Der Schatten des Dalai Lama

Sexualität, Magie und Politik im tibetischen Buddhismus

 

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MEDIEN (19)

Victor und Victoria Trimondi

Traumwelt Tibet - östliche Trugbilder

Dieser Artikel gibt einen komprimierten Überblick über die Schattenseiten des Lamaismus. Er wurde als eine Reaktion auf zwei Bücher über Tibet geschrieben, die im Jahre 2000 erschienen sind: (1. von Martin Brauen Traumwelt Tibet – westliche Trugbilder und 2. von Gerhardt W. Schuster Das Alte Tibet - Geheimnisse und Mysterien). Brauen versucht vor allem westliche Tibetinterpreten für die mystifizierenden Vorstellungen über die religiöse Kultur des Landes verantwortlich zu machen. Wir setzen uns in diesem Artikel mit einigen dieser „Tibet-Klischees“ auseinander und zeigen auf, dass sie ihre Wurzeln sehr wohl in der traditionellen und „modernen“ lamaistischen Kultur selber haben. Eingeleitet wurde der Artikel ursprünglich durch eine allgemeine Kritik der beiden genannten Bücher. Wir haben diese Einleitung jetzt ans Ende gesetzt.

Im Folgenden überprüfen wir 17 verschiedene "Tibet Klischees", die Brauen als westliche Träume "entlarvt" und weisen nach, dass sie alle "tibetische Vorbilder als Wahrheitskerne" (Brauen) aufweisen und nicht alleine als die Produkte abendländischer Imaginationen gesehen werden können:

01. "Tibet Klischee": Shangri-La oder das irdische Paradies

02. "Tibet Klischee": Tibet als Kraftort

03. "Tibet Klischee": Tibet als Aufbewahrungsort geheimer Schriften

04. "Tibet Klischee": Tibetische Medizin als Heilkraft

05. "Tibet Klischee": Außerirdische und Yeti

06. "Tibet Klischee": Das Dritte Auge oder das Land der Großmagier

07. "Tibet Klischee": Sex in den Klöstern und das a-sexuelle Tibet

08. "Tibet Klischee": Das abscheuliche, makabre Tibet

09. "Tibet Klischee": Rituelle Tötungspraktiken real und magisch

10. "Tibet Klischee": Die lebenden Toten

11. "Tibet Klischee": Kundun und andere Filme

12. "Tibet Klischee": Die Hollywood Connection

13. "Tibet Klischee": Robert A. Thurman

14. "Tibet Klischee": Tibetische Mönche als Werbeträger

15. "Tibet Klischee": Kommerzialisierung des Sakralen

16. "Tibet Klischee": Lamaismus und High Tech

17. "Tibet Klischee": Die exiltibetische Selbstkritik


01. "Tibet Klischee": Shangri-La oder das irdische Paradies

Sehr einflussreich von den im Westen verbreiteten Tibetbildern war der Shangri-La Mythos, geprägt von dem Roman James Hiltons Der verlorene Horizont (1933). Dieses Erfolgsbuch beschreibt ein Refugium der Weisheit, des geheimen Wissens, des ewigen Friedens und andauernder Jugend in den Bergen des Himalajas. Mit dem wahren Tibet - so Brauen - habe dieser Mythos nichts zu tun, unter anderem da die Bewohner des geheimen Zufluchtortes keine Tibeter, sondern Weiße ("weiße Lamas") seien. Dennoch - der Shrangri-La Mythos mag ein noch so tiefes Sehnsuchtsbild aus dem zivilisationsmüden Westen sein, er hat seinen literarischen und kulturhistorischen Ursprung (und die Inspiration zu seinem Namen) im tibetischen Shambhala Mythos des Kalachakra Tantras, der von einem verborgenen buddhistischen Paradies auf Erden spricht, in dem alle Einwohner zufrieden sind, wo sie die geheimen Wissenschaften pflegen und kaum altern. Zwar wird der Frieden von Shambhala eines Tages gestört werden, aber nach einer großen Endschlacht, in der unter Führung eines Kriegerkönigs (Rudra Chakrin) alle "Feinde der [buddhistischen] Lehre" durch Feuer und Schwert vernichtet werden, kehren Frieden und Ruhe zurück und alle sind wieder glücklich. Das buddhistische Friedensreich von Shambhala soll sich dann über die ganze Welt ausdehnen.

Der Shambhala Mythos hat, sowohl was seinen friedfertigen als auch was seinen kriegerischen Aspekt anbelangt, in der Geschichte Innerasiens eine große Verbreitung gefunden und ist in unseren Tagen dabei, sich zusammen mit der Ausdehnung des tibetischen Buddhismus im Westen und fernen Osten (Japan, Taiwan, Korea, China) machtvoll zu verankern. Das in ihm beschworene Bild von einem "Friedensreich auf Erden" wurde rückwirkend auf das Alte Tibet übertragen. Dies ist - wie auch Brauen zugibt - eine grobe Geschichtsklitterung. Tibets Geschichte war bestimmt von Kriegen, Morden, Folterungen, sozialer Unterdrückung, von Sklaverei, Hass, Machtgier - wie die Geschichte der meisten Völker dieser Welt, nur dass die Protagonisten hier buddhistische Mönche waren, die sich nicht selten untereinander abschlachteten. Zum Beispiel war der V. Dalai Lama war ein militanter Despot, der einen grausamen "Bürgerkrieg" gegen den Rotmützen Orden durchfocht. Das Bild vom "friedlichen Tibet" und von den "pazifistischen Tibetern" ist eine grobe Geschichtsfälschung. So weiß zum Beispiel das in religiösen Fragen ansonsten skeptische Nachrichtenmagazin Spiegel: "Zweieinhalbtausend Jahre Friedfertigkeit statt Inquisition, stets heiter wirkende Mönche statt prä-potenter Kirchenfürsten, Nirvana Hoffnung statt Djihad Drohung - der Buddhismus tut keinem weh und ist trendy geworden." (Spiegel, 16/1998, 109) Entsprechende Trugbilder werden nicht nur von uninformierten westlichen Journalisten sondern ebenso von fast allen tibetischen und mongolischen Lamas und der exiltibetischen Regierung verbreitet. Auf der Tibet-Konferenz in Bonn (1996) schwärmte der älteste Bruder des Dalai Lama vom ehemaligen Lhasa als einem Paradiesgarten auf Erden, obgleich die Stadt wegen ihrem Schmutz berüchtigt war. Auch der Dalai Lama verschweigt in seinen Büchern und öffentlichen Auftritten weitgehend die blutige Geschichte seines Landes, dabei war er selber in mehrere kriegerische Aktivitäten verwickelt. (Siehe in Der Schatten des Dalai Lama die Kapitel: Die tibetische Guerilla und der CIA; Marschmusik und Terror). 1998 befürwortete der Friedensnobelpreisträger die von der ganzen Welt kritisierten indischen Atomtests.

Insbesondere aber ist sein unmittelbares "westliches" Umfeld aktiv, das Bild vom "Friedens-Tibet" zu popularisieren. Zum Beispiel stellt der wortgewaltige amerikanische Tibetologe Robert Thurman, der erste mit Autorisation des Dalai Lama ordinierte westliche Mönch (siehe unten), das alte Tibet als einen eben solchen Hort der Ruhe und des Friedens dar. "Gelehrsamkeit und Kunstschaffen" - so Thurman - "wurden gepflegt; aufgeklärte Geistliche waren mit der Administration der politischen Institutionen betraut; das gemeine Volk war durchdrungen vom Geist asketischen Lebens; der Gedanke der Reinkarnation entwickelte sich." (Inner Revolution - 219) Oder: "Generell herrschte in der [tibetischen] Gesellschaft eine rauschhafte positive Aufbruchstimmung, es gab weniger Intrigen, Gewalttätigkeiten und religiöse Unterdrückung als in jeder anderen Gesellschaft." (Inner Revolution - 46) Ebenso schwärmt der Hollywood Schauspieler Richard Gere: "Tibet existiert auf vielen Ebenen. Es ist die reine Traumlandschaft der Götter und Göttinnen. Es ist die letzte Verbindung zu den alten Weisheitszivilisationen und ihren hart erkämpften Einsichten in die grenzenlosen und tiefen Geheimnisse des menschlichen Geistes." (z. b. Brauen, 2000, 182) Solche Äußerungen sind nicht als westliche Imaginationen abzutun, denn Thurman und Gere zählen zu den engsten Vertrauten des Dalai Lama und gelten als dessen "Sprachrohr" in den USA.

Brauens Behauptung, dass den Westlern mit dem Shangri-La Mythos die "Phantasie durchgegangen" sei, ist schlichtweg falsch, denn die traditionell tibetischen Beschreibungen von Shambhala und dem Weg dorthin sind weit phantasievoller und irrealer als ihre westlichen Pendants. Siehe zum Beispiel den Bericht des dritten Panchen Lama Der Weg nach Shambhala (siehe auch: Der Schatten des Dalai Lama - p. 272 ff.) Selbst Brauen kommt ins Schwärmen wenn er in dem Kapitel "Tibetische Vorbilder als Wahrheitskern" das Reich beschreibt, in dem man keine Armut, keinen Hunger und keine Krankheit kennt. (246 ff.) Die immer wieder an den Dalai Lama gestellte Frage nach der realen Existenz oder Nichtexistenz des Shambhala Reiches wird von ihm in zahlreichen Interviews bewusst nicht mit "ja" oder "nein" beantwortet:

"Selbst für mich bleibt Shambhala ein rätselhaftes, ja paradoxes Land." (Levenson, 305) Alles, was wir konkret von ihm erfahren, ist der Satz, dass "das Königreich Shambhala zwar existiert, aber nicht im herkömmlichen Sinne". (Dalai Lama XIV, 1993, 307) Er schafft, auf Shambhala angesprochen, ein geheimnisvolles Zwielichtmilieu, im Sinne von es "kann sein oder es kann nicht sein" und strickt deswegen an dem "Kitschbild von Tibet als geheimnisvollem Märchenland" (Brauen) tüchtig mit.

Aber so ehrlich ist der Autor Brauen doch, dass er den grausamen Krieg zwischen Moslems und Buddhisten, der als künftiges Zentralereignis im Shambhala Mythos prophezeit wird, eingesteht und auch sieht, dass dieser Konflikt jetzt schon erste historische Spuren zeigt. (248) Brauen vermutet mit Recht, dass in diesem Mythos die Idee eines "heiligen (buddhistischen) Krieges" mitschwingt. Er erwähnt auch die "beträchtliche Kriegsmaschinerie", die in Shambhala aufgebaut wird. (Siehe: Der Schatten des Dalai Lama - Tödliche Kriegsmaschinen p. 276 ff.) Ebenfalls gesteht er zu, dass in diesem Mythos - nach tibetischer Sicht (!) - der "Herr der Welt" seinen Thron in Shambhala errichtet hat und ein Staatswesen regiert, dessen patriarchale Hierarchisierung ihre Entsprechung im Aufbau des tibetischen Klerus hat. Das Königreich Shambhala gilt als das Urbild der vom Lamaismus angestrebten weltweiten Buddhokratie. (siehe Der Schatten des Dalai Lama - p. 269 ff.) Die Vorstellung, dass von den mythischen Shambhala Königen Einfluss auf das Weltgeschehen ausgeübt wird, ist demnach eine tibetisch-buddhistische Imagination und keine westliche. Seine kriegerische und autokratische Ausrichtung macht den lamaistischen Shambhala Mythos weit problematischer als die fade westliche Shangri-La Idylle aus dem Verlorenen Horizont.

Der Mythos hat darüber hinaus in der Geschichte Asiens schon seine brutale und aggressive Seite entfalten können, als er von den Mongolen im vorigen Jahrhundert instrumentalisiert wurde. (Trimondi, 601 ff.) Er ist im globalen "Shambhalisierungsplan" des japanischen Giftgasguru Shoko Asahara zu einer zeitgenössischen monströsen Größe herangewachsen: "Der Shambalisierungsplan für Japan ist der erste Schritt zur Shambhalisierung der Welt. Wenn Sie daran teilnehmen, werden Sie große Tugend erreichen und in eine höhere Welt aufsteigen" (Shoko Asahara). Insbesondere aber spielt er im Neofaschismus eine Königsrolle und ist von dort nicht mehr wegzudenken. (Der Schatten des Dalai Lama das Kapitel über den "esoterischen Hitlerismus" - p. 651 ff.) Weil der tibetische Shambhala Mythos "als Wahrheitskern" in sich selber faschistoides, kriegerisches und repressives Gedankengut trägt, wird er allzu gerne von reaktionären Ideologen aufgegriffen und mit eigenen Visionen verknüpft. (Siehe unten die Diskussion über Faschismus und Buddhismus)

Nichts liegt deswegen näher, als dass sich der Dalai Lama vom traditionellen Shambhala Mythos, der sich explosionsartig über die ganze Welt ausbreitet, distanziert und eine Aufklärungskampagne startet, um seine weitere Propagierung zu stoppen. Stattdessen praktiziert er fast jedes Jahr mit großem Prachtaufwand das Kalachakra Tantra Ritual, das den Shambhala Mythos als politische Vision integriert und ihn durch Rituale und meditative Praktiken bei den buddhistischen Gläubigen verankert. Im Jahre 2002 ist eine groß angelegte Kalachakra Initiation durch den Dalai Lama in Graz/Österreich geplant, bei der Tausende von Buddhisten erwartet werden.


02. "Tibet Klischee": Tibet als Kraftort

Eine der großen Themen in der New Age Szene waren und sind "Energiefelder", "Mandalamuster", "Kraftorte" sowie die entsprechende Wissenschaft davon, die Geomantie. Tibet als "auf die gesamte Erde ausstrahlender Kraftort" zählt nach Brauen zu den westlichen "Tibet Klischees". (230) Auch das ist eine grobe Unterstellung. Bei Schuster lesen wir zum Beispiel den folgenden Satz: "Zu allen Zeiten waren in Tibet solche 'Orte der Kraft' und heilige Stätten das Ziel beschwerlicher Pilgerreisen und sind es, soweit vorhanden, auch heute noch. Ihre Anzahl und religiöse Bedeutung war so groß, dass die Neyik genannten Beschreibungen der heiligen Plätze eine eigene Gattung tibetischer Literatur darstellten." (233)

Es gibt tibetische (!) "Landkarten", die ganz Tibet als ein großes Mandala mit einer politischen-religiösen Geomantik darstellen. Das von solchen "geographischen" Mandalas "Energien" ausströmen sollen, ist durchaus eine allgemeine lamaistische Sichtweise und keine Erfindung des westlichen Okkultismus. Ein Mandala ist nach indisch-tibetischer Tradition ein Kosmogramm, eine bildliche, oft geometrische Darstellung des Kosmos. Es hat außer der makrokosmischen auch eine mikrokosmische Bedeutung. Auf der mikrokosmischen Ebene kann das makrokosmische Mandala seine Entsprechung in der Struktur einer Landschaft, einer Stadt, eines Tempels ebenso haben wie in der Struktur des menschlichen Körpers oder des menschlichen Bewusstseins. Alle Tempel Tibets sind dem Muster von Mandalas nachgebaut. Diese gelten aber auch als ein Abbild des menschlichen Energiekörpers. Kosmos, Tempel und Mensch entsprechen sich also strukturell nach dieser Weltsicht, allen dreien liegt eine kodifizierte Mandala-Geometrie zugrunde.

Von westlichen Interpreten wird oft übersehen, dass ein tibetisches Mandala, kein reines Kunstwerk darstellt, sondern ein Träger von sehr konkreten und genau festgelegten Energieformen oder auch eine Wohnstätte (ein Palast) von bestimmten Göttern und Dämonen ist. Die älteren Tibetologen haben denn auch "Mandala" mit "magischem Kreis" übersetzt und damit auf die Funktion des Kosmogramms verwiesen, die in ihm wohnenden Kräfte (Götter) energetisch zu evozieren und zu aktivieren. Dies geschieht entweder meditativ oder rituell.

Wer die tibetischen Mandalas studiert (die unterschiedliche Aspekte des Kosmos oder kosmischer Kräfte darstellen) wird erkennen, dass einige von ihnen mit konkreten religionspolitischen Absichten verbunden sind - zum Beispiel das sogenannte "Meru Mandala", das die buddhistische Herrschaft über den Erdkreis durch einen Weltenherrscher (Chakravartin) zum Inhalt hat oder das "Kalachakra - Mandala", das die buddhistische Herrschaft über die Zeit darstellt. Folgen wir der tibetischen Sicht, so prägen Mandalas das Bewusstsein mit kalkulierten Vorstellungen und besetzen es mit den Energieformen bestimmter buddhistischer Gottheiten. Deswegen können sie zu Manipulations- und zu Machtzwecken benutzt werden. Darüber ist Brauen bestens informiert, denn er hat ein vom Dalai Lama autorisiertes Buch über das Kalachakra Mandala verfasst - Mandala - Der Heilige Kreis im tantrischen Buddhismus, 1992. Ebenso hat er zu diesem Thema Dokumentarfilme gedreht, die im Rahmenprogramm der öffentlichen Kalachakra Initiationen gezeigt werden. Mit der Beziehung von Mandalapolitik und Bewusstseinsmanipulation haben wir uns ausführlich in Der Schatten des Dali Lama auseinandergesetzt, p. 569 ff.


03. "Tibet Klischee": Tibet als Aufbewahrungsort geheimer Schriften

Auch dieses "Klischee" wird von Brauen als westliche Imagination "entlarvt". Das ist ebenfalls befremdlich. Es sind keinesfalls die Theosophen gewesen, die zuerst die tibetischen Klöster als Hochburgen des Wissens angesehen haben. Sondern diese genossen als Stätten der Gelehrsamkeit über die Grenzen hinweg seit Jahrhunderten eine ebenso große Achtung wie die europäischen Universitäten des Mittelalters. Wie in allen traditionellen Schriftkulturen waren auch in Tibet Bücher etwas besonders Wertvolles und nicht selten Heiliges. Hinzukam, dass die (sexualmagischen) Texte der Tantras höchst geheim waren und von den Äbten unter Verschluss gehalten wurden. Sie beinhalten die Anleitungen zu den großen Mysterien, in denen man Handlungen praktizierte, die nur ganz wenigen hohen Lamas vorbehalten und dem normalen Mönch oder "Untertanen" strengstens verboten waren. Die von Madame Blavatsky erwähnten geheimnisvollen Bücher von Kiu te sind nichts anderes als die, im 19. Jahrhundert noch streng geheime Tantra Sektion der kodifizierten Sammlung buddhistischer Lehrtexte (Tanjur und Kanjur). Einen Höhepunkt tibetischer "Geheimnistuerei" über die heiligen Schriften bildet das Vorwort des Lama Ngawang Dhargyey zu einem Kommentar des Kalachakra Tantra, der in der Münchner Staatsbibliothek ausliegt. Dort ist zu lesen:

"Der Verkauf und die Verbreitung dieses Buches sind eingeschränkt. Wir weisen dringlich darauf hin, dass nur Eingeweihte in das Höchste Yoga Tantra, insbesondere das Kalachakra System selbst, es lesen dürfen. Diese Vorsicht ist für unsere Tradition bindend, sie zu missachten, kann nur verhängnisvolle Folgen haben." (Dhargyey, 1985, iii)

Die tibetische Phantasie über die "Aufbewahrungsorte geheimer Schriften" kennt noch eine literarisch besonders ergiebige Variante, die Tertöns. Bedeutende Tantratexte wurden zum Beispiel Jahrhunderte lang von übernatürlichen Wesen (Dakinis) bewacht oder in frühen Zeiten als Schätze versteckt, um dann viele Jahre später von Mönchen (Tertöns) wieder entdeckt zu werden und um ihnen dann als die Grundlage einer neuen Doktrin zu dienen. Als offiziell anerkannte Wiedergeburt eines solchen "Schatzfinders" gilt der Hollywood Star Steven Segal (siehe unten).


