Victor
und Victoria Trimondi
Kommentiertes Resümee des Stern Artikels vom 30. 07. 2009
Die
zwei Gesichter des Dalai Lama
Der
sanfte Tibeter und sein undemokratisches System
Im
Juli 2009 veröffentlichte der deutsche Stern
Magazin als Titelstory einen Artikel über den XIV. Dalai Lama verfasst von
den Stern Reportern Tilman Müller
und Janis Vougioukas. Das Cover zeigt den etwas
skeptisch dreinschauenden Religionsführer unter den dicken Buchstaben eines
herausfordernden Titels: „Die zwei Gesichter des Dalai Lama – Der sanfte
Tibeter und sein undemokratisches System.“ Dieses Heft soll eine der
höchsten Verkaufsauflagen einer Juli/August-Nummern gewesen sein. Allein
das zeigt wie groß das Interesse der Leserinnen und Leser an einem Thema
war, welches für viele völlig überraschend gewesen sein muss, gilt doch der
Dalai Lama im Westen geradezu als eine Ikone und wird der tibetische
Buddhismus als eine Friedensalternative zu den monotheistischen Religionen
wahrgenommen. Der Stern Artikel ist in gewisser Weise
eine freudige Genugtuung nicht nur für uns, da alle von ihm angeführten
Punkten die umfangreichen Recherchen, die wir schon seit 1998 vorgelegt
haben aufgreift und bestätigt, sondern auch für viele um Aufklärung,
offenen Diskurs und korrekte Geschichtswiedergabe bemühte Geister, die sich
gegen den Strom der blinden Tibet-, Dalai Lama- und Lamaismus-Mythisierung
stellen. Wir werden deswegen im Laufe unseres kommentierten Resümees
Vergleiche mit Inhalten aus unseren Büchern Der Schatten des
Dalai Lama – Sexualität, Magie und Politik im tibetischen Buddhismus
(Patmos Verlag 1998), Hitler
Buddha Krishna – eine unheilige Allianz vom Dritten Reich bis heute (Ueberreuter Verlag 2002) und aus unserem Trimondi Online
Magazin machen sowie auf Webseiten und Literatur anderer Autoren und
Autorinnen hinweisen, (die wir im Text wegen einer besseren optischen und
inhaltlichen Klarheit in gesonderten Textparagraphen unter Trimondi Kommentar dem Leser präsentieren werden), um
so die Ausführungen des Stern Artikels
zu vertiefen und zu dokumentieren. Denn die Enthüllungen von Tilman Müller
und Janis Vougioukas sind, auch wenn für Fachkreise
nicht neu, unter Exiltibetern und Anhängern des „lächelnden Mönchs aus dem
Himalaya“ als Provokation verstanden worden, was dem Magazin einige
Protestschreiben bescherte. Allerdings folgten auf die Stern „Provokation“ von tibetischer Seite erneuernde
politische Konsequenzen, wie wir zum Schluss zeigen werden.

Schon
das Editorial des damaligen Chefredakteurs Thomas Osterkorn unter der
Überschrift Die
dunkle Seite des Dalai Lama macht den Lesern und Leserinnen klar, dass
man diesmal nicht die üblichen Dalai Lama Tibet Klischees ausbreiten will.
Osterkorn erzählt, wie das tibetische Oberhaupt wieder einmal Deutschland
besucht und dass er als der „beliebteste Mensch der Welt“ und als „Popstar
der Erleuchtung“ verehrt werde. Millionen „Sinnsuchende aus allen
Kontinenten“ würden in ihm eine „Projektionsfläche“ sehen. Er betont auch,
dass der Stern schon seit
Jahren wohlwollend über das
tibetische Oberhaupt und das schwere Los seines Volkes berichtet und schon
1978 zur Spendenaktion für Flüchtlingskinder aufgerufen hatte, dass die von
den Chinesen unterdrückte tibetische Minderheit unsere Anteilnahme
verdiene, aber „Solidarität darf den Blick auf Probleme nicht verstellen.“
– schreibt Osterkorn und fährt fort: „In unserer Titelgeschichte über die
‚Lichtgestalt mit Schattenseiten‘ beleuchten wir nun die im Westen kaum
bekannten dunklen Facetten des Systems Dalai Lama, der im indischen Exil
nicht gerade demokratisch regiert. Dort müssen kritische Zeitungen
schließen, und andersgläubige Mönche fürchten sich vor Repressionen.“
Weiter
erzählt der Chefredakteur wie der Mitautor der Reportage Janis Vougiuokas der nach Dharamsala
gefahren sei um dort Interviews zu führen von den Gästen angestarrt worden
sei, als er in einem Café ein kritisches Buch über den Dalai Lama las.
Osterkorn fasst die Recherchen seiner beiden Redakteure wie folgt zusammen:
„In Dharamsala wagt kaum jemand ein offenes Wort
über den Gottkönig, den die meisten Tibeter als ihr unfehlbares Oberhaupt
sehen. Doch hinter vorgehaltener Hand äußern inzwischen viele ihre
Unzufriedenheit.”
Trimondi Kommentar: Als Thomas Osterkorn auf
den zweiten Reporter Tilman Müller zu sprechen kommt, sagt er lobend,
Müller komme das Verdienst zu, als erster aufgedeckt zu haben, dass der
enge Dalai Lama Freund, der Bergsteiger Heinrich Harrer, Autor des
Weltbestsellers Sieben Jahre in Tibet,
während der NS-Zeit SS-Oberscharführer war und dass diese Entdeckung im Stern zum ersten Mal veröffentlicht
wurde. Diese Behauptung Osterkorns ist allerdings so nicht ganz korrekt.
