BUDDHISMUSDEBATTE
Zahlreiche Artikel zum Lamaismus finden Sie auch unter den
Segmenten Hitler-Buddha-Krishna und Kritisches Forum Kalachakra. Siehe
ebenfalls: Presseberichte und Interviews.
Buddhokratie und Weltenherrschaft
II
1. - Die coole
Restauration einer weltweiten Buddhokratie
2. - Den größten Schaden
den wir anrichten, betrifft ein paar Teepflanzen
3. - Buddhokratie und
Weltenherrschaft I
Die
coole Restauration einer weltweiten Buddhokratie
Rezension des Buches von Robert Thurman
- "Revolution von innen - Die Lehren des Buddhismus oder das
vollkommene Glück" - (Econ Verlag, Oktober 1999) von Victor &
Victoria Trimondi
BIOGRAPHISCHE NOTIZ ZU
ROBERT THURMAN
DIE BONNER TIBET-KONFERENZ
(1996)
DIE GESTOHLENE REVOLUTION
DIE THURMAN'SCHE
GESCHICHTSKLITTERUNG
EINE WELTWEITE
BUDDHOKRATIE
TIBET - EIN LAND DER
AUFKLÄRUNG ?
THURMAN ALS HOHEPRIESTER
DES KALACHKRA TANTRA
ZUR DEUTSCHEN ÜBERSETZUNG
In den Rezensionen einiger Zeitungen der liberalen
Presse (SZ, NZZ, Standard) bestand das Hauptargument gegen unser Buch
"Der Schatten des Dalai Lama" darin, wir würden dem Dalai
Lama (und seinem System) bösartigerweise unterstellen, dass er eine globale
"Buddhokratie", eine Buddhisierung unseres gesamten Planeten
anstrebe. In etwas differenzierteren Besprechungen hieß es, eine solche Absicht
könne durchaus Inhalt der von uns vorgelegten tibetischen Ritualtexte
(insbesondere des Kalachkra Tantra) und politischen Visionen
(insbesondere des Shambhala Mythos) sein, diese Dokumente stammten
jedoch aus längst vergangenen Zeiten und spielten heute im religiösen Leben
des Lamaismus keinerlei Rolle mehr. Obgleich wir ein enormes Material
präsentiert haben, das den lamaistischen Weltenanspruch beweist und wir
dieses gewissenhaft kommentiert haben, wollen das bestimmte Rezensenten
einfach nicht zur Kenntnis nehmen. Im Zusammenhang mit dem Dalai Lama
Syndrom durchläuft der kritische Journalismus in der Tat eine existenzielle
Krise. Die Unfähigkeit vieler Intellektueller, in
"metapolitischen" Zusammenhängen zu denken, führt zu einer
erschreckenden Blindheit angesichts der rapiden kulturellen Veränderungen,
welche die Weltgesellschaft seit mehreren Jahren durchläuft. Irgendwie geht
man hierzulande immer noch von dem Stereotyp aus, Politik und Religion
seien zwei voneinander getrennte Bereiche. So absurd es klingen mag, viele
religiöse Gruppierungen haben es mittlerweile brillant verstanden, sich
diese Trennung nutzbar zu machen. Obgleich sie von ihrem Selbstverständnis
her genau das Gegenteil beabsichtigen, nämlich ein Zusammengehen von
Religion und Politik, gibt ihnen deren aktuelle Separation in den
westlichen Demokratien die Möglichkeit, ohne öffentliche Debatte und Kritik
ihre Ideen zu verankern und zu verbreiten. Keinem gelingt es besser als dem
Dalai Lama und seiner Religion, die westliche Aufspaltung in Sakralität und
Profanität zu eigenen Nutzen auszubeuten. Er hat es sogar verstanden, das
atavistisches System des Lamaismus als den Garant für bürgerlicher
Freiheiten und Tugenden zu präsentieren.
Zugegeben, eine solche Täuschung ist
schwer zu durchschauen und wir selber sind jahrelang Opfer dieses
Blendwerks gewesen. Umso mehr bedarf es einer stoischen Geduld, um die
öffentliche Auseinandersetzung über den Buddhismus in Schwung zu bringen
und die Dringlichkeit einer solchen Debatte zu vermitteln. Die honigsüßen
Gemeinplätze über den Dalai Lama und den tibetischen Buddhismus haben den
Geschmack schon so verdorben, dass man den bitteren Inhalt der
lamaistischen Zuckerpillen nicht mehr verspürt.
Vielleicht hilft es einigen Journalisten durch eine
aufmerksame Lektüre von dem jetzt im ECON VERLAG erschienen Buch "Revolution
von Innen - Die Lehren des Buddhismus oder das vollkommene Glück"
von Robert Thurman, die festgefahrenen Klischees zu durchbrechen und ihre
intellektuelle Unabhängigkeit zurückzugewinnen.
Thurman fordert in seinem Buch offen und
ungeschminkt die "Errichtung einer weltweiten Buddhokratie" und
zwar unter der ausdrücklichen Billigung des XIV Dalai Lama, wie sich das
aus dessen Vorwort zum Buch ergibt. Zwar verpackt er seine Forderung in ein
Gewebe, welches aus westlichen Wertvorstellungen (Demokratie,
Individualismus, Gleichheit der Geschlechter) gestrickt ist, aber die
Intention und die Strategie wir klar und offen ausgesprochen. Das macht
diesen Text für die Debatte so wichtig und Thurman ist kein Nobody, keine
Randerscheinung der buddhistischen Szene, sondern gilt als das "Sprachrohr
des Dalai Lama" (Time Magazin) in den USA, dem ersten
westlichen Land, wo sich nach der Prognose des Autors das buddhokratische
Modell realisieren soll.
BIOGRAPHISCHE
NOTIZ ZU ROBERT THURMAN
Robert Alexander Farrar Thurman, der Gründer und
derzeitige Leiter des Tibet House in New York, ging Anfang der 60er
Jahre nach Dharamsala. Dort wurde er 1964 dem Dalai Lama als ein
"verrückter amerikanischer Junge, äußerst intelligent und mit einem
guten Herzen", der buddhistischer Mönch werden will, vorgestellt. Der
tibetische Hierarch akzeptierte den Wunsch des jungen Amerikaners,
ordinierte ihn als ersten (!) Abendländer zum tibetischen Mönch und
überwachte seine Studien und initiatorischen Übungen persönlich. Er legte
auf die Ausbildung Thurmans einen solch großen Wert, dass er ihn
wöchentlich zu einem persönlichen Gespräch bestellen ließ. Thurmans erster
Lehrer war Khen Losang Dondrub, Abt des Namgyal Klosters, das speziell mit
der Durchführung des sogenannten Kalachakra Rituals beauftragt war.
Später wurde dem "verrückten" Amerikaner, der heute von sich
behauptet, er werde die Buddhisierung der U.S.A. noch zu Lebzeiten (Geb.
1941) feiern können, der Kalmüke Geshe Wangyal (1901 - 1983) als Lehrer
zugeteilt.
Aus Indien in die U.S.A. zurückgekehrt, begann
Thurman dort mit einer akademischen Karriere, studierte in Harvard und
übersetzte mehrere klassische buddhistische Texte aus dem Tibetischen. Dann
gründete er das "Tibet House" in New York, ein als
Kulturinstitution getarntes Missionsbüro zur Verbreitung des Lamaismus in
Amerika.
Neben den beiden Schauspielern Richard Gere und
Steven Seagle ist Thurman das Zugpferd des tibetischen Buddhismus in den
USA. Seine berühmte Tochter, die Hollywood Schauspielerin Uma Thurman,
welche schon als kleines Kind auf dem Schoß des tibetischen
"Gottkönigs" saß, trug nicht wenig zur Popularität ihres Vaters
bei und öffnete die Tore zur Hollywood - Prominenz. Der Herald Tribune
nannte Thurman "den akademischen Gottvater der tibetischen
Sache". (Herald Tribune, 20. März, 1997, 6) und das Magazin Time
reihte ihn 1997 unter die 25 einflussreichsten Meinungsmacher der USA ein.
Er wird dort mit einem vielsagenden ironischen Unterton als der
"Heilige Paulus oder Billy Graham des Buddhismus" bezeichnet.
(Time, 28 April, 1997, 42) Thurman ist in der Tat wortgewaltig und versteht
es, mit einer packenden Polemik und rhetorischen Brillanz seine Zuhörer zu
faszinieren. Die Tibeter nennt er zum Beispiel "die Seerobbenbabys der
Menschenrechtsbewegung."
In der Shugden Affäre ergriff Thurman
selbstverständlich die Position des XIV Dalai Lamas und ging mit aller
Schärfe gegen die "Sektierer" vor und machte sie öffentlich als
die "Taleban des Buddhismus" verächtlich. Als in Dharamsala drei
Mönche niedergestochen wurden sah er in diesem Mord eine rituelle Handlung:
"Die drei wurden wiederholt mit Dolchen verletzt und in einer Art und
Weise aufgeschnitten, die an einen Exorzismus erinnert." (Newsweek,
Mai 5, 1997, 43).
Thurman ist der exponierteste Intellektuelle in der
amerikanischen Tibetszene. Seine tiefen Kenntnisse von den okkulten
Grundlagen des Lamaismus, sein intensives Studium der tibetischen Sprache
und Kultur, seine Einweihung als der erste lamaistischer Mönch aus dem
westlichen Lager, seine rethorische Brillanz und nicht zuletzt seine enge
Beziehung zum XIV Dalai Lama, die nicht nur eine persönliche Freundschaft
beinhaltet und auf einer religionspolitischen Allianz beruht, machen diesen
Mann zu einem Hauptdarsteller im lamaistischen Welttheater. Der Amerikaner
ist - wie wir sehen werden - der exoterische Protagonist eines esoterischen
Bühnenstücks, dessen Skript im sogenannten Kalachakra Tantra aufgeschrieben
ist. Er fordert in seinem Buch eine "coole Revolution der
Weltgemeinschaft" und versteht darunter "eine coole Restauration
des lamaistischen Buddhismus auf Weltebene".
