Der Schatten des Dalai Lama

Sexualität, Magie und Politik im tibetischen Buddhismus

 

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MEDIEN (04)

1. - TATTVA VIVEKA Nr. 11 - Mai 1999 - Berthold Röth

2. - KGS - "Göttliches Paar auf Abwegen" - Peter Michel

3. - ESOTERA - Juni/ 6/99 - "Falsches Feindbild" - Klemens Ludwig


TATTVA VIVEKA Nr. 11 - Mai 1999 - Berthold Röth

Vorweggenommen handelt es sich bei diesem Titel um einer Sensation. Der Name der Autoren ist ein Pseudonym und dahinter verbergen sich Herbert und Mariana Röttgen. Herbert Röttgen war in den 60er Jahren Gründer des Trikont-Verlages und dessen Verlagsprogramm war engagiert politisch und für die radikale Linke ein unverzichtbares Medium zum Aufbau des Widerstandes. In den 70er Jahren wandelte sich der Inhalt radikal. Unter der neuen Verlagsbezeichnung Trikont-Dianus verwandelte sich das Programm in Richtung Ökologie und Spiritualität. Veröffentlicht wurden Bücher der Native Americans (Hopi, Huichols) und ohne Trikont-Dianus hätte es keine Kelten-Renaissance im deutschsprachigen Raum gegeben. Der Einfluss auf die neuen Sucher nach Innerlichkeit und traditionellen Wurzeln war immens. Neben dem Verlagsprogramm wurden wichtige Kongresse organisiert. Ohne Trikont-Dianus wäre wahrscheinlich auch nicht die Beschäftigung mit dem tibetischen Buddhismus so bedeutend geworden, wie sie sich heute darstellt. Röttgen war einer der ersten, der den Dalai Lama zu Veranstaltungen einlud - unvergessen die Veranstaltung zur Frankfurter Buchmesse, wo der Verlag eine Begegnung zwischen dem Dalai Lama und der Hopi-Nation arrangierte.

Seit 1994 hat das Ehepaar Röttgen aber erneut den Kurs gewechselt. Sie sind zu ihrem früheren politischen Selbstverständnis zurückgekehrt und erforschen die Bedeutung der traditionellen Religionen auf kritische Weise. Dabei herausgekommen ist als erstes Werk dieses über 800 Seiten starke Buch über den tibetischen Buddhismus, eine "metaphysische Kriminalgeschichte" wie im Innentext steht. Fundiert und radikal wird die Politik des Dalai Lama als menschenverachtend entlarvt und am Friedensnobelpreisträger keinerlei Sympathie gelassen. Darüber hinaus wird der ganze tibetische Buddhismus akribisch auseinandergenommen.

Überraschend ist das hohe Niveau, auf welchem dieser Angriff stattfindet. Im Gegensatz zu New Age Gegnern wie Roman Schweidlenka oder Jutta Ditfurth ist nichts an der vorgelegten Arbeit "platt" und oberflächlich. Alles ist fundiert recherchiert und nachweisbar. Mir als Rezensenten sträuben sich dennoch die Haare, denn eigentlich müsste Röttgen es nach all den Jahren besser wissen. Vor allem in den Tantras ist es doch selbstverständlich, dass mit Metaphern gearbeitet wird, die nicht wörtlich übertragbar zu nehmen sind.

Es ist nicht möglich, innerhalb dieser Rezension den Vorwürfen begegnen zu können. Um das auf gleichem Niveau zu machen, wäre es notwendig, mindestens ein genau so dickes Werk zu schreiben.

Nur als Beispiel: Röttgen beschreibt die Frauenfeindlichkeit im ursprünglichen Buddhismus (Hinayana), deren Relativierung im darauffolgenden Mahayana bis zur Umkehrung und Frauenanbetung im Tantrayana, wo die ursprüngliche Verachtung in göttinnengleiche Verehrung verwandelt ist. Aufgrund der Wurzeln entlarvt er letztere Stufe als trickreiche Manipulation an der Frau. Das zumindest ist platt, denn nach Röttgen kann keine Entwicklung und Wandlung stattfinden, es muss am Ende auch so sein, wie es am Anfang war. Darauf baut er seine Entlarvung auf. Aber in Wirklichkeit gibt es natürlich in jedem System Wandlung, der Mensch als Wesen ist grundlegend befähigt, aus Fehlern zu lernen und diese zu korrigieren. Würden wir Röttgens These, dass alles natürlich noch so sein muss, wie es am Anfang auch war, ernst nehmen, dann wäre es schlecht bestellt um die Welt. Dann würde alles bleiben, wie es ist, und wir dürften uns auf radikalste Weise an keine Tradition mehr anbinden. Anstatt zurück zu den Wurzeln wäre die neue Devise: Alle Wurzeln abschneiden und noch völlig Neues entwerfen. Eine Herausforderung, die nachdenkenswert bleibt. Vielleicht liegt darin die Wahrheit für ein neues Zeitalter?

Fazit zum Buch: Äusserst lesenswert und umfassend zu allen Aspekten des tibetischen Buddhismus. Kein Werk, das wie die oben genannten "Schweidlenka/Ditfurth" Kampagnen als überflüssig abgeurteilt werden kann. Dennoch: So bitte nicht.

KOMMENTAR:

Zur Frage von "Symbol und Realität" siehe: Buddhismus - Symbol und Realität


Dr. Peter Michel ist Verleger des esoterischen Aquamarin Verlages. Er gilt als ein engagierter Sprecher der New Age Szene. Die anschliessende von ihm verfasste Kritik an unserem Buch wurde als Rundschreiben an zahlreiche Buchläden versendet mit der Aufforderung, unser Buch zu boykottieren.

"Göttliches Paar auf Abwegen" - Peter Michel

Auf den Pfad wilder Spekulationen begaben sich Victor und Victoria Trimondi mit ihrem Buch "Der Schatten des Dalai Lama"

Man fragt sich nach der Lektüre dieses Buches geradezu zwangsläufig, was die Trimondis (alias Herbert und Mariana Röttgen) zum Verfassen dieses "Anti - Dalai - Lama Buches" veranlasst haben mag. War es ein spätes Abrechnen mit der eigenen Vergangenheit, als der Dianus Trikont Verlag, der von Röttgens geleitet wurde, ausgerechnet nach einer großen, sehr kostspieligen Veranstaltung mit dem Dalai Lama in Konkurs ging? War es das Verlangen nach öffentlicher Aufmerksamkeit, nachdem sie jahrelang in der Versenkung verschwunden waren und nur durch äußerst skurrile Seminare über das "göttliche Paar" auf sich aufmerksam machten? Oder war es etwa die finanzielle Verlockung durch einen der Kirche nahestehenden Verlag (Patmos), der naturgemäß sehr daran interessiert sein muss, den äußerst populären Dalai Lama "in den Schatten zu stellen"? Vielleicht ist es eine Kombination der drei Aspekte.

Zum Buch im Einzelnen: Zuerst verdient festgehalten zu werden, dass sich von den voluminösen 816 Seiten nur ca. 200 wirklich mit dem Dalai Lama befassen und der Originalton des Dalai Lama kaum mehr als 20 Seiten beträgt. Der bei weitem überwiegende Teil des Buches kann eher als ein "historischer Tibet Porno" charakterisiert werden. Die Autoren lassen keines, aber auch wirklich kein einziges schwarz-magisches oder sexual-magisches Ritual aus, was Tibets wechselvolle Geschichte über viele Jahrhunderte hervorgebracht hat. Für all dies wird, teils unterschwellig teils offen der Dalai Lama haftbar gemacht. Mit dem gleichen System könnte man dem amtierenden Papst die Folterrituale der Inquisition vorhalten und sagen: Das ist Christentum! Eine billige und perfide Vorgehensweise.

