Der
Tempelberg
Auszüge aus dem letzten Kapitel des
Buches: Krieg der Religionen – Politik, Glaube
und Terror im Zeichen der Apokalypse
Islamische Fundamentalisten
und der Tempelberg
Der islamische Anspruch auf
den Tempelberg leitet sich vor allem aus einer einzigen Sure 17 (al-Israa) ab: „Preis sei
dem, der seinen Diener bei Nacht von der heiligen Moschee zur fernsten
Moschee, die wir ringsum gesegnet haben, reisen ließ, damit wir ihm etwas
von unseren Zeichen zeigen.“ – heißt es dort. (17:1) Dieses Ereignis
wird „die Nachtreise“ (al-Israa)
genannt. Als „Heilige Moschee“ gilt das Kaaba-Heiligtum in Mekka, Al-Aqsa dagegen bedeutet „die
Fernste“, in diesem Fall die „fernste Moschee“. Der Name „Jerusalem“ wird
also in diesem Vers nicht erwähnt, aber es ist eine unwidersprochene
islamische Tradition, dass die „fernste Moschee“ auf dem Haram al-Sahrif (Tempelberg) in der Heiligen Stadt gemeint ist. Von dort aus stieg der Prophet auf seinem Zauberpferd Buraq
in den Himmel, um seine Vorgänger Ibrahim (Abraham), Moses und Jesus
zu treffen. Muslimische Fremdenführer zeigen im Felsendom einen Fußabtritt,
den Buraq hinterlassen haben
soll.
Andere Erwähnungen des
Tempelberges gibt es im Koran nicht. Alles Weitere stammt aus
sekundären Traditionen, insbesondere den Sammlungen von Prophetensprüchen (Hadiths). In einem Hadith von al-Bukhari wird
berichtet, Mohammed habe auf die Frage, was das erste Heiligtum des Islams
sei, geantwortet: „al-Masjid al Haram“
in Mekka. Gefragt nach dem zweiten Heiligtum habe er „al-Masjid al-Aqsa“ gesagt. Folglich gelte die al-Aqsa Moschee in Jerusalem als das
zweitgrößte Heiligtum des Islams.(1) Ursprünglich sei es von Adam und mit
der Hilfe von Engeln errichtet worden. Dann hätten die Propheten Ibrahim
(Abraham) und sein Sohn Ismael das Gebäude restauriert. Jakob habe es
erweitert, ebenso die Gläubigen unter Moses, nachdem sie aus der
ägyptischen Gefangenschaft ins Heilige Land zurückgekehrt seien. Dann habe
Salomon, der als einer der größten Propheten des Islams gilt, „Allahs Haus“
neu aufgebaut und zwar mit der Unterstützung von Geistern (Djinnis).
Der salomonische Tempel sei eine Moschee gewesen.
Zur Geschichte des Haram al-Sharif und zu Jerusalem
Die historischen Erbauer der
al-Aqsa Moschee („fernste
Moschee“) waren die Omaijaden. Im Jahre 711 war der Sakralbau vollendet.
Mehrmals wurde er in der Folge durch Erdbeben zerstört und dann wieder neu
errichtet. Die jetzige Konstruktion stammt aus dem Jahre 1035. Auf dem
Gelände befindet sich auch der schon früher
(688 – 691) auf Order des Omaijaden Kalifen Abd al-Malik ibn Marwan
errichtete Felsendom. Dieses „Wahrzeichen Jerusalems“ muss als ein
architektonisches Monument angesehen werden, das sich expressis verbis
mit dem Christentum auseinandersetzt, denn seine Wände und Simse sind mit Koransprüchen überzogen, die sich
direkt an das „Volk des Buches“ wenden, gemeint sind damit die Christen.
Unter anderem ist dort zu lesen: „Der Messias Jesus, Sohn der Maria, ist
tatsächlich der Bote [Gottes]. So glaubt an Gott und hört auf von der
Dreifaltigkeit zu sprechen. In Wahrheit ist Gott der Gott der Einheit.“ (2)
Obgleich diese Sätze, die zu den ältesten schriftlichen Dokumenten des
Islams überhaupt zählen, sich direkt gegen die christliche Doktrin der
Trinität richten, geben sie anderseits Jesus (Isa) demonstrativ den
Status eines Propheten, der als islamischer Messias am Ende der Tage als
Zeuge vor dem Jüngsten Gericht
aussagen wird.