DIE
BONNER TIBET-KONFERENZ (1996)
Wir begegneten Robert Thurman persönlich auf einer
Tibet-Konferenz in Bonn ("Mythos Tibet" - 1996). Er war dort
zweifelsohne der prominenteste und theatralischste Redner und schoss weit
über das Ziel hinaus, welches sich die Konferenz gesetzt hatte. Die
Veranstalter wollten einen akademisch- aseptischen Diskurs über Tibet und
seine Geschichte eröffnen nach dem Motto: das Tibetbild, wie wir es kennen,
ist eine westliche Projektion. In Wahrheit war und ist Tibet ein
widersprüchliches Land wie jedes andere auch und hat eine zerrissene
Geschichte wie andere Völker auch. Das Tibetbild sollte also sowohl von
jeglichem Okkultismus als auch von einseitigen Glorifizierungen gereinigt
werden. So versammelte man in Bonn die bekanntesten Köpfe der modernen,
internationalen Tibetologie. Dabei ging es in der Tat überraschend kritisch
zu und es trat ein Tibetbild zu Tage, was einem manche Illusion nehmen
konnte. Von einem makellosen und spirituellen Shangri-La auf dem Dach der
Welt war nicht mehr die Rede.
Trotz dieses augenscheinlich kritischen Ansatzes
muss die Veranstaltung als eine Manipulation bezeichnet werden. Zuerst
einmal wurde das Klischee gefestigt, ausschließlich der Westen würde für
das hierzulande verbreitete Tibet Image verantwortlich sein. Wir haben an
vielen Stellen (auch in dieser Homepage - siehe unter Michael
v. Brück) gezeigt, dass dieses verklärte Bild ebenfalls ein Produkt der
Lamas und des XIV Dalai Lama selber ist. Völlig ausgeschert aus der Bonner
Debatte wurde vor allem die Tatsache, dass der Lamaismus einen Weltentwurf
in der Tasche hat, nach dem an die Stelle der westlichen Zivilisation das
neue Millenium des Buddhismus treten soll und dass er systematisch auf
diese Richtung hin arbeitet. Der Globalisierungsanspruch des tibetischen
Buddhismus sollte stillschweigend übergangen werden. Tibet erschien auf
dieser Konferenz weiterhin als das kleine vom chinesischen Riesen
unterdrückte Land, und die Wissenschaftler, von denen die meisten
praktizierende Buddhisten waren, präsentierten sich als engagierte
Ethnologen, welche sich - wenn auch diesmal etwas kritischer als sonst -
dafür einsetzten, die gefährdete Kultur eines bedrohten Bergvolkes zu
retten. Das war im Großen und Ganzen die Ausrichtung der Bonner Konferenz.
Man wollte sich eine Insel "nüchterner" Wissenschaftlichkeit und
der Fachkompetenz schaffen, um etwas (wenn auch nicht zuviel) Realistik in
das mittlerweile von den Medien völlig überzogene Tibetbild zu bringen -
mit der begründeten Befürchtung, dass dieses nicht ewig aufrechtzuerhalten
sei.
Diesem wohl kalkulierten Anliegen der Bonner
Tibetologen machte Robert Thurman einen dicken Strich durch die Rechnung.
In einer wortgewaltigen Rede mit dem Titel "Getting beyond
Orientalism in approaching Buddhism and Tibet: A central concept"
entwarf er eine Vision von der Buddhisierung unseres Planeten
beziehungsweise von der Errichtung einer weltweiten
"Buddhokratie". Er wagte sich hier noch einige Schritte weiter
wie in seinem zu diesem Zeitpunkt noch nicht erschienen Buch "Revolution
von Innen". Die Quintessenz seines engagierten Vortrages: der
dekadente, materialistische Westen wird schon bald untergehen und an seine
Stellte wird ein globales monastisches System nach tibetischem Muster
treten.
Das versetzte die Veranstalter der Tibetkonferenz
in äußerste Irritation und störte gewaltig ihren vorgeblich akademischen Clearingsversuch:
Die megalomanischen Ansprüche des tibetischen Neobuddhismus drängten sich
in Thurmans Rede offen und ungeschminkt ins Rampenlicht. Es kam zu einem
spektakulären Krach mit dem Referenten und Thurman verließ Bonn frühzeitig.
Aber die Sache hatte noch ein Nachspiel: In der
Anthologie zur Konferenz, die ein Jahr später publiziert wurde und in der
alle sonstigen Vorträge abgedruckt waren (Th. Dodin/ H. Räther - Mythos
Tibet. Wahrnehmungen, Projektionen, Phantasien -), sucht man Thurmans
Beitrag umsonst. Dieser müsse - so der Herausgeber Thierry Dodin - als
"wissenschaftlich unseriös" eingestuft werden. Mit einem solchen
Etikett wendet sich der Assistent Dodin paradoxerweise gegen einen der
"Besten" der eigenen Zunft, den er zudem als Starreferenten auf
die besagte Konferenz eingeladen hatte und der die begleitende
Mega-Austellung "Weisheit und Liebe - 1000 Jahre Kunst des tibetischen
Buddhismus" für die Bonner Kunsthalle konzipiert und organisiert
hatte. Thurman hatte und hat an den renommiertesten amerikanischen
Universitäten Professuren für Religionswissenschaften und Tibetologie inne
(in Harvard, an der Columbia University und am Amherst College). Die
wissenschaftliche Reputation des Redners steht damit völlig außer Zweifel,
ob er darüber hinaus tatsächlich wissenschaftliche Absichten verfolgt ist
eine andere Frage. Er dürfte darüber hinaus der bekannteste (!) Tibetologe
der Welt sein, immerhin wurde er 1997 zu den 25 berühmtesten Männern der
USA von Time Magazine erkoren. Des weiteren genießt er die volle
Billigung des XIV Dalai Lama für seine Schriften.
Weniger die wissenschaftliche
Inkompetenz noch seine Geschichtsklitterungen (wie wir gleich sehen werden)
sondern die Ehrlichkeit, Klarheit, Offenheit und Präzision mit der Thurman
in seiner Rede aufzeigt, dass der Lamaismus eine monastische
"Eroberung" des "dekadenten Westens" als Ziel hat, war
den "Akademikern" in Bonn peinlich. Solch
"metapolitische" Absichten des Dalai Lama und seines Systems
durften - das war den Veranstaltern, von denen die meisten zur Tibet
Unterstützungsszene zählten, klar - auf keinen Fall eine breite Diskussion
auslösen. So verschwand Thurmans Rede aus der Anthologie und damit aus dem
öffentlichen Bewusstsein.
Wären Thierry Dodin und sein Mitherausgeber H.
Räther an einer wirklichen Entmythologisierung des Tibetbildes
interessiert, so hätten sie Thurmans "unwissenschaftliche" Rede
in ihrer Publikation ebenfalls abgedruckt und sich dann kritisch damit
auseinandergesetzt, wie dies übrigens auch auf der Bonner Konferenz geschah.
Denn gerade Thurmans "unwissenschaftlicher" aber dennoch
eindeutiger und klarer Beitrag bewirkte, dass in den folgenden
Konferenztagen mehrere Teilnehmer und Referenten ermutigt wurden, endlich
das kritische Ventil zu ziehen und offen über die "heiklen" und
"geheimen" Sujets der lamaistischen Schattenseite zu debattieren.
Es kamen Themen zur Sprache, die normalerweise verdrängt werden: die
Sexualmagie der Tantras, der Mord an König Langdarma durch einen Mönch, das
kriegerische Aggressionspotential in der tibetischen Kultur, die
Frauenunterdrückung und ähnliches mehr. Dank Thurmans Rede wurde die Bonner
Konferenz unerwartet, und sicherlich ursprünglich in diesem Ausmaße nicht
von den Veranstaltern geplant, zu einem vielversprechenden Diskussionsforum
- wenn auch leider ohne große Folgen.
Ebenso wie er den Fall Thurman verschwiegen hat,
versucht Thierry Dodin jegliche Debatte über unser Buch ("Der
Schatten des Dalai Lama") und die Kritik von Colin
Goldner (Dalai Lama. Fall eines Gottkönigs) abzublocken. Er war
("als kompetenter Fachmann") von der Zeitschrift "Der
Spiegel" damit beauftragt, eine Rezension der beiden Bücher zu
schreiben. Den Grund weshalb es nicht dazu kam, können wir uns leicht
denken, denn Dodin möchte eine fundierte Auseinandersetzung mit dem
tibetischen System und seiner Geschichte mit allen Mittel unterdrücken,
weil er sehr genau weiß, worum es dabei geht. Dies ergibt sich auch aus
einer dreisten Aussage, welche er auf einer Veranstaltung des Tibet Forums
(Frankfurter Buchmesse 1999) machte, als er zum Thema "Kritische
Neuerscheinungen zum Thema Dalai Lama und tibetischer Buddhismus"
(gemeint waren die Bücher von uns und von Colin Goldner) verlauten ließ, es
handele sich dabei um "alte Kamellen, die längst Bekanntes
wiederkäuen". Wenn wir dieses Statement ernst nehmen, dann wäre es
eine couragierte Bezeugung für den fundamentalistischen, sexistischen,
kriegerischen und trügerischen Charakter des tibetischen Systems, so wie
dieses in beiden genannten Büchern ausführlich dargestellt wird. Aber die
"Schattenseiten des Dalai Lama" und des Lamaismus sind keineswegs
in der Öffentlichkeit "längst bekannt" und Dodin will auch hier
durch alberne Sprüche eine offene Diskussion über die beiden Texte verhindern.
Er zählt zu dieser neuen Kategorie "Wissenschaftlern", deren
Arbeiten der australische Tibetforscher Peter Bishop wie folgt beschreibt:
"Viele zeitgenössische westliche Studien machen lange Ausführungen, um
zu vermeiden, sich mit der Schattenseite des tibetischen Buddhismus zu
konfrontieren. Man kann oft eine soziologische Naivität feststellen, die im
starken Kontrast zu den Zielen wissenschaftlicher Exaktheit stehen."
Da so ziemlich alles an der westlichen
Selbstdarstellung des Lamaismus zwiespältig und doppeldeutig ist, machte
auch die Bonner Konferenz mit wenigen Ausnahmen davon leider keine
Ausnahme. Es war der mittlerweile gescheiterte Versuch
"buddhistischer" oder mit dem Dalai Lama sympathisierender
Wissenschaftler, den Eindruck zu verbreiten, als verrichte ihre Zunft eine
ständige Entmythologisierung des Tibetbildes, während sie zur gleichen Zeit
eine (von Thurman zusammengestellte und konzipierte) Megaausstellung
("Weisheit und Liebe") ihre Konfeenz begleitete, in welcher die "Mythologisierung
des Schneelandes" auf die Spitze getrieben wurde. Der "Mythos
Tibet" ist zu einem machtvollen Symbol für die weltweite Verbreitung
des Lamaismus geworden und wird von Buddhisten und Dalai Lama
Sympathisanten aller Richtungen ohne "wissenschaftliche" Hemmungen
für sich ausgeschlachtet.