Das Buch enthält derart viele aberwitzige Behauptungen, dass eine kurze Rezension sich auf die abenteuerlichsten Vorwürfe konzentrieren muss. Röttgens lassen sich Seitenweise über tibetische Mönche aus, die sexuelle Beziehungen pflegten, um den Frauen ihre "Gynergie" (ihre spezielle weibliche Kraft) abzuzapfen. Nun wird niemand, der sich mit dem tibetischen Buddhismus auskennt, diese Beziehungen bestreiten, doch was hat dies mit dem Dalai Lama zu tun? Röttgens liefern auf S. 419 die Antwort: "Mit seinen Flirts verzaubert der Kundun (Dalai Lama) die Frauen und trinkt gleichzeitig ihre Gynergie." Man muss sich diese Aussage deutlich ins Bewusstsein rufen. Hier wird nicht weniger behauptet, las dass der Dalai Lama ein sexual-magischer Vampir ist! Ähnlich haarsträubend verläuft Röttgens Interpretation einer wohl leicht pathologischen Amerikanerin, deren wirre Badewannenträume mit dem Dalai Lama sie allen Ernstes als vom Dalai Lama vollzogene sexual-magische Rituale deuten (S. 378 f.). Da sie natürlich keinerlei Belege für das wilde Sexualleben des Dalai Lama anführen können, flüchten sie sich in üble Unterstellungen: "Ob der Kundun selber sexual-magische Praktiken durchführt oder durchgeführt hat, ist ein Geheimnis, das er aus verständlichen gründen nicht preisgibt" (S. 349). Vielleicht existieren diese "Geheimnisse" ohnehin nur in der krankhaften Phantasie der Verfasser?

In der Frage der Wiedergeburt des XVI. Karmapa nahm der Dalai Lama eine Mittlerrolle ein, die allseits als weise und ausgleichend empfunden wurde, mit Ausnahme des auf Konflikt ausgerichteten Shamar Rinpoche. Das hält Röttgens nicht davon ab, dem Dalai Lama die Unterdrückung von Glaubensfreiheit vorzuwerfen (S.19) und sogar zu der ungeheuerlichen Behauptung sich zu versteigen, "der Kundun habe durch magische Praktiken ermordet" (S. 475). Sie gegen diese Aussage zwar als Zitat aus der Tibetan Review aus, aber lassen sie als durchaus mögliche Wahrheit im Text stehen.

Seit längerer Zeit schwelt ein Konflikt zwischen dem Dalai Lama und der äußerst fanatischen "Dorje Shugden Gesellschaft", die der Verehrung einer alten tibetischen Schutzgottheit das Wort redet, von der der Dalai Lama sich aus guten Gründen distanziert hat. Ein in Indien geschehener Ritualmord wurde dieser Gruppierung angelastet, aber nicht bewiesen. Ein willkommener Anlass für Röttgens, um zu spekulieren, "hinter der Tat stünde ein höherer Befehl des Kunduns" (S. 556). Es gibt nahezu keine Gewalttat, die Röttgens nicht bereit wären, dem Dalai Lama zu unterstellen.

Ein besonderes Meisterstück leisten die Autoren dann, wenn sie den Dalai Lama als besonderen Sympathisanten des Faschismus darstellen wollen. Insbesondere gilt dies für seine Freundschaft mit dem Österreicher Heinrich Harrer. Harrer war 1938 der SS beigetreten, vor allem um seine ehrgeizigen Bergsteigerpläne durchführen zu können. Bei Kriegsbeginn geriet er im Himalaja in Gefangenschaft und floh nach Tibet, wo er zum Lehrer des Dalai Lama wurde. Das führt Röttgens zu der Schlussfolgerung: "Es ist sehr wahrscheinlich, dass seine Lehrstunden vom damaligen Zeitgeist, wie er durch Hitlers Deutschland wehte, berührt gewesen sind." (S. 648 - 2. Aufl.) Da es für eine solche unsinnige Behauptung aber nicht den geringsten Beleg gibt, müssen sie sich (vier Zeilen später!) selbst widerlegen: "Dennoch gibt es keine Anhaltspunkte dafür, die Unterrichtsstunden, die der ehemalige SS'ler seinem "göttlichen" Zögling gab, als faschistisch zu bezeichnen."

Diese Einsicht hält Röttgens aber keinesfalls davon ab, permanent den Faschismus Vorwurf zu erneuern. Dafür muss auch eine so merkwürdige Gestalt wie der chilenische Faschist Miguel Serrano herhalten, den sie als "innigen Freund" des Dalai Lama bezeichnen (S. 651), um 14 Seiten später (S. 665) einzuräumen, der Dalai Lama habe Serrano 1959, 1984 und 1992 getroffen. Auf der Basis dieser Logik könnte sich der Rezensent mit mehr Recht als "inniger Freund" des Dalai Lama bezeichnen, da er ihn innerhalb weniger Jahre ebenfalls dreimal traf, darunter zu zwei persönlichen langen Gesprächen. Auf Befragen würde der Dalai Lama aber mit Sicherheit nicht mehr den Namen erinnern. Dieser Fall zeigt auf welchen Grundlagen die Autoren ihr Machwerk der Verleumdung aufgebaut haben! Mit gleichen Methoden rücken sie den Dalai Lama in die Nähe des japanischen Sektenführers Asahara, obwohl sich der Dalai Lama zahllose Male von allen Ereignissen in Tokio distanziert hat.

Des Irrwitzigen ist aber noch nicht Genüge getan. Im Jahre 1996 erschoss der offensichtlich geistig gestörte John E. du Pont auf offener Strasse den amerikanischen Ringer-Olympiassieger David Schultz. Bei seiner Vernehmung gab du Pont an, er sei der Dalai Lama. Das führt Röttgens zu der geradezu unfassbaren Theorie: "Nach tantrisch-magischer Sicht könnte die Tat du Ponts als die nach außen hin projizierte destruktive Energie des Kunduns gedeutet werden. Dem steht die Schizophrenie des Angeklagten keineswegs entgegen." (S. 691) Da fehlt selbst dem Rezensenten die Wahl der Worte, um dies zu kommentieren.

Der deutsche Leser braucht aber gar nicht in die USA zu schauen, denn auch der tragische Selbstmord der Grünen Petra Kelly und Gert Bastian könnte, so Röttgens Überzeugung, der Dalai Lama in seiner Eigenschaft als "Zeitgott Kalachakra" inszeniert haben. (S. 740). Die beiden engagierten Freunde des Dalai Lamas müssen sich noch im Jenseits grün ärgern angesichts solcher aberwitzigen Unterstellungen!

Es mag des Üblen genug sein; und es wäre wünschenswert, wenn sich die am Buddhismus ernsthaft interessierten Leser des Buches enthalten mögen. Sie müssen sich ohnehin nur noch ein wenige gedulden, denn schon bald wird der Dalai Lama, so Röttgens Vermutung auf S. 726, die "buddhistische Weltherrschaft" antreten und vom Potala aus als absoluter Buddhokrat über die Welt herrschen. Möge sich diese Aussage als einzige des Buches wenigstens dahin bewahrheiten, dass der Dalai Lama einmal wieder vom Potala aus ein freies Tibet regieren kann. Die Autoren haben zumindest nichts unversucht gelassen dies zu verhindern.