Die Investigationsarbeiten im Fall Harrer und die eigentliche Entdeckung
von der Nazi Vergangenheit des Bergsteigers wurden mit viel Mühen und
Aufwand von dem österreichischen Journalisten Gerald Lehner schon lange vor
dem Erscheinen des Harrer Artikels
im Stern durchgeführt und
dann im Mai 1997 im Stern unter
dem Titel „Ein Held mit braunen Flecken“ in Co-Autorenschaft zwischen
Gerald Lehner und Tilman Müller publiziert. 2007 fasste Lehner seine Jahre
langen Recherchen zum Fall Harrer in dem Buch Zwischen
Hitler und Himalaya. Die Gedächtnislücken des Heinrich Harrer zusammen,
das noch ausführlicher die Beziehungen des Dalai Lama zu dem NS-Idol von
seiner Jugend an bis zu Harrers Tod im Jahre 2006 schildert. (Siehe hierzu
den Trimondi Artikel: Der SS-Mann
und Bergsteiger Heinrich Harrer – Mentor des Dalai Lama) Am Ende seines
Editorials kommt Osterkorn dann zu dem Schluss: „Der ‚Ozean der Weisheit‘,
so die Übersetzung für Dalai Lama, hat ganz offenkundig auch ein paar
Untiefen.“ (siehe Originaltext des Stern
Editorials: Die
dunkle Seite des Dalai Lama).
Und
nun zum eigentlichen Stern
Artikel. Dieser beginnt mit der Überschrift. „Lichtgestalt mit
Schattenseiten – Bei seinem Besuch in Deutschland diese Woche wird der
Dalai Lama wieder als Heilsbringer umjubelt. Das Oberhaupt der Tibeter gilt
als Symbol der Toleranz. Doch Kritiker aus seiner Exilgemeinde fordern
vergebens Religionsfreiheit und Demokratie.“ Am Anfang ihrer Story
schildern die beiden Stern
Reportern Müller und Vougioukas wie der Dalai
Lama mit großem Pomp „wie ein Staatspräsident“ mit einer Wagenkolonne seine
Besuche inszeniert, umgeben von Bodyguards. Prominente aus Film und
Wirtschaft „stehen huldvoll Spalier“. Politiker eilen herbei, um ihre
Ehrerbietung zu demonstrieren. Lächelnd winkt der Religionsführer den
Umstehenden zu. Doch während er in Nürnberg im Rathaussaal eine kurze Rede
hielt, da sei den Anwesenden der Atem ausgeblieben als er seinem Publikum
berichtete wie er als Kind, „sehr attraktive“ Bilder gesehen habe, mit
„Generälen und ihren Waffen“, mit „Adolf Hitler und Hermann Göring“. Einige
der Nürnberger Zuschauer seien „peinlich berührt“ und andere „kurzeitig
befremdet“ gewesen. Der Oberbürgermeister von Nürnberg sprach von einer
„Schrecksekunde“. Später berief sich der Ozean der Weisheit darauf, als
Kind habe er unmöglich voraussehen können, was die Nazis alles anstellen
würden. Mit Recht kommentieren an dieser Stelle die beiden Stern Reporter, wenn sich ein Papst
in der geheimen Hauptstadt des Nazi-Reiches einen derartigen Schnitzer
erlaubt hätte, „wäre ein Aufschrei durch die Republik gegangen.“
Dem Dalai Lama habe man aber
sofort seine Entgleisungen verziehen, obgleich er immer wieder mit alten
Nazis aufgetreten sei, an erster Stelle mit Heinrich Harrer. Die Beziehung des
tibetischen Hofstaates zum Nazi-Regime reicht zurück in die Zeit als der
Dalai Lama noch ein vier jähriges Kind war. „SS-Expeditionen wurden in Lhasa mit allen Ehrenbezeigungen empfangen. Von diesen
unrühmlichen Beziehungen hat sich Seine Heiligkeit bis heute nicht klar
distanziert. Und das ist nicht das einzige dunkle Kapitel seiner
Erfolgsgeschichte.“ –konstatieren Tilman Müller und Janis Vougioukas.
Trimondi Kommentar: Mit den vielfachen Kontakten der Tibeter zu den
Nationalsozialisten setzen wir uns ausführlich in dem Artikel Deutsche
Hakenkreuze im Himalaja – Die SS-Tibetexpedition
und ihre Protagonisten auseinander.
Dabei handelt es sich um ein Kapitel aus unserem 2002 erschienenen Buch Hitler Buddha Krishna.
Dort werden auch die Beziehungen des Dalai Lama zu dem Rassenspezialisten
Bruno Beger von der SS-Tibetexpedition
und zu dem chilenischen Diplomaten, Esoteriker und Hitler-Fanatiker Miguel
Serrano untersucht, die beide kurz in der Stern Reportage Erwähnung finden.
Als Gründe, weshalb dem Dalai
Lama seine dubiosen NS-Kontakte nicht angekreidet
werden, nennen die Stern
Redakteure: Er genieße „geradezu gottgleiche Verehrung“, er sei eine
„Über-Ikone der Neuzeit“, obgleich er „am Himalaya wie ein
mittelalterlicher Potentat“ regiere. Verehrt werde er wie „ein Popstar“. Der
Stern habe ihn in einer früheren
Reportage als „Der Heilige auf dem Berg“ gepriesen, der Spiegel schwärmte von einem „Gott
zum Anfassen“. Er sei ein „sanftmütiger Gutmensch“ mit „erstaunlich
intoleranten, ja diktatorischen Zügen“, so weiter Müller und Vougioukas.