Der amerikanische
Religionswissenschaftler David Cook und andere sind im Übrigen der Meinung,
dass die Inschriften auf dem Felsendom nicht als Konfrontation, sondern im
Gegenteil, als ein Dialog mit dem Christentum konzipiert wurden. Cook kann
sich dabei auf ein frühes islamisches Dokument berufen, das besagt, Abd
al-Malik habe bei der Errichtung des Felsendoms an die Konstruktion eines
ökumenischen „dritten Tempels“ gedacht: „Die muslimische apokalyptische
Literatur spricht extensiv von Kultgegenständen des [alten] Tempels wie den
Tisch der Schaubrote, den Altar, die Bundeslade, die Tafeln der zehn Gebote
– und zeigt an, dass die frühen Muslime glaubten, es sei Teil ihrer
Eroberungspolitik, diese Gegenstände entweder in Rom oder Konstantinopel
ausfindig zu machen, um sie nach Jerusalem zurückzubringen, wo sie der
Mahdi zu Ehre Gottes benutzen werde. In der Tat sind viele der
[muslimischen] Kämpfe aus dem ersten islamischen Jahrhundert als Rachefeldzüge für die
Zerstörung des Tempels zu interpretieren.“ – lesen wir bei Cook. (3)
Jerusalem und der Haram
al-Sharif haben im Laufe der Jahrhunderte sehr unterschiedliche
Wertschätzungen unter den Muslimen genossen. Hier wurde immerhin das Kalifat
der Omaijaden-Dynastie gegründet. Für die Omaijaden war Jerusalem neben
Damaskus ein wichtiges politisch-religiöses Zentrum. Sie machten enorme,
insbesondere auch architektonische Anstrengungen, um die Stadt zu
verschönern, um sie zu verherrlichen und zu erhöhen. Unter ihnen soll es
sogar den Versuch gegeben haben, die Pilgerreise (Hadj) von Mekka nach Jerusalem zu verlegen. (4) Aber es folgten
Jahrhunderte, in denen al-Ouds
(Jerusalem) in die Bedeutungslosigkeit einer drittrangigen Provinzstadt
herabsank. Nach dem Ende der Omaijaden Herrschaft (750) und nach den
Kreuzzügen (14. – 16. Jahrhundert) war die Stadt die meiste Zeit über in
einem bedauernswerten Zustand. Der Publizist Daniel Pipes, Herausgeber des Middle East
Quarterly, verweist darauf, dass sich das Interesse der
Muslime ziemlich parallel zu dem christlichen Interesse an Jerusalem
entwickelte. Erst die Kreuzzüge machten Jerusalem für sie wieder attraktiv
und zu einem Objekt der Begierde. Im 12. Jahrhundert blühte der Handel mit
islamischen Jerusalem-Büchern, in
denen auch die hohe spirituelle Bedeutung des Ortes und der sich dort
befindenden Monumente für den Islam
hervorgehoben wurde. Damals schrieb der Sultan Saladin (1138 – 1193), der
Jerusalem im Jahre 1187 für den Islam zurückeroberte, in einem Brief an
seine Kreuzfahrer-Gegner: „die Stadt ist für uns genauso wichtig wie für
euch. Sie ist für uns sogar wichtiger.“ (5)
Unter der ca. 400 Jahre dauernden osmanischen
Herrschaft verlor Jerusalem zunehmend an Glanz und Rang. Zwar ließ Sultan
Süleyman I (1496 – 1566) nach 1535 die Befestigungen der Stadt großzügig
ausbauen, so wie sie gegenwärtig noch zu sehen sind. Doch das war denn auch
der Höhepunkt unter der Türken-Herrschaft. Von nun an sank Jerusalem immer
mehr in die Bedeutungslosigkeit hinab und soll im 19. Jahrhundert ziemlich
verwahrlost gewesen sein. Erst unter dem britischen Mandat (1917-1948)
wurden die Stadt und der Tempelberg (Haram