Dr. Peter Michels


Unser Kommentar:

Nachdem der Dianus - Trikont - Verlag im Jahre 1986 aus finanziellen Gründen geschlossen werden musste, hatten wir durchaus noch ein sehr freundliches Verhältnis zum XIV Dalai Lama und planten mit ihm eine Großveranstaltung in Salzburg. Auch setzten wir damals hohe Erwartungen in den tibetischen Buddhismus, die dann leider nach unserem intensiven Studium dieser östlichen Lehre verflogen sind. Was wir über das skurrile "Göttliche Paar" zu sagen haben, ist im Postskriptum unseres Buches EXPOSÉ 2 unseres Buches unter dem Titel Schöpferische Polarität jenseits des Tantrismus nachzulesen.

Wir haben keine kritische Biographie über den XIV Dalai Lama geschrieben (wie Colin Goldner), sondern die Schattenseiten seiner Religion analysiert. Was wir unter seinem "Schatten" verstehen, wird durch den Untertitel unseres Buches klar. Dieser lautet: "Sexualität, Magie und Politik im tibetischen Buddhismus". So sprechen wir den Dalai Lama nicht nur als Person, sondern vor allem als Institution an, ebenso als einen modernen Politiker wie als den "Oberpriester" eines Jahrhunderte alten Kultes. Wir setzen uns mit der Geschichte seines Landes und mit den rituellen Praktiken seiner Religion auseinander. Er ist der Repräsentant eines - unserer Ansicht nach problematischen - traditionellen Systems und die kulturkritische Analyse dieses Systems ist der Inhalt unserer Studie.

Wenn Michels unser Buch wie einen "historischen Tibet - Porno" gelesen hat, so fällt er damit ein Urteil über den tibetischen Tantrismus und über seine Lesegewohnheiten, nicht aber über uns, die wir die geheimen Praktiken der tantrischen Sexualmagie und ihre Beziehung zur Politik geöffnet, gewissenhaft beschrieben und analysiert haben. Ob der Dalai Lama für die Vergangenheit seines Landes haftbar gemacht werden kann, mag dahingestellt bleiben, es ist ihm jedoch vorzuwerfen, dass er diese Vergangenheit falsch und verschönert darstellt oder verschweigt und dass er sie nicht aufarbeitet, beziehungsweise ihre Aufarbeitung weder veranlasst noch fördert. Über die Inquisition darf nicht gesprochen werden, würde das - übertragen auf den christlichen Raum - bedeuten.

Es kommt jedoch noch etwas hinzu, was die Eigenverantwortung des Dalai Lama größer macht, als die des Papstes. Der tibetische "Gottkönig" beruft sich auf ein Inkarnationssystem, das bei seinen Auftritten im Westen ein mächtiges Symbol darstellt. Damit suggeriert er bei seinen Sympathisanten, er habe schon in den vielen Gestalten seiner Vorgänger die Geschichte bestimmt. Von diesem Muster macht er häufig Gebrauch, insbesondere wenn er sich auf seinen prachtvollen Vorgänger, den V. Dalai Lama beruft. Aber gerade dieser "gelbe Papst" war ein unerbittlicher Despot, der einen grausamen Bürgerkrieg zwischen verschiedenen Mönchsfraktionen mit mongolischer Unterstützung entfesselte. Von ihm stammt folgendes Kriegslied, in dem er fordert, seine Feinde bis ins dritte Glied hinein zu vernichten:

Macht die männlichen Linien zu Bäumen,

deren Wurzeln abgeschnitten werden.

Macht die weiblichen Linien zu Bächen,

die im Winter versiegen.

Macht die Kinder und Enkelkinder zu Eiern,

die gegen Felsen geschleudert werden.

Macht die Diener und Gefolgsleute zu Heuhaufen,

die durch Feuer verzehrt werden.

Macht ihre Wohnsitze zu Lampen, deren Öl verbraucht ist.

Kurz - vernichtet all ihre Spuren, selbst ihre Namen.

Solche martialischen Gesänge der Vorinkarnation eines Friedensnobelpreisträgers bedürfen der Erklärung, insbesondere wenn sich der jetzige Dalai Lama immer wieder den "Grossen Fünften" als sein Vorbild hinstellt.

Bemerkenswert ist Michels nonchalantes Zugeständnis, dass tibetische Mönche sexuelle Beziehungen pflegten, "um den Frauen ihre Gynergie (ihre spezielle weibliche Kraft) abzuzapfen [!]. Nun wird niemand, der sich mit dem tibetischen Buddhismus auskennt, diese Beziehung bestreiten, doch was hat das mit dem Dalai Lama tun?"

Wie steht es nun mit den Flirts des Dalai Lama? Der erotische "Blickkontakt mit Frauen" zählt zu den Formen der sogenannten niederen Tantras (Action Tantra): "It is said that in Action Tantra the desire involved in male and female looking or gazing at each other is used in the path." (Tenzin Gyatso, the Dalai Lama - The Kalachakra Tantra, Rite of Initiation, London, 1985). Nicht nur wir haben diese "Verzauberung" durch den Blick des Gottkönigs festgestellt, sondern das ist unter seinen Zuhörerinnen ein oft erwähntes Phänomen. Auf S. 419 unseres Buches zitieren wir:

Dass der Dalai Lama ständig charmante Augenkontakte mit Frauen aus seiner Zuhörerschaft herstellt, ist schon vielen, die ein Teaching von ihm besucht haben, aufgefallen und wird tatsächlich im Internet diskutiert: "Es ist wohl möglich" - schreibt dort Richard P. Hayes über die "Flirts" des Kunduns -, "dass er bewusst eine Anstrengung macht, den Augenkontakt mit Frauen herzustellen, um deren Selbstbewusstsein und deren Selbstwertgefühl ... aufzubauen. Es ist ebenfalls möglich, dass er unbewusst die Gesichter der Frauen mit seinen Blicken abtastet, weil er sie attraktiv findet. Und es kann auch sein, dass er Frauen attraktiv findet, weil sie irgendwie seinen Anima Komplex auslösen." Hayes hat mit seinem letzten Satz recht, wenn er die weibliche Anima mit der tantrischen Maha Mudra (der "inneren Frau") gleichsetzt. Mit seinen Flirts verzaubert der Kundun die Frauen und trinkt gleichzeitig ihre "Gynergie".

Dass es sich bei solchen Blickkontakten um den "Raub weiblicher Energie" (Gynergie) handeln kann, das ist ein sehr vielschichtiges Thema, das wir in unserem Buch über Hunderte von Seiten diskutieren.

Die "Badewannenträume" einer Dalai Lama Verehrerin werden in unserer tiefenpsychologischen Studie als ein delikates Beispiel für die vielfältigen Obsessionen angeführt, mit denen sich Frauen dem Dalai Lama in ihrer Imagination hingeben. Die in dem geschilderten Traum angesprochene Sexualsymbolik verweist unmittelbar auf die erotische Welt der Tantras. Träume - so müsste der Esoteriker Peter Michels wissen - spielen in der Welt des tibetischen Buddhismus eine hervorragende Rolle, insbesondere wenn in ihnen hohe Lamas auftreten. Sobald diese Träume einen positiven Inhalt haben, werden sie auch ganz selbstverständlich als "Einweihungserlebnisse" klassifiziert, wie das die genannte und in Amerika sehr geschätzte Autorin auch tut. Sobald solche Ereignisse jedoch einen negativen oder peinlichen Aspekt aufweisen, greifen Esoteriker wie Michels zu einer vorfreudianischen, rationalistischen Weltsicht und qualifizieren solche Träume als lächerliche Spinnereien neurotischer Frauen ab.