04. "Tibet Klischee": Tibetische Medizin als Heilkraft

Brauen macht sich über den mittlerweile üppigen Handel mit mirakulösen Kräuteressenzen, die nach tibetischen Rezepten verfertigt sein sollen, lustig. Tibetische "Langlebigkeits - Pillen", "tibetanische Kraftketten" aus Halbedelsteinen, tibetische Zaubersprüche (Mantras) sollen bei kranken Westlern Wunder bewirken. Bücher über tibetanische Heilmethoden überschwemmen mittlerweile den Markt. Für Brauen reiht sich dieser "Wunderglaube" in die Trugbilder ein, denen sich der Westen, bevor er sie produzierte, hingegeben hat.

Es ist sicher deplaziert, die auf Magie beruhende tibetische Medizin nach westlich-wissenschaftlichen Kriterien zu beurteilen. Selbstverständlich sind darin - nach dem Selbstverständnis dieser Kultur - Wunderkräfte vorhanden und was wir bei uns als Placedo Effekt bezeichnen, das mag in anderen Kulturen als das Einwirken höherer Mächte angesehen werden. Die traditionelle tibetische Medizin rekurriert seit jeher auf "übernatürliche" Phänomene, wenn es um Krankheit und Gesundheit geht: Götter, Dämonen, Verfluchungen, böser Blick, das eigene Karma, astrologische Konstellationen des Patienten sind Verursacher von Leiden. Entsprechend benutzen Diagnose und Heilverfahren "übernatürliche" Praktiken: astrologische Berechnungen, Zaubersprüche (Mantras), Gebete, Opfer, beziehungsweise schwarzmagische Übertragungen der Krankheit auf andere Wesen. Der Beruf des traditionellen Arztes wird und wurde zudem fast ausschließlich von Lamas ausgeübt, die sich dafür bezahlen lassen. Auch zählt der Verkauf von allerlei Wundermedizinen seit Jahrhunderten zu den lukrativsten Einnahmequellen des Lamaismus.

"Pillen" spielten in der tibetischen Volksmedizin eine besondere Rolle. "Am faszinierendsten ist in diesem Zusammenhang die phänomenale Wirkung der Pillen des Langen Lebens." - schwärmt der österreichische Ethnologe Schuster. An dieser Faszination hat sich bis heute nichts geändert. Nach astrologischen Daten zusammengesetzte Pillen, deren Hauptbestandteil tierischer Kot darstellt, werden zu Abertausenden im indischen Dharamsala hergestellt und in die ganze Welt verschickt. Es war mir vergönnt (Victor Trimondi), von der Schwägerin des Dalai Lama selber über das Herstellungsverfahren solcher Pillen informiert zu werden.

Noch zu Beginn der Neuzeit gab es in Europa die sogenannte "Dreckapotheke", in der Fäkalien aller Art und Urin als Heilmittel gepriesen werden. Die Heilung mit Urin erlebt zurzeit wieder eine Renaissance und es sind mehrere Bücher über solche urinale Methoden auf dem Markt. Als der katholische Mönch Johannes Grueber im 17. Jahrhundert Lhasa besuchte, war er darüber entsetzt, dass der Kot hoher Lamas als hochpotenzierte Medizin gehandelt wurde. Dieses Phänomen ist später von mehreren Tibetreisenden bestätigt worden - aber Brauen verbannt es in den Bereich westlicher Imaginationen, so als wäre seine Erwähnung eine lächerliche Verleumdung des Ostens. Als sich der junge XIV Dalai Lama in den 50er Jahren in Beijing aufhielt, verrichtete er seine Geschäfte auf einem goldenen Topf. Den Inhalt schickte man nach Lhasa, um ihn dort zu einer Medizin zu verarbeiten. Das ist aktenkundig. Shoko Asahara, der japanische Giftgasguru, der den tibetischen Lamas in nichts nachstehen wollte, ließ sein Sperma in kleine Flaschen füllen und für Superpreise verkaufen.


05. "Tibet Klischee": Außerirdische und Yeti

Ebenfalls zu diesen beiden Themen ist die westliche Literatur zahlreich und Brauen führt einige Bücher, Comics und Filme als abendländische Phantasieprodukte an. Tibet gilt in diesen Werken als präferierter Aufenthaltsort von Außerirdischen und als die Heimat des Urmenschen Yeti. Yeti Geschichten sind alles andere als westliche Erfindungen, wie uns Brauen weismachen möchte, sondern zählen zur Sagenwelt des tibetischen Volkes. Es gibt mittlerweile mehrere Dokumentarfilme, in den denen westliche Forscher, Einwohner des Himalaja nach dem Yeti fragen und wo diese ihre Yetigeschichten in voller Überzeugung zum Besten geben. Als der Bergsteiger Reinhold Messner monatelang im voraus ankündigte, er werde Photographien des Yeti veröffentlichen und als er dann einen Bären zeigte, da protestierten viele Exiltibeter dagegen, er habe sich arrogant über altes tibetisches Volkswissen lustig gemacht. Selbst der immer zu Späßen aufgelegte Tsewang Norbu, den Brauen als exemplarischen Rationalisten der jungen exiltibetischen Kritikbewegung präsentiert, ist erbost, wenn man an der Existenz des Yeti zweifelt. Im übrigen stammen der Sage nach alle Tibeter aus der Verbindung eines affenartigen Wesens (Yeti ?) mit einer Felsdämonin (Srinmo). Dieser "Yeti" ist kein anderer als der Bodhisattva Avalokiteshvara und damit eine Vorinkarnation des jetzigen XIV Dalai Lama.

Sowohl zum Yeti als auch zur Existenz Außerirdischer hat man den Dalai Lama mehrmals befragt. In beiden Fällen bleiben seine Antworten enigmatisch und geheimnisvoll: "May be or may be not!" Ufologen fühlen sich jedenfalls nach einer Begegnung mit dem tibetischen "Gottkönig" in ihren Vorstellungen bestätigt. An einer Stelle spekuliert dieser darüber, ob sich nicht das Königreich Shambhala auf einem anderen Planeten befinden könne: "Es gibt noch eine andere Möglichkeit, es könnte sich nämlich [bei dem Königreich Shambhala] um einen anderen Planeten handeln. Zu Zeit haben wir weder die technischen Möglichkeiten noch die Mittel, nach anderen Planeten zu reisen. Es gilt noch Fortschritte zu machen, bis man über den Raum hinaus wird kommunizieren können. In der Hoffnung, diese Leute seien nicht, wie in den Science-Fiction-Romanen, böse kleinen grüne Männer, die von anderen Welträumen kommen, um die Menschen zu knechten .... Nein, zweifellos nicht, denn es heißt, der Herrscher von Shambhala sei sehr schön und sehr intelligent und besitze alle gaben der Gerechtigkeit und des Mitleids. Man wird sehen, nicht wahr?" (Levensen, 305) Selbst die technoiden Visionen moderner Science Fiktion Romane haben im Lamaismus Tradition: Die im Kalachakra Tantra und Shambhala Mythos beschriebenen kreisförmigen Flugobjekte werden heute von Neobuddhisten als "Ufos", welche mit atomaren Sprengsätzen ausgerüstet sind und von extraterrestischen Hilfstruppen des Weltenkönigs gesteuert werden, angesehen. Rev. Mary Teal Coleman, eine Buddhistin, die vom Dalai Lama ordiniert wurde, ist sehr aktiv im extraterrestial intelligence mouvement.

In einer Kultur, die von Geistern, Dämonen und Göttern geradezu "übervölkert" ist wie die tibetische, ist die Präsenz von über- und außerirdischen Kreaturen nichts Befremdliches. So kennen wir in der buddhistischen Kosmogonie des Abhidharmakosha verschiedene Sphären (auch die Planeten), die von den unterschiedlichen Wesenheiten bewohnt werden. Diese können ohne weiteres auf die Erde hinab- beziehungsweise hinaufsteigen, je nachdem wo sie sich ursprünglich befinden. Die Erde (Jambudvipa) wird als ein Kontinent vorgestellt, der auf einem Weltmeer schwimmt. So eignet sich die tibetische Mythologie weit mehr, ufologische Theorien zu stützen, als das westliche wissenschaftliche Weltbild.


06. "Tibet Klischee": Das Dritte Auge oder das Land der Großmagier

Im Zentrum der Brauen Kritik an westlichen Trugbildern steht ein Bestseller mit dem Titel Das Dritte Auge. Der Autor, Lobsang Rampa, hatte sich ursprünglich als ein tibetischer Lama ausgegeben, konnte dann aber als ein Brite mit dem Namen Cyril Henry Hoskins entlarvt werden. Sein Buch spricht ausführlich von zahlreichen paranormalen Phänomenen - wie der Entfachung der inneren Lebenskraft, von Hellsichtigkeit, Astralwanderungen, Telepathie, sich unsichtbar machen, personeller Verdoppelung u.s.w.. Rampas Bericht setzte eine endlosen Kette von Büchern über das Paranormale in Gang, die Tibet und seine Lamas zum Thema haben. Diese Kette scheint nicht mehr abzureißen und die von Rampa gezeigten "Klischees" gehören längst schon zur popular culture des Westens. In zahlreichen westlichen Filmen wie Prince of the sun (1991) und Ace Ventura - jetzt wird's wild (1995) geht es um Telepathie, Telekinese, Levitation, Entmaterialisierung. Nicht zu zählen sind auch die Comicseiten, die sich mit dem paranormalen Tibet beschäftigen.

Aber kann man diese paranormalen "Tibet-Klischees" (Brauen) wiederum nur als westliche Erfindungen abtun? Für den österreichischen Religionswissenschaftlers und Kulturologen Gerhardt Schuster haben sie im Gegenteil eine zentrale Bedeutung innerhalb der tibetischen Kultur und sind keineswegs "Klischees", sondern Vorstellungen und Praktiken einer seit Jahrhunderten dem magischen Denken verschworenen Welt, unabhängig, davon ob man sie als wahr unterstellt oder nicht. (Schuster geht davon aus, dass sie wahr sind und berichtet von mehreren paranormalen Erlebnissen, die er selber erfahren haben will).

In dem Kapitel Paranormale Kräfte und die wunderbaren Kräfte des Yoga beschreibt er die gleichen Ereignisse, die wir in den westlichen Comics, Büchern und Filmen und bei Lobsang Rampa wiederfinden. Schuster fasst zusammen: "Zu den wichtigsten Siddhis [übernatürlichen Kräften] oder Nos grub des tibetischen Yoga zählen: das weitgehende Unabhängigwerden von Nahrungsaufnahme; die Kunst sich unsichtbar zu machen, sich zu vervielfältigen und gleichzeitig an mehreren Orten zu sein; die Kraft, geistgeschaffene Wesen, sogenannte Tulpas zu erzeugen; der übernatürliche Schnellauf des Lung gom und eine Reihe anderer Wunderkräfte [....] Wie wir noch ausführlich zeigen werden, waren diese 'wunderbaren Fähigkeiten' tibetischer Yogis und Lamas keineswegs Chimäre oder gar Erfindungen, wie dies von allzu aufgeklärten Geistern im Westen immer wieder behauptet wird." (173) Das Hervorbringen eines Doppelgängers spielte - wenn man solchen Geschichten glaubt - in der großen politischen Spannung zwischen dem XIII Dalai Lama und dem IX Panchen Lama eine Rolle. Darüber hat Schuster folgendes zu berichten: "So wird etwa vom 9. Panchen Lama berichtet, dass dieser während der innenpolitischen Unruhen der Dreißigerjahre gezwungen war, nach China zu fliehen und zur Verschleierung seiner Flucht einen geistgeschaffenen Doppelgänger seiner selbst in Tashi Lunpho zurückließ. Tagelang konnte dieser von Bediensteten und hohen Lamas in seinen angestammten Räumlichkeiten sitzend wahrgenommen werden und vermochte selbst die Abgesandten der Lhasa-Regierung zu täuschen. Er löste sich noch vor der entscheidenden Unterredung in Luft auf. Der Panchen Lama aber hatte zu diesem Zeitpunkt schon die Grenze zu China überschritten, war also seinen Widersachern entkommen." (185) - Ein guter Stoff für einen westlichen Klischeefilm über Tibet, aber kein westliches Trugbild, wenn schon, dann ein östliches.

Sehen wir uns ein weiteres Beispiel paranormaler Erscheinungen aus der "Trugwelt" Hollywoods an, auf das Brauen ausführlich zu sprechen kommt und das er als ein Exempel für die westliche Entsakralisierung tibetischer Ritualgegenstände anführt. In dem Film Auf der Suche nach dem goldenen Kind (1986) geht es zentral um einen geheimnisvollen Dolch (phurbu), in dem eine Gottheit wohnt und der dem Helden übernatürliche Kräfte verleiht. Das gleiche Sujet bestimmt einen späteren Film Shadow und der Fluch des Khan (1994). Fliegende tibetische Ritualdolche, die von übernatürlichen Wesen besetzt werden, sind ebenfalls ein Königsthema des Religionswissenschaftlers Schuster, der ihnen zwei Kapitel (Der Fluch der wandernden Dolche 117 ff., der Phur pa-Kult 95, siehe auch 169 ff.) widmet. Dort ist unter anderem zu lesen: "In höchster Konzentration visualisiert er [der Lama] die Gottheit Phur pa bis zur vollständigen Identifikation. Dessen gewaltige Energien durchströmten den Dolchzauberer, er fühlte sich vom Phur pa besessen, bis schließlich, am Höhepunkt seiner Trance, gewaltige psychokinetische Kräfte explosionsartig frei wurden und den Dolch aus seinen Händen wie ein Geschoss über ungeheure Distanzen zu schleudern vermochten." (119) Sicher werden die "wandernden Dolche" einen Ehrenplatz in der von Schuster geplanten Ausstellung (Schallaburg/Niederösterreich) einnehmen.

Auch in diesem Fall geht es um Fakten oder Imaginationen aus Tibet und nicht um westliche Phantasien, über die sich Brauen lustig macht und die er als Kulturimperialismus anklagt: "Die tibetischen Ritualgegenstände werden in den Filmen zweckentfremdet. Sie sind Objekte einer sakralen Technologie, die zur Erreichung äußerlicher Ziele dienen und sind ihres wahren Sinnes beraubt. Die tibetische Religion erhält dadurch den Anstrich eines mechanistischen Zauberkultes." (168) Aber genau das ist sie in sehr vielen Aspekten. In Der Schatten des Dalai Lama haben wir der "sakralen Technologie zur Erreichung äußerer Ziele", so wie sie in den Tantra Texten beschrieben sind, mehrere Seiten (74 ff.) gewidmet. Die Beispiele zeigen nur allzu deutlich, dass hier keine westliche Imagination vorliegt: "Wenn wir einen Blick auf die in den Tantras genannten Zaubergegenstände werfen, mit denen ein Maha Siddha ausgerüstet ist, so erinnern auch diese uns an die wunderträchtigen Objets, mit denen nur Märchenhelden ausgestattet sind: Ein magisches Schwert verleiht Sieg und Macht über alle nur denkbaren Feinde; eine Augensalbe lässt verborgene Schätze entdecken; eine Art Siebenmeilenstiefel befähigt den Adepten, auf der Erde und durch die Luft jeden Ort der Welt in kürzester Zeit zu erreichen; es gibt ein Elixier, das nach alchemistischer Manier unedle Metalle in pures Gold verwandelt; ein Wundertrank schenkt ewige Jugend und ein Allheilmittel schützt vor Krankheit und Tod; Pillen verleihen die Fähigkeit, jede Gestalt anzunehmen; eine Tarnkappe macht den Zauberer unsichtbar. Er hat die Möglichkeit, in verschiedenen Personen gleichzeitig zu erscheinen, die Schwerkraft aufzuheben und die Gedanken der Menschen zu lesen. Er kennt seine früheren Inkarnationen, beherrscht alle Formen der Meditation; er kann zu einem Atom zusammenschrumpfen und seinen Körper bis zu den Sternen hin ausdehnen. Er ist mit dem 'göttlichen Auge' und 'göttlichen Ohr' ausgestattet. Kurz, er hat die Macht, alles nach seinen Vorstellungen zu bestimmen."

Der Unterschied zwischen unechter "sakraler Technologie" und einer wahren Spiritualität, wie ihn Brauen macht, ist dem lamaistischen Bewusstsein völlig fremd. Alle klassischen Tibetologen sind sich darin einig (siehe: Snellgrove, Tucci, Stein). Wir zitieren in Der Schatten des Dalai Lama einen der bedeutendsten Tibetforscher und besten Kenner des Tantrismus, David Snellgrove, über die Benutzung von "Zaubersprüchen" (Mantras) in der lamaistischen Kultur: "Ich bin mir bewusst" - kommentiert Snellgrove - "dass moderne westliche Buddhisten, vor allem diejenigen, die der tibetischen Tradition folgen, den Gebrauch dieses englischen Wortes (spell = Zauberspruch) ) für Mantra ....wegen seiner Assoziation mit vulgärer Magie nicht schätzen. Man muss leider antworten, ob man es mag oder nicht, dass sich der größte Teil der Tantras [der heiligen Texte des tibetischen Buddhismus] genau mit vulgärer Magie beschäftigt, denn daran waren die meisten Leute interessiert." (Snellgrove, 1987, Bd. 1, 143)

Dass Lobsang Rampa, der Verfasser von Das Dritte Auge, ein Engländer und kein Lama war, hat - nachdem sein Pseudonym geöffnet wurde - wenige gestört. Sein Buch ist weiterhin ein Bestseller und ein führender amerikanischer Tibetologe (Donald S. Lopez) empfiehlt es sogar als Einführungsliteratur für seine Studenten. Weshalb? - Weil es die phantastische Welt der tibetischen Imagination sehr gut in eine westliche Sprache übersetzt. Sogar Brauen ist erstaunt: "Donald Lopez verwendete Das dritte Auge in einem Seminar für Studienanfänger, denen er die näheren Umstände nicht erörterte. Interessanterweise empfanden die angehenden Akademiker, die bereits Standardwerke zur tibetischen Geschichte und Religion gelesen hatten Das dritte Auge als glaubwürdig und ansprechend, ja fanden, es sei sogar realistischer als alles andere, was sie über Tibet gelesen hatten." (Brauen, 110) Rampa spricht ausführlich von diesem mystischen Organ, dem "Dritten Auge", das die Leute interessiert - und dieses ist nun mal nicht westlichen sondern indisch-tibetischen Ursprungs. Seinen Lesern scheint es gleich zu sein, ob die Tibeter - wie Rampa behauptet - wirklich Haifischflossen oder Rhododendronblüten essen konnten, weil es letztere nur in den südlichen Tälern gab und noch kein Haifisch über das Dach der Welt geschwommen ist.