al-Sharif) erneut zu einem religiös-politischen Zankapfel. Wieder in
christlicher Hand, stieg die Wertschätzung des Ortes unter den Muslimen von
Tag zu Tag. Aber erst nachdem die Stadt 1967 von den Israelis besetzt
worden war, wurde sie (zusammen mit dem Haram al-Sharif und der al-Aqsa Moschee) zum
Dreh- und Angelpunkt für die gesamte islamische Welt. Im Jahre
2000 verwies ein hoher ägyptischer Diplomat auf die einigende Wirkung von al-Ouds: „Jerusalem ist die einzige
Sache, die die Araber zu vereinigen scheint. Es ist die Parole!“ (6)
Die gegenwärtige Debatte über den Tempelberg
Obgleich Mekka mit der Kaaba
weiterhin als das spirituelle Zentrum des Islams angesehen wird, ist
Jerusalem mit dem Haram al-Sharif
zum religionspolitisch explosivsten Ort der muslimischen Welt geworden. Der
islamische Rechtstitel auf den Tempelberg gilt als unveränderbar und unveräußerbar
– vom Anfang der Welt bis zu deren Ende. Scheich Muhammad Hussein, Direktor
der al-Aqsa Moschee, erklärte dem
jüdischen Journalisten Gershom Gorenberg: „Al-Aqsa ist ein heiliger Platz des Islams. [...] Dieser hat nie
zu irgendetwas anderem gehört. Er wurde von Gott selbst al-Aqsa genannt.“ (7) „Wir opfern
unser Blut und unsere Seele für al-Aksa.“
– skandieren Demonstranten in Jordanien. (8) Als der israelische
Ministerpräsident Ehud Barak und der amerikanische Präsident Bill Clinton
den Palästinensern (2000) den Vorschlag machten, an der Nordost Seite des
Tempelberges eine Synagoge zu bauen, da lehnte das Jasser Arafat mit den
folgenden Worten ab: „Solche Argumente sind hochexplosiv und werden ein
massives Feuer in der Region entfesseln [...] Verlangen Sie von mir, dass
wir die Region in ein neues Zeitalter der Religionskriege hineinwerfen?“
(9) Es war nicht zuletzt Arafat, der immer wieder die muslimische Bedeutung
des Haram hervorhob. „Zeigt mir einen Araber, der Jerusalem betrügen
würde, einen einzigen Palästinenser, der die heiligen Plätze der Muslime
betrügen würde.“ – argumentierte der Palästinenserchef. (10) Die Wellen
schlugen hoch, als sich die israelische Regierung 2004 weigerte, dass der
verstorbene Palästinenserführer auf dem Haram al-Sharif beerdigt werde. Tommy Lapid, Israels
Justizminister sagte damals: „Wir wissen nicht, wo er begraben wird. Sie
müssen wählen, wo sie ihn begraben. Aber er wird nicht in Jerusalem
begraben, weil Jerusalem die Stadt ist, wo die jüdischen Könige begraben
wurden und nicht arabische Terroristen.“ (11)
Auch andere hohe
palästinensische Politiker wie Jeries Soudah halten den Tempelberg für
nicht verhandelbar.
„Prinzipien der Verhandlung über dieses Stück Eigentum, sind in der
arabischen Welt nicht akzeptabel. Man kann über Ost und West Jerusalem
verhandeln. Aber wenn die Sprache auf den Tempelberg kommt, gibt es eine
solche Verhandlung nicht – selbst wenn uns das in den Dritten Weltkrieg
treiben würde.“ (12) Es sei mehr als Klugheit, die Jerusalem- und die
Tempelbergfrage bei den sich wieder anbahnenden Friedensverhandlungen über
den Nahen Osten außer Acht zu lassen. „Jerusalem ist ein Feuerball und wenn
dieser Feuerball explodiert, wird er alle anderen Dinge verbrennen.“ -
warnt Ahmed Abdel Rahman, Generalsekretär des palästinensischen Kabinetts.