In der Karmapa Affäre stehen sich durchaus verschiedene Fronten gegenüber, so dass man wohl kaum davon reden kann, dass die Entscheidung des Dalai Lama "allseits als weise und ausgleichend empfunden wurde". Der Mordvorwurf an den Dalai Lama kommt aus Kagyüpa Kreisen und nicht von uns (siehe S. 474 unseres Buches) Ebenso sind nicht wir es, sondern Shugden Anhänger, von denen die Vermutung ausgesprochen wurde, die Morde an drei Mönchen seien von höchster Stelle befohlen worden, um ihre Sekte anschließend damit zu belasten. Wir haben bei diesen innertibetischen Auseinandersetzungen keineswegs für die eine oder andere Seite Stellung bezogen, sondern nur aufgezeigt, mit welch unerbittlichen Mitteln zwischen Buddhisten, die Mitgefühl und Friedfertigkeit als die höchsten Tugenden fordern, gestritten wird.

Die Begegnungen des Dalai Lama mit Nationalsozialisten und mit Shoko Asahara haben wir zwar erwähnt aber daraus nicht gefolgert, er sei durch sie faschistisch beeinflusst worden. Dass der ehemalige SS'ler Heinrich Harrer Ende der 40er Jahre nicht unbedingt von demokratischen Vorstellungen geprägt war, ist naheliegend. Dieser Meinung war zumindest der damalige englische Gesandte Hugh Richardson in Lhasa, der den - wie wir zitieren - Kontakt zum Dalai Lama nicht gerne sah. Aber ein faschistischen Einfluss können wir - wie uns Michels auch richtig zitiert - nicht nachweisen.

Für uns war es viel wichtiger zu zeigen, dass die tantrischen Techniken und dass der Shambhala Mythos eine faszinierende Ausstrahlungskraft auf Faschisten gehabt hat, ins besondere auf den Chilenen Miguel Serrano und seinen "esoterischen Hitlerismus". Wir haben ebenso ausführlich nachgewiesen, wie der Giftgasguru Shoko Asahara sein religiöses System aus wesentlichen Bestandteilen des tibetischen Buddhismus konstruiert hat. Das sind zwei Beispiele, die diese Glaubensrichtung - unserer Ansicht nach - so gefährlich machen und die deswegen eine offene Diskussion verlangen. Der Dalai Lama muss seine Kulte und Mythen genauestens definieren, damit solche angeblichen "Missbräuche" nicht möglich sind. Zum Buddhismus (Lamaismus) und Faschismus siehe dort.

Der von in einer Fußnote erwähnte Fall des Industriellen Du Pont, der sich in einer Wahnvorstellung als der Dalai Lama ausgab, und dann einen Mord beging, wird von uns unter einem tiefenpsychologischen Aspekt diskutiert. Durch diesen Fall wollen wir zeigen, dass sich Du Pont und sein Unterbewusstein mit dem Dalai Lama als einem destruktiven Charakter identifiziert. Das ist etwas sehr Eigenartiges bei dem friedfertigen Image, welches der Hierarch hier im Westen hat. Es entspricht jedoch der in seiner Religion verankerten Vorstellung, dass jedes Buddhawesen seinen negativen, zornvollen Aspekt aufweist. Wenn es um "Güte" geht, dann wird der Dalai Lama immer wieder als die Ursache dieser Güte, die sich von ihm nach außen hin ausbreite, gefeiert. Der tibetische Buddhismus hat einen eigenen Begriff dafür, nämlich den des "Ausstrahlungskörpers". Geht es jedoch um negative Phänomene, welche im Umfeld des Dalai Lama auftreten, dann wird das Szenario wieder ganz normal, der Dalai Lama ist ein simpler und vergesslicher Mönch und Mensch, der durch die vielen Audienzen, die er täglich durchzuführen hat, gar nicht mehr wissen kann, mit wem er überhaupt kommuniziert.

Es gibt Hunderte von Menschen, die berichten, dass sie, nachdem sie ihm begegnet sind, dies als eine Schicksalsstunde erfahren hätten. Zu ihnen zählten auch Petra Kelly und Gerd Bastians. Wir haben jedoch nirgends behauptet, der Dalai Lama habe Petra Kelly und Gerd Bastians umgebracht, sondern wir haben gezeigt, dass, wenn man den Tod dieses Paares mit dem tantrischen Muster in Zusammenhang bringt, das heißt, wenn man die Ereignisse aus dem magischen Weltbild des tibetischen Tantrismus heraus interpretiert, dann können sie als ein "symbolisches Opfer" angesehen werden. Wir diskutieren also in diesem Fall nicht unsere Sicht, sondern die Konsequenzen der magisch tantrischen Weltsicht, nach der alles mit allem zusammenhängt.

Von dieser ganzheitlichen Philosophie und von diesem Interdependenzdenken machen die Lamas ansonsten ausgiebig Gebrauch und setzen dieses Paradigma, wenn es sich als positiv für sie erweist, immer wieder ein. Zum Beispiel: Nachdem der Dalai Lama an der Berliner Mauer gebetet hatte, kam es als Folge davon - wir zitieren hier den Text eines westlichen Buddhisten - zur Wiedervereinigung; als er ein Kalachakra Ritual durchführte, starb Mao Tsetung; als er letztes Jahr in Norddeutschland auftrat, erhoben sich Sturmböen, die die Erneuerung des Geistes symbolisierten (Neue Züricher Zeitung). Es wird also von buddhistischen Kreisen und selbst von der westlichen Presse eine Einwirkung der Rituale auf Politik und Wetter suggeriert.

So gibt es auch Hunderte von Personen, welche ihre Begegnung mit dem Dalai Lama als eine "Initiation" erfahren haben, und die immer wieder betonen, es sei kein "Zufall" sondern eine "höhere Fügung" gewesen, dass er mit ihnen gesprochen und sie angelächelt habe. Eine solche Ausschaltung des "Zufalls" zählt zur esoterischen Grundhaltung buddhisierter Westler ebenso wie gläubiger Tibeter. Falls jedoch die Begegnungen des Gottkönigs mit Personen negativer Natur sind - wie im Falle Shoko Asahara oder wie im Falle der Nationalsozialisten, die den Dalai Lama getroffen haben, oder auch wenn Verehrern des Dalai Lama, wie Petra Kelly und Gert Bastian, etwas Schreckliches zustößt, dann wird all das als "reiner Zufall" interpretiert und es gibt jetzt keine ganzheitlichen und magischen Bezüge mehr. Solche "grausamen" Ereignisse haben aber in der Schattenseite des tibetischen Buddhismus, die bevölkert ist mit Schreckensgöttern und in denen extreme Riten vollzogen werden, durchaus ihre Entsprechungen.

Zur Buddhokratie und Weltenherrschaft siehe dort!

Michels Kritik und sein Boykottaufruf zeigen mit welcher Billigkeit vorgegangen wird, um unser Buch als "historischen Tibet Porno" zu abzuqualifizieren, damit jegliche Debatte über den tibetischen Buddhismus verhindert wird. Die Berner Zeitung vom 8. Mai setzt sich mit dem Motiv von Michels Boykottrundschreiben an die esoterischen Buchhandlungen auseinander. Dort ist zu lesen: "Dass Michels Esoterik Verlag kein Interesse an der Dalai Lama Kritik hat, ist allerdings einleuchtend: Erst letzten September gab Michel den 'Pfad des Mitgefühls' heraus, ein Buch, welches dem 'Gottkönig' die hinlänglich bekannte Aura verleiht."


ESOTERA - Juni/ 6/99 - "Falsches Feindbild" - Klemens Ludwig

Klemens Ludwig ist der Vorsitzende der "Tibet Initiative Deutschland" (TID) und organisierte zusammen mit der Friedrich Naumann Stiftung die Veranstaltung Neues Feindbild Dalai Lama? am 26. März 1999 in Hamburg.