Doch zurück zu Thurman! Seine Bonner Rede war
schlichtweg ehrlich, nannte die Dinge beim Namen und bleibt ein eminent
wichtiges Dokument, da sie den Begriff "Buddhokratie" in die
Diskussion einführt und zwar als etwas Erstrebenswertes, ja als den
Rettungsanker aus dem Untergang der "modernen" Welt. Wer die
Hintergründe des Lamaismus kennt, weiß, dass der religionspolitische
Globalanspruch des tibetischen Systems, der im Ritualtext des Kalachakra
Tantra kodifiziert ist, von Thurman in eine westliche allgemein
verständliche Sprache übersetzt wurde. Das amerikanische "Sprachrohr
des Dalai Lama" ist der Kronzeuge dafür, dass nicht nur in den
tantrischen Ritualen, sondern auch von den Propagandisten des tibetischen Buddhismus
eine weltweite "Buddhokratie" angestrebt wird. Wahrscheinlich
unter dem Eindruck der Bonner Ereignisse hat Thurman seinen endgültigen
Buchtext revidiert und um einiges entschärft. Die Reizworte
"Buddhokratie" und "buddhokratisch" tauchen hier nicht
mehr an solch zentraler Stelle auf, wie in der Bonner Rede, auch wenn sie
hinreichend oft erwähnt werden. Dennoch bleibt die
"buddhokratische" Absicht bei einer aufmerksamen Lektüre des
Werkes keineswegs verborgen. Wir werden jedoch sein Buch, um die Intentionen
noch klarer herauszustellen, im Zusammenhang mit der Bonner Rede
rezensieren.
DIE
GESTOHLENE REVOLUTION
Wer die politischen Programmpunkte, die von vorne
bis hinten Thurmans Buch "Revolution von Innen"
durchziehen, resümiert, der wird bald erkennen, dass es sich weitgehend um
Forderungen der "revolutionären" Basisbewegungen der 70er und
80er Jahre handelt. Von Gleichheit der Geschlechter, individueller
Freiheit, persönlicher Befreiung, kritischem Denken, von Nonkonformismus,
von Basisdemokratie, von Menschenrechten, von Gesellschaftsethos, von einer
staatlich garantierten Existenzsicherung für alle, von gleichen
Bildungschancen für alle, von Gesundheits- und Sozialleistungen für alle,
von ökologischem Bewusstsein, von Toleranz, Pazifismus, Selbstvervollkommnung
ist hier die Rede. In einer Zeit, in der all diese Ideen nicht mehr
dieselbe Attraktionskraft haben wie vor 20 Jahren, wirken solche
nostalgischen Forderungen wie Balsam. Die Ideale der jüngsten Vergangenheit
scheinen also nicht umsonst gewesen sein! Die Utopien der 60er werden sich
also doch realisieren und zwar diesmal - so Thurman - ohne jegliche
Gewaltanwendung. Das Zeitalter der "coolen Revolution"
habe gerade erst begonnen und wir erfahren, dass all diese individual- und
sozialpolitischen Zielsetzungen schon seit jeher das Kulturgut des
Buddhismus gewesen seien, speziell des Lamaismus tibetischer Prägung.
Mit diesem Kunstgriff vereinnahmt Thurman das
gesamte "revolutionäre" Ideengut einer Protestgeneration, die
eine humanpolitische Veränderung der Welt als Ziel hatte und spannt es vor
einen tibetisch-buddhistischen Weltentwurf. Er ist darin ein brillanter
Schüler seines lächelnden Meisters, des XIV Dalai Lama. Zehntausende von
Menschen in Europa und Amerika (darunter Petra Kelly und auch wir) sind zu
Opfern dieser raffinierten Manipulation geworden und haben geglaubt, dass
der Lamaismus das (!) Vorbild für eine humanpolitisch engagierte
Religion sein könne. Tausende haben sich für das kleine und unterdrückte
Tibet eingesetzt, weil sie in diesem Land ein Schatzhaus spiritueller und
ethischer Werte verehrten, das vom chinesischen Totalitarismus zerstört
wurde. Der tibetische Buddhismus als das letzte Refugium für die
sozialrevolutionären Ideale der 70er - als der Erbe der politisch
engagierten Jugendbewegung? Das ist - wie wir noch zeigen werden - die
Selbstdarstellung des Lamaismus in Thurmans Buch und der XIV Dalai Lama
gibt dieser Interpretation sein Plazet "Thurman erklärte mir" -
so in seinem Vorwort zur Revolution von Innen - "einige
Intellektuelle im Westen seien der Meinung, der Buddhismus habe nicht die
Absicht, die Gesellschaft zu verändern. .... Thurmans Buch erscheint daher
gerade zur rechten Zeit, um mit den in den Köpfen herumgeisternden
Vorstellungen aufzuräumen, der Buddhismus sei eine sich nicht sozial
engagierende Religion." (13)
Wer aber hinter die Kulissen schaut,
der wird leider feststellen müssen, dass Thurman mit seinem politischen
Forderungskatalog der "revolutionären" Generation des Westens nur
den Spiegel ihrer eigenen Ideale vorhält und dass er sie nicht über die
Wirklichkeit des lamaistischen System aufklärt, in dem völlig konträre
gesellschaftspolitische Muster wirksam waren und sind.
Jahrelang und ungehindert konnte diese illusionäre
Welt vom "reinen Buddhismus" aufgebaut und im Massenbewusstsein
des Westens verankert werden und sie wirkt immer noch fort. Wer dagegen
unvoreingenommen die Geschichte Tibets und der Dalai Lamas studiert, wer
das lamaistische Ritualwesen, speziell seine sexualmagischen Praktiken
kennt, wer über die aktuellen politischen Zustände unter den Exiltibetern
informiert ist, der muss sich redlicherweise zugestehen, dass wir es hier
nicht mit einer demokratischen, ökologischen, individualistischen,
pazifistischen und aufgeklärten Kulturgemeinschaft zu tun haben.
Das pure Gegenteil ist der Fall!
Hinter dem vorgeblichen Liebesschwur zur Erlösung aller leidenden Wesens
(Bodhisattva-Gelübde) verbergen sich Machtobsessionen einer im Okkultismus
versunkenen Priesterkaste.
Damit dies nicht offenkundig wird, ist die
Konstruktion eines gefälschten Geschichtsbildes notwendig, wie sie Thurman
in seinem Buch "gewissenhaft" und konsequent durchführt.
Das Alte Tibet wird von ihm als eine Art sanfte
"Gelehrtenrepublik" nach Innen gekehrter Mönche geschildert, frei
von den Turbulenzen europäisch-imperialistischer Wirtschafts- und
Kriegspolitik. In ihrer Abgeschiedenheit vollzogen diese heiligen Männer
seit Jahrhunderten einen Weltauftrag, der erst in unseren Tagen zu tragen
kommt. Der Westen - erklärt Thurman - habe seit der Renaissance die
"äußere Moderne", das heißt die "äußere Erleuchtung",
durch die wissenschaftliche Revolution verwirklicht. In der gleichen Zeit
(vor allem seit der Regierung des V Dalai Lama im 17. Jh.) habe sich im
Himalaja eine "Innere Revolution" vollzogen, die von dem
Amerikaner kühn als "innere Moderne" gedeutet wird: "So
müssen wir das, was wir normalerweise im Westen als 'Modernität' bezeichnen
als eine 'materialistische' oder 'äußere' Modernität qualifizieren, und es
mit einer parallelen aber alternativen tibetischen Modernität
kontrastieren, die wir als 'spirituelle' oder 'innere' Modernität'
einschätzen." (Übers. Originaltext 247) Auf der Bonner Konferenz
(1996) nannte er dies in der Tat die "innere Modernisierung der
tibetischen Gesellschaft".
Der engagierte Buddhismus - so Thurman - sei dabei,
eine "coole (gleichmütige) Revolution" auszulösen.
"Cool" im Gegensatz zu den "heißen" Revolutionen der
vom Westen dominierten Weltgeschichte, die Blut und Tote forderten. Die
fünf Grundsätze dieser "coolen Revolution" werden wiederum
geschickt einem westlichen und nicht östlichen) Wertesystem zugeordnet:
Transzendentaler Individualismus (transcendental individualism),
gewaltloser Pazifismus (nonviolent pacifism), Erziehungsevolution (educational
evolutionism), ökosozialer Altruismus (ecosocial altruism),
universeller Demokratismus (universal democratism).
Für Thurman steht die tibetische Kultur der
"Sakralisation", der "Magie", der
"Erleuchtung", des "spirituellen Fortschritts", des
"friedlichen Mönchstums" einer westlichen Zivilisation der
"Verweltlichung", der "Entzauberung", der
"Rationalisierung", des "profanen
Fortschrittsglaubens", des "Materialismus, des Industrialismus
und des Militarismus" gegenüber. (Übers. Originaltext 246) Auch wenn
die "Innere Revolution" eindeutig als höherwertig eingeschätzt
wird, so soll doch in Zukunft auf die "Errungenschaften des
Westens" nicht ganz verzichtet werden. In einer hierarchischen
Verbindung beider (Ost über West) sieht Thurman die Weltkultur des
kommenden Jahrtausends.
Diese "coole Revolution"
muss sich jedoch bei näherer Hinsicht als eine "coole
Restauration" entpuppen, nach der die Welt in einen buddhistischen
Mönchsstaat tibetischer Prägung verwandelt werden soll.