Trimondi
Kommentar: 2007
haben wir unter dem Titel Der-Eskapismus-der-Gutmenschen in der Tageszeitung Die Welt einen Artikel veröffentlicht, den wir mit den
folgenden Sätzen einleiteten: „Der Dalai Lama ist zur Popkulturfigur des
Westens geworden. Mit einer Mischung aus Ignoranz und Treuherzigkeit wird
er besonders in Deutschland geradezu angebetet. Eine kritische Betrachtung
des Buddhismus kommt dabei zu kurz.“
Zehntausende, so Müller und Vougiuokas, strömten zu seinen Veranstaltungen, für die
sie Tickets von 10 bis 230 Euro zahlten. Dann liest man Bekenntnisse von
Zuhörern und Zuhörerinnen, die sich von der „Aura“ des tibetischen
Priesterkönigs verzaubern ließen. „Gerade dort, wo der Geist der Aufklärung
seine Wurzeln hat, in Europa und in den USA, rief der buddhistische
Heilsbringer neue Hochburgen seiner Religion ins Leben. Auch in der
Generation der 68er, die sich stets besonders kritisch gab, findet er
Anklang.“ – schreiben die Reporter.
Trimondi Kommentar: Diesen Satz können wir authentisch bestätigen, da
wir als ehemalige 68er, Verleger und Kongressveranstalter dem Dalai Lama in
Deutschland und Österreich durch Publikationen von ihm und über ihn in
unserem damaligen Dianus-Trikont-Verlag
so wie durch mehrere Einladungen zu Großveranstaltungen und Kongressen,
viele Türen geöffnet haben. Und das zu einer Zeit wo er beim
gesellschaftlichen Establishment des Westens und in den Medien noch
keineswegs so populär war wie heute, sondern auf dieselbe Stufe gestellt
wurde wie der skeptisch angesehene indische Sekten-Guru Bhagwan (Osho).
Auch der Stern Artikel spricht davon: Als der spirituelle Popstar im
Juni 1979 am Mont Pèlerin
nahe dem Genfer See, die erste größere öffentliche Unterweisung in Europa
abhielt, kümmerte das kaum einen. „Das Interesse am Dalai Lama war eher
gering, wir konnten nicht einmal Polizeischutz für ihn bekommen.“ –
erinnert sich einer der Organisatoren von damals.
Weshalb
ist der Buddhismus im Westen so attraktiv? fragen Müller und Vougiuokas und bringen die Schlagworte
„Wellness-Religion“, vorgebliche „Gelassenheit im Konkurrenzkampf“,
„Tibet-Romantik“, „Verklärung des Schneelandes“. Dazu hat die amerikanische
Traumfabrik nicht wenig beigetragen wie der Asien-Experte Orville Schell in seinem Buch Virtual
Tibet: Searching for Shangri-La from the Himalayas to Hollywood berichtet.
Er wird in dem Stern Artikel mit folgendem Satz
zitiert: „Weil Tibet immer so unzugänglich war, existierte es in der
westlichen Vorstellung eher als Traum denn als Realität - ein Land, auf das
wir unsere postmodernen Sehnsüchte projizieren konnten.“
Was ist das Geheimnis,
weshalb der Priesterkönig aus dem Himalaya von so vielen Menschen wie ein
Heiliger angehimmelt wird, rätseln die Stern
Autoren weiter und lassen den Dalai Lama selber sein Enigma lüften: „Ich
bin für Sie, was Sie wollen, dass ich für Sie bin.“ Und so wird für den
Bergsteiger Reinhold Messner der Dalai Lama ein „Kämpfer für den
Umweltschutz“. Schauspielerin Uma Thurman, Tochter von Robert Thurman,
dem Sprachrohr des Dalai Lama in den USA, meint zu ihrem bluttriefenden
Gewaltfilm Kill Bill:
„Der Dalai Lama würde sich totlachen“ - wenn er den Streifen ansähe. Müller
und Vougiuokas sind erstaunt darüber, wie selbst
George W. Bush in der Nähe des Dalai Lama friedfertig erscheine und wie in
dessen Anwesenheit der kribbelige Nicolas Sarkozy sanft werde.
Trimondi Kommentar: Ob rechts oder links, ob grün, rot oder schwarz, ob Demokrat oder
Republikaner, ob Jörg Haider oder Joschka Fischer, ob Roland Koch oder
Claudia Roth, alle fühlen sich gerührt und berührt, wenn der „einfache Mönch“
wie so häufig, bei den Begegnungen zart ihre Hand streichelt. Die beiden Stern Autoren haben keine Erklärung
für diese Ergriffenheit, jedenfalls hat das
nichts mit „Realität“ zu tun, sondern zählt zu der Welt der Träume
und Selbsttäuschungen. Man mag es Charisma nennen. Seit einiger Zeit macht
jedoch ein Begriff die Runde, der vielleicht hilft, das Phänomen besser
begreiflich zu machen. Er kommt nicht aus dem religiösen Raum, sondern aus
dem Milieu der Neuen Technologien und nennt sich Reality_Distortion_Field. In fast allen Biographien
des Apple-Gründers Steve Jobs
liest man davon. Ein Softwareentwickler bei Apple erläuterte, was darunter zu
verstehen ist: „Steve hat ein Reality
Distortion Field. In seiner Gegenwart wird
die Wirklichkeit formbar. Er kann jeden von praktisch allem überzeugen.“
Nebenbei gemerkt, hatte Jobs, der selber praktizierender Zen Buddhist war
und der aus der amerikanischen Counter Culture Bewegung kam, diese Technik
der Realitätsverzerrung bei den indischen Gurus gelernt. Es gibt bestimmte
mentale und suggestive Techniken, mit denen ein solches Feld produziert
wird. Auch der Dalai Lama kann ein Reality
Distortion Field hervorrufen und damit sein
Umfeld in der eigenen Wahrnehmung der Realität beeinflussen.
Zurück
zu dem Stern Artikel. Tilman
Müller und Janis Vougiuokas berichten ausführlich
über den Shugden-Konflikt. Die „Shugden“ sind eine Jahrhunderte alte lamaistischen
Schulrichtung, die mit dem Dalai Lama seit Mitte der 90er Jahre auf
Kriegsfuß steht. Die Stern
Reporter haben einige wichtige Shugden-Anhänger
interviewt. Es ist von Machtkämpfen, Intrigen, Rufmorden und
Einschüchterungen die Rede.