Die Kampagne gegen den Dalai Lama

Falsches Feindbild

Die Motivation ist unklar, die Mittel sind perfide: Ein angebliches Enthüllungsbuch versucht den Lesern weis zu machen, der Dalai Lama vertrete eine faschistische, schwarzmagische Religion.

Das Oberhaupt der Tibeter, der Dalai Lama, gilt als eine der bedeutendsten moralischen Instanzen der Welt. Seinen Nimbus und seine Ausstrahlung erreichen nur wenige, und selbst für Prominente ist es etwas Besonderes, mit ihm zusammenzutreffen.

Neuerdings mehren sich indes die Versuche, dieses Bild in Frage zu stellen. Zwar hat es vor allem in dogmatisch- linken Kreisen schon immer Vorbehalte gegen eine Persönlichkeit gegeben, die weltliche und geistige Macht vereint - so bezeichnete ihn der frühere Grüne und spätere PDS Abgeordnete Ulrich Briefs 1989 als "theokratischen" Despoten -, doch derartige Stimmen verhallten zumeist ungehört.

"Aufklärung ohne Sachkenntnis"

Die heutige Kritik findet in der Öffentlichkeit erheblich mehr Gehör. Den Anfang hatte Fernsehmoderator Ulrich Wickert gemacht: Durch seinen Vater, den langjährigen deutschen Botschafter in China und Publizisten Erwin Wickert, ein enger Freund Pekings, stand ihm Tibet schon früh offen. Und er sah es in erster Linie durch die Brille seines Vaters; wie viele Kritiker setzte er das alte Tibet mit dem Dalai Lama gleich. Als dann die populären Hollywood-Filme über Tibet anliefen, kommentierte er in den "Tagesthemen", der Dalai Lama repräsentiere eine Kultur, "die aus einer Religion hervorgeht, die noch viel brutaler war (Anm.: als die chinesische Besetzung) und die Menschen in Tibet wie in der schlimmsten Diktatur unterdrückte.

Damit hatte Wickert wenig Sachkenntnis dokumentiert. Zwar ist auch unter Tibetern unbestritten, dass im alten Tibet vieles im Argen lag, doch gerade der Dalai Lama ist ein Garant für die Veränderung der alten Strukturen. Schon unter dem 13. Dalai Lama, dem Vorgänger der jetzigen Inkarnation, hatten Reformkräfte breite Unterstützung gefunden. Zudem ergriff er konkret Partei für manche Bauern, die von Äbten oder Adeligen ausgebeutet wurden.

Mangelndes Wissen über den Dalai Lama und seine Rolle im alten Tibet oder im Exil war auch weiterhin kein Hindernis, an seinem Image zu kratzen. Auf Wickert folgten die Fernsehmagazine "Panorama" (NDR) und "Zehn vor Zehn" (Schweizer Fernsehen). Sie warfen dem tibetischen Oberhaupt religiöse Intoleranz vor, weil er sich gegen die Verehrung des Shugden Geistes wendet, den er für gefährlich hält. In diesen Fernsehbeiträgen wurde sogar behauptet, er praktiziere in den Exilgemeinden das, was er China in Bezug auf Tibet vorwerfe. Dalai Lama also gleich Li Peng?

Die bislang schärfste Kritik kommt von einem Autorenpaar, das jahrelang zu den Bewunderern des Friedensnobelpreisträgers gezählt hat. Herbert und Mariana Röttgen haben vor kurzem im katholischen Patmos Verlag ein über 800 Seiten langes Werk mit dem Titel "Der Schatten des Dalai Lama - Sexualität, Magie und Politik im tibetischen Buddhismus" veröffentlicht. Danach wird der vermeintlich friedfertige Buddhismus im Westen völlig verkannt: In Wirklichkeit bestehe dessen Grundlage aus Geisterglaube und Sexualmagie, aus politischem und rituellem Mord, aus Kriegsideologien und Folter, aus Menschen Verachtung und tiefer Frauenfeindlichkeit. Mit ausführlichen Darstellungen von angeblich schwarzmagisch- sexuellen Praktiken sollen diese Thesen untermauert werden. Allzu oft wirken die Details jedoch ausgesprochen voyeuristisch, und man fragt sich, ob sie wirklich der Aufklärung dienen.

Um den Dalai Lama mit diesen Praktiken in Verbindung zu bringen, ist den Autoren keine Spekulation zu perfide: "Ob der Kundun (Anm.: wörtlich übersetzt, 'Anwesenheit des Buddha', eine Respektbezeichnung für den Dalai Lama) selber sexualmagische Praktiken durchführt oder durchgeführt hat, ist ein Geheimnis, dass er aus verständlichen Gründen nicht preisgibt. Nur an Randbemerkungen lässt sich ablesen, dass der Dalai Lama über die Konsequenzen, die aus den tantrischen Riten folgen, genauestens informiert ist.... Mit einem etwas anzüglichen Lächeln klärte er die anwesenden westlichen Wissenschaftler über die verschiedenen Typologien der Mudras auf: 'In der tantrischen Literatur werden vier Arten von Frauen oder Gefährtinnen beschrieben: Die Lotus-artige, die Reh-artige, die Muschel-artige und die Elfanten- artige.' - Dann witzelte er - "Wenn diese Einteilung aus Tibet stammte (anstatt aus Indien), dann hätte man sie Yak-artige genannt. Diese Unterscheidungen' - fuhr der Zölibatär mit genauer Kenntnis fort, - 'haben in erster Linie etwas mit der Form der Genitalien zu tun.'" (S. 349 ff.)

Streben nach Weltherrschaft?

So geht es über Seiten und Kapitel. Da dem Dalai Lama keine konkreten Sex-Affären angehängt werden können, werden irgendwelche Äußerungen ohne Zusammenhang zitiert, um eine der Kernthesen des Buches zu belegen: Im tibetischen Buddhismus bedienten sich die Männer der Sexualenergie der Frauen. Und der Dalai Lama sei Teil des Systems.

Die andere Kernthese ist politischer Art: Der tibetischen Buddhismus strebe die Weltherrschaft an und bereite sich dabei für das Jahr 2327 auf einen Endkampf mit dem Islam vor. Ausgangspunkt für diese Pläne sei China, doch da die Volksrepublik dafür nicht herangezogen werden kann, muss Taiwan herhalten: "Seit gut fünf Jahren hat er (Anm.: der Dalai Lama) den Schwerpunkt seiner missionarischen Arbeit auf Taiwan gelegt... Taiwan, das früher oder später ins Mutterland heimkehrt, gilt als das Sprungbrett, von dem aus die tibetischen Mönche und der von ihnen ordinierte nationalchinesische Nachwuchs in das chinesische Kulturgefüge eindringen können. Der Westen und die Weltgemeinschaft sollten sich deswegen ernste Gedanken darüber machen, ob eine Verbreitung der lamaistischen Religion in China wirklich im Interesse des globalen Friedens liegt, oder ob nicht dadurch die zur Zeit mehr oder weniger schöne politische Wetterlage im 'Reich der Mitte' in einen pan-asiatischen Sturm verwandelt werden könnte." (S. 788f.)