(13) Alle Politiker wissen um die globale Bedeutung des Nah-Ost-Konfliktes
für den Weltfrieden. „Wenn Frieden zwischen uns [Israelis und
Palästinensern] ist, dann wird es Frieden in der ganzen Region geben und
Frieden in der Welt, weil die ganze Welt das Palästina Problem als die
Ursache des Konflikts sieht.“ – erklärte der palästinensische
Ministerpräsident Mahmoud Abbas nach dem Abzug der Israelis aus dem
Gaza-Streifen. Das ist ein schöner Satz, aber noch in demselben Interview
lässt Abbas die bedauerlichen Worte verlautbaren: „Jegliche Teilung des
Eigentums und der Staatsaufsicht über den Tempelberg schließen wir aus.“
(14)
Es gehört zu den Standardaussagen der Hamas, dass das Palästina-Problem
kein nationales, sondern ein religiöses Problem sei, welches „untrennbar
mit der Heiligen Moschee [al-Aqsa]
verbunden ist, so lange der Himmel und die Erde existieren.“ (15) In Artikel 33 der Hamas Charta wird das noch präzisiert: „Die Hamas […] schwimmt weiter im Fluss
des Schicksals bei ihrer Konfrontation und ihrem Djihad mit dem Feind in Verteidigung der Muslime, der
islamischen Zivilisation und der islamischen Heiligen Stätten, an erster
Stelle der gesegneten al-Aqsa
Moschee.“ – heißt es dort. (16) Nach der al-Aqsa-Intifada (September 2000) wurden zwei militante
Terror-Organisationen gegründet, die ihre Namen von der „fernsten Moschee“
bzw. von „Jerusalem“ ableiteten: Die Al-Aqsa
Martyrs’ Brigades („Al-Aqsa-Märtyrer-Brigaden“), ein halb im Untergrund
arbeitender bewaffneter Zweig der palästinensischen al-Fatah Partei. (17) Die zweite Organisation ist der
bewaffnete Arm des Palestinian
Islamic Jihad. Sie trägt den Namen Al-Ouds
Brigades, da heißt „Jerusalem Brigaden“. Am 21. August 2005
strahlte ein von der Hamas
kontrollierter Radiosender während einer Feierstunde für den Gaza-Abzug der
Israelis einen Song aus, der die folgenden Zeilen enthielt: „Oh, unsere
al-Aqsa, oh ihr Besetzer, die Thora [besteht aus] Versen Gottes, [aber ihr]
habt sie verstellt. Die Geschichte von der Klagemauer ist eine
Verschwörung, die ihre geplant habt, wir verteidigen unsere al-Aqsa, ihr
habt keinen Platz unter uns, ihr Besetzer.“ (18) Mohammed Hussein, Prediger
auf dem Haram al-Sharaf erklärte,
Sharon wolle die Weggabe des Gaza-Streifens für die Inbesitznahme von
Jerusalem einhandeln. Das dürfe nicht sein. (19)
Dass die Hamas
als palästinensische Organisation, eine enge Beziehung zu Jerusalem hat,
liegt auf der Hand. Aber auch das iranische Ayatollah-System ist erstaunlicherweise auf die Heilige Stadt
fixiert. Schon zwei Jahre nach seiner Machtübernahme forderte Ayatollah
Khomeini in einer Predigt (1981) die Observanz eines weltweiten „Jerusalem
Tages“, (Day of al-Quds) als Teil
des liturgischen Kalender, der seitdem am dritten Freitag des heiligen
Fastenmonats Ramadan gefeiert
wird. „Wie lange noch sollen Jerusalem, Palästina, der Libanon und die
unterdrückten Muslime unter der Knute von Kriminellen leiden, während ihr
Zuschauer bleibt und während einige eurer verräterischen Herrscher ihnen
helfen?“ - fragte der Ayatollah. (20) Der jährlich veranstaltete „weltweite
Jerusalem Tag“ wurde in den spätern 80er und frühen 90er Jahren zur größten
pro-Khomeini Manifestation der Muslime in den Vereinigten Staaten. 1997
feierte in Teheran eine Menge von 300.000 Iranern zusammen mit ihrem
Präsident Haschemi Rafsanjani den „Jerusalem Tag“. Ebenso sieht die
schiitische Hisbollah in
Jerusalem ein spirituelles Zentrum des Islams. Ihr Generalsekretär, Scheich
Hassan Nasrallah, erklärte: „Wir werden Palästina nicht aufgeben, ganz Palästina und
Jerusalem werden der Ort bleiben, zu dem alle Djihad-Kämpfer ihre Gebete richten.“ (21)
Auch der palästinensische Scheich Abdullah Azzam,
