Tempel sehr bald wiederaufgebaut. (10) Um sofort reagieren zu können, verwahren amerikanische Evangelikale  die geschnittenen Tempelsteine schon in Lagerhäusern. (11) The Jerusalem Temple Foundation sammelt mit großem Erfolg Gelder, die sofort bei der Errichtung des Sakralbaus zur Verfügung stehen. „Da gibt es eine wachsende Anzahl von Christen, viele von ihnen organisiert in kleinen Kirchen und größeren Gruppen, die die Konstruktion eines Dritten Tempels als einen Grundstein ihres Glaubens ansehen.“ – war in der Jerusalem Post schon 1983 zu lesen – „Obgleich es klare religiöse Glaubensunterschiede zwischen diesen Christen und den Juden gibt, die auf einen Wiederaufbau des Tempels hinarbeiten, kooperieren sie freiwillig und enthusiastisch miteinander.“ (12) Mittlerweile ist die Zahl dieser „Tempel-Christen“ immer weiter angestiegen. Ein israelischer Beobachter der Szene schreibt: „Zwischen fundamentalistischen Christen, deren Zahl Millionen erreicht, gibt es eine wachsende Überzeugung, die Zeit sei gekommen, dass sich die biblischen Prophezeiungen ein für allemal realisieren. Unter ihnen gibt es Amerikaner und Europäer, andere kommen aus Japan und Asien, sie betrachten sich selbst als Zionisten und erwarten den baldigen Aufbau des Tempels in unserer Zeit.“ (13)

 

Aber der Aufbau des Dritten jüdischen Tempels führt keineswegs nach den Prophezeiungen der Neo-Dispensationalisten zum Frieden, wie wir gesehen haben, sondern leitet den Aufstieg des Anti-Christen ein. Eine der Bibelstellen, welche diese Prophezeiung stützen sollen, findet sich im 2. Thessalonicher Brief des Apostel Paulus: „Denn zuerst muss der Abfall von Gott kommen und der Mensch der Gesetzwidrigkeit erscheinen, der Sohn des Verderbens, der Widersacher, der sich über alles, was Gott oder Heiligtum heißt, so sehr erhebt, dass er sich sogar in den Tempel Gottes setzt und sich als Gott ausgibt.“ – heißt es dort. (2:3-4) Daraus schließt Hal Lindsey: „Die Bibel macht es klar, dass in den letzten Tagen der Anti-Christ seine Herrschaft im Tempel von Jerusalem errichten wird. Deswegen muss und wird der Tempel wieder erbaut werden.“ (14) Erst ein Vertrag zwischen dem Anti-Christen, den Israelis und den Palästinensern mache die Rekonstruktion des jüdischen Heiligtums möglich. „Erinnert euch an Daniel 9: 27“ – ruft Lindsey aus –  „dort wird über den kommenden Prinzen von Rom gesprochen [für Lindsey der Anti-Christ] und dieser Prinz wird sieben Jahre bevor der Messias kommt, einen Vertrag schließen, der die Sicherheit für Israel garantiert. […] Er wird sogar in der Lage sein, das Unmögliche zu realisieren, nämlich einen Frieden mit den Muslimen herzustellen, so dass der Tempel wieder errichtet werden kann.“ (15)

 

Aber dann lässt sich der Anti-Christ, wie wir schon berichtet haben, im Tempel als Gott anbeten. „Dieser Tempel wird auch der ‚Tempel des Anti-Christen’ genannt, weil er ihn schänden wird, indem er sein Bild im Allerheiligsten aufstellen lässt. Dieser gotteslästerliche Akt ist in der Bibel als ‚Gräuel der Verwüstung’ bekannt.“ – schreibt Tim LaHaye. Als Folge dieser Blasphemie, die den ganzen Zorn Gottes hervorruft, geht das eigentliche Endzeit-Schlachten los. „Der letzte Krieg der Welt wird wegen der Auseinandersetzung zwischen Juden und Muslimen beginnen, wem dieses Gelände zusteht. Viele sind in der Vergangenheit auf diesem Grund gestorben, und viele werden hier in Zukunft sterben. Nicht dass wir so etwas gerne sehen, aber es ist etwas, was die Propheten vorausgesagt haben.“ (16)

 

Der vom Anti-Christen entweihte Dritte (jüdische) Tempel, in dem die Juden fälschlicherweise ihren Messiah erwarteten, wird in den Armageddon-Kriegen zerstört. Danach errichtet Jesus Christus den Vierten (christlichen) Tempel, den Tempel des Tausendjährigen Reiches. Jetzt kann das größte Heiligtum einer christlichen Theokratie auf die ganze Welt ausstrahlen. Eingedenk der Tatsache, dass im Tausendjährigen Reich Löwe und Lamm friedlich beieinander liegen, wirkt es etwas befremdlich, dass im Vierten Tempel Tieropfer stattfinden. Bei Ezechiel heißt es: „So spricht Gott der Herr: Am ersten Tag des ersten Monats sollst Du einen jungen Stier nehmen, der ohne Fehler ist, und das Heiligtum entsündigen. Der Priester nimmt etwas Blut von dem Sündopfer und bestreicht damit die Türpfosten des Tempels und die vier Ecken der (mittleren) Stufen des Altars und die Türpfosten des Tors zum Innenhof.“ (45: 18, 19) Jerry M. Hullinger, ein Mitarbeiter des dispensationalistischen Magazins Bibliotheca Sacra begründet diese aus dem Alten Testament übernommene Opferpraxis folgendermaßen: „Tierische Opfer während des Tausendjährigen Reiches werden hauptsächlich dazu dienen, rituelle Unreinheit zu beseitigen“ bzw. die Gegenwart Gottes durch Opfer zu schützen. (17) 