Derartige Großmachtambitionen in verschwörungstheoretischer Manier einer Kultur zu unterstellen, die an der Schwelle ihrer Vernichtung steht, erscheint mehr als zynisch. Untermauert werden die Theorien mit ausführlichen Abhandlungen über die angeblichen Kontakte des Dalai Lama zu Rechtsextremen, Kriegstreibern und dem japanischen Sektenführer Shoko Asahara, der durch seine Giftgasanschläge in Tokio traurige Berühmtheit erlangt hat, er geistert ständig als "Dalai Lama Vertrauter" durch die einschlägigen Veröffentlichungen. Die Wirklichkeit ist viel banaler: Der Dalai Lama hat Shoko Asahara in den 80er Jahren zweimal getroffen. Asahara hat sich ihm als japanischer Buddhist vorgestellt und damit sein Interesse geweckt. Zudem unterstützten dessen Anhänger die sozialen Belange der Flüchtlingsgemeinde in Indien. Der Dalai Lama ging jedoch rasch auf Distanz zu Asahara, als er erkannt hatte, dass jener den Kotakt nur im Interesse seiner eigenen Popularität in Japan benutzte. Und der Kontakt war lange vor Asaharas terroristischen Aktivitäten beendet, was jedoch nicht in das Bild der Röttgens und anderer passt.

In beiden Punkten, der vermeintlichen Ausbeutung der Frau durch tantrische Rituale sowie dem angeblichen Kampf um die Weltenherrschaft, begeht das Autorenpaar denselben Denkfehler. Es zitiert zum Teil über tausend Jahre alte Texte, die symbolisch gemeint waren oder sind, und leitet daraus konkrete Handlungsanweisungen ab. Die Texte benutzen Bilder aus der materiellen Welt wie kriegerische Schlachten oder sexuelle Praktiken, um damit metaphysische Vorgänge greifbar zu machen. In Wirklichkeit geht es dabei um den Kampf von Gut und Böse, den jeder für sich ausfechten muss, oder um die Vereinigung von Liebe und Weisheit als höchster Stufe des menschlichen Strebens.

Obwohl die Autoren das offenkundig nicht verstanden haben, dokumentieren sie ein erstaunliches Selbstbewusstsein. Sie schrieben nämlich unter dem Pseudonym Victor und Victoria Trimondi. Das heißt "Herrscher (oder Sieger) über die drei Welten" und ist der Titel eines Buddha.

Kurz nach den Röttgens erschien ein weiteres Anti Dalai Lama Buch von der ehemaligen Grünen Jutta Ditfurth und dem Psychologen Colin Goldner. Sie gehören seit Jahren zur Speerspitze derer, die gegen den Dalai Lama agitieren, sind dabei jedoch kaum über den Wirkungsgrad des eingangs zitierten PDS Mannes Ulrich Briefs hinausgekommen. Das gelingt ihnen auch mit ihrem neuen Buch nicht, denn es ist nur eine Zusammenstellung von Altbekanntem: Der Dalai Lama und die rechtsradikalen, die Antisemiten, die CIA, Asahara usw.

Gefährdeter Freiheitskampf

Was aber steht hinter diesen Publikationen? Ist es nur das Geltungsbedürfnis einzelner Autoren, die mit einem Anti-Dala-Lama-Buch mehr Aufsehen erregen als mit einer fairen Darstellung? Ist es eine normale Reaktion auf die weltweite Verehrung? Sind es die linken Vorurteile gegen eine Verbindung von geistlicher und politischer Macht? Herbert Röttgen kommt jedenfalls aus der maoistischen Szene: Er war in den späten 60er Jahren Aktivist einer Organisation "Die Arbeitersache", die in Mao das Heil der Menschheit sah. Was immer die persönliche Motivation sein mag, die Folgen bringt der langjährige Privatsekretär des Dalai Lama, Kelsang Gyaltsen, auf den Punkt: "Das Symbol des tibetischen Freiheitskampfes, das Symbol der Hoffnung aller Tibeter in Tibet und im Exil ist Seine Heiligkeit der Dalai Lama. Wenn man den Dalai Lama denunziert und schlecht macht, dann hat der tibetische Freiheitskampf keinen Träger mehr."


Schon vor dem Erscheinen unseres Buches hatte Klemens Ludwig an den Patmos Verlag folgenden Brief geschrieben. 17. Dezember 1998

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Gern nehmen wir Ihr Angebot vom 30. November an und bestellen Satzfahnen und Rezensionsexemplare vom "Der Schatten des Dalai Lama". Wir können die Enthüllungen kaum abwarten, und um uns nicht in Ungeduld zu verzehren, wollen wir uns auch schon mal darin üben. Wetten, dass sich hinter den "Trimondis" Jutta Ditfurth und Colin Goldner verstecken? Und dass der "gute Grund" für das Pseudonym weniger die Angst vor Anschlägen fanatischer Lamaisten ist, als ein netter publizistischer PR-Gag, damit nicht schon vor Erscheinen das ganz große Gähnen anbricht angesichts des ca. 128 Versuchs (ich habe beim Zählen ein wenig den Überblick verloren) von Ditfurth/Goldner, den Dalai Lama mit immer denselben Argumenten zu attackieren.

In diesem Sinne mit aufklärerischen Grüssen

Klemens Ludwig/ Vorsitzender der TID

Siehe zu Klemens Ludwig: Friedrich Naumann Stiftung


Offener Brief an den Herausgeber von ESOTERA - Gert Geisler

Sehr geehrter Herr Geisler!

Es ist mir (Herbert Röttgen/Victor Trimondi) nicht bekannt, wer oder was Sie dazu veranlasst hat, die Rezension unseres Buches "Der Schatten des Dalai Lama - Sexualität, Magie und Politik im tibetischen Buddhismus" (Esotera 6/ 1999) in die Hände von Herrn Klemens Ludwig zu legen. In seiner Kritik wird unsere 800 Seiten starke Arbeit, die in einem seriösen Verlag (Patmos) erschienen ist, als reines "Voyeurtum" abgekanzelt und ich werde als "Maoist", der die Interessen der Chinesen gegenüber den Tibetern und die der katholischen Kirche gegenüber dem Lamaismus vertritt, denunziert. Das ist wirklich eine journalistische Glanzleistung der Unterstellung und der Verleumdung!

Sie, Herr Geisler, wissen sehr wohl um meine Vergangenheit, denn Sie und Ihre Zeitschrift verdanken meiner Arbeit als Verleger des Dianus-Trikont-Verlages sehr viel. Oder haben Sie das völlig vergessen? Waren es nicht ganz wesentlich meine Autoren, die dabei geholfen haben, Ihrem Magazin eine intellektuelle, niveauvolle und vielseitige Ausrichtung zu geben? Was ist mit David Bohm, Morris Berman, Rupert Sheldrake, Francisco Varela, Fritjof Capra, David Steindl Rast, Bill Thompson, Robert Muller und vielen anderen? Stand diese intellektuelle "Elite" der New Age Bewegung nicht zuerst durch ihre Publikationen und meine persönlichen Beziehungen in engem Kontakt mit dem Dianus- Trikont - Verlag und seinem Umfeld? Selbst die Schamanen, denen Sie bis heute unzählige Artikel gewidmet haben (allen voran Rolling Thunder), wurden einer breiten Öffentlichkeit zuerst durch unser Haus (und nicht durch den Bauer Verlag) bekannt gemacht, bevor sie dann in Ihrer Zeitschrift eine zweite Heimat gefunden haben. Sicher haben Sie ebenfalls vergessen, dass der Dianus- Trikont-Verlag für den ersten Schamanenkongress in Alpbach die Öffentlichkeitsarbeit durchgeführt hat und wir damals Ihr Ansprechpartner gewesen sind!