DIE
THURMAN'SCHE GESCHICHTSKLITTERUNG
Um diese globale Mission ("die coole
Revolution") des Lamaismus zu begründen, musste Thurman die tibetische
Geschichte beziehungsweise die Geschichte des Buddhismus allgemein in
seinem Buch falsifizieren. Er musste eine reine, makellose und ideale Historie
konstruieren, die beispielhaft von Beginn an einem hohen ethischen
Lehrauftrag folgt, um dann eschatologisch in der Buddhisierung unseres
gesamten Planeten zu enden. Die tibetischen Klöster mussten als Horte des
Friedens und der Geistesbildung dargestellt werden, altruistisch tätig zum
gesellschaftlichen Wohle aller. So hatte das Bild des Alten Tibets
entsprechend edelmütig auszusehen: "Gelehrsamkeit und
Kunstschaffen" - so Thurman - "wurden gepflegt; aufgeklärte
Geistliche waren mit der Administration der politischen Institutionen
betraut; das gemeine Volk war durchdrungen vom Geist asketischen Lebens;
der Gedanke der Reinkarnation entwickelte sich. Es war eine Entwicklung, in
deren Verlauf fest verwurzelte kulturelle Verhaltensnormen und Vorurteile
ausgemerzt wurden." (219)
Eine durchgängige Verfälschung der Thurman'schen
Geschichtskonstruktion besteht darin, die buddhistischen Gesellschaften und
insbesondere den Lamaismus als grundsätzlich friedlich darzustellen (und
ihn somit gegen einen zutiefst militaristischen Westen auszuspielen):
"Generell herrschte in der [tibetischen] Gesellschaft eine rauschhafte
positive Aufbruchstimmung, es gab weniger Intrigen, Gewalttätigkeiten und
religiöse Unterdrückung als in jeder anderen Gesellschaft." (46) Ein solch
pazifistisches Bild des tibetischen Buddhismus mag sich auf einschlägige
Texte aus den Sutren berufen, als gesellschaftliche Realität ist es völlig
aus der Luft gegriffen. Das Gegenteil war der Fall - der Lamaismus war von
Beginn an in blutige Kämpfe zwischen den verschiedenen Mönchsfraktionen
verwickelt. Es gab einen grausamen "Bürgerkrieg", in dem sich die
beiden Hauptorden des Landes als Gegner gegenüberstanden. Politischer Mord
zählte in Tibet seit jeher zur Tagesordnung [!] und machte auch vor
den Dalai Lamas nicht Halt. Auch in der kurzen Geschichte der Exiltibeter
ist er ein ständiges Ereignis. Das Feindbilddenken war zutiefst in der
alttibetischen Kultur verankert und ist es heute immer noch. So zählt die
Vernichtung von "Feinden der Lehre" zu den Standardforderungen
aller tantrischen Ritualtexte. Die sexualmagischen Praktiken, die im
Zentrum dieser Religion stehen und die Thurman verschweigt beziehungsweise
als Ausdruck der Kooperation und Geschlechtergleichheit interpretiert,
beruhen auf einer fundamentalen Frauenverachtung. Das soziale Elend der
Massen war im Alten Tibet erschreckend und abstoßend, die Autorität des
Priesterstaates absolut und erstreckte sich über Lebende und Tote. Tibets
traditionelle Gesellschaft als politisches Exempel für die Moderne hinzustellen,
in der sich die Menschen nach einer umfassenden Sozialethik gerichtet
hätten und in der jedermann Befreiung und Glück erlangen konnte (136) ist
eine Farce. Deswegen schaudert es einen, wenn Thurman der kommenden Welt
folgende Perspektive eröffnet: "Der spirituelle Weg der Transformation
des kriegerischen [vorbuddhistischen] Tibet [in eine Buddhokratie] könnte
für uns ein Vorbild dafür sein, wie wir die Zivilisierung unserer eigenen
ungezügelten Welt vollenden könnten." (211)
Als ein politisches Vorbild für kommende Zeiten
wird von Thurman der buddhistische Kaiser Ashoka (Reg. 272 - 236 v. Chr.),
der die "faktische Überlegenheit von Moral und aufgeklärter Politik
erkannt hatte" (117) eingeführt. Diesen indischen Imperator schildert
er als einen "Friedensfürsten", der - vorher ein grausamer
Schlachtenheld - nach einer tiefen inneren Wandlung jeglichen Krieg
verabscheute, der Hass und Kampflust in Mitgefühl und Gewaltlosigkeit
verwandelt habe, der eine "spirituelle Revolution" zum Wohle
aller leidenden Wesen durchgeführt habe. In dem Kapitel "Eine
königliche Revolution" (111 ff.) suggeriert der Autor, dass die an
monastischen Elementen orientierte Regierungsform des Ashoka Reiches heute
erneut als Modell für die Errichtung eines weltweiten Staatsbuddhismus
gelten könne. "Die Politik der Erleuchtung" - so Thurman -
"schlägt seit Ashoka eine Wahrheitseroberung des Planeten vor - eine
Dharma Eroberung, das heißt eine kulturelle, erzieherische und
intellektuelle Eroberung." (S. 282 Übers. Originaltext)
Dass diesem Herrscher aus der Maurya Dynastie
zahlreiche unbuddhistische Taten anhängen, verschweigt Thurman
wohlweislich. In seinem Reich wurde zum Beispiel die Todesstrafe für
Kriminelle niemals aufgehomen, und zu diesen zählte er offenbar auch seine
eigene Frau Tisyaraksita, die er hinrichten ließ. In einer buddhistischen
(!) Beschreibung seines Lebens, einem Sanskrit-Werk mit dem Titel Ashokavandana,
heißt es dass er einmal 18.000 Nicht-Buddhisten, vermutlich Jainas,
hinrichten ließ, weil einer unter ihnen die "wahre Lehre"
beleidigt habe - wenn auch nur in relativ geringfügiger Weise. In einem
anderen Fall soll er einen Jaina und dessen gesamte Familie in sein Haus
getrieben haben, um dasselbe dann anzuzünden und völlig abbrennen zu
lassen. Wie problematisch ein verherrlichendes Geschichtsbild des Kaisers
ist, haben wir ausführlich in unserem Buch ("Der Schatten des Dalai
Lama") dargestellt. Siehe auch in unser Homepage: Die Ashoka Connection.
Dennoch - Ashoka ist für Thurman ein "cooler
Revolutionär". Seine Politik proklamierte "einen sozialen Stil
der Toleranz und eine Bewunderung der Gewaltlosigkeit. Sie machte die
Community zu einer sicheren Einrichtung, die unwidersprochen war in ihrer
allgegenwärtigen Präsenz als eine Schule der Höflichkeit, der Konzentration
und der Freisetzung von kritischer Vernunft; ein Asyl des Nonkonformismus;
eine egalitäre demokratische Gemeinschaft, wo Entscheidungen durch
einstimmige Wahl getroffen wurden." (S. 116/117 Übers. Originaltext).
Den absolutistischen Imperator Ashoka als den Garanten und als Vorbild für
eine "egalitäre demokratische Gemeinschaft" darzustellen, ist ein
Glanzstück willkürlicher Geschichtsinterpretation!
Ebenso emphatisch werden von Thurman die indischen
Maha Siddha ("Großzauberer"), bizarre Heilige, von denen die
tantrischen Lehrbücher stammen, als exemplarische Helden des Ethos
dargestellt, für die es keinen größeren Wunsch gegeben habe, als andere
Menschen glücklich zu machen. Diese "Asketen, die die Welt zähmten"
wandten hierzu jedoch höchst dubiose Methoden an, indem sie nämlich das
pure Verbrechen kultivierten, um sich die Nichtigkeit alles Seienden zu
beweisen. Ihre tantrischen d. h. sexualmagischen Praktiken, mit denen sie
absichtlich das Böse (Mord, Vergewaltigung, Nekrophagie) taten, in der
vorgeblichen Absicht, etwas Gutes zu schaffen, sollen - nach Thurman - zu
den bedeutendsten Zivilisationsakten der Menschheit zählen. Wer sich einen
Einblick in die "Hagiographien" der Maha Siddha verschafft, der
wird erstaunt sein, mit welch barbarischen Bewusstsein diese
"Helden" des tantrischen Weges ausgestattet waren. Von
sozialethischem Verhalten ist bei ihnen, die bewusst die Asozialität als
Lebensstil gewählt hatten, nur sehr selten etwas festzustellen. (siehe dazu:
Dowman, Keith - Die Meister der Mahamudra - Leben, Legenden und Lieder
der vierundachtzig Erleuchteten - München, 1991 und Der Schatten des
Dalai Lama - S. 491ff.)
Aber diese Maha Siddhas und ihre späteren
tibetischen Nachahmer sind für Thurman "strahlende
Energiekörper", von denen das Geschick der Menschen abhängen soll:
"Es wird berichtet, die Berghänge und Einsiedeleien Zentraltibets
seien hell erleuchtet gewesen von der energetischen Strahlung, die von den
hingebungsvollen Praktizierenden in ihrer vollkommenen Konzentration, ihrer
tiefen Einsicht und durch ihre großmütigen Taten freigesetzt wurden. Die
gesamte Bevölkerung geriet unter den Einfluss dieser energetischen
Strahlung einzelner Menschen, die freigesetzt wurde, als diese sich von
ihrer Jahrhunderte alten Unwissenheit und von ihren Vorurteilen befreiten
und die Erleuchtung erlangten." (216) Wenn man die Grausamkeiten der
tibetischen Geschichte mit den Grausamkeiten in den tantrischen Texten,
nach denen sich die "hingebungsvoll Praktizierende" richteten,
vergleicht, dann könnte Thurman in der Tat recht haben. Nur sind es vor
allem die dunklen Energien gewesen, die sich auf die Bevölkerung Tibets
ausgewirkt haben und die sie in Unwissenheit und Knechtschaft gehalten
haben. Leibeigenschaft und Sklaverei zählten ebenso zur Gesellschaft
Alttibets wie ein unhumanes Strafrecht und eine durchgängige
Frauenunterdrückung.
Auch Padmasambhava - die höchst ambivalente
Gründungsgestalt des tibetischen Buddhismus - wird von Thurman als ein
engagierter Gelehrter der Aufklärung gefeiert (201) Nichts ist untypischer
für diesen Zauberer, der das Schneeland mit seinen Bannflüchen überzog und
die zornvollen Gottheiten des vorbuddhistischen Tibets in eine Horrorarmee
von aggressiven Schutzgöttern eingliederte, nicht damit sie ihren grausamen
Charakter veränderten sondern damit sie von nun an die "wahre Lehre
des Buddha" vor Feinden mit Schwert und Schrecken bewahrten. Große
Gelehrte des Gelugpa Ordens haben immer wieder auf die Zweideutigkeit
dieses schillernden "Kulturgründers" (Padmasambhava), zu dessen
Taten auch zwei brutale Kindermorde zählen, hingewiesen und sich
ausdrücklich von seinem barbarischen Lebensstil distanziert.