Aber Rampa ist sogar in den "praktischen Dingen des Alltags" ehrlicher als Brauen wenn er von den Sparkassen in den Lama Klöstern spricht. Brauen ist empört: "Nach Rampa gab es in den Klöstern lamaistische Sparkassen - wie wenn die Mönche Geld verdient hätten." (Brauen, 106) Dabei weiß jeder Tibethistoriker, dass die Lama-Klöster große Wirtschaftsunternehmen waren und der Geldverkehr eine eminente Rolle in der lamaistischen Ökonomie spielte. Auch auf dieses Thema gehen wir in Der Schatten des Dalai Lama ein (484). Wir zitieren hier aus dem Kapitel Kommerz und Klerus:

Der buddhistische Klerus war auch im Kommerz tätig und die wichtigsten Klöster galten als bedeutende Handelszentren. Selbst Kreditgeschäfte wurden von den Lamas getätigt. Die Produktion bestand hauptsächlich in Devotionalien, welche die Mönche meist selber herstellten: Heiligenbilder, Götterstatuetten, Amulette und ähnliches. Als Dienstleistungen bot man Wahrsagerei, Astrologie und die Durchführung von allen möglichen Ritualen an. Weitere Einnahmequellen waren der Bettelgang. Scharen von Mönchen wurden durchs Land geschickt, um Gaben zu sammeln. Oft kehrten sie mit großen Ladungen zurück. Die Miete für eine Wohnzelle innerhalb des Klosters msste von den Verwandten des Mönchs bezahlt werden. War dies nicht möglich, dann hatte der Novize seinen Unterhalt abzuarbeiten. Der Wirtschaftshistoriker Franz Michael bezeichnet deswegen das tibetische Monasterium als ein "privates, profitorientiertes, kapitalistisches Unternehmen. Es war kapitalistisch in dem Sinne, dass das Ziel des Managers (Klosterverwalters) klar und offiziell darin bestand den größtmöglichen Profit für seinen Besitzer, die Inkarnation (des Abtes), herauszuschlagen."


07. "Tibet Klischee": Sex in den Klöstern und das asexuelle Tibet

Mit ironischer Genüsslichkeit macht sich Brauen über zwei Bücher von "sexbesessenen weiblichen Inkarnationen" lustig: Die Rose von Tibet (Lionel Davidson) und Frost of Heaven (Junius Prog). In beiden Texten spielen Bordellszenen eine bedeutende Rolle. In Die Rose von Tibet gibt es die Schilderung einer Orgie mit buddhistischen Nonnen. Ein westliches Wunschbild, das auf Tibet projiziert wurde?

Wer die Originaltexte der Tantras (Heilige Schriften) liest, die das geheime Ritualleben des tibetischen Buddhismus bestimmen, der wird sehr bald feststellen, dass sie nichts an sexuellen Phantasien auslassen, bis hin zum Sadomasochismus. Auch die Kopulation von Mönchen mit mehreren Frauen rechnen dazu. In Der Schatten des Dalai Lama zitieren wir Passagen aus verschiedenen Tantras (120):

Das Candamaharosana Tantra zählt genüsslich diejenigen Substanzen auf, die dem Adepten von seiner Weisheitsgefährtin während des sexualmagischen Rituals angeboten werden und die er zu schlucken hat: Kot, Urin, Speichel, Speisereste aus ihren Zähnen, Lippenstift, Spülwasser, Erbrochenes, das Waschwasser, was nach der Säuberung ihres Anus übrig bleibt. (George, 73, 78, 79) Diejenigen, "die Kot und Urin zu ihrer Nahrung machen, werden wahrlich glücklich sein." - verspricht das Guhyasamaja Tantra. (Gäng, 134) Im Hevajra Tantra muss der Adept aus einer Schädelschale das Menstruationsblut seiner Mudra [sexuellen Partnerin] trinken. (Farrow, 98) Aber auch faule Fische, Kloakenwasser, Hundekot, Leichenfett, Exkremente von Toten, Menstruationsbinden sowie alle nur denkbaren "Rauschtränke" werden genossen. (Walker, 103)

Das was da in der westlichen Klischeeliteratur über Tibet an Sexphantasien ausgelebt wird, erscheint harmlos gegen die Sexgeschichten des tibetischen Kulturgründers Padmasambhava. Am morgen besiegt er mehrere tibetische Kleinkönige, um dann in der Nacht ihre dreihundert Frauen zu schwängern und mit ihnen Kinder zu zeugen. (Der Schatten des Dalai Lama, p. 496 ff.) Wie verbreitet die Prostitution in den tibetischen Klöstern war und heute wieder ist, wird nicht nur von westlichen Reisenden, sondern auch von tibetischen Historikern bestätigt. Zahlreiche Äbte hielten sich offen, ohne dass daran Anstoß genommen wurde, ihre Geliebten (Weisheitsgefährtinnen). Auch im Westen ist der Sex zwischen Lamas und ihren Schülerinnen ein Dauerthema. (Der Schatten des Dalai Lama, 82 ff.) Solche Zitate wie das folgende von Mary Finnigan lassen sich Dutzende finden: "In einigen Beispielen hatte ein männlicher Lehrer Sex mit mehreren seiner Studentinnen zur gleichen Zeit. Jede von ihnen musste schwören, die Beziehung geheim zu halten, und jede wurde in dem Glauben gelassen, sie wäre die einzige Partnerin. Es war jedoch unvermeidlich, dass das Geheimnis bekannt wurde, und die Auswirkung davon auf die Dharma Gruppe waren verheerend." June Campbell, ehemalige Buddhistin, weiß zu berichten: "Die Auferlegung der Geheimnispflicht [was die sexuellen Beziehungen zu Frauen anbelangt], durch Drohungen abgesichert, war im tibetischen System eine machtvolle Waffe, um Frauen davon abzuhalten, selbst jegliche Art von Eigenbewusstsein zu entwickeln. .... Während das Liniensystem [die Initiationskette der Gurus] diese [sexuellen] Aktivitäten dahin interpretierte, dass sie den Erleuchtungszustand des Linienhalters hervorbrächten, blieb das Schicksal einer der beiden Protagonisten, der weiblichen Gefährtin, ohne Anerkennung, ohne Benennung, ohne Namen." (June Campbell, 103) Nicht einmal die Sodomie zwischen Mensch und Affe, wie in einem der oben aufgeführten "Klischee Filme", ist eine rein westliche Erfindung, sondern basiert auf dem oben schon erwähnten tibetischen Schöpfungsmythos, nach dem aus solch einer sodomitischen Beziehung die Tibeter hervorgegangen sein sollen. Sex ist in Tibet ebenso wie im Westen ein "heißes Thema", durch den Tantrismus (d. h. durch seine Sakralisierung und seine Verbindung mit der männlichen Askese) gewinnt er jedoch eine Ambivalenz und Pikanterie, die von westlichen Autoren kaum überboten werden kann. Ebenso wie hier im Westen existierte auch in Tibet seit Jahrhunderten eine erotische Untergrundliteratur, deren Helden sex-besessene Mönche (z. B. Lama Drugpa Künleg 1455-1529) sind.

Am Ende seines Buches erwähnt auch Brauen in einem kleinen Abschnitt die sexualmagischen Praktiken der Lamas. Er verschweigt aber das eigentliche Anliegen der "geheimen tantrischen Texte". In den dort aufgeschriebenen Anweisungen findet man jedoch das Zentrum des tibetischen Okkultismus, dessen Hauptabsicht darin besteht, Sexualität und Eros in spirituelle und weltliche Macht zugunsten einer patriarchalen Mönchselite zu transformieren. Dieses System wird auch von bedeutenden Tibetologen als zutiefst frauenfeindlich angesehen. Um erneut eine wissenschaftliche Autorität auf diesem Gebiet, David Snellgrove, zu zitieren, der die Rolle der Frau in den Tantras wie folgt beschreibt (Der Schatten des Dalai Lama, p. 72):

"Die weibliche Partnerin," - schreibt David Snellgrove - "bekannt als das Weisheitsmädchen (Prajna), das unterstelltermaßen die große Vollendung der Weisheit verkörpert, wird letztendlich als Mittel zu einem Zweck benutzt, den der Yogi in sich selbst erfährt. Nachdem er einmal die erforderlichen Yogatechniken gemeistert hat, braucht er keinerlei weibliche Partnerin mehr, denn der ganze Prozess wird jetzt in seinem eigenen Körper aufgeführt.....Deswegen sind in diesen Tantras trotz der Hochpreisung der Frauen und trotz ihres hohen Symbolwertes die ganze Theorie und Praxis zum Vorteil von Männern formuliert." (Snellgrove, 1987, Bd. 1, 287)

Anstatt dass der Dalai Lama, der über die Sexualtechniken des Tantrismus genau Bescheid weiß (siehe: Der Schatten des Dalai Lama, p. 415 ff.) sich davon distanziert und ihre Durchführung verbietet, gibt er im Westen zahllose Interviews, in denen er die Asexualität seiner Person und seiner Religion betont: "Du meine Güte. So was fragen Sie einen 62-jährigen Mönch, der sein ganzes Leben im Zölibat gelebt hat. Zum Sex habe ich nicht viel zu sagen - außer, dass es völlig in Ordnung ist, wenn zwei Menschen sich lieben." (dt. Playboy, März 1998, 46) Auf anderen Treffen plaudert er dagegen ungeniert und sachkundig über die verschiedenen Formen weiblicher Geschlechtsteile:

"In der tantrischen Literatur werden vier Arten von Frauen beschrieben: die Lotos-artige, die Reh-artige, die Muschel-artige und die Elefanten-artige. .... Diese Unterscheidungen haben in erster Linie etwas mit der Form der Genitalien zu tun, doch beziehen sie sich auch auf die Verschiedenheit in der körperlichen Konstitution. Für Männer gibt es keine derartige Einteilung." (z. b. Varela, 1997, 155)

In den Tantras spielt die Form der Vagina und das Aussehen der ihr zugeordneten Sexualpartnerin tatsächlich eine bedeutende rituelle Rolle. Der Dalai Lama selber praktiziert das höchste aller Tantras, das sogenannte Kalachakra Tantra, in dem eine Verbindung von Sexualmagie und politischer Machtvision thematisiert wird.

In der Tat ist das ebenfalls von Brauen erwähnte weitverbreitete "Klischee" von der Asexualität der Lamas ebenso wenig eine reine westliche Imagination wie das Klischee von der Sexbesessenheit der tibetischen Mönche. Beide Verhaltensweisen sind seit Jahrhunderten Ausdrucksformen dieser Kultur, die von großen Extremen bestimmt wird. Die Ausübung der tantrischen Riten ist nur einer kleinen Anzahl auserwählter Mönche erlaubt, das Gros der Klosterbrüder untersteht einem strikten Abstinenz- und Zölibatsgebot mit all den bekannten Folgen, zum Beispiel einer weitverbreiteten Homosexualität in den Klöstern.


08. "Tibet Klischee": Das abscheuliche, makabre Tibet

In westlichen Comics und Filmen ist das makabre und morbide Tibet ein bevorzugtes Sujet. Es wird auch in Brauens Buch durch viele Bildbeispiele (meistens aus Comics) illustriert. Umso erstaunlicher ist es, dass der Autor diesem zentralen Thema theoretisch nur eine halbe Seite (232) widmet und sich dort mehr oder weniger über die westlichen Gewaltphantasien amüsiert. Er spielt damit eine große Problemseite der tibetischen Kultur völlig herunter, die sehr bestimmend für deren Selbstverständnis war und noch immer ist. Man lese nur einige der Kapitelüberschriften in Schusters Buch (Das Alte Tibet) und man kann sich allein schon dadurch einen Einblick in "das abscheuliche und makabre Tibet", so wie es wirklich, ist verschaffen: "Opfergaben und Dämonenfallen", das Stellvertreteropfer, Dämonenbannung, Fadenkreuze und Geisterfallen, "die Herren des Wolkenknochen", der böse Blick, Giftmischerinnen, "die lebenden Toten", Phantomgestalten, "machtvoller Feindzauber im Dienste des Staates" und ähnliches mehr. Die hier im Westen so beliebten "Tibetanischen Totenbücher" und andere Ritualtexte sind Sammelstätten für alle möglichen Arten von Zombies, Menschenfressern, Gespenstern, Ghulen, Erinnyen und Satanen. Wir zitieren ein Passus aus Der Schatten des Dalai Lama (128):

Im Guhyasamaja Tantra wird die Übereinstimmung der Buddhas mit dem Dämonischen und Bösen explizit zum Programm erhoben: "Ständig essen sie [die Buddhas] Blut und Fleischfetzen... Verrat trinken sie wie Milch.... Schädel, Knochen, Räucherwerk, Öl und Fett machen große Freude." (Gäng, 259, 260) Die buddhistischen Götter lassen in dieser Schrift ihren aggressiven Destruktionsphantasien freien Lauf: "Zerschneide, zerschneide, trenne, trenne, schlage, schlage, brenne, brenne." - fordern sie mit wütender Stimme den Initianten auf. (Gäng, 220) Man könnte glauben, dem ursprünglichen Chaos zu begegnen.

Doch solche Horrorvisionen begegnen nicht nur dem tantrischen Adepten. Sie erscheinen nach - tibetisch-buddhistischer Tradition - auch jedem normalen Menschen, manchmal schon im irdischen Leben, immer aber nach dem Tode. Jeder Verstorbene, es sei denn, er ist schon erleuchtet, muss nach seinem Ableben einen Zwischenzustand (Bardo) durchlaufen, in dem ihn Scharen von Teufeln sadistisch quälen und hinters Licht führen wollen. Wie im christlichen Mittelalter so schwelgt auch die tibetische Mönchsphantasie in unerträglichen Höllenbildern. Nicht einmal einem Bodhisattva soll es erlaubt seien, einem Menschen aus der Vajra Hölle zu helfen. (Trungpa, 1992, 68) Auch hier möchten wir, um auf die anachronistisch- qualvolle Weltsicht des tantrischen Buddhismus hinzuweisen, mit einer längeren Beschreibung aufwarten: "Die Seelen werden in großen Kesseln gesotten, stecken in eisernen, von Flammen umgebenen Kasten, tauchen in Eiswasser und Eishöhlen, waten durch Feuerströme oder Sümpfe mit giftigen Nattern. Einige werden von dämonischen Henkern zersägt, andere mit glühenden Zangen gezwickt, von Gewürm benagt oder irren durch einen Wald, dessen Laub aus scharfen Dolchen und Schwertern besteht. Den Lästerern der Lehre wächst die Zunge so groß wie ein Ackerfeld aus dem Leib und die Teufel pflügen darauf. Die Heuchler werden durch riesige Lasten von Heiligen Büchern und Reliquientürmen zerquetscht." (Bleichsteiner, 224) Insgesamt zählt man 18 verschiedene Höllen, eine grausamer als die andere. Allen voran sind diejenigen "Sünder" von den brutalsten Strafen betroffen, die gegen Regeln des Vajrayana verstoßen haben. Ihnen werden "Kopf und Herz zerspringen". (Henss, 46)

Würden die Tantra Texte nicht überquellen von makabren Handlungen, würde keine ausführliche tibetische (!) und westliche Geschichtsschreibung über dieses Thema existieren, dann könnte man die schauerlichen Exponate aus den Lamaklöstern, die von den Chinesen im Tibetischen Revolutionsmuseum (Lhasa) ausgelegt wurden, als kommunistische Propaganda abtun:

"Die morbiden Ritualgegenstände, [....] lassen einen jedenfalls das Grauen lernen: präparierte Schädel, mumifizierte Hände, Rosenkränze aus Menschenknochen, zehn Trompeten aus den Oberschenkelknochen 16-jähriger Mädchen und so weiter. Unter den Museumsstücken befindet sich auch ein Dokument mit dem Siegel des Dalai Lama (XIII oder XIV.?), wo dieser die Abgabe von Menschenköpfen, von Blut, Fleisch, Fett, Eingeweiden und rechten Händen, ebenso wie die abgezogene Haut von Kindern, das Menstrualblut einer Witwe und Steine, mit denen Menschenschädel eingeschlagen wurden, zur "Stärkung der Heiligen Ordnung" einfordert. (Epstein, 138) Weiterhin ist dort ein kleines Paket mit abgeschnittenen und präparierten männlichen Geschlechtsteilen zu sehen, die man zur Durchführung bestimmter Rituale benötigte, sowie der verkohlte Körper einer jungen Frau, die als Hexe verbrannt worden war. Würden die Tantra Texte nicht selber solche makabren Requisiten erwähnen, dann käme man gar nicht auf die Idee, diese Demonstration religiöser Gewalt ernst zu nehmen." (Trimondi, 127)

Die makabre Seite des Lamaismus entspricht weitgehend den makabren Seiten des katholischen Mittelalters mit seinen Höllen, Strafen, Ängsten, Schuldgefühlen, ständigen memento mori usw. Die westliche popular culture findet hier ein unerschöpfliches Reservoir für ihre Horrorfilme und braucht ihre eigene Imagination gar nicht besonders anstrengen.

Beliebtes Thema der modernen Traumfabriken über Tibet seien - so Brauen - Geschichten über Menschen, die von tibetischen Geistern und Dämonen besessen sind. Ein weiteres westliches Trugbild? - Lesen wir bei Schuster nach: "Eines der großen Mysterien des Alten Tibet war die Existenz einer schier unglaublichen Zahl von Besessenheitsmedien. In nahezu jeder Talschaft, jedem Dorf gab es Frauen und Männer, die meist schon im Kindesalter durch Anfälle von Raserei und Besessenheit aus ihrem Alltagsleben gerissen wurden." (47) - Tibet ein Land wie jedes andere auch? Bei den Lha pas und Pa wos, den Besessenheitsmedien, handelt es sich keinesfalls um Phänomene, die ausschließlich der tibetischen Volkskultur zuzurechnen sind. Sie wirken ebenso als eine tragende Säule der lamaistischen Staatskultur von den untersten bis in die obersten Etagen. (Bis 1950 gab es nach Schuster insgesamt 5000 Kuten (Staatsorakel), die den Tibetern die politischen Entscheidungen abnahmen.) Der Dalai Lama selber (und mit ihm die tibetische Regierung) lässt sich bei allen seinen wichtigen politischen Fragen durch solch ein Besessenheitsmedium, das offizielle Staatsorakel (Nechung), beraten, wobei noch als delikate Nebenerscheinung erwähnt werden muss, dass das Nechung Orakel keineswegs ein inkarnierter friedlicher Bodhisattva ist, wie man annehmen könnte, sondern die Inkarnation eines ehemaligen mongolischen Kriegsgottes (Pehar). Auch der große innenpolitische Konflikt mit der sogenannten Shugden Sekte, der dem "toleranten und friedfertigen" Dalai Lama zurzeit sehr zu schaffen macht, ist im Kern ein Konkurrenzkampf zwischen zwei Besessenheitsmedien bzw. "Orakelgöttern" (Shugden und Pehar).