Selbst die grossen und viel beachteten Veranstaltungen, die wir in den 80ern mit dem Dalai Lama organisiert haben ("Das Gleichgewicht der Erde" - Treffen mit den Hopiindianern auf der Frankfurter Buchmesse, 1982/ "Andere Wirklichkeiten" - in Alpbach, 1984/ "Raum und Zeit" - am Fusse der Zugspitze, 1986) waren journalistische Highlights in Ihrer Berichterstattung. Dazu kamen der erste Geomantie- und der erste Keltenkongress in Österreich, der Kongress Metapolitik in München (1985) und die grosse New Age Pressekonferenz auf der Frankfurter Buchmesse (1985) und vieles mehr.

Sie verdanken es, sehr geehrter Herr Geisler, ganz entscheidend dem Dianus-Trikont-Verlag , seinen Autoren und mir als risikofreudigem Verleger und Vordenker, dass Sie aus einem Uri Geller- und okkulten Randmagazin zu einer der führenden deutschsprachigen Esoterik- Zeitschriften geworden sind!

Wenn man jedoch Ihrem Rezensenten Klemens Ludwig Glauben schenken soll, verdanken Sie all das einem "voyeuristischen Maoisten". Waren Sie nicht selber damals voll des Lobes, weil ich aus der "materialistischen" Welt der Linken herausgetreten bin und unter größten Attacken in der Presse meinem Verlag eine "spirituelle" Ausrichtung gegeben habe, ohne viele wertvolle "bewussteins-revolutionäre" Elemente der Protestbewegung der 68er aufzukündigen. Zu letzterem wären Sie aufgrund der stockkonservativen und risikoscheuen Ausrichtung des Bauer-Verlages gar nicht in der Lage gewesen.

Die Rezension unseres Buches in Ihrem Magazin zeigt, wie Recht wir mit unserer Kritik am tibetischen System haben: Es scheut die Auseinandersetzung, es arbeitet mit pauschalen Verleumdungen und versucht jegliche Kritik abzuwürgen und nicht durch Argumente und durch Beweise zu widerlegen. Als ein Gegenbeispiel legen wir Ihnen die Rezension aus einer anderen Esoterik Zeitschrift (Tattva Viveka) bei, die meiner Rolle als Verleger und auch unserm Buch gerecht wird, ohne unsere Inhalte unbedingt zu akzeptieren. Sie lässt die Debatte über ein wichtiges, überfälliges Thema zu, die Herr Klemens Ludwig als parteiisches Mitglied der Tibet Initiative von vornherein abschmettert.

Denn der Artikel von Herrn Ludwig ist ein billiges Propagandawerk, das wirklich alles und jeden verstellt, was und wer sich irgendwie kritisch mit dem tibetischen System und dem Dalai Lama auseinandersetzt, und nicht die Chance wahrnimmt, die eigene Position in einer offenen Diskussion zu begründen. Insgesamt 10 (!) Publizisten werden hier als "Aufklärer ohne Sachkenntnis" diffamiert. Beginnen wir von hinten: Das erwähnte "Buch von Colin Goldner und Jutta Ditfurth" ist noch gar nicht auf dem Markt und erscheint erst in den nächsten Wochen und nur unter dem Namen Colin Goldner. Dennoch - Herr Ludwig behauptet in Ihrer Zeitschrift, "kurz nach dem der Röttgens erschien (!) ein weiteres Anti-Dalai-Lama Buch von der ehemaligen Grünen Jutta Ditfurth und dem Psychologen Colin Goldner." Obgleich Ludwig dieses Buch noch gar nicht gelesen haben kann (es waren auch keine Fahnen erhältlich), wird es von ihm als die "Zusammenstellung von Altbekanntem" und als PDS- Machwerk attackiert und besprochen. Er macht sich nicht einmal die Mühe, wenn er schon kritisieren will, die Werke zu lesen, über die er sein Verdammungsurteil spricht. Wer ist eigentlich in diesem Fall der unsachliche Kritiker, der "maoistische" Verurteilungsmethoden anwendet?

Uns wirft er vor, wir würden die Tantra Texte wörtlich nehmen, anstatt - wie es richtig wäre - sie nur symbolisch zu verstehen. Sie wissen doch selbst, Herr Geisler, etwa aus den vielen Artikeln von Ulli Olvedi oder aus der Rezension von Miranda Shaws Buch, dass in okkulten Systemen wie dem tibetischen die Grenzen zwischen Symbol und Realität verwischt beziehungsweise aufgehoben sind. Wir selber widmen in unserem Buch Seiten der "inner-lamaistischen" (!) und "inner-tibetologischen" Debatte zu dieser Frage, ob die Tantras real oder nur symbolisch gehandhabt werden - und kommen zu dem Schluss, dass beides des Fall ist, aber dass auch, wenn die Ereignisse nur symbolisch zu verstehen sind, sie dennoch einen höchst problematischen Inhalt haben, weil ebenfalls das Symbolsystem auf einer Ausbeutung weiblicher Energie beruht und ein aggressives, kriegerisches Potential beinhalten.

Über die Interdependenz von Symbol und Realität, "Innen" und "Außen" müssten Sie als Esoteriker eine differenziertere Anschauung haben, als Herr Ludwig. Im Theseus Verlag ist hierzu kürzlich ein Buch erschienen, das ebenfalls zeigt, wie innere Vorgänge und Meditationspraktiken mit der politischen Landschaft der Außenwelt im Zusammenhang stehen können (Brian Victoria - Zen, Nationalismus und Krieg - eine unheimliche Allianz). Der Autor ist selber ein Zen - Meister.

Uns interessieren in unserem Buch (im Gegensatz zu der Unterstellung von Herrn Ludwig) die Treffen des Dalai Lama mit Shoko Asahara nur am Rande, was uns jedoch sehr beschäftigt hat, sind die Auswirkungen, die das tibetisch-tantrische System auf die Philosophie und die Person Asaharas gehabt hat - und die waren in der Tat sehr erschreckend.

Das gleiche gilt für den Faschismus und Neofaschismus - nicht die Begegnungen des Dalai Lama mit SS Größen und Miguel Serrano waren wichtig für unsere Argumentation, sondern die Faszination, die der tantrische Buddhismus auf die extreme Rechte ausübt und ausgeübt hat.

Die gesamte Idee und Absicht, den Lamaismus als spirituelle Lehre in China zu verbreiten, wird von uns durch mehrere Zitate aus dem Munde des Dalai Lama nachgewiesen und ist keine Erfindung (wie das Herr Ludwig behauptet), die wir ihm unterstellen. Unsere Zitate hierzu sind nachzuprüfen, wenn man unsere These widerlegen will.

Dass der XIV Dalai Lama über die Sexualmagie in seinem Ritualwesen nicht informiert sein soll, ist ja völlig absurd! Wir haben nur geschrieben, dass wir nicht wissen, ob er mit realen Frauen praktiziert hat. Ansonsten zeigen wir durch viele Zitate, dass er genauestens weiß, worum es geht. In jedem höheren Tantra ist davon die Rede! Auch das Zitat aus seinem Munde, welches Ludwig abdruckt, beweist dies, denn die Geschlechtsteile der "Mudras" (hier sind die "tantrischen Sexualpartnerinnen" und nicht die Symbolzeichen gemeint), über die der Dalai Lama spricht, spielen im Ritual eine wichtige Rolle. Zwei Zeilen vorher bringen wir ein weiteres Zitat von ihm, welches zeigt, dass er über die sogenannte Vajroli Methode Bescheid weiß, d. h. er kennt das Absaugen weiblicher Flüssigkeiten durch den Penis des Yogi, ebenfalls ein wichtiges Moment während des sexualmagischen Aktes. Dieses Zitat verschweigt Ludwig wohlweislich.