Als im 11. Jahrhundert der indische Gelehrte Atisha
seine Tätigkeit in Tibet aufnahm, fand er dort eine völlig verlotterte
Mönchskaste vor, bei der es drunter und drüber ging und wo von Moral nicht
mehr die Rede war. So berichten es zumindest die historischen Dokumente (The
Blue Annals). Thurman unterschlägt diesen Sittenabsturz des Lamaismus
und behauptet schlichtweg das Gegenteil: "Als Atisha nach Tibet kam,
beschränkten sich die in den Klöstern lebenden Buddhisten darauf, strikt
die moralischen und die rituellen Vorschriften einzuhalten" (214) Das
ist in der Tat eine sehr euphemistische Darstellung der verhurten und
verweltlichten Klöster, gegen die Atisha mit einem neuen Wertekodex zu
Felde zog.
Die von Tsongkhapa institutionalisierten und vom V
Dalai Lama reaktivierten Mönlamfeiern, ein roher lamaistischer Karneval,
bei dem den Mönchen schier alles erlaubt war und während dessen ein höchst
grausames Sündenbockritual durchgeführt wurde, gilt für Thurman als ein
sakrales Ereignis "wo die Kraft der Barmherzigkeit manifest ist und
die Gnade in ihrer Unmittelbarkeit erlebt wird" (222) "In
Tibet" - so der Autor an anderer Stelle - "war das große
Gebetsfest Mönlam eine Art Garant dafür, dass für jedermann die besten
aller Voraussetzungen geschaffen wurden: Das Gefühl der Menschen, in einer
mystischen Zeit in einem besonders gesegneten Land zu leben - in einem
eigenen 'Neuen Jerusalem', in einem sich auf Erden manifestierenden
himmlischen Königreich - war gegenwärtig, und all dies hatte große
Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft." (226) Wenn wir diese
Apotheose des besagten Ereignisses mit dem folgenden Augenzeugenbericht
Heinrich Harrers vergleichen, dann erkennen wir die Hemmungslosigkeit, mit
der Thurman das Alte Tibet vergöttlicht. Harrer, dessen Schilderung durch
viele andere Reiseberichte bestätigt wird, sah das Szenario ganz anders:
"Wie aus der Hypnose erwacht," - schreibt der Mentor des jungen
Dalai Lama - "stürzen in diesem Augenblick die Zehntausende aus der
Ordnung ins Chaos. Der Übergang ist so plötzlich, das man fassungslos ist.
Geschrei, wilde Gesten ... sie trampeln sich gegenseitig zu Boden, bringen
sich fast um. Aus den noch weinend Betenden, ekstatisch Versunkenen sind
Rasende geworden. Die Mönchssoldaten beginnen ihr Amt! Riesige Kerle mit
ausgestopften Schultern und geschwärzten Gesichtern - damit die
abschreckende Wirkung noch verstärkt wird. Rücksichtslos schlagen sie mit
ihren Stöcken auf die Menge ein .... Heulend steckt man die Schläge ein,
aber selbst die Geschlagenen kehren wieder zurück. Als ob sie alle von
Dämonen besessen wären." (Heinrich Harrer - Sieben Jahre in Tibet - 142) - Das Thurman'sche
"Neue Jerusalem" auf dem Dach der Welt von Dämonen besessen? -
Ein interessantes Szenario für einen Horrorfilm!
Ein weiterer Höhepunkt Thurman'scher
Geschichtsfälschung finden wir im Porträt des größten lamaistischen
Potentaten, des V. Dalai Lama. Gerade dieser an äußerer Macht- und
Prachtentfaltungen orientierte "Priesterkönig" wird von dem Autor
zu einem Helden der "inneren Revolution" hochstilisiert. Er malt
das Bild eines besonnenen und weitsichtigen Landesvaters ("ein
sanftmütiger Genius, Gelehrter und die Reinkarnation eines Heiligen" -
235), der - gegen seinen Willen und seine buddhistische Grundeinstellung -
gezwungen ist, einen grausamen "Bürgerkrieg" zu führen, (in dem
er zahlreiche Mitglieder anderer Mönchsorden durch ins Land gerufene
Mongolenkrieger massakrieren lässt). Den Konflikt stellt Thurman als einen
Zwist zwischen verschiedenen Warlords dar, in den die
"friedlichen" Mönchsorden hineingezogen worden wären.
Auch hier war das Umgekehrte der Fall: Die beiden
damaligen Hauptorden des tibetischen Buddhismus (Gelug-pa und Kagyü-pa)
waren die Drahtzieher, auch wenn sie weltliche Armeen für sich kämpfen
ließen. Thurman verfälscht diesen monastischen Krieg zu einem Kampf
zwischen aggressivem Adelscliquen und letztlich zu einem "Endkampf
zwischen militärischer Macht und klösterlicher Macht" (236), wobei die
letztere als die Partei des Friedens, dank der Genialität des V Dalai Lama
die Oberhand gewinnt, um fast ein "Buddha Paradies" auf Erden zu
errichten.
All das ist eine fromm-dreiste Erfindung des
amerikanischen Tibetologen. Die gnadenlose Kriegermentalität des V. Dalai
Lama hat bei seinen Gegnern Angst und Schrecken verbreitet und wird durch
ein zeitgenössisches Gedicht besonders deutlich, in dem der klerikale
Kriegerfürst selbst die Vernichtung seiner Feinde bis ins dritte Glied
fordert:
Macht die männlichen
Linien zu Bäumen,
deren Wurzeln
abgeschnitten werden.
Macht die weiblichen
Linien zu Bächen,
die im Winter versiegen.
Macht die Kinder und
Enkelkinder zu Eiern,
die gegen Felsen
geschleudert werden.
Macht die Diener und
Gefolgsleute zu Heuhaufen,
die durch Feuer verzehrt
werden.
Macht ihre Wohnsitze zu
Lampen, deren Öl verbraucht ist.
Kurz - vernichtet all ihre
Spuren, selbst ihre Namen.
Die finstere okkulte Seite des V. Dalai Lama (er
ist der Verfasser eines umfangreichen Handbuches, das sich ausschließlich
mit rituellen Tötungspraktiken von Feinden beschäftigt. Abgedruckt in:
Samten Karmay The Secret Visions), seine Faszination für die
Sexualmagie der Nyingma-pa (die er selber praktizierte), seine
hemmungslosen Geschichtsfälschungen und vieles mehr, all das sind höchst
unerfreuliche Fakten, die von Thurman bewusst verschwiegen werden, denn ein
historisch exaktes Porträt des "Großen Fünften" könnte peinliche
Folgen haben, da sich der XIV Dalai Lama ständig auf diesen seinen
Vorgänger beruft und ihn zu seinem größten Vorbild erklärt hat.
Thurman suggeriert, dass nach dem V Dalai Lama die
klösterliche Macht endgültig in Tibet gesiegt habe, um anschließend ein
beispielhaftes monastisches Friedensreich ("fast ein Buddha Paradies
auf Erden") zu errichten. Tatsache ist dass die Fraktionskämpfe
zwischen verschiedenen Mönchscliquen ohne Unterbrechung fortdauerten. Der
Regent, der auf den V Dalai Lama folgte (es gibt Hinweise darauf, dass es
sich um dessen Sohn gehandelt habe) ist ebenso ein militanter Feldherr wie
ein Abt und wird bei einer Kriegshandlung umgebracht. Er selber hat mit
allen Mitteln zu verhindern versucht, dass der VI Dalai Lama die ihm
zustehende weltliche Macht ausüben konnte. Auch dieser VI Potentat wird
ermordet. Vier seiner Nachfolger sind in solch finstere und blutige
Palastintrigen verstrickt, dass man an die Shakespear'schen Königsdramen
erinnert ist, zumal sie alle in frühen Jahren sterben beziehungsweise - das
ist die Meinung der meisten Historiker - vergiftet wurden. In diesem
tibetischen "Buddha Paradies" (Thurman) war der politische Mord
eine Tagesangelegenheit. Das Strafrecht war von einer raffinierten
Grausamkeit und die kleinsten Übertretungen wurden schon mit
Verstümmelungen geahndet. Sklaverei und bittere Armut belasteten einen
großen Teil der Bevölkerung.
Es wäre falsch, dem V Dalai Lama politisches und
administratives Geschick abzusprechen, er war ebenso wie sein Zeitgenosse
Ludwig der XIV, mit dem er des Öfteren verglichen wird, ein
"genialer" Staatsmann. Aber er war deswegen kein Friedensfürst.
Sein Ziel bestand darin, konsequent die Geschicke des Landes in die Hände
des Klerus zu legen mit sich als dem unwidersprochenen geistigen und weltlichen
Oberhaupt. Dazu spielte er (wie heute der XIV Dalai Lama) die verschiedenen
Orden geschickt gegeneinander aus. Der V Dalai Lama formulierte die
politischen Grundsätze einer "Buddhokratie", die Robert Thurman
gerne als das Modell einer kommenden Weltgemeinschaft sehen würde, und die
wir uns im nächsten Abschnitt näher ansehen wollen.
Amerikas bekanntester Tibetologe
Robert Thurman betreibt eine solch hemmungslose Geschichtsklitterung, dass
es selbst seinen Kollegen Angst und Bange dabei wird, ob denn eine
westliche Öffentlichkeit diesen Schwindel noch ertragen mag. Aber anstatt
sich dagegen aufzubäumen, Thurman zur Frage zu stellen und ihn zu
widerlegen, schweigt die Zunft der "buddhisierten" Tibetologen
oder gibt vor, den Harvard Professor (wie in Bonn geschehen) ohne große
Begründung aus ihren eigenen Reihen zu verbannen, während das
"Sprachrohr des Dalai Lama" ungehindert und mit Applaus aus der
liberalen Presse den "Mythos Tibet" als das politische Programm
für das neue Millennium weiter verbreitet.