09. "Tibet Klischee": Rituelle Tötungspraktiken real und magisch

Westliche Schauergeschichten über Tibet sind voll von Szenen, in denen Menschen real oder durch Magie getötet werden - nur eine westliche Imagination, wie uns Brauen weismachen will? Es besteht gar keine Frage darüber, dass rituell vollzogene Tötungspraktiken an Menschen in allen Varianten die tibetische Kultur von der Frühzeit bis in die Gegenwart geprägt haben. Wir sind darauf durch viele Beispiele in unserem Buch Der Schatten des Dalai Lama eingegangen. Morde finden in den Tantras (Heiligen Texten) eine sakrale Legitimation:

Etwa in den Riten des Hevajra Tantra: "Nachdem Du deine Absicht dem Guru und den vollendeten Wesen (Buddhas) kundgetan hast," - heißt es dort - "führe den Tötungsritus an einer Person durch, die nicht an die Lehren des Buddhas glaubt, sowie an den Verleumdern der Gurus und Buddhas. Man sollte eine solche Person in seiner Imagination hervorbringen, ihre Form mit dem Kopf nach unten visualisieren, wie sie Blut erbricht, zittert und mit zerzausten Haaren. Dann stelle man sich eine glühende Nadel vor, die in ihren Rücken eindringt. Wenn Du dann die Ursilbe des Feuerelements in ihr Herz hinein imaginierst, wird sie im selben Augenblick getötet." (Farrow, 276) Auch im Guhyasamaja Tantra wird wie im Voodoo Zauber gelehrt, Abbilder des Gegners herzustellen und diesem "mörderische" Verletzungen beizufügen, welche sich dann in der Realität verwirklichen: "Mit Kreide oder Kohle oder dergleichen zeichnet man einen Mann oder eine Frau. Man projiziert in die Hand eine Axt. Dann projiziert man, wie der Hals durchgeschnitten ist." (Gäng, 225) An anderer Stelle wird der Feind verhext, vergiftet, versklavt oder paralysiert. Entsprechende Sätze gibt es im Kalachakra Tantra. Auch dort fordert man den Adepten auf, ein Wesen, das die buddhistische Lehre verletzt hat, zu ermorden. Der Text verlangt jedoch, dass dies mit Mitgefühl zu geschehen habe. (Dalai Lama XIV, 1985, 349)

Es gibt zwar eine Diskussion darüber, ob solche Ritualakte wörtlich oder nur symbolisch verstanden werden müssen - aber die lamaistischen (!) Kommentatoren sind sich hierin keineswegs einig. Auf jeden Fall kennen wir mehrere Fälle aus der tibetischen (!) Geschichtsschreibung, die bezeugen, dass derartige rituelle Tötungen real durchgeführt wurden.

Im Kapitel "Schwarze Magie und Schadenzauber" berichtet der Ethnologe Schuster über todbringende Zauberakte, vom Giftmischen, vom Absaugen des Lebensatems u. ä.. "Eine der kompliziertesten Methoden, den Tod eines Feindes, ja, einer ganzen Familie herbeizuführen, war das Vergraben eines Unheils bringenden Zauberhorns am Wohnort des Opfers." (115) Dass es sich hierbei nicht nur um die Akte marginalisierter Schwarzmagier handelte, zeigt das Kapitel "machtvoller Feindzauber im Dienste des Staates". (120 ff.) Der Staat war ganz besonders unter dem V. Dalai Lama an solch groß angelegten Tötungszeremonien interessiert, die mit der erregten Phantasie eines westlichen Horrorautors konkurrieren können. Aber auch unter dem XIII und XIV Dalai Lama (als dieser noch ein Kind war) hat man diesen "Feindzauber" durchgeführt. Schuster: "In einer Gesellschaft, in der das Magische eine so bedeutende Rolle spielte, ist es nicht weiter verwunderlich, dass auch von staatlicher Seite Zuflucht zu schwarzmagischen Praktiken genommen wurde." (120) Schuster beschreibt drei staatliche Vernichtungsrituale, die wir auch in unserem Buch (Der Schatten des Dalai Lama) beschreiben.

Der V. Dalai Lama, auf den sich der XIV Dalai Lama als seinem bedeutendsten Vorläufer immer wieder beruft, war ein Meister des Horrors, dessen Machtvisionen vor nichts Halt machen. Zur Durchsetzung seiner Ziele dienten ihm die finstersten Voodoo Techniken. Eine davon, die auch bei Schuster erwähnt wird (p. 115 f.), haben wir in Der Schatten des Dalai Lama (p. 563) beschrieben:

Unter dem V Dalai Lama wurden sie [die magischen Tötungspraktiken] Teil der hohen Staatspolitik. Der "Große Fünfte" ließ ein grauenhaftes "Rezeptbuch" (das Goldene Manuskript) auf schwarzen Thangkas anfertigen, das sich ausschließlich mit magischen Techniken zur Feindvernichtung beschäftigte. Darin sind auch mehrere Variationen des sogenannten gan tad Rituals beschrieben: In das Zentrum eines Kreises wird ein Mann oder eine Frau gezeichnet, die das Opfer darstellen. An Händen und Füßen sind sie durch schwere Ketten gefesselt. Um die Figur herum hat der Tantra Meister Schadsprüche aufgeschrieben, wie die folgenden. "Das Leben sei abgeschnitten, das Herz sei abgeschnitten, der Körper sei abgeschnitten, die Macht sei abgeschnitten, die Herkunft sei abgeschnitten." (Nebesky -Wojkowitz, 483) Das letztere bedeutet, dass auch die Verwandten des Opfers vernichtet werden sollen. Jetzt muss das Menstruationsblut einer Prostituierten auf die Beschwörungsformeln getropft werden, Haare und Nägel werden der gezeichneten Figur beigegeben. Nach einigen Texten genügt ein wenig Erde von einem Fußabtritt oder etwas Putz vom Hause des Opfers. Dann faltet der Ritualmeister das Papier in ein Stoffstück.

Das Ganze wird mit weiteren grauenhaften Ingredienzien, deren Aufzählung wir uns ersparen möchten, in ein Yakhorn gestopft. Das Ritual ist in Handschuhen durchzuführen, da die Substanzen auf den Magier sehr schädliche Auswirkungen haben könnten, wenn er sie berührt. Auf einem Friedhof beschwört er ein Heer von Dämonen, sich auf das Horn zu stürzen und es mit ihrer zerstörerischen Energie zu schwängern. Dann wird es auf dem Grundstück des Feindes vergraben, der bald darauf stirbt.


10. "Tibet Klischee": Die lebenden Toten

Horrorszenarien sind ebenso tibetisches "Kulturgut" wie westliches - sie gehören offensichtlich zum "Weltkulturerbe" - weshalb sollten da gerade die Lamas und der tibetische Buddhismus eine Ausnahme machen? Ein beliebtes Motiv aus der westlichen "Alptraumfabrik" bilden - nach Brauen - die "Lebenden Toten". Dabei handelt es sich um ehemalige Leichen, auf die ein Yogi seine eigenes Bewusstsein überträgt und sie dadurch wieder zum Leben erweckt. Brauen hält das für westliche Horrorträume und macht sich unter anderem über die von dem bekannten Okkultisten G. I. Gurdjeff als "Alamsnoschinu" bezeichnete Methode lustig, die darin besteht, den Leichnam eines bereits vernichteten Wesens (sprich: Toten) willentlich noch einmal zu beleben, so dass er wieder funktionsfähig wird. (58)

Eine Imagination des Westens? - Der Ethnologe Schuster weiß etwas anderes zu berichten: "Solche 'sich erhebende Leichname', in Tibet Rolangs genannt, weisen deutliche Ähnlichkeiten mit den Zombies des afro-amerikanischen Voodoo-Kults auf. [....] Zahlreiche tibetische Erzählungen berichten von unheilvollen Begegnungen mit Rolangs, die niemand überlebte, der diesen Geschöpfen zu nahe kam." (112/113) Man kann sich kaum vorstellen, dass sich der Dalai Lama selbst mit solch obskuren Praktiken der Schwarzmagie beschäftigt - aber er tut es! Ja er geht noch weiter und diskutiert auf "wissenschaftlichen" Symposien, ob man nicht auch ein menschliches Bewusstsein in einen Computer implantieren könne. Wir zitieren aus Der Schatten des Dalai Lama (p. 766)

Der Dalai Lama begründet diese Möglichkeit, den Computer als ein Modell des Geistes darzustellen, unbekümmert mit einer archaisch-magischen Praktik des tibetischen Buddhismus. Sie wird Trongjug genannt und besteht darin, dass ein Yogi sein Bewusstsein in einen "frisch" verstorbenen Toten transplantiert und danach dessen von ihm wiederbelebten Leib für eigene Zwecke benutzt. "Es handelt sich " - so Seine Heiligkeit - "um einen Austausch des gesamten Körpers. ... Das ist sehr mystisch, denn stellen sie sich vor: ein Tantriker, der sein Bewusstsein wahrhaftig auf eine frische Leiche überträgt. Sein früherer Körper ist tot, ein für allemal erledigt. Jetzt ist er in einen neuen Körper eingegangen. Er hat einen völlig neuen Körper, aber er ist doch dasselbe Leben, dieselbe Person." (Dalai Lama XIV, 1996 I, 208) Bilder dieser Art lassen sich ohne weiteres in die Computersprache übersetzen: Die "frische Leiche" bildet sozusagen die Hardware die dann das Bewusstsein des Tantrikers, der den toten Körper zu seinen Zwecken benutzt, als Software speichert.

Solche Trongjug Praktiken, die in der westlichen "Klischee-Literatur" über Tibet immer wieder auftreten, werden tatsächlich in den Tantra Texten empfohlen. Aber nicht nur die Übertragung von Bewusstseinen auf Leichen, sondern auch das Absaugen des élan vital (Lebensodem) von Lebenden gehört zu den Spezialtechniken tibetischer Zauberer. "Zu den ältesten Vorstellungen tibetischer Magie zählt die Beherrschung der Lebensenergie" - schreibt Schuster - "So mancher tibetischer Schwarzmagier versucht seine Lebenskraft dadurch zu fördern, dass er sich durch Hypnose oder durch Verabreichung von Drogen willfährige Opfer verschaffte, deren Lebensenergie er sich dann einverleibte." (111) "Die magische Beherrschung des Lebensodems" gilt als eine tibetische Spezialität und ist keine westliche Projektion, wie das Brauen unterstellt. Dass solche "Stories" in Comics und westlichen Geschichten übernommen werden, bedeutet nur ein Weiterstricken der tibetischen Originale und nicht die Verfremdung einer Kultur von außen.


11. "Tibet Klischee": Kundun und andere Filme

Eine gewisse Wende in der Filmindustrie, das westliche Tibetbild betreffend, sieht Brauen mit den drei spektakulären Streifen The Little Budddha (Bertolucci), Sieben Jahre Tibet (Annaud) und Kundun (Scorcese), weil hier Tibeter ihre eigenen Rollen spielen durften und nicht wie früher durch "Weiße Lamas" gedoubelt wurden. Dennoch bezeichnet der Autor alle drei Filme als problematisch und wenig fördernd, um das "falsche Tibetbild" zu korrigieren. Er kritisiert an Bertolucci die Darstellungen des frühen Buddhismus als klischeehaft und peinlich. Der Film sei unehrlich und mystifizierend und heillos romantisch. Insbesondere greift er die Inkarnationsszenen an, da sich der verstorbene Lama in drei Inkarnationen aufspaltet. "Grundsätzlich steht einer weiblichen Reinkarnation eines Mönchs zwar nichts im Wege, doch ist in der langen tibetischen Tradition keine einzige Reinkarnations-Konstellation bekannt, welche der im Film gleichkäme." (177) Wie auch immer - wenn Brauen die Reinkarnationsromantik in diesem Film anprangert, so müsste er die mittlerweile unzählige Male wiedergekäute Reinkarnationstory des XIV Dalai Lama ebenfalls als Kitsch bezeichnen, insbesondere da in ihr einige sehr nüchterne, machtpolitische Fakten verschwiegen werden - sprich die Konkurrenz verschiedener Lamafraktionen bei der Auswahl des Kandidaten. Eine Erscheinung, die ja - wie die jüngsten Ereignisse zeigen (doppelte Inkarnation des Karmapa und des Panchen Lama) - ebenfalls zur Tradition gehören.

Sieben Jahre Tibet kritisiert Brauen, weil dort ein "sehr idyllisches Tibet - unkritisch, treuherzig, naiv" gezeigt werde. Er erwähnt, dass Heinrich Harrer (Mentor des XIV Dalai Lama und der Hauptheld des Films) damals keineswegs am Buddhismus interessiert war und deswegen eine Läuterung durch den Dharma, wie im Film dargestellt, gar nicht in Frage kommt. Wir erfahren weiterhin, dass Harrer, obgleich ein junger Mann, zur SS Prominenz zählte. Verschwiegen wird jedoch, dass der Film überall in der Welt große Proteste insbesondere in den jüdischen Gemeinden der USA ausgelöst hat. Die Kritik des Bergsteigers Reinhold Messner an Harrer, dieser hänge immer noch einem NS-Alpinismus an, zitiert Brauen ebenfalls nicht. Der Dalai Lama hat sich niemals öffentlich zur SS-Vergangenheit Harrers geäußert und sich davon distanziert, sondern den Österreicher stets als seinen "Freund" bezeichnet. Problematischer erscheint uns jedoch, dass das Filmprojekt Sieben Jahre Tibet von dem tibetischen "Gottkönig" durch Rat und Tat unterstützt wurde. Tibetische Mönche und Mitglieder der Dalai Lama Familie als Statisten und Schauspieler mit.

An Kundun von Martin Scorcese kritisiert Brauen ebenfalls die Romantik. Auf die Frage, was ihn an Tibet so fasziniere, hatte der Regisseur geantwortet: "Die Idee des Shangri-La, des Verborgenen und Geheimen, das Gefühl des Friedfertigen, Magischen, Spirituellen, die Religion, das Gute im Menschen, die Gewaltlosigkeit." (Tagblatt, 27. 02. 1998) Dennoch habe Scorsese - so Brauen - von allen drei Regisseuren am besten das Milieu getroffen. Die Erwähnung des folgenden Satzes im Vorspann des Filmes sei jedoch peinlich: "In einem sonst kriegerischen Asien praktizieren die Tibeter seit mehr als Tausend Jahren Gewaltfreiheit." (ebenda) Ehrlicherweise erwähnt Brauen weitere Geschichtsklitterungen, zum Beispiel dass Heinrich Harrer im Kundun überhaupt nicht auftritt.

Beide Filme zeigen übrigens als Bild die Zerstörung eines (Kalachakra) Sandmandalas. In beiden Filmen soll diese Zerstörung die Besetzung Tibets durch die Chinesen symbolisieren. "Die brutale Zerstörung des auf den Boden gestreuten Mandalas durch einen chinesischen General steht für die Zerstörung der gesamten tibetischen Kultur durch die Chinesen." (181) Brauen verschweigt bewusst bei dieser kleinen "Symbolanalyse", dass in Normalfall das Kalachakra Mandala vom Tantra Meister (dem Dalai Lama) selber zerstört wird, weil er die Energien der in dem Mandalapalast wohnenden Gottheiten in sich absorbiert und sich deren Macht aneignet. Wir haben in unserem Buch auf die problematischen (symbolpolitischen) Konsequenzen dieses Rituals hingewiesen. (siehe Trimondi, 256 ff.) In Kreisen des Neo-Buddhismus wird die Zerstörung des Alten Tibet (welches nach lamaistischer Lehre ein Mandala darstellt) als ein Ritualopfer gesehen, das notwendig war, damit sich das Dharma (die buddhistische Lehre) weltweit verbreiten kann. Die Opferung Tibets musste - nach Ansicht dieser Autoren - geschehen: "um die indo-tibetisch-buddhistischen Lehrer aufzurütteln und in dieser apokalyptischen Zeit ihre Lehren über den ganzen Planeten und bei allen Menschen, ob diese nun religiös oder nicht-religiös sind, zu verbreiten, in einer Zeit, wo die Menschheit einen Quantensprung von der Gewalt zur Friedfertigkeit machen muss, um das Leben auf Erden zu retten." (Lopez, 538)

Alle drei Filme zeichnen ein völlig verklärtes Bild der tibetischen Kultur, das gesteht auch Brauen zu. Aber sie sind weit problematischer als die früheren Sensationsfilme über Tibet, weil sie vorgeben, Realität und nicht Fiktion zu sein und damit das Bild von der Wirklichkeit völlig verzerren. Am problematischsten ist jedoch, dass der Dalai Lama alle drei Filme als Mentor mit begleitet hat, im Vorfeld mit den Regisseuren diskutiert hat, von diesen ständig konsultiert wurde und ganz besonders intensiv am Drehbuch von Kundun mitarbeitete. Er hat zahlreiche tibetische Mönche und Mitglieder der eigenen Familie dazu autorisiert, an diesen Filmen mitzuwirken. Es gibt kein deutlicheres Beispiel wie die Geschichtsfälschung und der "Tibetkitsch" (Brauen) vom Dalai Lama und von den Exiltibetern selber hervorgebracht, gefördert und befürwortet wird. Brauen verschweigt diese Beteiligung und macht wiederum den Westen allein für drei Hollywood Filme verantwortlich.