„Dorje Shugden“ nennt sich
eine tibetische Orakel Schutzgottheit die im Zentrum des Shugden Kultes steht und deren Verehrung der Dalai
Lama, obgleich selber früher in dem
Kult initiiert, seit über 25 Jahre strikt verbietet, weil Prophezeiungen zu
Folge, sein Leben aus dem Milieu dieser Gottheit bedroht sei. Die Stern Autoren erwähnen auch die
Konkurrenz dieser Gottheit mit dem
Staatsorakel des Dalai Lama, ebenfalls eine Gottheit mit dem Namen Pehar. (Wir haben in unserem Buch Der Schatten des Dalai Lama
(engl. Edition) und in dem Artikel Krieg der Orakel-Götter
diesen absonderlichen Streit, der an Szenen aus einem Fantasy Film
erinnert, detailliert untersucht).
Seit Jahrhunderten werden die Dalai Lamas in religiösen und politischen
Entscheidungsfragen von ihrem Orakel beraten. Auch der heutige Dalai Lama
nimmt die Prophezeiungen, die ein in Trance versetzter Mönch mit einer 40
Kilo schweres Ritualkrone auf dem Kopf in einer Sakralsprache und mit Schaum
vor dem Mund kundtut. Er habe rückblickend festgestellt, „dass das Orakel
noch immer recht hatte“, sagt der Dalai Lama in einer seiner
Autobiographien. Lakonisch kommentieren beiden Stern Reporter dieses Statement mit dem Satz „Demokratie sieht
anders aus.“
Die
Shugden-Anhänger werden pauschal als
Kollaborateure der Chinesen angesehen, heißt es weiter in dem Artikel. Auch
das erscheint den Stern Autoren
als undemokratisch: „Diese Strategie - wer nicht für mich ist, ist gegen
mich oder steht gar auf Seiten meiner Todfeinde - und der rigide Ton passen
so gar nicht zur sanften Art, mit der sich der Übervater im Westen sonst
präsentiert.“ Für viele Tibeter sei „das Verbot unverständlich; für
Außenstehende ist kaum zu begreifen, mit welcher Unerbittlichkeit es
durchgesetzt wird.“ – schreiben sie weiter. Man könne den Shugden-Konflikt jedoch keinesfalls als ein reines
Randproblem abtun. Vor dem Bannspruch des Dalai Lama hätte ein Drittel der
130 000 Exiltibeter dem Kult angehört.
Der
Journalist Beat Regli zeigte erstmals 1998 im Schweizer Fernsehen eine
Dokumentation über den Bruderzwist
zwischen Dalai Lama und Dorje Shugden
mit bewegenden Szenen, die man sich in vier Folgen auf You
Tube ansehen kann. Alte Mönche brechen unter dem Druck der Verfolgungen in
Tränen aus, einem Shugden-Anhänger wurde das Haus
in Brand gesteckt, ihre Geschäfte werden von den Dalai Lama Anhängern
boykottiert. Es geht ein tiefer Riss durch die exiltibetische Community,
den der Westen nicht wahrnehmen will, obgleich die Shugden-Anhänger
bei Dalai Lama Auftritten in Amerika und Europa seit Jahren lautstark
demonstrieren und dabei immer ein Schild hochhalten, auf dem geschrieben
steht: „Dalai Lama, hör auf zu lügen“. Mittlerweile haben sie auf ihrer
Website Dorje Shugden eine große Menge an stichhaltigem Material
zusammengetragen, dass den autokratischen Regierungsstil in Dharamsala, wo der Dalai Lama seine Residenz hat, sehr
deutlich erkennen lässt.
Nach einer Milieu-Schilderung
von Little Lhasa,
wie Dharamsala genannt wird, kommt der Stern Artikel auf die Politik des
Dalai Lama zu sprechen. Das exiltibetische Parlament habe 43 bis 46
Abgeordnete und noch nie sei dort seit mehreren Jahrzehnten eine
Entscheidung getroffen worden, die sich gegen den Dalai Lama richtete.
„Alle haben großes Vertrauen in Seine Heiligkeit.“ – bekannte der
Parlamentspräsident Penpa Tsering.
Von Beginn der exiltibetischen Regierung an wurden wichtige politische Posten
von Familienmitgliedern des Dalai Lama besetzt. „Die politische Struktur in
Little Lhasa
ist vor allem darauf ausgelegt, die Entscheidungen des Dalai Lama zu
bestätigen und seine Macht zu festigen. Parteien spielen keine Rolle. Eine
Trennung von Staat und Kirche sieht die Charta der Exiltibeter nicht vor,
obwohl sie sich mit wohlgesetzten Worten zu den ‚Idealen der Demokratie‘
bekennt.“ – schreiben Tilman Müller und Janis Vougioukas
und bringen weitere Beispiele für die repressive Realpolitik des Dalai Lama.
Zum Beispiel das de facto Verbot der unabhängigen tibetischen Zeitung Mang-Tso
(Demokratie). Anlass hierfür war ein Artikel über den japanischen Doomsday- Guru
Shoko Asahara, den der Dalai Lama noch nach seinen
Terror-Gift Anschlägen in Tokio bei denen mehrere hundert Menschen starben
und zahlreiche verletzt wurden als einen „Freund, wenn auch nicht einen
vollkommenen“ bezeichnete. Erst später nach kritischen Berichterstattungen
in den westlichen Medien distanzierte er sich von ihm.