ehemaliger Mentor von Osama bin Laden, stellte die „Rückeroberung Jerusalems“
in den Mittelpunkt seiner politischen Theologie. In seiner Schrift Min
Kabul ila al-Ouds (Von Kabul zu Jerusalem) geht er davon aus, die
Befreiung Kabuls (Afghanistan) durch die Taliban sei der erste Schritt auf
dem Weg zur Befreiung Jerusalems. Wie wir schon gezeigt haben, machte
ebenfalls der uns schon bekannte saudische Scheich Safar al-Hawali
Jerusalem und den Haram al-Sharif
(Tempelberg) zum Zentrum seiner prophetischen Polit-Vision („Der Tag des Zorns“). „Die al-Aqsa
Moschee ist die al-Aqsa Moschee, von der Zeit an als sie das erste mal [von
Adam] gebaut wurde, als sie dann von Salomon wieder errichtet wurde, oder
als der Prophet – möge Allah ihn
segnen und Friede sei mit ihm – dort betete, oder als die Muslime sie
bauten oder wann immer sie wieder aufgebaut werden wird bis hin zum
Jüngsten Gericht.“ – schrieb al-Hawali. (22)
Al-Hawalis geistiger „Schüler“, Osama bin Laden,
äußerte sich ebenfalls mehrmals zur al-Aqsa
Moschee. In seiner ersten Kriegserklärung
aus dem Jahre 1996 spricht er davon, das Heiligtum sei den Zionisten in
die Hände gefallen, „und die Wunden der Umma
[islamischen Gemeinschaft] bluten dort immer noch.“ - „Heute
arbeiten wir von denselben Bergen [Afghanistan] aus, um die
Ungerechtigkeiten zu tilgen, die der Umma durch die Allianz von
Zionisten und Kreuzzüglern angetan wurden, insbesondere weil sie das
gesegnete Land um Jerusalem besetzt halten [...] und das Land der zwei
heiligen Plätze [Saudi Arabien] okkupieren.“ (23) Dann zitiert er einige Zeilen
aus einem Gedicht: “Ich fühle immer noch den Schmerz über den Verlust von
al-Ouds [Jerusalem] in meinen inneren Organen. Dieser Verlust ist wie ein
brennendes Feuer in meinen Eingeweiden. Ich habe meinen Vertrag mit Gott
nicht gebrochen, obgleich sogar ganze Staaten den Vertrag gebrochen haben.
(24) Auch bin Ladens zweite Kriegserklärung
vom 23. Februar 1998 klagt die „Besetzung Jerusalems und die dort an
Muslimen durchgeführte Morde“ an. Der in diesem Dokument verfasste Aufruf,
die Amerikaner zu töten, wird mit dem Satz begründet: „Die Regel,
Amerikaner und ihre Alliierten – Zivilisten und Militärs – zu töten, ist
eine individuelle Pflicht für jeden Muslimen, der das in jedem Land tun
kann, um die al-Aqsa Moschee und die Heilige Moschee aus ihren Klauen zu
befreien, und in der Absicht ihre Armeen aus allen islamischen Ländern zu
vertreiben. Dies steht in Übereinstimmung mit dem Wort des Allmächtigen
Gottes ‚bekämpft die Ungläubigen alle
zusammen wie sie euch alle zusammen bekämpfen’ und ‚bekämpft sie bis es keine Aufruhr und
Unterdrückung mehr gibt und Gerechtigkeit und der Glaube an Gott überall
verbreitet ist.“ (25) Bin Laden bezeichnet Palästina als das „Land von al-Aqsa“. (26) Sein berühmtes
Interview mit dem CNN-Reporter Peter Arnett endet mit dem Satz: „Und sie
[die Amerikaner] kamen, um die israelischen Kräfte im besetzten Palästina
zu unterstützen, dem Land der „Israa“
[das ist die berühmte „Nachtreise“, die Mohammed nach Jerusalem unternommen
haben soll] unseres Propheten.“ (27)
Der al-Qaida-Chef
hat jedoch nicht nur ein ideologisches, sondern auch ein biographisches
Interesse an der al-Aqsa Moschee
und dem Felsendom. Sein Vater, der Bauunternehmer Scheich Mohammed ibn Awad
ibn Laden, bot sich der jordanischen Regierung an, die Sakralbauten auf dem
Haram al-Sharif zu renovieren und
erhielt diesen Auftrag, den er für den Selbstkostenpreis durchführte. Da er
sehr wahrscheinlich über einen Privat-Jet verfügte, leistete er sich einen
besonderen spirituellen Luxus: „Er war an einigen Tagen in der Lage, drei
seiner täglichen Gebete an den drei heiligsten Plätzen [Mekka, Medina,
Jerusalem] durchzuführen.“ – erinnert sich Osama bin Laden an seinen Vater.