12. "Tibet Klischee": Die Hollywood Connection

In dem Abschnitt "Der Jetset spiel (tibet) verrückt" kommt Brauen auf die Hollywood Prominenz und ihre Tibetekstase zu sprechen. Selbst Richard Gere, der bekannteste Schauspieler-Intimus des Dalai Lama, wird von ihm schärfstens angegriffen, weil er das Schneeland in einer irrationalen Art vergöttliche und damit die Schwarzweißmalerei fördere. Gere im O-Ton: "Tibet existiert auf vielen Ebenen. Es ist die reine Traumlandschaft der Götter und Göttinnen. Es ist die letzte Verbindung zu den alten Weisheitszivilisationen und ihren hart erkämpften Einsichten in die grenzenlosen und tiefen Geheimnisse des menschlichen Geistes." (z. b. Brauen, 2000, 182)

Aber Richard Gere ist für den Dalai Lama der wichtigste Mann in Hollywood! Er wirkt nicht nur an antichinesischen Propagandafilmen mit, verschafft nicht nur der Tibetlobby Zutritt zur amerikanischen Künstler- und Politprominenz, sondern steht global an der Spitze bei Großveranstaltungen der Tibetunterstützungsszene und spendet Summen in Millionenhöhe. Er ist so etwas wie der "geheime Außenminister" des Dalai Lama. "Für das tibetische Volk sind Richard Gere, Hollywood und die Filme ein absoluter Glücksfall." - erklärte der tibetische "Gottkönig" im deutschen Playboy. Hinzukommt, dass Geres spirituelle Entwicklung vom Dalai Lama persönlich geleitet und überwacht wird. Diese besteht primär in der Einweihung des Schauspielers in das Kalachakra Tantra. Wie gut der tibetische "Gottkönig" mittlerweile im esoterischen Hollywoodklatsch bewandert ist, zeigt sich darin, dass er seinem Musterschüler kundtat, Gere sei in einem früheren Leben in Ägypten der Sklave von seiner jetzigen Frau Carey Lowell gewesen. (Bunte, Nr. 31, 1999, p. 78) Gere wird in Gedichten der buddhistischen Szene wie eine tibetische Gottheit verehrt: "Der große Kopf von Richard Gere" - heißt es in einem solchen Poem - "eine Tsonga Blüte in seinem Haar/ treibt wie ein Mavy's Parade Ballon (?) über die Schneewipfel des heiligen Berges Kailash." ("The huge head of Richard Gere, a tsonga blossom in his hair, comes floating like a Mavy's Parade balloon above the snowdapped summit of sacred Kailas." Time, Oct. 13, 1997, VOL. 150 NO.15)

Zu einer anderen wichtigen Dalai Lama Connection in Hollywood ist der Kampfsport Schauspieler Steven Segal geworden. Brauen wendet sich entschieden gegen das Klischee vom "Kampfsport-Lama", der eine späte westliche Erfindung des Autors Lobsang Rampa (Cyril Hoskins) sei. (100) Dem mag man historisch zustimmen, aber wie dem auch sei, das Bild vom Kampfmönch findet im Westen immer mehr Verbreitung. Segal, der sich als die Inkarnation eines tibetischen Lamas durch einen hochangesehenen anderen Lama (Penor Rinpoche) bestätigen ließ und sich als solcher verehren, ja anbeten lässt, trägt sehr dazu bei. Sein martialisches Verhalten gilt selbst in der buddhistischen Szene als äußerst suspekt, und er wird dort vieler Ortens angegriffen, die Lehre in Misskredit zu bringen. Hinzukommt, dass dort allgemein angenommen wird, Segal habe eine sechsstellige Dollarsumme für die Inkarnationsbestätigung gezahlt.

Segal's Actionfilme gelten als besonders brutal. Er versucht zwar, sich in seinen letzten beiden Streifen etwas manierlicher zu geben, aber notwendig, um seinen religiösen Verpflichtungen nachzukommen, ist dies nicht. Jedenfalls ist sein Meister Penor Rinpoche dieser Meinung: "Einige Leute denken, Steven Segal könne kein wahrer Buddhist sein, weil er brutale Filme macht. Dem ist nicht so. Solche Filme sind pure Unterhaltung und haben nichts mit dem zu tun, was wahr und wichtig ist. Aus der Sicht des Buddhismus reinkarnieren mitfühlende Wesen in jede Art Leben, um ihren Mitmenschen zu helfen. So gesehen, kann ein Heiliger durchaus auch Action Star sein." (SZ. Magazin Nr. 28 v. 16.7.1999) Dem überraschten Journalisten teilte Lama Penor außerdem mit, dass sich Tulkus (Reinkarnationen Hoher Lamas) gerne Vampirfilme ansähen. Segal, der in Konkurrenz zu Richard Gere steht, ist nun trotz seines umstrittenen Rufes in die unmittelbare Nähe des Dalai Lama aufgerückt. Auf der vom tibetischen "Gottkönig" durchgeführten Kalachakra Initiation in Bloomington (1999) spendierte er ein Festessen für 1000 Teilnehmer.

Der Dalai Lama hat sich zu Segals Inkarnationsanspruch und dessen Bestätigung durch Penor Rinpoche niemals geäußert, denn die Hollywood-Connection ist für ihn der größte Erfolg im Westen (Der Schatten des Dalai Lama - p. 773)

"Tibet ist dabei, in die Volkskultur des Westens einzudringen, wie es nur einer kann, wenn Hollywood die Unterhaltungsspritze in das Weltsystem tätigt." - schreibt der Journalist Orville Shell - "Erinnern wir uns daran, dass Hollywood neben dem U.S. Militär die mächtigste Kraft auf der Welt darstellt." (Herald Tribune, 20. März, 1997, 6) 88 von 100 der weltweit meistbesuchten Filme im Jahre 1993 kamen aus den USA. Orville Schell, der an einem Buch über "Tibet und der Westen" arbeitet, sieht die Hollywood Connection des Kunduns als einen Ersatz für das fehlende diplomatische Corps, das die Interessen des Dalai Lamas international vertreten könnte: "Da er keine Botschaften hat, und da er keine politische Macht hat, muss er etwas anderes suchen. Hollywood ist eine Art eigenständiges Land, und er hat hier eine Art von Botschaft etabliert." (Newsweek, Mai 19, 1997, 24)

Brauen bemüht mit seiner Kritik der "tibetverrückten Hollywood Jetset" ein gängiges etwas abgewirtschaftetes Intellektuellenklischee, das besagt: Alles, was aus Hollywood kommt, ist kitschig. Er verschweigt, dass der Dalai Lama selber längst zum Mitakteur der Hollywood Jetset geworden ist, über die sich Brauen mokiert.


13. "Tibet Klischee": Robert A. Thurman

(Siehe zu Thurman ausführlich: Die coole Restauration einer weltweiten Buddhokratie)

Weit ausführlicher als gegen die sonstige Hollywood Prominenz geht Brauen gegen den amerikanischen Tibetologen Robert A. Thurman vor. Dies ist erstaunlich, denn Thurman gilt in den USA als der "Pate des tibetischen Buddhismus" und als der "Sprecher des Dalai Lama". Brauen zitiert ein Porträt des Amerikaners von Erik Davis (The Village Voice): "Kein zeitgenössischer westlicher Buddhist verbindet Gelehrsamkeit und Pop-Wunschträume mit soviel Flair wie Robert Thurman, seines Zeichens Ex-mönch, Professor an der Columbia Universität, Tricycle Magazine Guru, Vater von Uma Thurman und amerikanischer Frontmann des Dalai Lama. Thurman spielt die Rolle des orientalistischen Gelehrten als buddhistischer Impresario mit viel Geschick. Er verkehrt mit Filmstars, schreibt Bücher und pflegt einen derart charismatisch-feurigen Vorlesungsstil, dass er auch schon Billy Graham des Buddhismus genannt worden ist." (z. b. Brauen, 2000, 183)

Weshalb wird der populäre Dalai Lama Freund Thurman von Brauen so lächerlich gemacht? - Weil er klar, deutlich und ungeschminkt die Zielsetzung des Lamaismus, die Brauen mit seiner gesamten Arbeit verschleiern möchte, zur Sprache bringt: Die Errichtung einer weltweiten Buddhokratie. Thurmans Vision eines "Buddhaversums" erweist sich bei einer seriösen Analyse nicht als eine westliche Imagination, sondern als ein in den traditionellen tantrischen Texten kodifizierter und vom Dalai Lama weitgehend autorisierter metapolitischer Kulturentwurf, der die globale Herrschaft einer lamaistischen Mönchselite anstrebt. Thurman hat diese Vision in vielen Reden, Artikeln und Büchern dargestellt, am umfassendsten in dem Text: "Inner Revolution. Life, liberty and the pursuit of real happiness". In dem Vorwort zu diesem Buch spendet der Dalai Lama dem Autor höchste Anerkennung: "Ich zolle ihm [Thurman] Lob für seine sorgsame Untersuchung und seine klaren Ausführungen und lege Ihnen [dem Leser] ans Herz, über seine Einsichten nachzudenken." (14)

Wer sich eingehend mit dem Kalachakra Tantra und den darin enthaltenen Shambhala Mythos beschäftigt hat, der wird ohne weiteres erkennen können, dass Thurmans Vision auf diesem Sakraltext (dem Kalachakra Tantra) als einem Fundament aufbaut. Dies ist keineswegs verwunderlich, da er selber in dieses Tantra eingeweiht wurde und seine Guru Linie aus Lamas besteht, die dem Kalachakra Tantra ganz besonders verpflichtet waren. Inhaltlich, strukturell und persönlich decken sich die Kalachakra Vision und Thurman's Weltentwurf. Was sind nun dessen Hauptmerkmale:

1.) Thurman's Vision eines Buddhaversums ist eschatologisch, d. h. die gesamte Evolution und die Menschheitsgeschichte streben auf die Buddhisierung des Kosmos als ihrem höchsten Ziel hin.

2.) Das eschatologische Ziel (die Errichtung einer weltweiten Buddhokratie) wird von den Menschen als Erlösung erfahren, als Rettung aus einer Zeit des Untergangs und der Dekadenz, die nach Thurman mit dem jetzigen politisch-kulturellen Zustand des Westens gleichzusetzen ist.
3.) Gemäß der Erkenntnislehre dieser Eschatologie sind alle vergangenen Ereignisse der Weltgeschichte nur Stationen und Etappen auf dem Weg zur Erreichung dieses Endziels: die globale Buddhokratie des Lamaismus.

4.) Die Geschichte Tibets und die Geschichte des Abendlandes werden deswegen rückwirkend als historische Schritte auf dieses Endziel hin gedeutet. Tibet, das Land der "inneren Revolution", hat sich in völliger Abgeschlossenheit seit Jahrhunderten darauf vorbereitet, jetzt die geistige-kulturelle-politische Macht in der Welt zu übernehmen. Durchgeführt wird diese "Machtübernahme" durch die lamaistischen Mönche.

5.) In der Gestalt des XIV Dalai Lama wird dieses Ziel in einer Person sichtbar gemacht und in der Weltöffentlichkeit demonstriert. Der Dalai Lama als Institution und als Wiedergeburt ist zeitlich nicht an die Spanne eines Menschenlebens gebunden.

Brauen weiß allzu gut, dass diese eng mit dem Kalachakra Tantra und Shambhala Mythos verbundene Vision Thurmans auf Grundsätzen der lamaistischen Doktrin aufbaut, weil er selber durch Bücher und Filme zur Verbreitung und zur Veranschaulichung der buddhistischen Eschatologie des Kalachakra Tantra beigetragen hat und vom Dalai Lama dafür gelobt wurde. Im Vorwort zu Brauens Buch Das Mandala - Der Heilige Kreis im tantrischen Buddhismus - schreibt der tibetische Religionsführer: "Das Kalachakra-System gehört zu den letzten und komplexesten tantrischen Systemen, die aus Indien nach Tibet gelangten. In jüngster Zeit wurden viele Menschen im Westen mit der Kalachakra Tradition bekannt, da verschiedene Lamas große Personengruppen in das Kalachakra Initiierten. Ich selbst habe die Initiation mehrfach in westlichen Ländern wie auch in Indien vollzogen. Darüber hinaus gibt es in westlichen Sprachen bereits einige verlässliche Bücher zu Aspekten des Kalachakra Systems, zu denen die vorliegende Publikation [Brauens Mandala Buch] eine willkommene Ergänzung darstellt. Ich gratuliere Martin Brauen zu seinen ernsthaften Anstrengungen, ein schwieriges Thema anderen Menschen näher zu bringen, und bete dafür, dass sich seine guten Absichten erfüllen mögen. 27. November 1991" (Brauen, 1992, 7) Es ist also kein Wunder, dass Brauen sein Mandala Buch in Traumbild Tibet verschweigt, obgleich er dort vom Kalachakra Tantra und Shambhala Mythos an vielen Stellen spricht, denn die gesamte Zürcher Ausstellung läuft im Kern darauf hinaus, den dort formulierten Anspruch auf die Buddhisierung des Universums zu leugnen und als westlichen Verfolgungswahn beziehungsweise als eine aus der Luft gegriffene westliche Erfindung darzustellen. Dies geschieht keineswegs, um die buddhokratische Vision aufzukündigen noch gibt es irgendeinen Hinweis darauf, darüber eine Debatte zu beginnen. Sondern die metapolitische Zielsetzung soll insgeheim und okkult ohne den kritischen Blick der Öffentlichkeit weiter verfolgt werden. Thurmans konsequente Bücher und Reden machen dieser "Okkultisation" einen dicken Strich durch die Rechnung. Deswegen wird dieser engste Vertraute des Dalai Lama von Brauen als westlicher "Dharma-Spinner" attackiert und ironisiert.

Thurman - so Brauen - fordere eine "Art tibetische Heilsarmee" zur Rettung der Welt, betreibe übelste Geschichtsklitterungen und erkläre die lamaistischen Klöster fälschlicherweise zu "Aufklärungsfabriken". Wir haben den Thurman'schen Entwurf ausführlich in unserer Homepage diskutiert (deba09). Hier führen wir zur Illustration nur einige Zitate an, die zeigen, wie wenig Thurman vor einem offenen Bekenntnis zur Buddhokratie zurückschreckt:

Das Alte Tibet wird von Thruman als ein Ort des Friedens und als Ausgangspunkt einer kommenden Weltrevolution, die den Untergang des Abendlandes ablöst, dargestellt: "Wir müssen handeln, bevor sich ein weiterer Holocaust ereignet. Tibet ist die letzte Basis von Buddhas friedlicher Armee. Wenn die tibetische Ökologie, die tibetische Gesellschaft, das tibetische Dharma durch jene andere Armee, welche die Außenwelt modernisiert, vernichtet und zerstört wird, dann ist unser Planet endgültig verloren. Das Experiment ist gescheitert .... Tibet ist eine Alternative für den ganzen Planeten; es zeigt in eine friedliche Richtung, die der Planet schon vor Hundert Jahren hätte einschlagen können. Tibet ist der Beweis dafür, dass wir das Paradies haben können. Kein Problem. Aber nicht, indem wir weiter wursteln wie bisher mit business as usual .... Die Zone des Friedens, die sich über den gesamten Planeten erstrecken sollte, beginnt in Tibet." (Thurman, 1992) Das Alte Tibet wird zu einem archetypischen Modell für die Zukunft. Deswegen muss die blutige Geschichte des Schneelandes gefälscht und beschönigt werden. Insbesondere ist die Vorstellung von einem traditionellen Öko-Tibet absurd. Mensch und Umwelt standen sich im Schneeland eher feindlich als harmonisch gegenüber. Die Natur war von guten und bösen Geistern bewohnt, aber die bösen überwogen wegen der rauen klimatischen und geographischen Bedingungen.

Thurman plädiert an anderer Stelle für den Zusammenfall von spiritueller und politischer Macht in der Person des Dalai Lama und empfiehlt eine solche Kombination als globales Politmodell für unser gerade begonnenes Millennium: "Tibet hat ein ganz anderes Verantwortungsbewusstsein entwickelt. Der Dalai Lama ist das Staatsoberhaupt. Wir finden das komisch. Eine erleuchtete, heilige Person können wir uns nur machtlos vorstellen; ja, wir vermuten sogar, dass irgendetwas nicht stimmt, wenn solche Personen nicht machtlos sind. Aber eine erleuchtete Person muss Verantwortung - also auch Macht - übernehmen . Und Tibet ist auf der ganzen Welt der einzige Ort, wo politische Macht und Erleuchtung ein und dasselbe sind." (Thurman, 1992) Auch wenn der Dalai Lama versichert, er werde seine weltliches Amt als Staatschef im Augenblick seiner Rückkehr nach Tibet niederlegen (bis jetzt hält er es noch inne) ist damit die Idee von einer Buddhokratie, in der weltliche und spirituelle Funktionen zusammenfallen nicht aus der Welt, denn das lamaistische Ritualwesen und die dort verfolgte Symbolik fordern eine monastische Staatskirche, so wie sie seit Jahrhunderten bestanden hat.

Lamaistische Mönche sollen nach Thurman Ost und West bevölkern, um den Weltenfrieden zu garantieren: "Wenn Deng Xiaoping [die Rede stammt aus einer Zeit als Deng noch lebte] klug wäre, würde er mit der ganzen Welt sagen: Befreit die Tibeter. Trainiert zehn Millionen Dalai Lamas, schickt 500 nach Iowa, Kansas, Moskau, Paris, Tokio, Washington D.C. und lehrt die Leute dort zu beten und zahm zu werden, bevor sie die Neutronenbomben auf uns abwerfen! Die Welt sollte darum beten, dass Tibet zu uns kommt und uns Abkühlung bringt." (Thurman, 1992) Dadurch, dass der Dalai Lama nach außen hin immer wieder betont, Menschen müssten es sich hundertmal überlegen, bevor sie ihre Religion wechseln, ist im Westen der Eindruck entstanden, der Lamaismus sei keine Missionierungsreligion. Das pure Gegenteil ist der Fall. Der tibetische Buddhismus ist aus der Missionsarbeit (indischer Mönche) entstanden und hat sich in ganz Innerasien durch Missionierung ausgedehnt. Selbst in China konnte er einen religions-politischen Einfluss auf mehrere Herrscher der Manchu Dynastie erlangen. Die Missionierung der Welt ist lamaistisches Programm sowie bei den anderen Missionierungsreligionen auch. Durch seine Toleranzattitüde hat der Dalai Lama jedoch einen äußerst wirksamen double bind Effekt entdeckt: Je mehr er Menschen dazu auffordert, der Religion ihrer Väter und Mütter folgen, desto mehr strömen sie ihm zu und konvertieren zum tibetischen Buddhismus.