Der Patmos Verlag wird von Ludwig als tendenziös katholisch abgestempelt, obgleich es sich hier um einen nicht konfessionell gebundenen Verlag handelt und obgleich dort die wichtigsten Kritiker des Papstes, Eugen Drewermann und Leonardo Boff, publiziert wurden. Die Patmos Verlagsgruppe (zu der jetzt auch der Walter-Verlag zählt) gibt das Gesamtwerk von C.G. Jung heraus. Zudem sind in diesem Verlagshaus mehrere befürwortende Bücher zum tibetischen Buddhismus und zum Dalai Lama erschienen, allem voran auch eine bekannte Dalai Lama Biographie im Benzinger Verlag, der jetzt ebenfalls zur Patmosgruppe zählt.

Die wichtigen kritischen Sendung in "Panorama", "10 von 10", die Äußerungen von Ulrich Wickert und anderer - all das wird von Herrn Ludwig global als "perfide" abgetan. Man will mit allen unsauberen Mitteln das saubere Tibetbild aufrechterhalten und versucht, jede Kritik zu marginalisieren, nach dem Motto, was nicht sein darf, kann nicht sein. Finden Sie es nicht etwas lächerlich und peinlich, wenn 10 (!) Autoren aus völlig unterschiedlichen Ausgangspositionen und Berufssparten zu ähnlichen Ergebnissen kommen und dann von Herrn Ludwig als Chinapropagandisten und Scharlatane denunziert werden, ohne dass dieser es für notwendig hält Gegenbeweise einzubringen? Etwas lächerlich, unbeholfen und für die eigene Schwäche sprechend ist dieser unseriöse Artikel in Ihrer Zeitschrift. Sehr bedauernswert, dass das Niveau von ESOTERA, eine Zeitschrift, die wir früher auch geschätzt haben, so absinken musste.

Wir haben es uns, geehrter Herr Geisler, mit unserer Analyse nicht leicht gemacht. Als wir vor fünf Jahren mit den Recherchen begannen, hatten wir immer noch ein positives Verhältnis zum tibetischen Buddhismus. Wie sehr viele Menschen glaubten auch wir, dass der Dalai Lama und der Lamaismus einen Grossteil der sozialen Werte, die auch uns am Herzen lagen, mit Mut und Überzeugung zum Ausdruck brächten: Friedfertigkeit, Mitgefühl mit allen leidenden Wesen, Überwindung der Klassenschranken, ökologisches Bewusstsein, Transzendieren des Feindbilddenkens, Gemeinschaftssinn, soziales Engagement, interreligiöser Dialog, Begegnung der Kulturen und vieles mehr.

Insbesondere aber waren wir vom Tantrismus, dem eigentlichen Kern der tibetischen Buddhismus, angezogen. Hier schien es endlich eine Religion zu geben, welche es mit der Gleichberechtigung der Geschlechter ernst nahm, und den Eros nicht aus dem sakralen Raum verbannte, sondern ihn geradezu in sein Zentrum stellte.

Aber nicht nur ideengeschichtlich waren wir, wie Sie wissen, mit dem XIV Dalai Lama verbunden. Als Verleger habe ich Bücher von ihm publiziert, habe mehrere viel beachtete Symposien und Großveranstaltungen mit ihm organisiert. 1982 holte ich ihn mit einer kleinen Propellermaschine von Paris auf die Frankfurter Buchmesse. Das Flugzeug geriet in einen Sturm und schwankte abenteuerlich. Solche Momente im Leben schaffen Bindungen und es entwickelte sich eine, wenn auch lockere Freundschaft.

Uns gefiel ganz besonders die religiöse Toleranz des XIV Dalai Lama. Niemals fordert er Menschen dazu auf, ihre angestammte Religion zu verlassen und sich dem Buddhismus anzuschließen. Im Gegenteil er warnt eindringlich vor einem Religionswechsel und betont immer wieder, es sei geradezu die Pflicht eines jeden, denjenigen Glauben, den er annehmen wolle, auf Herz und Nieren zu prüfen, ihm mit aller Skepsis und mit einem völlig kritischen Geist gegenüberzutreten und dann erst seine Entscheidung zu fällen.

Das genau haben wir gemacht! In der Absicht, im tibetischen Buddhismus eine spirituelle Lehre zu entdecken, die Antwort weiß auf die Lösung unserer Weltprobleme, haben wir die Grundlagen des Buddhismus, die tantrischen Texte, die Geschichte des Tantrismus und die Biographien der frühen Tantriker studiert, aber vor allem haben wir uns mit der Historie Tibets, der Dalai Lamas und der Politik der Exiltibeter auseinandergesetzt.

Das Ergebnis war nicht nur ernüchternd sondern teilweise verheerend und führte zu einer völligen Revision unserer bisherigen Sicht. Statt einer friedvollen und toleranten haben wir eine kriegerische und aggressive Kultur vorgefunden; statt Frauenfreundlichkeit haben wir ein System kennengelernt, dass die Unterdrückung und Ausbeutung der Frau durch sein Raffinement auf die Spitze treibt. Unterdrückung Andersdenkender, Despotismus, Intoleranz, grenzenlose Machtobsessionen, Dämonisierung und Angst als politische Mittel, Verachtung alles Menschlichen - all das, was wir gerade nicht vermutet hatten, mussten wir in den Texten, den Ritualen und der Geschichte dieser Religion entdecken und jeder, der bereit ist, mit offenen Augen und kritischem Geist die Quellen und die Literatur, die wir untersucht haben, selber zu studieren, würde zu denselben oder sehr ähnlichen Erkenntnissen und Schlussfolgerungen kommen. Frau June Campbell, über die Esotera vor etwa einem Jahr berichtet hat, sieht ebenfalls im tibetischen Tantrismus ein strukturell-inhaltliches Problem und nicht nur das Fehlverhalten von einzelnen "schwach gewordenen" Lamas. (Siehe beiliegenden Artikel aus dem Independent: Buddhismus (Lamaismus) und Frauenfrage.)

Diese Entdeckungen, die nicht nur von uns sondern auch von anderen ehemaligen Sympathisanten, Anhängern des tibetischen Buddhismus und Tibetologen (siehe beiliegende Liste kritischer Literatur zum tibetischen Buddhismus) gemacht werden, haben den Anspruch, in aller Öffentlichkeit diskutiert zu werden. Auch Sie sollten sich als Chefredakteur einer solchen Kontroversdiskussion, wie Sie jetzt in der liberalen Presse geführt wird, stellen, damit Esotera nicht zu einem Werbejournal verschiedener neo-religiöser Gruppierungen verkommt, die sich nicht mehr untereinander und miteinander kritisch auseinandersetzen. Ansonsten tragen Sie dazu bei, dass unreflektiert übernommene religiöse Bilder und Modelle in fundamentalistische Strömungen enden, die auch schon aus dem Lamaismus entstanden sind und die sich, wie die Entwicklungen in den letzten Jahren bedauerlicherweise zeigen, weltweit verbreiten und immer lauter die Errichtung von autokratischen "Gottesstaaten" proklamieren. Diese beunruhigenden fundamentalistischen Erscheinungen auf der ganzen Welt sind nicht nur als die Übergriffe einzelner Fanatiker abzutun, sondern es sollte genau untersucht und hinterfragt werden, ob sie nicht ihre Wurzeln in den "Heiligen Texten", auf die sie sich berufen, haben und ob letztere nicht in sich schon dieses dualistische Aggressionspotential tragen, das nun zum Ausbruch kommt.

Mit freundlichen Grüßen

Victor Trimondi (Herbert Röttgen)

 

 

 

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