(28)
Archäologische Spekulationen über den Tempelberg
Muslimische Prediger werfen
den Juden vor, sie sprächen von einem „Tempel“, der sich auf dem Haram al-Sharif befunden hätte. Bei dem Begriff „Tempel“
handele es sich um einen heidnischen Terminus. Selbst in der Hebräischen Bibel sei vom „Hause
Gottes“ und nicht von einem „Tempel“ die Rede sei. Scheich Safar al-Hawali
ist jedoch der Meinung, die Wahl dieses Begriffs („Tempel“) sei kein
Zufall, denn es gebe genügend Hinweise darauf, dass die jüdischen Rabbiner
in frühen Zeiten auf dem Haram al-Sharif
einen heidnischen Tempel Kulte zu Ehren der Götter Baal, Tammuz und Manat
betrieben hätten. (29) Und ein anderer islamischer Autor, Muhammad Izzat
Arif, spricht den Juden sogar jeglichen historischen Anspruch auf Jerusalem
ab: „Die Juden geben vor, ausgehend von einem tiefen Zivilisationshass,
dass Jerusalem ihr Erbe darstelle, dass es jüdisch sei von Geburt, Ursprung
und Geschichte her; die Wahrheit aber ist, dass Jerusalem religiös,
essentiell und geographisch arabisch war schon vor dem Islam, vor dem
Christentum und vor dem Judentum und das der Islam ein größeres Recht darauf
hat, weil er der wahre Glaube ist und alle anderen sind falsch.“ (30)
Viele Juden und Christen
sind dagegen davon überzeugt, die Muslime hätten die Absicht, „den gesamten
Tempelberg in eine riesige Moschee zu verwandeln.“ (33) Auch diese
Befürchtung ist nicht unberechtigt. Das ganze Areal gilt nach der Aussage
islamischer Rechtsgelehrter als „Heiliges Gebiet“ und wird mit dem
arabischen Wort Masjid
bezeichnet, was so viel wie „Ort des Niederfallens (im Gebet)“
bedeutet. Ausgehend hiervon sagte der Mufti der palästinensischen Polizei,
Abdul Salam Abu Shkaidem der Jerusalem
Post auf einer interreligiösen Konferenz in Ägypten, Juden „haben nicht
das Recht dorthin zu gehen, das ist eine Moschee – der gesamte Tempelberg.“ (34)
1998 begann der Waqf [die islamische
Verwaltung des Tempelberges] ein neues Gotteshaus, die sogenannte Marwani Moschee, auf einem Teil
des Haram al-Sharif, der als die „Ställe Salomons“ bekannt ist, zu
konstruieren. Aber genau dieser Ort wird von ökumenisch eingestellten
Juden, Christen und Muslimen als Platz für den Bau einer Synagoge
beansprucht, die neben den bestehenden islamischen Heiligtümern den Moriah
Berg krönen könnte.