Unverhohlen und ohne die geringsten Bedenken proklamiert Thurman als politische Vision für unser angebrochenes Millennium eine globale Buddhokratie. "Ja, nicht Theokratie, sondern Buddhokratie." - rief er auf der Bonner Tibetkonferenz (Mythos Tibet 1996) aus - "Ich liebe es nicht von Theokratie zu reden, weil dies eine Zuordnung zum Heiligen Römischen Reich herstellt ... weil es die Konzeption von einem autoritären Gott hat, der das Universum kontrolliert." Die Konzeption von einem "autoritären Buddha" scheint es für den Amerikaner nicht zu geben, obgleich genau diese es ist, welche dem lamaistischen System historisch und programmatisch zugrunde liegt. Das vom Dalai Lama ständig durchgeführte Kalachakra Ritual soll (auch wenn dies erst in einigen Jahrhunderten geschieht) die Intervention eines Chakravartin, eines buddhistischen Weltenherrschers, vorbereiten. Dieser übt sowohl politische wie spirituelle Funktionen aus: "Ein buddhistischer Weltenherrscher ergreift das 'Rad des Befehls', Symbol seiner absoluten Kommandogewalt. In den alten Texten steht die Betonung seiner militärischen Funktionen an erster Stelle. Er ist der oberste Befehlshaber seiner aufs beste ausgerüsteten Streitkräfte. Als 'König und Politiker' ist der Chakravartin ein Souverän, der über die Staaten der Erde herrscht. Ihm unterstehen die Führer der Stämme und Nationen. Sein Beinamen lautet, 'einer, der nach eigenem Willen regiert, selbst die Königreiche anderer Könige.' (Armelin, 8) Man nennt ihn deswegen auch den König der Könige." (Trimondi, 260)

Thurman spricht nur das in einer westlichen Sprache aus, was im Kalachakra Tantra und Shambhala Mythos aufgeschrieben ist. Er selber wurde in dieses Tantra, das eine Buddhokratisierung der Welt anstrebt, eingeweiht und gilt als Adept dieses geheimen Ritus. Da wir uns hier mit "Traumbildern" beschäftigen, liegt es nahe, von einem Traum zu berichten, der Thurman wesentlich zu seinem buddhokratischen Kulturentwurf inspiriert hat. September 1979 wurde ihm folgende Vision zuteil, bevor er den XIV Dalai Lama nach 8 Jahren wieder zum ersten Mal sah: "In der Nacht vor seiner Landung in New York träumte ich, er [der Dalai Lama] manifestiere sich ganz oben auf der Spitze des Waldorf Astoria im Mandala-Himmelspalast des Kalachakra Buddha. Die große Schar der Honoratioren - Bürgermeister, Senatoren, Firmenvorstände und Könige, Scheiche und Sultane, Prominente und Stars -, sie alle wurden mitgerissen von dem Strudel der 722 tanzenden Gottheiten der drei Gebäude des Diamantenpalastes und umschwärmten gleichsam wie Bienen im Nadelstreifen eine riesige Honigwabe. Erstaunlich an dieser Überfülle an ausstrahlender Kraft und Schönheit des Dalai Lama war für mich, dass ihm alles überhaupt keine Mühe zu machen schien. Ich spürte gleichsam die Leere im Herzen seiner Heiligkeit, dem diese Wirkkraft entströmte. Er war gelassen, gleichmütig, ein wahrer Quell der Unendlichkeit." (Innere Revolution, 31)

Anschaulicher ist die magische Ausstrahlung des tibetischen "Gottkönigs" als buddhokratischer Weltenherrscher nicht zu illustrieren. Er thront als eine Art männliche Bienenkönigin mitten in New York und lässt die Großen dieser Welt, die er mit süßem Honig betört hat, nach seinem Willen tanzen. Nicht orangene Mönche sondern das westliche Establishment aus Politik, Wirtschaft und Showbusiness führt den süßen Bienentanz auf. Wer darüber weiß, welch eminente Bedeutung solchen Träume im tibetisch-buddhistischen Initiationswesen zukommt, der wird in Thurmans Vision ohne weiteres das metapolitische Programm erkennen, das im Kalachakra Tantra kodifiziert ist.

Aber Brauen suggeriert, dass der Amerikaner mit seinen buddhokratischen Visionen gegen die politischen Vorstellungen des Dalai Lama arbeite: "Was der gegenwärtige 14. Dalai Lama abgeschafft sehen möchte, nämlich das alte Herrschaftssystem, vergöttert Thurman ...." (184) Dieser Satz ist ein Paradebeispiel von Brauens Manipulation. Es ist ja gerade der 14. Dalai Lama, welcher dem Thurman'schen Kulturentwurf von der Buddhisierung unseres Planeten politische Weitsicht bescheinigt. Im Vorwort von Inner Revolution, dem politischen Programm der tibetisch-buddhistischen Internationale, können wir folgende Worte aus dem Munde des "Gottkönigs" lesen: "Ich zolle ihm [Thurman] Lob für seine sorgsame Untersuchung und seine klaren Ausführungen und lege Ihnen [dem Leser] ans Herz, über seine Einsichten nachzudenken." (14)

Robert Thurman ist der erste ordinierte westliche Mönch des Gelugpa Ordens. Seine Initiation wurde ebenso wie die von Richard Gere vom Dalai Lama persönlich überwacht. Er steht mit diesem in einem ständigen, sehr persönlichen und spirituellen Kontakt. Alles, was er denkt und tut, kann und darf er mit dem Dalai Lama durchsprechen. Die amerikanische Presse bezeichnet ihn denn auch als das "Sprachrohr des Dalai Lama". Ihn als einen westlichen "Traumtänzer" darzustellen, wie dies Brauen tut, ist völlig deplaziert, da er mit Richard Gere ganz oben in der amerikanischen Elite steht, die den Dalai Lama unterstützt. Auch seine Einweihung als buddhistischer Mönch verbietet es, ihn als "reinen Westler" zu sehen. Der Lamaismus ist eine Missionsreligion, die keine rassischen Bindungen kennt. Thurman und Gere sprechen deswegen als Initiierte des tibetischen Buddhismus und nicht als abendländische Träumer.


14. "Tibet Klischee": Tibetische Mönche als Werbeträger

Brauen greift auch die im Westen weitverbreitete Werbung mit einem Abbild tibetischer Mönche an (185 ff.) Die von ihm angeführten Beispiele sind in der Tat beeindruckend. Mönche werben für: Pils, Grüntee, Autos, Mückenspray, Staubsauger, Kletterseile, Camcoders, für Firmen wie den Bayer Konzern, für Lipton, Renault, Electrolux, IBM, MacIntosh, Tchaé und das immer mit griffigen Weisheitssprüchen beziehungsweise mit der Demonstration ihrer Siddhis (magischen Fähigkeiten) wie Levitation oder bewusst gewählter Reinkarnation. Man mag so etwas - wie Brauen - als spirituell höchst unseriös ansehen. Ein Problem ergibt sich jedoch daraus, dass sich der XIV Dalai Lama, tibetische Lamas und hochkarätige Tibetologen selber für solche Werbespots hergeben und teuer bezahlen lassen. Der XIV "Gottkönig" wirbt auf Apple Plakaten (think different), der Tibetologe Glenn Mullin und vier Mönche aus dem Drepung Kloster werben ebenfalls für Apple, der Mönch Lobsang Namgyal wirbt für eine modische Brillen-Kollektion (Silhouette). Die jetzt überall im Westen zu Millionen (!) angebotenen "tibetanischen Glücks- und Powerketten" werden mit einem Konterfei des Dalai Lama und dem von Richard Gere auf der Verpackung angeboten. Dabei handelt es sich um Nachbildungen der als Malas bekannten lamaistischen Gebetsketten. Ursprünglich sind diese nicht aus Halbedelsteinen gefertigt sondern aus Menschenknochen (ersatzweise aus Holz). Die Originale sollen auch kein Glück und schon gar keine materiellen Vorteile bringen, sondern auf die Vergänglichkeit allen Seins hinweisen.


15. "Tibet Klischee": Kommerzialisierung des Sakralen

Martin Brauen beklagt die Kommerzialisierung und Trivialisierung Tibets. Seidenschale, Brillenkollektionen, Flipperkästen, Würfelspiele, Computerspiele, Gesundheitsbücher wie die Fünf Tibeter, tibetische Tarotkarten, tibetanische Liebeskissen würden auf den westlichen Märkten vertrieben. Als besonders abstoßend empfindet er, der Kalachakra Spezialist, die sogenannten Kalachakra Uhren. Diese werden aber im Internet unter der offiziellen Homepage http://www.kalachakra.com angeboten. Der Handel liegt demnach in tibetischer Hand oder geschieht unter tibetischer Beteiligung und der Dalai Lama hat hierzu sein Plazet erteilt. Brauen zitiert selbst den Werbetext: "Das Zeitrad .... Kalachakra - [ist] ein Krieger für den Weltenfrieden! Die Designeruhr, deren Erschaffung durch sakrale tibetische Kunst inspiriert wurde und die durch Seine Heiligkeit den 14. Dalai Lama gutgeheißen wurde, ist dem Streben nach Erleuchtung, nach Weltfrieden und einem freien Tibet gewidmet .... Das zentrale Symbol [das dasakaro vasi auf dem Zifferblatt] verkörpert die gesamte Essenz der Kalachakra Lehre. Tibetische Buddhisten glauben an seine beschützende Kraft und seinen Segen. Man glaubt, der ständige direkte Kontakt mit dem Emblem durch sehen, berühren oder tragen, schaffe die Basis zur Befreiung aus dem leidhaften Lebenskreislauf (Samsara) - in diesem Leben oder einem nahen zukünftigen Leben." (208) Auch viele andere Kommerzobjekte stehen mit dem Kalachakra Tantra in einem Zusammenhang. "Seit der vor allem vom Dalai Lama praktizierten Öffnung der Kalachakra Initiation kommt es zu einer wahrhaften Kalachakra Inflation" - schreibt Brauen an anderer Stelle (214) Reproduktionen des aus Sand gestreuten Kalachakra Mandalas zieren Puzzles (440 Teile), Wanduhren, Buttons, Magnetwände, T- Shirts und Computer Bildschirmschoner. Der Handel mit Devotionalien ist im Alten Tibet Tradition und wurde nicht nur aus kommerziellen Gründen, sondern auch aus ideologischen Gründen betrieben. Da hat sich bis heute nicht viel geändert. Es gibt auch kein effektiveres Mittel, um die popularisierte Idee der Kalachakra Vision unters Volk zu bringen als sie durch Kommerzobjekte zu verbreiten.

Unter den anderen von Brauen aufgeführten kommerzialisierten Sakralgegenständen befinden sich auch die von Ars Mundi vertriebenen Buddhastatuen "zusammen mit der Original - Lithographie des Abdrucks der rechten Hand des Dalai Lama. Diese die schutzverheißende Geste symbolisierende Hand gilt den Gläubigen als beruhigendes Amulett." (210) All das westliche Trugbilder? - Bei Schuster lesen wir unter dem Kapitel Amulette und Glücksbringer: "Nirgendwo wird die animistisch-magische Weltsicht der Tibeter so deutlich wie in der Verwendung einer Unzahl von Amuletten und Glücksbringern, die gleichermaßen von Männern, Frauen und Kindern aller Altersstufen und sozialer Schichten am Körper getragen wurden. Deren Vielgestaltigkeit und Wirkungsweise war und ist heute noch so zahlreich, dass eine eingehende Erörterung der von den Tibetern allgemein als Sungwa, 'das Ding, das beschützt', bezeichneten Amulette, Bänder füllen würde." (64)       


16. "Tibet Klischee": Lamaismus und High Tech

Brauen kritisiert ebenso die weitverbreitete, werbemäßig ausgeschlachtete Verbrüderung von moderner Technologie und traditioneller Religion. Er zitiert einen Slogan: "Zwischen IBM und Lotus, der modernen Computerwelt und der traditionellen Welt des Buddhismus, gibt es keine Dissonanz, sondern beide sind in geistiger Harmonie. .... Eine das gesamte Universum umfassende Religion stützt sich auf eine das gesamte Universum umfassende Technologie. Beide - Buddhismus und IBM - sind kosmisch, universell ... sind ebenbürtig! .....Buddhismus und Informatik sollen sich verbrüdern." (189) Aber auch zu dieser Hochzeit zwischen moderner Technologie und tibetischem Buddhismus, trägt der Dalai Lama höchst persönlich Wesentliches bei. Eines seiner Lieblingsthemen ist die schon erwähnte Frage, ob ein Computer ein Bewusstsein haben kann oder ob das Bewusstsein eines Yogis in einem Mega Computer fort existieren kann. Er neigt dazu, diese Frage mit "Ja" zu beantworten. Siehe hierzu Der Schatten des Dalai Lama (766 ff.):

Ganz besonders ist der XIV Dalai Lama an Phänomenen der künstlichen Intelligenz interessiert. Da das Bewusstsein nach buddhistischer Lehre unabhängig vom Körper ist, sozusagen ein Muster geistiger Synopsen, ist es nach seiner Meinung möglich, dass es nicht nur in Menschen, sondern auch in Maschinen wiedergeboren werde: "Ich kann aber die Möglichkeit nicht ausschließen," - so der Gottkönig - "dass ein vorhandener Bewusstseinsstrom in den Computer eintritt, wenn die entsprechenden äußeren und karmischen Bedingungen gegeben sind ... ganz so wie bei der gewöhnlichen Reinkarnation auch. Solch eine Wiedergeburt wäre dann halb Mensch, halb Maschine." (Dalai Lama XIV, 1996 I, 204, 205) Auf die anschließende Frage von Eleanor Rosch, einer bekannten Kognitionspsychologin aus Kalifornien, ob ein großer Yogi, der vor dem besten Computer der Welt stehe, sein subtiles Bewusstsein dort hinein projizieren könne, antwortete Seine Heiligkeit enigmatisch, das "kann nur die Zeit entscheiden." (Dalai Lama XIV, 1996 I, 205)

Interessant in diesem Zusammenhang ist eine Werbesendung von der TV-Marke Sampo. Mönchen verneigen sich dort vor einem Fernseher, der das Buddhastandbild auf einem Altar ersetzt hat, und beten den Apparat an. (Brauen, 191) Auch in anderen Werbespots übernehmen Computer und Maschinen als "Techno-Buddhas" die Rolle des Gautama Shakyamuni. Umgeben von vier tibetischen Mönchen aus dem Drepung Kloster hält ein weißer Tibetologe (Mullin) eine Notebook in seinen Händen. Darunter der Werbetext: der Laptop von Apple "ist eine neue Idee ... er kann zu Computern sprechen. Er kann zu Faxgeräten sprechen. Er kann sprechen." (194) In einem Spot für das Auto Xara Coupé wird dieses sogar zur Reinkarnation eines verstorbenen Tulku. (196) Tibetische Mönche des Namgyal Instituts, die mit der rituellen Durchführung des Kalachakra Tantra beauftragt sind, führen seit Jahren magische Besprechungen des Internet durch. In Der Schatten des Dalai Lama ist hierüber auf Seite 767 zu lesen:

Am 8. Februar 1996 sandte das Tantra Institut "Seiner Heiligkeit" on line ein Curriculum in den Cyberspace. Das Dokument ist insofern von Interesse, als es die okkulten Beziehung zwischen dem Tantrismus, insbesondere dem Kalachakra Tantra, und dem Internet zum Thema hat. Wir wollen deswegen einige längere Passagen daraus zitieren: "Cyberspace ist eine Dimension, die durch ein Netzwerk von Computern unterstützt wird und die Aufgabe hat, die Macht des Bewusstseins auszudehnen. Bemerkenswert ist, dass das Internet oft in einer mystischen Art und Weise erscheint, als habe es ein eigenes Leben, das größer ist als die Summe seiner Teile. Mentale Projektionen können selbstverständlich sowohl positive wie negative Resultate haben und entsprechend gebraucht werden. Der tibetische Buddhismus, bekannt für seine Beherrschung von Bewusstseinsphänomenen, hat ein Arbeitsgebiet, das 'Tantra' genannt wird und darauf spezialisiert ist, spirituelle Motivationen in das Reich der mentalen Projektionen zu bringen....." Daraus ergebe sich - so führen die Autoren fort - die Notwendigkeit, im Sinne des Buddhismus auf das Netz einzuwirken, es zu segnen und zu reinigen.


17. "Tibet Klischee": Die exiltibetische Selbstkritik

Angesichts der riesigen und unüberschaubaren euphorisch-apologetischen Literatur aus tibetischer und westlicher Werkstatt sind die wenigen exiltibetischen Kulturkritiker geradezu eine quantité negligeable - sie finden zudem, wie Brauen zugesteht - in der exiltibetischen Community kaum Beachtung oder werden in einzelnen Fällen von offiziellen Stellen heftig attackiert. "So werden Kritiker, die von der Meinung [der exiltibetischen Regierung] abweichen, schnell als prochinesische Propagandisten abgestempelt...." (258) Ausserdem erfahren wir von dem Autor, dass diese tibetische Kritik bisher "nirgends ... kompakt formuliert wurde, sondern lediglich hier und dort in die Texte eingestreut ist." (257)

Sehen wir uns nun diese "kritischen Einstreutexte" etwas genauer an: In der Autobiografie von Lama Chagdud Tulku ist die Rede von unmoralischen Mönchen, die stehlen und sexuelle Beziehungen haben. Viele von ihnen seien auch nicht sanftmütig gewesen. Dawa Norbu fügt hinzu, dass die meisten mittelmäßig seien "und unter dem Mantel der Religion die Massen ausbeuteten". Selbst die Schwester des Dalai Lama, Jetsün Pema, spricht von Profitgier der Ordenmitglieder. Vielfache Kritik gibt es von tibetischer Seite an den ldob ldob, eine Art brutalisierter Mönchspolizei. Es wird auch ab und zu zugestanden, dass der V. Dalai Lama und XIII Dalai Lama Gewalt angewandt hätten. "Man mag glauben, dass das Prinzip der Gewaltlosigkeit etwas typisch Buddhistisches sei, aber man irrt." (256) So erwähnen auch einige Kritiker die blutigen Kämpfe zwischen den Mönchsfraktionen während des Retingkonflikts (40erJahre des vorigen Jh.). Das ist schon sehr viel im Hinblick auf die Tausenden von verzerrten Tibetapotheosen aus exiltibetischem (!) Munde. Aber nirgends wird hinterfragt, ob solche problematischen Ereignisse nicht etwas mit dem System als solchem zu tun haben, sondern sie werden als etwas Menschlich- allzu - Menschliches dargestellt.

In der bescheidenen Ahnenreihe der Kritiker wird von Brauen auch Lama Gedün Chöpel, "brillanter Historiker, Philosoph, Künstler Poet und politischer Aktivist" als eine Art "Märtyrer der Aufklärung" genannt, der wegen seiner revolutionären Anschauungen in den Verließen des Potala schmachten musste.(256) Chöpel ist in der Tat eine für den tibetischen Kulturkreis ganz ungewöhnliche und sehr mutige Persönlichkeit. Wir verdanken ihm unter anderem die konkretesten (in eine westliche Sprache übersetzten) empirischen Aussagen über die tantrische Sexualmagie (Tibetan arts of love - Ithaca 1992). Mit völliger Offenheit spricht er hier über sie Liebespraktiken der Lamas. Als aus seinem Buch von einer Fernsehjournalistin (ORF - Treffpunkt Kultur) ein Passus zitiert wurde, wo er über den Sexualverkehr mit Zehnjährigen Mädchen spricht und wo er den praktizierenden Lamas empfiehlt, diese mit Bonbons zu füttern, empörte sich Brauen und versicherte, bei Gedün Chöpel handele es sich um einen höchst unseriösen Autor. In Traumbild Tibet dagegen macht er ihn zum "Giordano Bruno" der tibetischen Kritik.

Ebenso manipulativ ist es, wenn Brauen den Rotmützen Lama Chögyum Trungpa als einen kritischen Revolutionär hinzustellen versucht. Es stimmt zwar, dass Trungpa in den ersten Jahren, die er im Westen verbrachte, kein Blatt vor den Mund nahm. Aber aus dem Revolutionär entwickelte sich sehr bald ein stockfinsterer Reaktionär. Der ständig betrunkene und mit seinen Schülerinnen kopulierende Trungpa, der die tibetischen Äbte des 19. Jahrhunderts des spirituellen Materialismus bezichtigte, wurde am Ende seines Lebens zu einem Minidiktator, der in einen faschistoid-militärischen Stil Westler zu Shambhala Kriegern ausbildete und selber in paramilitärischer Uniform auftrat.