EINE
WELTWEITE BUDDHOKRATIE
Auf der oben erwähnten Tibetkonferenz in Bonn
("Mythos Tibet" - 1996) prophezeite Robert Thurman mit gewaltigem
Pathos den "Untergang des Abendlandes" und ließ keinen Zweifel
daran, dass die Zukunft unseres Planeten einer weltweiten, wie er es
wörtlich betonte, "Buddhokratie" gehöre. Europa habe seine
sakrale Vergangenheit aufgekündigt, seine natürliche Umwelt entzaubert, ein
säkulares Reich aufgebaut, sich den Zugang zum Heiligen -
"repräsentiert durch das Mönchswesen und das von ihm ausgehende
Streben nach Vervollkommnung" - versperrt. An die Stelle des Heiligen
seien Materialismus, Industrialisierung und Militarisierung getreten. (233)
Zur gleichen Zeit habe sich in Tibet ein
umgekehrter Prozess vollzogen. Die Gesellschaft habe sich zunehmend
sakralisiert und sich der "Schaffung eines Buddhaversums oder
Buddha Paradieses" (233) gewidmet. (Nach der Kritik der Tibetologen in
Bonn favorisiert Thurman den von ihm selbst ausgetüftelten Begriff
"Buddhaversum" vor dem etwas anstößigen "Buddhokratie"
- gemeint ist dasselbe). Eine Verzauberung der Wirklichkeit habe in Tibet
stattgefunden und das System habe sich der Vervollkommnung des Einzelnen
gewidmet. Der kriegerische Geist sei abgebaut worden. - All das sind
falsche Behauptungen, die sich durch zahllose Gegenbeispiele widerlegen
lassen. Dennoch erkühnt sich Thurman, sie als Ausdruck einer "inneren
Modernität" des Alten Tibet zu deklarieren, welche der "äußeren
Moderne" Europas letztendlich überlegen sei: "Während Europa den
Einfluss von Papst und Kirche zurückdrängte und das Alltägliche
entzauberte, überantwortete sich Tibet einer Regierung, die man
korrekterweise nicht 'theokratisch' nennen kann, da die Tibeter nicht an
einen allmächtigen Gott glauben, sondern als 'buddhokratisch' bezeichnen
muss." (235) Diese Regierungsform soll für unsere Zukunft
richtungsweisend sein. Auf der Bonner Tibetkonferenz wurde Thurman noch
deutlicher:
"Ja, nicht Theokratie, sondern
Buddhokratie. Ich liebe es nicht von Theokratie zu reden, weil dies eine
Zuordnung zum Heiligen Römischen Reich herstellt ... weil es die Konzeption
von einem autoritären Gott hat, der das Universum kontrolliert."
(Bonner Konferenz) Die Konzeption von einem "autoritären Buddha"
scheint es für Thurman nicht zu geben, obgleich genau diese es ist, welche
dem lamaistischen System (insbesondere dem Kalachakra Tantra)
zugrunde liegt.
Für den Autor war die "Monastisierung" (monastisation)
der tibetischen Gesellschaft ein glücksbringendes Jahrtausendereignis für
die Menschheit und hatte ihren vorläufigen Höhepunkt in der Zeit (15. Jh.)
als der Gelug-pa Orden durch Tsongkhapa (1357 - 1419) gegründet und die
Institution des Dalai Lama geschaffen wurde, erreicht. Diesen Zeitabschnitt
pries Thurman in Bonn "als das Millenium des 15. Jahrhunderts in der
planetarisch einzigartigen Form der modernen (!) tibetischen
Gesellschaft... [es] führte zu seiner Entfaltung im 17. Jahrhundert das ich
als post-millenial (Wortschöpfung von Thurman: 'nach-Tausenjährig')
bezeichne: innerlich modern (inwardly modern), massen-monastisch (mass-monastic)
oder sogar buddhokratisch." Tsongkhapa wird als der Gründungsvater
dieser "tibetischen Moderne" vorgestellt: Er "war ein
spiritueller Wunderknabe ....... Es vollzog sich in ihm eine Wandlung von
kosmischem Ausmaß, sein Universum wurde zum Buddhaversum, zum Buddha
Paradies." (220)
Das Alte Tibet - so Thurman - sei ein solches
"Buddha-Paradies" auf Erden gewesen, in dem Gewaltlosigkeit und
Weisheit, Großzügigkeit, Sensibilität und Toleranz geherrscht hätten.
Beispielhaft sei hier ein aufgeklärtes Bewusstsein durch die
"Juwelengemeinschaft" der Mönche kultiviert worden. Die Klöster
seien der Garant gewesen, dass sich die Politik nach ethischen Maßstäben
gerichtet habe: "Der monastische Kern stellt so etwas wie einen Kokon
dar, in dessen Schutz die Laienmitglieder der Juwelengemeinschaft ihre
Kreativität ungehindert entfalten können." (276) Die Politik lag in
den Händen der Mönche.
Diese vom Alten Tibet vorgelebte "monastische
Form der Regierung" ist für Thurman ein Zukunftsbild: "Ich bin
sehr daran interessiert. Ich fühle, dass der Trend in diese Richtung
geht." (Bonner Konferenz) Die "Monastisierung", die sich
damals (seit dem 15. Jh.) in Asien ausbreitete, während in Nordeuropa die
Tore der Klöster geschlossen wurden, habe heute wieder global-politische
Bedeutung. "Und wenn Sie Max Weber sehr gewissenhaft studieren" -
so der Autor - " ... (dann werden Sie feststellen), dass der Prozess,
der die Säkularisierung und die Industriegesellschaft hervorbrachte, sehr
viel mit dem Schließen der Klostertüren zu tun hatte. ... So eine
monastische Form der Regierung [wie die tibetische] ist eine undenkbare
Angelegenheit für eine westliche Gesellschaft. Wir sagen oft, Tibet war im
Mittelalter eingefroren, weil Tibet nicht in der Art und Weise wie die
westliche Welt säkularisiert wurde. Es verließ das Gleichgewicht zwischen
dem Heiligen und Säkularen und begann einen Sakralisationsprozess, einen
Art umgekehrten Prozess im Sinne von Max Weber und es verzauberte die Welt.
Der konkrete Beweis hierfür war, dass die Klöster die Regierung
stellten." (Bonner Konferenz)
Thurman paraphrasiert hier Webers These von der
"Entzauberung der Welt", die mit dem Aufkommen des Kapitalismus
einhergehe. Die "Wiederverzauberung der Welt" ist für ihn ein politisches
Programm, das nur durch die lamaistischen Mönche durchgeführt werden kann.
"Die Klöster sind Refugien und Trainingszentren für die gewaltlose
'Armee', jenen Stoßtrupp der von Buddha Shakyamuni ins Leben gerufenen
andauernden Sozialrevolution..." (276) Nach einem Dreistufenplan - so
das "Sprachrohr des Dalai Lama" - übernimmt der monastische
Klerus schrittweise die politischen Geschäfte. In der letzten Phase dieses
Planes "hat die Gesellschaft die Möglichkeit, voll und ganz in den Genuss
des aufgeklärten Universums zu gelangen, denn die Institutionen der
Juwelen-Gemeinschaft [die Klöster] übernehmen offiziell die Verantwortung
dafür, in welche Richtung sich die Gesellschaft entwickelt." (278)
Dabei handele es sich jedoch nicht um eine
unwirkliche Utopie - denn: "In der Weltgeschichte bildet die
tibetische Gesellschaft bislang die einzige Ausnahme bei der teilweisen
Verwirklichung dieser dritten Phase." (278) Klipp und klar proklamiert
Thurman mit diesem Satz eine Buddhokratie nach lamaistischem Muster als das
kommende Modell für die Weltgemeinschaft! An anderer Stelle wird der
Tibetologe noch präziser: "Die klösterliche Bewegung als
gesellschaftliche Gegenkultur braucht nicht länger im Hintergrund zu wirken
und hat die Möglichkeit, der herrschenden Obrigkeit mit spirituellem und
gesellschaftlichem Rat zur Seite zu stehen. Erleuchtete Weise können nun
damit beginnen, ihren königlichen Eleven [!] Ratschläge zu erteilen,
wie sie ihre gesellschaftlichen Tagesgeschäfte erledigen, also ihre
politische Praxis gestalten sollten. Ebenso kann die gesamte Bewegung nach
einer ausgedehnten Evolutionsperiode auf gleichmütige Art Früchte tragen,
d. h.., die Erleuchtungsbewegung als Gegenkultur wird zur
gesellschaftlichen Hauptströmung und übernimmt offiziell die Verantwortung
für die gesamte Gesellschaft, wie dies schließlich in Tibet der Fall
war." (160, F. 11)
Der lamaistische Klerus übernimmt nach
Thurman die politische Macht, an seiner Spitze - wie wir noch sehen werden
- die Inkarnation eines Überwesens, eines absoluten Monarchen, der die
spirituelle und weltliche Macht in sich vereinigt.
Der Siegeszug des monastischen Systems habe um 500
v. Chr. in Indien begonnen und sich dann im Laufe der Jahrhunderte über
ganz Asien ausgedehnt. Aber dies sei - so Thurman - nur ein Vorspiel:
"Den außergewöhnlichen Siegeszug der Mönchsbewegung, der schließlich
ganz Eurasien erfasste, kann man als fortschreitende Eroberung der Welt
durch die Wahrheit bezeichnen." (109) Ferne Zukunftsmusik? - oder ein
baldiges Ereignis. Thurmans Aussasagen hierzu sind widersprüchlich. In
seinem Buch spricht er von einer "Zukunftshoffnung". In
Presseinterviews dagegen gab er bekannt, er werde die Buddhisierung
Amerikas in seiner jetzigen Existenz noch erleben. Sein Freund, der
Hollywood Schauspieler Richard Gere, war 1997 ebenfalls davon überzeugt,
dass sich die Transformation der Welt in eine Buddhokratie plötzlich wie
eine Atomexplosion ereignen werde und dass wir schon bald die
"kritische Masse" erreicht hätten. (Herald Tribune, 20. März,
1997, 6) Ebenso spricht Thurman gerne und oft vom tibetischen Buddhismus
als der "Nuklear Energie des Bewusstseins". (Thurman, 1998, 7)
Die lamaistische Machtelite der kommenden
"Buddhokratie" ist - so der Autor - durch das Inkarnationssystem
im Grunde unsterblich. Sie hat in Tibet schon in der Vergangenheit die
politischen Fäden gesponnen und wird - nach Meinung des Autors - dies in
Zukunft für die gesamte Welt tun: "Wie auch immer die spirituelle
Realität dieser Reinkarnationen ausgesehen haben mag, die gesellschaftlichen
Auswirkungen dieser Art von Führerschaft waren gewaltig. Sie prägten die
aufkeimende Spiritualität der tibetischen Gesellschaft insofern ganz
entscheidend, als der Tod - der normalerweise eine Zäsur für die
Entwicklung jeder Gesellschaft bedeutet - nicht länger eine positive
Entwicklung aufhalten konnte. So wie für jeden Praktizierenden durch die
Einweihungszeremonie und die ausgefeilten Techniken der Visualisierung
Buddha Shakyamuni gegenwärtig werden konnte, so wurden die vervollkommneten
Weisen und Heiligen ihren Schülern, die ja auf ihrem Weg zur Erlösung von
ihren Lehrern abhängig waren, nicht durch den Tod entzogen." (219)
Man kann nur darüber staunen, mit
welcher Unverfrorenheit Thurman in seinem Buch die "Buddhokratie"
der Lamas als die höchste Form der "Demokratie" anpreist; wie er
den tibetischen Buddhismus, der auf einer rituellen Auflösung des
Individuums basiert, als die höchste Entwicklungsstufe des Individuums,
darstellt; wie er den Tantrismus, durch dessen morbide sexualmagische Techniken
weibliche Energien von männlichen Mönchen absorbiert werden, als die
einzige Religion, in der Gott und Göttin gleichberechtigt und ausbalanciert
verehrt werden, herausstellt; wie er die grausamen Kriegsgötter und
Kriegermönche des Schneelandes als Pazifisten verherrlicht; wie er die
mittelalterlich-monastische Gesellschaftsform Tibets als Ausdruck der
Moderne präsentiert und als das einzige Modell für eine globale
Weltgesellschaft anbietet.