Die muslimischen Prophezeiungen
Jerusalem steht wie kein
anderer Ort im Blickfeld der „modernen“ islamischen Propheten-Literatur.
Alle religiösen Traditionen, in denen auf die Heilige Stadt und auf
den Haram al-Sharif Bezug
genommen wird, werden von „modernen“ Doomsday-Autoren gesammelt, miteinander
in Beziehung gebracht und dann als eschatologisches Material benutzt. Ganz
oben steht dabei die schon mehrmals
zitierte Khurasân-Prophezeiung, wonach
der Mahdi mit seiner Armee aus
den Bergen Afghanistans hinabsteigt, in Richtung Westen zieht und Jerusalem
erobert: „Schwarze Banner werden aus Khurasân kommen. Keine Macht wird
sie stoppen können, bis sie schließlich
Jerusalem erreichen, wo sie ihre Flaggen hissen.“ (35) In
einem mittelalterlichen Reiseführer mit dem Titel Die Sehenswürdigkeiten von Jerusalem und Damaskus (Fadhail Bait al-Maqdis) wird
versichert, dass Jerusalem die Stadt der „Auferstehung“ sein werde und dass
sich alle frommen Muslime am Tage des Jüngsten
Gerichts dort
versammeln. Der zentrale Felsen auf dem Haram
al-Sharif, von dem aus Mohammed in den Himmel aufgestiegen sein
soll, werde vielen als die letzte Zufluchtstätte dienen, um sich vor den
Nachstellungen des Dajjal (Anti-Christen) zu flüchten. Hier
erwarten sie auch das Erscheinen des Mahdis.
Al-Maqdisi, der Autor dieses Textes, behauptet, dass Jerusalem in der
Endzeit einen höheren Stellenwert für die islamische Welt einnehme als
Mekka und Medina. (36)
Der Glaube daran, dass der Haram al-Sharif die Austragungsstätte des Jüngsten Gerichts sein wird, hat sich bis heute gehalten. An
der Stelle, wo der „kleine Kettendom“ (östlich vom Felsendom) steht, wird Allah – so die Prophezeiungen - in
der Stunde die Gerechten von den
Verdammten trennen. Einen Hinweis auf die Letzten Tage macht auch die arabische Schrift über dem berühmten
„Goldenen Tor“, durch das nach christlicher Tradition der Messias einziehen soll. Der Satz
spricht von einer Intervention Mohammeds zugunsten der Gläubigen am Tag der
Auferstehung. (37)
Für die meisten der von uns
zitierten muslimischen Doomsday-Autoren
ist Jerusalem die eschatologische Hauptstadt ihrer Visionen und die
Metropole eines kommenden islamischen Weltreiches. (38) Aber in Anlehnung
an die Prophezeiungen der amerikanischen Neo-Dispensationalisten erklären sie den Haram al-Sharif auch zur
zeitweiligen Residenz des Dajjal, des islamischen Anti-Christen. Dieser lässt die
beiden Moscheen (Felsendom und al-Aqsa)
zerstören und das „unheilvolle Gräuel“
(Daniel 11:31) an ihre Stelle setzen. Angesprochen ist damit der
Dritte Tempel der Juden. „Der Wohnort des jüdischen Propheten [des Dajjal]
wird im Tempel von Jerusalem sein. Deswegen versuchen sie [die Israelis]
immer wieder, die al-Aqsa Moschee
niederzubrennen; sie versuchen, archäologische Grabungen zu machen oder den
Grund mit Geldern amerikanischer Freimaurer aufzukaufen.“ – erklärt der
ägyptische Endzeit-Autor Da’id Ayyub. (39)
Sein Kollege Bashir Muhammed Abdallah verweist unter
Berufung auf einige Ezechiel
Passagen, dass der Haram al-Sharif
von Allah zur Austragungsstätte
blutiger Zusammenstösse bestimmt sei: „Die Interpretation dieser Stellen
bedeutet, dass Jerusalem eine Stadt des Blutes ist. Und es wird zwei
Gemetzel auf dem Haram geben,
weil der Haram das Zentrum von
Jerusalem ist. [Ezechiels] Worte ,du