Erwähnung findet in dem Stern Artikel auch die
mittelalterliche vom Despotismus gekennzeichnete soziale Realität im alten
Tibet. Aufgezählt werden die absolute Herrschaft einer Elite aus Mönchen
und Adeligen, Sklaverei, Leibeigenschaft und Schuldknechtschaft. Eine
brutale Mönchspolizei garantierte die Aufrechterhaltung der monastischen
Diktatur. Die Klöster hatten eigene Gefängniszellen. Müller und Vougioukas zitieren Heinrich Harrer aus seinem Buch Sieben Jahre Tibet: „Die Herrschaft
der Mönche in Tibet ist einmalig und lässt sich nur mit einer strengen
Diktatur vergleichen. Misstrauisch wachen sie über jeden Einfluss von
außen, der ihre Macht gefährden
könnte. Sie sind selbst klug genug, nicht an die Unbegrenztheit
ihrer Kräfte zu glauben, würden aber jeden bestrafen, der Zweifel in dieser
Richtung äußerte.“ – schreibt der „Freund des Dalai Lama“ und erzählt von
einem Mann, der eine goldene Butterlampe aus einem Tempel entwendet hatte.
Zuerst schlug man ihm öffentlich die Hände ab. Dann wurde „sein
verstümmelter Körper lebend in eine nasse Yakhaut
eingenäht. Man ließ die Haut trocknen und warf ihn in die tiefste
Schlucht.“
Trimondi Kommentar: Die eklatanten sozialen Ungerechtigkeiten im Alten Tibet
sind mittlerweile durch ein kaum überschaubares historisches Material der
Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden, so dass selbst die Exiltibeter
und der Dalai Lama heute nicht mehr das seit den 70er Jahren manipulativ
gepflegte Bild von Tibet als einem Paradies auf Erden (Shangri-La)
verbreiten. Wir selber haben noch erlebt wie einer der Brüder des Dalai
Lama und der amerikanische Tibetologe, Dalai Lama
Schüler und Leiter des Tibet Hauses in New York Robert A. E. Thurman
auf der internationalen Tibet Konferenz „Mythos Tibet“ 1997 in Bonn vor
einem großen Publikum unverblümt behaupteten, dass das Alte Tibet sogar das Idealmodell für eine
zukünftige Weltgesellschaft hergebe und daher insbesondere im Westen ein kultureller
Paradigmenwechsel nach tibetischem Vorbild notwendig sei. Auch in seinem
Buch Inner Revolution: Life, Liberty and
the Pursuit of Real Happiness (1998) vertritt Thurman diese Ansichten. 2008 veröffentlichte er das
Buch Why the Dalai
Lama Matters, wo er den Religionsführer als
Vorbild und als Adviser für Präsidenten, Könige,
Gouverneure und Bürgermeister preist. Die Liste solcher haarsträubenden
Selbstmythisierungen ist lang. Als wir 1998 im Der Schatten des Dalai Lama
insbesondere in dem Kapitel Soziale
Realität im alten Tibet unseren Beitrag zur kritischen Aufarbeitung der
Geschichte dieses Landes und des Lamaismus geleistet hatten, wurden wir von
vielen Tibet Dalai Lama Fans der Lüge bezichtigt, als Renegaten beschimpft
oder als China Agenten verleumdet. Ein „Image“ begleitet von einem
ungewöhnlich scharfen feindseligen Gegenwind der Empörung mit dem Kritiker
des Lamaismus und des Dalai Lama Systems, egal welcher Nationalität sie
sind, stets konfrontiert werden. Aber die historischen Fakten lassen sich
nicht mehr retuschieren. Inzwischen sind Dinge ans Tageslicht gekommen, die
sogar uns noch erstaunt haben. Zum Beispiel die erschreckend häufige
Verbreitung von rituell-religiösen Menschenopfern in Tibet von Beginn an
bis hinein ins 20. Jahrhundert. (Siehe dazu: den Tibetologen
Jacob P. Dalton Taming of the Demons:
Violence and Liberation
in Tibetan Buddhism
Yale University Press, 2011) Angesichts der abstoßenden und zutiefst unmenschlichen
Zustände unter der Herrschaft der lamaistischen Buddhokratie
ist die Glorifizierung des Schneelandes eines der merkwürdigsten Phänomene
westlicher Wahrnehmung überhaupt. Obgleich die Tibetologie
und Geschichtswissenschaft aus der Zeit bevor zahlreiche Anhänger des XIV.
Dalai Lama die universitären Lehrstühle der Orientalistik in Europa und
Amerika besetzten sehr klar und ausführlich auf die problematischen
religiösen und gesellschaftspolitischen Felder des Mönchsstaates im
Himalaya aufmerksam gemacht haben (zum Beispiel David Snellgrove,
Indo-Tibetan Buddhism,
Indian Buddhist and their
Tibetan Successor
1987, Melvyn C Goldstein A History of
Modern Tibet 1913–1951: The Demise of the Lamaist State
1989, A. Tom Grundfeld, The Making of Modern Tibet, New York, 1996 und andere),
begannen vom Buddhismus faszinierte „Wissenschaftler“ und Publizisten die
Tatsachen zu verdrehen und bauten ein neue verklärten
Tibet-Dalai-Lama-Lamaismus-Mythos auf, welches mit „akademischer Absegnung“
der Hollywood Walt-Disney-Comic-Traumfabrik Konkurrenz zu machen begann.
Erst in jüngster Zeit und nicht zuletzt unter dem Druck zunehmender Kritik,
änderte sich die Publikationsstrategie der Dalai Lama Anhänger in die
folgende Richtung: das Alte Tibet war schlecht, aber der Lamaismus, der
Dalai Lama und das von ihm prophezeite Neue Tibet sind gut. Übersehen und
kaschiert wird aber bei den einstigen unkritischen Apologeten und jetzt
sich neu definierenden „Kritikern“, dass das Alte Tibet nicht deswegen
„schlecht“ war, weil der soziale Fortschritt und die Aufklärung das Land
noch nicht erreicht hatten, sondern weil die gesellschaftliche Lage die
konsequente Folge der religiösen Grundlagen des lamaistischen Systems war
und ist. Und diese sind im Exil dieselben geblieben. Einschneidende
Reformen in der Doktrin und im Ritualwesen hat es nicht gegeben.