Ein "weiser Narr" im Club der exiltibetischen Kritiker ist Tsewang Norbu. Von ihm erfahren wir, dass man die alttibetische Rechtspraxis als inhuman und barbarisch bezeichnen könne, aber - so schränkt der Kritiker ein - man schaue sich doch einmal das Kriminalrecht des europäischen Mittelalters an, das sei doch auch keine Ruhmesgeschichte. Brauen ist begeistert von diesem Hinweis und schwärmt: "Damit hält der Autor den Westlern einen Spiegel hin, in dem sie sich selber betrachten sollen - ein neues spannendes Element in der Begegnung zwischen dem Westen und Tibet" - So als hätte es niemals eine europäische Aufklärung gegeben! Das Problem ist ja nicht, dass ein "mittelalterliches" Tibet (entsprechend: ein mittelalterliches Europa) von einem inhumanen Justizwesen beherrscht wurde, sondern dass dies in einer unendlichen Flut von falschen Tibetdarstellungen (sowohl von Westlern als auch von Tibetern) verschwiegen, beziehungsweise - noch problematischer - durch Paradiesvorstellungen von einem Friedensreich auf Erden ersetzt wird.

Zum Schluss des Brauen Buches tritt - wie kann dies anders sein - als der höchste aller Selbstkritiker der Dalai Lama in Erscheinung, der das Regierungssystem seines Vorgängers als von Korruption durchsetzt bezeichnet habe. Damit liegt alles wieder in seinen Händen, sogar die Kritik der eigenen Person und eigenen Institution. Der Dalai Lama selber ist jedoch das Hauptproblem, weshalb das Angebot an Kritikern unter den Exiltibetern so ist mager ist, was auch Brauen zugeben muss: "Grundsätzlich sind in der tibetischen Gesellschaft Kritikwille und Kritikfähigkeit wenig ausgebildet - man unterwirft sich religiösen und politischen Autoritäten, deren Entscheide und Macht kaum hinterfragt werden." (257)

Eine Grundvoraussetzung für eine fundierte Kulturkritik des Tibetbildes besteht demnach darin, dass sich die Kritiker (ob Westler oder Exiltibeter) vom Lamaismus insgesamt lösen und dass sie eine intensive Auseinandersetzung mit der Person und Institution des Dalai Lama einleiten, da das gesamte System religionspolitisch auf ihn hin zugeschnitten ist. Nur eine kompromisslose Dalai Lama Analyse in Geschichte und Gegenwart kann Licht in die zahlreichen Widersprüche der "Tibetfrage" - in die Verflechtung von Religion und Politik - bringen.

Im Falle des Dalai Lama wird eine derartige Hinterfragung vor allem durch seine Virtuosität erschwert, mit der er die verschiedensten Rollen zu spielen versteht, so dass er immer als der erste Bühnenstar für das jeweilige Publikum glänzt. In der Weltöffentlichkeit repräsentiert er sich als Reformer, als Rationalist, als Kritiker der Tradition, als ein an westlichen Wertvorstellungen orientierter World Leader darzustellen. Auf der anderen Seite ist er - das wissen seine Anhänger wie Martin Brauen nur zu gut - zutiefst in das okkulte Netzwerk seiner Religion, insbesondere das von ihm ständig durchgeführte Kalachakra Tantra, eingewoben. Beide Orientierungen (die rationale und die okkulte) sind nicht miteinander kompatibel, denn das archaische System des Lamaismus widerspricht zutiefst dem vernünftigen "Weltethos", zu dem sich der Dalai Lama nach außen hin bekennt.

Wenn der tibetische "Gottkönig" die personelle Verdichtung des Lamaismus für seine Gläubigen darstellt, so verdichtet sich im sogenannten Kalachakra Tantra des lamaistischen Ritualwesens. Eine Übersetzung der letzten drei Kapitel dieses Sakraltextes (die ersten zwei sind übersetzt) in eine westliche Sprache, eine Offenlegung der geheimen höchsten Riten dieses Tantras, eine Deutung der dort auftretenden Symbolik, eine Darstellung der praktizierten sexualmagischen Techniken und ihre Interpretation würde uns zeigen, wie okkult das lamaistische System von Haus aus ist und dass es eine metapolitische Absicht verfolgt. Für Martin Brauen gäbe es hier eine sehr verdienstvolle Aufgabe, da er sich geradezu als Spezialist für das Kalachakra Tantra einen Namen gemacht hat. Aber um nur nicht in den Geruch zu kommen, selber ein okkultes Spiel zu treiben, hat er seine entsprechenden Veröffentlichungen (zum Kalachakra Tantra) in die Literaturliste von Traumwelt Tibet erst gar nicht aufgenommen.

Kritik am Lamaismus mag in Einzelfällen berechtigt sein, wenn sie jedoch den Dalai Lama trifft, ist sie für Martin Brauen (nicht nur in seinem Buch Traumbild Tibet) ein Sakrileg, das er mit geradezu mönchischem Eifer bekämpft. In der sogenannten Shugden Affäre, in der der tibetische Religionsführer der Unterdrückung religiöser Minderheiten mit gewichtigem Beweismaterial bezichtigt wurde, erwies sich Brauen als einer der engagiertesten Verfolger von Systemkritikern. So gelang es ihm mit Rückendeckung der in der Schweiz sehr mächtigen "Tibetlobby" zu bewirken, dass sich der Dokumentarfilmer Beat Regli wegen einer kritischen Sendung (10 vor 10) über den Shugden Fall öffentlich entschuldigen musste. Der ehemalige Übersetzer des Dalai Lama, Helmut Gassner, der aufgrund seiner guten Tibetsprachkenntnisse zeigen konnte, wie hemmungslos Mitglieder der exiltibetischen Regierung Tatsachen verfälschen, wurde von Brauen mit aller Heftigkeit als Lügner angegriffen und diffamiert. Noch vor Erscheinen unseres Buches Der Schatten des Dalai Lama kündigte er eine einstweilige Verfügung dagegen an. In der österreichischen Fernsehsendung Treffpunkt Kultur (Februar 1999) rief er dann zum Boykott unseres Buches auf und in Traumwelt Tibet schreckt er selbst nicht davor zurück, uns als verkappte Faschisten zu "entlarven".

Der Faschismusvorwurf ist das neueste Geschütz, mit der die "pro-lamaistische Inquistion" gegen kritische Literatur vorgeht. (Die alten Anklagepunkte lauteten: pro-chinesisch, pro-vatikanisch, pro-evangelisch). So wurde der Münchner Psychologe und engagierte Anti-Faschist Colin Goldner, der ebenfalls eine Dalai Lama kritische Studie verfasst hat (Dalai Lama - Fall eines Gottkönigs) von einem leitenden Buddhisten Österreichs, Peter Riedl, gröblichst beschimpft: Goldner sei nicht nur primitiv und geistesgestört, er sei darüber hinaus Rassist und Nazi. Laut O-ton Riedl schreibe er "über die Probleme Tibets, wie ein überzeugter Nazi über die Probleme Israels schreiben würde (...) der (...) Blick Goldners ist eindeutig rassistisch (...) so wie die Nazis die Juden verunglimpften, geht Goldner mit den Tibetern um". Man braucht nur die polemisch-hämischen Passagen zu lesen, die uns Brauen in Traumwelt Tibet gewidmet hat, um zu erkennen, wie pro-lamaistische Intellektuelle mit den Kritikern des Systems umgehen. (Wir gehen unten ausführlich auf einige dieser Passagen ein).


Resümee zur Ausstellung

Am Ende von Brauens Text lesen wir: "In vorliegendem Buch ging es um viele solcher Illusionen und Träume: die westlichen Tibeträume in all ihren Varianten und Verästelungen - um Wunschträume, aber auch um Alpträume. Und es ging darum, diese vor allem von Westlern geschaffenen Traumwolken des Westens zu durchtrennen - mit dem Schwert der Erkenntnis, das wir Vernunft nennen." (259, 260) Wir haben an vielen Beispielen aufgezeigt, dass es einen reinen westlichen Traum von Tibet gar nicht gibt und dass der östliche Traum von Tibet in vielem noch phantastischer, noch unbegrenzter und noch abgründiger ist als der westliche. Der Westen begegnet Tibet in der Gestalt von Menschen, die glauben, ihre Mythen verloren zu haben. Der Osten, insbesondere das "schwache" Tibet, bietet diesen Menschen ein "mythologisches Gesamtkunstwerk" an, aus dem sie sich wie aus einem großen Bazar bedienen können. Die Mutterfirma "Traumfabrik Tibet" steht deswegen auf dem Dach der Welt bzw. im indischen Dharamsala. In Los Angeles, München und an vielen anderen Orten unseres Planeten findet man nur die "Tochterfirmen" dieses "Traumkonzerns". Die Stoffe, aus denen unsere westlichen Tibetträume sind, werden in den lamaistischen Klöstern und in der Residenz des Dalai Lama entworfen und hergestellt. Wir flechten nur bestimmte Muster ein.

Brauen manipuliert vor allem, weil er ein "ganz normales Tibet" suggeriert, das es so nie gegeben hat. Tibet war nie "normal", sondern immer ein Land größter Extreme, wie es zahlreiche Forscher und Reisende unter anderem der Ethnologe Geoffrey Samuel (Civilized Shamans. Buddhism in Tibetan Societies) überzeugend gezeigt haben. Auch unabhängig vom Westen war die Geschichte Tibets von einer Kultur beherrscht, in der Magie und Zauber, das Okkulte und Beschwörungen, in der die Götter und Dämonen mehr zu sagen hatten als die "ganz normalen Menschen", die sich am Ende der Brauen'schen Analyse mit einigen kritischen Bemerkungen zu Wort melden.

Der Autor verschweigt weiterhin, dass im tibetischen Buddhismus die Grenzen zwischen Traum und Realität durchlässig sind und dass die Lamas von sich behaupten, sie verfügten über Bewusstseinstechniken, mit denen sie Träume hervorrufen, steuern und manipulieren können. Träume - ob westliche oder östliche - sind demnach nach der tibetisch-buddhistischen Doktrin nicht nur Schäume. Hören wir hierzu eine Aussage Schusters aus dem Kapitel Traumdeutung: "Diese Zeit des Zwielichts erkannten nicht nur die tibetischen Traumdeuter sondern auch die buddhistischen Mystiker und tantrischen Yogis als einen sensiblen Zwischenzustand von Traum- und Wachbewusstsein. In jener Phase des ausklingenden Schlafes drängen Bilder aus den tiefsten Schichten des Unbewussten - in Tibet als der 'Wahre Mensch' bezeichnet - ins Bewusstsein des Träumenden. Diese 'Stunden der Dakinis ', der inspirierenden Weisheitsgöttinnen, wurden zurecht als jene Traumphase erkannt, in der die Kommunikation der menschlichen Psyche mit anderen Wirklichkeits- und Erfahrungsebenen am deutlichsten bewusst wird. In jenen Stunden der sinkenden Nacht geben die Bilder des Unbewussten Kunde von den wahren Bedürfnissen des Menschen und seiner zukünftigen Entwicklung. Diese Bilder als Omina zu deuten, war den Tibetern von jeher ein wichtiges Anliegen." (33) Traumbücher tibetischer Lamas sind in westlichen Sprachen zugänglich und sehr gefragt - (zum Beispiel Namkhai Norbu - Traum-Yoga - Träume bewusst lenken - der tibetische Weg zu Klarheit und Selbsterkenntnis) Erstaunlicherweise erfahren wir auch von Brauen - trotz kritischer Attitüde -, dass der "Traum Tibet" weiter geträumt werden soll. In diesem Sinne beginnt er sein Buch mit einem Ausspruch des Tibeters Jamyang Norbu: "Tibet, wie wundervoll auch immer, ist ein Traum - ab als verloren geglaubtes Goldenes Zeitalter oder ob millennaristische Phantasie, trotz allem nur ein Traum" (9) und er beendet sein Buch mit demselben Zitat. (259) Dieses Alpha-Omega Zitat ist für Brauen so wichtig, weil es ihm gar nicht um eine Entmystifizierung und Entmythologisierung Tibets geht, sondern um das Gegenteil, um die kontrollierte Aufrechterhaltung des tibetischen Traums. Das "reale" Tibet interessiert diesen "Anwalt der Tibeter" wenig, was ihn interessiert, ist die absolute Kontrolle der Lamas über ihre Mysterien, Mythen und Träume. Diese kann nur durch eine klare Trennung zwischen einem rationalen Auftreten nach Außen und der geheimen Praktizierung der tantrischen Riten im Inneren aufrechterhalten werden.

Der "Rationalist" Brauen ist selber als praktizierender Buddhist (und mit einer Tibeterin verheiratet) zutiefst in den Okkultismus des lamaistischen Systems eingefasst. Dies ergibt sich schon alleine daraus, dass er ein wichtiges Buch über das Kalachakra Mandala verfasst hat, in dem die gesamte esoterische Kosmologie des Lamaismus beschrieben wird. In einem Vorwort dankt der Dalai Lama ihm für seine "ernsthaften Anstrengungen". Nun ist die buddhistische Kosmologie des Abhidharmakosha für die westliche Wissenschaft überhaupt nicht nachvollziehbar. Aber für Brauen und die Lamas hängt die Struktur des Kosmos nicht von der Realität sondern allein vom Bewusstsein ab. Das heißt, der Kosmos könnte durchaus einmal die Gestalt annehmen, wie ihn die Buddhisten in ihren "1000-jährigen Texten" (Brauen) beschrieben haben. Brauen zitiert in diesem Zusammenhang einen Satz des Lama Kalu Rinpoche:

"Jede dieser Kosmologien ist vollkommen für die Wesen, deren karmische Projektionen sie dazu veranlassen, ihr Universum in dieser Weise zu erfahren. Es gibt eine gewisse Relativität in der Art, wie man die Welt erfährt. .... Deshalb ist auf einer relativen Ebene jede Kosmologie gültig. Auf einer letzten Ebene ist keine Kosmologie absolut wahr. Sie kann nicht universell gültig sein, solange es Wesen in grundverschiedenen Situationen gibt." (Brauen, 109)

Das bedeutet aber auch, dass die Kosmologie des Abhidharmakosha für alle Menschen verbindlich ist, wenn - wie es das Kalachakra Tantra voraussagt - die Welt nach der letzten Shambhala Schlacht zum Buddhismus bekehrt würde. Brauens Mandala Buch ist explizit eine Vorbereitung auf diese kommende Sicht der Welt. Für ihn sind, ebenso wie für Kalu Rinpoche und den Dalai Lama, die Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit, Bewusstsein und Sein nicht mehr vorhanden. Deswegen haben sie die Fähigkeit, am Morgen als Rationalisten und am Abend als Okkultisten auf die Bühne treten. Wer schon von sich glaubt, dass er den ganzen Kosmos relativieren könne, der mag dies sicher problemlos mit seinen Meinungen tun.

Der Westen ist tatsächlich in einem solchen Ausmaße in das Traumbild Tibet verstrickt, dass er dieses Netzwerk gar nicht mehr wahrnimmt. Es ist deswegen auch Martin Brauen zu danken, dass er mit seinem Buch und der von ihm organisierten Ausstellung mit vielen Beispielen auf dieses Verhängnis hingewiesen hat. Dennoch ist sein Unterfangen, die Entmystifizierung und Entmythologisierung Tibets durch eine Entmystifizierung und Entmythologisierung westlicher Trugbilder über Tibet zu ersetzen, nicht nur deswegen ein Vabanque - Spiel weil es schlichtweg eine Lüge darstellt, sondern weil die Attraktivität des Lamaismus gerade auf seinen "Geheimnissen und Mysterien" - wie das Schuster richtig sieht - beruht. Das "ganz normale Tibet" interessiert nur wenige, nicht einmal den Dalai Lama. Brauen riskiert mit seinem Buch dass Tausende von Dharma Freunden dem tibetischen Buddhismus den Rücken kehren, zumindest müssten sie es, wenn sie seine Ausführungen ernst nähmen, denn für sie waren die "westlichen Trugbilder" richtungsweisend und nicht die Leiden eines unterdrückten Volkes.

Eine verantwortliche Kritik am Traumbild Tibet muss die Mythen Tibets, die Rituale der Lamas, die Geschichte des Landes in ihr Zentrum stellen, und nicht - wie Brauen - über westliche Hybriden dieser Mythen plaudern, um sie eigentlich noch attraktiver zu machen, als die vorher schon waren. Ansonsten verwechselt man Ursache und Wirkung. Es ist höchste Zeit für solch eine kritische Buddhismusdebatte. Deren alarmierende Dringlichkeit mag vielleicht als übertrieben klingen. Aber die vielen Beispiele in Brauens Buch zeigen nur allzu deutlich, wie der Traumbild Tibet mit aller Macht dabei ist, das westliche (Unter)Bewusstsein zu erobern und wie seine "Schattenseiten" vor allem vom Neofaschismus kultiviert und weiterentwickelt werden (siehe folgendes Kapitel). In einer Zeit, wo der Irrationalismus eine Hochblüte erlebt, lauern hinter der kritiklosen Übernahme tibetischer Mythen und Symbole und der blinden Gefolgschaft, die den Lamas von ihren westlichen Schülern gezollt wird, Abgründe, in die wir sehr leicht abstürzen können.

Eine Kritik am "Mythos Tibet" hat nur dann Effekt, wenn sie vor einer Kritik des Dalai Lama nicht zurückschreckt, ja wenn sie sich vor allem auf ihn, seine "politische Theologie", auf sein Ritualwesen und auf die Geschichte seiner Institution konzentriert, und das aus zwei Gründen: Einmal verdichtet sich das gesamte mythische Potential des tibetischen Buddhismus in seiner Person und dem von ihm durchgeführten Kalachakra Tantra, "dem Gipfel aller buddhistischen Systeme", wie es in vielen tibetischen Texten genannt wird. Zum anderen ist er der einzige, der die Macht hätte, das Tibetbild aus der tantrischen Tradition zu lösen, um die wirklichen Bodhisattva Tugenden des Mahayana Buddhismus wieder zum Leben zu erwecken. Der erste symbolische Akt für einen solchen revolutionären Weg wäre die endgültige Absage an die öffentliche und geheime Durchführung des Kalachakra Rituals und an den Shambhala Mythos.