Stadt, die in ihrer Mitte Blut vergießt’ bzw. ‚durch das Blut, das du vergossen hast’ [Ezechiel 22: 3,4] zeigen, dass Gott [Allah] sehr zornig sein wird. Er wird mit seinen Dienern, die
mächtige Männer sind, die Endtage von Jerusalem beschleunigen und zwar
wegen des unschuldigen Blutes, das von den Banu Israe’l [den Juden] auf dem Haram verschüttet wurde.“ (40)
Eine in unseren Tagen wieder aktualisierte islamische
Tradition besagt, dass in der
Endzeit die Kaaba von
Mekka nach Jerusalem transportiert wird. (41) Entsprechend erklärte Bassam
Jarrar, ein prominenter islamischer Religionslehrer aus der Westbank, der
Islam habe in Mekka begonnen und werde in Jerusalem enden. (42) Der
Palästinenser Scheich Muhammad Ibrahim al-Madhi sieht in Jerusalem
die kommende Metropole eines weltweiten Kalifat-Staates: „Das muslimische
Volk von Palästina möchte Allah begegnen und wir sind die Soldaten des
Kalifats, das der Prophet vorhergesagt hat [...] Deswegen wird das Kalifat
entsprechend den Prophezeiungen in al-Aqsa, in Jerusalem, und seiner
Umgebung [errichtet werden].“ (43) - „Dieses Land wird islamisches Land
sein bis zum Jüngsten Gericht. […] Wir hoffen Allah wird al-Ouds
[Jerusalem] zur neuen Hauptstadt des islamischen Kalifat-Staates machen“ –
war am 5. November 1998 in einer muslimischen Predigt auf dem Haram al-Sharif zu hören. (44)
Solche eschatologische Prognosen sind weit verbreitet und werden
mittlerweile sogar „akademisch“ begründet. In einem Aufsatz mit dem Titel
„Jerusalem“ versucht zum Beispiel Abd al-Fattah El Awaisi, Professor für
islamistische Studien an der Universität
Stirlung (UK), mit zahlreichen Zitaten nachzuweisen, Palästina sei
das von Allah den Muslimen
versprochene Heilige Land, in dem ein zukünftiges islamisches Weltreich mit
Jerusalem als Hauptstadt sein kulturelles und politisches Zentrum habe –
und das bis zu den Tagen des Jüngsten Gerichts. (45)
Ausgehend von derartigen Prophezeiungen erhalten der
„Kampf um Jerusalem“ und der Besitztitel auf den Tempelberg (Haram al-Sharif) dasselbe eschatologische Schwergewicht für die islamischen
Fundamentalisten wie für die jüdischen und christlichen. Die Jerusalemfrage
ist somit in den Mittelpunkt der Apokalyptik aller drei monotheistischen
Religionen gerückt. Für den Islam ist und war das keinesfalls
selbstverständlich. Da historisch sein spirituelles Zentrum zweifelsohne in
Mekka liegt, hat schon in der Vergangenheit eine ganze Anzahl von
muslimischen Autoren davor gewarnt, Jerusalem einen zentralen theologischen
Stellenwert zuzugestehen. Zu ihnen zählte übrigens auch der von den
revolutionären Islamisten ansonsten so häufig zitierte mittelalterliche
Gelehrte Ibn Tamiyyah (1263-1328), der den Gedanken von der Heiligkeit
Jerusalems für den Islam strikt ablehnte und ihn als eine christlich-jüdische
Verunreinigung ansah. (46) Aber es besteht kein Zweifel daran, dass die
Heilige Stadt heute zu dem goldenen Apfel geworden ist, um den sich alle
drei monotheistischen Religionen streiten.
Die Fußnoten sind nachlesbar in der Printausgabe von: „Krieg der
Religionen“
Weitere Kapitel:
Der
Tempelberg als messianisches Weltenzentrum (1)
Jüdische Fundamentalisten und
der Tempelberg (2)
Christliche
Fundamentalisten und der Tempelberg (3)
Islamische Fundamentalisten
und der Tempelberg (4)
Tempelberg: Wahn und Wirklichkeit im Krieg der
Religionen (5)
Der
Tempelberg als Garten (6)
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