Ein weiterer Punkt, der in
dem Stern Artikel erwähnt wird,
sind die engen Kontakte des XIV. Dalai Lama zum amerikanischen Geheimdienst
CIA. Die beiden älteren Brüder des Religionsführers hatten die Beziehungen
zu den Amerikanern aufgebaut. Eine Guerilla aus tibetischen
Freiheitskämpfern wurde in den USA ausgebildet, Einheiten davon später nach
Tibet eingeflogen und mit Fallschirmen abgesetzt: „Die tibetischen Agenten
schützten den Dalai Lama auch bei seiner Flucht nach Indien, über
Morsegeräte mit Handkurbelantrieb hielten sie Funkkontakt mit der CIA.
Später finanzierten die Amerikaner den Aufbau einer tibetischen
Rebellenarmee im nepalesischen Königreich Mustang.“ – heißt es in dem
Artikel.
Trimondi Kommentar: Obgleich die tibetischen CIA Kontakte schon seit
langer Zeit bekannt waren und wir selber schon 1998 im Der Schatten des Dalai Lama
und in Artikeln darüber geschrieben haben, wurden sie erst 2012 drei Jahre
nach dem Stern Artikel von einer
breiten deutschen Öffentlichkeit wahrgenommen. Auslöser waren ein Bericht
in der Süddeutschen Zeitung und
eine Sendung von Panorama (ARD-TV). Beide Medien brachten die
Information mit gepfefferten Kommentaren: „Heiliger Schein - Der Dalai
Lama, höchster Repräsentant des reinen Pazifismus, wusste wohl doch mehr
vom Treiben der CIA in Tibet, als er bisher zugegeben hat. Nun fallen
gewaltige Schatten auf den Gottkönig.“ – schrieb Deutschlands größte Tageszeitung
(Süddeutsche) und Panorama verwies im Internet mit
folgenden Worten auf seine Sendung: „Der Dalai Lama und die CIA - Pazifist
mit Schattenseiten: Panorama wirft einen Blick auf einen wenig geliebten
Teil der tibetischen Geschichte und fragt: Was ist wirklich dran am Image
des Friedensnobelpreisträgers Dalai Lama?“ Die kritische Berichterstattung
zog weitere Kreise auch in anderen Ländern Europas, wie wir in der Trimondi Online Magazin Dokumentation Der Dalai Lama und
die CIA ausführlich darstellen.
In ihrem Stern Artikel fassen die Autoren zusammen: „Viele Anhänger des Dalai Lama,
die den Buddhismus mehr als esoterischen Kult sehen denn als Religion, sind
erstaunt, wenn sie von der Zusammenarbeit ihres Idols mit dem
amerikanischen Geheimdienst hören. Oder wenn sie erfahren, dass die
Ausbreitung des Buddhismus in Asien ähnlich blutig verlief wie die des
Islam in Arabien oder die christlichen Kreuzzüge. Immer wieder lieferten
sich auch einzelne Klöster in Tibet brutale Kämpfe. Der Buddhismus ist
nicht unbedingt toleranter als andere Religionen.“
Trimondi Kommentar: Für die Kriegsbereitschaft und Aggressivität des
Tibetischen Buddhismus in der Vergangenheit hätte man sich weit mehr Materialien
gewünscht. Wir haben einiges davon in dem Artikel Gewalt, Töten
und gerechte Kriege im Buddhismus
gesammelt. Mittlerweile zerfällt der Mythos von der absoluten
Friedfertigkeit des Buddhismus zunehmend, wie zum Beispiel aus der kürzlich
ausgestrahlten wenn auch etwas zurückhaltend verfassten Sendung des
Deutschlandfunks zu entnehmen ist: Auch Buddhisten
kennen menschliche Konflikte. Viel krasser diesbezüglich setzt sich
eine Titel Story von Time Magazine
mit der Gewalt im Buddhismus auseinander, wo unter dem Titel Das Gesicht des buddhistischen
Terrors über
die Verfolgungen von Muslimen durch Buddhisten in Burma berichtet wird.
Nahe dem Ende des Stern
Artikels werden dann noch die negativen Äußerungen des Dalai Lama zur
Homosexualität und zum Sexualverkehr zwischen Eheleuten erwähnt. Die
Doktrin verbiete es, „mit der eigenen Frau oder einer Partnerin oralen oder
analen Sex zu haben“ – erklärte er in einem Playboy-Interview.
Trimondi Kommentar: Eine besonders amüsante Zusammenfassung von den
Sexual-Anschauungen des Dalai Lama findet man in dem Satire-Video The Pope Vs. The Dalai
Lama. Die Statements des
„einfachen Mönchs“, wie sich der Dalai Lama gerne selber nennt, zur
Sexualität sind umso delikater, da sexuelle Riten Teil des Vajrayana-Tantrismus sind, der die höchste
Einweihungsstufe des Tibetischen Buddhismus darstellt. Darüber berichten
die Stern Autoren nichts. Siehe
hierzu aus The
Shadow of the Dalai Lama
die beiden Kapitel Tantric
Buddhism und The Tantric
Female Sacrifice.