TIBET
- EIN LAND DER AUFKLÄRUNG ?
Das alte Tibet mit seiner Klosterkultur war - nach
Thurman - der kosmische Energiekörper, aus dem das aufgeklärte Bewusstsein
auf unserer Welt ausstrahlte. "Unbemerkt von der
Weltöffentlichkeit" - so der Autor - "vollzog sich in den letzten
tausend Jahren der kulturellen Entwicklung Tibets ein kontinuierlicher
Wandlungsprozess in Richtung innerer Fortschrittlichkeit und gleichmütiger
Evolution. Tibet fungierte gewissermaßen als ein im Verborgenen wirkender
Energiequell, mit dessen Hilfe sich die äußere Welt im letzten Jahrtausend allmählich
aufgeklärtem Denken zuwandte. Die Bedeutung, die Tibet aufgrund seiner
besonderen Kultur für die Geschichte und Spiritualität hatte, ist daher
unvergleichlich größer, als man aufgrund seiner vergleichsweise geringen
Bedeutung für die materielle Entwicklung der Welt annehmen könnte."
(213) Nicht das westliche Bürgertum hat sich - nach Thurman Geschichtsbild
- im Kampf gegen die kirchlichen Institutionen seine Freiheiten und
Menschenrechte erkämpft, sondern in den Höhen des Himalaja ist all das
schon von meditierenden Heiligen vorgedacht worden: "Das moderne
Denken, das sich vor nicht allzu langer Zeit in der industrialisierten Welt
durchsetzte, war keine vollkommen neuartige Erscheinung. Modernes [!]
Denken hatte sich viel Tausend Jahre lang in den verschiedenen
buddhistischen Schulen Asiens entwickelt." (242) - Und es floss als
östliche Energiequelle in das Bewusstsein der modernen, abendländischen
Kulturelite.
Das heißt im Klartext, die
meditierenden tibetischen Mönche waren die Mitursache für die europäische
Aufklärung. Eine in der Tat gewagte These, nach der das vom Geisterglauben,
vom Orakelwesen, von Folterkammern, von Frauenunterdrückung und von
menschlichen Überwesen beherrschte Tibet zur Wiege des neuzeitlichen
Rationalismus wird.
Begonnen hat diese aufklärende Ausstrahlung - nach
Thurman - mit dem Lehrgebäude des tibetischen Gelehrten Tsongkhapa und der
Gründung des Gelug-pa Ordens: "Diese gewaltige Freisetzung von Energie
innerhalb eines kurzen Zeitraumes durch Tausende geistig vollkommen befreiter
Menschen war ein Phänomen von planetarischem Ausmaß, vergleichbar einer
riesigen kosmischen Strahlenquelle der Spiritualität, die ihre Leuchtkraft
wellenförmig über den gesamten Globus aussandte." (221)
Entsprechend werden alle großen tibetischen Gelehrten
vergangener Jahrhunderte von Robert Thurman, als bedeutender und
umfassender eingeschätzt als ihre europäischen "Kollegen". Sie
seien "Wissenschaftsheroen" gewesen, "die Quintessenz der
Wissenschaftler in dieser nichtmaterialistischen Zivilisation
(Tibets)." ( zit. b. Lopez, Prisoners of Shangi-La, 81) Als
"Psychonauten" eroberten sie im Gegensatz zu den westlichen
"Astronauten" die inneren Sternenwelten. (zit. b. Lopez, 81) Aber
auch die "Lichter" der modernen europäischen Philosophie wie Hume
und Kant, wie Nietzsche und Wittgenstein, wie Hegel und Heidegger könnten
sich - so spekuliert Thurman weiter - in einem späteren Zeitalter (nachdem
der Buddhismus die Welt erobert hat) als Linienhalter und Emanationen des
Bodhisattvas der Wissenschaft, Manjushri, erweisen. (Lopez, 264) Ex
oriente lux - das gilt jetzt auch für die Wissenschaft des Okzidents.
Diese Vereinnahmung der westlichen
Kulturheroen ist eine Untergrundströmung, die sich durch die gesamte
neobuddhistische Szene zieht. Sie wird nach außen hin durch das
Toleranzgebot des Dalai Lama in der großen Öffentlichkeit strikt geleugnet.
Im Milieu dagegen häufen sich solche Schriften, welche zum Beispiel Jesus
Christus als eine Ausstrahlung des Bodhisattva Avalokiteshavra feiern,
dasselbe Überwesen, welches sich auch im Dalai Lama inkarniert hat. Eine
Gleichsetzung des Tibeters mit dem Nazarener ist ein immer wieder
auftretendes Bild der modernen Mythenbildung.
THURMAN
ALS HOHEPRIESTER DES KALACHKRA TANTRA
Eine weltweite buddhokratische Vision des
tibetischen Buddhismus ist Inhalt des sogenannten Kalachakra Tantra
("Rad der Zeit"). Wir haben dieses zentrale lamaistische Ritual
ausführlich in unserem Buch ("Der Schatten des Dalai Lama")
studiert und kommentiert. Ziel des Kalachakra Tantra ist die
magisch-rituelle Konstruktion eines übermenschlichen Wesens, des ADI
BUDDHA, der seine Herrschaft über das gesamte Universum ausdehnt und zwar
sowohl spirituell als auch politisch, "gleichsam ein mythischer
Welteroberer" (274).
Metapolitisch gesehen ist Robert Thurman damit
beauftragt, die Ideen des Kalachakra Tantra im Westen zu verankern.
Wir haben schon erwähnt, dass der ihm vom XIV Dalai Lama zugewiesene Lehrer
Khen Losang Dondrub war, Abt des Namgyal Klosters, das speziell mit der
Durchführung des Kalachakra Rituals beauftragt ist. In den U.S.A.
stand er in ständigem Kontakt mit dem Kalmükenlama Geshe Wangyal (1901 -
1983).
Lama Wangyal war Robert Thurmans eigentlicher
"Linienguru" und diese Linie führt via Wangyal direkt zum
Altmeister Agvan Dorzhiev (der Guru Lama Wangyals). Der Burjate Dorzhiev,
der Kalmüke Wangyal und der Amerikaner Thurman bilden also eine
Initiationskette. Nach tantrischer Sicht lebt der Geist des Meisters in der
Gestalt des Schülers fort. Man kann deswegen davon ausgehen, dass Thurman
als der "Nachfolger" Dorzhievs eine Emanation der höchst
aggressiven Schutzgottheit Vajrabhairava darstellt, welche sich in
dem Burjaten inkarniert haben soll. Auf jeden Fall muß der Amerikaner mit
der globalen Shambhala Utopie, die das Hauptanliegen für Dorzhievs
Metapolitik war, in Zusammenhang gebracht werden.
Was Thurman darunter versteht, wird am
anschaulichsten durch eine Vision deutlich, die ihm im September 1979 in
einem Traum zuteil wurde, bevor er den XIV Dalai Lama nach 8 Jahren wieder
zum ersten mal sah: "In der Nacht vor seiner Landung in New York
träumte ich, er [der Dalai Lama] manifestiere sich ganz oben auf der Spitze
des Waldorf Astoria im Mandala-Himmelspalast des Kalachakra Buddha. Die
große Schar der Honoratioren - Bürgermeister, Senatoren, Firmenvorstände
und Könige, Scheiche und Sultane, Prominente und Stars -, sie alle wurden
mitgerissen von dem Strudel der 722 tanzenden Gottheiten der drei Gebäude
des Diamantenpalastes und umschwärmten gleichsam wie Bienen im Nadelstreifen
eine riesige Honigwabe. Erstaunlich an dieser Überfülle an ausstrahlender
Kraft und Schönheit des Dalai Lama war für mich, dass ihm alles überhaupt
keine Mühe zu machen schien. Ich spürte gleichsam die Leere im Herzen
seiner Heiligkeit, dem diese Wirkkraft entströmte. Er war gelassen,
gleichmütig, ein wahrer Quell der Unendlichkeit." (31)
Plastischer ist die magische Ausstrahlung des
tibetischen "Gottkönigs" als ADI BUDDHA und Weltenherrscher nicht
zu illustrieren. Er thront als eine Art männliche Bienenkönigin Mitten in
New York und lässt die Großen dieser Welt, die er mit süßem Honig betört
hat, nach seinem Willen tanzen. Bezeichnend, dass hier nicht mehr von
Basisdemokratie die Rede ist, sondern nur noch das Establishment aus
Politik, Wirtschaft und Showbusiness den süßen Bienentanz aufführt. Wer
darüber weiß, welch eminente Bedeutung solchen Träume im tibetischen
Initiationswesen zukommt, der wird in Thurmans Vision ohne weiteres ein
metapolitisches Programm erkennen.
Sein hingebungsvolles Engagement als
lamaistischer Initiierter, seine absolute Loyalität gegenüber dem Dalai
Lama, seine konsequente Vision von einem "Buddha - Paradies" auf
Erden, seine kompromisslose Bejahung der buddhokratischen Staatsform, seine
bis in die eigenen Träume hineinreichende Verflechtung mit der tibetischen
Götterwelt, seine systematische und langjährige Ausbildung durch die
höchsten tibetischen Lamas - all das bezeugt ihn als einen
"Shambhala-Krieger", einen buddhistischen Helden, der dem Mythos
nach , die Errichtung des Königreich Shambhala über unseren Erdkreis
vorbereitet. Dies ist das Ziel des vom Dalai Lama weltweit durchgeführten
Kalachakra Rituals ("Rad der Zeit Ritual"). Thurman hat - wie
berichtet - den Dalai Lama als den höchsten Zeitgott über dem Waldorf
Astoria in New York visionär erblickt. Aber auch hier verschweigt er, dass
der Shambhala Mythos nicht friedlich ist, sondern erst nach einem
Weltkrieg, in dem alle Andersgläubigen (Nicht-Buddhisten) vernichtet
werden, realisiert werden kann.