 

Es war Stanley Goldfoot, ein in Südafrika geborener Jerusalemer Geschäftsmann, der als einer der ersten die christlichen und die jüdischen Tempelfanatiker mit Erfolg zusammenbrachte. Goldfoot bezeichnete sich stolz als „extremen Rechten“. (18) Insbesondere wird der von uns schon hinreichend vorgestellte Leiter von Temple Mount Faithful, Gershon Salomon, von den Neo-Dispensationalisten geschätzt und von ihnen als ein „Heiliger Mann“ verehrt. Pat Robertson lud den selbsternannten Rabbi zu seiner Club 700 Show ein. Dagegen setzte ihn die amerikanisch-jüdische Anti-Defamation League 1999 auf eine Liste von Personen, die eine Bedrohung für die Sicherheit der USA darstellen. (19) Christliche und jüdische Fundamentalisten verbindet – wenn auch zeitlich begrenzt – ein gemeinsames Interesse. Entsprechend erntete Gershon Salomon 1998 auf einem Kongress christlicher Zionisten standing ovations, als er forderte: „Die Mission der gegenwärtigen Generation besteht darin, den Tempelberg zu befreien und dort den schmutzigen Schandfleck zu tilgen, ich wiederhole es, zu tilgen. [...] Das jüdische Volk wird nicht an den Toren, die auf den Tempelberg führen, gestoppt werden.  [...] Wir werden unsere Flagge über dem Tempelberg hissen, von dem der Felsendom und seine Moscheen verschwinden werden und auf dem es nur unsere israelische Fahne und unserem Tempel geben wird. Das muss in unserer Generation vollendet werden.“ (20)

 

Nicht nur für jüdische, sondern auch für christliche Fundamentalisten sind die oben erwähnten israelischen Fanatiker von Gush-Emunim, die versucht haben, die islamischen Sakralbauten auf dem Tempelberg zu zerstören, „Heroen“. Amerikanische Gemeinden sammelten große Geldsummen zur Verteidigung der Täter vor Gericht. (21) Daneben haben die Christen ihren eigenen „Tempelberg-Terroristen“. 1969 stürmte Dennis Michael Rohan, ein australischer Tourist, den Moriah-Berg. Er legte Feuer in der al-Aqsa Moschee. Die Flammen waren so mächtig, dass es Stunden brauchte, um sie unter Kontrolle zu bringen. Wie zu erwarten, führte das Ereignis zu großen Unruhen in der islamischen ebenso wie in der jüdischen Bevölkerung. Premierministerin Golda Meir und Moshe Dayan, die nachmittags das Gelände besuchten, waren entsetzt. Nachdem Rohan am nächsten Tag festgenommen wurde, rechtfertigte er sein Verbrechen mit den Worten: „Gott wollte, dass ich den Tempel baue. Da ich auserwählt wurde, dies zu tun, musste ich den Beweis dafür bringen, indem ich die Moschee zerstörte.“ (22)

 

Als im April 2003 Pat Robertson in der Synagoge Beth Sholom in Framingham (USA) erklärte – „Es gibt keine Schlacht von Armageddon; es gibt nur eine Schlacht um Jerusalem.“ – da nahm ihm das keiner, der seinen Fanatismus kannte, ab. „Was Robertson in der Synagoge sagte“ – meint Chip Berlet von Political Research Associates – „ist eine Blendwerk, um einen Schleier über die Augen der Leute zu legen. Im Grunde versucht er eine Koalition [mit der Jüdischen Rechten] zustande zu bringen, so dass sie die Moschee auf dem Tempel Berg in die Luft sprengen können, um sie durch eine Synagoge zu ersetzen – und dann wird Christus zurückkommen.“ (23)

 

Mit Faszination warten die fundamentalistischen Christen darauf, dass die Bombe im „Zentrum der Welt“ platzt: „Es ist allgemein anerkannt, dass es keinen verletzbareren Flecken auf Erden gibt als den Tempelberg. Wenn der Tempel Berg Dynamit ist, und die Tempel Bewegung die Lunte, wie lange wird es noch dauern, bis die explosive Situation erreicht ist?“ – fragt der evangelikale Tempelberg-Experte Randall Price. (24)


Die Fußnoten sind nachlesbar in der Printausgabe von: „Krieg der Religionen

 

Weitere Kapitel:

 

Der Tempelberg als messianisches Weltenzentrum (1)

 

Jüdische Fundamentalisten und der Tempelberg (2)

 

Christliche Fundamentalisten und der Tempelberg (3)

 

Islamische Fundamentalisten und der Tempelberg (4)

 

Tempelberg: Wahn und Wirklichkeit im Krieg der Religionen (5)

 

Der Tempelberg als Garten (6)

 

 

 

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