Die okkulten Sexualriten des Lamaismus sind es auch, die in Taiwan zu
Protestaktionen von einheimischen Buddhisten gegen den Dalai Lama und sein
Religionssystem führen. Auf dem Blog Tantrismuskritik,
der englische und auch deutsche Beiträge enthält, ist viel darüber
nachzulesen. Die Parole dieser Taiwan-Buddhisten lautet „Tibetischer
Buddhismus ist kein Buddhismus“. Auch die offizielle irische
Sektenberatungsstelle Dialogue Ireland plädiert dafür, dass der Lamaismus
wegen der geheimen Sexualriten nicht als Religion sondern als Kult
eingestuft werden müsste. Seitdem die schottische Tibetologin
June Campbell wegen sexuellen Missbrauchs Ende der 90er Jahre das System
verließ und ein Buch hierzu veröffentlichte (I was a Tantric
sex slave)
haben sich zunehmend Frauen zu Wort gemeldet und von Missbräuchen
berichtet. Eine intellektuell gewichtige Stimme von ihnen ist die
Amerikanerin Chris Chandler mit ihrem Blog Extibetanbuddhist.
Die jahrelang praktizierende Anhängerin des Lamaismus und beste Kennerin
der Szene diskutiert anhand von authentischem Insider-Material solche
Sujets wie „Der tibetische Buddhismus als ein Kult der
Bewusstseinskontrolle“, „Die neue buddhokratische
Weltordnung“ oder „Tibetische Lamas kollaborieren mit China“. Ihr
eigentliches Schwergewicht liegt jedoch auf dem Thema
„Institutionalisierter sexueller Missbrauch im Tibetischen
Buddhismus“. Bekannt in letzter Zeit
wurde auch der sexuelle Missbrauch von Kindermönchen in tibetischen
Klöstern. Die monastische Päderastie war und ist ein in der Mongolei und
Tibet häufig auftretendes und weit verbreitetes Phänomen, das selbst vor
hohen Lama-Inkarnationen nicht Halt macht, wie in jüngster Zeit aus einem Video des jungen Kalu Rinpoche zu hören
ist: „Als ich neun war starb mein Vater und ich hatte ein sehr schweres
Leben. […] Ich wurde zu verschiedenen Klöstern transportiert und als ich 12
und 13 war, wurde ich sexuell von anderen Mönchen missbraucht. […] Mein
eigener Lehrer versuchte mich zu töten, das ist
die Wahrheit und das zu einer Zeit, wo ich wirklich noch traditionell war.
[…] Sie versuchten mich zu töten, weil ich nicht tun wollte was sie von mir
verlangten.“ Kalu Rinpoche
ist einer der ranghöchsten Lamas der so genannten Kagyü-Schule.
Zum Schluss ihrer Stern Reportage zitieren Tilman
Müller und Janis Vougioukas noch einmal Jamyung Norbu den ehemaligen
Chefredakteur der eingestellten Zeitung Mang-Tso: „Wir haben keine Demokratie. Vieles ist heute
sogar schlechter als 1959. In den alten Tagen gab es drei Zentren der
politischen Gewalt: den Dalai Lama, die Klöster und die Adeligen.“ Heute
sei der Dalai Lama als einzige Führungsperson übrig geblieben.
Trimondi Kommentar: Der Stern
ist ein wichtiges Medium im deutschsprachigen Raum und der Dalai Lama und
seine Entourage nehmen Presseberichte äußerst ernst. Das kennen wir aus
unserer früheren Zeit mit ihm. Ein Beispiel hierfür war auch das Jahr 2013 als in Deutschland kurz vor dem
damaligen Dalai Lama Hannover Besuch
plötzlich in die deutsche Medienlandschaft wegen versuchter Zensur
von tibetischer Seite die Wogen der Empörung hoch gingen. (Siehe hierzu den
Trimondi Artikel Weshalb veruschen die Veranstalter des Dalai Lama Besuiches, den Religionsführer vor Zensurmaßnahmen vor
kritischen Pressefragen zu schützen?)
Die zunehmende Kritik im
Westen wird den Dalai Lama dazu veranlasst haben, 2011 nach außen hin auf
seine Rolle als Staatsoberhaupt zu verzichten und eine dem entsprechende
Verfassungsänderung durchzuführen. Ende April 2011 wurde der Jurist Lobsang
Sangay zum Ministerpräsidenten und damit zum
politischen Oberhaupt der Exil Tibetischen Regierung gewählt. Viele
Kritiker sehen das als einen geschickten Schachzug und sind davon
überzeugt, dass der Religionsführer (oder vielleicht sogar sein
Staatsorakel?) weiterhin alle politischen Entscheidungen trifft. Bei seinen
internationalen Auftritten und seinen politischen Äußerungen zur
Tibet-Frage hat sich jedenfalls überhaupt nichts geändert. Lobsang Sangay läuft hinter dem Dalai Lama her wie ein Schatten
und wird kaum als selbstständige politische Autorität und Staatsmann
wahrgenommen. Unter den Tibetern sind Glaube und Politik immer noch aufs
engste miteinander vermischt, so dass man auch nach der angeblichen
„Demokratisierung“ nicht von einer klaren Trennung von Staat und Religion
sprechen kann.
Zum Beispiel soll Lobsang Sangay (nach Aussage des Tibetologen
Robert Thurman) vom Dalai Lama in das Kalachakra Tantra eingeweiht worden sein. (2011 war er
während der als Spektakel der Superlative inszenierten Kalachakra
Initiation in Washington bei mehreren Dalai Lama Auftritten zu sehen.)
Als Eingeweihter hatte das neue exiltibetische Staatsoberhaupt die strengen
traditionellen rituellen Regeln ebenso wie jeder anderer Teilnehmer zu
befolgen und einen Devotion Schwur gegenüber dem Kalachakra
Meister und Guru zu leisten (in diesem Fall dem Dalai Lama), der von ihm
der Doktrin nach fordert, alles zu tun, was dieser verlangt.