Vielleicht macht eine solche Perspektive einigen
westlichen Intellektuellen Angst? - Aber nein, keine Ursache, Thurman
beruhigt sie: "Wer hat Angst vorm Dalai Lama? Wer hat Angst vor
Avalokiteshvara? - Kein Tibeter hat Angst..." (Bonner Konferenz) Wie
sollte man auch vor dem höchsten Erleuchtungswesen, das zurzeit über die
Erde wandelt, Angst haben. Er, der alle drei Ebenen in sich verdichtet:
"die des selbstlosen Mönchs, des Königs und des großen Adepten"
(Thurman) bereitet ja (als großer Adept) "die Schaffung einer dem Buddhaversum
vergleichbaren Gesellschaft" (48) vor, auch wenn er sich (als König
und Staatsmann) noch vornehmlich auf die Belange Tibets konzentriert. Denn
"da Tibet eine einzigartige, ganz auf die Erleuchtung ausgerichtete
Kultur besitzt, ist es von entscheidender Bedeutung für die Entwicklung des
spirituellen und sozialen Gleichgewichts in der Welt." (49)
Thurman ist davon überzeugt, dass der Dalai Lama
eine Ausstrahlung des ADI BUDDHA darstellt, der die Welt aus ihrem
Jammertal erlösen kann. Er beschreibt sehr präzise die mikro-makrokosmische
Dimension eines solchen Erlösungswesens in der Gestalt des V Dalai Lama.
Würde die Menschheit die göttliche Präsenz auch hinter dem XIV Dalai Lama
erkennen, dann könnte sie ruhig ihre politischen Geschäfte in dessen Hände
legen, so wie es die Bevölkerung Tibets mit dem "Großen Fünften"
getan hat: "Und dies ist auch gar nicht verwunderlich." - belehrt
Thurman seine Leser - "Stellen Sie sich vor, die Bevölkerung eines
katholischen Landes sähe in einer bestimmten spirituellen Gestalt nicht nur
einen Repräsentanten Gottes, wie etwa den Papst als Statthalter Christi auf
Erden, sondern die tatsächliche Inkarnation des Heilands - oder, sagen wir,
die Inkarnation des Erzengels Gabriel. In einer derartigen Situation läge
es doch nahe, dass die gesamte Nation eines Tages an den Punkt gelangte, wo
sie der Geistlichkeit die Obhut über die Regierungsgeschäfte
anvertraute." (238)
Man braucht nicht mal zwischen den Zeilen zu lesen,
sondern sich nur mit Aufmerksamkeit den Text seines Buches ansehen, um zu
erkennen, dass - für Thurman - der XIV Dalai Lama die Quintessenz
politischer Weisheit und Entscheidungsgewalt für das kommende Millennium
darstellt: Der Autor verweist auf die fünf Prinzipien seines planetarischen
Politprogramms: "Gewaltlosigkeit, Individualismus, Erziehung und
Altruismus. Das fünfte Prinzip, das der universalen Volksherrschaft, ist in
Seiner Heiligkeit, dem Großen Vierzehnten Dalai Lama, selbst
verkörpert." (262) Der tibetische "Gottkönig" als
Inkarnation der universellen Demokratie - ein echtes Bravourstück in
Thurman's "politischer Theologie". Kein Wunder, dass ihm der
"Gottkönig" in seinem Vorwort höchsten Applaus zukommen lässt:
"Ich zolle ihm [Thurman] Lob für seine sorgsame Untersuchung und seine
klaren Ausführungen und lege Ihnen [dem Leser] ans Herz, über seine
Einsichten nachzudenken." (14)
Nach Thurman sind es zweifellos die USA das erste
westliche Land, wo sich die buddhokratische Vision der Lamas durchsetzen
wird: "Beinahe alle Lehrmeister, die die unterschiedlichsten
Richtungen der Bewegung vertreten, scheinen in einem Punkt überein
zustimmen: Wenn es zu einer Renaissance der inneren Wissenschaften der
Erleuchtung kommen soll, muss diese von Amerika ausgehen. Hier hat der
Materialismus extreme Formen angenommen, hier sind die Menschen besonders
desillusioniert angesichts dieses materialistischen Denkens und angesichts
der ausgeprägten Genusssucht des einzelnen, hier steht dem jedoch auch eine
ausgeprägte Hinwendung zum Transzendentalen gegenüber." (263/264) Der Dalai
Lama ("das fünfte Prinzip der universellen Volksherrschaft") als
kommender amerikanischer Präsident? - Aber wenn er stirbt? - Keine Angst,
dank des Inkarnationssystems mag er uns in alle Ewigkeit als Priesterkönig
erhalten bleiben.
ZUR
DEUTSCHEN ÜBERSETZUNG
Auch wenn Thurman die tibetische Geschichte
manipuliert und die Ideale aus der Protestbewegung der 70er und 80er Jahre
für den tibetischen Buddhismus vereinnahmt, so bleibt er (im Gegensatz zu
vielen anderen Tibetologen) immerhin so ehrlich, dass er die
machtpolitischen Absichten des Lamaismus klar benennt und das tut er mit
einer ungeschminkten Sprache. In der deutschen Übersetzung von Dagmar
Ahrens Thiele wird jedoch das Thurman'sche Pathos, welches die englische
Originalausgabe charakterisiert, entschärft, um ja nicht den geringsten
Eindruck aufkommen zu lassen, dass es bei diesem Buch um "coole"
Machtpolitik gehe. Hierzu ein Beispiel: Ein Satz, der die Verbreitung des
Buddhismus in Asien beschreibt, lautet bei Thurman folgendermaßen: "As
a cool-war general, the Buddha sent out his army of monks and nuns to
infiltrate all countries." (S. 103 des Originals) Dagmar Ahrens Thiede
übersetzt: "Als Führer der gleichmütigen Revolution sandte der Buddha
seine Mönche und Nonnen in Scharen aus, um sein Gedankengut in alle Länder
zu tragen." Die richtige Übersetzung gibt ein völlig anderes Bild:
"Als cooler Kriegsgeneral sandte der Buddha seine Armee aus Mönchen
und Nonnen aus, um alle Länder zu infiltrieren." Die Beibehaltung des
Anglismus "cool" im Deutschen ist dabei durchaus notwendig, weil
der Begriff zu einem wichtigen Bestandteil der hiesigen Jugendsprache seit
den 80ern geworden ist und vieldeutiger und auch "powervoller"
ist als das biedere "gleichmütig". Thurman spekuliert aber gerade
auf diesen jugendlichen Elan, wenn er die Welteroberung des Buddhismus als
"coole Revolution" bezeichnet und es ist in der Tat
"cool", was sich Thurman mit seinem Werk geleistet hat.
Thurmans Buch ist ein Oeuvre der
Gegenaufklärung, welches sich die Maske der Aufklärung vorhält, und es
macht einen traurig, dass sich ein Publikationshaus mit der liberalen
Tradition des ECON VERLAGES - wahrscheinlich unbewusst - dieses
Propagandawerk und diese billige Geschichtsfälschung hat unterschieben
lassen, ohne die Inhalte genauer zu überprüfen, und es nicht einmal für
nötig gehalten hat, das Pamphlet durch eine kritische Einleitung zu
relativieren.
© Victor und Victoria Trimondi
"Den
größten Schaden den wir anrichten, betrifft ein paar Teepflanzen"
Robert A. Thurman attackierte unser Buch in einer
Rundfunksendung des ORF/FUNK ("Religion" - 5. April 1999). mit
dem Argument, dass wir die Tantras wörtlich nähmen. Hier sein O-Ton (dt.
Übersetzung):
Natürlich würden wir niemals jemanden
oder etwas töten. Die einzigen Opfer die wir da bringen sind Schalen mit
Tee oder Wein. Den größten Schaden, den wir anrichten, betrifft ein paar
Teepflanzen. Wir reißen die Blätter ab und kochen sie im Wasser. Aber weil
die beiden Autoren nur die Bücher über die Symbole gelesen haben,
missverstehen sie die Sache. In einem symbolischen Text kann z.B. stehen:
" Ich opfere eine Schale Blut", und dann hält man eine Schale mit
Tee in die Höhe. Das Blut symbolisiert die Essenz der Wirklichkeit, es
symbolisiert nichts was irgendwie mit Menschen zu tun hat. Es symbolisiert
die metaphysische Essenz der Dinge, genauso wie Blut die Essenz eines
menschlichen Körpers ist. So stellt man sich vor, das man die Essenz der
Welt opfert wenn man sagt, man opfert eine Schale mit Blut, aber man opfert
nicht Blut sondern Tee, wir sind ja nicht verrückt.
Buddhisten lernen Dinge nicht
buchstäbliche zu verstehen, sondern immer nach einer verborgenen Bedeutung
zu suchen. Wir lernen nicht so sehr auf die vordergründige Bedeutung zu
achten sondern auf die innere Bedeutung. Das ist im Tibetischen sehr
wichtig. Diese Leute dagegen verstehen die Mythen wortwörtlich, ein guter
Buddhist würde überhaupt keine Geschichte wortwörtlich verstehen. Man lehrt
uns nicht, das wir glauben müssen, ohne zu denken. Manche Tibeter mögen die
Mythen ja glauben, aber die meisten von uns lesen die buddhistischen Texte
nicht so wie fundamentalistischen Christen die Bibel lesen, die glauben,
das sie die Bibel beim Wort nehmen müssen. Buddhisten haben ein subtileres
Verständnis.
Weshalb - so fragen wir Thurman -
benutzen die Tantriker bei ihrem Ritualwesen immer wieder Schädel und
Menschknochen und keine Plastiksubstitute? Selbstverständlich hat es
Ritualmeister gegeben, die auch mit realem Blut praktiziert haben, ebenso
wie sie reale menschliche Innereien bei ihren Riten verwertet haben. Viel
wichtiger erscheint uns jedoch drüber zu sprechen, weshalb - wie es Thurman
oben ausdrückt - die "Essenz der Welt" im tantrischen Ritual
geopfert wird. Dieser Ausspruch hat eine tiefe metaphysische Bedeutung,
hinter der sich letztendlich die Lebensfeindlichkeit des tibetischen
Systems verbirgt. Siehe zu dieser Frage: Symbol und
Realität
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