Frühere Einleitung dieses Artikels :

In all seinen Varianten spielt das "Tibet Bild" in der westlichen popular culture eine immer häufigere Rolle. Tibet als Kraftort, das Jungbrunnen - Tibet, das geheime Weisheits - Tibet, Tibet als Refugium, das Friedens - Tibet, das makabre Tibet, Tibet als Ort des neuen Menschen, als Bastion übernatürlicher Wesen...... esoterische Neobuddhisten, Filmemacher, Romanautoren, Neofaschisten, Designer, Okkultisten, berühmte Schauspielerinnen, Werbefachleute, Popsänger, Händler, sogar der "kleine Mann" auf der Strasse und Hausfrauen sind fasziniert vom mystischen Schneeland und seinen geheimnisvollen Weisen, den Lamas. Parallel hierzu existiert das politische Tibet, das von den Chinesen besetzte Land, die Unterdrückung der Menschenrechte, das Verbot der Religionsausübung, .... engagierte Neobuddhisten, westliche Menschenrechtler, Nato-Politiker, der amerikanische CIA, sie alle sind fasziniert vom ohnmächtigen Schneeland und seinen "Freiheitskämpfern", den Exiltibetern. Alle zusammen verehren den XIV Dalai Lama, der in einer Person sowohl das mystische wie das politische Tibet repräsentiert. Er wird als der höchste geistige Führer des tibetischen Buddhismus und als der höchste politische Führer seines Landes in aller Welt gewürdigt. Bis vor kurzem gab es denn auch von exil(tibetischer) Seite keinerlei Anlass, am Tibet Bild des Westens irgendetwas auszusetzen, denn selbst dort, wo Lamas manchmal - wie in der okkulten Literatur - als Schwarzmagier dargestellt wurden, förderte dies nur den mystischen Flair dieses geheimnisvollen Volkes

Nun ist in den letzten Jahren sowohl das mystische wie auch das politische Tibet nicht nur im angelsächsischen Raum ins Kreuzfeuer der Kritik geraten. Auch in Deutschland erschienen Bücher, die auf die inhumanen insbesondere frauenverachtenden Strukturen des tibetischen Buddhismus aufmerksam machten (June Campbell); welche die undemokratische und repressive Struktur der traditionell- tibetischen und exiltibetischen Gesellschaft aufzeigten (Colin Goldner). Es gab eine innere religiöse Kritikbewegung (Shugden), welche die erschreckende Intoleranz des Systems und des Dalai Lama zum Vorschein brachte. Filme, in denen verschiedene dieser Kritikpunkte zusammengefasst wurden, zeigte man im Fernsehen (Panorama, 10 vor 10). Unser Buch (Der Schatten des Dalai Lama), wo wir die Verflechtung des okkulten Lamaismus mit der exiltibetischen Realpolitik zur Sprache bringen, erschien 1999. Wir richteten eine umfangreiche Homepage (http://www.trimondi.de) ein, in der wir eine Debatte über unser Buch und über den Buddhismus im Allgemeinen eröffnen. Im Mai 2000, anlässlich des Dalai Lama Besuches in München, kam es zu zahlreichen Kritiken an ihm in den Medien und zu Gegenaktionen. Plakate mit dem tibetischen "Gottkönig" als Konterfei wurden mit dem Spruch: "Jetzt auch bei uns: Opium fürs Volk" überklebt. Teile der SPD, des Studentenvorstandes (Asta), das Forum für kritische Psychologie und andere Organisationen kritisierten den Dalai Lama und sein religiöses System aus verschiedenen Gründen. Eine Dokumentation dieses umstrittenen Besuches befindet sich im Internet unter: trimondi.de/med18.html

Diese sich immer weiter ausdehnende Kulturkritik am tibetischen Buddhismus, an der tibetischen Geschichte und an Person und Politik des Dalai Lama hat von tibetisch/lamaistischer Seite zu zwei widersprüchlichen Reaktionen geführt:

1. Den "Mythos Tibet" weiter auszubauen und noch mehr zu verankern

2. Das Tibetbild zu entmystifizieren und zu entmythologisieren

Zur ersten Strömung des "Weitermachens wie bisher" zählt an erster Stelle der XIV Dalai Lama. Ihn kümmert die Kritik recht wenig und es ist sehr wahrscheinlich, dass sein Umfeld ihn auch nur dürftig darüber informiert. Seine äußeren Erfolge und spektakulären Auftritte scheinen ihm Recht zu geben. Bedeutende Persönlichkeiten seiner unmittelbaren Umgebung wie der amerikanische Tibetologe Robert Thurman und der Hollywood Schauspieler Richard Gere fördern den "Mythos Tibet" mit ihrem ganzen persönlichen Einsatz.

Die zweite Strömung sieht die große Gefahr, die in einer Aufrechterhaltung des "Tibet Mythos" besteht, da dieser jeden Augenblick in sich zusammenbrechen kann. Sie setzen also auf eine "Entmystifizierung" und "Entmythologisierung" des Tibetbildes. Träger dieser Strömung sind einige westliche Tibetologen und Ethnologen sowie wenige exiltibetische Intellektuelle. An sich wäre diese Entmythologisierung ein bedeutendes Unterfangen, wenn es ehrlich durchgeführt würde. Aber die vorgeblichen "Aufklärer" aus dieser Strömung betreiben ein doppeltes Spiel. Sie klären einerseits auf, in dem sie in einer überraschend kompromisslosen Art und Weise auf die Lügen und sozialpolitischen Gefahren hinweisen, welche der "Mythos Tibet" hervorgebracht hat und weiter hervorbringt. Auf der anderen Seite machen sie jedoch ausschließlich den Westen, seine Imaginationen, seine Sehnsüchte, seine Sensationssucht, seine Geldgier und seinen Kulturimperialismus für das "Traumbild Tibet" verantwortlich. In Amerika und Europa stehen - nach der Aussage dieser Intellektuellen - die "Traumfabriken", die den "Mythos Tibet" als "westliche Trugbilder" produzieren.

Als bisheriger Höhepunkt dieser vorgeblichen "Entmystifizierungskampagne" erschien vor kurzem das Buch des Schweizer Ethnologen Martin Brauen mit dem Titel Traumwelt Tibet - Westliche Trugbilder (Verlag Paul Haupt). Dieses Buch ist zugleich der Katalog zu einer aufwendigen Ausstellung des Völkerkundemuseums Zürich mit demselben Thema (Traumwelt Tibet - Westliche Trugbilder). LeserInnen des Buches und BesucherInnen der Ausstellung werden darüber "aufgeklärt", dass all die mystischen Geschichten und abenteuerlichen Anekdoten über Tibet und seine Lamas, die sie aus Büchern, Spielfilmen, Comics, aus der Werbung und aus Fernsehberichten kennen, weitgehend verzerrte Erfindungen aus dem Westen seien.

Nicht über das "wahre" und "reale" Tibet werde berichtet, sondern über eine westliche Imagination von Tibet. Die weitverbreiteten Spekulationen über Mystik, Mythos und Okkultismus des tibetischen Buddhismus seien primär ein Produkt des Abendlandes. Seit vier Jahrhunderten hätten Europa und Amerika "westliche Trugbilder" geschaffen, denen sie jetzt selber erlegen seien und die den Tibetern letztendlich sehr schaden würden. "Die Gründe [für das verzerrte Tibetbild] sind primär bei den Westlern zu suchen, bei ihrer selektiven Wahrnehmung und ihrem fast ausschließlichen Interesse am Dharma oder dem, was sie dafür halten." (257) Am Ende des Buches resümiert Brauen: "In vorliegendem Buch ging es um viele solcher Illusionen und Träume: die westlichen Tibeträume in all ihren Varianten und Verästelungen - um Wunschträume, aber auch um Alpträume. Und es ging darum, diese vor allem von Westlern geschaffenen Traumwolken des Westens zu durchtrennen - mit dem Schwert der Erkenntnis, das wir Vernunft nennen." (259, 260)

Die Vernunft soll uns also lehren, dass der Westen an allem schuld ist. Das ist die Maxime, unter der Buch und Ausstellung (Traumbild Tibet) präsentiert werden. Erst nachdem Brauen den "westlichen" Tibettraum über 244 Seiten ausgebreitet hat, erfahren wir plötzlich zu unserem Erstaunen - kurz vor dem Ende (!) des Buches -, dass es doch "tibetische Vorbilder als Wahrheitskern gebe" (244 - 254) und dass ein Teil der "westlichen Tibetträume" offensichtlich aus tibetischer Quelle gespeist wurde. Also doch nicht nur "westliche Trugbilder" sondern "Übernahme östlicher Bilder durch westliche Künstler"? Nein! Auf den allerletzten Seiten des Buches (255 - 258) beruhigt uns der Autor wieder, Tibet sei ein Land wie jedes andere auch, die Exiltibeter ein Volk wie jedes andere auch mit seinen zahlreichen Alltagsproblemen und einer nur teilweise aufgearbeiteten Geschichte, ein Land ohne Mystik, ohne Mythos, ohne Okkultismus. Insbesondere seien es Tibeter selber, die "eine Entmystifizierung Tibets wünschen". (259) An der Spitze wie immer, der Kritiker aller tibetischen Kritiker, der XIV Dalai Lama, "stellvertretend für alle" (257).

Über das "wirkliche", von Mystik, Mythos und Okkultismus gereinigte Tibet in Gegenwart und Vergangenheit wird - wie schon gesagt - wenig gesprochen. Das sei auch gar nicht nötig - so Brauen -, denn "dieses [reale Tibet] ist bereits in zahlreichen Büchern und Artikeln, die meistens Teilbereiche des tibetischen Lebens darstellen, beschrieben worden." (9) Aber wer kennt diese "zahlreichen Bücher und Artikel" schon? Das können nur wenige Menschen sein, sonst würden nicht so viele den "westlichen Trugbildern" aufsitzen. Und hier beginnt das Dilemma, denn um etwas als Trugbild zu entlarven, benötige ich einen Vergleich mit der Wahrheit, das heißt im konkreten Fall, ich muss das "wahre" Tibet mit dem westlichen "Pseudotibet" vergleichen können. Nur dann werde ich feststellen, ob es sich bei der "westlichen Imagination" wirklich um eine Fatamorgana handelt. Diesen Kulturvergleich bleibt uns jedoch der Autor mit ganz wenigen Ausnahmen schuldig - und das mit gutem Grund: Eine detaillierte, vergleichende Studie über die tibetisch autochtone Kultur (im speziellen Fall den Lamaismus) und das westliche Tibetbild würde sehr bald zu dem Ergebnis kommen, dass die westliche Imagination und die tibetische Imagination einander sehr nahe stehen, dass westliche und tibetische Wunschbilder, wie phantastisch sie auch immer sein mögen, in vielen Punkten übereinstimmen, dass in beiden Fällen das Interesse an der "gesellschaftlichen Realität" sehr gering und das Interesse an der "mythopoetischen Vorstellungskraft" sehr stark entwickelt ist. Bei der Begegnung der beiden Kulturen treffen sich zwei Bewusstseinsströmungen (westliche Imagination und lamaistische Kultur), die direkt miteinander verwandt zu sein scheinen, wobei in diesem Fall der "große Bruder" Tibet und der "kleine Bruder" Westen heißt.

Es gab bisher auch keinen Grund diese Verwandtschaft zu leugnen, schließlich sorgte der kleine Bruder (der Westen) für das materielle Wohl des großen Bruders (die Lamas) und der große Bruder (Tibet) versorgte den kleinen (den Westen) mit spirituellen Weisheiten. Aber seit einiger Zeit ist der tibetische Buddhismus in arge Kritik geraten. Das östliche Religionssystem wurde wegen seiner kriegerischen, frauenfeindlichen, inhumanen, hierarchischen, okkulten und machtbesessenen Strukturen in Frage gestellt. Insbesondere machte diese Kritik auch nicht vor dem Oberhaupt des Lamaismus, dem XIV Dalai Lama, Halt. Würden jetzt die geheimen Riten, die sexualmagischen Praktiken, die mit ihnen verbundene Metapolitik und die raffinierten Bewusstseinstechniken der Lamas offen diskutiert, dann könnte es schnell zu einem Kollaps des gesamten Systems kommen, denn diese widersprechen konträr dem Bild von einer friedfertigen, an humanpolitischen Zielen orientierten Religion. Um dieser gefährlichen Kritik zu entfliehen, lag nichts näher, als den "kleinen Bruder", sprich Westen, allein für die trügerische, okkulte Welt des problematisch gewordenen Tibetbildes verantwortlich zu machen und den "großen Bruder", sprich die Lamas, aus dieser Verantwortung weitgehend zu entbinden. Das ist das Hauptanliegen dieses Buches von Martin Brauen (Traumwelt Tibet - Westliche Trugbilder), welches einerseits "aufklärt" und andererseits verschleiert. Der Autor betreibt demnach - wie wir zeigen werden - eine Verschleierung durch "Aufklärung". Sein Buch und Ausstellung "Traumwelt Tibet - Westliche Trugbilder" stellen sich folgende drei Aufgaben:

1. Den Lamaismus in der Öffentlichkeit von jeglicher okkulten Einfassung zu säubern

2. Den Dalai Lama als einen modernen Reformer, Kritiker und Rationalisten darzustellen

3. Den Westen für das okkulte Tibetbild primär verantwortlich zu machen

Brauens pseudokritisches Projekt ist - wie schon angedeutet - eine Reaktion auf den Zeitgeist und ein Wettlauf mit ihm, denn die Kritik am lamaistischen System ist hochaktuell und gewinnt immer mehr an Verbreitung und Vertiefung. Nicht unwesentlich haben wir mit unserem Buch Der Schatten des Dalai Lama - Magie, Sexualität und Politik im tibetischen Buddhismus (Patmos Verlag) - dazu beigetragen. Die Kernaussage unserer Studie besteht darin, dass der Lamaismus ein zutiefst okkultes Religionssystem darstellt, welches von seinem Selbstverständnis her mit magischen Mitteln nach spiritueller und weltlicher Macht strebt. Wir haben an Hunderten von Beispielen nachweisen können, wie der XIV Dalai Lama selber in dieses okkulte Netzwerk eingewoben ist und wir werden dies in dieser Rezension erneut tun, in dem wir Punkt für Punkt die enge Verflochtenheit des tibetischen "Gottkönigs" und seiner Religion mit den "westlichen Trugbildern", die Brauen kritisiert, aufweisen.

Es ist deswegen kein Wunder, dass Martin Brauen mit extremer Heftigkeit und Aggressivität auf unsere Publikation reagiert hat. (Er hatte sich schon vorher im Zusammenhang mit der sogenannten "Shugden Affäre" den Namen eines pro-lamaistischen "Inquisitors" gemacht). In der österreichischen Fernsehsendung Treffpunkt Kultur (ORF- Feb. 1999) rief er pathetisch zum Boykott unseres Buches auf und in seinem hier besprochenen Text Traumwelt Tibet versucht er sogar, uns als Faschisten zu denunzieren, obgleich gerade wir diejenigen sind, die so ausführlich, differenziert und warnend auf die verfänglichen strukturellen Beziehungen zwischen tibetischem Buddhismus und Nationalsozialismus hingewiesen haben. Brauen gibt sich in seiner pseudo-aufklärerischen Studie als Rationalist, dabei ist er selber als praktizierender Buddhist genau über die okkulten Mechanismen des tibetischen Systems, welche sich vor allem im Ritual des sogenannten Kalachakra Tantra verdichten, informiert, denn er hat über eben dieses geheime Tantra einen ausführlichen Bildband (Das Mandala - Der heilige Kreis im tibetischen Buddhismus) verfasst und mehrere Filme darüber gedreht. Mit diesem Buch hat er wesentlich zu dem von ihm jetzt kritisierten "okkulten, irrationalen, mystischen, magischen" Tibet Bild beigetragen.

Um sein Buch Traumwelt Tibet - Westliche Trugbilder (Mai 2000) und die entsprechende Ausstellung in Zürich als Produkte der bewussten Verschleierung und Irreführung zu entlarven, hilft uns ein weiteres Buch, welches zur gleichen Zeit publiziert wurde und das ebenfalls die Grundlage für eine Ausstellung bilden soll. Gemeint ist die Studie des Wiener Religionswissenschaftler, Ethnologen und Kunsthistorikers Gerhardt W. Schuster Das Alte Tibet - Geheimnisse und Mysterien (NP Buchverlag - Mai 2000) . Auch Schuster bereitet eine große Tibet Exposition vor. In der niederösterreichischen Schallaburg soll im Jahr 2001 das "Faszinosum Tibet" durch Exponate illustriert werden. "Eine faszinierende Reise durch die religiöse Welt eines alten Landes" erwartet uns mit seinen "Masken, Mantren, Ritualen" (Klappentext). Mit unbekümmerter Offenheit spricht der anerkannte Wissenschaftler und Feldforscher über das okkulte, magische, esoterische Tibet der Geister und Dämonen, der Zauberei und der Verfluchungen, der Heil- und Schwarzmagie und der paranormalen Phänomene. Auch wenn Schuster seinen Text Das alte Tibet nennt, lässt er keinen Zweifel darüber aufkommen, dass diese "archaische" Welt auch heute noch voll ihre Kraft entfaltet, denn "eigene Erlebnisse des Autors im Zuge seiner Feldforschungen runde[n] .... das Buch zu einer ebenso lebendigen wie umfassenden Darstellung einer kraftvollen, archaischen Kultur, wie sie faszinierender nicht sein könnte" ab. (Klappentext). Der Autor zeigt dieses längst nicht mehr verborgene Tibet (und zwar mit einer höchst positiven Einstellung), das Brauen in seinem Buch und in seiner Ausstellung bewusst und mit Absicht verschweigt beziehungsweise als "westliches Trugbild" denunziert. Wer sich jedoch die Mühe macht, die beiden Kulturphänomene miteinander zu vergleichen, wird oft keinen Unterschied mehr feststellen zwischen dem "traditionell magischen Tibet" (Schuster) und den "westlichen Tibetprojektionen" (Brauen). Es liegt also nahe, dass wir auf Schusters Buch über das "authentische Tibet" rekurrieren, um deutlich zu machen, dass Brauen weit mehr manipuliert als die westlichen Literaten und Filmemacher, welche sich der Phantasmagorie Tibets naiv hingegeben haben.


 

Literatur

Armelin, I. - Le roi détenteur de la roue solaire en révolution (Cakravartin) - Selon le Brahmanisme et selon le Bouddhisme - Paris, o. J.

Bleichsteiner - Die Gelbe Kirche - Mysterien der buddhistischen Klöster in Indien, Mongolei und China - Wien, 1937

Brauen, Martin - Das Mandala - Der heilige Kreis im tantrischen Buddhismus - Köln, 1992

Brauen, Martin - Traumwelt Tibet - Westliche Trugbilder - Bern, 2000

Campbell, June - Traveller in Space - In Search of Female Identity in Tibetan Buddhism - London, 1996

Dalai Lama XIV - The Kalachakra Tantra - Rite of Initiation for the Stage of Generation - A Commentary on the text of Kay-drup-ge-lek-bel-sang-bo by the Forteenth Dalai lama and the text itself - London, 1985

Dalai Lama XIV - Gewagte Denkwege - Wissenschaftler im Gespräch mit dem Dalai Lama - München, 1996

Epstein, Israel - Tibet Transformed - Beijing, 1983

Farrow, G. W. and Menon, I. - The concealed Essence of the Hevajra Tantra with the Commentary Yogaratnamala - Delhi, 1992

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