Das Kalachakra-Tantra-Ritual ist eine Mega-Initiation,
die der tibetische Religionsführer jährlich öffentlich und weltweit für
Tausende von Gläubigen durchführt und an der nicht nur Mönche sondern auch
Laien teilnehmen dürfen. Hundertausende von Tibetern und Zehntausende von
Westlern haben mittlerweile im Laufe der letzten Jahrzehnte diese Initiation
empfangen. Ohne jegliche Voraussetzungen kann man bei dem Ritual mitmachen,
mit der Ausnahme, dass die Teilnehmer eine Opferformel und ein Gelübde
sprechen, die sie verpflichten, nicht gegen den Willen des Gurus (im
gegebenen Fall wäre das der Dalai Lama als Kalachakra
Initiation Meister) zu handeln. Der Initiant sagt die Opferformel, die
folgendermaßen beginnt: „Dem Lama, der persönlichen Gottheit, und den drei
Juwelen opfere ich in der Visualisierung meinen Körper, meine Sprache, mein
Bewusstsein und aller Ressourcen von mir selbst und anderen.“ Bei Abnahme
des Schwurs, hält der Guru, beziehungsweise der Dalai Lama, dem Initianten
(oder bei dem Mega-Ritual allen versammelten Teilnehmern) einen Vajra (einen Ritualgegenstand) über dem Kopf und sagt:
„Das ist der Schwur-Vajra. Wenn du über diesen
Vorgang zu irgendeiner Person, die ungeeignet ist, etwas sagst, wird er dir
den Kopf spalten.“ Dann gibt er dem Schüler Ritualwasser zu trinken und
erklärt: „Wenn Du das Gelübde überschreitest, wird dieses Höllen Wasser
brennen.“ Hält er sich jedoch an dem Gelübde dann wird es wie Ambrosia
schmecken. Anschließend spricht der Dalai Lama in seiner Rolle als Kalachakra Meister zu dem Initianten: „Du musst tun,
was ich dir sage. Du sollst mich nicht verhöhnen und wenn du das tust,
wird, ohne dass dich der Schrecken verlässt, die Zeit des Todes kommen und
du wirst in eine Hölle fallen.“ Der Lamaismus kennt zahlreiche Höllenarten,
deren Qualen in Heiligen Texten ausführlich beschrieben werden. Auch wenn
in dem vom Dalai Lama mit verfasstem Ritual-Text zu der Kalachakra
Einweihung zu lesen ist, der Schwur sei hinfällig, wenn der Guru etwas
Irrationales verlange, weiß jeder, der das autokratische tibetische
Guru-System kennt, dass derartige Einschränkungen für Westler gedacht sind.
„Demokratie sieht jedenfalls anders aus“ – könnte man mit den Stern
Reportern Tilman Müller und Janis Vougioukas
sagen. In dem von uns initiierten Kritischen Forum Kalachakra wird zudem ausführlich auf die
kriegerischen und buddhokratisch totalitären
Aspekte des Rituals eingegangen. (1)
Ein
weiteres neues Phänomen seit 2009 waren auch die Selbstverbrennungen von jungen Mönchen in
Tibet. Mit ihrem Selbstmord protestierten sie nicht nur für die Freiheit
ihres Landes, sondern ebenso für die
Rückkehr des Dalai Lama. Auch in diesem Fall hat der Religionsführer eine
äußert zweifelhafte Haltung eingenommen. Zwar gab es kurz vor seinem Deutschlandbesuch
(2013) eine Distanzierung von den „Märtyrer-Aktionen“ in der Wochenzeitung Die Zeit. „Was diese jungen Leute
tun, hilft nicht.“ – sagte der Dalai Lama in einem Interview. Aber Monate
lang zuvor hatte er, trotz internationaler Aufforderungen und obgleich der
Buddhismus nicht nur das Töten sondern auch den Suizid verbietet, die
Selbstverbrennungen keineswegs verurteilt, sondern sogar erklärt, er könne
nichts dazu sagen, um nicht die Familien der Opfer zu beleidigen. Dutzende
junger Mönche kamen so auf schreckliche Weise um. Dabei hätte ein einziges,
klares Wort die Tragik vermeiden lassen, denn der Dalai Lama gilt für seine
tibetischen Anhänger als lebender Gott auf Erden. Erst als die
Verbrennungen keinen Erfolg hatten, den Westen durch die spektakulären
Selbstmorde gegen China zu mobilisieren, sondern im Gegenteil, als die
Kritik daran immer lauter wurde, kam die Distanzierung von Seiten des
Religionsführers. Und danach endeten
die Massen Selbstverbrennungen auf einmal abrupt.
Man
kann dem Stern Magazin nur danken, dass er den Mut hatte
gegen einen gewissen blind apologetischen Medienstrom zu schwimmen,
insbesondere gegen die ungebrochene verklärte Dalai Lama Lamaismus
Lobhudelei des Spiegels Magazin.
Umso bedauerlicher ist es, dass dieses Heft inzwischen sogar aus dem Archiv
der Zeitschrift verschwunden zu sein scheint. Auf der leer erscheinenden
Bestellseite zum Heft wird nur ganz
unten noch in kleiner Schrift auf den Titel hingewiesen: Die-zwei-Gesichter-des-Dalai-Lama. Sollte die Reportage mittlerweile
wieder hineingestellt worden sein, dann können wir Ihnen nur empfehlen,
eine Nummer zu kaufen. Sie hat Raritätenwert!
Wer
sich weiter für kritische Stimmen zum Dalai Lama und zu Tibetischen
Buddhismus interessiert klicke auf die englische Website mit Critical Links.
(1) „To the Lama, personal
deity, and Three Jewels I offer in visualization the body speech and mind
and resources of myself and others.” – “This is your pledge vajra. If you speak about this mode to anyone who is unfit,
it will split you head.” – “If you transgress the pledges, this water of
hell will burn.” – “You must do, what I tell you to do. You should not
deride me and if you do, without forsaking fright, the time of death will
come and you will fall into a hell.” (Dalai Lama and Jeffrey Hopkins - Kalachakra-Tantra
– Rite of Initiation for the Stage of Generation – London 1985, S. 170, 240, 241, 242
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